Tenor Gründe - Bayern.Recht

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VGH München, Beschluss v. 14.10.2014 – 4 ZB 14.707
Normenketten:
GO Art. 18a
4 ZB 14.707
§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
§ 133, 157 BGB
§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO
Art. 7 Abs. 2 BV
Schlagworte:
Antragsverfahren, Gemeinde, Zulassungsgrund
Tenor
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Antragsverfahrens als Gesamtschuldner.
III.
Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 15.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
1
Die Klägerinnen sind Vertreterinnen des Bürgerbegehrens „Altstadt M. - Werte bewahren statt zerstören“.
Die Beklagte wies das am 16. Juli 2013 eingereichte Begehren mit Bescheid vom 14. August 2013 als
unzulässig zurück, da es falsche und irreführende Tatsachenbehauptungen enthalte. Die hiergegen
erhobene Verpflichtungsklage wies das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 29. Januar 2014 ab. Mit
dem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Klägerinnen ihr Rechtsschutzbegehren weiter. Die
Beklagte tritt dem Antrag entgegen.
II.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, bleibt aber ohne Erfolg, da die geltend gemachten
Zulassungsgründe nicht vorliegen.
3
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehen nicht (§ 124
Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Klägerinnen keinen
Anspruch auf Zulassung des eingereichten Bürgerbegehrens haben, da in dessen Begründung in einer für
die Abstimmung relevanten Weise unzutreffende Tatsachen behauptet werden.
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a) Dem Begehren mit der Fragestellung „Sind Sie dafür, das denkmalgeschützte Gebäude am St.-platz ...
(...) zu erhalten, um damit das Ensemble um die Frauenkirche mit den ehemaligen Klostergebäuden und
dem Klostergarten vor weiterer Zerstörung zu schützen?“ ist eine teilweise unzutreffende Begründung
beigefügt worden. Unter Punkt 1 der Begründung wird ausgeführt, bei dem Gebäude St.-platz ..., das für
den Neubau eines Bekleidungsgeschäfts abgerissen werden solle, handle es sich „um das ehemalige
Klostergebäude der Kapuziner, welches um 1640 zusammen mit der heutigen Frauenkirche errichtet
wurde“. In Punkt 8 der Begründung ist erneut von einem „wertvollen, ca. 370 Jahre alten ehemaligen
Klostergebäude am Stadtplatz 58“ die Rede. Tatsächlich stammen aber von dem heute existierenden
Gebäude, das auf den Unterschriftenlisten abgebildet ist, nur noch ein kleinerer Teil der Fassade im Bereich
des Erdgeschosses sowie einige Mauerzüge im Erdgeschoss und 1. Obergeschoss aus der Zeit, in der sich
an diesem Ort ein Kloster befand (ca. 1640 bis 1802), wie in dem von der Beklagten in Auftrag gegebenen
baugeschichtlichen Gutachten vom Februar 2013 im Einzelnen dargelegt wird. Die Gutachter kommen dort
(S. 53) zu dem Ergebnis, dass die erhaltenen Bauteile so fragmentarisch und die Funktionsänderungen der
Räume in späteren Umbauphasen so einschneidend seien, dass die Rekonstruktion der ehemaligen
Binnenstruktur des Klosters sehr schwierig sei; lediglich die Klosterküche könne auf der Grundlage der
Quellen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit lokalisiert werden. Hieraus wird erkennbar, dass sowohl
nach dem äußeren Erscheinungsbild und dem Alter der vorhandenen Bausubstanz als auch nach der
inneren Struktur und der Raumaufteilung nur noch sehr geringe Teile des heute bestehenden Gebäudes mit
dem früheren Klostergebäude übereinstimmen. Die zur Begründung des Bürgerbegehrens getroffene
Aussage, es handle sich um „das“ um 1640 zusammen mit der Frauenkirche errichtete Klostergebäude,
vermittelt demgegenüber die unzutreffende Vorstellung, das Gebäude sei jedenfalls im Wesentlichen noch
mit dem vor über 370 Jahren errichteten historischen Bauwerk identisch. Das Attribut „ehemalig“ ändert
daran nichts, denn es kann nach dem Sinnzusammenhang nur so verstanden werden, dass die Nutzung für
Zwecke des Klosters mittlerweile aufgegeben wurde; die fehlende Identität des heutigen Bauwerks mit dem
früher vorhandenen Klostergebäude kommt darin nicht zum Ausdruck. Auch die Abbildung des heute
bestehenden Gebäudes auf den Unterschriftslisten ist nicht geeignet, die durch die Angabe des Baujahrs
„um 1640“ entstandene Fehlvorstellung auszuräumen, da ein nicht fachlich vorgebildeter Betrachter
aufgrund der bloßen Ansicht einer historischen Hausfassade regelmäßig nicht in der Lage sein wird, das
Jahr der Errichtung auch nur annähernd zu bestimmen.
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Soweit in dem Zulassungsantrag eingewandt wird, bei dem historischen Alter eines Gebäudes gehe es nicht
um eine reine Tatsachenfrage, sondern auch um eine Wertungsfrage, wobei es aus Sicht der Klägerinnen
maßgeblich auf die Bewertung durch das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege ankomme, das die
Denkmaleigenschaft und Denkmalwürdigkeit des Gebäudes bejahe, kann dies zu keiner anderen
rechtlichen Beurteilung führen. Es trifft zwar zu, dass die Aussage, ein Gebäude sei vor 370 Jahren errichtet
worden, aus der Sicht eines verständigen Erklärungsempfängers (§§ 133, 157 BGB) nicht im wörtlichen
Sinne dahingehend verstanden werden kann, das Gebäude befinde sich noch vollständig im
Originalzustand und sei in den zurückliegenden Jahrhunderten niemals restauriert oder technisch
modernisiert worden. Mit der Angabe eines Errichtungsjahrs wird aber zum Ausdruck gebracht, dass über
den bloßen Gebäudestandort hinaus eine Kontinuität auch hinsichtlich der wesentlichen Teile des
Baukörpers besteht. Davon kann jedoch im vorliegenden Fall nicht gesprochen werden. Nach den - von den
Klägerinnen nicht bestrittenen - Feststellungen in dem vorgelegten bauhistorischen Gutachten hat bereits
der Übergang des Gebäudes in Privatbesitz im Jahr 1803 ein grundlegende Umstrukturierung zum Zwecke
einer Wohnhausnutzung mit sich gebracht, wobei erst in dieser Phase eine repräsentative Gestaltung der
zweigeschossigen Fassade erfolgte; weitere einschneidende Umgestaltungen in Form von Anbauten und
Aufstockungen um ein drittes Geschoss waren mit der 1854 erfolgten Umnutzung des Gebäudes als Schule
verbunden (Gutachten vom Februar 2013, S. 53). Diese gravierenden, nicht allein der Erhaltung der
Bausubstanz oder der Nutzbarkeit dienenden Änderungen schließen es aus, heute noch von einem „370
Jahre alten ehemaligen Klostergebäude“ zu sprechen. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Kubatur
der bestehenden Bebauung noch relativ genau derjenigen zur Zeit des Klosters entspricht, so dass dem
vorhandenen Gebäude nach Meinung des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege auch in seiner
heutigen Gestalt Denkmaleigenschaft zukommt (Schreiben vom 20.12.2013). Aus dem Umstand, dass ein
historisches Gebäude als Denkmal eingestuft und damit als erhaltenswürdig angesehen wird, folgt noch
nicht, dass es sich seit der erstmaligen Errichtung immer um ein- und dasselbe Gebäude gehandelt hat,
solange nur die äußere Form des Baukörpers annähernd übereinstimmt.
b) Nicht zu beanstanden ist auch die im angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts getroffene
Feststellung, dass die unrichtige Altersangabe des Gebäudes abstimmungsrelevant sei, weil davon
ausgegangen werden müsse, dass der unterschriftsleistende Bürger der Frage des Alters eine große
Bedeutung beimesse, wobei eine Bausubstanz als umso erhaltenswerter angesehen werde, je älter sie sei.
Entgegen der Auffassung der Klägerinnen handelt es sich bei der Altersangabe des Gebäudes nicht um ein
lediglich untergeordnetes Detail der Begründung, dessen Unrichtigkeit im Sinne einer bürgerfreundlichen
Auslegung des Begehrens hingenommen werden könne. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen
Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B. v. 5.6.2012 - 4 CE 12.1224 - BayVBl 2013, 19/20) ist zwar nicht jede
Unvollständigkeit der Begründung abstimmungsrelevant und muss daher zur Ablehnung des
Bürgerbegehrens führen. Im vorliegenden Fall handelt es sich aber bei dem Alter des Gebäudes, wie das
Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, um ein zentrales Begründungselement, das durch die
Wiederholung besonders betont wird und mit dem der ungewöhnliche Wert und die Erhaltungsbedürftigkeit
des bestehenden Gebäudes Stadtplatz 58 unterstrichen werden soll. Die in der Begründung des
Zulassungsantrags getroffene Aussage, bei dem Bürgerbegehren sei es „im Kern“ lediglich darum
gegangen, „aus ästhetischen Gründen das Ensemble so zu erhalten, wie es ist“, lässt sich dagegen aus der
Formulierung des Begehrens und seiner Begründung nicht ableiten. Sowohl in der Fragestellung als auch in
den Einzelpunkten der Begründung wird wesentlich auf den Aspekt des Denkmalschutzes und damit auf die
historische Erhaltungswürdigkeit abgestellt. Da dieser Aspekt mit dem (behaupteten) hohen Alter des zu
schützenden Gebäudes in engem Zusammenhang steht, kann der unzutreffenden Angabe des
Errichtungsjahrs keine bloß untergeordnete Bedeutung beigemessen werden.
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2. Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ist auch nicht deshalb zuzulassen, weil dem
Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung zukäme (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
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Die Klägerinnen tragen insoweit vor, der in der Rechtsprechung anerkannte Grundsatz, dass es bei
unrichtigen Tatsachenangaben nicht auf eine Täuschungsabsicht der Initiatoren des Bürgerbegehrens
ankomme, könne hier nicht schematisch zur Anwendung kommen. Denn es bestehe die Besonderheit, dass
zum Zeitpunkt der Erstellung der Unterschriftenlisten weder die Öffentlichkeit noch die Klägerinnen von der
Beklagten über das von ihr in Auftrag gegebene bauhistorische Gutachten und dessen Inhalt informiert
worden seien; dieses sei vielmehr zunächst unter Verschluss gehalten und erst nach Einreichung des
Bürgerbegehrens vollständig bekanntgegeben worden. Die Beklagte habe durch diese gegen das
demokratische Fairnessgebot
verstoßende Geheimhaltung entscheidungserheblicher Erkenntnisse versucht, die Durchführung des
Bürgerbegehrens mit allen Mitteln zu verhindern. Es stelle sich damit die grundsätzliche Frage, ob eine
Gemeinde ein Bürgerbegehren auch dann als unzulässig ablehnen dürfe, wenn sachliche Fehler in
einzelnen Begründungselementen darauf zurückzuführen seien, dass die Öffentlichkeit über die
einschlägigen Erkenntnisse nicht rechtzeitig informiert worden seien, oder ob es in solchen Fällen geboten
sei, das Bürgerbegehren zuzulassen und eventuell erforderliche Richtigstellungen im Rahmen des
Wahlkampfs vor dem Bürgerentscheid vorzunehmen.
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Mit diesem Vorbringen wird, selbst wenn man zugunsten der Klägerinnen von einem Verstoß der
Gemeindeorgane (Stadtrat, Bürgermeister) gegen eine (ungeschriebene) kommunalrechtliche
Informationsverpflichtung ausginge, keine Grundsatzfrage aufgeworfen, die sich nicht schon aus der
bisherigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs beantworten ließe. Wie der Senat in
früheren Entscheidungen dargelegt hat, ergeben sich die Anforderungen an die Richtigkeit der Begründung
eines Bürgerbegehrens aus dem Recht auf Teilhabe an der Staatsgewalt gemäß Art. 7 Abs. 2 BV in Gestalt
der Abstimmungsfreiheit. Denn die Stimmberechtigten können bei der Frage, ob sie ein Bürgerbegehren
unterstützen und diesem zur erforderlichen Mindestunterschriftenzahl verhelfen wollen (Art. 18a Abs. 6 GO),
wie auch bei der nachfolgenden Abstimmung über den Bürgerentscheid (Art. 18a Abs. 10 GO) nur dann
sachgerecht entscheiden, wenn sie den Inhalt des Begehrens verstehen, seine Auswirkungen überblicken
und die wesentlichen Vor- und Nachteile abschätzen können. Damit ist es unvereinbar, wenn in der
Fragestellung oder in der Begründung eines Bürgerbegehrens in abstimmungsrelevanter Weise
unzutreffende Tatsachen behauptet werden oder die geltende Rechtslage unzutreffend oder unvollständig
erläutert wird (vgl. BayVGH, B. v. 20.1.2012 - 4 CE 11.2771 - juris Rn. 31, v. 9.12.2010 - 4 CE 10.2943 KommunalPraxis Bayern 2011, 155 f.; Thum, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Bayern, Art. 18a Abs.
4 Anm. 8 c m. w. N.). Die Abstimmungsfreiheit besitzt Verfassungsrang und steht nicht zur Disposition der
Gemeindeorgane, so dass deren (mögliches) Fehlverhalten im Vorfeld der Unterschriftensammlung es nicht
rechtfertigen könnte, den Gemeindebürgern eine unzulässige Fragestellung zur Entscheidung vorzulegen.
Die Zulassung eines mit einer unrichtigen Sachverhaltsdarstellung versehenen Bürgerbegehrens wäre auch
nicht geeignet, einen in der Vorenthaltung wichtiger Informationen liegenden früheren Fairnessverstoß zu
heilen, sondern würde zu einem rechtswidrigen Abstimmungsergebnis führen. Denn die unrichtigen
Angaben zum Alter des Gebäudes müssten, da eine nachträgliche Richtigstellung der Begründung des
Bürgerbegehrens ausscheidet (BayVGH, B. v. 9.12.2010, a. a. O., 156), auf den Stimmzetteln zum
Bürgerentscheid mit abgedruckt werden, so dass die Abstimmungsberechtigten nicht nur in der Phase der
Unterschriftensammlung, sondern sogar noch bei der eigentlichen Sachentscheidung über einen
maßgeblichen Aspekt falsch informiert würden. Damit würden elementare Grundsätze einer fairen
Abstimmung verletzt.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47,
52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 22.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts
rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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