251 Z Zusätze Z.1 Konvergenz in metrischen Räumen Z.1.1 Konvergenz von Zahlenfolgen. Wir hatten in 1.4.1 definiert: Eine Folge (an )n∈N reeller Zahlen heißt konvergent gegen den Grenzwert a, wenn es zu jeder Fehlerschranke ε > 0 eine natürliche Zahl nε so gibt, dass für alle natürlichen Zahlen n > nε gilt: |a − an | < ε . Eine dazu äquivalente Definition haben wir in 1.4.5 gegeben: Eine Folge (an )n∈N reeller Zahlen heißt konvergent gegen den Grenzwert a, wenn in jeder ε-Umgebung von a alle Folgenglieder bis auf endlich viele Ausnahmen liegen. Man schreibt in diesem Fall a = lim an n→∞ oder an −→ a . n→∞ Z.1.2 Allgemeinere Folgen. In der Praxis werden nicht nur Zahlenfolgen auf Konvergenz untersucht, sondern auch Folgen von Vektoren, Matrizen, Funktionen, . . . Eine Folge (xn )n∈N von Elementen aus einer Menge X gibt zu jeder natürlichen Zahl n ∈ N ein Folgenglied xn ∈ X an. Z.1.3 Beispiele. • Ist X = Rz , dann liegt eine Folge von (Koordinaten-)Vektoren vor (eine sogenannte „Vektorfolge“). • Ist X = Rz×s , dann liegt eine Folge von Matrizen vor. • Ist X = C0 ([0, 1]), dann liegt eine Folge stetiger Funktionen vor (der Definitionsbereich ist das Intervall [0, 1]). 252 Z Zusätze Wir wollen den Konvergenzbegriff für Zahlenfolgen auf allgemeinere Folgen übertragen. Intuitiv versteht man unter Konvergenz eine schrittweise Annäherung an ein festes Element. Um diese Annäherung zu fassen, wollen wir messen, wie weit ein gegebenes Folgenglied von diesem Grenzelement entfernt ist. Dazu brauchen wir einen Abstandsbegriff, den wir durch Einführung einer Metrik auf der Menge X realisieren. Z.1.4 Definition. Sei X eine Menge. Eine Abbildung ρ : X × X → R heißt Metrik auf X , wenn für alle x, y, z ∈ X gilt: (M 1) ρ(x, y) ≧ 0 und ρ(x, y) = 0 ⇐⇒ x = y. (Definitheit) (M 2) ρ(x, y) = ρ(y, x) (Symmetrie) (M 3) ρ(x, z) ≦ ρ(x, y) + ρ(y, z) (Dreiecksungleichung). Die Menge X , versehen mit der Metrik ρ, heißt dann metrischer Raum (X, ρ). Z.1.5 Beispiel. Die Ähnlichkeiten zwischen den Bedingungen an eine Metrik und Eigenschaften des Betrags sind kein Zufall: In der Tat ist durch ρ(x, y) := |x − y| eine Metrik auf X = R gegeben. Z.1.6 Beispiel. Der euklidische Abstand p ρ2 (v, w) := (v1 − w1 )2 + (v2 − w2 )2 + (v3 − w3 )2 zwischen Punkten in R3 ist eine Metrik auf X = R3 (die wir die euklidische Metrik nennen). Die euklidische Metrik kann man in offensichtlicher Weise auf Rz mit beliebiger Dimension z verallgemeinern: Man summiert eben alle Quadrate der Differenzen der Einträge: v u tX z (v j − w j )2 . ρ2 (v, w) := j=1 Die Metriken in Z.1.5 und Z.1.6 beschreiben genau die Abstände, die wir immer schon haben wollten. Es gibt (für spezielle Zwecke) aber auch ganz andere Metriken: Z.1 Konvergenz in metrischen Räumen 253 Z.1.7 Beispiel. Es sei z ∈ N und p eine reelle Zahl mit p ≧ 1. Zwischen x, y ∈ Rz kann man den Abstand z X 1p p ρp (x, y) = |x j − y j | j=1 einführen. Spezialfälle: • Für p = 2 erhalten wir die euklidische Metrik. z P • Für p = 1 ergibt sich ρ1 (x, y) = |x j − y j | . j=1 Wir messen hier die Länge eines Streckenzugs, auf dem man vom Ort x zum Ort y entlang eines rechtwinkligen Straßensystems gelangt (deswegen nennen manche Leute dies die Manhattan-Metrik). Für einen Taxifahrer ist es egal, an welchen Stellen er abbiegt (solange er grob die Richtung nach rechts oben einhält). Z.1.8 Beispiel. Ein weitere Möglichkeit ist die Maximum-Metrik auf Rz : o n ρ∞ (x, y) = max |x j − y j | 1 ≦ j ≦ z . Diese könnte z. B. nützlich sein, wenn man sich auf die größte Abweichung zwischen den Koordinateneinträgen konzentrieren will. (Die Metriken ρp mit 1 ≦ p < ∞ verwenden jeweils eine Mittelbildung über diese Abweichungen.) Die fünf schwarzen Punkte haben in der Maximum-Metrik alle denselben Abstand von dem besonders dicken Punkt. Siehe auch Z.1.15. 254 Z Zusätze Neben den bisher erwähnten Metriken können wir die Metrik des französischen Eisenbahnsystems auf R2 betrachten: Z.1.9 Beispiel. Wir wählen in R2 einen festen Punkt P (die französische Eisenbahn hat P bei Paris gesetzt). Als Abstand zwischen Punkten x, y ∈ R2 definieren wir ρ2 (x, y) falls x und y auf einer Ge raden durch P liegen, ρParis (x, y) := ρ2 (x, P) + ρ2 (P, y) sonst [man macht immer den Umweg über Paris]. Die Skizze zeigt einen Teil des Netzes französischer Schnellbahnen (grob vereinfacht). Um von Toulouse (T ) mit dem TGV nach Marseille (M) zu kommen, muss man einen Umweg über Paris nehmen: Der Abstand der Städte wird damit wesentlich größer als der per „Luftlinie“ (um diesen wirklich exakt zu realisieren, braucht man wohl eher einen Hubschrauber . . . ) Z.1.10 Die Norm als Abstand. In Vektorräumen (auch solchen unendlicher Dimension — man spricht auch von linearen Räumen) hatten wir mit Hilfe von Skalarprodukten eine Norm eingeführt: Ist h | i ein Skalarprodukt auf V , so heißt für x ∈ V die reelle Zahl p kxk := hx|xi die Norm von x. Z.1 Konvergenz in metrischen Räumen 255 Mit Hilfe dieser Norm können wir wieder den Abstand zwischen zwei Elementen „messen“: ρ(x, y) := kx − yk . Dieser Abstand ist eine Metrik ρ : V → R. Z.1.11 Beispiel. Als Abstand zwischen stetigen Funktionen f, g ∈ C0 ([0, 1]) ist die folgende Göße zweckmäßig: ρ( f, g) = Z 0 1 ! 12 | f (x) − g(x)|2 d x . D E R 1 Wir verwenden hier die Norm zum Skalarprodukt f g := 0 f (x) g(x) d x. Dieses Skalarprodukt wird (samt dieser Norm) auch betrachtet in Zusatz Z.2 in Kimmerle-Stroppel, Lineare Algebra und Geometrie (Edition Delkhofen). Z.1.12 Beispiel. In der numerischen Mathematik werden Abstände zwischen Matrizen benutzt — jeweils angepasst an die gerade aktuelle Problematik. Z.1.13 Konvergenz in metrischen Räumen. Wir betrachten einen fest gewählten metrischen Raum (X, ρ). Eine Folge (an )n∈N in X heißt konvergent gegen den Grenzwert a, wenn es zu jedem ε > 0 eine natürliche Zahl nε so gibt, dass gilt: ∀ n > nε : ρ(a, an ) < ε . ρ ρ Man schreibt auch an → a oder lim an = a. n→∞ 256 Z Zusätze Z.1.14 Äquivalente Definitionen. ρ 1. Es gilt an → a ⇐⇒ lim ρ(an , a) = 0. n→∞ 2. Die Folge (an )n∈N konvergiert genau dann im metrischen Raum (X, ρ) gegen den Grenzwert a, wenn in jeder ε-Umgebung von a alle Folgenglieder bis auf endlich viele Ausnahmen liegen. Dabei verstehen wir unter der ε-Umgebung um X die Menge Uε (a) := {x ∈ X | ρ(a, x) < ε} . Man kann wieder versuchen, sich die ε-Umgebung Uε (a) als „Kugel“ mit Radius ε und Mittelpunkt a vorzustellen . . . Z.1.15 Beispiel. Wir betrachten den metrischen Raum R2 versehen mit der Maximum-Metrik ρ∞ , vgl. Z.1.8. Dann ist x2 " g replaements " a 0 1 Uε (a) = {x ∈ R2 | ρ∞ (a, x) < ε} ( ! ( ) ) x1 |a1 − x1 | 2 = ∈ R max <ε x2 |a2 − x2 | x1 ein offenes Quadrat (ohne Rand) mit Mittelpunkt a und Seiten der Länge 2ε, die parallel zu den Achsen des Standard-Koordinatensystems liegen. Z.1.16 Beispiel. Wir betrachten weiter den metrischen Raum R2 versehen mit der Maximum-Norm ρ∞ . Sei ! x1 x= x2 ein fester Vektor aus U1 00 . Dann konvergiert die Folge der Vektoren ! xn1 xn = n x2 bezüglich der Maximum-Norm gegen den Nullvektor. Es bedeutet x ∈ U1 00 hier gerade max{|x1 |, |x2 |} < 1. ! ! xn1 ρ∞ 0 n . Nach 1.5.8 konvergiert |x j | gegen Null, also gilt n → 0 x2