In der europ ischen Rezeption ist die Frage gestellt worden, ob der Buddhismus eine Wissenschaft, eine Philosophie, eine Religion oder eher ein praktisches Meditationssystem sei. Michael von Br ck zeigt in seiner Einf hrung, daß der Buddhismus dies alles zugleich ist, und mehr: Er ist eine Wissenschaft von den psychischen Prozessen und Faktoren, die Wahrnehmung und Denken beeinflussen. Er ist eine Philosophie, die eine konsistente Erkenntnistheorie, Kosmologie und Anthropologie entwickelt hat. Er ist eine Religion, die durch ethische Anweisungen und kultische Praxis Werte f r großfl chige kulturelle R ume geschaffen hat. Er ist ein praktisches Meditationssystem, das durch unterschiedliche Methoden die bewußte Achtsamkeit im allt glichen Leben, die Kontrolle der Emotionen und Gedanken sowie die Integration kçrperlicher und mentaler Vorg nge ermçglicht. Der Buddhismus ist aber vor allem ein spiritueller Weg, der alle Lebensbereiche erfassen, durchdringen und transformieren will. Er lehrt keine weltabgewandte Jenseitigkeit, sondern will mittels innerer Erfahrung und rationaler Argumente das Leben des einzelnen wie die gesamte Gesellschaft positiv beeinflussen, mit dem Ziel der Kultivierung des Mitgef hls und der Befreiung vom Leid. Nach einer Darstellung der Grundlagen des Buddhismus, seiner Voraussetzungen und Ziele sowie des Schriftenkanons erçrtert von Br ck detailliert die unterschiedlichen Schulrichtungen: Theravāda und Mahāyāna, den Tantrismus (Tibetischen Buddhismus) ebenso wie den chinesisch-japanischen Zen-Buddhismus. Dar ber hinaus beschreibt von Br ck die Grundz ge der Entwicklung des Buddhismus im Westen in Interaktion mit den europ isch-amerikanischen Kulturen, besonders des Christentums. Prof. Dr. Michael von Br ck, geb. 1949, Dr. theol., Professor f r Religionswissenschaft und Leiter des interfakult ren Studiengangs Religionswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universit t M nchen. Dozentur und Studium in Indien, Mitglied mehrerer wissenschaftlicher Gremien weltweit. Forschungsschwerpunkte: Hinduismus, Buddhismus, interreligiçser Dialog. Von Br ck leitet Zenund Yogakurse im In- und Ausland. MICHAEL VON BR C K EI N F H RUNG I N DE N BUDDHI S M U S V E R LAG DE R W E LT R E L I G ION E N Gefördert durch die Udo Keller Stiftung Forum Humanum Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet abrufbar. http://dnb.ddb.de eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2010 © Suhrkamp Verlag Berlin 2010 Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. eISBN 978-3-458-75041-3 www.suhrkamp.de E I N F H RUN G I N DE N BU DDH I S M U S 9 I N H A LT 1 2 3 4 Einf hrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Das Studium des Buddhismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Quellentexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Der historische Buddha: Siddhārtha Gautama Śākyamuni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 5 Die Lehre des fr hen Buddhismus . . . . . . . . . . . . . . . . 109 6 Ausbreitung, Organisation und Schulbildungen im fr hen Buddhismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 7 Staat und Religion im fr hen Buddhismus – Kçnig Aśoka – Buddhismus in Sri Lanka und S dostasien. . 195 8 Entstehung und Entwicklung des Mahāyāna . . . . . . . . 223 9 Buddhismus in China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 10 Buddhismus in Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 11 Buddhismus in Tibet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 12 Buddhismus im Westen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 Schlußbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 Schautafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 Zur Transliteration, Aussprache und Wiedergabe von Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597 11 1 E I N F H RU N G Die Lehre des Buddha ist nicht dazu gedacht, als bloßes Wissen bewahrt zu werden, nein, sie soll zur Entwicklung unseres Geistes benutzt werden. Tenzin Gyatso, XIV. Dalai Lama Seit Europa im 19. Jahrhundert mit dem Buddhismus n her vertraut wurde, ist die Frage nicht verstummt, ob der Buddhismus berhaupt eine Religion sei und nicht vielmehr eine Philosophie im Sinne des Wissens vom Bewußtsein und seiner Funktionen oder eine psychologische Methode zur Entwicklung des Geistes, eine Kultur also, die kaum Merkmale dessen erkennen l ßt, was im europ ischen Kontext als Religion bezeichnet wird. Die Antwort h ngt davon ab, was man unter Religion versteht. Ohne auf die hçchst verwickelte Geschichte des Religionsbegriffs eingehen zu kçnnen, gen gt es festzuhalten, daß der Begriff ›Religion‹ im modernen Sinne berhaupt erst ein Produkt der mit dem Streit der Konfessionen verbundenen Entwicklungen in der europ ischen Christentumsgeschichte ist, insofern man nach einem Begriff suchte, der das Verschiedene abstrahierend zusammenfassen konnte. Auch der Buddhismus ist zwar einerseits eine allgemeine Lehre ber die Ursachen f r das Leiden in der Welt und die Mçglichkeiten zur berwindung desselben durch Bewußtseinsschulung und Einsicht, andererseits aber ein hçchst differenziertes kulturelles Gebilde, das rituelle Systeme entwickelt hat und in politischen Antagonismen, in Machtk mpfen von Funktionstr gern und Identit tsverschiebungen entstanden ist. Nur wenn man die europ ischen Besonderheiten zur Norm macht, wird der Buddhismus nicht als Religion in- 12 1 e i n f h r u ng terpretiert, weil Buddhisten z. B. nicht an einen Schçpfergott glauben, aber das Eigene kann nicht zur Norm f r die Kategorisierung des Fremden dienen, wenn dieses als solches wahrgenommen werden soll. Die gegenw rtige Religionswissenschaft versucht, von einem Religionsbegriff auszugehen, der die europ ische Begriffsbildung nicht zur Norm erhebt, sie bestimmt ›Religion‹ als kulturellen Diskurs, der sich von anderen Diskursen unterscheidet, nicht indem er einen besonderen Gegenstand zum Thema hat, sondern indem er die Gesamtheit menschlicher Kulturleistungen in einen Erwartungsrahmen des Letztg ltigen stellt.1 Allerdings ist auch der Kulturbegriff strittig, und wir m ssen bestimmen, in welchen Rahmen der Begriff ›Buddhismus‹ hier gestellt wird, um kulturelle Entwicklungen stringent beschreiben zu kçnnen. Wir gehen also nicht von einem ›Gegenstand‹ Buddhismus aus (den es so nicht gibt), sondern von dem Begriff ›Buddhismus‹, der als Rahmen fungiert, in dem kulturelle Parameter in ihren geschichtlichen Entwicklungen erscheinen, geordnet und somit verstehbar gemacht werden kçnnen. Denn das Verstehen kultureller Erscheinungen h ngt von der Einordnung in grçßere Zusammenh nge ab, in denen dem jeweils Gegebenen seine Deutung zukommt. Diese Deutungen unterliegen allerdings dem historischen Prozeß der Neuaneignung und Neugestaltung, das heißt, die Identit t kultureller Ph nomene ist nichts Gegebenes, sondern sie ist im Werden, ja, Kultur ist das Werden von Deutungen und Bedeutungen in symbolischen Formen. Diese These bedarf einer kurzen Erl uterung. Kulturen sind die Gesamtheit von Wertemustern, Verhaltensweisen und impliziten wie expliziten Kodierungen, nach denen das Zusammenspiel von Individuen und Gesellschaft, Gruppen und Gesellschaften gesteuert wird. Kulturelle Muster sind 1 Dazu ausf hrlich: Michael von Br ck, Religionswissenschaft als Kulturwissenschaft, in: Watchtower Religionswissenschaft. Standortbestimmungen im wissenschaftlichen Feld, hg. v. Anne Koch, Marburg 2007, S. 73-93. 1 e i n f h r u ng 13 abh ngig von Wertestrukturen und Erziehungsmodellen, die sich aus jenen ableiten und traditionsgesicherte Koh renz ergeben. Kulturen streben nach Identit t und Koh renz, die ihre Selbstverst ndigung ermçglicht. Kulturen sind aber nie nach innen oder außen abgeschlossen, sondern Kommunikationsprozesse, die in konzentrischen Kreisen zu einem in der Gesellschaft je neu zu verhandelnden Kern stehen. Im Austausch, der sich durch unabl ssiges kognitives, emotional gesteuertes oder auch vorbewußt ablaufendes Vergleichen vollzieht, entwickeln Kulturen einen Sinn f r das Eigene und das Fremde, woraus sich ihre Identit tsmuster ableiten. Identit t ist ein Prozeß, bei dem sich die Inhalte st ndig verschieben, weil die historische Entwicklung die kulturellen Kodierungen laufend berholt. Explizite und implizite Werte verb rgen eine zeitliche (diachronische) und r umliche (diatopische) Koh renz von Kulturen. Solche Werte sind in Deutungs- und Orientierungssystemen tradiert, die in der europ ischen Entwicklung ›Religion‹ genannt werden. In anderen Kulturen ist diese Koh renz ebenfalls gegeben, wenngleich die kulturellen Varianten bei der Institutionalisierung, Symbolisierung, Verbalisierung, Tradierung und Kodierung dessen, was Grundwerte ausmacht, durchaus verschieden sind. Vergleichende kulturanthropologische Studien weisen darauf hin, daß nicht nur die Inhalte, sondern auch die Strukturen kultureller Muster kulturvariant sind. Es geht also keinesfalls darum, einen essentialistischen Religionsbegriff zu konstruieren, sondern es wird danach gefragt, welche Systeme, Institutionen, Diskurse, Symbole und Begriffe funktional dem entsprechen, was sich in europ ischen diskursiven Traditionen als ›Religion‹ etabliert hat und st ndig neu etabliert – unter je sich ver ndernden Merkmalen und Bedingungen. ›Religion‹ bezeichnet also keinen festgelegten Gegenstand, wohl aber ein Feld von Erscheinungen, Akteuren und sozialen Bez gen, das als heuristische Bestimmung zun chst von anderen Feldern wie der Kunst oder der Politik durchaus unterscheidbar ist. Zumindest ist dies im heutigen internationa- 14 1 e i n f h r u ng len und interkulturellen Diskurs selbstverst ndlich – ›Religion‹ im Singular und Plural ist eine Referenzgrçße der gesellschaftlichen Diskurse, die sich in vermutlich allen Sprachen widerspiegelt; in den Sprachen, von denen der Buddhismus gepr gt wurde und die der Buddhismus gepr gt hat, handelt es sich um den Begriff dharma und seine bersetzungen ins Chinesische, Tibetische, Japanische usw. Ob der Buddhismus innerhalb der indischen Institutionen- und Geistesgeschichte als eigenst ndige Religion zu behandeln ist, h ngt demnach von der Perspektive ab, und es gibt gute Gr nde, genau dies zu tun, und andere gute Gr nde, den Buddhismus im Kontext der indischen Geschichte als eine Variante ein und derselben Religionstradition zu betrachten. hnliches gilt f r Neubildungen in China, wo buddhistische Ideen und Institutionen mit taoistischen und konfuzianischen Traditionen verschmolzen, so daß es zu kreativen Neubildungen kam, die sich vom ›urspr nglichen Buddhismus‹ erheblich unterschieden. Was also ist ›Buddhismus‹? Der Buddhismus kann, wie andere Religionen auch, nicht als feststehender ›Gegenstand‹ betrachtet werden, der, einmal gegeben, gleichbleibend, unabh ngig von Raum und Zeit des Beobachters, beschrieben werden kçnnte. Durch unsere Beschreibung gestalten wir den Gegenstand mit. Wir stehen der Geschichte nicht unabh ngig und von außen her deutend gegen ber, sondern Geschichte ist unsere Deutung, zwar nicht vçllig subjektiv, aber in einer Gemeinschaft von Interpreten intersubjektiv. Die Hermeneutik von Friedrich Schleiermacher (1768-1834) ber Ernst Troeltsch (1865-1923)2 bis hin zu Hans2 Michael Pye hat die hermeneutischen Erw gungen Ernst Troeltschs f r die komparative Hermeneutik der Religionen (und Religionsbegegnung) fruchtbar gemacht: M. Pye, Comparative Hermeneutics in Religion, in: The Cardinal Meaning. Essays in Comparative Hermeneutics. Buddhism and Christianity, hg. v. Michael Pye, Robert Morgan, Religion and Reason 6, Den Haag und Paris 1973: Mouton, S.1-58. Viele Bemerkungen in diesem Abschnitt verdanken sich den Beobachtungen Pyes. F r Troeltsch war wichtig, daß die Frage nach dem ›Wesen‹ einer Religion nicht nur die Abstraktion 1 e i n f h r u ng 15 Georg Gadamer (1900-2002) hat diese Dynamik des Interpretationsgeschehens zwischen ›Objektivit t‹ und ›Subjektivit t‹ bewußtgemacht und gezeigt, daß wir die Dinge bzw. Begriffe (und die Religionen) nie nur deskriptiv betrachten kçnnen, sondern einen Begriff von diesem ›Gegenstand‹ abstrahieren, der normativ wirkt, weil wir durch ihn hindurch die Geschichte, wie durch eine Brille, wahrnehmen. Eine vçllig ›objektive‹ Beschreibungsweise kann es wegen der Strukturen der Wahrnehmung und Interpretation nicht geben, und die Geschichte der Religionen, auch der Religionsbegegnung, ist daf r ein Beleg. Wohl aber kann es eine selbstkritische Hermeneutik geben, die die Methoden ihrer Verstehensprozesse als gegenseitig abh ngige Faktoren im Prozeß der Geschichtsbildung der Religion(en) selbst begreift, und diese Methode nenne ich historische Hermeneutik. Was dies bedeutet, ist bei der europ ischen Interpretation des Buddhismus gut nachzuzeichnen, und die Buddhismuskunde, wie sie sich in den verschiedenen europ ischen Kulturen durchaus unterschiedlich entwickelt hat, ist hervorgegangen aus der Auseinandersetzung des eurovon geschichtlichen Daten beinhalte, mittels derer diese Daten dann selbst wieder gesammelt, synthetisiert und interpretiert w rden, sondern ein kreativer Akt der intersubjektiven Selbstvergewisserung einer religiçsen Gemeinschaft sei, weshalb das ›Wesen‹ nie ein ›objektiv Gegebenes‹ sei, sondern eine spirituell treibende Kraft, die jedes ›Gegebene‹ immer wieder umforme und so in geschichtlicher Dynamik (mit Kontinuit t und Diskontinuit t) Religion(en) entstehen lasse (Pye, a. a. O., S.13-17, mit Bezug auf E. Troeltsch, Was heißt ›Wesen des Christentums?‹ [1903], in: E. Troeltsch, Gesammelte Schriften, Bd. 2, T bingen 1913, S. 386-451). Troeltsch hatte diese hermeneutischen Erw gungen in der Auseinandersetzung mit Adolf von Harnacks Schrift Das Wesen des Christentums (1900) entwickelt, in der Harnack allein die Lehren Jesu als normativ f r die Tradition und das ›Wesen‹ des Christentums betrachtet hatte, wobei der Inhalt dieser Lehren durch die R ckfrage nach dem historischen Jesus bestimmt werden m sse. Analog dazu kann das ›Wesen des Buddhismus‹ problematisiert werden. 16 1 e i n f h r u ng p ischen Christentums mit der zun chst als fern und kurios wahrgenommenen, dann als Konkurrenz erlebten Religion aus Asien. Die philologisch orientierte Buddhologie des ausgehenden 19. und 20. Jahrhunderts glaubte dann, objektivere Maßst be der Deutung anlegen zu kçnnen, aber auch sie behandelt eben nur die Texte, nicht die gesamte kulturelle Dynamik des Buddhismus. Die bersetzungen dieser Texte, die Wçrterb cher, die zum Standard geworden sind, spiegeln die Mentalit t und geistige Lage des mittleren und sp ten 19. Jahrhunderts in Europa wider, und kritische Neu bersetzungen sind jeweils Neuschçpfungen im Horizont der Zeitgeschichte. Außerdem spielten und spielen soziologische, kulturanthropologische, sthetische, religionsgeschichtliche, politische und wirtschaftliche Faktoren bei der Interpretation des Buddhismus bzw. dessen, was mit diesem Begriff gemeint sein soll, eine erhebliche Rolle und produzieren eine komplexe Gemengelage. Diese Wahrnehmungen des Buddhismus wurden sodann nach Asien zur ckgespiegelt und von den dortigen Buddhisten aufgegriffen, das heißt, sie trugen dazu bei, das zu produzieren, was als Buddhismus der Gegenwart firmiert. Am Beispiel Sri Lankas l ßt sich gut zeigen, wie gegen Ende des 19. Jahrhunderts der westlich-christliche Kolonialismus ein neues buddhistisches Selbstbewußtsein geformt hat, das – unter Mithilfe der vom Buddhismus begeisterten Theosophen – eine neue buddhistische Identit t geschaffen hat, die das traditionelle Zusammenspiel von buddhistischen Funktionstr gern (vornehmlich Mçnchen) und Laien ganz neu justierte, die buddhistische Traditionsformung (Bildungssystem) ver nderte und auch die Eigendefinitionen des Buddhismus erheblich ver nderte. Insofern heute der Buddhismus weltweit als ›Alternativreligion‹ oder – im Westen – als modisch interessante Lebenshaltung von Mittel- und Oberschichten auftritt, ist auch dieses Interesse aus den Diskursen um ›Buddhismus heute‹ kaum herauszuhalten. Aufgrund des selbstkritischen Aspektes, der dem Verstehen innewohnt, kann und muß sehr wohl zwischen einem ›Hineinlesen‹ und einem ›Herauslesen‹ aus dem Text unter- 1 e i n f h r u ng 17 schieden werden. Aber die hermeneutische Kritik von Paul Ricœur (1913-2005), Jacques Derrida (1930-2004), Jean-FranÅois Lyotard (1924-1998) und die moderne Semiotik und Interpretationswissenschaft haben gezeigt, daß es ein reines ›Herauslesen‹ nicht geben kann: Die Kategorien unseres Bewußtseins sind ein Lichtkegel, ohne den wir nichts sehen w rden. Der Lichtkegel wirft sein eigenes Licht, das am ›Gegenstand‹ gebrochen wird und entsprechend modifiziert zur ckstrahlt. Dadurch sehen wir etwas als Resultat der Interaktion, also des Interpretationsprozesses, von ›Beobachter‹ und ›Gegenstand‹. Die Geschichte der interreligiçsen Begegnung zwischen Buddhismus und Christentum, aber auch der Buddhismusinterpretationen im akademischen Diskurs, ist daf r ein sprechendes Beispiel.3 Hinter diese wechselseitige Interpretationsdynamik, die Vergangenes im gegenw rtigen Wahrnehmungshorizont als normative Grundlage f r zuk nftig Programmatisches zusammenschaut, kçnnen wir nicht zur ckgehen. Dieser Sachverhalt bedeutet jedoch keineswegs, daß sich alles im Nebel der Beliebigkeit auflçsen w rde. Wir kçnnen von einem hermeneutischen Feld der Deutung sprechen, in dem drei Elemente zusammenkommen: erstens das historische Ereignis, zweitens die subjektiv und sozial interne Erfahrung und drittens die jeweilige externe Interpretation durch den distanzierteren Blick des Außenstehenden. Diese drei durchdringen einander und begr nden dadurch religiçses Bewußtsein bzw. das Bewußtsein von Religion. Faktisch sind die Dinge noch komplexer, weil Außen- und Innenperspektive von ein und demselben Individuum simuliert und eingenommen werden kçnnen, was unendliche Facetten von Perspektiven ermçglicht. Die Entwicklung von Religionen und damit auch die Inter3 Details und f r die einzelnen L nder spezifisch dargestellt finden sich in: Michael von Br ck, Whalen Lai, Buddhismus und Christentum. Geschichte, Konfrontation, Dialog, M nchen 22000 (zuerst 1997). 18 1 e i n f h r u ng pretation, was die Identit t einer bestimmten Religion sei, ist ein Prozeß, der nie zum Stillstand kommt.4 Das trifft auf jede Religionsgeschichte zu, weil der zweite und dritte der oben genannten Aspekte Variablen, also beweglich sind und dadurch auch der erste – das jeweilig historisch als ›Faktisches‹ wahrgenommene – in immer neuer Deutung, mithin ebenfalls beweglich, erscheint. Alle drei Aspekte wirken aufeinander ein und modifizieren einander. Jeder entfaltet sich aber auch nach eigenen, ihm entsprechenden Kriterien. Keiner der drei Aspekte allein kann Religion legitimieren, sondern Religion konstituiert sich im andauernden und historisch bedingten Interpretationsprozeß der jeweiligen sozial-religiçsen Gruppe. Wenn man diese Vorbemerkungen als Skizze einer historischen Hermeneutik versteht, ergibt sich f r die Frage nach dem, was Buddhismus ist, aus heutiger Perspektive ein vielschichtiges und prozessuales Bild. ›Buddhismus‹ l ßt sich ganz unterschiedlich beschreiben, doch einige Markierungen, die den Rahmen abstecken, seien genannt: – Er ist eine Wissenschaft von den psychischen Prozessen und Faktoren, die die Wahrnehmung und das Denken sowie andere mentale Vorg nge beeinflussen. – Er ist eine Philosophie, die eine in sich konsistente Erkenntnistheorie, Kosmologie und Anthropologie entwickelt hat. – Er ist eine Religion, die durch Ethik und kultische Praxis – vor allem Verehrung des Buddha und der Gestalten seiner Ausstrahlungen – Werte f r großfl chige kulturelle R ume geschaffen hat. – Er ist ein praktisches Meditationssystem, das durch unterschiedliche Methoden die bewußte Achtsamkeit im allt glichen Leben, die Kontrolle der Emotionen und Gedanken sowie die Integration kçrperlicher und mentaler Vorg nge ermçglicht. 4 Vgl. dazu The Cardinal Meaning (S.14, Anm. 2), wo diese These hinreichend belegt wird. d a s we st l i che i nt e r e sse a m bu d d h i s mu s 19 – Der Buddhismus ist aber vor allem ein Lebensweg, der, wenn er praktiziert wird, alle Lebensbereiche erfassen, durchdringen und transformieren will. Der Buddhismus beansprucht, ein umfassendes praktisches System f r den Reifungsprozeß des Menschen anzubieten. Er predigt keine weltabgewandte Jenseitigkeit, sondern will mittels Erfahrung und rationaler Argumente das Leben des Einzelnen wie die gesamte Gesellschaft, das Bewußtseinstraining und die Politik positiv beeinflussen. d a s we st l i c he i nt e r e sse a m bu d d h i s mu s Der Buddhismus ist in seiner geschichtlichen Pluriformit t und sprachlich-kulturellen Vielschichtigkeit kein Gebilde ›aus einem Guß‹. Er hat aus seinen indischen Wurzeln sri-lankische, birmanische, thail ndische, vietnamesische, chinesische, koreanische, japanische, tibetische, mongolische und noch andere Pr gungen erfahren. Indem er von Europ ern und sp ter Amerikanern interpretiert wurde, haben diese Deutungen auf Asien zur ckgewirkt und den Buddhismus dort beeinflußt, ganz abgesehen von der Etablierung und Neuformierung des Buddhismus auf amerikanischem und europ ischem Boden – einerseits durch Migranten aus asiatischen L ndern, andererseits durch vormals christliche oder j dische und auch s kulare Konvertiten, die ihre jeweiligen Vorverst ndnisse und Abgrenzungsbed rfnisse mitbrachten. Je nach kulturellem Interesse in Europa waren unterschiedliche asiatische Kulturen im Fokus: Die Aufkl rung projizierte ihre Sehnsucht nach einer rational organisierten und von Glaubensk mpfen freien Kultur auf China, die Romantik fand ihr Ideal einer ganzheitlichen und gem tsbetonten Religion in Indien, die Quellenkritik Ende des 19. Jahrhunderts war am urspr nglichen Buddhismus interessiert, den man in den Pāli-Schriften vermutete, w hrend das wundergl ubige und von Bodhisattvas und Gottheiten bevçlkerte Mahāyāna als Dekadenzerscheinung galt. Jede Epoche suchte sich eine Lein- 20 1 e i n f h r u ng wand f r ihre Projektionen, und der Buddhismus wurde zu einer Alternativreligion stilisiert, die von der Rationalit t des n chternen Bewußtseinstrainings ber den ›Mythos Tibet‹ mit seinen Geheimlehren bis zum schweigenden Zen, das einer ger uschvollen modernen Welt vornehm erschien, fast alles anbot, was man lesen oder sehen wollte. Aufgrund solcher europ ischer Projektionen auf die ›fremde Welt‹ hat sich das Bild des Buddhismus in der europ ischen Wahrnehmung entsprechend den geistesgeschichtlichen Vernderungen in Europa und Amerika w hrend der letzten 150 Jahre stark gewandelt. Die markantesten Etappen lassen sich wie folgt beschreiben: Das berlegenheitsgef hl Europas und Amerikas hat die Sicht auf die buddhistischen Kulturen Asiens wesentlich gepr gt und teilweise verstellt. Die Geschichtsphilosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770-1831) ist daf r ein Beispiel: Hegel glaubte, Europa, das er auf der absoluten Religion der Vernunft gegr ndet sah, kçnne die Vorstufen der geistigen Entfaltung in Indien und Ostasien als Relikte des Vergangenen studieren, habe aber in der geistigen Evolution bereits eine hçhere Stufe erreicht. Anders urteilte Arthur Schopenhauer (1788-1860): F r ihn war der Buddhismus das System, das die menschliche Situation rational und widerspruchsfrei beschrieb, Wege zum geistigen Frieden zeigte und die ersehnte Alternative zum Christentum anbot. Besonders die Ratlosigkeit angesichts des Zusammenbruchs der b rgerlichen Kultur im Ersten Weltkrieg f hrte westliche Intellektuelle ins geistige Exil nach Asien, wohin sie eigene Hoffnungen und W nsche projizierten. Die Wahrnehmung des Buddhismus (und Indiens berhaupt) blieb auf diese Weise romantisierend-verkl rt, und das ist teilweise bis heute so.5 Auch die Forschung war von solchen Urteilen und Vorurteilen beeinflußt: W hrend sich die deutsche Forschung vornehmlich auf die meist rationalistisch interpretierten Texte 5 Vgl. dazu Wilhelm Halbfass, Indien und Europa. Perspektiven ihrer geistigen Begegnung, Basel und Stuttgart 1981. d a s we st l i che i nt e r e sse a m bu d d h i s mu s 21 6 des Theravāda-Buddhismus konzentrierte und diesen Rationalismus einer als irrational empfundenen christlichen Theologie gegen berstellte, versuchte die belgisch-franzçsische Schule der Buddhologie, weltanschaulich neutral zu bleiben: Die katholischen Gelehrten (z. B. tienne Lamotte [1903-1983]) hielten christlichen Glauben und akademisches Interesse am Buddhismus auseinander. Die Leningrader Schule, vor allem Theodor Stcherbatsky (1866-1942), verband das marxistische Interesse am buddhistischen ›Materialismus‹ mit Textstudien. Stcherbatsky konzentrierte sich auf die Dialektik und Logik der Buddhisten und klammerte die mystischen, trans-rationalen und magisch-okkulten Elemente aus. Erst Edward Conze (1904-1979) in England erforschte den Mahāyāna-Buddhismus als eigenst ndige und authentische Tradition und erzielte damit einen Durchbruch in der anglo-amerikanischen Diskussion. Conze beeinflußte die neuere Buddhologie in den Vereinigten Staaten, die heute von Gelehrten bestimmt wird, die oft selbst zum Buddhismus konvertierten (Richard Robinson, Jeffrey Hopkins, Robert Thurman, Lu s G mez, Francis H. Cook, Rita M. Gross, Reginald Ray). Der Buddhismus fasziniert seit etwa 100 Jahren immer mehr Europ er und Amerikaner, und an dieser Vermittlung haben auch Gelehrte und Meditationsmeister aus Asien (wie z. B. Suzuki Daisetsu Teitaro, der Dalai Lama und Thich Nhat Hanh) einen wesentlichen Anteil. Auch dabei spielten und spielen wechselseitige Projektionen, die die Buddhismus-Deutungen beeinflussen, eine erhebliche Rolle: Die Zen-Interpretation Suzukis (1869-1960) pr gte die Deu6 Mit den bemerkenswerten Ausnahmen von Friedrich Heiler (18921967) und Rudolf Otto. Heiler (Die buddhistische Versenkung. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung, M nchen 1918 [21922]) verlegte das Zentrum des Buddhismus in die trans-rationale Meditationserfahrung, Otto brachte in mehreren Schriften das Element des Mysteriums, des »Heiligen« oder »Numinosen«, im Buddhismus zur Geltung. F. Max M llers (1823-1900) Editionen buddhistischer Sanskrit-Texte in England am Ende des 19. Jahrhunderts hatten die deutsche philosophisch-theologische Diskussion zun chst weniger beeinflußt. 22 1 e i n f h r u ng tung dieser Schulrichtung des ostasiatischen Buddhismus, von dem deutschen Theologen Rudolf Otto (1869-1937) ber die europ ischen und amerikanischen Psychologen (C. G. Jung, Erich Fromm, Richard J. DeMartino, Erik H. Erikson) bis zu den Zen-Adepten der Achtundsechziger-Generation in den USA. Suzuki seinerseits interpretierte das Zen durch die Brille des amerikanischen Psychologen und Religionswissenschaftlers William James (1842-1910), der, wie auch Otto, das religiçse Erleben in der Nachfolge Schleiermachers interpretierte, und des Deutsch-Amerikaners Paul Carus (1852-1919), der als Freidenker und Philosoph den Buddhismus in Amerika durch Zeitschriften und Buchpublikationen fçrderte. Das Suzuki-Zen war also durch europ ische Interpretationen beeinflußt, die dann wiederum die Zen-Rezeption pr gten und auch auf Japan wirkten, wo sich nun Zen – in der westlichen Deutung und in Selbstverteidigung angesichts der Modernisierung in Japan gegen Ende des 19. Jahrhunderts – als wissenschaftskompatibel und psychologisch- sthetische ›Religion der Religion‹ bzw. ›Mystik jenseits von Religion‹ pr sentieren konnte.7 Die Hinwendung vieler Menschen zum Buddhismus hat ein Gegengewicht gegen die von den Missionaren vollzogene Abwertung des Buddhismus geschaffen. Der ›Osten‹ diente, wie wir schon erw hnten, als Projektionsfl che f r westliche Kritik an der eigenen Kultur, die den Rationalismus der Aufkl rung berwinden wollte. Man nahm demzufolge Hinduismus und Buddhismus als Religionen der ›Mystik‹ oder der ›Weisheit‹ wahr, ohne sich mit den sozialen und politischen Realit ten dieser Religionen auseinanderzusetzen. Diese Deutung des Buddhismus beruht jedoch auf einer selektiven Wahrnehmung dessen, was ›Religion‹ ist. Sie w hlt vor allem anderen den dharma aus, d. h. den Bereich (so meint man) der Ideen. Von den çstlichen Traditionen, die den Leser 7 Dazu instruktiv: J rgen Offermanns, Der lange Weg des Zen-Buddhismus nach Deutschland. Vom 16. Jahrhundert bis Rudolf Otto, Lund Studies in History of Religions 16, Stockholm 2002, bes. S. 211-291. d a s we st l i che i nt e r e sse a m bu d d h i s mu s 23 im Westen ansprechen (man unterstreiche das Wort ›Leser‹), sind ja vor allem diejenigen Gegenstand des Interesses geworden, die ohne weiteres in Begriffe und Ideen gefaßt werden kçnnen. Wenn man aber den ›Kern‹ der Religionen vor allem in ihrem Schrifttum zu finden glaubt, besteht das Studium anderer Religionen vor allem darin, Schriften zu sammeln und zu interpretieren – sei es die Bibel, die Sacred Books of the East oder den Sūtren-Kanon. Dies ist zweifellos ein wichtiger Zugang zur Religion, aber nicht der einzige. Ebenso wichtig wie die Texte sind die Quellen, die uns die Arch ologie zur Verf gung stellt: Einblicke in die Anordnung von Grabanlagen, Ausstattung der Kultnischen in Wohnh usern, Votivtafeln, die ber die Spendenpraxis und damit Mentalit ten Auskunft geben usw.8 In mancher Hinsicht m ssen wir unser Bild des fr hen Buddhismus korrigieren, wenn wir diese Quellen mit heranziehen und uns nicht allein auf die (von Mçnchen verfaßten) Texte st tzen. Aber auch die lebendige Begegnung mit den Buddhisten in ihren Heimatl ndern und im Exil (bzw. in der Diaspora) ist eine Quelle des Wissens. Kinofilme haben dar ber hinaus in den letzten Jahren standardisierte Bilder des Buddhismus erzeugt, die nicht immer zum Verst ndnis des Fremden beitragen, sondern eher Sensationsbed rfnisse befriedigen oder verdr ngte Tr ume auf die Leinwand bringen. Genaue Studien m ssen solche (oft verborgene) Wahrnehmungen aufdecken. Das vorliegende Buch will durch Einf hrung in Geschichte und Gedankenwelt des Buddhismus Zusammenh nge sichtbar machen, deren Erkenntnis notwendig f r ein genaueres Verstehen und damit f r die Praxis ist. Es handelt sich hier also nicht um eine Anleitung zur Meditation oder zur Interpretation der buddhistischen Kunst, sondern um die Aufarbeitung von geschichtlichen Voraussetzungen solcher Anleitungen und Interpretationen. 8 Gregory Schopen, Burial »ad sanctos« and the Physical Presence of the Buddha in Early Indian Buddhism. A Study in the Archeology of Religions, in: Religion 17 (1987), S.193-225. 24 1 e i n f h r u ng g e i st i g e g r u n d l a g e n d e s bu d d h i s mu s Der Buddhismus ist eine von Siddhārtha Gautama Śākyamuni ›gestiftete‹ Religion, historisch bedingt und wesentlich von der Geschichte seines Ursprungs, der Lebenswelt Indiens im 5. bzw. 4. Jahrhundert v. Chr., gepr gt. Er hat im Laufe seiner Geschichte ganz Asien erfaßt und diese Gesellschaften in allen politisch-kulturellen Dimensionen ußerst kreativ gestaltet. Er ist seit ber einhundert Jahren auch in Amerika, Europa und Australien heimisch geworden. Dabei ist er einem vielfachen Gestaltwandel ausgesetzt gewesen und hat in der Ethik, der Philosophie, der Kunst und der politischen Organisation ußerst unterschiedliche Formen angenommen, die in j ngster Zeit zusammenkommen und in hçchst divergierender, teils auch widerspr chlicher Weise direkt und indirekt die moderne Welt durchdringen. Um die geschichtliche Bedingtheit einerseits und die universale Wirkkraft des Buddhismus andererseits verstehen zu kçnnen, ist es unerl ßlich, seine Geschichte in der Einheit von ideen- und sozialgeschichtlichen Aspekten nachzuzeichnen. Damit soll deutlich werden, was das unverwechselbar Einzigartige und das in der geschichtlichen Dynamik sich wandelnde kulturelle Umfeld der buddhistischen berlieferung ist. Alle buddhistischen Schulrichtungen haben, beginnend mit den fr hesten uns bekannten Formen des Buddhismus, die Tradition in drei Kategorien eingeteilt: Wer sich zum Buddhismus bekennt, nimmt Zuflucht beim Buddha, beim dharma und beim samgha (śaranā-gamana). Die Zufluchtsformel tçnt ˙ einheitlich durch die ˙gesamte buddhistische Welt, sie wird von jedem Menschen nachgesprochen, der sich zum Buddhismus bekehrt, von M nnern wie Frauen, heute ebenso wie vor Hunderten von Jahren: Ich nehme Zuflucht beim Buddha, Dharma, Samgha: »Buddham śaranam gacchami, | dharmam ˙ ˙ am gacchami.« śaranam gacchami, | samgham śaran ˙ ˙ ˙ ist verehrungsw rdig, – Der Buddha als Lehrer und Stifter g e i st i g e g r u nd l ag e n de s bu d d h i s mu s 25 ihm geb hrt vorbehaltloses Vertrauen, und er gew hrt in seiner geistigen Pr senz Hilfe allen, die ihn vertrauensvoll verehren. – Der dharma ist die Gesetzm ßigkeit der Welt, die vom Buddha und allen anderen zur Wahrheit Erwachten erkannt worden ist, die als Richtschnur des Lebens dienen soll, damit man selbst erwachen, d. h. Buddha werden kann. – Der samgha ist die Gemeinschaft derer, die der buddhisti˙ schen Tradition gem ß leben und die Genauigkeit der berlieferung h ten sowie das Erkannte in die Tat umsetzen. Das, was es zu erkennen und zu praktizieren gilt, ist wiederum unter drei Aspekten zusammengefaßt worden: – Lebenspraxis (śı̄la), – Bewußtseinsschulung (samādhi) und – Erkenntnis (prajÇā). Alle drei Aspekte bedingen einander und sind voneinander abh ngig, wobei aber in der Praxis meistens eine Stufenfolge eingehalten wird: – Unerl ßliche Voraussetzung f r jede Meditation, die den Namen verdient, ist ein angemessenes sittliches Verhalten (śı̄la), durch das die Gef hle und Gedanken berhaupt erst geordnet und in der Meditation kontrollierbar werden. – Die Meditation (samādhi) als unabl ssige Achtsamkeit und einsichtsvolle geistige Durchdringung, in der sich das Bewußtsein seiner eigenen Dynamik und Funktionsweisen bewußt wird, ist wiederum die Voraussetzung f r – tiefere Erkenntnis (prajÇā), die den Menschen von Verstrickungen in die eigenen psycho-physischen Reaktionsmuster (Anhaften), von Angst und Ungewißheit befreit, so daß eine geistige Haltung entsteht, die der Buddha nirvāna, die ˙ vollFreiheit von jedweden ich-haften Projektionen bzw. die kommen geeinte Bewußtheit, genannt hat. Die Praxis des Buddhismus ist also dreifach: Sie ist ein bestimmtes Handeln, bewußte Meditation und ein System klar formulierter Anschauungen. 1. Das Handeln ist gekennzeichnet durch karunā, die hei˙ lende Hinwendung zu allen Wesen. Da sich menschliche Hand- 26 1 e i n f h r u ng lungsabl ufe kçrperlich, sprachlich und mental vollziehen, muß diese Grundtugend, wie alle daraus abgeleiteten ethischen Normen, in der Dreiheit von Kçrper, Rede und Geist ge bt werden. Karunā, oft auch mit »Barmherzigkeit« oder »Mitgef hl mit allen˙ Wesen« bersetzt, dr ckt sich praktisch vor allem durch Gewaltfreiheit (ahimsā) aus. Das bedeutet: ˙ Leibliches Handeln, Rede und Denken m ssen so geschult werden, daß kein anderes Lebewesen verletzt wird. Gewaltfreiheit ist aber mehr als die bloße Abwesenheit von Gewalt. Sie ist eine positive Grundhaltung, die Werte setzt. Gewaltfreiheit bzw. Barmherzigkeit ist f r den Buddhismus nicht eine passive emotionale Reaktion auf das Leid in der Welt, sondern ein aktiver Impuls zum Handeln, der in direkter meditativer Erfahrung und rationaler Analyse zugleich begr ndet ist. Das heißt, daß karunā auf einer Erfahrung der Einheit ˙ mit allen anderen Lebewesen beruht, verbunden mit dem Wunsch, Verantwortung f r das Wohlergehen von allen Menschen, Tieren, anderen Lebewesen und ihrer Lebensgrundlage (der gesamten Welt) zu bernehmen. 2. Die Meditation besteht vor allem in der bung der Achtsamkeit (satipatthāna) bei allem, was der Mensch denkt, redet ˙˙ grundlegende bung besteht in der angeund handelt. Die messenen Haltung des Kçrpers und der Konzentration auf den Atem. Dadurch wird das Bewußtsein stabilisiert und zur Ruhe gebracht. Es entsteht ein geistiger Frieden, der Freiheit von Angst und Ich-Behauptung bewirkt, was wiederum die unabdingbare Voraussetzung f r Gewaltfreiheit im oben genannten Sinne ist. So bedingen rechtes Handeln (śı̄la) und Meditation (samādhi) einander. Eins setzt das andere voraus und verst rkt es. Fehlt die Meditation, wird das Handeln trotz guter Vors tze bald egozentrisch, und alle ›Werke der Barmherzigkeit‹ verderben zu einer egozentrischen Selbstbehauptungsstrategie. Fehlt das Handeln, wird die Meditation selbstbezogen, ich-haft und kraftlos. Wenn aber das Bewußtsein durch Meditation ruhig und klar geworden ist, kann außerdem die nat rliche Intelligenz voll ausgeschçpft werden, so daß wiederum andere kreative Potentiale freigelegt werden und der Mensch zu einer integrierten Persçnlichkeit reift. g e i st i g e g r u nd l ag e n de s bu d d h i s mu s 27 3. Das System klar formulierter Anschauungen (Philosophie) dient der rational begr ndeten und kontrollierbaren bungspraxis in der Meditation und dem sittlichen Verhalten. Die Lehrs tze des Buddhismus sind kein Selbstzweck, sondern sie dienen der ›Fahrkunst‹, d. h. der Praxis im beschriebenen Sinn. Aus diesem Grunde hat sich in der buddhistischen Geschichte eine bemerkenswerte F lle unterschiedlicher Anschauungen herausbilden kçnnen, ohne daß damit die buddhistische Tradition verlassen und die betreffenden Denker als ›H retiker‹ ausgeschlossen worden w ren. Daß es dabei allerdings auch Grenzen gibt, die bereits im fr hen Buddhismus klar gezogen wurden, werden wir sp ter darzustellen haben. Die Grundanschauungen des Buddhismus sind in den »Vier Edlen Wahrheiten« dargelegt. Wir fassen hier den Gedankengang kurz so zusammen: Alles Gewordene ist verg nglich. Wer sich an das Verg ngliche h ngt, unterliegt einer leidvollen Frustration (duhkha), die im Selbstlauf einen immer ˙ wieder sich selbst stabilisierenden falschen Mechanismus der Wahrnehmung, des F hlens und des Denkens erzeugt, also die grundlegende Unwissenheit des Menschen darstellt. Dieser Mechanismus kann durchbrochen werden. Die Methode zu diesem Durchbruch ist der »Edle Achtfache Pfad«, den wir sp ter detailliert darstellen werden. Aus dieser Analyse folgt eine weitere Grundeinsicht, die f r das Selbstverst ndnis des Menschen und die angemessene Lebenspraxis von grçßter Bedeutung ist: die gegenseitige Abh ngigkeit aller Dinge und Erscheinungen (pratı̄tyasamutpāda). Alle buddhistischen Schulsysteme lehnen die Vorstellung und den Begriff einer unabh ngigen Existenz von Dingen und Lebewesen ab. Nichts existiert getrennt von anderem, sondern alles ist verbunden mit und abh ngig von etwas anderem. Demnach gibt es auch kein unabh ngiges, aus sich selbst existierendes menschliches Ich bzw. eine Seele, was der Buddhismus mit seiner ber hmten anattā-Lehre (»Nicht-Ich«) ausgedr ckt hat. Eine solche Einsicht f hrt wiederum zu der existentiellen Grundhaltung, die Buddhisten anstreben: dem 28 1 e i n f h r u ng Eind mmen der Gier, durch die sich das Ich stabilisieren mçchte. Dies wiederum ermçglicht Gewaltfreiheit und eine Haltung der Ehrfurcht gegen ber allen Mitwesen, die in gegenseitiger Abh ngigkeit untereinander und zu einem selbst stehen. Damit ist die Angst, getrennt und bedroht zu sein, berwunden, und der ersehnte Frieden des Geistes kann sich einstellen. Erst auf dieser Grundlage, so argumentierte der Buddha, ist ein Leben und Handeln in echter Freiheit mçglich. Ziel des Buddhismus ist also: Befreiung aus den Fesseln der selbstverursachten kçrperlichen, psychischen und mental wirksamen Verstrickungen (karman). 29 2 DA S S T U DI U M DE S BU DDH I S M U S Gegenw rtig erscheinen j hrlich Hunderte von neuen B chern zum Buddhismus, die die Quellen neu erschließen oder Einzelaspekte interpretieren. So ist es unerl ßlich, eine knappe Auswahl von Arbeiten in den Blick zu nehmen, die epochemachend waren oder besonders wichtig f r die Deutung einzelner religiçser Ph nomene sind. Dabei m ssen wir im Auge behalten, daß das Kennenlernen einer Religion nicht nur in der Lekt re von B chern bestehen kann. Zum Studium des Buddhismus empfiehlt es sich, – die intellektuelle Auseinandersetzung mit – der meditativen bung sowie – der sthetischen Wahrnehmung und – der lebendigen Begegnung zu verbinden. i nt e l l ek t u e l l e au se i n a nd e r se t zu n g Die intellektuelle Auseinandersetzung muß mit dem Studium der Quellen beginnen und gleichzeitig die historisch-kritischen Studien zum gesamten Buddhismus und den einzelnen Schulen einbeziehen, weil sonst die Quellen kaum sachgem ß interpretiert werden kçnnen. Denn die Quellen (der ›Kanon‹) und ihre Interpretationen haben best ndig wesentliche Kriterien f r die Auseinandersetzung um die Entwicklungen in der Geschichte des Buddhismus geliefert, ja, die Geschichte des Buddhismus ist in weiten Teilen genau diese Auseinandersetzung. In j ngster Zeit ist der rein philologische Zugang zum Buddhismus kritisiert worden, und das zu Recht, denn Riten, Praxisformen der Laien, Meditations bungen, Kunstwerke sind ebenso Bestandteil des religiçsen Erbes wie die