Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 30. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999 (A) Es besteht die Gefahr, daß die Regelung zum „Steuerschlupfloch“ wird, da die Voraussetzungen gestaltbar sind. Eine derartige Regelung würde Unternehmen provozieren, arbeitsintensive Bereiche auszulagern. Eine Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf arbeitsintensive Dienstleistungen würde zu erheblichen Steuermindereinnahmen führen, die derzeit nicht verkraftbar sind. Die durch die Steuerermäßigung verursachten Haushaltsausfälle müßten kompensiert werden. Eine Kompensation im Bereich der direkten Steuern wäre gegenläufig zur notwendigen Reform der Einkommensbesteuerung und scheidet daher aus. Eine Kompensation innerhalb der Umsatzsteuer wäre wohl unvermeidbar. Höhere Umsatzsteuern würden insbesondere die Einzelhandelsunternehmen belasten mit der Gefahr des Verlustes von Arbeitsplätzen in diesem Bereich. Ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz auf arbeitsintensive Dienstleistungen müßte – wenn überhaupt – obligatorisch in der EU eingeführt werden. Eine fakultative Einführung – mit oder ohne Möglichkeit, unterschiedliche ermäßigte Steuersätze anzuwenden – würde für Unternehmen eines Mitgliedstaates, der den allgemeinen Steuersatz anwendet, zu Wettbewerbsnachteilen – insbesondere in Grenzregionen – führen. Darüber hinaus müssen wir auch bei der Umsatzsteuer zu einem einfacheren, transparenteren und damit gerechteren System finden. Das bedeutet bei der Umsatzsteuer – genau wie bei der Einkommensteuer – eher eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und damit die (B) Abschaffung von Sondertatbeständen und nicht die Schaffung von neuen Ausnahmeregelungen. So ließe sich auch der Mehrwertsteuersatz in Deutschland auf niedrigem Niveau halten. Dieser Gedanke sollte auch Eingang in die Überlegung derjenigen finden, die in der Regierungskoalition ständig über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer diskutieren. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zu dem Entwurf eines Gesetzes über die allgemeine und die repräsentative Wahlstatistik bei der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Zusatzpunkt 6): Barbara Wittig (SPD): Von 1953 und bis 1990 verfügte die Bundesrepublik Deutschland über ein statistisches Verfahren, das weltweit als vorbildlich geschätzt wurde – die repräsentative Wahlstatistik. Diese zeigte ein zuverlässiges Bild der politischen Partizipation innerhalb der Wahlbevölkerung, nämlich die unterschiedliche Wahlbeteiligung und die Differenzierung im Wahlverhalten zwischen Frauen und Männern in den verschiedenen Altersgruppen. Seit 1994 mußten wir darauf verzichten, denn sie wurde per Gesetz ausgesetzt – 1998 gab es die Initiative zur endgültigen Abschaffung –, der Datenschutz und das SEITE ZURÜCK 2557 Recht auf informationelle Selbstbestimmung wurden zur Begründung ins Feld geführt. Gezweifelt wurde vor allem daran, ob die repräsentative Wahlstatistik mit dem § 51 Abs. 2 BWG eine ausreichend präzise Rechtsgrundlage besitze. (C) Dazu ist festzustellen: In all den vielen Jahren der Durchführung dieses statistischen Verfahrens sind nie Verletzungen des Wahlgeheimnisses bekanntgeworden. Der Bundesrat hatte in seinen Entschließungen vom 23. September 1994 und 10. Juli 1998 sein Bedauern über die Aussetzung der repräsentativen Wahlstatistik zum Ausdruck gebracht und deren Wiederaufnahme gefordert. Nun, nach dem Regierungswechsel, können wir handeln. Erfreulicherweise hat sich auch die Fraktion der CDU/CSU der Initiative der Koalitionsfraktionen angeschlossen. Warum halten wir die repräsentative Wahlstatistik für unverzichtbar? Die repräsentative Wahlstatistik ist eine der wichtigsten Datenquellen der empirischen Wahlforschung. Als einziges Instrument der Wahlforschung erlaubt sie langfristig angelegte sozialstrukturelle Analysen. Die Ergebnisse sind sowohl für politische Parteien und wissenschaftliche Einrichtungen als auch für Parlament, Regierung und Behörden von Bedeutung. Sie kann nicht durch demoskopische Umfragen ersetzt werden. Ihre Ergebnisse sind genauer als diejenigen der Wahlforschungsinstitute, denn sie beruht auf der tatsächlichen Stimmabgabe der Wähler und arbeitet mit großen Stichproben. Zudem braucht die Demoskopie die von der repräsentativen Wahlstatistik gelieferten Angaben über das tatsächliche Stimmverhalten der Wähler, differenziert nach Geschlecht und Alter, um darauf ihre Berechnungen aufzubauen. Gehen wir der Frage nach, inwieweit die neuen Regelungen den Bedenken der Skeptiker Rechnung tragen. Hier ist auf die Prüfkriterien für die Qualität einer Rechtsgrundlage mit statistischem Bezug hinzuweisen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Volkszählung 1983 deutlich gemacht hat – Erforderlichkeit, Geeignetheit, Normenklarheit, mildestes Mittel. Im einzelnen heißt das: An der Fortführung der repräsentativen Wahlstatistik besteht Allgemeininteresse. Dazu habe ich bereits Ausführungen gemacht. Das vorgeschlagene Verfahren ist geeignet, das aufgestellte Ziel zu erreichen. Zur Stärkung des ohnehin strafrechtlich geschützten Wahlgeheimnisses werden unter anderem die schon bisher praktizierten Schutzmaßnahmen gesetzlich festgeschrieben. Hierzu zählen insbesondere die Festlegung einer Mindestzahl von Wahlberechtigten für die Stichprobenwahlbezirke, eine Zusammenfassung der Geburtsjahrgänge, die keine Rückschlüsse auf das Wahlverhalten einzelner Wähler ermöglicht, die Trennung der für die Stimmauszählung und für die statistische Auswertung zuständigen Stellen, das Verbot der Zusammenführung von Wählerverzeichnis und gekennzeichneten Stimmzetteln, eine strenge Zweckbindung für die Statistikstellen hinsichtlich der ihnen zur Auswertung überlassenen Wahlunterlagen. Weiterhin werden die Wählerinnen und Wähler nahezu nicht belastet, SEITE VOR (D)