STZ Sonderbeilage vom 21.02.2013

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OPER STUTTGART
Donnerstag, 21. Februar 2013
Der russische Klang
verlangt viel Einsatz
Sylvain Cambreling über den RusslandSchwerpunkt in Oper und Konzert
S
eit einem halben Jahr ist der Franzose
Sylvain Cambreling Generalmusikdirektor der Stuttgarter Oper. Seine erste
Bilanz fällt positiv aus, vor allem hinsichtlich der künstlerischen Leistungsfähigkeit.
Die wird in diesem Jahr insbesondere im
Russland-Schwerpunkt gefordert, der sowohl das Opern- als auch das Konzertrepertoire prägt. Sylvain Cambreling erläutert
diese Programm-Gestaltung.
Foto: Borggreve
Herr Cambreling, Ihre
erste Produktion war
„Der Schaum der Tage“
von Edison Denisov.
Denken Sie, dass dieses
Stück ins Repertoire zurückkehren wird?
Ich hoffe doch. Es war
mein Wunsch, diesem
Stück, das sehr gut
ist, eine Chance zu
geben. Ich finde, es
sollte bald eine weiteS. Cambreling
re Inszenierung in
einem anderen Haus
haben. Es ist in seiner Mischung ein sehr gutes Stück Musiktheater. Das ist das, was heutige Opernhäuser brauchen.
Welche Anforderungen stellt diese stilistisch
extrem vielfältige Oper?
Diese Mischung aus Moderne, Klassik und
Jazz war absolut kein Problem. Ich kenne natürlich sehr vieles, was es in der Neuen Musik gibt. Aber ich kenne auch Jazz sehr gut,
weil ich das als junger Musiker oft gemacht
habe. Heutige Orchestermusiker kennen
sich mit Jazz sehr gut aus. Diese vielfältige
Stilistik ist eine Qualität dieses Stücks und es
bereitet uns viel Spaß.
Ist ein spezifischer Klang notwendig?
Die Besonderheit ist der extrem geteilte
Streichapparat. Dafür muss man an der
Transparenz arbeiten. Und das heißt Genauigkeit bei Rhythmus und Intonation. Macht
man das nicht, wird der Klang grau. Aber es
ist alles andere als ein graues Stück.
Wie vermitteln Sie Ihrem Orchester einen typisch russischen Klang?
Zunächst einmal haben wir es mit sehr
unterschiedlichen Komponisten zu tun. Das
zu verallgemeinern, ist sehr schwierig. Als
Franzose, der mit einem deutschen Orchester russisches Repertoire macht, würde ich
sagen: Es geht um Expressivität. Diese Musik
braucht einen dichten Klang, Leidenschaft,
Engagement und viel Vibrato, wobei es natürlich sehr unterschiedliche Arten gibt,
Vibrato zu spielen. Vielleicht kann man sagen, das verlangt viel Einsatz.
Sie haben Russland als einen Schwerpunkt gesetzt. Warum haben Sie dann nicht eine der großen Opern gewählt?
Wir haben zurzeit viele Stücke mit großer
Chorpartie im Repertoire. Noch etwas in dieser Art zu machen, wäre sehr schwierig gewesen. Und da bot es sich an, etwas konzertant zu machen. Mich hätte auch „Jolanthe“
interessiert, aber das wurde in letzter Zeit
häufiger aufgeführt, also habe ich nach etwas Unbekanntem gesucht.
Was reizt Sie an „Francesca da Rimini“ von Sergej Rachmaninov?
Ich finde schon das Libretto mit dieser Dante-Geschichte der Seelen in der Hölle interessant. Dann bietet es viele große sinfonische Passagen, die denen sich das Orchester
profilieren kann. Wir haben jetzt die Möglichkeit, mit einer sehr guten Besetzung etwas Spannendes zu machen.
Sie kombinieren „Francesca da Rimini“ mit der
dritten Sinfonie von Galina Ustwolskaja. Warum ist diese Komponistin in Deutschland immer noch unbekannt?
Ich glaube, das hat pragmatische Gründe, da
bei ihr die Besetzungen immer sehr ausgefallen sind. Außerdem ist es schwierig und
aufwändig, das zu spielen. Ihre Musik gilt als
Cambreling und das Staatsorchester Stuttgart widmen sich in dieser Saison verstärkt russischen Komponisten.
unkonventionell, was immer riskant ist. Für
einige Hörer könnte das sogar problematisch sein. Mich hat aber genau das gereizt,
vor allem die starken Emotionen, die dadurch ausgelöst werden, interessieren mich.
Hat es für Sie eine Rolle gespielt, dass Ustwolskaja seit den 1970er Jahren vor allem Werke
mit religiösem Kontext komponiert und damit
ihre real-sozialistische Phase überwunden hat?
Ich bin kein religiöser Mensch. Ich glaube
auch nicht, dass man religiös sein muss, um
so etwas spielen zu können. Aber die Musik
ist eine ganz besondere Emotion. Sie provoziert etwas, sie stellt Fragen und bietet oft
Lösungen oder Antworten. Gerade in den
Werken sowjetischer Komponisten findet
man häufig die Eigenschaft, dass sie eine
Magie des Klangs haben, sodass sie direkt
den Hörer erreichen, egal, ob man religiös
ist oder nicht.
Auch in einer immer kirchenferner und atheistischer werdenden Gesellschaft?
Musik ist eine Kommunikation, auch wenn
jeder Hörer sehr individuelle Empfindungen
und Wahrnehmungen dabei hat. Die Kommunikation bleibt immer individuell, lässt
die Botschaft des Komponisten beim einzelnen Zuhörer. Und daraus entsteht wieder
eine Gemeinschaft zwischen der Musik, den
Ausführenden und den Zuhörern bei der
sich individuelle Sensibilität und kollektive
Wahrnehmung verbinden. Das ist meine Art
von Religion.
Ustwolskajas Sinfonien tragen zwar diese Gattungsbezeichnung, sind formal aber weit vom
zentraleuropäischen Erbe entfernt: worauf müssen sich die Hörer einstellen?
Ustwolskaja hatte immer Probleme mit der
Titelfindung. „Sinfonie“ bedeutet hier einfach „Musik für Instrumente“, hat aber mit
Foto: A.T. Schaefer
einer klassisch-romantischen Sinfonie
nichts zu tun. Man muss da ein bisschen offen für das Ungewöhnliche sein und sich
überraschen lassen.
In den Konzerten wird auffallend häufig russische Musik mit Werken der Wiener Klassik
kombiniert. Welche Bezüge sehen Sie da?
Unser Chefdramaturg Sergio Morabito hat
die Idee für diese Programmierung schon
vor drei Jahren entwickelt. Das ist unser roter Faden in diesem Jahr. Wir versuchen, für
das Stuttgarter Publikum etwas Anderes zu
machen. Es gibt drei Orchester hier in der
Stadt, und wir versuchen, mit diesem Programm das Publikum neugierig zu machen.
Die Fragen stellte Markus Dippold
L Das gesamte Konzert-Progamm unter:
www.oper-stuttgart.de/konzert/
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