Leseprobe Orch 12_07

Werbung
Marketing
Henry C. Brinker
Ein Magazin
voller Musik
Bunte neue Werbewelt bei Oper und Konzert
Wer mehr wirbt, macht mehr Umsatz. So banal diese Erkenntnis
ist, so schwierig gestaltet sich die Frage nach dem Wie, Wo und Wann.
Henry C. Brinker über Kommunikationsstrategien im Klassik-Bereich und
Print-Publikationen als noch immer werbewirksames Medium für
Orchester und Opernhäuser.
Ist bedrucktes Papier von gestern?
Wer heute Kulturpublikationen betrachtet, wundert sich über die
bemerkenswerte Stabilität des gedruckten Wortes in digitaler Zeit.
Kunstzeitschriften und Musikjournale, CD-Magazine und Literaturzeitschriften, zeitgeschichtlich-Philosophisches und historisch
Dokumentierendes, Veranstaltungsmagazine und Event-Supplements: Eher nimmt die Zahl der regelmäßig erscheinenden Titel
zu, als dass ein substanzieller Rückgang zu verzeichnen wäre.
Zumindest wächst die Differenzierung und Diversifizierung,
mögen auch in Einzelfällen die Auflagenhöhen von seit Langem
Das Orchester 12/07
etablierten Titeln stagnieren. Doch gilt die Beobachtung weiter,
dass noch nie eine neue Medientechnologie oder eine neue Mediengattung eine ältere verdrängt hätte. Das Radio ersetzte nicht
die Zeitung, das Fernsehen nicht das Radio und das Kino, das
Internet nicht das Fernsehen oder die Magazine. Es scheint fast
so, als ob neue Medien die alten zu einem permanenten Erneuerungsprozess zwingen, in dessen Verlauf diese sich aktualisieren
und ihre spezifischen Profile schärfen. Bevor wir uns konkret
mit gedruckten Eigenpublikationen für Oper und Orchester beschäftigen, sei zunächst eine Gesamtbetrachtung der derzeitigen
Medienlandschaft in Bezug auf die Kulturnutzer skizziert.
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Marketing
Hauptsache gute Kontakte:
Kultur über alle Kanäle
Internet, Callcenter, Ticketshop, Hauspublikationen, Anzeigen,
Außenwerbung und Pressemeldungen: Wie sich das Publikum
über Inhalte von Konzerten und Opern, über Programme und
Tourneen, Künstler, Biografien, Komponisten und Werke informiert, war noch nie so offen wie heute. Seit den späten
1980er Jahren sind die Mittel und Methoden der Öffentlichkeitsarbeit mit Marketing /PR und Pressearbeit einem andauernden Wandel und fortschreitenden Entwicklungen im Zuge
technischer Möglichkeiten und neuer Medien unterworfen. Dabei wissen wir trotz der sich ständig ausweitenden Möglichkeiten relativ genau, wen wir wo und wie oft mit welchen Mitteln
erreichen. Web-Analysen geben Auskunft über Hits und Pics,
wer im Netz surft, hinterlässt seine Spuren auch auf dem Feld
der Kulturanbieter. Die Eigenpublikationen vom Programmheft
bis zum Spielplan sind leicht auf die Besucher oder Abonnenten
zu beziehen und die Außenwerbung bietet Kontaktberechnungen an mit Auskunft darüber, wie oft ein Motiv von wie vielen
Menschen wahrgenommen wird. Von allen Zeitungen und Radiostationen, Magazinen und TV-Formaten gibt es verlässliche
Mediadaten, die viel über Soziodemografie der Kulturnutzer
verraten.
Eine spezielle Klientel
Wichtigstes Ergebnis aller Erhebungen: Die Kulturbegeisterten
sind älter, klüger und reicher als der Rest der Welt. Lebensalter,
formale Bildungsabschlüsse und verfügbares Haushaltsnettoeinkommen sind im Opernparkett höher als in der Stadionkurve.
Eigentlich eine Binsenweisheit, doch muss man sich diese Tatsache immer wieder vor Augen führen, wenn es um die Konfiguration wirkmächtiger Werbestrategien für Kulturinteressierte
geht. Qualität geht dabei vor Quantität. Fünf Prozent der Gesamtbevölkerung sind Kernzielgruppe, zehn Prozent Gelegenheitsnutzer und etwa 20 Prozent beträgt der weiteste Nutzerkreis für Veranstaltungen der klassischen Hochkultur. Von jeder
Gruppe mögen wiederum 80 Prozent die klassische Musik im
Konzert, nur 25 Prozent favorisieren die Oper. Das bedeutet,
dass nur etwa 1,25 Prozent der deutschen Bevölkerung echte
Opernfans sind, die regelmäßig bis häufig eine Aufführung besuchen. Hohe Intensivnutzer, wenige Gelegenheitsnutzer: Die
Opernfans besitzen Freak-Status, die abgehobene Community
ist häufig unter sich. München, Met und Mailänder Scala, Salzburg, Wien und Bayreuth sind die Hauptquartiere des musikalischen Wanderzirkus Oper. Man trifft sich gern zu den Highlights und bespricht im Foyer die vokalmusikalischen Wasserstände. Große Premieren an großen Häusern sind wie Familientreffen einer kleinen Schickeria: Sänger und Regisseure und mit
ihnen das Publikum bilden eine vertraute Gemeinschaft. Man
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reist zusammen, und das schweißt zusammen. Die Einheit von
Zeit, Ort, musizierendem Personal und ästhetischer Ausrichtung: das war einmal. Premierenzyklen in großen Opernhäusern
werden von reisenden Stars bespielt – und immer mehr von
Opernreisenden besucht.
Werbung muss sein
Ähnlich wie bei der Oper verhält es sich auch in Bezug auf Museen und Ausstellungen. Verständlicherweise ist angesichts des
Nutzerverhaltens und der sehr speziellen Zielgruppe die Verunsicherung der Anbieter von Kunst- und Kulturveranstaltungen
groß in Bezug auf die Frage, welche Medien und PR-Mittel präferiert werden sollen. Denn die Marketing-Budgets sind begrenzt, Tendenz eher sinkend. Wem die Mittel fehlen, der spart
verständlicherweise zuerst an der Kommunikation und erst
dann an der Kunst selbst. Doch eine ganzheitliche Betrachtung
tut not. Ohne Kommunikation keine interessierte Wahrnehmung, ohne Wahrnehmung kein Begehren, ohne Begehren kein
Ticketerwerb, ohne Ticketverkäufe leere Säle. Hier hilft als
Wald-und-Wiesen-Tool zur Erkenntnis dieses einfachen Wirkungszusammenhangs das gute alte AIDA-Prinzip: Attention,
Interest, Desire and Action. Das bedeutet: wenn nicht alles am
Ende in Aktion mündet, also in die Publikumsaktivität „Ticketkauf“, ist die schönste Inszenierung nicht einmal für die sprichwörtliche Katz. In diesem Zusammenhang muss auch mit einem Grundirrtum aufgeräumt werden. Ganz und gar nicht ist
Werbung, wie viele Kunstschaffende argwöhnen, ein Feuerwehr-Fall für die Repertoire-Leichen und die Ladenhüter an der
Ticketkasse. Wenn es am Ticket-Counter nicht läuft, liegt’s an
der Marketingabteilung, die dann zu aktionistischer Hektik
genötigt wird. Zu oft wird nach dem Motto verfahren: alles Geld
für die Sorgenkinder, die Publikumslieblinge laufen von allein.
Erfolg ist die beste Werbung
Viele Werbeprofis hingegen gehen den umgekehrten Weg. Nicht
der Publikums-Misserfolg und die anspruchsvolle, aber ungeliebte Inszenierung müssen nach ihrer Meinung bei der Budgetaufteilung die Hauptrolle spielen, sondern die Knüller und Kassenschlager. Von den Amerikanern lernen heißt hier siegen lernen. In den USA ist das schönste Werbeplakat dasjenige, auf
dem der schwarze Störer-Balken „sold out“ prangt. Ganz ehrlich: Wie oft haben Sie schon in Deutschland Opernplakate und
Konzertankündigungen mit dem Vermerk „Ausverkauft“ wahrgenommen? Der stolze Zusatz einer ausverkauften Veranstaltung scheint den Entscheidern der maßgeblichen Kultureinrichtungen eher suspekt zu sein. Mancher Chefdramaturg und Intendant mag sich sogar schämen, mitten in den verachteten Publikumsgeschmack hineingetroffen zu haben. Das Großfeuilleton
assistiert bereitwillig und registriert lebhaften Beifall oft als Aus-
Das Orchester 12/07
Anzeige
Marketing
weis einer populistisch-anbiedernden Veranstaltung. Wahre
Kultur muss anscheinend erlitten werden: per aspera ad astra.
Genießen darf man guten Gewissens häufig nur die Selbstkasteiung durch verkopft-zerdachte Inszenierungen überspannter Regisseure. Glücklicherweise bestätigen Ausnahmen die Regel.
Beides muss sein, neben dem Neuen, Modernen auch die
liebevoll gepflegte Tradition, aus der heraus die Gegenwart erst
verständlich und genießbar wird. Würde man konsequent nur
Problemaufführungen „pushen“, entstünde in der Öffentlichkeit
der fatale und nachhaltig schmerzende Eindruck: „Die spielen
doch nur Unbekanntes“, auch wenn 90 Prozent des Saisonangebots populäres Repertoire sind. Die Empfehlung lautet also, sogar die ausverkauften Publikumslieblinge noch intensiver zu bewerben, um die Abstrahleffekte dieser Werbung zu nutzen für
eine Steigerung der Attraktivität von wenig Bekanntem und verdächtig Modernem. Keine Karte mehr für die begehrte, restlos
ausverkaufte Bohème? Dann versucht es der Kunde mal mit Peter Grimes, wo es noch Tickets gibt und ist froh, überhaupt dabei zu sein. Eine kundige, vorgebildete Vertriebskraft muss hier
wertvolle Entscheidungshilfe leisten, am Telefon oder am Tresen. Mit dem Vermittelbaren können wir das Vertrauen erwerben, das man beim Publikum für fordernde Programme
braucht. Nur dann setzt es sich Wagnissen und Risiken aus und
stellt sich beispielsweise dem Abenteuer „Moderne“. Wer im
Dschungel auf Gefolgschaft hoffen will, muss sich beim Waldspaziergang empfohlen haben.
Klein, aber fein
Aber zurück zur Frage, welche Media-Spendings denn nun
sinnvoll sind und welche nicht. Der bekannte Werber-Spruch,
dass 50 Prozent aller Werbemaßnahmen nutzlos seien, man
wisse nur nicht, welche Hälfte, hilft nicht weiter. Die wesentlichen Parameter der Mediaplanung sind frei zugänglich. Sie zeigen eine auffallende Stabilität über lange Erhebungszeiträume
und weisen eine breite Übereinstimmung in den grundsätzlichen Feststellungen auf.
■ Schwarz auf weiß: Fest steht zum Beispiel, dass die „Alten“
stärker lesen, die „Jungen“ eher bilderorientiert wahrnehmen
und interaktiv kommunizieren. Wer mit der Tageszeitung auf
ein junges Publikum abzielt, hat schon einen entscheidenden
Fehler gemacht, bevor die Anzeige überhaupt gestaltet ist. Der
szenige Kultspruch, dass man auf die Zeitung einfach nicht verzichten kann, weil man auch in Zukunft irgendwie die geräucherte Makrele einwickeln muss, zielt in diese Richtung.
■ Geht es um die Grundbekanntheit, hilft vor Ort vor allem
Außenwerbung. Ein junges Publikum erreicht man über Zielgruppenmedien online, via Radio oder über Einzelmaßnahmen
wie Freecards und Give-Away-Aktionen. …
… Lesen Sie weiter in Heft 2007/12
Das Orchester 12/07
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