STZ Sonderbeilage vom 20.09.2012

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Der Mann mit
dem Überblick
Sylvain Cambreling ist der neue
Generalmusikdirektor der Oper
B
is zum vergangenen Jahr war er Chefdirigent beim SWR-Sinfonieorchester
in Baden-Baden und Freiburg. Sowohl
im Opern- als auch im Konzertbetrieb gastiert der 1948 geborene Franzose Sylvain
Cambreling mit großem Erfolg weltweit. Im
Gespräch äußert sich Cambreling über seine
Zukunftspläne in Stuttgart.
Herr Cambreling, was hat für Sie den Ausschlag gegeben, als Generalmusikdirektor an
die Oper Stuttgart zu kommen?
Ich war lange Zeit wenig präsent im Opernbetrieb und habe viel sinfonische Musik
gemacht, das war der erste Grund. Wichtiger war aber, dass Stuttgart mir sehr nah
am Herzen ist. Stuttgart ist eine der besten
Opernbühnen in Deutschland mit einem
fantastischen Chor und Orchester.
War es für Sie wichtig, dass Stuttgart ein
Ensembletheater mit Repertoirebetrieb ist?
Ich habe bis jetzt nicht in einem Repertoirebetrieb gearbeitet, sondern hatte immer
nur Stagioneproduktionen, wie sie international in der Opernwelt üblich sind. Für
mich ist es wichtig, dass wir im Repertoirebetrieb eine permanent hohe Qualität erreichen, auch wenn das bei den terminlichen
Überlagerungen schwierig sein kann. Das
müssen wir gut organisieren.
Foto: Marco Borggreve
Als Generalmusikdirektor in Stuttgart tragen
Sie Verantwortung für die musikalische Qualität. Wie garantieren Sie diese, wenn Sie selbst
nur einige Vorstellungen dirigieren?
Zunächst einmal sind wir ein Team, das eng
und gut zusammenarbeitet. Ich finde, es
geht nicht darum, als GMD täglich präsent
zu sein, sondern ich werde einen Gesamtüberblick haben. Vielleicht werden wir
nicht alle Veränderungen in einem Jahr
erreichen; aber wir müssen und werden die
Neuproduktionen gut vorbereiten, mit dem
Blick darauf, dass diese Stücke dann auch
im Repertoire bleiben und eine hohe Qualität haben.
Die erste
Premiere, die
Sie hier dirigieren werden, ist Denisovs „Der
Schaum der
Tage“. Was
reizt Sie an
diesem
Stück?
Mich interessiert
grundsätzlich die Mischung aus bekannten ReSylvain Cambreling
pertoirestücken und modernen Werken,
auch Uraufführungen. Vor allem aber
möchte ich guten Stücken eine Chance
geben, die bislang zu wenig beachtet wurden. Diese Oper von Denisov hatte ihre
Uraufführung in den 1980er Jahren und war
ein totaler Misserfolg, obwohl sie theatralisch und musikalisch sehr reizvoll ist. Denisov komponiert in einem eklektizistischen
Stil, Jazzelemente spielen eine große Rolle,
die Zwölftontechnik wird parodistisch eingesetzt, es gibt auch konventionelle Passagen. Alles wird im Dienst der Handlung, der
poetischen Stimmung verwendet.
Das wird Ihre einzige szenische Neuproduktion
in Ihrer ersten Saison sein. Ansonsten gibt es
mit Ihnen nur noch zwei Wiederaufnahmen
und konzertant „Francesca da Rimini“. Ist das
nicht zu wenig?
Als ich das Angebot aus Stuttgart bekam,
hatte ich schon Engagements für einige
Jahre im Voraus, deshalb kann ich in der
ersten Spielzeit auch aus Termingründen
nicht mehr machen. Mein Ziel ist es aber, ab
der zweiten Spielzeit zwei Neuproduktionen, zwei oder drei Wiederaufnahmen und
natürlich Sinfoniekonzerte zu machen.
Welche Repertoire-Schwerpunkte wollen Sie
künftig setzen?
Ich bin nicht der Intendant; es ist nicht
meine Rolle, in der Öffentlichkeit Zukunftspläne bekanntzugeben, deshalb möchte ich
dazu nichts sagen. Nur soviel: ich glaube,
ich werde in den nächsten vier Jahren viele
verschiedene Dinge hier machen: Verdi,
Wagner, Mozart, 20. Jahrhundert, Uraufführungen.
Man hat den Eindruck, dass die Musik des 20.
Jahrhunderts eine zentrale Rolle in Ihrem Repertoire spielt. Woher kommt dieses besondere
Interesse?
Das stimmt natürlich, aber nicht ausschließlich; ich habe gerade einen ganzen Monat
lang Monteverdi dirigiert. Mein Repertoire
reicht von Monteverdi bis heute und morgen. Aber Neue Musik war tatsächlich schon
immer eine meiner Leidenschaften. Daneben interessieren mich aber auch zeitgemäße Interpretationen von Standardwerken.
Muss man das Publikum immer noch von
solchen Werken überzeugen?
Ja, diese Arbeit muss weiter geleistet werden, auch wenn es ein bisschen leichter ist
als vor einigen Jahrzehnten. Mit BelcantoOpern kann man ein Haus natürlich leichter
füllen. Ich finde es aber mindestens genauso wichtig, Zeitgenössisches zu spielen.
Dafür müssen wir noch mehr arbeiten, das
Dirigiert am 30. September das Eröffnungskonzert: der neue Generalmusikdirektor Sylvain Cambreling
Publikum informieren. Gerade jüngere Menschen müssen verstehen, dass Oper eine
heutige Kunstgattung ist und nicht nur eine
Sache der Vergangenheit. Das Tolle an Stuttgart ist, dass die Aufführungsqualität bei
modernen Werken genauso gut ist wie bei
traditionellen.
Sie haben in den vergangenen Jahren mehrfach
Messiaens Oper „Saint Francois d’Assise“ aufgeführt. Würden Sie das auch gerne hier in
Stuttgart machen?
Das ist ein ganz besonderes Stück, das ich
sehr liebe und das selten in einem normalen Opernhaus herauskommt. Man braucht
dazu 120 Musiker im Orchestergraben. Aber
der Graben hier in Stuttgart ist zu klein und
mit einer reduzierten Besetzung kann man
das nicht machen, also wird diese Oper in
der nächsten Zeit hier nicht aufgeführt
werden.
Aber es gibt doch Sanierungs- und Umbaupläne
für das Opernhaus?
Das stimmt. Aber zurzeit wird ja noch das
Schauspielhaus renoviert, dann kommt erst
das Opernhaus an die Reihe. Natürlich sind
der Orchesterprobenraum und der Orchestergraben das Wichtigste. Und man müsste
über eine Vergrößerung des Grabens nachdenken. Aber das hätte große Auswirkungen auf das ganze Haus, beispielsweise auf
den Zuschauerraum. Mal sehen, was daraus
wird. Ich habe jetzt erst einmal einen Vertrag für vier Jahre, dann sehen wir weiter.
Die Fragen stellte Markus Dippold
Foto: T. Urano
Märchen und Fantasie
Junge Oper mit „Schaf“ und „Momo“
I
n Stuttgart meint „Junge Oper“ in erster
Linie, dass sie sich an ein junges Publikum wendet. Dieses aber wird ernst
genommen. Häufig haben Angebote für
Kinder und Jugendliche den Charakter einer
Alibiaktion. Sie werden lieblos, beiläufig
und vor allem billig produziert. Nicht so in
Stuttgart. Hier respektiert man die Tatsache,
dass das Publikum von morgen nicht weniger, sondern mindestens ebenso viel Mühe
und Qualität verdient wie Erwachsene, die
mit der Oper bereits vertraut sind. Seit
Jahren präsentiert die Junge Oper Inszenierungen, die jeden Vergleich mit den „großen“ Produktionen aushalten. Gegründet
wurde sie 1995 in der Intendanz Klaus
Zehelein. Damals hatte Stuttgart als erstes
Opernhaus in Deutschland einen Theaterpädagogen eingestellt, der mit Schülern und
Lehrern arbeitet.
ZEIT SINNLICH
ERFAHRBAR MACHEN
Wenn Eltern früher darüber nachdachten, womit sie ihre Kinder für die Oper
initiieren könnten, fiel die Wahl meist auf
die „Zauberflöte“ oder auf „Hänsel und
Gretel“. Es galt als ausgemacht, dass zeitgenössische Musik Kindern nicht zuzumuten
sei. Wer einmal observiert hat, wie Kinder
lustvoll auf die Tastatur eines Klaviers einhämmern, mag bezweifeln, dass es eine
angeborene Vorliebe für die Tonalität gibt.
Und wer beobachten konnte, mit welcher
Konzentration selbst kleine Kinder an der
Oper Stuttgart etwa „Pinocchios Abenteuern“ folgen, die immerhin drei Stunden
dauern und musikalisch keineswegs „einfach“ sind, wird nicht vorschnell von Überforderung sprechen.
Beide Produktionen der neuen Spielzeit,
die mit einem „Intergenerationen-Projekt“
unter dem Titel „Irgendwie anders“ ergänzt
werden, behandeln kindgemäße Stoffe, Themen und Konflikte – jedenfalls wenn man
die Vorliebe für Fantastik und märchenhafte Elemente eher Kindern als Erwachsenen zuschreibt. Musikalisch tun sie dies
aber auf ganz unterschiedliche Art und
Weise. Für „Schaf“, das von den Abenteuern
eines ebensolchen handelt, hat die niederländische Librettistin Sophie Kassies Kompositionen von Henry Purcell, Georg Friedrich
Händel und Claudio Monteverdi verwendet
und mit eigenen Texten versehen. „Momo“
hat der 47-jährige Schweizer Matthias Heep,
von dem in Stuttgart bereits die Jugendoper
„Träumer“ zu sehen war, vertont. Seine
Musik wird mit freitonalen und geräuschhaften Klängen, pochender Rhythmik und wie
unendlich wirkenden Melodien Zeit sinn-
Bauprobe „Schaf“:
v.l. Nicholas Kok
(Musikalische Leitung),
Barbara Tacchini
(Leitung Junge Oper),
Rogier Hardeman
(Regie),
Anna Stolze
(Ausstattung) und
Koen Bollen
(Dramaturgie)
Foto: Jasha Bhadra
lich erfahrbar machen. Empfohlen wird das
Stück ab fünf Jahren.
Regie führt bei „Momo“ die Leiterin der
Jungen Oper, Barbara Tacchini, die schon
mit Matthias Heep zusammen gearbeitet
hat. Als Dramaturgin und Regisseurin begleitet sie gerne Uraufführungen, zu denen
auch „Momo“ zählt. Ihr Credo: man muss,
was geschieht, „stattfinden lassen, nicht nur
beschreiben“. Das steht in einem gewissen
Gegensatz zu aktuellen Tendenzen im Theater für Erwachsene. Und es kehrt zurück zu
einem Kriterium, das Theater – ob Sprechoder Musiktheater – wesentlich von nichtszenischen Künsten unterscheidet.
„Wichtig“, sagt Barbara Tacchini, „ist es,
dass man sucht: womit beschäftigen sich
die Kids?“ Dabei hat die Junge Oper in den
vergangenen Jahren schon mancherlei Experimente gewagt und auch Rückmeldungen
erhalten. Bei Jennifer Walshes „Die Taktik“,
die am Ende der vergangenen Spielzeit
uraufgeführt wurde, meinte ein Mädchen,
es passiere da zu viel auf einmal, eine
einzige Geschichte wäre ihm lieber. Gäbe es
nicht auch gegenteilige Reaktionen, spräche
das gegen die verbreitete Meinung, dass bei
den „Kindern von heute“ zerstreute Wahrnehmung die Regel sei. In dieselbe Richtung
weisen auch die beliebten Sitzkissenkonzerte.
Barbara Tacchini verwendet viel Zeit
und konzeptuelle Überlegungen für die Auswahl der Darsteller. Sie sollen glaubwürdig
sein, ihre Figuren auf der Bühne zum Leben
erwecken, nicht bloß „zeigen“. In dem Schaf
etwa, das sich auf die Suche nach einem
Namen macht, sollen auch die Kinder im
Alter von fünf bis acht Jahren die Problematik eines Migrationskindes erkennen können. Und auch für „Momo“ wurden Sänger
gesucht, die Michael Endes Fantasiewelt
verkörpern und zugleich die allegorische
Dimension des Stoffes und des Regiekonzepts vermitteln. Endes Buch eignet sich, so
Tacchini, besonders für die Gattungstransformation, weil schon im Roman Musik eine
bedeutende Rolle spielt. Thomas Rothschild
Wer mitmachen will bei „Momo“, kann sich
bei Koen Bollen 콯 07 11 / 20 32 320 oder
per E-Mail: [email protected] melden. Ein Casting für den Jugendchor findet am 22. September statt. Bewerber sollen zwischen neun und 24 Jahren alt
sein. Damit sich die Älteren nicht ausgeschlossen fühlen, gibt es am 13. Oktober ein
Casting für den Erwachsenen-Chor: Gesucht werden Sänger im Alter von 25 bis 99
Jahren. Am 19. Januar 2013 findet ein
Casting für Schauspieler im Alter von 17
bis 99 Jahren statt. Zeit zum Proben müssen sie, ob jung oder alt, aber mitbringen.
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