Der Mann mit dem Überblick Sylvain Cambreling ist der neue Generalmusikdirektor der Oper B is zum vergangenen Jahr war er Chefdirigent beim SWR-Sinfonieorchester in Baden-Baden und Freiburg. Sowohl im Opern- als auch im Konzertbetrieb gastiert der 1948 geborene Franzose Sylvain Cambreling mit großem Erfolg weltweit. Im Gespräch äußert sich Cambreling über seine Zukunftspläne in Stuttgart. Herr Cambreling, was hat für Sie den Ausschlag gegeben, als Generalmusikdirektor an die Oper Stuttgart zu kommen? Ich war lange Zeit wenig präsent im Opernbetrieb und habe viel sinfonische Musik gemacht, das war der erste Grund. Wichtiger war aber, dass Stuttgart mir sehr nah am Herzen ist. Stuttgart ist eine der besten Opernbühnen in Deutschland mit einem fantastischen Chor und Orchester. War es für Sie wichtig, dass Stuttgart ein Ensembletheater mit Repertoirebetrieb ist? Ich habe bis jetzt nicht in einem Repertoirebetrieb gearbeitet, sondern hatte immer nur Stagioneproduktionen, wie sie international in der Opernwelt üblich sind. Für mich ist es wichtig, dass wir im Repertoirebetrieb eine permanent hohe Qualität erreichen, auch wenn das bei den terminlichen Überlagerungen schwierig sein kann. Das müssen wir gut organisieren. Foto: Marco Borggreve Als Generalmusikdirektor in Stuttgart tragen Sie Verantwortung für die musikalische Qualität. Wie garantieren Sie diese, wenn Sie selbst nur einige Vorstellungen dirigieren? Zunächst einmal sind wir ein Team, das eng und gut zusammenarbeitet. Ich finde, es geht nicht darum, als GMD täglich präsent zu sein, sondern ich werde einen Gesamtüberblick haben. Vielleicht werden wir nicht alle Veränderungen in einem Jahr erreichen; aber wir müssen und werden die Neuproduktionen gut vorbereiten, mit dem Blick darauf, dass diese Stücke dann auch im Repertoire bleiben und eine hohe Qualität haben. Die erste Premiere, die Sie hier dirigieren werden, ist Denisovs „Der Schaum der Tage“. Was reizt Sie an diesem Stück? Mich interessiert grundsätzlich die Mischung aus bekannten ReSylvain Cambreling pertoirestücken und modernen Werken, auch Uraufführungen. Vor allem aber möchte ich guten Stücken eine Chance geben, die bislang zu wenig beachtet wurden. Diese Oper von Denisov hatte ihre Uraufführung in den 1980er Jahren und war ein totaler Misserfolg, obwohl sie theatralisch und musikalisch sehr reizvoll ist. Denisov komponiert in einem eklektizistischen Stil, Jazzelemente spielen eine große Rolle, die Zwölftontechnik wird parodistisch eingesetzt, es gibt auch konventionelle Passagen. Alles wird im Dienst der Handlung, der poetischen Stimmung verwendet. Das wird Ihre einzige szenische Neuproduktion in Ihrer ersten Saison sein. Ansonsten gibt es mit Ihnen nur noch zwei Wiederaufnahmen und konzertant „Francesca da Rimini“. Ist das nicht zu wenig? Als ich das Angebot aus Stuttgart bekam, hatte ich schon Engagements für einige Jahre im Voraus, deshalb kann ich in der ersten Spielzeit auch aus Termingründen nicht mehr machen. Mein Ziel ist es aber, ab der zweiten Spielzeit zwei Neuproduktionen, zwei oder drei Wiederaufnahmen und natürlich Sinfoniekonzerte zu machen. Welche Repertoire-Schwerpunkte wollen Sie künftig setzen? Ich bin nicht der Intendant; es ist nicht meine Rolle, in der Öffentlichkeit Zukunftspläne bekanntzugeben, deshalb möchte ich dazu nichts sagen. Nur soviel: ich glaube, ich werde in den nächsten vier Jahren viele verschiedene Dinge hier machen: Verdi, Wagner, Mozart, 20. Jahrhundert, Uraufführungen. Man hat den Eindruck, dass die Musik des 20. Jahrhunderts eine zentrale Rolle in Ihrem Repertoire spielt. Woher kommt dieses besondere Interesse? Das stimmt natürlich, aber nicht ausschließlich; ich habe gerade einen ganzen Monat lang Monteverdi dirigiert. Mein Repertoire reicht von Monteverdi bis heute und morgen. Aber Neue Musik war tatsächlich schon immer eine meiner Leidenschaften. Daneben interessieren mich aber auch zeitgemäße Interpretationen von Standardwerken. Muss man das Publikum immer noch von solchen Werken überzeugen? Ja, diese Arbeit muss weiter geleistet werden, auch wenn es ein bisschen leichter ist als vor einigen Jahrzehnten. Mit BelcantoOpern kann man ein Haus natürlich leichter füllen. Ich finde es aber mindestens genauso wichtig, Zeitgenössisches zu spielen. Dafür müssen wir noch mehr arbeiten, das Dirigiert am 30. September das Eröffnungskonzert: der neue Generalmusikdirektor Sylvain Cambreling Publikum informieren. Gerade jüngere Menschen müssen verstehen, dass Oper eine heutige Kunstgattung ist und nicht nur eine Sache der Vergangenheit. Das Tolle an Stuttgart ist, dass die Aufführungsqualität bei modernen Werken genauso gut ist wie bei traditionellen. Sie haben in den vergangenen Jahren mehrfach Messiaens Oper „Saint Francois d’Assise“ aufgeführt. Würden Sie das auch gerne hier in Stuttgart machen? Das ist ein ganz besonderes Stück, das ich sehr liebe und das selten in einem normalen Opernhaus herauskommt. Man braucht dazu 120 Musiker im Orchestergraben. Aber der Graben hier in Stuttgart ist zu klein und mit einer reduzierten Besetzung kann man das nicht machen, also wird diese Oper in der nächsten Zeit hier nicht aufgeführt werden. Aber es gibt doch Sanierungs- und Umbaupläne für das Opernhaus? Das stimmt. Aber zurzeit wird ja noch das Schauspielhaus renoviert, dann kommt erst das Opernhaus an die Reihe. Natürlich sind der Orchesterprobenraum und der Orchestergraben das Wichtigste. Und man müsste über eine Vergrößerung des Grabens nachdenken. Aber das hätte große Auswirkungen auf das ganze Haus, beispielsweise auf den Zuschauerraum. Mal sehen, was daraus wird. Ich habe jetzt erst einmal einen Vertrag für vier Jahre, dann sehen wir weiter. Die Fragen stellte Markus Dippold Foto: T. Urano Märchen und Fantasie Junge Oper mit „Schaf“ und „Momo“ I n Stuttgart meint „Junge Oper“ in erster Linie, dass sie sich an ein junges Publikum wendet. Dieses aber wird ernst genommen. Häufig haben Angebote für Kinder und Jugendliche den Charakter einer Alibiaktion. Sie werden lieblos, beiläufig und vor allem billig produziert. Nicht so in Stuttgart. Hier respektiert man die Tatsache, dass das Publikum von morgen nicht weniger, sondern mindestens ebenso viel Mühe und Qualität verdient wie Erwachsene, die mit der Oper bereits vertraut sind. Seit Jahren präsentiert die Junge Oper Inszenierungen, die jeden Vergleich mit den „großen“ Produktionen aushalten. Gegründet wurde sie 1995 in der Intendanz Klaus Zehelein. Damals hatte Stuttgart als erstes Opernhaus in Deutschland einen Theaterpädagogen eingestellt, der mit Schülern und Lehrern arbeitet. ZEIT SINNLICH ERFAHRBAR MACHEN Wenn Eltern früher darüber nachdachten, womit sie ihre Kinder für die Oper initiieren könnten, fiel die Wahl meist auf die „Zauberflöte“ oder auf „Hänsel und Gretel“. Es galt als ausgemacht, dass zeitgenössische Musik Kindern nicht zuzumuten sei. Wer einmal observiert hat, wie Kinder lustvoll auf die Tastatur eines Klaviers einhämmern, mag bezweifeln, dass es eine angeborene Vorliebe für die Tonalität gibt. Und wer beobachten konnte, mit welcher Konzentration selbst kleine Kinder an der Oper Stuttgart etwa „Pinocchios Abenteuern“ folgen, die immerhin drei Stunden dauern und musikalisch keineswegs „einfach“ sind, wird nicht vorschnell von Überforderung sprechen. Beide Produktionen der neuen Spielzeit, die mit einem „Intergenerationen-Projekt“ unter dem Titel „Irgendwie anders“ ergänzt werden, behandeln kindgemäße Stoffe, Themen und Konflikte – jedenfalls wenn man die Vorliebe für Fantastik und märchenhafte Elemente eher Kindern als Erwachsenen zuschreibt. Musikalisch tun sie dies aber auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Für „Schaf“, das von den Abenteuern eines ebensolchen handelt, hat die niederländische Librettistin Sophie Kassies Kompositionen von Henry Purcell, Georg Friedrich Händel und Claudio Monteverdi verwendet und mit eigenen Texten versehen. „Momo“ hat der 47-jährige Schweizer Matthias Heep, von dem in Stuttgart bereits die Jugendoper „Träumer“ zu sehen war, vertont. Seine Musik wird mit freitonalen und geräuschhaften Klängen, pochender Rhythmik und wie unendlich wirkenden Melodien Zeit sinn- Bauprobe „Schaf“: v.l. Nicholas Kok (Musikalische Leitung), Barbara Tacchini (Leitung Junge Oper), Rogier Hardeman (Regie), Anna Stolze (Ausstattung) und Koen Bollen (Dramaturgie) Foto: Jasha Bhadra lich erfahrbar machen. Empfohlen wird das Stück ab fünf Jahren. Regie führt bei „Momo“ die Leiterin der Jungen Oper, Barbara Tacchini, die schon mit Matthias Heep zusammen gearbeitet hat. Als Dramaturgin und Regisseurin begleitet sie gerne Uraufführungen, zu denen auch „Momo“ zählt. Ihr Credo: man muss, was geschieht, „stattfinden lassen, nicht nur beschreiben“. Das steht in einem gewissen Gegensatz zu aktuellen Tendenzen im Theater für Erwachsene. Und es kehrt zurück zu einem Kriterium, das Theater – ob Sprechoder Musiktheater – wesentlich von nichtszenischen Künsten unterscheidet. „Wichtig“, sagt Barbara Tacchini, „ist es, dass man sucht: womit beschäftigen sich die Kids?“ Dabei hat die Junge Oper in den vergangenen Jahren schon mancherlei Experimente gewagt und auch Rückmeldungen erhalten. Bei Jennifer Walshes „Die Taktik“, die am Ende der vergangenen Spielzeit uraufgeführt wurde, meinte ein Mädchen, es passiere da zu viel auf einmal, eine einzige Geschichte wäre ihm lieber. Gäbe es nicht auch gegenteilige Reaktionen, spräche das gegen die verbreitete Meinung, dass bei den „Kindern von heute“ zerstreute Wahrnehmung die Regel sei. In dieselbe Richtung weisen auch die beliebten Sitzkissenkonzerte. Barbara Tacchini verwendet viel Zeit und konzeptuelle Überlegungen für die Auswahl der Darsteller. Sie sollen glaubwürdig sein, ihre Figuren auf der Bühne zum Leben erwecken, nicht bloß „zeigen“. In dem Schaf etwa, das sich auf die Suche nach einem Namen macht, sollen auch die Kinder im Alter von fünf bis acht Jahren die Problematik eines Migrationskindes erkennen können. Und auch für „Momo“ wurden Sänger gesucht, die Michael Endes Fantasiewelt verkörpern und zugleich die allegorische Dimension des Stoffes und des Regiekonzepts vermitteln. Endes Buch eignet sich, so Tacchini, besonders für die Gattungstransformation, weil schon im Roman Musik eine bedeutende Rolle spielt. Thomas Rothschild Wer mitmachen will bei „Momo“, kann sich bei Koen Bollen 콯 07 11 / 20 32 320 oder per E-Mail: [email protected] melden. Ein Casting für den Jugendchor findet am 22. September statt. Bewerber sollen zwischen neun und 24 Jahren alt sein. Damit sich die Älteren nicht ausgeschlossen fühlen, gibt es am 13. Oktober ein Casting für den Erwachsenen-Chor: Gesucht werden Sänger im Alter von 25 bis 99 Jahren. Am 19. Januar 2013 findet ein Casting für Schauspieler im Alter von 17 bis 99 Jahren statt. Zeit zum Proben müssen sie, ob jung oder alt, aber mitbringen.