Sozialpädiatrie 15 Stottern – eine kompensierbare Redeflussstörung Audio-Podcast online! Sie finden den Audio-Podcast unter Cornelia Tigges-Zuzok www.thieme-connect.de/ejournals bei Ihrer Pädiatrie up2date Übersicht 15 15 16 18 20 Strategieansätze der Stotterertherapie Ursachen des Stotterns Typische Einzelbeobachtungen: Kinder und Jugendliche in der Praxis Ausblick 25 28 29 31 21 23 Einleitung sicherheit unter neuen Freunden oder der Weg über die Schriftsprache, der Wechsel zum Gymnasium, der Das vielschichtige Phänomen des Stotterns mit allen Einstieg in den Wunschberuf, eine neue Liebe, oder seinen Ausprägungs- und Verursachungsformen wird auch die wie Balsam wirkende Zeit sein, die belastende von keiner Definition vollständig erfasst. Ebenso wenig Ereignisse (z. B. die Scheidung der Eltern) langsam existiert eine bestimmte Stotterer-Persönlichkeit oder durch neue positive Erlebnisse in den Hintergrund eine Therapiemethode, die nach der Wunschvorstel- treten lässt. lung betroffener Patienten und Eltern das Stottern „an der Wurzel packt und ausmerzt“ (Abb. 1). Stottern kann ohne ersichtlichen Grund auftauchen und ohne Thera- Primäre Herangehensweise pie wieder verschwinden. Es ist ein unberechenbares Phänomen, sodass es der Kreativität und Empathie des Beratung und Therapie bei einem dreijährigen Kind Therapeuten überlassen bleibt, welche Methode oder beinhalten sowohl disponierende, Stottern auslösende Methodenvielfalt für die stotternde Persönlichkeit in und aufrechterhaltende Faktoren herauszufinden, als seinem individuellen Lebensumfeld und in einem auch Stottern lösende oder reduzierende Bedingungen bestimmten Lebensalter greift oder hilfreich ist. zu identifizieren, insbesondere durch die kontrollierte Dialogführung der Eltern unter veränderten situativen Stottern umgibt trotz ernsthafter wissenschaftlicher Einflüssen. Beim Grundschulkind und Jugendlichen Erklärungsversuche eine Aura des Geheimnisvollen, umfasst die Therapie darüber hinaus, die Stottersymp- zeigt doch die langjährige Erfahrung, „dass es vermutlich keine Einzelmethode gibt, auch wenn sie noch so unorthodox oder skurril anmutet, mit der im Einzelfall nicht tatsächlich eine positive Veränderung der Stö- Definitionen █ duell wirksam werden können. sehr hohen suggestiven und therapeutenspezifischen Wirkfaktor von Therapiemethoden erklärt werden █ Stottern auslösende Faktoren fallen durch ihre zeitliche Nähe zum Stotterereignis auf. █ Stottern aufrechterhaltende Faktoren verstärken die kann“ [1] – oder durch glückliche Veränderung der Lebensumstände hervorgerufen wird. So kann es z. B. die Wohlfühlsituation des Kindes beim Bügeln der Mutter, beim Rollenspiel, die zunehmende Sprech- Pädiatrie up2date 1 Disposition bedeutet eine Veranlagung als Voraussetzung dafür, dass schädigende Einflüsse indivi- rung herbeigeführt werden könnte, was durch den z. T. Störung, erschweren ihre Rückbildung und können zur Chronifizierung führen. ê 2012 ê DOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0031-1291877 ê VNR 2760512012137990845 Downloaded by: Thieme E-Books & E-Journals. Copyrighted material. Einleitung Primäre Herangehensweise Stottersymptomatik Differenzialdiagnostik Screenings und Messverfahren Beratung und Therapie bei Kindern im Vorschulalter Therapie bei Kindern im Schulalter Stottern – eine kompensierbare Redeflussstörung Abb. 1 Keine Lösungen von der Stange – ebenso vielfältig wie die Erscheinungsformen des Stotterns können die Ansätze zur Therapie sein. Quelle: Fotolia. stottern beginnen. Nach Wirth [2] beginnt Stottern in 66 % der Fälle während der Sprachentwicklung im dritten bis sechsten Lebensjahr, weniger häufig zum Zeitpunkt der Einschulung im sechsten bis achten Lebensjahr, selten während der Pubertät im 12. bis 15. Lebensjahr und noch seltener erst im Erwachsenenalter. Obwohl der Begriff „Entwicklungsstottern“, den Wirth für die „physiologische Phase nichtflüssigen Sprechens während der Sprachentwicklung, also zwischen dem dritten bis sechsten Lebensjahr, verwendet, von manchen Stotterexperten als obsolet bezeichnet wird, trifft er doch auf den überwiegenden Teil unserer stotternden Kinder in dieser Altersklasse zu. Auch Johannsen und Schulze [3] sprechen von einem dem Kind „nur in seiner augenblicklichen kognitiven und linguistischen tome unter Berücksichtigung der damit verbundenen Entwicklung zukommenden physiologischen Stottern“. Einstellungen direkt anzugehen. Dabei werden Verhal- Es handelt sich also um ein vorübergehendes Auftreten tensweisen und Persönlichkeitsvarianten im emotio- einer Sprechunflüssigkeit mit oder ohne Störbewusst- nal-affektiven und kognitiven Bereich mit den zur sein, das mit zunehmender Sprechsicherheit sistiert. Verfügung stehenden Therapiemethoden dahingehend gelenkt, dass sich hieraus der individuelle Therapie- Cave: Reagieren Eltern mit deutlicher Sorge und ansatz für das Kind ergibt. Angst auf die beginnende Stottersymptomatik, so wird das Kind entscheidend verunsichert. Es Das Phänomen Stottern lässt sich in seiner Komplexität strengt sich an, die Symptome zu unterdrücken, so anhand typischer Fallbeispiele erklären und wirft eine dass die Gefahr eines sich chronisch entwickelnden Vielzahl von Fragen auf, als da wären: Stotterns besteht. Die Gefahr einer Chronifizierung █ Ist Stottern vererbbar? ist auch bei denjenigen Kindern gegeben, die von █ Ist Stottern ein Anzeichen erhöhter Sensibilität oder Anfang an ein ausgeprägtes Störbewusstsein sowie psychischer Probleme? Leidensdruck haben und sich über ihre Sprachun- Beruht Stottern auf unterschiedlichen Wahrneh- terbrechungen aufregen. █ mungs- und Identitätsproblemen? █ Ist das Elternverhalten ein Mitauslöser des Stotterns? █ Warum reagieren manche Kinder auf angeblich Herausbildung in der Anfangsphase Stottern begünstigendes, rigides Elternverhalten nicht mit Stottern? Der Beginn des Stotterns kann schleichend-graduell mit anfänglich lockeren Silbenwiederholungen oder aber ganz plötzlich in dramatisch ausgeprägter Form mit Stottersymptomatik zusätzlichen Silbendehnungen, vermehrter Muskelanspannung und Atemstörung auftreten. Für den plötz- Das Erscheinungsbild wechselt von muskulär span- lichen Beginn des Stotterns werden ganz überwiegend nungsarmen Wiederholungen (= klonische Symptome) gravierende Ereignisse wie Scheidung, Todesfall, beruf- bestimmter Laute, Silben und Wörter bis hin zu Deh- licher Stress der Eltern (z. B. durch Prüfung mit unge- nungen und Blockaden bei überhöhter Anspannung duldigem Verhalten dem Kinde gegenüber) oder auch artikulatorischer und/oder laryngealer Muskeln, in die Geburt eines Geschwisterkindes angegeben. unwillkürlichem Auftreten und Unkontrolliertheit des Redeflusses und der Atmung (= tonische Symptome). Das Stottern tritt bei Vorschulkindern noch so uner- Auch schwer stotternde Personen können unter wartet spontan auf, dass sie ihr Stottern nicht im bestimmten kontrollierten Bedingungen unauffällig Voraus antizipieren können, während ältere chronisch reden. Meist sprechen diese Kinder anfangs flüssig, bis Stotternde schon vorher wissen, in welchen Situatio- sie im Alter von zweieinhalb bis drei Jahren bei zuneh- nen und bei welchen Worten sie stottern werden. Sie mender Satzbildung und Komplexität der Sprache zu ersetzen dann bewusst Worte, bei denen vermutlich Pädiatrie up2date 1 ê 2012 Downloaded by: Thieme E-Books & E-Journals. Copyrighted material. 16 Sozialpädiatrie 17 oder aktuell spürbar Symptome auftreten können. Manche Stotterer finden blitzschnell ein Ersatzwort Kasuistik: Robert, 5 Jahre und wirken dadurch völlig unauffällig oder sogar als In einem weiteren Fall in unserer haltung – wie nach unseren Beob- eloquente Sprecher. Andere reden wie manche Politiker mit Einschüben („ähm“) als Schwungrad für nach- Praxis verlief die Sprachentwicklung sehr zügig, syntaktisch achtungen fast alle Akademiker und mittlerweile sukzessive auch denkliches, besonnenes Sprechen; es wirkt wie ruhiges komplex, grammatikalisch und die Nichtakademiker. Aus der Sprechen mit Denkpausen. Dieser Effekt könnte darauf artikulatorisch mit fünf Jahren Anamnese ergab sich, dass die hinweisen, dass Stotterereignisse an bestimmte Stimuli korrekt, als uns Robert vorgestellt Mutter während ihrer Kindheit wurde. Die Eltern waren Akademi- und Jugend ebenfalls gestottert ker, sprachen auffallend schnell hatte und heute – auch ohne The- und zeigten gegenüber ihrem rapie – sehr eloquent spricht. gebunden sind [3]. Die sehr geschickte Stottertarnung ist ebenfalls eine Form des Stotterns, die allerdings deutlich macht, dass Stottern nicht objektiv gemessen werden kann und überdies stark situationsabhängig ist. Kind eine sehr hohe Erwartungs- Scham, Frustration, Aggression oder Regression, dabei nicht unmittelbar sichtbar [4]. Neurophysiologische Faktoren beeinflussen das Stottern. Wir umschreiben das Stottern gern als eine Ursachen Befindlichkeitsstörung, die durch unangemessene Reaktionen des sozialen Umfelds verstärkt wird. Stot- Über die Ursachen des Stotterns wird viel spekuliert. tern mit klonischen Symptomen wird in seinem Verlauf Stottern tritt gehäuft familiär auf. Es wird angenom- allgemein günstiger eingeschätzt als der Verlauf des men, dass nicht das Stottern an sich, sondern die Ver- tonisch-klonischen Stotterns. Dabei gibt es jedoch anlagung dazu vererbt wird [5]. Für den schleichenden immer wieder Fälle, die dieser Regel nicht entsprechen. Beginn und zunehmende Verschlechterung des Rede- Wir haben z. B. ein hochsensibles elfjähriges Mädchen flusses werden disponierende und aufrechterhaltende in Sprachtherapie, das trotz 20 Sitzungen die unkon- Faktoren wie eine langsamere und damit anfälligere trollierten, nicht steuerbaren Wiederholungen nicht Sprachentwicklung mit Artikulationsstörungen, stoppen kann, zwischendurch aber flüssig spricht. Es Leseschwäche, Ausdrucksschwierigkeiten verbunden spricht impulsiv und regt sich heftig über angebliche mit Lautängsten und situativen Versagensängsten und Ungerechtigkeiten und Ärgernisse auf. Dabei fällt das Kommunikationsstörungen in Erwägung gezogen. Bis klonische Stottern besonders auf. auf eine erhöhte Sensibilität konnten wir keine Unterschiede in der Persönlichkeitsstruktur, im psychoso- Andererseits erleben wir immer wieder hochdrama- zialen Umfeld oder in der Intelligenz feststellen. tisch wirkende Fälle, deren tonisch-klonische Symptomatik unerwartet in einer Spontanremission nach Neben der Suche nach der genetischen Ursache wird teilweise nur einer Behandlung oder bis zu maximal der Frage nachgegangen, welche Faktoren Stottern 10 Sitzungen im Vorschulalter endet. Jeder Stotterer auslösen können. Bedingungen, wie traumatische zeigt ein individuelles Stottersprechprofil. Im Gegensatz Kindheitserlebnisse oder ein hektischer Geschäfts- zu den äußeren körperlichen Symptomen sind die haushalt, die eine Stottern auslösende Wirkung haben, inneren psychischen Symptome des Stotterers wie bewirken nicht bei allen Kindern ein Stottern. Über Gefühle, Reaktionen und Einstellungen, wie Angst, diese hypothetischen Annahmen hinausgehend gibt es bisher noch keine wissenschaftliche Fundierung. Fazit „Die Variablen, die tatsächlich für die Herausbildung Remission eines kindlichen chronischen Stotterns relevant sind, sind also bis heute nur vorläufig bekannt. Trotz des 60 – 80 % der stotternden Kinder verlieren das Stottern Vorliegens zahlreicher Richtlinienschemata lässt sich wieder bis zur Pubertät [6], ein weiterer Teil nach daher noch keine eindeutige Abgrenzung zwischen unseren Erfahrungen auch noch später nach einer über physiologischem Entwicklungsstottern und echtem längere Zeit verteilten Therapie von insgesamt 10 – 20 chronischen Stottern vornehmen; insbesondere lässt sich nicht sicher voraussagen, ob sich aus einem Entwicklungsstottern ein echtes Stottern entwickelt“ [2]. Sitzungen. Dabei ist das Ergebnis der Therapie so unberechenbar und wenig vorhersehbar wie das Stottern selbst. Pädiatrie up2date 1 ê 2012 Downloaded by: Thieme E-Books & E-Journals. Copyrighted material. Individuelle Profile Stottern – eine kompensierbare Redeflussstörung wird von einer Prävalenz (Verbreitung) bei präpuber- Kasuistik: Andreas, 23 Jahre tären Schulkindern von etwa 1 % ausgegangen. Auf- Ein inzwischen 23-jähriger Stu- jahrelang seine weiteren „Thera- grund der hohen Spontanremissionsrate kann bei Vor- dent, der bereits im Alter von fünf Jahren zwanzig Sitzungen in unse- piebegleiter“ im Alltag. Als er uns dann als Erwachsener schulkindern von einer höheren Prävalenz ausgegan- ren Institut erhalten hatte, stot- aufsuchte, fragte ich ihn, was er terte nach dieser ersten Serie studierte. „Politologie“ ist die immer noch, auch nach der Antwort. Er führte ein ruhiges, anschließenden „Del Ferro“-The- flüssiges Gespräch mit mir. Die rapie in den Niederlanden und früher heftigen Verkrampfungen nach zehn weiteren Sitzungen bei der Sprechwerkzeuge zeigten sich uns als Neunjähriger. Gute Leistungen in der Schule, wertschät- nur ansatzweise gelegentlich und allenfalls dem genauen Beobach- zende Lehrer und Freunde waren ter und Kenner der Störung. gen werden“ [3]. Differenzialdiagnostik Zunächst ist bei einem unflüssig sprechenden Kind zu klären, ob es sich noch um eine Entwicklungsunflüssigkeit als Durchgangsphase der Sprachentwicklung (auch physiologische oder entwicklungsbedingte Sprechunflüssigkeit, sog. „Entwicklungsstottern“) ohne stottertypische Symptome handelt oder ob die Gefahr einer Ambrose und Yairi konnten Remissionen noch vier überdauernden, sich chronifizierenden Störung droht. Jahre nach Stotterbeginn feststellen [7]. Bei den von Hierzu ist die Beobachtung des Sprachverhaltens beim ihnen dokumentierten Kindern wurde kein Zusam- Vorschulkind im Rollenspiel mit den Eltern unerläss- menhang zwischen der Stärke des Stotterns und der lich, z. B. am Kaufladen oder mit der Eisenbahn und bei Wahrscheinlichkeit einer Remission gefunden. Das einer Märchenerzählung anhand von Bildern. Nach Stottern verschwand sowohl mit Therapie, wenn die dem fünften Geburtstag lassen wir eine Tierfabel nach- Eltern sie wünschten, als auch ohne Therapie. Dass sich erzählen und setzen damit das Kind bewusst einer das Zeitfenster für die Remission –wie oft behauptet – erhöhten Anstrengung aus. mit Beginn der Pubertät schließt, konnten wir nicht generell beobachten. Auch nach dem Abitur, nach der Es gibt Abgrenzungskriterien, nach denen eine „noch Ausbildung oder sinnerfülltem Studium traten Verbes- normale“ Sprechunflüssigkeit von einem Stottern serungen bis hin zur expressiven Unauffälligkeit ein. unterschieden werden kann (s. differenzialdiagnostische Unterscheidung Tab. 1). Gleichwohl besteht keine Über Spontanremissionen ohne Therapie gibt es keine Garantie, dass sich aus der Sprechunflüssigkeit nicht genauen Angaben. Begründet wird dies häufig damit, noch ein Stottern entwickelt. Als Konsequenz schließen dass es ethisch nicht vertretbar sei, einem symptoma- wir zu Behandlungsbeginn bei jedem Kind der initialen tischen Kind die Therapie vorzuenthalten. Die Mög- Elternberatung immer auch eine Therapiesitzung an, lichkeit einer Spontanremission besteht im Vorschul- um die Voraussetzungen für flüssiges Sprechen aufzu- alter zu etwa 70 %, im Schulalter zu etwa 60 % und im zeigen und um damit die Eltern wie auch ihr Kind Schulalter bei einer zuvor länger als 5 Jahre anhalten- abzusichern. Ebenso werden Stottern auslösende und den Stottersymptomatik zu etwa 20 % [8]. „In jedem Fall Stottern aufrechterhaltende Faktoren eruiert und remittiert eine große Anzahl ohne therapeutische dokumentiert. In seltenen, sehr dramatisch imponie- Behandlung. Verlässliche Prädiktoren dafür, welche renden Ausnahmefällen begleiten wir Eltern und Kind Kinder spontan remittieren, liegen nicht vor. Allgemein bis zur Schulzeit mit insgesamt maximal zehn Kontrollsitzungen (Coaching statt übender Therapie in der Praxis). Ausschlussdiagnosen Analog den Leitlinien für Diagnostik und Therapie der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (DGKJP) [8] Rückbildung In den meisten Fällen versandet bei zunehmender neurologische Erkrankung, die Sprechsicherheit und optimierten Sprechbedingungen keit (z. B. vorübergehendes zur Störung des Sprechrhyth- „Entwicklungsstottern“ in der das kindliche Stottern bis zum sechsten Geburtstag. mus führt (insbesondere infanti- Wenn sich in Einzelfällen entgegen den Erwartungen frühen Kindheit) le Zerebralparese oder Erkran- Ticstörungen (F95) kungen des extrapyramidalen das Stottern manifestiert, bieten die Schriftsprache, █ █ Poltern (F98.6) Systems) Zwangsstörungen (F42) █ physiologische Sprechunflüssig- █ █ Pädiatrie up2date 1 ê 2012 schulische Leistungserfolge und ein gutes Lernumfeld die Chance, dass sich während der Schule und Ausbildung die Redeflussstörung mit phasenweise unterstüt- Downloaded by: Thieme E-Books & E-Journals. Copyrighted material. 18 Sozialpädiatrie 19 Tabelle 1 Differenzialdiagnostische Unterscheidung. Sprechunflüssigkeit Stottern Poltern Satzteilwiederholungen – Wortwiederholungen einsilbige Wörter überhöhte Sprechgeschwindigkeit mit spannungslosen Wortund Silbenwiederholungen bis zu drei Mal Silbenwiederholungen bis zu neun Mal mit Sprechtempoerhöhung, nicht steuerbar 1 2 Laut-/ Silbendehnungen max. 1 Sekunde mehr als 1 Sekunde nein Blockierungen vor/im Wort nein ja nein Anstrengung und Anspannung in Gesicht, Kiefer-, Lippen-, Halsmuskulatur nein ja nein Tonhöhen- und/oder Lautstärkeanstieg nein ja nein Störung der Atmung nein ja nein Pausen dem kognitiv-linguistischem Stand entsprechende stille Wortund Satzplanung mit Pausen stille Pausen zur linguistischen Planung eines Wortaustauschs nein überschießende Wort- und Satzplanung dem kognitiv-linguistischem Stand entsprechende überschießende Wort- und Satzplanung mit Sprechhast nein sprachliche Strukturierungsschwäche mit Wortfindungsstörungen; bei erhöhter Konzentration: besserer Redefluss und undeutliche verwaschene Artikulation Sprechangst nein ja nein Störbewusstsein nein ja nein, bei eingeschränkter Symptomwahrnehmung Blickkontakt vorhanden unstet, vermeidend vorhanden (Verdachts-)Diagnose „Verdacht auf Entwicklungsstottern“, wenn eine Remission für sehr wahrscheinlich gehalten wird (bei ca.75 % aller stotternden Vorschulkinder!) „Balbuties“, wenn entwicklungsbedingte Sprechunflüssigkeiten schon zusammen mit stottertypischen Sprechunflüssigkeiten auftreten1 Poltern Verordnungsempfehlung 2 obligat individuell im Vorschulalter individuell im Schulalter eine Beratungssitzung eine Beratungssitzung max. 10 Kontrollsitzungen, z. B. ¼-jährlich 10 Sitzungen u. ggf. Folgeverordnungen eine Beratungssitzung eine Kontrollsitzung 10 Sitzungen u. ggf. Folgeverordnung Dies geschieht hauptsächlich, um die Eltern nicht zusätzlich zu beunruhigen. Wird ein überwiegend entwicklungsunflüssiges Kind fälschlicherweise als stotterndes Kind diagnostiziert, resultiert daraus nach unserer Erfahrung nicht selten eine „self fulfilling prophecy“ (selbst erfüllende Prophezeiung). Die Entscheidung bezüglich einer Beratungssitzung bei jedem Kind, einer Kontrollphase mit max. 10 Kontrollsitzungen im Vorschulalter oder einer Therapiephase mit 10 Sitzungen und Folgeverordnungen im Schulalter muss einzelfallabhängig unter Berücksichtigung der Individualsituation erfolgen, d. h. der physiologischen, psycholinguistischen und psychosozialen Bedingungen des Kindes. Pädiatrie up2date 1 ê 2012 Downloaded by: Thieme E-Books & E-Journals. Copyrighted material. Lautwiederholungen Stottern – eine kompensierbare Redeflussstörung Screenings und Messverfahren Tabelle 2 Kriterien: Risikokind für chronisches Stottern. Ein anamnestischer Elternbogen für die pädiatrische Praxis ist die SLS Screening List for Stuttering nach Riley Dauer Die Redeunflüssigkeit dauert länger als 6 Monate an. Verlauf Das Stottern des Kindes hat sich von zunächst spannungsfreien Wiederholungen zu Blockierungen weiterentwickelt. Es kommen Mitbewegungen des Gesichts, des Rumpfes oder der Extremitäten hinzu. [9]. Die SLS ist kein Instrument für die logopädische Diagnostik, sondern kann im Vorfeld aufzeigen, ob eine solche erforderlich ist. Eine für die Praxis ausreichende Entscheidungshilfe kann allerdings ebenso gut mittels gezielter selbstformulierter Fragen an die Eltern entsprechend der vorstehenden Kriterienliste erreicht Art der Symptomatik Es treten Dehnungen mit Tonhöhen- oder Lautstärkeanstieg und Blockierungen mit sichtbarer Anstrengung auf. werden. Reaktionen des Kindes Das Kind selbst zeigt deutliche Reaktionen auf seine Redeunflüssigkeit. wurde 2011 der Redeflusskompass Version 2.0 vorge- Sprachentwicklung Das Kind hat deutliche Defizite in der Sprachentwicklung. anleitung und den Bogen zum Screening können kos- Einstellung der Eltern Die Eltern äußern die Überzeugung, dass das Stottern sich gefestigt hat und zeigen Sorge und Angst. Zur quantitativen Erfassung hat sich das Messen und familiäre Belastung Mindestens ein weiteres Familienmitglied oder enger Verwandter stottern ebenfalls. Von Braun, Baumann und Bolthauser in der Schweiz stellt, der als deutschsprachige Version ein praktikables Werkzeug für die Praxis darstellt. Die Durchführungstenlos aus dem Internet geladen werden [10]. Zählen der Stotterereignisse etabliert, obwohl hierdurch situationsabhängig eine weitere Stressquelle entstehen kann. Als natürliche Grenze wird für englisch- und deutschsprachige Kinder eine Häufigkeit von drei stotzender Sprachtherapie bis zur Unauffälligkeit zurück- tertypischen Sprechunflüssigkeiten auf 100 Silben bildet. Sprechunflüssigkeit und Sprechhast können angenommen. „Trotzdem sollte sich die Diagnose nicht aber auch als Restsymptome der Rückbildungsprozesse allein auf das Zählen stottertypischer Sprechunflüssig- bestehen bleiben. Trotz frühzeitiger Intervention im keiten beschränken, denn zum einen könnte die Stot- Vorschulalter wird bei genetischer Disposition und in terhäufigkeit in der Untersuchungssituation nicht belastenden Lebenssituationen das Stottern dennoch repräsentativ sein und zum anderen könnte das Kind immer wieder auftreten und sich erneut manifestieren. durch ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten das Neben der physiologischen Sprechunflüssigkeit ergibt hierzu Natke [3]. Auftreten von Stotterereignissen verhindern“ bemerkt sich in der pädiatrischen Alltagspraxis als häufigste differenzialdiagnostisch abzugrenzende Redefluss- Ungeachtet dessen werden weitere Tests entwickelt, störung das Poltern. Die DGKJP definiert Poltern als durch welche die schon bekannten Unterschiede zwi- „eine Redeflussstörung, die durch eine überstürzte und schen Sprechunflüssigkeiten und Stottern, aber auch unregelmäßige Sprechweise gekennzeichnet ist und der Schweregrad des Stotterns gemessen und künftig mit einer Beeinträchtigung der Verständlichkeit ein- besser abgebildet werden sollen. Das eigentliche Phä- hergeht. Die Störung liegt in der gedanklichen Vorbe- nomen „Stottern“ entzieht sich allerdings üblichen reitung, nicht im Sprechvorgang selbst“. Kategorisierungsschemata. Es macht so gesehen – weil es die Vielzahl seiner Facetten bisher nicht in Zahlen Generell ergibt sich die Diagnose aus der Beobachtung fassen lässt – konventionell arbeitende Wissenschaftler des Redeflusses mit den typischen Symptomen. Zwi- nicht glücklich, wobei der aus unserer Sicht fragwür- schen Sprechunflüssigkeit, beginnendem Stottern und dige offene Einsatz einer Stoppuhr beim stotternden Poltern bestehen die in Tab. 1 genannten differenzial- Kind keinen Anreiz im Sinne einer Wettkampfatmo- diagnostischen Unterscheidungsmerkmale. sphäre auslöst. Vielmehr sollte die Bewertung des Therapieerfolgs am Sprechen im Alltag und nicht am Spre- Die Zuordnung eines Kindes in die Kategorien eines chen in einer standardisierten Untersuchungssituation physiologischen Stotterns oder eines Risikokindes für erfolgen [8]. (chronisches) Stottern wird unterstützt durch weitere Kriterien, die sich aus der gezielten Befragung der Eltern ergeben (Tab. 2; in Anlehnung an Johannsen [1]). Pädiatrie up2date 1 ê 2012 Downloaded by: Thieme E-Books & E-Journals. Copyrighted material. 20 Sozialpädiatrie Beratung und Therapie bei Kindern im Vorschulalter 21 Eine längere Überwachungsphase mit regelmäßigen Kontrollsitzungen – bisweilen bis zur Schulreifeuntersuchung – ist in der Regel erforderlich. Bestehen noch Weder bei den normalen Sprechunflüssigkeiten noch Defizite in Wortschatz, Satzbildung und Artikulation, bei stottertypischen Symptomen kann vorausgesagt erhalten die Eltern ein altersgerechtes Übungspro- werden, ob eine Spontanremission eintritt oder die gramm. Falls eine Sprachtherapie erforderlich wird, Sprechunflüssigkeit zum Stottern manifestiert und arbeiten wir schwerpunktmäßig an diesen Defiziten. dann einen chronischen Verlauf nehmen kann. Hilf- Mit zunehmender Erzählfähigkeit und Sprechsicher- reich zur Einschätzung, dass es sich nicht um patholo- heit bilden sich in den allermeisten Fällen die Sprech- gische Sprechunflüssigkeiten handelt, ist die Kenntnis unflüssigkeit aber auch ein beginnendes Stottern bis des Stotterns in seiner individuellen Entwicklung über zur Schulreife zurück. In der ärztlichen Verordnung eine mehrjährige Verlaufsbeobachtung und der Bedin- steht in derartigen Fällen als Hauptsymptomatik gungen für seinen Abbau in der Einzelfallbeobachtung „Sprachentwicklungsverzögerung (SEV)“. Die Prognose einer Spontanremission ist in der Regel bei Sprechunflüssigkeit günstiger als beim Stottern. Therapieinhalte bei Sprechunflüssigkeiten und grenzwertigem Stottern Das bedeutet jedoch nicht generell, dass ein stotterndes Kind normalerweise lebenslang weiter stottern wird. Die Abgrenzung zwischen Sprechunflüssigkeit und Die in kontinuierlicher Arbeit mit betroffenen Kindern beginnendem Stottern sollte günstigenfalls möglichst gesammelten Erfahrungen zeigen, dass es Stottern schnell nach Eintritt der Symptomatik erfolgen und auslösende und aufrechterhaltende Situationen, aber nicht erst nach Monaten bangen Abwartens durch die auch Stottern reduzierende und Stottern lösende Maß- Eltern. Wenn sich das Kind in seinem Sprachverhalten nahmen gibt. von den Eltern sorgenvoll beobachtet fühlt, wirkt sich diese „Observation“ keinesfalls förderlich auf die Sprechsicherheit aus, sondern verunsichert das Kind Tipp zunehmend. Bestimmte Voraussetzungen für eine gute In der Praxis wird bei uns den besorgten Eltern in Sprachentwicklung werden den Eltern bereits in der einer Beratungs- und einer Therapiesitzung von ersten Beratungssitzung mit dem Kind gezeigt. Der 60 Minuten auch schon bei noch normal erscheinen- wichtigste Rat der Experten für eine gute Sprachent- den Sprechunflüssigkeiten demonstriert, wie sie wicklung ist aber immer noch, „mit dem Kind freudig stotterauslösende Verhaltensweisen reduzieren und flüssiges Sprechen fördern können. Diese individuellen Empfehlungen werden ihnen schriftlich als Übungsprogramm mitgegeben. zu kommunizieren“ [11, 12]. Es ist sinnvoll, entwicklungspsychologische Fragen, die mit dem Spracherwerb verbunden sind, in den Vordergrund zu stellen [1]. Eltern müssen Kenntnisse über den Verlauf der normalen Sprachentwicklung und sei- Die Diagnose, dass es sich um noch normale Sprech- ne Variabilität erhalten, um ggf. ihr überkritisches unflüssigkeiten handelt, führt bei den Eltern zur Anspruchs- und Erziehungsverhalten reflektieren zu Erleichterung und zu einem entspannteren Kommuni- können. Dabei lernen sie, welches Verhalten dem kationsverhalten mit ihrem Kind. Nach drei Monaten Wohlbefinden ihres Kindes zuträglich ist, um ein ruhi- ist eine Kontrollsitzung wegen „physiologisch beding- ges, sprachförderliches Gesprächsklima zu schaffen. tem Stottern“ oder „Balbuties“ sinnvoll, um den weiteren Entwicklungsverlauf der Sprache zu beobachten. In Schnell und ohne Pausen sprechende Eltern machen es vielen Fällen ist schon diese eine Kontrollsitzung zur dem Kind schwer, unter Zeitdruck selbst zu formulie- Absicherung der Eltern und für das zukünftige Vermei- ren. Abbau des Zeitdrucks und das Einlegen von Pausen den Stottern auslösender Situationen ausreichend. Falls zwischen Sprecherwechseln erleichtern dem Kind das hingegen noch keine Besserung eingetreten ist, zeigen flüssige Sprechen. Stottern provozierende Einflussfak- wir den Eltern, wie sie sich bei weiterhin auftretenden toren im Alltag sind vielfältig und nur individuell bei Sprechunflüssigkeiten verhalten, z. B. in der Dialog- jedem stotternden Kind zu regulieren mit dem Ziel, die oder Bilderbuchsituation durch gezielte Fragetechni- Chronifizierung des Stotterns zu vermeiden. Stattdes- ken, die der Flüssigkeitsstufe des Kindes angepasst sen schaffen wir sprachförderliche und sprachunter- sind. stützende Situationen wie das Wechselgespräch am Pädiatrie up2date 1 ê 2012 Downloaded by: Thieme E-Books & E-Journals. Copyrighted material. und Dokumentation. Stottern – eine kompensierbare Redeflussstörung Tipp Eltern erwarten vor allem Hilfestellung, wie sie sich gegenüber ihrem Kind sprachlich verhalten sollen, wenn eine Stotterphase eintritt. Das Abwarten bei Stotterblockaden oder bei bis zu neunmaligen Wiederholungen ist für alle Beteiligten qualvoll (Abb. 2). Wir ersetzen es durch gezielte Zwischenfragen, die das Sprachkonzept des Kindes stützen, es flüssig weiter reden lassen und seinen Redefluss stabilisieren. Merken wir, dass nach dreimaliger Wiederholung das Kind weiter an dem kritischen Wort hängen bleibt, sprechen wir es betont und gemeinsam mit dem Kind. Abb. 3 Ein zugewandtes und empathisches Umfeld ist Vorraussetzung, um Spannungen abzubauen. Quelle: Dynamic Graphics, Symbolbild. Kaufladen oder mit Bilderbuch, Märchenerzählungen oder bei einem Rollenspiel. Entwicklung des Stotterns Das Kind imitiert diese Sprechweise, betont dann allmählich selber und kommt so über die Sprachmelodie Trotz der statistisch hohen Wahrscheinlichkeit einer in die flüssige Rede. Bei steigendem Selbstvertrauen Remission von mehr als 80 % und regelmäßiger Bera- und Sprechsicherheit in der Wohlfühlsituation rückt tungs-, Kontroll- und Therapiesitzungen entwickeln nicht das Sprechen, sondern das Spiel oder das Buch ins sich bei wenigen Kindern oder Jugendlichen aus den Zentrum seiner Aufmerksamkeit. Es ist dann nicht anfangs normalen Sprechunflüssigkeiten später mehr angespannt. zunehmend häufiger Wiederholungen mit Anstrengungsbereitschaft und letztlich ein Vermeidungsver- Für manche Eltern ist es aufgrund ihrer übergroßen halten. Ängstlichkeit und Besorgnis anfangs kaum mehr möglich, freundliche, sich ihrem Kind zuwendende Die Entwicklung der Stottersymptomatik erfolgt zumeist Gesprächspartner zu sein. Diesen empathischen Reso- nicht schleichend-linear sondern in Sprüngen. Phasen nanzboden zu vermitteln ist aber wichtig für das emo- des nahezu flüssigen Sprechens wechseln mit denen tionale Wohlfühlen des Kindes – und durch therapeu- des Stotterns. Nach Yairi [13] zeigen ein Drittel der tisches Vorbild den Eltern aufzuzeigen (Abb. 3). Kinder ein sofortiges Stottern in heftiger Ausprägung. Yairi erklärt dies als Symptom neurophysiologischer Veränderungen. Andere Autoren deuten es als Kennzeichen einer emotionalen Reaktion [14]. Abb. 2 Stotterblockaden sind belastende Erlebnisse für Kind und Gesprächspartner. Quelle Fotolia. Im Alter von 6 bis 7 Jahren sind nach Bloodstein Wiederholungen das dominante Merkmal des Stotterns [15], aber auch Dehnungen und Blocks sind in allen Altergruppen zu beobachten. Die Anzahl derjenigen Kinder, die als einzige Symptome anstrengungslose Wiederholungen und Dehnungen aufweisen, nimmt von 43 % im Alter von 2 bis 3 Jahren auf nur noch 4 % im Alter von 14 bis 16 Jahren ab. Die Zahlenangaben zur Remission sind damit widersprüchlich. Cave: Die ersten emotionalen Reaktionen des Kindes auf das Stottern sind häufig Irritation, Frustration und Ärger, wenn das Sprechen nicht mit der Sprechplanung koordiniert werden kann (Abb. 4). Das Kind ist sich seiner Sprechunflüssigkeiten bewusst. Es beginnt, auf sein Sprechen zu achten Pädiatrie up2date 1 ê 2012 Downloaded by: Thieme E-Books & E-Journals. Copyrighted material. 22 Sozialpädiatrie 23 Auch Erwachsene müssen trotz entsprechender Anlage nicht stottern, wenn sie auf gewisse Bedingungen des flüssigen Sprechens achten, gelegentlich Kontrollmechanismen einsetzen und auf die Sprechsituation vorbereitet sind. Menschliche Alltagserfahrung ist allerdings, dass man seine Reaktionen im täglichen Leben nicht immer und allerorts kontrollieren kann. Die Ausprägungsart des Stotterns und Unterschiede im Temperament und in der Persönlichkeit (Resiliance) sowie der Lebensphase scheinen bei der Prognose jeweils eine eigene Rolle zu spielen. Abb. 4 Wenn Kinder sich der Sprechunflüssigkeiten bewusst werden, stelllt sich Frustration ein. Quelle: Diamar, Symbolbild. Anfangslaute oder Silben oder es spricht sie an- Therapie bei Kindern im Schulalter gestrengt. Mit zunehmender Selbst- und Fremdbeobachtung – wie auch der Besorgnis der Eltern – Stottern in seiner Entstehung, seiner Aufrechterhaltung entwickeln sich beim Kind Versagensängste. Sobald und seinem Verlauf wird von multiplen, koexistieren- Frustration, Angst vor dem Sprechen und Vermei- den und miteinander interagierenden Faktoren phy- dungsverhalten den Redefluss in unterschiedlicher siologisch-organischer, psychosozialer und psycholin- und wechselnder Ausprägung irritieren und moto- guistischer Natur beeinflusst [1]. Die für jedes Kind risch blockieren, kann sich das Stottern verselbst- spezifischen Komponenten, die den chronischen Ver- ständigen. lauf seines Stotterns steuern, müssen in einer prozesshaft orientierten Diagnostik aufgedeckt und eine daraus resultierende Methoden kombinierende Individual- Prognose therapie abgeleitet werden. Die direkte Behandlung des Kindes beinhaltet eine Ausweitung des bereits vorhan- Während bei Sprechunflüssigkeiten und beginnendem denen flüssigen Sprechmusters durch ein Sprechauf- Stottern eher präventive Maßnahmen in Form von bauprogramm mit Hilfe einer positiven Verstärker- Beratungs- und Kontrollsitzungen durchgeführt wer- technik sowie eine Übertragung der erreichten den, ist bei chronischem Stottern eine direkte Inter- Sprechflüssigkeit auf verschiedenste Situationen und vention angezeigt, allerdings mit unsicherer Prognose. Lebensbereiche mit Hilfe eines sogenannten Transfer- Wir haben stotternde Kinder vom vierten Geburtstag programms [2]. an begleitet, die schon im Vorschulalter nach Angaben der Eltern auf eigenem Wunsch Lesen gelernt haben, Der Therapeut verschafft sich einen Überblick über den die im Grundschulalter phasenweise trotz Intervall- gesundheitlichen Status des Kindes, sein Hörvermögen, therapie von maximal 30 Sitzungen immer wieder mit seine kognitiven Leistungsmöglichkeiten, den Stand häufigen Silbenwiederholungen aber mit wenig seiner Sprach- und Sprechentwicklung, seiner mund- Anspannung gestottert haben, gute Schüler waren und motorischen Fähigkeiten und seines Kommunikations- das Stottern erst auf dem Gymnasium ab der ersten verhaltens sowie eine Familien- und Sozialanamnese Klasse aufgaben. durch Befragung der Bezugspersonen. Dies setzte in der Regel voraus, dass sie sich in einer Das Stottern selbst ist durch Funktionsstörungen in den neuen, für sie angenehmen Lernatmosphäre mit über- Bereichen der Wortfindung, Atmung, Phonation und wiegend freundlichen Lehrern und Mitschülern wohl Artikulation gekennzeichnet und rekrutiert aus den fühlten. Etwa 1 % der Jugendlichen hat trotz Therapie individuellen psychosozialen Bedingungsfaktoren, aus weiter gestottert, dann allerdings eher situativ. Typi- dem Verhalten des Kindes, der Eltern und anderer scherweise stotterten sie so gut wie gar nicht beim Kommunikationspartnern. Bloodstein und Bernstein Theaterspiel oder Vortrag in ihrem Fachgebiet, vor- Ratner resümieren, dass nach heutigem Kenntnisstand bereitet durch ständige Übung und Wiederholung. jedoch keine endgültigen Schlussfolgerungen über die Natur und die Ätiologie des Stotterns möglich seien [16]. So wird weiter unter Berücksichtigung der Per- Pädiatrie up2date 1 ê 2012 Downloaded by: Thieme E-Books & E-Journals. Copyrighted material. und vermeidet dann möglichst bestimmte Stottern – eine kompensierbare Redeflussstörung Rhetorische und verhaltenstherapeutische Elemente Dem stotternden Kind wird ein erhöhtes Maß an auditivem Aufmerksamkeitsverhalten abverlangt. Neben der Kontrolle der Atmung und des weichen Einsatzes mit lockerer Kieferhaltung fließen weitere rhetorische Elemente wie aufrechte Körperhaltung, fester und lächelnder Blickkontakt und unterstreichende Körpergestik in die Rede ein. Das Kind muss sich mit seiner Selbstdarstellung identifizieren können, um emotionalaffektive Vorbehalte oder Hemmungen abzubauen und ein sicheres Gefühl der Kontrolle über seine Sprechwerkzeuge und über sich selbst zu bekommen. Merke: Die Eltern sind bei Grundschulkindern in der Abb. 5 „Rock and Roll“ oder Schwungrad der Rede. Therapie ausnahmslos anwesend, um ihre Verhaltensweisen, Einstellungen und Gefühle gegenüber ihrem stotternden Kind durch informative Bera- sönlichkeit des Kindes an auslösenden und aufrechter- tung und Einbeziehung in die Therapie zu überden- haltenden Faktoren des Stotterns gearbeitet. ken und ggf. zu verändern. Mit diesen Sprechhilfen unter Einbeziehung rhetori- Erlernbare praktische Sprechstrategien scher Elemente gleich in der Anfangsphase eines umfassenden Therapieprogramms erreicht der Thera- Aus der die Therapie steuernden Diagnostik ergeben peut eine sofortige Verbesserung des Redeflusses. Der sich die an seinem Stottern ansetzenden Modifikatio- Patient lernt, Sprechhilfen diskret anzuwenden, um die nen. Ansatzpunkte sind die Regulierung der Atmung: Natürlichkeit seines Redeflusses zu bewahren und nur „Es wird auf einem Luftkissen gesprochen (= Zwerch- dann anzuwenden, wenn er sein Stottern antizipiert. fellatmung)“. Die Gliederung sprachlicher Inhalte unter Einbeziehung der Sprechatmung dient als „Schwung- Das individuelle Sprechmuster mit Sprechatmung, rad der Rede“ (Abb. 5). Die Verspannung der Mund- Sprechgeschwindigkeit, Prosodie, Phonation und Arti- motorik wird gelöst durch den fast unhörbaren, leicht kulation erarbeitet sich der Patient mit Hilfe eines verhauchten weichen Einsatz bei Vokalen („h…aber“, erfahrenen Therapeuten und durch Ausprobieren „h…und“) und bei Explosivlauten („ k…h…omm“) und sowie Anwendung im Alltag. Er wird ermutigt, z. B. in Dehnung der Vokale. Bedeutungsvolle Worte werden der Schule über ein Thema zu sprechen, in welchem er mit leichtem Nachdruck gesprochen, ähnlich dem Poli- sich sicher fühlt, das ihn interessiert und das inhaltlich tiker in einer Rede. Statt „äääh“ wird eine Pause zur klar strukturierbar ist. Die Schule wird für ihn ein Sprechplanung eingelegt. wesentliches Übungs- und Bewährungsterrain, denn bekanntlich gilt: Reden lernt man nur durch Reden – Der Schüler wählt schwerpunktmäßig bestimmte und dies auch über den Weg der Schriftsprache. Themenbereiche aus Schule oder Hobby, um Wortschatz, Grammatik und Kommunikationsverhalten Bei älteren Schülern bieten eigene Vorträge mit durch Übung und Wiederholung zu trainieren, ähnlich Präsentationsprogrammen (z. B. MS Powerpoint, wie der britische Staatsmann Sir Winston Leonard OpenOffice.org, Lotus Freelance Graphics, Apple Key- Spencer-Churchill, der seine Parlamentrede hundert note) und Funkmaus wichtige Hilfen zur klaren Struk- Mal geübt hat, um nicht zu stottern. turierung und zum Präsentieren der Inhalte, so dass das eigentliche Sprechen nicht verstärkt in das Zentrum der Aufmerksamkeit rückt und dabei möglicherweise verspannt. Durch Einüben von nachhaltiger Betonung wichtiger Fakten wird der Aufmerksamkeitsfokus verschoben und das flüssige Sprechen erleichtert. Zunehmende Erfolgserlebnisse beim Sprechen wieder- Pädiatrie up2date 1 ê 2012 Downloaded by: Thieme E-Books & E-Journals. Copyrighted material. 24 Sozialpädiatrie um führen zu erhöhter Sprechsicherheit und auch noch 25 Vermeidung von Stottern im Jugendalter zur Remission des Stotterns, wie unsere Verlaufsbeobachtungen zeigen. Angst vor dem Stottern Reduktion der Muskelspannung Sprechangst Strategieansätze der Stotterertherapie Vermeidungsverhalten Es gibt eine Fülle von Therapieprogrammen und Ein- // Frustrationsgefühle // Sprechanstrengung // Stottern // Reduktion zeltechniken zur Behandlung des Stotterns, die zum Verstärkung Teil verschiedene und auch gegensätzliche Zielsetzungen verfolgen. Einerseits muss der Arzt die Therapie, die er verordnet, nicht unbedingt selbst beherrschen. kennen, um Behandlungsprozesse verantwortlich zu Abb. 6 Stottermodifikation. steuern und gezielt in die Diskussion über Therapieanpassung oder -verlängerung einsteigen zu können. ablaufs sind und daraus resultierende Scham- und Angstgefühle abgebaut werden müssen. Zwei Hauptansätze und verhaltenstherapeutische Maßnahmen sind in der Stotterertherapie verbreitet: Daher setzt die Stottermodifikation an den aufrecht- die Stottermodifikation und das Fluency-Shaping. Die erhaltenden Faktoren an: das Vermeiden von Stottern Stottermodifikation zielt darauf ab, die Reaktionen auf verstärkt die Angst vor dem Stottern, die wiederum das Auftreten bzw. die Antizipation von Stottererereig- zu verstärktem Vermeidungsverhalten führt. Frustra- nissen effizienter zu gestalten, so dass Stottern kon- tionsgefühle führen zu mehr Anstrengung beim Spre- trolliert und in ein „flüssiges Stottern“ umgewandelt chen, um das Stottern zu vermeiden. Anstrengung werden kann. Tolerierbares Stottern wird also auch als steigert jedoch die Schwere des Stotterns und damit Therapieziel angesehen [3] – daher auch die Bezeich- wiederum die Frustrationsgefühle [17]. Das Vermei- nung Nicht-Vermeidungsansatz („Non-Avoidance“). dungsverhalten und die Sprechangst müssen folglich abgebaut werden. Das Fluency-Shaping hingegen strebt ein symptomfreies Sprechen an, in dem durch eine kontrollierte Dazu lernt der Stotterer, bei ersten Anzeichen des Stot- Sprechweise das Stottern bis zur Unauffälligkeit redu- terns die Muskelanspannung willentlich abzubauen, ziert wird. Dieses Ziel ist realistisch, wenn die Situation um leichter und weniger zu stottern. Dies bewirkt eine so überschaubar ist, dass das Kind oder der Jugendliche Reduktion der Sprechangst und Modifikation des Stot- sich gut und sicher fühlt und sein Sprechen optimaler- terns in leichtere Formen und damit auch eine Reduk- weise vom Tun und Handeln wie beim Spiel oder Vor- tion des Vermeidungsverhaltens. Es wird eine Art des stellen eines Projekts oder Experiment begleitet wird. Stotterns erlernt, die möglichst frei von Anstrengung, Der situative Wohlfühlfaktor bahnt die Sprechsicher- Angst und Vermeiden ist, so dass nicht nur leichter, heit. sondern auch weniger gestottert wird. Im Gegensatz zum „Fluency-Shaping“ ist jedoch nicht – wie der Name suggerieren könnte – eine Modifikation des gesamten Stottermodifikation Sprechablaufs das Ziel. Die Stottermodifikation wurde von Charles Gage Van Der Ansatz der Stottermodifikation für Jugendliche und Riper (1905 – 1994) in der Form entwickelt, wie sie Erwachsene dient als Rahmen für die Therapieplanung heute am meisten verbreitet ist. Van Riper hat selbst und beinhaltet vier Phasen (Abb. 7): lebenslang gestottert und duldete beim Patienten bis zu einem gewissen Grade eine Toleranz so zu stottern, █ 1. Identifikation dass die Kommunikation wenig beeinträchtigt ist In der Identifikationsphase lernt der Patient seine stot- (Abb. 6). Die Theorie der Stottermodifikation geht tertypischen Symptome und damit verbundene Gefüh- davon aus, dass die stottertypischen Verhaltensweisen le und Einstellungen als Voraussetzung für eine Verän- gelernte Reaktionen auf Unterbrechungen des Sprech- derung der Stottersymptomatik bewusst wahrzuneh- Pädiatrie up2date 1 ê 2012 Downloaded by: Thieme E-Books & E-Journals. Copyrighted material. Zumindest aber sollte er die theoretischen Ansätze Stottern – eine kompensierbare Redeflussstörung langsamer, kontrollierter Weise. Neben der erhofften desensibilisierenden Wirkung wird van Ripers Absicht Stabilisierung Modifika tion der Löschung des Stotterns als instrumentell konditioniertes Verhaltens angestrebt. Nach dem willentlichen Stoppen wird die Sprechtechnik des Pull-Outs, einer Blocklösetechnik, angewendet, d. h. nach dem Stoppen des Stotterereignisses lernt der Desen sibilis Stotterer, sich langsam und entspannt aus diesem ierung Iden tifika tion „herauszuziehen“ und ein leichteres, beziehungsweise ng mu h e hrn Wa te s s u bew flüssigeres Stottern ohne Anstrengung zu erlernen, die sog. Modifikation. Die letzte Sprechtechnik besteht im Erlernen der Preparatory Sets, d. h. vorbereitende Einstellungen. Stotte- Abb. 7 Stufenmodell der Stottermodifikation. rer wissen häufig schon vorher, bei welchen Worten sie stottern werden. Bei kritischen Worten sollen sie von Beginn an das langsame und willentlich gesteuerte men. Stottern auslösende Situationen und Laute oder Sprechen einsetzen mit dem Ziel, dann nicht zu stot- Wörter, die ein Stotterereignis ankündigen oder tern. gefürchtete Kommunikationsklippen werden besprochen und festgehalten. █ 4. Stabilisierung In der letzten Phase der Stottermodifikation werden █ 2. Desensibilisierung die erreichten Therapieziele gefestigt. Die oben Durch die Konfrontation mit dem eigenen Stottern soll genannten Sprechtechniken sollen in angstauslösen- der Patient lernen, das Stottern gelassen zu analysieren den Kommunikationssituationen und bei zu erwarten- und dadurch negative Emotionen und Ängste abzu- den stotterauslösenden Wörtern im Alltag eingesetzt bauen. Zur Desensibilisierung stoppt der Patient auf ein und auftretende Ängste durch Übung und Konfrontati- Signal der Therapeutin hin sein Stottern. Beim zweiten on weiter abgebaut werden. Durch die Reduktion von Signal dehnt er willentlich weiter oder repetiert span- Angst und Vermeidung soll die Kommunikation ver- nungslos. Durch das wiederholte Erleben der Stotter- bessert und schrittweise eine willentliche Kontrolle symptomatik sollen die Emotionen des Patienten über das Sprechen erreicht werden. abnehmen. Unsere bisherigen Erfahrungen sind, dass die Patienten Fluency-Shaping diese Form der Desensibilisierung überwiegend ablehnen. Das willkürliche Steuern der Stottersymptomatik Neben der Kombination von Sprechhilfen, die auf die ist vielen Patienten mit dieser Vorgehensweise nicht individuelle Sprechweise mit ihren flüssigen und Stot- oder kaum möglich und führt bei ihnen zu zusätzli- teranteilen angepasst ist und von leichter Sprechtem- chem Frust. Generell und unabhängig von der Gesamt- poreduzierung, erhöhtem Atemdruck und Lautstärke, methode muss der Patient allerdings Desensibilisie- deutlicher Artikulation, fließenden Übergängen zwi- rung als Voraussetzung lernen, um während des schen den Lauten, bis hin zur Spannungsreduzierung Stotterns in den Sprechablauf eingreifen zu können, durch einen weichen, leichten oder langsamen Einsatz d. h. „sich innerlich zu stoppen“. reicht, werden Elemente der Fluency-Shaping-Methode in der Stotterertherapie angewendet: Von der █ 3. Modifikation Sprechleistungsstufe ausgehend, bei der das Risiko zu In der Modifikationsphase lernt der Stotterer ein leich- stottern erfahrungsgemäß möglichst gering ist, wird teres, flüssiges Stottern mit den Sprechtechniken Can- die Äußerungslänge schrittweise erhöht und mit positi- cellation, Pull-Out und Preparatory Set. ven Verstärkungen versehen. Cancellation wird auch Nachbesserung genannt, d. h. Die Übertragung der erreichten Sprechflüssigkeit auf nachdem bei einem Wort gestottert wurde, wird das verschiedenste Situationen und Lebensbereiche wird kritische Wort noch einmal gesprochen, jedoch in mit Hilfe eines sog. Transferprogramms angestrebt. So Pädiatrie up2date 1 ê 2012 Downloaded by: Thieme E-Books & E-Journals. Copyrighted material. 26 Sozialpädiatrie 27 niken verwenden, die der kindlichen Flüssigkeitsstufe Lidcombe angepasst sind, so dass das Kind möglichst wenig oder Das Lidcombe-Programm ist nach Die Eltern werden durch einen gar nicht stottert. Anerkennung und Zufriedenheit der Eltern, aber auch der Lehrer mit ihrer Frage-Antwort- dem Stadtteil in Sydney/Australien benannt, in dem es an der Therapeuten angeleitet, kontrolliert und fortlaufend gecoacht. Methode des Unterrichtens wirken als positive Ver- dortigen Universität entwickelt Wichtig ist nach Onslow [18], dass stärker für flüssiges Sprechen. wurde. Die Behandlungsmethode ein Verhältnis von fünf Mal Lob zu für stotternde Vorschulkinder einer Korrektur eingehalten wird. verfügt über eine Evidenzbasis. Elemente des Lidcombe-Pro- Das operante Verfahren beruht gramms werden in der Therapie darauf, flüssige Sprache durch teilweise bereits seit Jahrzehnten verbale Rückmeldung anzuerkennen, zu loben und zu fördern. eingesetzt, so das Lob nach gelungenem Sprechen. Unflüssige, Gestotterte Sprache hingegen gestotterte Passagen bei Vor- wird systematisch durch korrigie- schulkindern ignorieren wir hin- rende verbale Rückmeldung abge- gegen und gestalten die Sprech- baut. Nach Autorenangaben soll situation derart um, dass das Kind dies in 11 Sitzungen möglich sein. danach möglich selten in ein Stot- Merke: Beim Fluency-Shaping als systematisches Sprechaufbauprogramm für flüssiges Sprechen wird erst einmal ein neues Sprechmuster erarbeitet. Es ist eine kontrollierte flüssige Sprechweise, bei der nicht gestottert wird, die mit zunehmendem Gebrauch automatisierter und natürlicher klingt und in Alltagsituationen immer wieder Anwendung finden muss – damit der Stotterer nicht in alte Gewohnheiten zurückfällt. tern gerät. Auch die emotionale Belastung kann sich nur durch Steigerung der Schwierigkeitsgrade der sprachlichen Situation und der Rahmenbedingungen (z. B. Sprechen Therapierichtungen ermöglichen, sind allerdings nicht vor einer Gruppe) reduzieren. Verbliebene Ängste kön- bekannt. Die Frage, ob Stottern mit Hilfe des Fluency- nen in Grenzen gehalten werden, wenn man sich ihnen Shaping verlernt werden kann, sich also das flüssige immer wieder stellt, so wie es auch in einem Leben Sprechen auf Dauer automatisiert, und der Patient sein ohne Stottern der Fall ist. Sprechen nicht mehr bewusst kontrollieren muss, lässt sich bislang nicht positiv beantworten“, bemerkt dazu Ebenso sind Elemente der Stotterermodifikation wich- Natke [3]. tige Therapiebausteine, da man aus einer im Einzelfall erreichten Veränderung nicht auf eine generelle Daher empfiehlt Johannsen [3]: „Bei der Abwägung, ob Brauchbarkeit einer Methode schließen kann. Es han- eine Sprechhilfe oder ein Fluency-Shaping-Ansatz ein- delt sich nach Wirth vielmehr „um einen hohen sug- gesetzt wird, bietet sich bei der Mehrzahl der Kinder gestiven und therapeutenspezifischen Wirkfaktor sol- eher eine die individuellen Schwierigkeiten berück- cher Therapiemethoden“ [2]. sichtigende Sprechhilfe an.“ Leider kann mit individuell angepassten Sprechhilfen das flüssige Sprechen nicht immer erreicht werden, oder der erforderliche Auf- Effektivität der Therapien wand ist auf Dauer für den Patienten zu anstrengend. Mit anderen Worten: Wenngleich der verordnete Kinder- und Jugendarzt nicht selbst therapiert, sollte er dennoch Kenntnisse Merke: Keine der vorhandenen Therapiemethoden über Theorie und praktische Anwendungsmöglichkei- allein ist besser und bringt den erwünschten Erfolg, ten der Stotterertherapie besitzen, um die Bezugsper- wenn nicht weitere Variablen, die bei jedem sonen kompetent zu beraten und Therapie sinnvoll zu Patienten individuell verschieden sind, Berück- verordnen. Bei kleineren und Vorschulkindern können sichtigung finden. Das Problem des Stotterns mit die symptomorientierten Programme noch nicht ange- seinen vielen unbekannten Größen ist noch nicht wendet werden. In diesem Alter reicht die Beobach- gelöst. tungs- und Wahrnehmungsfähigkeit des eigenen Stotterns noch nicht aus und die Kinder erfassen nur das, Unter bestimmten Sprechbedingungen ist der Stotterer was sie gerade verarbeiten können. symptomfrei, d. h. er kann spontan flüssig sprechen. Auch schwer Stotternde erleben, das sie „an guten Schulkinder und Jugendliche reagieren unterschiedlich Tagen“ bei gehobener Laune und im ausgeruhten auf die am häufigsten und mit unterschiedlicher Zustand weniger stottern, bei kurzen Antworten gar Gewichtung angewendeten Verfahren. „Prognostisch nicht, bei Erklärung und Demonstration eines Compu- valide Kriterien, die eine Zuordnung Einzelner zu den terspiels, oder bei Übung und Wiederholung von Pädiatrie up2date 1 ê 2012 Downloaded by: Thieme E-Books & E-Journals. Copyrighted material. sollen Bezugspersonen in der Unterhaltung Fragetech- Stottern – eine kompensierbare Redeflussstörung Gedichten oder in Theaterstücken trotz Publikum tert der eine bei bestimmten Herausforderungen und nicht, und wenn sie „für ein Thema brennen“ auch der andere nicht? Liegt es an der vermehrt zu beob- nicht in Referaten und Vorträgen. achtenden Sensibilität und kritischen Einstellung sich selbst gegenüber, besonders bei stotternden Jugend- Ein gewisser Pegel an emotionaler Gestimmtheit muss lichen? also vorhanden sein, damit die Rede in Schwung kommt. Ein zehnjähriger Gymnasiast, der seit dem Nach Bloodstein wird eine Unterteilung der Theorien fünften Lebensjahr mit den Eltern zu Kontrollsitzungen des Stotterns in Breakdown-Theorien, Lerntheorien kam und phasenweise insgesamt 30 Therapiesitzungen und „Stottern als neurotische Reaktion“ vorgenommen in Anspruch genommen hatte, stottert seit Einnahme [19, 20]. von Methylphenidat (wird gegen Überaktivität bei Kindern mit ADHS-Syndrom eingesetzt) immer weniger und in der letzten Kontrollsitzung während der Breakdown-Theorien stressreichen, aber schönen Weihnachtszeit gar nicht mehr. Liegt es an der positiven Persönlichkeitsent- Bei den Breakdown-Theorien wird angenommen, dass wicklung, dem ausgleichenden Medikament und/oder das einzelne Symptom aufgrund eines momentanen an der momentanen Wohlfühlsituation, der Zufrieden- Versagens der komplizierten Koordination der am Spre- heit des Kindes und seiner Eltern? Ist Stottern eher ein chen beteiligten Systeme unter Stress zustande kommt. organisch-physiologisches Problem? Es wird ein konstitutioneller Unterschied zwischen stotternden und nicht stotternden Personen in Form eines vererbten neurophysiologischen Defizits ange- Ursachen des Stotterns nommen, das mit einer Basisstörung oder neurophysiologischen Dysfunktion erklärt wird. Das wäre auch Hypothesen und Erkenntnisse zum vorübergehenden Stand des Wissens eine Begründung dafür, dass die Stotterereignisse schwanken, dass das Sprechkontrollsystem stotternder Patienten instabil ist, jedoch normal arbeitet, solange Generell können Redeflussstörungen Symptome unter- es keinem Stress ausgesetzt ist. schiedlicher Grundstörungen sein, sodass Sicht- und Erklärungsweisen des Stotterns verschieden sind und demzufolge auch das therapeutische Vorgehen mit Zwei Praxisbeispiele unterschiedlicher Gewichtung. Bereichsspezifische In unserem Patientenkollektiv haben wir Erwachsene, Schwerpunkte in der Therapie wandeln sich, weil man die unter hohem beruflichen Stress auch noch nach in der Praxis beobachten kann, dass die individuellen dem vierzigsten Lebensjahr anfingen zu stottern. Ein Erwartungen und Verhaltensweisen bei dem Patienten sich mit Dauer und Veränderung der Symptome ebenso Röntgenologe musste während seiner Tätigkeit oft mehrere Patienten in verschiedenen Kabinen nahezu verändern und die ursprüngliche Störung durch eine gleichzeitig und unter hohem Zeitdruck behandeln. Sekundärstörung überlagert sein kann. Ein anderer – ein KFZ-Meister – musste unter Zeitdruck Autos reparieren und gleichzeitig die Kundschaft beraten und bedienen. Für beide gilt: Pla- Randnotiz/Praxisbeispiel nungs- und Ausführungsaufwand von Lauten, Silben Ein Abiturient hat in seinen favorisierten Leistungs- und Worten sind in solchen Extremsituationen mit kursen Referate und mündliche Prüfung gut bestanden, bekam dann aber bei Kontaktaufnahme und ers- erhöhter Konzentration verbunden. Auch die kindliche Unsicherheit beim Syntaxerwerb könnte so ten Annäherungsversuchen eines von ihm glühend erklärt werden. Stottern kann man bei genetischer verehrten Mädchen leider „kein einziges Wort Disposition unter bestimmten Bedingungen experi- heraus“… mentell erzeugen und aufrechterhalten. Dass die Therapie nicht nur die Redeflussblockaden, Die Annahme einer Prädisposition in den Breakdown- sondern ebenso die damit verbundenen Einstellungen, Theorien gibt eine Erklärung für das Zusammenwirken Verhaltensweisen und Persönlichkeitsmerkmale auf- von genetischen und Umweltfaktoren beim Stottern. greifen, ggf. verändern und die eigene Kompetenz auch Die Hypothese für ein genetisches Defizit als Ursache durch Mimik, Gestik, Körperhaltung und sogar Klei- für Stottern wurde in 2010 durch die Entdeckung von dung stärken sollte, ist naheliegend. Aber warum stot- drei sog. „Stottergenen“ durch eine interdisziplinäre Pädiatrie up2date 1 ê 2012 Downloaded by: Thieme E-Books & E-Journals. Copyrighted material. 28 Sozialpädiatrie multinationale Arbeitsgruppe in den USA bestätigt 29 Multikausale Theorien [21]. Bei den multikausalen Theorien werden weniger einzelne Faktoren für die Entstehung des Stotterns ver- Lerntheorien antwortlich gemacht, als vielmehr ihr Zusammenwirken im Einzelfall. Beim Stottern als vielschichtiges Unter die Lerntheorien des Stotterns fallen die der Phänomen werden physiologisch-organische, psycho- „voraus gefühlten Anstrengung“. Die Erwartung des linguistische und psychosoziale Faktoren ausfindig Stotterns führt tatsächlich zu Stottern. Die ängstliche gemacht, die als disponierendes, auslösendes und auf- Selbstbeobachtung führt zu Blockierungen, so dass der rechterhaltendes Bedingungsgefüge des Stotterns gel- Ablauf von automatisierten Bewegungen gestört ist. ten. Die einzelfallorientierte spezifische Ursachenkon- Lernprozesse und Umwelteinflüsse werden für die stellation ergibt für den Behandler ein individuell Entstehung des Stotterns verantwortlich gemacht. So daraus abgeleitetes, methoden-kombiniertes Therapie- könnte der alltägliche kommunikative Druck zu modell. lich zur operanten Konditionierung entsteht das Kern- Das Anforderungs-Kapazitäten-Modell [22] ist solch ein verhalten des Stotterns aufgrund von emotionalem multikausales Therapiemodell: Sprechunflüssigkeiten Stress und daraus resultierendem klassisch konditio- treten nach dieser Theorie auf, wenn die Anforderun- niertem Verhalten auf bestimmte Sprechreize. Die gen an flüssiges Sprechen die mundmotorischen, Sekundärsymptome sind instrumentell erworbenes kognitiven und linguistischen Kapazitäten eines Kindes Flucht- und Vermeidungsverhalten. Das frühe chronisch übersteigen. Verzögert sich die Entwicklung Ankämpfen und das Vermeidungsverhalten sowie die feinmotorischer Fähigkeiten und eilt die lexikalisch- spätere Entwicklung von Sekundärsymptomen beru- syntaktische Entwicklung voraus, so kann sich bei hen jedoch auf Vermeidungslernen. drängendem Sprachbedürfnis eine Redeflussstörung entwickeln. Stottern entsteht nach diesem Modell Das Gesamtphänomen des Stotterns lässt sich nicht sowohl durch unterentwickelte Kapazitäten als auch rein lerntheoretisch begründen, da es phasenweise durch zu hohe Anforderungen. weniger, dann wieder verstärkt und manchmal wieder gar nicht auftritt – ob mit oder ohne Therapie. Unsere Ein einheitliches Modell für das Gesamtphänomen Sichtweise des Stotterns als „Befindlichkeitsstörung“ Stottern, für den Ablauf stottertypischer Symptome weist auch auf physiologische Prozesse hin. und deren Verursachung ist noch zu entwickeln. Die vermutete Ätiologie des Stotterns gibt aber den Rahmen für die Entwicklung flüssigen Sprechens und für Neurotische Reaktion den individuellen Therapieansatz vor. Statt nach wissenschaftlicher Absicherung von immer weiteren Theorien des Stotterns als neurotische Reaktion Theorien, Modellen und Sichtweisen zu suchen, sind betrachten das Symptom als zwanghaftes Verhalten, aus unserer Sicht Einzelfalluntersuchungen von Stot- das nur durch Lösung des zugrunde liegenden Konflik- tern reduzierenden und Stottern verursachenden Fak- tes abgebaut werden kann. Stottern wird als Psycho- toren sinnvoll, um individuelle Therapiestrategien zu neurose angesehen und sei Ausdruck frühkindlicher gewinnen. Entmutigung. Schwerpunkt der Therapie ist die Aufdeckung des neurotischen Systems einer Beziehungsund Identitätsstörung. Theorien des Stotterns als neurotische Reaktion treffen nach unseren Beobachtungen vielfach nicht zu, da Typische Einzelbeobachtungen: Kinder und Jugendliche in der Praxis Eltern, Großeltern und auch Tanten mit dem stotternden Kind harmonisch spielen und wechselseitig spre- Die Abgrenzung zwischen normalen Sprechunflüssig- chen können. Psychologische Faktoren spielen bei der keiten und beginnendem Stottern wurde bereits vor- Entwicklung des Stotterns in Form emotionaler Dispo- genommen. Trotzdem ist eine Beratung zur Absiche- sition und Reaktion sicher eine Rolle, aber nicht als rung der Eltern und zur Unterstützung des flüssigen alleinige Verursacher. Sprechens im Dialog und Spiel sinnvoll, auch wenn die Spontanremissionsrate hoch und nur ungenügende Pädiatrie up2date 1 ê 2012 Downloaded by: Thieme E-Books & E-Journals. Copyrighted material. Anspannungen und Sprechhemmung führen. Zusätz- Stottern – eine kompensierbare Redeflussstörung Kasuistik: Ben, 2,5 Jahre: der Sprechspur folgen Die Sprachentwicklung verläuft bei Ben als Impulsgeber und Ablenker von der Umfang die Kontroll- und Beratungssit- ungewöhnlich schnell, die Artikulation ist bis auf den R- und Sch-Laut schon korrekt, Wortblockade. Diese aufgezeigte „Sprechspur“ hilft dem Kind dann wieder zungen über das Vorschulalter verteilt werden, hängt vom Schweregrad des die Bildung einfacher Aussagesätze flüssig zu sprechen. Stotterns und von der Besorgnis und Ver- ebenfalls. Der Junge reagiert sehr emo- In einem Fall bekam das Kind nach Anga- unsicherung der Eltern ab. Nach eigener tional, als er mit der Eisenbahn spielen ben der Mutter unerwartet einen Wut- Erfahrung sind nur in wenigen Fällen darf und fängt vor Freude sofort an zu ausbruch mit flüssigem Protest, als die maximal 10 Kontrollsitzungen nötig. Bei stottern mit bis zu fünfmaligen Wieder- Mutter wohl zuviel des Guten beim den allermeisten Kindern bildet sich das holungen von Lauten und Silben. Häufig betonten Mitsprechen tat. In solch einer Stottern im Vorschulalter und auch noch hat schon das Wechselgespräch mit der Bezugsperson im Spiel mit der Eisenbahn Situation sollte man ruhig bleiben und antworten: „Dann mache es so wie ich – während der folgenden Lese- Rechtschreibprozesse zurück. Falls doch eine oder am Kaufladen spannungsreduzie- aber alleine.“ Therapie erforderlich werden sollte, rende Wirkung, so dass das Kind allmäh- Bei jungen Kindern, vor allem dann, wenn sorgen wir allerdings dafür, dass auch das lich weniger oder zwischendurch auch sie negativ auf ihr Stottern reagieren, Lesen dem Kind Spaß macht und sinnvoll gar keine Wiederholungen zeigt. Bei sollte nach drei Monaten häuslichem als therapeutische Maßnahme eingesetzt mehr als drei Wiederholungen spricht die Training eine Kontrollsitzung mit weite- wird. Bezugsperson das kritische Wort betont rer Beratung zur Führung des sprachlich mit oder stellt gezielte Zwischenfragen auffälligen Kindes erfolgen. In welchem Kasuistik: Fabian, 3 Jahre: Sprechbeginn im dritten Lebensjahr Fabian hat trotz zweimaliger Beratung de Sprachentwicklungsverzögerung war vor der Klasse vorzulesen. Ich brachte ihn erst Ende des dritten Lebensjahres die ersten Worte gesprochen und dabei von bis zur Schulreife behoben, so dass die Untersuchung gut verlief. dazu, sich beim Lesen häufig zu melden und beim Gedichtaufsagen ebenso. Bei Anfang an ohne Anstrengungsbereit- Im freien Gespräch waren spannungsfreie kurzen Antworten im Mathematikunter- schaft Laute und Silben unflüssig geäu- Laut- und Silbenwiederholungen bei richt klappte das Sprechen nun auch. ßert und abwechselnd grenzwertig unruhigen, leichten körperlichen Mitbe- Diese ersten Erfolge gaben ihm Rücken- gestottert. Fabian sprach sehr leise und wegungen – wie Wippen mit den Beinen – wind und beflügelten ihn, beim Lese- galt bei kleiner, zarter Statur als sehr auffällig, besonders in ungewohnten wettbewerb im zweiten Schuljahr mitzu- sensibel. Im Vorsorgeheft war die Allge- Situationen. Zur Schule ging er anfangs machen. Er gewann den dritten Platz und meinentwicklung bis auf die Sprachentwicklung unauffällig. Der Schwerpunkt gerne, beteiligte sich aber nicht am Unterricht, so dass der Lehrer ihn auch stieg in der Achtung der Mitschüler. Fabian war ein guter Schüler und ein verträg- der Sprachtherapie nach dem dritten einmal aufrief. Prompt bekam Fabian kein licher Klassenkamerad. Mit zunehmender Geburtstag bestand in der Erweiterung Wort heraus. Nach einer halbjährlichen Sprech- und Selbstsicherheit war das des Wortschatzes und des systemati- Pause mit schulischer Beobachtungspha- Stottern im dritten Schuljahr überwie- schen Satzaufbaus mit Nachsprechübun- se und Rückmeldung der Mutter empfahl gend nicht mehr bemerkbar, auch ohne gen, die in Rollenspielen und Märchen- ich im Therapiebericht 10 Sitzungen den Einsatz von Sprechtechniken. Die erzählungen anhand von Diaserien und in wegen klonisch-tonischem Stottern. insgesamt wegen Stottern verordneten freier Nacherzählung von Tierfabeln eingebaut wurden. Fabian kam trotz insge- Schwerpunkt war jetzt ein Verhaltenstraining für die Schule, in dem das Lesen 20 Sitzungen verteilte ich als Intervalltherapie mit Kontrollsitzungen über die samt 40 Sitzungen gerne und hat bereit- eine erfolgreiche Rolle spielte. Beim vier Grundschuljahre – zum einen, um willig mitgearbeitet. Bei Nachsprech- geübten und natürlicherweise langsam- Überdrusserscheinungen zu vermeiden, übungen, im Rollenspiel und bei geübten betonten Lesen konnte sich Fabian „am zum anderen, um bei aufkommenden Tierfabeln hat Fabian wenig oder gar Buch festhalten“ und flüssig lesen, was Stottern sofort einzugreifen mit Atem- nicht gestottert. Das Drücken der Fern- ihm sichtlich Freude machte. Er „las“ den Sprechübungen und Verhaltenstraining bedienung zum Herbeizaubern der Mär- Eltern, seiner größeren Schwester, den bei schulischen Anforderungen. Zur Auf- chenbilder machte ihm sehr viel Freude und seine Spontansprache war dabei Großeltern, dem Onkel und mir vor. Da Fabian den Lehrer und mehrere Kinder in frischung waren phasenweise eine oder einmal auch sechs Therapien erforder- überwiegend unauffällig. Die gravieren- der Klasse gut fand, ermutigte ich ihn, lich. Pädiatrie up2date 1 ê 2012 Downloaded by: Thieme E-Books & E-Journals. Copyrighted material. 30 Sozialpädiatrie 31 Leonard begann mit fünf Jahren Laute Verbesserung wieder verschlechtert.“ und schulische Erfolge entspannen den und Silben in bis zu viermaligen, spannungslosen Wiederholungen zu stottern, Eine erkennbare Ursache dafür fand sich nicht. Redefluss. Leonard ist jetzt im zweiten Schuljahr, ohne dass emotionale Reaktionen beim Warum der Junge erst mit fünf Jahren liest gut, arbeitet ehrgeizig mit, ist aber Kind zu beobachten waren. Die Mutter anfing zu stottern, könnte mit seiner wasserscheu, so dass Schwimmen und sprach schnell und machte einen eher zunehmenden Wahrnehmung von das Springen ins Schwimmbecken bei unruhigen, nervösen Eindruck, auch aus Sprechsignalen seiner Dialogpartner ihm große Angst auslösen – zur Gaudi für der Sorge um ihr Kind, während das Kind zusammenhängen: Stirnrunzeln oder die Klasse. Nach einer überwiegend selbst ruhig und ausgeglichen wirkte. Der zustimmende Mimik, anspruchsvolle guten Phase im ersten Schuljahr schlei- Vater war Firmensprecher bei einem großen Konzern. Von den genetischen Erwartungshaltung, Einstellungen und Emotionen. Die Reaktion der Mutter: chen sich beim Sprechen jetzt immer wieder spannungsfreie Laut- und Silben- Voraussetzungen her hatte das Kind „Was wird nur, wenn er in die Schule wiederholungen bis zur Atemlosigkeit offensichtlich eine gute Prognose dafür, kommt?“, reicht aus, um ein Kind zu ver- ein. Wir haben mit Leonard eine Sportart dass sich das Stottern mit zunehmendem unsichern und den Sprechfluss aus sei- ausgewählt, die ihm zusagt und auch Alter zurückbilden würde – wenn nicht nen ruhigen Bahnen zu bringen. Ich Anerkennung bei anderen Kindern die Mutter mit ihrem hektischen Spre- empfahl der Mutter, auch auf solche Sig- bringt: Judo. Als Kompromiss braucht er chen und ungeduldigem Warten auf eine nale zu achten und sich beim Sprechen in nicht mehr ins Schwimmbecken zu sprin- Antwort des Jungen ihn zum beschleunigten Sprechen animierte. der Lautstärke und Hektik zurückzunehmen und Pausen beim Sprecherwechsel gen mit der medizinischen Begründung: „Ohrproblem“. Die nervöse Mutter forderte ihn oft auf: einzuhalten. Da der Junge Bilderbücher Ich werde ihn nochmals mit 10 Sitzungen „Erzähl doch mal, was da los war!“ – Leo- liebte und die Mutter sehr bildungsbe- begleiten, habe aber angekündigt, dass nard hatte keine Zeit, sich zu besinnen flissen war, fiel es ihr leichter, eine Wohl- ich danach eine lange Pause und höchs- und beeilte sich dann beim Sprechen. fühlatmosphäre zu schaffen und mit Bil- tens noch Kontrollsitzungen machen Unter Zeitdruck sprechen provoziert dern und gezielten Zwischenfragen ein werde, um zu sehen, dass alles gut läuft. Stottern. Bei gezielten Zwischenfragen flüssiges Sprechen zu erreichen. Wenn nicht immer wieder „Aufreger“ konnte der Junge flüssig antworten. In ruhiger Gesprächsatmosphäre fiel ihm Der Junge wiederholte im freien Gespräch immer noch phasenweise Laute passieren, hat Leonard gute Chancen, das Stottern auch noch im Jugendalter zu auch inhaltlich mehr ein. Ich empfahl der und Silben, besonders wenn er viel verlieren, da er trotz erhöhter Sensibilität Mutter so vorzugehen, wie ich es in der erzählte und dabei das Atmen vergaß: „Er gute physiologische, psychische und Therapiesitzung gezeigt hatte. erzählt, ohne Luft zu holen.“ Ich habe im sprachliche Voraussetzungen hat. Auch Von einem Schnellsprecher zu verlangen, Therapiebericht um eine Verordnung von Starkweather hat beobachtet, dass sich betonter und etwa langsamer zu artiku- 10 Sitzungen gebeten. Leonard machte Änderungen in der Sprechflüssigkeit des lieren, funktioniert in der Regel nicht, ich bewusst, in welchen Situationen er Kindes schnell einstellen, wenn Änderun- oder nur für kurze Zeit. Nach drei Monaten rief die Mutter unverkennbar mit flüssig sprechen kann, dass er sich auf die Schule ruhig freuen sollte und ich ihm gen in der Umgebung gezielt vorgenommen werden [23]. hektischem Redefluss wie vereinbart an: dabei helfen werde. Auch eine angeneh- „Das Sprechen hat sich nach anfänglicher me Lernatmosphäre, Stolz auf sportliche Nachweise über die Effektivität von Therapien existie- Ausblick ren. Entsprechende Therapieevaluationsstudien sind besonders deshalb problematisch, weil die Symptoma- Bei Jugendlichen, die jahrelange Therapieerfahrung tik interindividuell sehr unterschiedlich und intraindi- hinter sich haben, arbeiten wir mit Kontrollsitzungen viduell sehr wechselnd sein kann [5]. Valide Prädikto- oder insgesamt maximal zweimal 10 Sitzungen mit ren für eine Chronifizierung des Stotterns gibt es bisher diskreter psychologischer Gesprächsführung sowie mit nicht, da die am Stottern beteiligten Faktoren im Ein- Hilfe individuell angepasster rhetorischer, stimmthe- zelfall unterschiedlichen Einfluss haben, sich über die rapeutischer und atem-sprechtherapeutischer Ele- Zeit verändern können und damit auch den Stotterver- mente, bis wieder ein flüssiges Sprechmuster erreicht lauf modifizieren. ist. Pädiatrie up2date 1 ê 2012 Downloaded by: Thieme E-Books & E-Journals. Copyrighted material. Kasuistik: Leonard, 5 Jahre mit normaler Sprachentwicklung Stottern – eine kompensierbare Redeflussstörung Kasuistik: Daniel, 14 Jahre: Sprechen auf dem „Luftpolster“ Daniel hatte schon eine mehrjährige natürlichem Tonfall. Allerdings untersag- Mit der Mutter hatte ich Telefonkontakt Therapiekarriere von fünfzig Sitzungen hinter sich seit dem er nach dem fünften te ich ihm sehr schnell, ohne Luft zu sprechen. Vielmehr sollte er bei unserem und wollte sofort Termine festlegen, falls Daniel die Sprechmethode vernach- Geburtstag anfing zu stottern, und eine Gespräch mit erhöhtem Atemdruck spre- lässigte. Tatsächlich verhielten sich bei- ambivalente Therapiemotivation. Einer- chen wie ein Schauspieler, der diese de überwiegend so, wie wir besprochen seits wollte er nicht mehr stottern, ande- Atem-Sprechübung als Turnübung täglich hatten. Nach drei Monaten berichtete rerseits wollte er sich den Anstrengun- machen und einhalten muss. Da er sich Daniel, dass es bei der mündlichen gen einer Stotterertherapie nicht mehr gerne sportlich bewegte, was ohne Beteiligung auch nach Angaben der Leh- unterziehen, da er als Gymnasiast nicht Atemvolumen nicht möglich ist, erschien rer viel besser klappt. Nur zu Hause und viel Freizeit hätte. Zudem kam Daniel mit seiner Mutter aus der 60 km entfernten ihm das Einhalten dieser Sprechweise einleuchtend, und sie funktionierte im mit Freunden vergesse er sich, aber beim Sport und bei den Computerspie- Stadt Köln. Sie machte sich wegen seiner Alltag. len mit Freunden brauche er die Sprech- Zukunft große Sorgen. Neu war ihm, dass er seine Aufmerksam- technik nicht. Tatsächlich sprach der Da er sozial und leistungsmäßig trotz keit nicht auf den Lautanfang, sondern Gymnasiast – vielleicht durch positive seines Stotterns Akzeptanz fand, war sein auf das Aussprechen der Wortendung Erlebnisse bedingt – viel entspannter und größter Wunsch, nicht mehr zu stottern. legen sollte. Ich bat ihn, diese Sprech- größtenteils eher unwillkürlich auf Auffälligstes Merkmal seines Stotterns methode sogleich in der Schule bei sei- einem „Luftpolster.“ war die Atemverschwendung: er holte Luft, ließ sie entweichen – und presste nen bevorzugten Fächern und Lehrern auch in Referaten einzuhalten: „Sprechen Ich bat ihn, zwischendurch auch zu Hause an die Sprechregeln zu denken, da es erst auf der Restluft hastig ein paar Wör- lernt man nur durch Sprechen.“ Er solle immer wieder bis ins Erwachsenenalter ter flüssig oder mit wenigen Wieder- vor allem dann Sprechgelegenheiten in zu Rückfällen kommen kann. Tatsächlich holungen heraus. Diese Symptomatik Angriff nehmen, wenn er sich wohl fühle. trat in der Weihnachtszeit bei dicht trat intermittierend auf, d. h. bei kurzen Wenn er mir das zusichere, brauche er gedrängtem Arbeitsplan ein Rückfall in Antworten sprach Daniel flüssig, musste zur Belohnung erst in drei Monaten wie- Form von Atemverschwendung und er auf meine Fragen über Schule und derzukommen zur Kontrolle und Auf- Wortblockaden auf. Die Luft entwich, Freizeit weiter ausholen, entwich die Luft erst ohne Artikulation, bist auf dem frischung. Mutter und Sohn waren sehr überrascht, versprachen aber, ihr Bestes ohne dass intoniert werden konnte. Nach meinem Winterurlaub berichtete mir die Druck der Restluft die Artikulation zu geben, zumal die Mutter meine Mutter dann, dass es in den Weihnachts- zustande kam. Je länger wir uns aber zu Dialogführung mit ihrem Sohn sehr auf- ferien wieder besser wurde, am Schulan- dritt unterhielten, desto mehr flüssige merksam verfolgte. fang wieder schlechter. Wir haben einen Sätze produzierte er zwischendurch mit Die erlernte Sprechtechnik wird nur bei Stotterrückfäl- weiteren Termin vereinbart. Wir beobachten dieses Phänomen, wenn Eltern stot- len reaktiviert, aber auch die Lebensplanung angespro- ternder Kinder sich „outen“, oder wenn uns ehemalige chen und überdacht. Die Erfahrung zeigt, dass sich auch Patienten aufsuchen, um eine „Auffrischungssitzung“ ein jahrelanges, juveniles Auf und Ab des Stotterns zu absolvieren oder ihren Nachwuchs vorstellen. Noch durch innere und äußere Lebensumstände zurückbil- immer gilt: „Ganz allgemein ist die Remission der Stot- den kann, ebenso wie man andererseits im Erwachse- tersymptomatik umso besser, je weniger Toni vorliegen nenalter noch ein Stottern ausbilden kann. Auch bei und je leichter die Störung ausgeprägt ist. Somit stellt Erwachsenen kann es aber zu einer „völligen Regre- Stottern letztlich immer noch ein ungelöstes therapeu- dienz der Stottersymptomatik kommen“ [5]. tisches, aber auch ätiologisches Problem dar“ [2]. Pädiatrie up2date 1 ê 2012 Downloaded by: Thieme E-Books & E-Journals. Copyrighted material. 32 Sozialpädiatrie Über die Autorin 4 Seemann M. Sprachstörungen. Halle, Saale: Marhold; 1959 Cornelia Tigges-Zuzok 6 Silverman FH. Stuttering and other Fluency Disorders. 33 5 Ptok M, Natke U, Oertle H. Stottern – Pathogenese und Therapie. Deutsches Ärzteblatt 2006; 103: 993 – 997 2. Ed. Needham Heights, MA: Allyn & Bacon; 1996 Sprachheilpädagogik und Psychologie an der Universität Dortmund, Erziehungswissenschaftlerin, Sprachheillehrerin und Logopädin. 1977 Einrichtung des ersten Sprachheilinstituts einer großen überregionalen Krankenkasse in Essen, 25 Jahre Leitung der Einrichtung bis 2003, parallel 9 Jahre Lehrtätigkeit an der Universität Dortmund, 1985 Promotion im ersten Spezialgebiet Sprachverlust nach Schlaganfall (Aphasie, summa cum laude), Interdisziplinäre Kieferorthopädische Studie in Essen mit erstmaligem Wirksamkeitsnachweis der Frühbehandlung im Milchgebiss, seit 1992 Fachreferentin auf Kongressen und Fortbildungen für Ärzte und Therapeuten, 2000 Präventionspreis des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), seit 2003 Leitung des audiente Institut für Therapie und Fortbildung in Essen. Arbeitsschwerpunkte Sprach-Sprech-Stimmtherapie zum richtigen Entwicklungszeitpunkt („just in time“), Prävention und Behandlung der Legasthenie sowie Prophylaxe von KieferZahnfehlstellungen und Aussprachestörungen, Autorin, Fachpublikationen und Beiträge in Publikumsmedien, Beratungstätigkeit in Berufs- und Gesundheitspolitik. 7 Ambrose NG, Yairi E. Normative disfluency data for early childhood stuttering. J. Speech Lang. Hear. Res 1999; 42: 895 – 909 8 Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. u.a., Hrsg. Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter. 3. Aufl. Köln: Deutscher Ärzte Verlag; 2007: 393 – 407 9 Riley GD, Riley J. Physicans’ screening procedure for children who may stutter. J. Fluency Disord 1989; 14: 57 – 66 10 Braun W, Baumann U, Bolthauser M. Der Redeflusskompass Version 2.0. 2011. Zugriff am 3.2.2012 unter: www.logopaedieundpraevention-hfh.ch 11 Szagun G. Sprachentwicklung beim Kind. Weinheim, Basel: Beltz; 1996 12 Szagun G. Das Wunder des Spracherwerbs. Weinheim, Basel: Beltz; 2007 13 Yairi E. Disfluency characteristics of childhood stuttering. In: Curlee RF, Siegel GM Hrsg. Nature and Treatment of Stuttering: New Directions. 2. Aufl. Needham Heights: Allyn et Bacon; 1997: 49 – 78 14 Guitar B. Stuttering: An Integrated Approach to its Nature and Treatment. 3. Ed. Baltimore: Williams & Wilkins; 2006 15 Bloodstein O. The development of stuttering: I. Changes in nine basic features. J. Speech Hear. Dis 1960; 25: 219 – 237 16 Bloodstein O, Bernstein Ratner N. A Handbook on Stuttering. 6. Aufl. San Diego: Singular Publishing Group; 2008 17 Van Riper C, Emerick L. Speech Correction: Principles and Methods. 7. Ed. Englewood Cliffs, N.J: Prentice- Hall; 1984 Korrespondenzadresse Dr. päd. Cornelia Tigges-Zuzok audiente Institut Ahornstr. 5 45134 Essen [email protected] 18 Onslow M, Packmann A. The Lidcombe Program of early stuttering intervention. In: Bernstein R, Healy EC Eds. Treatment and research: Bridging the gap. Mahwah, NJ: Laurence Erlbaum Associates; 1999 19 Bloodstein O. Stuttering as an anticipatory struggle reaction. In: Eisenson JHrsg. Stuttering: A Symposium. New York: Harper & Brothers; 1958: 1 – 69 20 Bloodstein O. A Handbook on Stuttering. 5. Ed. San Diego: Singular Publishing Group; 1995 21 Kang Cet al. Mutations in the Lysosomal Enzyme-Targeting Literatur Pathway and Persistent Stuttering. The New England Journal of Medicine 2010; 362: 08677 22 Starkweather CW, Gottwald RS. The Demands and Capacities 1 Johannsen HS, Schulze H. Therapie von Redeflussstörungen bei Kindern und Erwachsenen. In: Böhme G Hrsg. SprachSprech-, Stimm- und Schluckstörungen. Band 2: Therapie 2. Aufl. Stuttgart, Jena, Lübeck, Ulm: G. Fischer; 1988: 97 – 112 2 Wirth G. Stottern bei Kindern. Ein noch ungelöstes ätiologi- Model: II. Clinical Applications. J. Fluency Disord 1990; 15: 143 – 157 23 Starkweather CW. Therapy for younger children. In: Curlee RF, Siegel GMHrsg. Nature and Treatment of Stuttering: New Directions. 2. Aufl. Needham Heights: Allyn & Bacon; 1997: 257 – 279 sches und therapeutisches Problem. Deutsches Ärzteblatt 1990; 87: 1472 – 1473 3 Natke U, Alpermann A. Stottern. Erkenntnisse, Theorien, Behandlungsmethoden 3. Aufl. Bern: H. Huber; 2010 Pädiatrie up2date 1 ê 2012 Downloaded by: Thieme E-Books & E-Journals. Copyrighted material. Dr. päd., Jahrgang 1952. Studium der Stottern – eine kompensierbare Redeflussstörung CME-Fragen █ 1 Welche Aussage über anamnestische Hinweise zum Stottern trifft am ehesten zu? A Stottern ist auf eine genetische Disposition zurückzuführen. B Stottern ist ein Symptom psychischer Probleme. C Stottern ist Ausdruck unterschiedlicher Wahrnehmungs- und Identitätsprobleme. D Auslöser für Stottern ist falsches Elternverhalten. E Stottern ist Ausdruck einer labilen Persönlichkeit. █ 2 Zu welchem Zeitpunkt tritt die Stottersymptomatik am häufigsten auf? A während der Sprachentwicklung im dritten bis sechsten Lebensjahr B zu Schulbeginn C zu Beginn der Pubertät D durch Stresssituationen im Jugend- und Erwachsenenalter E aufgrund des demografischen Wandels im Alter █ 3 Wie äußert sich die Stottersymptomatik typischerweise? A bis zu neunmal muskulär spannungsarme, nicht steuerbare Wiederholungen (klonische Symptome) mit Laut- und Silbendehnungen von mehr als einer Sekunde B überhöhte Sprechgeschwindigkeit mit spannungslosen Wort- und Silbenwiederholungen C sprachliche Strukturierungsschwäche mit Wortfindungsstörungen D keine Sprechangst E kein Störbewusstsein bei eingeschränkter Symptomwahrnehmung █ 4 Wie äußert sich das sog. „physiologische Stottern“ ( = „Entwicklungsstottern“)? A Sprechangst B Störbewusstsein C kein Blickkontakt D dem kognitiv-linguistischen Stand entsprechende stille Wort- und Satzplanung E überhöhte Sprechgeschwindigkeit mit spannungslosen Wort- und Silbenwiederholungen █ 5 Mit welchen Screenings und Messverfahren lässt sich die Diagnose „Stottern“ mit hoher Zuverlässigkeit stellen? A SLS Screening List for Stuttering nach Riley B Redefluss-Kompass von Baumann, Boltshauser und Braun C Sprechen in einer standardisierten Untersuchungssituation (z. B. Zeit-Intervall-Methode von Cordes & Ingham, mod. von Nathke) D Messen und Zählen der Stotterereignisse (drei stottertypische Sprechunflüssigkeiten auf 100 Silben) E Die Diagnose „Stottern“ bleibt selbst dann unsicher und subjektiv, wenn eine umfangreiche standardisierte Testbatterie eingesetzt wird. CME Downloaded by: Thieme E-Books & E-Journals. Copyrighted material. 34 1/2012 | | Pädiatrie up2date CME-Fragen 35 Stottern – eine kompensierbare Redeflussstörung █ 6 Wann ist ein Kind ein Risikokind für chronisches Stottern? A Das Stottern des Kindes hat sich von zunächst spannungsfreien Wiederholungen zu Blockierungen weiterentwickelt. Mitbewegungen des Gesichts, des Rumpfes oder der Extremitäten kommen hinzu. B Die Redeunflüssigkeit dauert länger als sechs Wochen. C Es tritt überhöhte Sprechgeschwindigkeit mit spannungslosen Wort- und Satzwiederholungen auf. █ 7 In welchem Alter sollte ein Kind zur Beratung und zu einer Therapiesitzung vorgestellt werden? A Nach sechs Monaten unflüssigen Sprechens. B Nach sechs Wochen unflüssigen Sprechens. C Bei Eintritt in die Schule, da erst zu diesem Zeitpunkt die Sprachentwicklung abgeschlossen ist. D Sobald die Eltern beunruhigt sind, da weder bei normalen Sprechunflüssigkeiten noch bei stottertypischen Symptomen vorausgesagt werden kann, ob eine Spontanremission eintreten wird oder sich die Sprechunflüssigkeit zum Stottern manifestiert und einen chronischen Verlauf nehmen wird. E Zunächst möglichst gar nicht, da kein Störbewusstsein geweckt werden soll und das Stottern in den überaus meisten Fällen von allein überwunden wird. █ 8 Welche Aussage zur Beratung und Therapie bei Kindern im Vorschulalter ist richtig? A Eltern sollen abwarten, wenn das Kind durch Stotterblockaden am Weitersprechen gehindert wird. B Eltern sollen dem kleinen Kind einen hohen Input an Sprache anbieten und möglichst viel und schnell mit dem Kind sprechen, damit die Sprachentwicklung optimal gefördert wird. C Sinnvoll ist, entwicklungspsychologische Fragen, die mit dem Spracherwerb verbunden sind, in den Vordergrund zu stellen. D Ständig wechselnde kognitive und sprachliche Angebote sowie ein hohes Anspruchsniveau im Umgang mit dem Kind fördern seine Intelligenz und Redegewandtheit. E Das Vorschulkind soll möglichst viel und oft Stottertherapie erhalten, damit sich das Stottern legt. █ 9 Welche Aussage zur Remission des Stotterns trifft nicht zu? A Die Zahlenangaben zur Remission des Stotterns sind uneinheitlich. B Etwa 4 % der Kinder und Jugendlichen stottern. C Ca. 1 % der Erwachsenen stottern. D Die Wahrscheinlichkeit einer Spontanremission beträgt ca. 80 %. E Stottern ist durch einen hohen therapeutischen Aufwand heilbar. █ 10 Welche(s) Verfahren zählen/zählt zu den Hauptansätzen in der Stottertherapie? A KIDS (Kinder dürfen Stottern) von P. Sandrieser B Lidcombe-Programm von M. Onslow & Packmann C Stottermodifikation von C. van Riper und Fluency-Shaping D Kasseler Stottertherapie von W. von Gudenberg E The Demands and Capacities Model (Anforderungskapazitäten-Model) von C.W. Starkweather CME Downloaded by: Thieme E-Books & E-Journals. Copyrighted material. D Es treten Satzteilwiederholungen, Silbenwiederholungen und bis zu dreimalige Lautwiederholungen auf. E Es fallen Laut- und Silbendehnungen von zunächst nur maximal einer Sekunde auf.