Fall: Die zu verbietende Partei

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Rechtsanwalt Norman Jäckel · Berend Koll
Solveig Meinhardt · Mirjam Klein · Wanja Schubert
Wintersemester 2014/2015
Fall: Die zu verbietende Partei
Seit vielen Jahren agiert die rechte N-Partei in der Bundesrepublik. Sie hat mehrere tausend Mitglieder. Vereinzelt ist sie mit einigen Abgeordneten in dens Volksvertretungen der
Länder vertreten. Im Deutschen Bundestag ist sie nicht vertreten. Die übrigen Parteien und
große Teile der Gesellschaft missbilligen das Handeln und die Zielen der N-Partei. In zahlreichen öffentlichen Stellungnahmen bekräftigen Politiker und Promiente fortlaufend, dass
die N-Partei möglichst verboten werden sollte. Ein früherer Verbotsantrag von Bundestag,
Bundesrat und Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht scheiterte jedoch aus
formellen Gründen.
Die Verbotsforderung wird aber in der Öffentlichkeit weiter aufrecht erhalten. Unter anderem beschließt der Deutsche Bundestag eines Tages folgenden Entschließungsantrag:
„Der Deutsche Bundestag stellt fest: Die N-Partei verfolgt verfassungswidrige Ziele und bedroht das demokratische Gemeinwesen. [...] Der Deutsche Bundestag befürwortet ein Verbot
der N-Partei und fordert die Bundesregierung auf, ein erneutes Verbotsverfahren vor dem
Bundesverfassungsgericht vorzubereiten. [...]“
Wenige Wochen später wendet sich der Vorstand der N-Partei im Namen der Partei schriftlich an das Bundesverfassungsgericht. Er will effektiv dagegen vorgehen, dass der Bundestag
fortwährend die Verfassungswidrigkeit der N-Partei behauptet ohne selbst ein Verbotsverfahren einzuleiten.
Aufgabe: Beurteilen Sie in einem Rechtsgutachten, ob der Antrag zulässig ist.
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Lösung Fall: Die zu verbietende Partei
Der Antrag der N-Partei gegen den Deutschen Bundestag könnte als Organstreitverfahren
zulässig sein. Denkbar ist auch ein negatives Parteiverbotsverfahren.
A. Organstreitverfahren
I. Zuständigkeit
Das Bundesverfassungsgericht ist für Organstreitverfahren gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG,
§ 13 Nr. 5 BVerfGG zuständig.
II. Antragsteller
Die N-Partei müsste zunächst antragsberechtigt sein.
1. § 63 BVerfGG
Nach § 63 BVerfGG sind antragsberechtigt der Bundespräsident, der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung und die im Grundgesetz oder in den Geschäftsordnungen des Bundestages mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe. Die N-Partei ist keines der
ausdrücklich benannten Organe. Sie stellt auch keinen Teil eines der aufgezählten Organe
dar (insbesondere ist sie nicht Teil des Organs Bundestag, auch wenn sie mit Abgeordneten vertreten wäe). Die N-Partei ist damit kein tauglicher Antragsteller im Sinne des § 63
BVerfGG.
Hinweis: Teil des Organs Bundestag ist etwa eine Fraktion.
2. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG
Möglicherweise ergibt sich aus Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG jedoch etwas anderes. Danach sind
als Antragsteller oberste Bundesorgane sowie andere mit eigenen Rechten ausgestattete Beteiligte berechtigt. In Betracht kommt hier die letzte Variante. Fraglich ist jedoch, ob die
N-Partei in diesem Sinne ein anderer Beteiligter ist.
Nach Art. 21 GG kommt politischen Parteien eine „Zwitterstellung“ zu: Sie wirken im Schnittfeld von demokratisch legitimiertem Gesetzgeber einerseits, vor allem indem sie die Abgeordneten stellen, und dem Wahlvolk andererseits, dessen Interessen sie im Rahmen der
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parlamentarischen Arbeit vertreten. Aus dieser Doppelrolle folgt, dass sie soweit im Organstreitverfahren als Antragssteller zuzulassen sind, wie ihre Position als am Verfassungsleben
Beteiligte reicht.
Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn sich Parteien gegen Maßnahmen eines obersten Bundesorgans wehren, denn insoweit werden sie nicht vom Staat wie ein Bürger behandelt, sondern begegnen ihm „auf Augenhöhe“.
Vorliegend geht die N-Partei, eine Partei im Sinne von Art. 21 Abs. 1 GG, § 2 Abs. 1 PartG,
gegen einen Entschließungsantrag des Bundestages vor. Folglich ist sie insoweit als anderer
Beteiligter anzusehen. Sie ist damit im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG tauglicher Antragsteller.
3. Verhältnis der beiden Vorschriften
Die beiden Vorschriften führen vorliegend zu unterschiedlichen Ergebnissen, weshalb es darauf ankommt, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen, welche im Ergebnis zur Anwendung kommt. Indem § 63 BVerfGG den Kreis der Antragssteller enger zieht und nicht jeden
anderen Beteiligten als Beteiligten zulässt, sondern nur Organteile, die mit eigenen Rechten ausgestattet sind, könnte darin eine Konkretisierung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG liegen.
Jedoch vermag ein einfaches Gesetz den Anwendungsbereich des höherrangiges Grundgesetzes nicht einzuschränken. Es gilt die Regel lex superior, somit kommt nur eine verfassungskonforme Auslegung des § 63 Abs. 1 BVerfGG in Betracht, der die anderen Beteiligten
und damit auch die Parteien mit einschließt (a. A. vertretbar). Es verbleibt damit bei Antragsberechtigung nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG.
4. Ergebnis
Die N-Partei ist antragsberechtigt.
III. Antragsgegner
Der Antrag müsste sich gegen einen tauglichen Antragsgegner richten. Als Antragsgegner
kommen nach den oben genannten Normen oberste Bundesorgane und andere Beteiligte in
Betracht. Der Deutsche Bundestag ist eines dieser obersten Bundesorgane und mithin ein
zulässiger Antragsgegener.
IV. Antragsgegenstand
Es müsste ein zulässiger Antragsgegenstand vorliegen. Gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 64
Abs. 1 BVerfGG können alle rechtserheblichen Maßnahmen oder Unterlassungen des Antragsgegners Gegenstand des Organstreitverfahrens sein. Hier können an der Rechtserheblichkeit des Entschließungsantrags Zweifel bestehen, da er die Exekutive nicht bindet, son-
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dern nur auffordernden Charakter hat. Fraglich ist daher, ob der Entschließungsantrag geeignet ist, beeinträchtigende Wirkung für die N-Partei zu entfalten. Der Antrag enthält hier
negative Wertungen über die Partei und deren Ziele. Damit ist er geeignet das Ansehen der
N-Partei in nicht nur unerheblicher Weise in der Öffentlichkeit zu gefährden. Er stellt damit
einen tauglichen Antragsgegenstand dar.
V. Antragsbefugnis
Die N-Partei müsste antragsbefugt sein. Nach § 64 Abs. 1 BVerfGG muss die Antragstellerin
die Möglichkeit geltend machen, in eigenen verfassungsrechtlichen Rechten verletzt zu sein.
In Betracht kommt hier eine Verletzung der Chancengleichheit der N-Partei gemäß Art. 21
Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG. Der N-Partei als politische Partei im Sinne von Art. 21 Abs. 1
GG, § 2 Abs. 1 PartG steht dieses Recht zu. Hier könnte die Chancengleichheit durch schwindendes Ansehen der N-Partei auf Grund des Entschließungsantrags gefährdet sein, denn die
Maßnahme könnte geeignet sein, potentielle Wähler abzuschrecken und somit das politische
Gewicht der Partei zu verringern. Eine Verletzung dieses Rechts durch die möglicherweise
verfassungswidrige Äußerung des Antragsgegners kann daher nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Die N-Partei ist somit antragsbefugt.
VI. Form und Frist
Form und Frist müssten gewahrt werden. Gemäß §§ 23 Abs. 1, 64 Abs. 2 und 3 BVerfGG
ist der Antrag binnen sechs Monaten nach Bekanntgabe der beanstandeten Maßnahme oder
Unterlassung schriftlich beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. Hier reichte die Partei, vertreten durch den Parteivorstand (§ 11 Abs. 3 Satz 2 PartG), den Antrag nach wenigen
Wochen schriftlich ein. Die Form- und Fristvorschriften sind gewahrt.
VII. Ergebnis
Der Antrag der N-Partei ist als Organstreitverfahren zulässig.
B. Negatives Parteiverbotsverfahren
Die Zulässigkeit des Antrags als Parteiverbotsverfahren bestimmt sich nach Art. 21 Abs. 2
Satz 2 GG, §§ 13 Nr. 2, 43 BVerfGG, wonach das Bundesverfassungsgericht für das Verfahren
auch zuständig ist.
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I. Existenz des Verfahrens, Verfahrensart
Die N-Partei müsste antragsberecht sein. Antragsberechtigt sind gemäß § 43 Abs. 1 BVerfGG
nur Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung, nach Abs. 2 der Vorschrift auch Landesregierungen, wenn sie das Organisationsgebiet einer Partei auf das Gebiet desjenigen Landes
beschränkt. Parteien werden nicht erfasst, die N-Partei ist somit bei direkter Anwendung der
Norm nicht antragsberechtigt.
Es fragt sich jedoch, ob hier eine analoge Anwendung des § 43 BVerfGG angezeigt ist. Voraussetzung für eine Analogie ist eine Regelungslücke, die Planwidrigkeit derselben sowie
Vergleichbarkeit der Sach- und Interessenlage. Zwar könnte für die Vergleichbarkeit sprechen, dass ein Urteil im Sinne der N-Partei die Zweifel über ihre Verfassungsmäßigkeit ausräumen würde. Ebenso kann angeführt werden, dass Parteien auch im Rahmen des Organstreitverfahrens wie Verfassungsorgane behandelt werden. Letzteres ist aber gleichzeitig ein
Argument gegen das Bestehen einer Regelungslücke. Für die rechtliche Verteidigung ihrer
Verfassungsposition können Parteien auf das Organstreitverfahren verwiesen werden. Dass
ein solches zulässig wäre (siehe oben) zeigt, dass für die Annahme einer Regelungslücke auch
mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG kein Raum besteht. Sie sind hinreichend durch Art. 93 Abs. 1
Nr. 1 GG geschützt.
Somit fehlt es an einer Regelungslücke, sowohl eine direkte als auch analoge Anwendung
der Vorschriften über das Parteiverbotsverfahren scheiden aus.
Hinweis: Vertretbar wäre auch, auf die nicht passende Rechtsfolge des Verfahrens zu verweisen.
Die N-Partei will ja gar nicht verboten werden. Jedoch wäre auch im Anschluss eine Verfahrensanalogie (mit Blick auf Rechtsfolge und Antragsberechtigung) zu überlegen.
II. Ergebnis
Der Antrag der N-Partei wäre als Parteiverbotsverfahren unzulässig.
C. Zusammenfassung
Der Antrag ist als Organstreitverfahren zulässig, als negatives Parteiverbotsverfahren dagegen unzulässig.
Erzeugt mit LATEX und KOMA - Script.
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Lösungsübersicht
A. Organstreitverfahren
I.
Zuständigkeit
II.
Antragsteller
1. § 63 BVerfGG
2. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG
3. Verhältnis der beiden Vorschriften
4. Ergebnis
III. Antragsgegner
IV. Antragsgegenstand
V.
Antragsbefugnis
VI. Form und Frist
VII. Ergebnis
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B. Negatives Parteiverbotsverfahren
I.
Existenz des Verfahrens, Verfahrensart
II.
Ergebnis
C. Zusammenfassung
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