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Staats- und Verwaltungsrecht Repetitorium
Prof. Dr. Roland Rixecker
Fallbesprechung 9 : „Eine Rücktrittsvereinbarung“
Verfassungsrecht, Verfassungsprozeßrecht (012/SS03)
Sachverhalt:
Im Laufe der xten. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages verliert die G-Partei,
die als kleiner Koalitionspartner zusammen mit der S-Partei
bei knappen
Mehrheitsverhältnissen die Bundesregierung stellt, bei einer Vielzahl von Landtagswahlen
erhebliche Stimmen. Ihre Anhänger sind bitter enttäuscht, dass in der S/G-Koalition die
Ziele der G-Partei kaum noch verfolgt werden. Das führt zu erheblichen politischen
Spannungen und einige Male auch zu Abstimmungsniederlagen der S/G-Koalition im
Parlament. Bundeskanzler B (S-Partei) sieht daraufhin nicht nur seine eigene Darstellung
in den Medien sondern auch dringende und gesellschaftspolitisch bedeutsame
Gesetzgebungsvorhaben gefährdet. Er vereinbart mit dem Vorsitzenden der Fraktion der
C-Partei, Neuwahlen herbeizuführen, um stabile Regierungsmehrheiten - und eine S/CKoalition- zu erreichen.
Der Vereinbarung gemäß tritt B Ende Mai zurück mit der öffentlichen Begründung, er
wolle sich "dem Wähler stellen" und für gesicherte Mehrheiten im Deutschen Bundestag
kämpfen. Absprachegemäß findet der daraufhin erfolgende Vorschlag des
Bundespräsidenten, B erneut zum Bundeskanzler zu wählen, aufgrund des vereinbarten
Stimmverhaltens der S- und der C-Fraktion nicht die erforderliche Mehrheit. In den
folgenden Tagen und Wochen scheitern auch Versuche der Fraktionen der G-Partei und
der F-Partei, einen neuen Bundeskanzler zu wählen. Keine der vorgeschlagenen
Personen vermag eine Mehrheit der Stimmen auf sich zu vereinen. Nachdem am 6.7.ein
von der F-Fraktion vorgeschlagener alleiniger Bewerber nur die Stimmen der F-Fraktion ,
jedoch ein Vielfaches an Nein-Stimmen erhält, ordnet der Bundespräsident - am 13.7. die Auflösung des Deutschen Bundestages an und bestimmt als Termin zur Neuwahl den
2.9.,einen Sonntag.
Der Abgeordnete A, der nicht mit einer Wiederaufstellung rechnen kann, ruft das
Bundesverfassungsgericht mit dem Antrag an festzustellen, dass die Auflösung des
Deutschen Bundestages verfassungswidrig ist. Wird er Erfolg haben?
Die noch nicht im Deutschen Bundestag vertretene R-Partei, die sich nicht auf derart
frühe Bundestagswahlen eingestellt hat und fürchtet- vor allem durch die
vorauszusehende Notwendigkeit, die beispielsweise in § 18 Abs.2, 19, 27 BWG
vorgesehenen Fristen nach § 52 Abs.3 BWG abzukürzen- aufgrund der verringerten
Wahlvorbereitungszeit Wahlchancen einzubüßen, will Verfassungsbeschwerde gegen die
Bestimmung
des
Wahltermins
erheben
und
im
übrigen
vor
dem
Bundesverfassungsgericht - mit allen prozessualen Mitteln - erreichen, dass die
Auflösung des Parlaments für unzulässig erklärt wird. Hat sie Aussicht auf Erfolg?
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Staats- und Verwaltungsrecht Repetitorium
Prof. Dr. Roland Rixecker
Gliederungsskizze und Bearbeitungshinweise (012/Stand 05/03)
Probleme des Falles:
o Zulässigkeit eines Organstreitverfahrens
o verfassungsprozessuale Stellung von politischen Parteien
o Spezialität des Wahlprüfungsverfahrens
o Statusrechte eines Abgeordneten
o Wahl des Bundeskanzlers
o Auflösung des Parlaments
o Recht einer Partei auf Chancengleichheit
Die Aufgabe befasst sich mit den Voraussetzungen der Zulässigkeit eines
Organstreitverfahrens, den Regelungen des GG über die Wahl eines Bundeskanzlers und
den Befugnissen des Bundespräsidenten zur Auflösung des Parlaments. Erwartet wird,
dass die Verfasser die Rechtsprechung des BVerfG Lesen: BVerfGE 62,1 ff. – zur
Auflösung nach einer Vertrauensfrage kennen und in der Lage sind, die Übertragbarkeit
der dortigen Wertungen auf das Scheitern einer Bundeskanzlerwahl zu übertragen.
Vergleichbare Falllösungen finden sich bei Lesen: Mauerer JuS 1983,45; Küchenhoff
JuS 1983, 948 und – für das saarländische Landesverfassungsrecht bei Rixecker in
Haus/Wohlfahrt, Fälle und Lösungen, S.81 ff.
A. Antrag des A
Hat ein Antrag des Abgeordneten A Aussicht auf Erfolg?
In Betracht kommt ein Antrag im Organstreitverfahren auf Feststellung, dass die
Auflösung des Deutschen Bundestages verfassungswidrig ist.
I. Zulässigkeit eines Organstreitverfahrens
1. Statthaftigkeit
Die Statthaftigkeit des Antrags (= die Eröffnung des Rechtswegs zum BVerfG) ergibt
sich aus Art. 93 Abs.1 Nr.1 GG i.V.m. § 13 Nr.5, § 63 BVerfGG
(Es geht um die Befugnis des BP, den BT aufzulösen)
2. Antragsteller/Antragsgegner: § 63 BVerfGG
(§ 63 BVerfGG nennt den Abgeordneten nicht; A ist aber Teil des BT und durch Art.
38 Abs.1 S.2 GG mit eigenen Rechten ausgestattet// BP wird von § 63 BVerfGG
genannt)
3. Antragsbefugnis: § 64 BVerfGG
((a) Maßnahme oder Unterlassung/ (b) ASt. muß geltendmachen können, dass er
(oder das Organ, dem er angehört) in seinen ihm durch das GG übertragenen
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Rechten und Pflichten verletzt sein kann > zum Status des Abgeordneten gehört die
Gewährleistung der Dauer der Wahlperiode nach Art. 39 GG)
4. Frist: § 64 Abs.3 BVerfGG
II. Begründetheit des Antrags
(Die Auflösung des BT durch den BP müsste verfassungswidrig sein und den A in
seinen Rechten verletzen)
1. Rechtsgrundlage
Rechtsgrundlage der Auflösungsanordnung: Art. 63 Abs.4 S. 3 GG
a) Formelle Voraussetzungen
Fehler in dem Verfahren, an dessen Ende die Auflösungsanordnung steht,
„infizieren“ sie; also muss gefragt werden , ob das Verfahren nach Art. 63 Abs.2-4
GG eingehalten ist. Verf. können zunächst fragen, ob der vom GG nicht
ausdrücklich vorgesehene Rücktritt des Bundeskanzlers zulässig ist (vgl. Art. 69
Abs.2 GG – das GG geht von anderen Möglichkeiten der „Erledigung“ des Amtes
aus; § 9 Abs. 2 S.2 BMinG zeigt den Grundsatz, dass niemand gezwungen werden
darf, ein solches Staatsamt fortzuführen). Sodann sollten der SV subsumiert
werden: Die notwendigen drei Wahlphasen haben stattgefunden. Die Frist für die
Entscheidung ist beachtet.
b) Materielle Voraussetzungen
(Verf. müssen erkennen, dass die Verfassungsrechtsprechung in den Fällen des
Art. 68 GG eine „materielle Auflösungslage“ - vgl. BVerfGE 62,1 ff.- verlangt; sie
sollten sich mit der Frage auseinandersetzen, ob der – das Verfahren nach Art. 63
Abs.4 S.2-4 GG auslösende – Rücktritt des B an materielle Voraussetzungen oder jedenfalls an Missbrauchsschranken (ggf. unter Erwähnung der
Verfassungsorgantreue) - gebunden ist. Von Bedeutung ist insoweit allein das
Erkennen der Parallelität zu Art. 68 GG und die Argumentation: Allerdings gilt nach
Art. 68 Abs.1 GG, dass der BP den BT auflösen „kann“, während Art. 63 Abs.4 Satz
3 GG zwingend die Alternative Ernennung eines Minderheitskanzlers oder
Auflösung vorsieht, die hier dadurch eingeschränkt ist, dass nach dem SV der
Kanzlerkandidat eine Mehrheit von Nein-Stimmen erhalten hat. Ob in einem
solchen Fall überhaupt eine Alternative besteht, ist fraglich).
Kommen Verf. dennoch zur Verneinung der materiellen Auflösungslage, fällt es
nicht schwer, die Verletzung des Rechts des A auf Gewährleistung der
Wahlperiode festzustellen.
B. Vorgehen der R-Partei
Erfolgsaussichten des Vorgehens der R-Partei
I. Verfassungsbeschwerde
Ist eine Verfassungsbeschwerde der R-Partei gegen die Bestimmung des
Wahltermins - Art. 39 Abs.1 S.3 GG i.V.m. § 16 BWahlG- zulässig?
(Die Verletzung subjektiver Rechte durch Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das
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Wahlverfahren beziehen, kann aber nicht durch Verfassungsbeschwerde sondern nur
durch das Verfahren der Wahlprüfung gerügt werden - BVerfG NVwZ 1994, 893)
II. Organstreitverfahren
1. Zulässigkeit
Ist ein Organstreitverfahren gegen die Auflösung des BT durch den BP zulässig?
a) Statthaftigkeit (s.o.)
b) Antragsteller/Antragsgegner
(Verf. müssen das Problem erkennen, dass Art. 63 BVerfGG politische Parteien
nicht nennt, Art. 93 Abs.1 Nr.1 GG (und § 13 Nr.5 BVerfGG) jedoch einen
weitergehenden Wortlaut hat; das führt nach der Rspr. zu einer
verfassungskonformen Auslegung des § 63 BVerfGG mit der Folge, dass politische
Parteien im Organstreitverfahren vorgehen dürfen (und müssen), wenn es um die
Verfolgung ihrer Statusrechte - Art. 21 Abs.1 S.1 GG- geht- BVerfGE 4, 27; 82,
322,335; VerfGH Saarland LVerfGE 8, 257,261)
c) Antragsbefugnis
(Da die R-Partei nicht im BT vertreten ist, kann es nur um die Verletzung ihres
Rechts auf Chancengleichheit im Rahmen der Wahlvorbereitung gehen; jedoch
sind die infolge der Auflösung des BT eintretenden Erschwernisse - vgl. § 52 Abs.3
BWG- verfassungsrechtlich unbedenkliche gesetzliche Regelungen der
Wahlzulassung- BVerfGE 1, 208,248; 4, 375, 381; HessStGH ESVGH 19,1,6.).
Daher ist es schon ausgeschlossen, dass eine Verletzung oder Gefährdung von
Rechten der R-Partei in Betracht kommt.
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