ERSTGESPRÄCH UND STRUKTURIERTE KLINISCHE DIAGNOSTIK Claudia Bohne GLIEDERUNG 1. 2. Der diagnostische Prozess Erstgespräch 1. 2. 3. 4. 5. 3. Diagnostik 1. 4. Ziele Anmeldung Beziehungsgestaltung Struktur Nachbereitung Ein Beispiel: SKID Weitere diagnostische Verfahren WAS GEHÖRT ZUM DIAGNOSTISCHEN PROZESS? 1. Anmeldung/Zuweisung des Patienten (Vorkontakt) 2. Vorgespräch, allgemeine Orientierung, Planung der Informationserhebung 3a) Beschreibung der Symptome, Befund, klassifikatorische Diagnose 3b) Eigenschaftsdiagnostik 3c) Abklärung körperlicher Faktoren 3d) Analyse von Lebensbedingungen 4. Funktionale Problemanalyse (Mikroebene) 5. Indikationsentscheidung, Prognose, Erfolgsbeurteilung, Therapieplanung, ausreichendes Änderungswissen, Therapie-, Veränderungsmotivation 6. Psychotherapie, Behandlungsdurchführung 7. Kontrollmessungen, Prozess- und Verlaufsdiagnostik 8. Erfolgsbeurteilung, Zielerreichung, Wirksamkeit, Effektivität, Misserfolg WIE KOMMT ES ZUM ERSTGESPRÄCH? Telefonische Anmeldung Angaben zur Person Zuweisungskontext Vereinbarter Zeitpunkt des Erstgesprächs Beginn des Erstgesprächs/im Lauf der probatorischen Sitzungen Schriftliche Anmeldung Abrechnung mit Abrechnungsschein oder Versichertenkarte WAS SIND DIE ZIELE EINES ERSTGESPRÄCHS? Entwicklung eines vertrauensvollen Arbeitsbündnisses Aufklärung und Information des Patienten Erste Problem- und Zielklärung Klärung der Erwartungen des Patienten an die Psychotherapie Beurteilung, ob Psychotherapie im angebotenen Setting indiziert und ausreichend WAS IST WICHTIG FÜR DIE BEZIEHUNGSGESTALTUNG? Anteilnahme Wertschätzung Entängstigung Entpathologisierung Unterstützende Gesprächshaltung WIE IST EIN ERSTGESPRÄCH STRUKTURIERT? Thema Aufgaben, Inhalte, Zielsetzungen 1. Begrüßung -Vorstellen der eigenen Person, der Einrichtung und der Ziele des Erstgesprächs -Erste Information und Aufklärung -Zu ersten Fragen zum Rahmen des Gesprächs auffordern 2. Aktueller Anlass -Aktuellen Anlass für Behandlungswunsch erfragen -Klärung des Zuweisungskontexts 3. Störungsanalyse und Vorbehandlungen -Aktuelle Ausprägung der Symptome -Bisheriger Verlauf -Erklärungskonzept des Patienten -Bisherige Veränderungsversuche und ihr Erfolg WIE IST EIN ERSTGESPRÄCH STRUKTURIERT? Thema Aufgaben, Inhalte, Zielsetzungen 4. Biografie -Einstieg in die Biografie und Bezug zur aktuellen Lebenssituation -Momentan bedeutsame Verhaltensaktiva und –passiva 5. Erwartungen - Erste Erwartungsklärung an die Psychotherapie 6. Abschlusssituation Ermunterung zu offenen Fragen oder Ergänzungen Besprechung des weiteren Vorgehens Ggf. erweiterte Aufklärung WELCHE PUNKTE SIND BEI EINER BIOGRAFISCHEN ANAMNESE WICHTIG? Familienanamnese Biografie des Patienten Besonderheiten bei der Geburt Psychosoziale Situation der Eltern Familiengröße und Familienmileu Erziehungsstil der Eltern Familiäre Belastungsfaktoren Psychische Auffälligkeiten/Erkrankungen bei Verwandten 1. und 2. Grades Frühkindliche Entwicklung Frühneurotische Zeichen Beziehung zu Eltern/Geschwistern Schulische/berufliche Entwicklung Sexuelle Entwicklung Ehe und Familie Lebensgewohnheiten, Werthaltungen Persönlichkeitszüge Aktuelle Lebenssituation WIE WIRD EIN ERSTGESPRÄCH NACHBEREITET? Beziehungsanalyse durch Therapeuten Verarbeitung schwieriger interaktioneller Prozesse um keine unverarbeitete Affekte mit nach Hause zu nehmen Stützt sich v.a. auf Auswertung unmittelbarer, persönlicher Eindrücke Ggf. erste Supervision Frühzeitige Erkennung von Problemen Überprüfung der Analyse der Beziehungsdynamik Integration der daraus resultierenden Erkenntnisse in folgenden Sitzungen Erste Störungsanalyse Vorläufiges funktionales Problemverständnis WARUM IST DIAGNOSTIK WICHTIG? Umfassender Erkenntnisgewinn von psychologischen Merkmalen einer Person mittels entsprechender wissenschaftlicher Methoden und Vorgehensweisen zwecks Fundierung diagnostischer Entscheidungen in den verschiedensten Bereichen psychologischer Tätigkeit In Klinischer Psychologie Erkennen von psychischen Erkrankungen oder Störungen daraus abzuleitenden Entscheidungen Indikationsdiagnostik WAS IST EIN STRUKTURIERTES INTERVIEW? Leitfadeninterview mit kodierten Antworten Anpassung von Reihenfolge und Frageformat möglich Explizite Auswertungsalgorithmen Benötigt Kompetenzen und Training Bsp: DIPS SKID SCAN CIDI SKID (WITTCHEN ET AL, 1997) Strukturiertes klinisches Interview für DSM-IV (SKID) SKID-I dient der Erfassung und Diagnostik ausgewählter psychischer Syndrome und Störungen Achse I und II im DSM-IV Affektive Störungen Störungen durch psychotrope Substanzen Angststörungen Somatoforme Störungen Essstörungen Anpassungsstörungen SKID-II Persönlichkeitsstörungen STRUKTURIERTES KLINISCHES INTERVIEW FÜR DSM-IV (AUSZUG 1/2) STRUKTURIERTES KLINISCHES INTERVIEW FÜR DSM-IV (AUSZUG 2/2) WAS IST FÜR EINE VOLLSTÄNDIGE DIAGNOSTIK NOCH VON BEDEUTUNG? Erfassung sonstiger medizinischer Beschwerden Biochemische Verfahren Endokrinologische Untersuchungen Neuroendokrinologische Untersuchungen Blutuntersuchung Immunologische Tests Toxikologische Untersuchungen EEG Schlaf-EEG CT MRT PET SPECT GRUPPENAUFGABE Findet euch in 3er-Gruppen (Therapeut, Klient, Beobachter) zusammen und führt ein Erstgespräch durch. Vorbereitungszeit: 10-15 Minuten Durchführungszeit: 25 Minuten Feedback: 10 Minuten LITERATUR Saile, H., Weiland-Heil, K., Schwenkmezger, P. (2000). Lassen sich in klinischen Erstgesprächen valide Diagnosen stellen? Vergleich von klinischem Erstgespräch, strukturiertem Interview und Symptom-Checkliste. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie: Forschung und Praxis, 29(3), 214-220. Wendisch, M. & Neher, M. (2003). Das Erstgespräch in der Verhaltenstherapie- ein Leitfaden. Verhaltenstherapie, 13, 122-129. Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2008). Diagnostische Prozesse in der Klinischen Psychologie und Psychotherapie. In H.-U. Wittchen & J. Hoyer (Hrsg.). Klinische Psychologie und Psychotherapie. Springer: Heidelberg. 349-382. EURE DISKUSSIONSFRAGEN Welche Ziele verfolgt die Eingangsdiagnostik -neben der Formulierung einer Diagnose- noch (und wie sind diese hinsichtlich der Wichtigkeit zu ordnen)? Hat die geringere Validität von Diagnosen aus Erstgesprächen einen nachteiligen Einfluss auf die Behandlung? Wie wichtig ist eine genaue Diagnose für die Behandlung? Wie hängen in Tabelle 1 der Untersuchung prozentuale Übereinstimmung und Kappa-Koeffizient zusammen? (Warum manchmal % hoch und ĸ niedrig und manchmal % hoch und ĸ auch hoch? genauere Klärung des Übereinstimmungsmaßes) Wie könnte man das SKID gut in die ersten 5 probatorischen Sitzungen integrieren? Wie erfasse ich eine komorbide Störung? EURE DISKUSSIONSFRAGEN Wie differenziert und abgesichert muss eine Diagnose eigentlich sein, damit sie als Grundlage für Psychotherapie taugt? (braucht man immer ein strukturiertes Interview)? Mögliche Grunde dafür, dass die Übereinstimmung zwischen den Diagnosen aufgrund von SKID und klinischem Erstgespräch deutlich niedriger für affektive Störungen als für z. B. Ess-Störungen, oder Angststörungen liegt. Mögliche Grunde dafür, dass die Patienten das klinische Erstgespräch im Vergleich zum SKID insgesamt als positiver beurteilen. Verhältnis zwischen Reliabilität und Validität der Diagnosen. EURE DISKUSSIONSFRAGEN Warum ist es wichtig die Diagnosestellung mit Hilfe von empirisch fundierten Messinstrumenten abzusichern? Wird das SKID außerhalb von Forschungsprojekten in der Praxis nur selten angewendet? Auch in der Probatorik nicht? Wie häufig werden Screeningverfahren wie die SCL90 zur Diagnostik eingesetzt? Bringt sie überhaupt was, wenn sie bestenfalls einen unspezifischen Belastungsindex liefert? Ist die Bewertung von SKID und Erstgespräch durch die PatientInnen überhaupt aussagekräftig, wenn das Erstgespräch der erste Kontakt und das SKID der 2. Kontakt mit der behandelnden Institution war?