Skript für das Curriculum Hirndruck Montag Allgemeine Überlegungen - Konzeptionelle Probleme Autoren: PD Dr. B. Will (Neurochirurgie) (Neuroradiologie) (Neurologie) Prof.Dr. R. Meyermann Es ist nicht unproblematisch pauschal von „Hirndruck“ zu sprechen. Es müssen dabei grundsätzlich einige Vorbemerkungen gemacht werden: Im Schädel haben wir normalerweise einen niedrigen aber wechselnden Druck. Beim Säugling mit offenen Fontanellen kann man das am besten beurteilen. Beim liegenden, ruhigen Säugling ist die Fontanelle im Niveau. In aufrechter Körperhaltung ist sie eingesunken d.h. der intrakranielle Druck ist niedriger als der atmosphärische Druck. Beim schreienden Säugling ist die Fontanelle prall vorgewölbt. In keinem Fall wird sich die erfahrene Mutter Sorgen machen. Im Unterricht wird überwiegend vom pathologisch erhöhten Hirndruck gesprochen werden. Trotzdem muss klar sein, dass es auch pathologisch erniedrigten Hirndruck gibt. So z.B. nach einer diagnostischen Lumbalpunktion wo eine tage- und wochenlang anhaltende Unterdrucksymptomatik mit lageabhängigen Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Benommenheit auftreten kann. Nach neurochirurgischen Operationen kann Liquorverlust zu Kopfschmerzen, Verwirrtheit, Übelkeit, Erbrechen, Somnolenz, intracerebralen, subduralen oder epiduralen Blutungen führen. Warum gibt es im Kopf überhaupt Druck (s. auch Therapie und Diagnostik)? Eine geschlossene knöcherne Kapsel umschließt unser gesamtes zentrales Nervensystem. Diese bewirkt, dass das Gehirn bei Volumenzunahme oder Verdrängung nicht ausweichen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Raum innerhalb der knöchernen und bindegewebigen Kapsel des zentralen Nervensystems (Gehirn und Rückenmark) durch Septen und Engpässe gekammert ist, wobei diese einzelnen Räume nur unter physiologischen Bedingungen miteinander kommunizieren können.(z.B. Falx, Tentorium mit Tentoriumschlitz, Foramen magnum; s. auch anatomische Lehrbücher). Dadurch können sehr unterschiedliche Symptome einer Drucksteigerung entstehen (s. unten unter Allgemeine r- lokaler Druck). Auch ist zu berücksichtigen, dass das Gehirn selbst gekammert ist (Ventrikel) die ebenfalls nur durch Engstellen miteinander kommunizieren (s. Anatomieunterricht). Zusätzlich wird der Druck im Kopf aber auch durch Besonderheiten des zentralen Nervensystems beeinflusst. An diese sollte gedacht werden, um die Entwicklung zum Hirndruck und die sich daraus ergebenden Therapiemöglichkeiten zu verstehen. Dieses sind: - fehlender Extrazellularraum (s. Neurohistologie) Autoregulation der Hirndurchblutung (s. Neuroanatomie, Physiologie) anatomischer Aufbau der Gefäßwand (s. Anatomie) Kaskade der venösen Abflüsse (s. Anatomie, Physiologie) Blut-Hirn-Schranke, Blut-Liquor-Schranke (s. Neuroanatomie und Neurophysiologie) eine besondere Form der Immunüberwachung (s. Allg.Neuropathologie-Entzündung) 1 Version 1.5 - Lagerung des Gehirns in einem Flüssigkeitspolster und nur geringfügige Fixierung von Gehirn und Rückenmark durch einen bindegewebigen Aufhängungsapparat (Arachnoidea). (s.Neuroanatomie) Allgemeiner – lokaler Druck Tumoren, Blutungen, Entzündungen führen zunächst einmal aus den oben genannten physiologischen und anatomischen Gegebenheiten zu einem lokalen Druck, lokaler Reizung mit der Möglichkeit der Funktionsstörung oder einem epileptischem Anfall. Erst sekundär kommt es durch Ausdehnung des Druckes zu Symptomen von weiter entfernt gelegenen Strukturen. Deshalb ist es wichtig bei der Untersuchung nicht nur nach Symptomen erhöhten Hirndrucks zu fahnden sondern auch nach lokalen Symptomen zu suchen. Hauptursache ist der knöchern begrenzte Raum der sich einer Volumenvermehrung, ob lokal oder global, nicht anpassen kann. Chronischer – akuter Druckanstieg: Bei akutem Druckanstieg im Schädel hat das Gehirn nach Resorption des Liquors kaum Möglichkeiten dem Druck nachzugeben. Das Gehirnparenchym hat ja bereits einen wesentlich geringeren Interzellularraum als andere Gewebe (s.oben)und die Verringerung des Liquorvolumens benötigt einige Zeit. Das Hirngewebe wird bei lokalem Hirndruck verschoben, was zur Einklemmung führt. Anders dagegen beim langsamen Druckanstieg über Wochen und Monate. Hier kann das Gehirn sehr gut reagieren und sein Volumen reduzieren. Deshalb können bei langsamem Wachstum sehr große Raumforderungen entstehen bei Patienten, die nahezu unauffällig sind. Chronische Raumforderungen können so groß sein, dass eine akute Raumforderung gleicher Größe absolut tödlich wäre. Es ist immer wichtig zu erfragen, ob die Symptome langsam schleichend oder akut, abrupt d.h. apoplektiform aufgetreten sind. Individuelle Unterschiede: Verschiedene Patienten reagieren unterschiedlich auf Druckanstieg. Bei physikalisch gleichem intrakraniellen Druck kann der eine Patient relativ symptomarm sein, der andere tief bewusstlos. Deshalb muss neben dem physikalischen Wert immer auch die klinische Symptomatik mit beurteilt werden. Diese Unterschiede sind bislang nicht hinreichend untersucht. Sie können auf angeborene Unterschiede zurück gehen, können aber auch Folge früherer Ereignisse (fetale und postpartale Entwicklung, Schädel-Hirn-Trauma, Bestrahlung, Vorerkrankungen z.B. Entzündungen, Operation, medikamentöse Behandlung) also erworben sein. Diese Unterschiede machen die Diagnostik und die Behandlung schwer. Vielleicht wissen wir darüber einmal mehr, wenn auch in der Medizin nicht nur eine Allgemeine Medizin, die die Gesetzte erforscht, die für alle Menschen gelten, sondern auch eine Differentielle Medizin eingerichtet wird, die sich mit den Unterschieden zwischen Menschen beschäftigt, wie es auch in der Psychologie eine allgemeine und eine differenzielle Psychologie gibt. Die 2 Version 1.5 Entstehung von Hirndruck beruht also auf vielen Faktoren. Es passiert sicher vieles gleichzeitig: •Druck steigt an. Gedrückt und gereizt werden zunächst die umliegenden Hirnzellen und – zentren. Die Liquorräume werden ausgepresst, wenn der Liquor aus den Ventrikeln abfließen kann und wenn die Resorption noch funktioniert. Dann werden die darum herum liegenden gedrückt und verschoben. Die umliegenden Venen werden komprimiert, der venöse Druck steigt an, der Gewebsdruck steigt zusätzlich an. Schließlich wird Hirn durch den Druck in der Funktion und in der Struktur gestört. Als letztes werden Arterien abgeklemmt oder komprimiert. Diese erklärt, dass schleichende und schlagartige Verschlechterung sich abwechseln können. Symptome erhöhten Hirndrucks (was sagt uns der Patient mit erhöhtem Hirndruck oder was können wir an ihm beobachten): •Übelkeit, Erbrechen, Erbrechen im Schwall, morgendliches Erbrechen •Bewusstseinstrübung, Müdigkeit, Somnolenz •Antriebsarmut, Agitation •Vergesslichkeit, Störung des Kurzzeitgedächtnisses, Orientierungsstörung •Wesensänderung•Leistungsabfall •Singultus (Aufstoßen) •Kopfschmerzen •Schwindel •Sehstörungen •Doppelbilder •Blickstörung •Pupillenerweiterung •Lidheberschwäche •Gangunsicherheit, Ataxie •RR-Anstieg, Bradykardie •erhöhte Körpertemperatur, erhöhter Stoffwechsel, Schwitzen •Pathologische Atmung Maschinenatmung Schnappatmung •Pathologische Motorik auch beim Bewusstlosen ist die Motorik beurteilbar: gezielte Abwehr, ungezielte Abwehr Massen- und Wälzbewegungen Beugesynergismen an den Armen, Strecksynergismen an den Beinen Strecksynergismen an Armen und Beinen Schlaffer Muskeltonus •Vegetative Störungen •Diabetes insipidus (Ausfall des Dienzephalon oder Druck auf den Hypophysenstiel und dadurch Ausfall des ADH) Diagnostik des erhöhten Hirndrucks:•(Fremd- oder Eigen-) Anamnese (SAB, Insult = apoplektiform), Früher schon einmal ähnliche Symptome •Klinischer Befund •Bewusstsein, Pupillen, Motorik •Augenhintergrund(nur bei chronischem Hirndruck) •Fontanelle, Kopfumfang, Hautvenen 3 Version 1.5 •Bildgebung •Transkranieller Doppler •Messung der Hirndurchblutung •Lumbalpunktion (erlaubt die Druckmessung, erlaubt Nachweis oder Ausschluss einer Meningitis, Subarachnoidalblutung). Ist heute ohne vorherige Bildgebung bei Hirndruckzeichen obsolet. Gefahr der akuten Verschlechterung und Einklemmung!! Eine Ventrikelpunktion ist diesbezüglich sehr viel unproblematischer. •Hirndrucksonde (kann epidural, subdural oder im Parenchym liegen. •Sauerstoffsättigung im Hirn (auch Hirngewebe, das nicht unter Druck steht, kann Sauerstoffmangel leiden. •Sauerstoffausschöpfung im Bulbus jugularis Therapiemöglichkeiten des erhöhten Hirndrucks(s. auch oben):•Freihaltung der Atemwege •Normaler systemischer RR im Zweifelsfall lieber leicht erhöhten RR •Oberkörperhochlagerung (30°) •Halsvenen nicht knicken und nicht komprimieren •Entfernung von intrakraniellen Raumforderungen (Blutungen, Tumoren, Zysten) Behandlung eines Liquoraufstaus. •Osmodiuretika •Hypertone NaCl-Lösung (7,5%ige Lösung) •Kortikoide (??) nur bei bestimmten Formen des Hirnödems wirksam (Entzündung und Tumoren). •Schleifendiuretika •Sedierung (Schutz vor Pressen, Hypoventilation, Hyperventilation) •Barbituratnarkose (Reduzierung des Stoffwechsels, damit des Sauerstoffbedarfs und damit der Blutmenge) •Liquordrainage •Enfernung des Schädeldaches •Duraerweiterungsplastik •Abtragung von Hirnteilen Fazit: Eine extreme Vielzahl von Symptomen können Zeichen eines erhöhten Hirndrucks sein. Viele Symptome sind in leichter Form alltäglich (Schwindel, Kopfschmerz, Vergesslichkeit, Leistungsschwäche). Viele Krankheitsbilder sind dem Laien absolut unbekannt Diese Faktoren führen dazu, dass chronische Drucksteigerungen im Schädel auch heute noch gelegentlich sehr spät erkannt werden. Hydrocephalus (Montag) Definition: Störung im Gleichgewicht von Bildung des Liquors auf der einen und Abfluss und/oder Resorption auf der anderen Seite. Das Gleichgewicht zwischen Liquorzufuhr und Abfluss kann an zahlreichen Stationen der Liquorzirkulation gestört werden: 1. Vermehrte Bildung des Liquor im Plexus choreoideus (sehr selten). 2. Blockierung des Foramen Monroes beidseits oder einseitig 3. Blockierung des Aquädukts (angeboren, entzündlich, durch Kompression) 4 Version 1.5 4. Blockierung des Abflusses in den äußeren Liquorraum (Foramenina Luschkae, Foramen Magendii) 5. Zirkulation des Liquors im äußeren Liquorraum 6. Rückresorption (Pacchionische Granulationen, Wurzeltaschen) Manche Störungen des Gleichgewichtes können bis heute nicht sicher lokalisiert werden (z.B. Arnold Chiari-Syndrom Typ 1) Häufiges Symptom in der Neurochirurgie (Etwa 10 % aller Operationen). Resorptionsstörungen häufiger als Abflussstörungen (4:1) Kann angeboren oder erworben sein. Ursachen für Abflusstörung: Tumor, Entzündung, Blutung, Fehlbildung Ursachen für Resorptionsstörung: Blutung, Entzündung, Fehlbildung, Tumor Symptome unterschiedlich in Abhängigkeit vom Alter. Solange die Schädelnähte nicht geschlossen sind kann als zunächst einziges Symptom ein pathologisches Kopfwachstum auftreten. Deshalb Bestimmung des Kopfumfangs und Vergleich mit einer Normkurve bei jeder Routineuntersuchung im Kindes- und Säuglingsalter. Symptome im Säuglingsalter: Zunahme des Kopfumfanges. Große Fontanellen, distante, klaffende Schädelnähte. Vorwölbung der Dura im Bereich der Fontanellen und der klaffenden Nähte. Großer Hirnschädel im Vergleich zum Gesichtsschädel, Balkonstirn. Gestaute Hautvenen am Kopf Vermehrtes Schreien oder Apathie, Gedeihstörung, Trinkschwäche, Erbrechen, Nüchternerbrechen. Erhöhter Muskeltonus. Sonnenuntergangsphänomen = Blickheberparese. Schepperndes Geräusch bei Beklopfen des Schädels. Diaphanie (Schädel wird durchleuchtbar) Symptome im Erwachsenenalter Leistungsminderung, Kopfschmerzen, Schwindel, Gangunsicherheit, vermehrte Müdigkeit, Apathie, Sehstörungen, Doppelbilder, Übelkeit, Erbrechen, Singultus, Koma, Tod Sonderform des „Normaldruck-Hydrocephalus = Chronischer ErwachsenenHydrocephalus)“: Auftreten im höheren Erwachsenenalter. Schleichender Verlauf. Symptomtrias: Gangstörung, Demenz, Inkontinenz. Sonderform des malresorptiven Hydrocephalus. Im CT und im MR hochparietale äußere Liquorräume ausgepresst. Lumbalpunktion zur Druckmessung und Druckentlastung (30 bis 50 ml Liquor ablassen darauf oft drastische Besserung der Symptomatik). Behandlung der Wahl: Implantation eines ventrikulo-peritonealen Shuntes. Neuroradiologie bitte Bildgebung ergänzen Therapie (siehe auch oben): 5 Version 1.5 Akut und bei Blutung, Infektion, Entzündung oder unklarer Situation Ableitung des Liquors nach außen über externe Liquordrainage. Entfernung des Abflusshindernisses. Schaffung einer neuen Ablussmöglichkeit (meist endoskopisch, Fensterung am Boden des dritten Ventrikels zum frontobasalen Subarachnoidalraum). Nur bei Verschlußhydrocephalus. Sonst: Ableitung des Liquors in den Peritonealraum, rechten Vorhof, Pleuraspalt. Dienstag Intrakranielle Blutungen Können spontan auftreten oder Traumafolge sein. Spontane Blutungen: 1.Subarachnoidale Blutung: Ursache Meist aus einem Aneurysma der basalen Hirnarterien (etwa 50% aller spontanen intracraniellen Blutungen). In etwa 50% tödlich. Wenn die Blutung überlebt wird: Ausschluss eines Aneurysmas. Wenn Aneurysmanachweis gelingt, Therapieziel: Ausschaltung des Aneurysmas, weil jede neue Blutung mit einer Mortalität von 50% behaftet ist. Symptome: Patient sagt: „Kopfschmerzen wie noch nie in meinem Leben!“ Diagnostik: Ergänzung durch Neuroradiologie Therapie: Ausschaltung über Clipping oder endovaskulär (Coiling). Wichtig: Eine Subarachnoidalblutung darf nicht übersehen werden. Trotzdem werden etwa 50% aller Subarachnoidalblutungen nicht oder nicht sofort diagnostiziert . 2.Intrazerebrale Blutung: Symptome: Siehe Schlaganfall Diagnostik Ergänzung durch Neuroradiologie Therapie Eventuell Ausräumung der Blutung. Indikationsstellung Ermessenssache. Grundsätzlicher Unterschied zu den traumatisch bedingten Blutungen. 6 Version 1.5 Traumatisch bedingte Blutungen: 1.Epidurale Blutungen: Meist mit Fraktur verbunden. Es blutet meist aus verletzten Duraarterien: Therapie: Kraniotomie, Entfernung der Blutung, Stillen der Blutungsquelle. Anlage von Durahochnähten. 2.Akute subdurale Blutung: Therapie: Entfernung der Blutung. Meist aus Brückenvenen. Blutungsquelle meist nicht erkennbar. Subdurale Drainagen werden für einige Tage eingelegt. Wenn Hirnschwellung besteht, Entlastungskraniektomie und Duraerweiterungsplastik. 3.Kontusionsblutung: Therapie: Konservative Therapie: Sicherstellung von guter Oxigenierung. Überwachung des Hirndrucks. Eventuell Intubation, Sedierung, Osmotherapie,Oberkörperhochlagerung. Nach Ausschöpfen der konservativen Massnahmen: Entlastungskraniektomie und Duraerweiterungsplastik. Manchmal so groß, vor allem bei gleichzeitig bestehender Gerinnungsstörung oder unter antikoagulativer Therapie, dass sie ausgeräumt werden muss. 3.Chronische subdurale Blutung: Symptome: Ganz andere Symptome als die akute subdurale Blutung. Typischer Fall einer chronischen Hirndrucksteigerung. Trauma oft gering, oft nicht mehr erinnerlich. Therapie: Erweiterte Bohrlochtrepanation, Spülung und Drainage. Das chronische subdurale Hämatom kann eine Größe erreichen, die bei einem akuten subduralen Hämatom absolut tödlich wäre. Hirninfarkt (Mittwoch) Auf den ersten Blick erscheint es unverständlich, weshalb unter der Symptomengruppe Hirndruck auch der Hirninfarkt behandelt wird, da hier ja nur Gewebe kaputt geht. Das zentrale Nervensystem (gleiches gilt auch für das periphere Nervensystem) reagiert jedoch sehr empfindlich auf Verringerung oder Unterbrechung der Sauerstoffversorgung sehr schnell mit einem totalen Gewebeuntergang. Jede Nekrose, und sei sie noch so klein, verursacht jedoch ein deutliches Ödem. Bei kleinen Infarktarealen ist selbstverständlich die Hirndrucksymptomatik wesentlich geringer als bei großen Arealen (zum Beispiel bei Verschluß der Arteria cerebri media). Einige Grundlagen zum Hirninfarkt: Der Normalwert der regionalen Blutung im Hirnparenchym beträgt etwa 80ml/100g/min in der Hirnrinde bei einem allgemeinen Mittelwert im Gehirn von etwa 50ml/100g/min. Unterhalb eines Wertes von 22ml/100g/min erlöschen die elektrischen Aktivitäten der Nervenzellen. Allerdings besteht eine hohe individuelle Variabilität. Unterhalb des 7 Version 1.5 angegebenen Schwellenwertes kommt es auch zu biochemischen Veränderungen und schließlich ab 10ml/100g/min zu Membranfunktionsstörungen. Allerdings hängt das vollständige Absterben der Zelle von der Dauer und gleichzeitig auch von der Höhe einer möglichen Residualdurchblutung ab. Tierexperimentell (Affe) sterben einzelne Zellen bei Durchblutungswerten nahe 0 innerhalb von 25min ab. Größere Nekrosen entwickeln sich innerhalb von 2-3 Stunden wenn die Residualdurchblutung im Areal bei etwa 12ml/100g/min liegt. Das nekrotische Infarktareal wächst also, wenn die Durchblutung in dem umgebenden Areal nicht so schnell wie möglich über die angegebenen Schwellenwerte hinaus angehoben wird. Der Hirninfarkt gliedert sich also in 3 Zonen: 1. Zentral: Nekrose 2. Penumbra (das den Nekroseherd umgebende Gewebe in dem die Residualdurchblutung zur Funktionsstörung geführt hat, nicht jedoch zur vollständigem Gewebeuntergang) 3. Außen herum vitales Gewebe mit normaler Funktion Wichtig: Der Hirninfarkt ist ein Notfall (time is brain), je früher die normale Durchblutung wieder erreicht werden kann, desto weniger Gewebe der Penumbra wird in Nekrose umgewandelt. Den therapeutischen Bemühungen um eine Reperfusion in physiologischer Höhe sind jedoch Grenzen gesetzt, da in Arealen mit Durchblutungswerten nahe 0 nach 5 Stunden auch die Gefäßwände nekrotisch werden, so dass dann durch Reperfusion intracerebrale Massenblutungen (s. Dienstag) provoziert werden können. Je höher die Residualdurchblutung, desto später setzt diese Nekrose der Gefäßwände ein. Ein akuter Hirninfarkt braucht deshalb so rasch wie möglich eine Diagnose (Art der Durchblutungsstörung, Lokalisation) und eine Therapie (Beseitigung der gestörten Gewebedurchblutung und der sie behindernden Faktoren wie zum Beispiel Hirndruck). Epidemiologie, Symptome, Diagnose, Ergänzung durch Neurologie und Neuroradiologie. Beim Mediainfarkt und beim Kleinhirninfarkt kann es notwendig sein, dass der Neurochirurg aktiv wird. Beim Mediainfarkt wird, bevor der Patient einklemmt, eine große Kraniotomie (14x 10 cm) vorgenommen, die Dura eröffnet und ein großer Duraerweiterungspatch eingesetzt. Beim Kleinhirninfarkt wird über eine kleine subokzipitale Kraniotomie das abgestorbene Kleinhirn entfernt. Entzündungen durch exogene Erreger(Donnerstag) Vorbemerkungen: Hirndruck bei entzündlichen Erkrankungen des ZNS entsteht durch vielfältige Faktoren: 1. Hirnödem 2. zusätzliches Volumen durch Entzündungszellen und ihre Produkte (s. oben: kein Extrazellularraum) 8 Version 1.5 3. Blutungen (Entzündungen spielen sich an den Gefäßwänden ab) 4. Liquorzirkulationsstörungen 5. Raumforderungen (z..B. Abszesse, Granulome) Auch bei entzündlichen Prozessen ist die symptomatische Unterscheidung zwischen lokalem und globalem Hirndruck (s. Montag) zu unterscheiden. Lokaler Hirndruck kann bei raumfordernden Prozessen, Blutungen, aber auch bei besonderer Präferenz bestimmter viraler Erreger für bestimmte Hirnregionen (z.B. Herpesencephalitis) durch das lokale Ödem entstehen. In jedem Fall ist eine morphologische Abklärung der entzündlichen Erkrankungen notwendig: 1. Liquorzytologie 2. Biopsie des raumfordernden Prozesses Beide Untersuchungsmethoden liefern wichtige Hinweise auf die Art des Erregers und ermöglichen damit eine gezielte Untersuchung nach dem Verursacher. Weitere Ergänzungen von Symptomen, Therapie und klinischen Merksätzen durch Prof. Melms Neoplastische Intrakranielle Neoplastische Prozesse(Freitag) Vorbemerkungen: Hirndruck tritt bei neoplastischen Prozessen nicht nur durch hirneigene Prozesse auf, sondern durch alle Neoplasien die innerhalb der Schädelkapsel auftreten. Diese Hirndrucksymptomatik kann folgende Ursachen haben: 1. Raumforderung der Neoplasie 2. Ödem (vor allen Dingen des umgebenden Gewebes) 3. Blutung durch den Tumor 4. Liquorzirkulationsstörung (auch Resorbtionsstörungen durch neoplastische Meningeosen) 5. begleitende Entzündung Hirndruck kann sich bei neoplastischen Prozessen langsam entwickeln (zumeist bei gutartigen Neoplasien) oder perakut (meistens bei malignen Prozessen, bei gutartigen Prozessen durch Einblutungen). Wichtig: Die Diagnose intracranieller neoplastischer Prozesse kann nur durch Histologie gesichert werden. Nur hierdurch kann neben der operativen Entfernung die Notwendigkeit gezielter zusätzlicher Therapien (Bestrahlung, Chemotherapie) festgelegt werden. Dieses ist allein anhand der bildgebenden diagnostischen Verfahren nicht möglich. Gewebe wird im Allgemeinen gewonnen durch: 1. während der therapeutischen Operation zur Entfernung der Raumforderung 9 Version 1.5 2. durch gezielte durch Punktion gewonnene Biopsie, allein zur Diagnostik Liquorzytologie dient zur Sicherung, ob es zu einer Aussaat von Tumorzellen in den Liquorraum gekommen ist. Intracranielle Tumoren (nicht metastatische Prozesse) werden einer internationalen Übereinkunft unter Federführung der World Health Organisation (WHO) hinsichtlich ihres Wachstumsverhaltens und ihrer Aggressivität in 4 Dignitätsstufen eingeteilt. I II III IV benigne semibenigne semimaligne maligne Fast alle hirneigenen Tumoren sind mindestens dem Grad II zuzuordnen, da gliale hirneigene Tumoren zwar praktisch kaum metastasieren, aber sehr weit in das gesunde Hirn hineinmigrieren. Eine radikale Entfernung dieser Tumoren ist deshalb nicht möglich (Ausnahmen z.B. pilozytisches Astrozytom, myxopapilläres Ependymom des Filum terminale). Dieser Umstand macht deutlich, warum die Neurochirurgen sich sehr viele Gedanken über den Zugang zu einem Tumor und die Operabilität machen müssen (s. unten). Epidemiologie, klinische Symptome, Therapieoptionen vor allen Dingen unter dem Aspekt Hirndruck bitte durch die Dozenten Herrlinger/Steinbach/Wick ergänzen Bildgebende Diagnostik bitte durch PD Dr. Nägele ergänzen Für den Neurochirurgen wichtig ist: Wo liegt der Tumor? Oberflächlich - in der Tiefe? In wichtigen Hirnarealen (Hirnstamm, Sprachzentrum, Zentralregion, Sehzentrum)? Konsistenz des Tumors: Hart, weich, flüssig Abgrenzbarkeit zum gesunden Hirngewebe: Gut abgrenzbar (Farbe Konsistenz, Kapsel) Unscharf abgrenzbar, infiltrierend. Meist nicht „im Gesunden“ absetzbar. Durchblutung des Tumors. Schonung der Gefässe, die gesundes Hirngewebe versorgen. Tumor wird meist nicht „in toto“ entfernt, sondern ausgehöhlt und dann vom gesunden Gewebe abgelöst. Möglichkeit der stereotaktischen Biopsie bei inoperablen Tumoren in der Tiefe, im Hirnstamm oder in funktionell wichtigen Arealen. Korrigiert 26.09.2006 Bernd E. Will 10 Version 1.5 Korrigiert 4.10.06 Richard Meyermann 11 Version 1.5