Vorsicht Migräne-Attacke! Wenn nicht nur der Kopf schmerzt Attackenförmig und meist einseitig treten die Migrägekopfschmerzen auf. Der pulsierende Schmerz hält bis zu 72 Stunden an, wird durch körperliche Aktivitäten verstärkt und ist mit einem hohen Ruhebedürfnis verbunden. Damit noch nicht genug, leiden die Patienten an sogenannten autonomen Begleitsymptomen, wie Übelkeit, Erbrechen, Licht-, Lärm- und Geruchsüberempfindlichkeit. Dr. Christine Bartenstein, Fachärztin für Neurologie und Psychologie, behandelt in ihrer Praxis in Götzis fast täglich Migränepatienten. Ein Interview über „einfache“ Migräneanfälle, Auren, die Wichtigkeit der genauen Diagnose sowie verschiedene Behandlungsmöglichkeiten – von Schmerzmitteln bis zur Vermeidung von sogenannten Triggern. Frau Dr. Bartenstein, was ist der Unterschied zwischen Migräne und „einfachen Kopfschmerzen“? Für eine Migräne typisch sind sogenannte autonomen Begleitsymptome, wie Übelkeit, Erbrechen, Licht-, Lärm und Geruchsüberempfindlichkeit, verbunden mit einem Ruhebedürfnis, mit Vermeidung jeglicher körperlicher Aktivität. Diese Symptome fehlen bei einfachen Kopfschmerzen. Und wie äußern sich die Kopfschmerzen bei Migränepatienten? Typisch sind attackenförmig auftretende Kopfschmerzen mit einer Dauer von vier bis zu 72 Stunden, wobei es sich im Wesentlichen um einen einseitigen Schmerz handelt. Grundsätzlich können die Schmerzen aber auch beidseits auftreten oder die Seite wechseln. Der Schmerzcharakter ist pulsierend, von mittlerer bis starker Intensität und wird durch körperliche Aktivität verstärkt. In Verbindung mit den autonomen Begleiterscheinungen wird diese Art der Migräne als „einfache“ bzw. „gewöhnliche Migräne“ bezeichnet und ist die häufigste Form der Migräne. In dem Fall gibt es auch noch eine andere Art der Migräne? Ja, bei etwa 15 Prozent aller Patienten tritt die sogenannte „Migräne mit Aura“ auf. Früher nannte man diese Art „Migräne accompagnée“ oder „klassische“ Migräne. Diese Patienten leiden nicht nur an Kopfschmerzen und autonomen Begleitsymptomen sondern auch an weiteren Symptomen. Es handelt sich dabei meist um neurologische, also das Nervensystem betreffende, Reiz- und Ausfallserscheinungen, die insbesondere vor der eigentlichen Schmerzphase auftreten. Es kommt zum Beispiel zu Sehstörungen, Gefühlsstörungen, Lähmungen oder zu anderen neurologischen Defiziten, beispielsweise Sprachstörungen. Die häufigsten Störungen sind visuelle Phänomene, insbesondere Gesichtsfelddefekte, weiße gezackte Linien, die in der Mitte des Gesichtsfeldes beginnen und langsam größer werden. Diese Krankheitszeichen werden eben als „Aura“ bezeichnet, sie entstehen innerhalb eines kurzen Zeitraumes von fünf bis 20 Minuten und sistieren, das heißt enden in den meisten Fällen wieder vollständig innerhalb von 60 Minuten. Parallel oder innerhalb von 60 Minuten nach dem Sistieren der Aura, setzen dann die typischen Kopfschmerzen sowie die jeweiligen autonomen Begleitsymptome ein. In seltenen Fällen kann die Aurasymptomatik auch isoliert, das heißt ohne Kopfschmerzen, auftreten. Ist es für die Patienten denn wichtig, zu wissen, unter welcher Art von Migräne sie leiden? Meines Erachtens ist es wichtig, dass sie es wissen, da gerade das Auftreten von neurologischen Symptomen zu einer erheblichen Verunsicherung führen kann und die neurologischen Symptome auf die übliche Migränemedikation nicht ansprechen. Außerdem äußern sich Migräneanfälle nicht immer gleich. Die Patienten haben zum Teil nur einfache Migräneanfälle, andererseits auch isolierte Auren oder Aura, mit anschließender Migräne. Wie wird festgestellt, dass man an Migräne leidet? Die Diagnose der Migräne wird im Wesentlichen durch anamnestische Angaben bzw. seine gesundheitliche Vorgeschichte festgestellt. Es ist also sehr wichtig, dass sich die Patienten selbst beobachten. Allerdings sollte beim erstmaligen Auftreten neurologischer Symptome, wie ich sie vorhin unter anderem beschrieben habe, auch an einen epileptischen Anfall oder an eine Transitorische ischämische Attacke (TIA) gedacht werden. Unter ein TIA versteht man vorübergehende neurologische Ausfallserscheinungen, die nicht länger als 24 Stunden anhalten. Im Anschluss an diese neurologischen Symptome kommt es aber in der Regel nicht zu den beschriebenen Kopfschmerzen mit sogenannten vegetativen Begleitsymptomen – mit Ausnahme des migränösen Infarktes (Anm.: Ein migränöser Infarkt liegt vor, wenn ein durch Blutmangel bedingter Hirninfarkt bzw. Schlaganfall nachweisbar ist, oder die Aurasymptomatik, also das anfängliche Krankheitszeichen der Migräne, nicht innerhalb von sieben Tagen völlig abklingt). Um andere Krankheit ausschließen zu können, ist es wichtig, verschiedene Untersuchungen durchzuführen. Es könnte sich beispielsweise auch um eine Gefäßmalformation (Anm.: Eine Fehlbildung eines oder mehrerer Blut- oder Lymphgefäße) handeln. Daher sollte einmalig eine Messung der Hirnströme (EEG) sowie ein MRTUntersuchung des Schädels mit Angiomode durchgeführt werden. Unter MRT-Untersuchung bzw. unter einer Magnetresonanztomographie versteht man ein bildgegebenes Verfahren, das vor allem in der medizinischen Diagnostik zur Darstellung von Struktur und Funktion der Gewebe und Organe im Körper eingesetzt wird. Mit der MRT kann man Schnittbilder des menschlichen Körpers erzeugen, die eine Beurteilung der Organe und vieler krankhafter Organveränderungen erlauben. Wenn also andere Dinge ausgeschlossen werden können, spricht man von Migräne? Nun, das ist oft der Fall, wenn es um Krankheitsbestimmung geht. Man spricht dabei von einer Differenzialdiagnose. Damit bezeichnet man die Gesamtheit aller Diagnosen, die als Erklärung für ein Symptom bzw. Krankheitszeichen oder eine Kombination mehrerer Symptome möglich sind. Wie wird Migräne behandelt? Einerseits wird Migräne medikamentös behandelt. Wichtig ist dabei, dass bereits frühzeitig ein sogenanntes Antiemetikum bzw. ein Medikament gegen Übelkeit und Erbrechen – zum Beispiel Metoclopramid 10mg – verabreicht wird. in der weiteren Folge bekommen die Patienten ein Schmerzmittel, zum Beispiel Aspro-C-Brause, Paracetamol oder Ibuprofen. Bei fehlender Wirkung können auch Triptane verabreicht werden. Triptane sind Arzneistoffe, die speziell für die Akutbehandlung von Migräne und Clusterkopfschmerz entwickelt werden. Wenn die Patienten Triptane nehmen, muss stets auf Kontraindikationen geachtet werden. Das heißt, dass bei der Einnahmen eines Medikamentes auch unerwünschte Nebenwirkungen auftreten können. Im Großen und Ganzen geht es dabei um Hypertonie, also erhöhter Hirn- oder Blutdruck, Koronare Herzkrankheiten und Herzrhythmusstörungen. Auch das Alter spielt eine Rolle, so wird Menschen über 65 und Jugendlichen unter 17 Jahren von Triptanen eher abgeraten, ebenso auch wenn Patienten zuvor Ergotamine oder ein Migräne-Medikament eingenommen haben. Bei einer Attackenfrequenz von mehr als zwei Attacken pro Monat sowie einer Dauer der Attacken von mehr als drei Tagen, bei Problemen mit der Akutmedikation, komplizierten Migräneverläufen und bei zunehmendem Bedarf an Akutmedikation wird oft auch eine sogenannte Prophylaxetherapie angedacht. Das heißt, dass vorbeugend Medikamente, wie Betablocker, Calciumantagonisten, Antidepressiva und Antiepileptika, eingenommen werden. Und andererseits, also neben den Medikamenten? Andererseits empfehle ich Ruhe, Schlaf, kalte Kompressionen sowie die Vermeidung von Licht, Lärm und Gerüchen, weil dadurch die Migräneattacken unter anderem verstärkt werden könnten. Ebenso sollten die Patienten sogenannte Trigger vermeiden. Darunter versteht man Faktoren und Substanzen, die einen Migräne-Anfall auslösen können. Trigger sind beispielsweise Stress und Schlafmangel, aber auch bestimmte Nahrungsmittel können Migräne verursachen. Bei etwa fünf Prozent der betroffenen Frauen ist Migräne auch vom weiblichen Zyklus abhängig. Manche Patienten machen auch das Wetter verantwortlich, auch wenn es dafür keine Beweise gibt. Aber dies zeigt, dass Jeder selber herausfinden muss, welche Faktoren einen Migräneanfall heraufbeschwören können und diese Reize gilt es abzuschirmen. Die Vermeidung von Triggern hilft übrigens auch Migräneanfällen vorzubeugen. Liegt Migräne in der Familie? Bei der Migräne liegen genetische Faktoren vor, wobei sehr wahrscheinlich mehrere Gene involviert sind. Allerdings konnte bis heute noch kein eindeutig genetischer Defekt angegeben werden, mit Ausnahme der familiär hemiplegischen Migräne (Anm.: Hemiplegie ist die komplette Lähmung einer Körperseite). Hier konnte ein nachgewiesen werden, dass es sich um einen Defekt auf dem Chromosom 19 handelt. Warum tritt Migräne bei Frauen etwa drei Mal häufiger als bei Männern auf? Gibt es Zahlen? Migräne zählt mit einer Prävalenz bzw. einer Krankheitshäufigkeit von zwölf bis 14 Prozent in der weiblichen Bevölkerung und circa fünf bis acht Prozent in der männlichen Bevölkerung zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen. Die Ursache, warum Frauen häufiger betroffen sind als Männer, ist jedoch nicht bekannt. Allerdings können solche Phänomene oft bei neurologischen Erkrankungen beobachtet werden, so tritt beispielsweise der Clusterkopfschmerz gehäuft bei Männern auf.