Dirk Hachenberger Mathematik für Informatiker ein Imprint von Pearson Education München • Boston • San Francisco • Harlow, England Don Mills, Ontario • Sydney • Mexico City Madrid • Amsterdam Abbildungen, Äquivalenzen und Ordnungen 3.2 Der Abbildungsbegriff . . . . . . . . . . . . . 68 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3.3 Besonderheiten bei endlichen Mengen 3.4 Gleichmächtigkeit . . . . . 76 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 3.5 Ordnungsrelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Äquivalenzrelationen 3.7 Exkurs . 82 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3.8 Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3 ÜBERBLICK 3.1 Grundlagen über Relationen 3 ABBILDUNGEN, ÄQUIVALENZEN UND ORDNUNGEN Relationen sind sehr allgemeine Objekte und treten daher in vielfältiger Ausprägung fast überall in der Mathematik und der Informatik auf. Wir werden in diesem Kapitel unter anderem die drei wichtigsten Klassen von Relationen kennen lernen. Diese sind Abbildungen, Äquivalenzrelationen und partielle Ordnungen. 3.1 Grundlagen über Relationen Im vorliegenden einleitenden Abschnitt werden wir ganz allgemeine Relationen betrachten. Es seien M und N zwei Mengen. Eine binäre Relation zwischen M und N ist eine Teilmenge des kartesischen Produktes M × N. Ist M = N, so spricht man von einer binären Relation auf M. Definition 3.1.1 Allgemeiner versteht man unter einer n-ären Relation zwischen den Mengen M1 , M2 , … , Mn eine Teilmenge des kartesischen Produktes ×ni=1 Mi , während eine n-äre Relation auf M eine Teilmenge von M n ist. Da eigentlich alle hier zu betrachtenden Relationen binär sind, lassen wir das Adjektiv „binär“ im Folgenden einfach weg. Die Bezeichnungen für Relationen sind je nach Art recht unterschiedlich: Abbildungen werden oft mit f , g, h bezeichnet; für Äquivalenzrelationen verwendet man . vorwiegend symmetrische Symbole wie ≈, ≡, ∼ =, =, #; partielle Ordnungen werden häufig mit einseitigen Symbolen wie $, ≤, %, →, , &, |= bezeichnet. Ist R ⊆ M × N eine Relation, so schreibt man (je nach Art) für (α, β) ∈ R auch einfach αRβ. Beispielsweise ist die Formel α ∼ β sicher angenehmer zu lesen als (α, β) ∈ ∼, und a ≤ b ist vertrauter als (a, b) ∈ ≤. Bevor wir in den folgenden Abschnitten ins Detail gehen, führen wir zwei Begriffe für allgemeine Relationen ein. Definition 3.1.2 Ist R ⊆ M × N eine Relation, so nennt man die Relation Rκ := {(y, x) : (x, y) ∈ R} ⊆ N × M die zu R gehörende konverse Relation oder auch Umkehrrelation von R. Offensichtlich ist (Rκ )κ = R. Man kann zwei Relationen zu einer dritten Relation verknüpfen. Es seien M, N und K Mengen. Ferner seien R ⊆ M × N eine Relation zwischen M und N und S ⊆ N × K eine Relation zwischen N und K. Davon ausgehend definiert man eine Relation R S Definition 3.1.3 68 3.1 Grundlagen über Relationen zwischen M und K durch R S := {(x, z) ∈ M × K : ∃y ∈ N mit ((x, y) ∈ R) ∧ ((y, z) ∈ S)} . Man nennt RS die Verkettung bzw. Hintereinanderausführung bzw. Komposition der Relationen R und S. Beispiel zu Definition 3.1.3 Seien M := {x, y, z}, N := {a, b, c, d} und K := {U, V, W}. Ferner seien R := {(x, a), (y, a), (y, b), (z, b), (z, c), (z, d)} und S := {(a, U), (a, V), (b, U), (c, W), (d, V), (d, W)}. Dann ist R S = {(x, U), (x, V), (y, U), (y, V), (z, U), (z, V), (z, W)}. Notation 3.1.4 Es sei gleich erwähnt, dass bei der Komposition von Abbildungen (siehe Abschnitt 3.2) das Symbol ◦ anstelle von verwendet wird und dass in der Notation die Reihenfolge der zu verknüpfenden Abbildungen umgekehrt wird. Daher definieren wir schon jetzt S ◦ R := R S . Offenbar gilt (R S)κ (3.1) = Sκ Rκ und S ◦ R = Rκ ◦ Sκ . Bemerkung 3.1.5 Ist V eine endliche Menge und → eine Relation auf V, so ist auch → endlich, weshalb man das Objekt (V, →) häufig graphisch darstellt, indem man die Elemente von V als Punkte in der Ebene repräsentiert und zwei Punkte x, y aus V dann durch einen gerichteten Pfeil oder Bogen von x nach y verbindet, wenn gerade x → y gilt, d. h., wenn x und y in Relation stehen. Die Elemente von V nennt man in diesem Zusammenhang auch Punkte oder Ecken oder Knoten; die Elemente aus → heißen dann gerichtete Kanten. Das Objekt (V, →) nennt man einen gerichteten Graphen. In der folgenden Figur sind die beiden Relationen R und S aus dem Beispiel zu Definition 3.1.3 gleich zu einem gerichteten Graphen zusammengefasst. Die verkettete Relation R S besteht nun aus allen Paaren, für die es einen gerichteten Weg von der ersten zur zweiten Komponente gibt. Beispielsweise ist y → b → U ein solcher Weg von y nach U, weshalb (y, U) zu R S gehört. a x U b y V c z W d Abbildung 3.1: Eine Verkettung von Relationen als gerichteter Graph 69 3 ABBILDUNGEN, ÄQUIVALENZEN UND ORDNUNGEN Auf das umfassende und interessante Gebiet der algorithmischen Graphentheorie, welche im Schnittfeld zwischen Informatik und Mathematik anzusiedeln ist, können wir im Rahmen dieses Textes leider nicht eingehen. Zusammen mit den wichtigsten Datenstrukturen wird dieser Themenkomplex aber auch in den Informatik-Grundvorlesungen abgedeckt. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf die Lehrbücher von Jungnickel [13] und von Ottmann und Widmayer [22]. 3.2 Der Abbildungsbegriff Abbildungen (auch eindeutige Zuordnungen oder Funktionen genannt) sind Objekte, die uns informell bereits in den ersten beiden Kapiteln begegnet sind, weil sie in der Mathematik einfach eine zentrale Rolle spielen. Daher wird es höchste Zeit, den Abbildungsbegriff zu formalisieren. Wir starten dazu mit einigen Begriffen, die möglicherweise bereits aus der Informatik-Grundvorlesung bekannt sind. Definition 3.2.1 Eine binäre Relation R ⊆ M × N heißt 1 linkstotal, wenn zu jedem x ∈ M ein y ∈ N existiert mit (x, y) ∈ R; kurz: ∀x∈M ∃y∈N : (x, y) ∈ R; 2 rechtseindeutig, falls aus (x, y1 ), (x, y2 ) ∈ R folgt y1 = y2 ; kurz: ((x, y1 ) ∈ R) ∧ ((x, y2 ) ∈ R) ⇒ y1 = y2 ; 3 rechtstotal, falls gilt: ∀y∈N ∃x∈M : (x, y) ∈ R; 4 linkseindeutig, falls gilt: ((x1 , y) ∈ R) ∧ ((x2 , y) ∈ R) ⇒ x1 = x2 . Eine Relation f zwischen M und N heißt eine Abbildung von M nach N, falls sie linkstotal und rechtseindeutig ist. Dies kann man kurz wie folgt ausdrücken (und sollte man sich so auch merken): Definition 3.2.2 Für alle x ∈ M gibt es genau ein y ∈ N mit (x, y) ∈ f . In logischen Symbolen verwendet man für den Ausdruck es gibt genau ein häufig das Symbol ∃1 . Demnach ist die Abbildungseigenschaft einer Relation f durch die logische Formel ∀(x∈M) ∃1(y∈N) : (x, y) ∈ f beschrieben. Bemerkung 3.2.3 1 Wie eingangs erwähnt, werden Abbildungen häufig mit dem Symbol f bezeichnet. Zur Spezifikation der Bereiche M und N schreibt man f: M →N. Die Menge M heißt der Definitionsbereich von f , während N der Bildbereich von f ist. 70 3.2 Der Abbildungsbegriff 2 Das zu jedem x ∈ M gehörende eindeutige y ∈ N mit (x, y) ∈ f wird meist mit f (x) bezeichnet (hin und wieder findet man auch die Bezeichnungen fx oder x f ). Man nennt f (x) das Bild von x unter f . Häufig ergibt sich f (x) aus x durch eine ganz konkrete Rechen- oder Funktionsvorschrift, beispielsweise f (x) = x 2 + 3x − 7. Für x = 27 ist dann f (x) = f ( 27 ) = − 297 49 . Solche Arten von Abbildungen sind aus der Schule bestens bekannt, wo man sie als Funktionen kennen gelernt hat, was die Bezeichnung f rechtfertigt. Bei konkreten Funktionsvorschriften verwendet man daher auch die Notation f : M → N, x (→ f (x) ; man liest: f ist die Abbildung von M nach N, die x nach f (x) abbildet. Beim obigen Beispiel, wo f ja auf ganz R definiert ist, würde man dann f : R → R , x ( → x 2 + 3x − 7 schreiben. Die Variable x kann natürlich ebenso wie die (überstrapazierte) Bezeichnung f durch ein beliebiges Symbol ersetzt werden. So ist etwa Γ : Q+ \ {3, 4, 5} → R , ω (→ √ ω + ω3.1415 3 ω − 12ω2 + 47ω − 60 ebenfalls eine Abbildung. 3 Unter dem Bild von f versteht man die Teilmenge der Elemente u von N, für die es ein x ∈ M mit f (x) = u gibt; das Bild von f werden wir mit Bild(f ) bezeichnen. 4 Abbildungen f : M → N, wobei M und N Teilmengen von R sind (das war in der Schule sicher fast immer der Fall), stellt man in der euklidischen Ebene R2 graphisch als die Menge Gf := {(x, f (x)) : x ∈ M} dar, also als die Menge aller Punkte des R2 mit den Koordinaten x (die x-Koordinate) und f (x) (die y-Koordinate). Man nennt Gf den Graphen der Funktion f . Beispielsweise ist {(x, 4x+1) : x ∈ R} die Gerade mit Steigung 4 und Bild- bzw. y-Achsenabschnitt 1, siehe die folgende Graphik. 71 3 ABBILDUNGEN, ÄQUIVALENZEN UND ORDNUNGEN 10 8 6 4 2 –4 –2 0 –2 2 4 x –4 –6 –8 –10 Zwei Abbildungen f : M → N und g : M → N sind gleich, wenn f (x) = g(x) für alle x aus M gilt. 5 Es folgen nun einige spezielle Eigenschaften von Abbildungen. Definition 3.2.4 Eine Abbildung f : M → N heißt 1 injektiv, falls sie linkseindeutig ist. Zum Nachweis der Injektivität ist also Folgendes zu zeigen: Sind a, b ∈ M mit f (a) = f (b), so folgt a = b; 2 surjektiv, falls sie rechtstotal ist. Zum Nachweis der Surjektivität muss man zeigen: Für jedes y ∈ N gibt es ein x ∈ M mit f (x) = y; 3 bijektiv, falls sie injektiv und surjektiv ist. Anders ausgedrückt: Zu jedem y ∈ N gibt es genau ein x ∈ M mit f (x) = y. Eine Bijektion nennt man daher auch eine eineindeutige Zuordnung. Ein anderes Synonym für bijektive Abbildung auf einer Menge M ist (insbesondere wenn M endlich ist) der Begriff Permutation. Beispiele zu 3.2.4 Betrachten wir einige Beispiele, die uns (teilweise) in den ersten beiden Kapiteln begegnet sind. 72 3.2 Der Abbildungsbegriff 1 Die Abbildung h : N → Z sei definiert durch ⎧ ⎨ x+1 , falls x ungerade 2 h(x) := ⎩− x , falls x gerade. 2 Wir behaupten, dass h bijektiv ist. Zunächst zur Injektivität. Es seien x, y ∈ N mit y h(x) = h(y). Falls x ungerade und y gerade ist, so folgt − 2 = x+1 2 , also −y = x +1, was wegen −y ≤ 0 < 1 ≤ x + 1 ein Widerspruch ist. Entsprechend ergibt sich ein Widerspruch, wenn y ungerade und x gerade ist. Sind x und y beide gerade, y so folgt − x2 = − 2 , was x = y impliziert. Sind x und y beide ungerade, so erhält y+1 x+1 man 2 = 2 ; erneut zeigt eine einfache Termumformung, dass dann x = y ist. Insgesamt ergibt dies die Injektivität von h. Nun zur Surjektivität. Es sei z ∈ Z beliebig. Wir müssen ein x ∈ N präsentieren mit h(x) = z. Falls z ≤ 0, so setze x := 2 · |z|. Dann ist x gerade und daher h(x) = − 2|z| = −|z| = −(−z) = z . 2 Falls z > 0, so setze x := 2z − 1. Dann ist x ungerade und daher h(x) = 2z − 1 + 1 =z. 2 Insgesamt folgt, dass h auch surjektiv und damit auch bijektiv ist. 2 Der Betrag (auch Absolutbetrag, siehe Bemerkung 2.3.2) auf Z ist eine Abbildung |.| : Z → N. Beispielsweise ist |17| = 17 = | − 17|, weshalb der Betrag nicht injektiv ist. Allerdings ist |.| wegen |n| = n für alle n ∈ N surjektiv. 3 Es sei P (M) die Potenzmenge einer Menge M. Die Komplementbildung X ( → X c ist eine Abbildung auf P (M). Sie ist offensichtlich injektiv. Wegen (X c )c = X ist sie auch surjektiv, so dass es sich also um eine Bijektion handelt. 4 Die Nachfolgerfunktion succ : N → N, definiert durch succ(n) := n + 1, ist eine injektive, aber keine surjektive Abbildung; Letzteres weil succ(x) = 0 für alle x ∈ N ist. Die Abbildung succ∗ hingegen, definiert durch succ∗ : N → N∗ , n → succ(n), ist injektiv und surjektiv, also bijektiv. 5 Der Prototyp einer bijektiven Abbildung von einer Menge M in sich selbst ist die identische Abbildung auf M, Bezeichnung: idM . Diese ist durch idM : M → M, x (→ x definiert. Ist f : M → N eine Abbildung und y ∈ N, so versteht man unter dem Urbild von y unter f (Bezeichnung: f −1 (y)) die Menge aller x aus M, die unter f auf y abgebildet werden: f −1 (y) := {x ∈ M : f (x) = y} ⊆ M. Definition 3.2.5 73 3 ABBILDUNGEN, ÄQUIVALENZEN UND ORDNUNGEN Die Urbilder einer Abbildung f : M → N bilden ein interessantes Mengensystem über M. Lemma 3.2.6 Sind M und N beliebige nichtleere Mengen und ist f : M → N eine Abbildung, so ist das Mengensystem der Urbilder von f , also {f −1 (y) : y ∈ N} ⊆ P (M) , eine Partition des Definitionsbereiches M, weshalb man von der Urbildpartition von M unter f spricht.1 Beweis. Sind y, z ∈ N verschieden, so kann wegen der Rechtseindeutigkeit von f kein x ∈ f −1 (y)∩f −1 (z) existieren, denn dann wären ja (x, y) und (x, z) beides Elemente von f (also f (x) = y = z = f (x)). Also ist {f −1 (y) : y ∈ N} ein disjunktes Mengensystem. Wegen x ∈ f −1 (f (x)) ist jedes x ∈ M in (genau) einer der Urbildmengen enthalten, weshalb eine Partition vorliegt. Beispiel zu Lemma 3.2.6 Der Leser möge sich an dieser Stelle an die aus der Schule bekannte Kreiszahl π und die Sinus-Funktion erinnern. Es sei f die folgendermaßen definierte Abbildung: π · n f : N → R , n ( → sin . 2 Dann ist Bild(f ) = {−1, 0, 1} und es gilt f −1 (0) = {n ∈ N : n ist gerade} , f −1 (1) = {n ∈ N : n mod 4 = 1} , f −1 f (−1) = {n ∈ N : n mod 4 = 3} , −1 (r) = ∅ für alle von 0, 1, −1 verschiedenen r ∈ R . Anhand von Urbildmengen erhält man unmittelbar die folgenden nützlichen Charakterisierungen für injektive bzw. surjektive bzw. bijektive Abbildungen. Lemma 3.2.7 Es sei f : M → N eine Abbildung. 1 f ist genau dann surjektiv, wenn f −1 (y) = ∅ für alle y ∈ N ist, also wenn |f −1 (y)| ≥ 1 ist für alle y. 2 f ist genau dann injektiv, wenn |f −1 (y)| ≤ 1 für alle y ∈ N ist. 3 Folglich ist f genau dann bijektiv, wenn f −1 (y) für alle y ∈ N eine einelementige Menge ist. Bemerkung 3.2.8 An dieser Stelle müssen wir auf eine weitere Besonderheit bei der Notation für Abbildungen hinweisen. 1 Wenn wir uns an die Grundlagen aus Abschnitt 3.1 erinnern, so ist eine Abbildung g eine spezielle Relation. Die durch g −1 gekennzeichnete Urbildpartition beschreibt im Wesentlichen die zu g gehörende konverse Relation g κ . Die Relation g κ ist im Allgemeinen aber keine Abbildung! 1 Falls f surjektiv ist, so ist keine der Urbildmengen leer. 74 3.2 Der Abbildungsbegriff Ist g : M → N eine bijektive Abbildung, so ist g −1 (y) nach Lemma 3.2.7 (3) für jedes y einelementig. Ist beispielsweise g −1 (y) = {t}, so schreibt man einfach g −1 (y) = t. In diesem Sinne ist dann aber g −1 eine Abbildung von N nach M; man nennt sie die Umkehrabbildung von g. Es ist g −1 dann sogar selbst eine Bijektion, deren Umkehrabbildung (g −1 )−1 wiederum gleich g ist. 2 Fazit: Für eine Abbildung g ist g −1 nur dann selbst eine Abbildung, wenn g bijektiv ist; in diesem Fall ist g −1 ebenfalls bijektiv. Beispielsweise ist R → R, y (→ 14 y − 14 die Umkehrabbildung von R → R, x ( → 4x + 1. Wir wollen nun zeigen, dass die Verkettung ◦ (bzw. Hintereinanderausführung bzw. Komposition, siehe Notation 3.1.4) zweier Abbildungen wieder eine Abbildung liefert. Satz 3.2.9 Es seien f : M → N und g : N → K zwei Abbildungen. Dann gilt für die verkettete Relation g ◦ f ⊆ M × K : 1 g ◦ f ist eine Abbildung von M nach K und g ◦ f (x) = g(f (x)) für alle x ∈ M . 2 Sind f und g injektiv, so ist auch g ◦ f injektiv. 3 Sind f und g surjektiv, so ist auch g ◦ f surjektiv. 4 Sind f und g bijektiv, so ist auch g ◦ f bijektiv; in diesem Fall erfüllen die Umkehrabbildungen die Gleichung (g ◦ f )−1 = f −1 ◦ g −1 . Beweis. (1) Da die Abbildungseigenschaft erst gezeigt werden soll, müssen wir notgedrungen auf die allgemeine Relationenschreibweise zurückgreifen. Ist x ∈ M, so gibt es ein eindeutiges y ∈ N mit f (x) = y. Da g eine Abbildung ist, gibt es ein eindeutiges z ∈ K mit g(y) = z. Wegen (x, y) ∈ f und (y, z) ∈ g ist (x, z) ∈ f g = g ◦ f . Damit ist gezeigt, dass g ◦ f linkstotal ist. Ist neben (x, z) auch (x, z ) ∈ f g, so gibt es (neben y) ein y ∈ N mit (x, y ) ∈ f und (y , z ) ∈ g. Wegen der Rechtseindeutigkeit von f und (x, y) ∈ f ist y = y; wegen der Rechtseindeutigkeit von g und (y, z) ∈ g ist z = z. Also ist g ◦ f rechtseindeutig, insgesamt also eine Abbildung. Wegen y = f (x) haben wir gleichzeitig nachgewiesen, dass g ◦ f (x) = g(f (x)) ist. (2) Wir nehmen nun an, dass f und g injektiv sind. Falls g ◦ f (x1 ) = g ◦ f (x2 ), so gilt g(f (x1 )) = g(f (x2 )). Aufgrund der Injektivität von g folgt f (x1 ) = f (x2 ). Da auch f injektiv ist, folgt x1 = x2 . Das beweist die Injektivität von g ◦ f . (3) Es seien f und g surjektiv. Ist z ∈ K, so gibt es wegen der Surjektivität von g ein y ∈ N mit g(y) = z. Da auch f surjektiv ist, gibt es ein x ∈ M mit f (x) = y. Also ist z = g(f (x)) = g ◦ f (x), so dass auch g ◦ f surjektiv ist. (4) Aus (2) und (3) folgt die Bijektivität von f ◦ g, wenn f und g beide bijektiv sind. Für x ∈ M sei wieder y = f (x) ∈ N und z = g(y) = g ◦ f (x) ∈ K. Dann ist (g ◦ f )−1 (z) = x = f −1 (y) = f −1 (g −1 (z)) = f −1 ◦ g −1 (z) . Da dies für alle z ∈ K gilt, folgt (g ◦ f )−1 = f −1 ◦ g −1 . Bemerkung 3.2.10 Bei bijektiven Abbildungen f : M → N gilt insbesondere f −1 ◦f (x) = f −1 (f (x)) = x für alle x ∈ M und entsprechend f ◦ f −1 (x) = f (f −1 (y)) = y für alle 75 3 ABBILDUNGEN, ÄQUIVALENZEN UND ORDNUNGEN y ∈ N. Das bedeutet aber nichts anderes, als dass f ◦ f −1 = idM und f −1 ◦ f = idN gilt (siehe auch Beispiel (5) zu Definition 3.2.4). Umgekehrt ist f : M → N eine Bijektion, wenn eine Abbildung g : N → M mit f ◦ g = idN und g ◦ f = idM existiert (Übung). In Bezug auf Satz 3.2.9 sei noch bemerkt, dass man die konkrete Funktionsvorschrift einer verketteten Abbildung durch Einsetzen der jeweiligen Funktionsvorschriften erhält. So ist etwa bei den reellwertigen Funktionen f (x) := x 2 + 4 und g(x) := −x − 2 und h(x) := sin(x) die Verkettung h ◦ g ◦ f (x) gleich h(g(f (x))) = h(g(x 2 + 4)) = h(−(x 2 + 4) − 2) = sin(−(x 2 + 4) − 2) = sin(−x 2 − 6) . 3.3 Besonderheiten bei endlichen Mengen Wir wollen in diesem Abschnitt untersuchen, wann es Injektionen, Surjektionen und Bijektionen zwischen zwei gegebenen endlichen Mengen gibt. Beginnen wir gleich mit dem Hauptresultat, welches auf Lemma 3.2.7 basiert. Satz 3.3.1 Es seien M und N endliche Mengen mit |M| = m ≥ 1 und |N| = n ≥ 1. Dann gelten die folgenden drei Aussagen. 1 Es gibt eine surjektive Abbildung von M nach N ⇔ m ≥ n. 2 Es gibt eine injektive Abbildung von M nach N ⇔ m ≤ n. 3 Es gibt eine bijektive Abbildung von M nach N ⇔ m = n. Beweis. Betrachten wir zunächst eine Abbildung f : M → N. Nach Lemma 3.2.7 ist das Mengensystem {f −1 (y) : y ∈ N} der Urbilder disjunkt; ferner gilt M = ∪y∈N f −1 (y). Mit der Summenregel (Beispiel 2.1.11) erhält man daher f −1 (y) . m = |M| = y∈N Wir können nun die Implikationen ⇒ der Aussagen (1), (2) und (3) mit den Charakterisierungen gemäß Lemma 3.2.7 folgendermaßen beweisen: Ist f surjektiv, so ist |f −1 (y)| ≥ 1 für alle y ∈ N und daher m ≥ y∈N 1 = |N| = n. Ist f injektiv, so ist |f −1 (y)| ≤ 1 für alle y ∈ N und daher m ≤ y∈N 1 = |N| = n. Die Bijektivität von f impliziert somit m = n. Es bleibt für die Aussagen (1), (2) und (3) jeweils die umgekehrte Implikation ⇐ zu beweisen. Wir beginnen mit (3), nehmen |M| = |N| an und zeigen die Aussage mit Induktion über die Mächtigkeit der beiden Mengen M und N. Ist diese gleich 1, etwa M = {a} und N = {b}, so ist durch f (a) := b eine Bijektion von M nach N definiert. Wir nehmen induktiv an, dass es zwischen je zwei (n − 1)-elementigen Mengen eine Bijektion gibt. Es sei nun |M| = |N| = n ≥ 2; weiter seien s ∈ M und t ∈ N. Dann haben die Mengen M := M \ {s} und N := N \ {t} jeweils n − 1 Elemente. Nach Induktionsannahme gibt es eine Bijektion g : M → N . Wir definieren f : M → N 76 3.3 Besonderheiten bei endlichen Mengen durch ⎧ ⎨g(x) , falls x ∈ M f (x) := ⎩t , falls x = s . Dann ist f eine Bijektion von M nach N.2 Zu (2): Es sei m ≤ n. Wir wählen eine m-elementige Teilmenge K von N. Nach (3) gibt es eine Bijektion g : M → K. Definiert man f : M → N durch f (x) := g(x) für alle x aus M, so ist f injektiv. Zu (1): Es sei m ≥ n. Wir wählen eine n-elementige Teilmenge L von M und ein beliebiges Element y von N. Nach (3) gibt es eine Bijektion g : L → N. Wir definieren nun f : M → N durch ⎧ ⎨g(x) , falls x ∈ L f (x) := ⎩y , falls x ∈ M \ L . Dann ist f eine surjektive Abbildung von M nach N. Bemerkung 3.3.2 Sind n, m ∈ N mit n < m so gibt es nach Satz 3.3.1 keine injektive Abbildung von einer m-Menge in eine n-Menge. Dieser Sachverhalt ist auch unter dem Namen Taubenschlagprinzip bekannt: Hat man m Tauben und n Taubenhäuschen und setzt man jede Taube in ein Taubenhäuschen, so gibt es wenigstens ein Taubenhäuschen, in dem sich wenigstens zwei Tauben befinden.3 Die Verwendung des Mengensystems der Urbilder führt uns zu einem weiteren interessanten Ergebnis. Satz 3.3.3 Es seien M und N endliche Mengen mit |M| = |N|. Ist f : M → N eine Abbildung, so sind die folgenden drei Aussagen äquivalent: 1 f ist injektiv; 2 f ist surjektiv; 3 f ist bijektiv. Beweis. (1) ⇒ (2) und (1) ⇒ (3): Ist f : M → N injektiv, so gilt |f −1 (y)| ≤ 1 für alle y ∈ N und daher, unter der gegebenen Voraussetzung, |N| = |M| = f −1 (y) ≤ 1 = |N| . y∈N y∈N 2 In diesem Zusammenhang nennt man f eine Erweiterung von g und g die Einschränkung von f auf M . 3 Man probiere das einmal aus. Wer keine Tauben hat, kann versuchen, m Bälle in n Säcke zu werfen. 77 3 ABBILDUNGEN, ÄQUIVALENZEN UND ORDNUNGEN Die Abschätzung ≤ muss daher in Wirklichkeit eine Gleichheit sein, denn < ergäbe einen Widerspruch. Gleichheit kann aber nur gelten, wenn |f −1 (y)| = 1 für alle y ∈ N ist. Das bedeutet aber, dass f bijektiv (siehe Lemma 3.2.7), insbesondere surjektiv ist. (2) ⇒ (1) und (2) ⇒ (3): Ist f surjektiv so gilt |f −1 (y)| ≥ 1 für alle y ∈ N und daher, unter der gegebenen Voraussetzung, f −1 (y) ≥ 1 = |N| . |N| = |M| = y∈N y∈N Die Abschätzung ist daher eine Gleichheit, was allerdings nur gelten kann, wenn |f −1 (y)| = 1 für alle y ∈ N ist. Das bedeutet erneut, dass f bijektiv, insbesondere injektiv ist. Die Implikationen (3) ⇒ (1) und (3) ⇒ (2) sind trivial. 3.4 Gleichmächtigkeit Im letzten Abschnitt haben wir gelernt, dass zwei endliche Mengen genau dann gleiche Mächtigkeit haben, wenn sie durch eine bijektive Abbildung ineinander überführt werden können. Dies wird als Ansatz genommen, um unendliche Mengen hinsichtlich ihrer Mächtigkeiten zu vergleichen. Zwei unendliche Mengen M und N heißen gleichmächtig oder von gleicher Kardinalität, wenn es eine bijektive Abbil dung von N nach M gibt.4 Definition 3.4.1 Es sei gleich bemerkt, dass dieser Ansatz zu dem Phänomen führt, dass es gleichmächtige unendliche Mengen M und N gibt, wobei N echte Teilmenge von M ist. Beispielsweise ist succ∗ : N → N∗ , n ( → n + 1 eine Bijektion, so dass N und N∗ im Sinne von Definition 3.4.1 gleichmächtig sind. In der Tat kann die Endlichkeit einer Menge L dadurch charakterisiert werden, dass keine echte Teilmenge von L bijektiv auf L abbildbar ist. Im Folgenden untersuchen wir die grundlegenden Zahlbereiche hinsichtlich der Gleichmächtigkeit. Satz 3.4.2 Die Mengen N der natürlichen Zahlen und die Menge Z der ganzen Zahlen sind gleichmächtig. Beweis. Wir haben in Beispiel (1) zu Definition 3.2.4 eine Bijektion h zwischen N und Z angegeben. Bemerkung 3.4.3 (Diagonalverfahren von Cantor) Zum Nachweis der Gleichmächtigkeit von N∗ und den positiven rationalen Zahlen Q+ verwendet man üblicherweise das Diagonalverfahren von Cantor: Man schreibt die Elemente von Q+ folgendermaßen in eine Tabelle (mit unendlich vielen Zeilen und Spalten). In der n-ten Zeile stehen 4 Man beachte, dass diese Eigenschaft aufgrund der Bijektivität der Umkehrabbildung symmetrisch in N und M ist. 78 3.4 Gleichmächtigkeit dabei alle Brüche nk (wachsend in k) mit ggT(k, n) = 1. Nun zählt man die positiven rationalen Zahlen ab, indem man die Diagonalen der Tabelle in Schlangenlinien durchläuft: 1 2 3 4 5 6 ... 1 2 3 2 5 2 7 2 9 2 11 2 ... 1 3 2 3 4 3 5 3 7 3 8 3 ... 1 4 3 4 ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... Das ergibt eine Bijektion von N∗ nach Q+ . Diese kann durch 0 (→ 0 zu einer Bijektion von N nach Q+ 0 fortgesetzt werden. Unter Verwendung einer Bijektion von N nach Q+ 0 und einer ähnlichen Argumentation wie im Beweis von Satz 3.4.2 (siehe Beispiel (1) zu Definition 3.2.4) können wir nun die Gleichmächtigkeit von N und Q nachweisen. Satz 3.4.4 Die Menge N der natürlichen Zahlen und die Menge Q der rationalen Zahlen sind gleichmächtig. Beweis. Es sei φ eine nach Bemerkung 3.4.3 existierende Bijektion von N∗ nach Q+ . Davon ausgehend definieren wir eine Abbildung ϕ : N∗ → Q∗ durch ⎧ ⎨φ( n ) , falls n gerade 2 ϕ(n) := ⎩−φ( n+1 ) , falls n ungerade. 2 Wir behaupten, dass ϕ eine Bijektion ist. Zur Injektivität: Annahme, ϕ(m) = ϕ(n). Dann sind entweder m und n beides gerade Zahlen oder beides ungerade Zahlen, andernfalls ist nämlich ein Bild positiv und ein Bild negativ. Falls beide gerade sind, n m n so ist φ( m 2 ) = φ( 2 ); die Injektivität von φ impliziert dann 2 = 2 , so dass m = n ist. m+1 n+1 Falls beide ungerade sind, so ist −φ( 2 ) = −φ( 2 ), woraus wieder die Gleichheit von m und n aus der Injektivität von φ folgt. Also ist ϕ injektiv. Zur Surjektivität: Sei x ∈ Q∗ . Falls x > 0, so gibt es ein y ∈ N∗ mit φ(y) = x. Demnach ist ϕ(2y) = φ(y) = x, so dass x als Bild unter ϕ angenommen wird. Falls x < 0, so ist −x > 0 und es gibt ein z ∈ N∗ mit φ(z) = −x. Nun ist 2z − 1 ∈ N∗ ungerade, so dass 2z − 1 + 1 ϕ(2z − 1) = −φ = −φ(z) = −(−x) = x 2 ist. Also werden auch negative rationale Zahlen als Bild unter ϕ angenommen. Daraus folgt die Surjektivität von ϕ und damit insgesamt die Bijektivität von ϕ, so dass N∗ und 79 3 ABBILDUNGEN, ÄQUIVALENZEN UND ORDNUNGEN Q∗ gleichmächtig sind. Erweitert man ϕ durch ϕ(0) := 0, so erhält man eine Bijektion von N nach Q. Definition 3.4.5 1 Eine Menge M heißt abzählbar unendlich, falls M und N gleichmächtig sind. Die Mächtigkeit von N wird häufig mit ℵ0 bezeichnet (lies: Aleph-Null). 2 Eine unendliche Menge, die nicht abzählbar unendlich ist, heißt überabzählbar. Wir haben nun gesehen, dass N∗ , N, Z∗ , Z, Q∗ und Q alles abzählbar unendliche Mengen sind. In der Tat ist eine Bijektion von N nach einer Menge M nichts anderes als eine Abzählung der Elemente von M (siehe das Diagonalverfahren). Dass es aber auch überabzählbare Mengen gibt, wird anhand der folgenden beiden Ergebnisse deutlich. Beispiel 3.4.6 Es sei J := {x ∈ R : 0 < x < 1} die Menge aller reellen Zahlen zwischen 0 und 1. Betrachte die folgende Abbildung: φ : J → R , x (→ x − 12 . x(x − 1) Mit Methoden der Analysis (Teil 3) kann man leicht zeigen, dass φ bijektiv ist: φ ist differenzierbar und damit stetig; die Ableitung von φ ist stets negativ, weshalb φ streng monoton fallend ist; ferner ist limx→∞ φ(x) = −∞ und limx→−∞ φ(x) = ∞). Nach Definition 3.4.1 sind demnach auch J und R gleichmächtig. Anhand des Graphen der Funktion φ kann man sich auch geometrisch sehr schnell von der Bijektivität überzeugen. Zieht man von irgendeinem Punkt t auf der y-Achse die Parallele zur x-Achse, so trifft diese Gerade die Kurve in genau einem Punkt (s, t), d. h., für alle t ∈ R gibt es genau ein s ∈ J mit φ(s) = t. Der zu t gehörende s-Wert ist natürlich die Projektion des Punktes (s, t) auf die x-Achse. 80 3.4 Gleichmächtigkeit 10 8 6 4 2 0 –2 0.2 0.4 0.6 0.8 x –4 –6 –8 –10 Satz 3.4.7 Die Menge N der natürlichen Zahlen und die Menge R der reellen Zahlen sind nicht gleichmächtig, weshalb R überabzählbar ist. Beweis. Es genügt zu zeigen, dass es keine bijektive Abbildung zwischen N und J gibt, wobei J wie in Beispiel 3.4.6 sei. Andernfalls würde nämlich die Hintereinanderausführung zweier bijektiver Abbildungen ω : N → J und φ : J → R nach Satz 3.2.9 (4) eine Bijektion φ◦ω : N → R ergeben. Wir führen einen Widerspruchsbeweis und gehen deshalb davon aus, dass ι : N → J eine Bijektion ist. Die nun folgende Beweismethode ist ebenfalls unter dem Namen Cantor’sches Diagonalverfahren bekannt.5 Wir benötigen etwas Schulwissen über die Dezimalbruchentwicklung reeller Zahlen (siehe dazu auch Abschnitt 14.4). Für jedes r ∈ J gibt es nach Voraussetzung ein eindeutiges k ∈ N mit r = ι(k). Weiterhin gibt es für r eine eindeutige, nicht mit der 9-er Folge endende Dezimalbruchentwicklung r = 0.a1 a2 a3 a4 …ai … mit ai ∈ {0, 1, … , 9} für alle i . Um das Urbild k von r unter ι schon bei der Notation ins Spiel zu bringen, notieren wir die Dezimalbruchentwicklung mit Doppelindizes: r = 0. αk,0 αk,1 αk,2 αk,3 αk,4 … αk,i … 5 Das Diagonalverfahren spielt auch in der theoretischen Informatik, etwa in der Theorie Turing-berechenbarer Funktionen, eine wichtige Rolle! Siehe beispielsweise Sander, Stucky und Herschel [25]. 81 3 ABBILDUNGEN, ÄQUIVALENZEN UND ORDNUNGEN Damit erhält man formal eine Abbildung α von N × N nach {0, 1, … , 9}, wobei αu,v die (v + 1)-ste Nachkommastelle der Dezimalbruchentwicklung von ι(u) ∈ J ist. Wir betrachten nun die zu α gehörende Diagonalfolge δ : N → {0, 1, … , 9}, j (→ αj,j und definieren davon ausgehend eine Folge β : N → {0, 1, … , 9} durch ⎧ ⎨0 , falls α = 1 n,n βn := ⎩1 , falls α = 1. n,n Nun ist s := 0.β0 β1 β2 β3 β4 …βi … eine wohldefinierte Zahl aus J, deren Dezimalbruchentwicklung gerade durch β beschrieben wird. Weiter sei s = ι(l). Demnach gilt nach Definition von α auch s = 0. αl,0 αl,1 αl,2 αl,3 αl,4 … αl,i … Aus der Eindeutigkeit der Dezimalbruchentwicklung erhält man somit βi = αl,i für alle i. Das gilt insbesondere für i = l, also βl = αl,l . Betrachten wir nun aber nochmals genau die Definition von β. Falls αl,l = 1, so ist βl = 0 = αl,l , und falls αl,l = 1, so ist βl = 1 = αl,l . Das ergibt in jedem Fall einen Widerspruch.6 Es folgt, dass keine bijektive Abbildung zwischen N und J existieren kann. Man kann zeigen, dass die Potenzmenge P (M) einer Menge M stets größere Mächtigkeit hat als M selbst (Übung). Daher ist P (N) ein weiteres Beispiel einer überabzählbaren Menge. 3.5 Ordnungsrelationen In den beiden verbleibenden Abschnitten dieses Kapitels studieren wir mit den Ordnungs- und Äquivalenzrelationen zwei weitere spezielle Arten von Relationen auf einer Menge M. Wir beginnen mit zwei grundlegenden Eigenschaften. Definition 3.5.1 Eine Relation ∼ auf einer Menge M heißt 1 reflexiv, falls a ∼ a für alle a ∈ M gilt, und 2 transitiv, falls für a, b, c ∈ M mit a ∼ b und b ∼ c stets a ∼ c folgt. Eine Relation, die reflexiv und transitiv ist, nennt man auch eine Quasi-Ordnung. Die einfachsten Quasi-Ordnungen auf M sind idM (also die Gleichheit auf M) und M × M. Wir werden natürlich gleich weitere Beispiele kennen lernen. Definition 3.5.2 Eine Relation $ auf einer Menge M heißt antisymmetrisch, falls für a, b ∈ M gilt: aus a $ b und b $ a folgt a = b. 6 Die Argumentation erinnert stark an den Barbier von Sevilla, siehe Abschnitt 1.5. 82 3.5 Ordnungsrelationen Definition 3.5.3 Eine Relation $ auf einer Menge M heißt eine partielle Ordnung, falls $ reflexiv, antisymmetrisch und transitiv ist. Beispiel 3.5.4 1 Wir erinnern uns, dass auf N die natürliche Ordnung ≤ (kleiner gleich) durch x ≤ y : ⇔ es gibt n ∈ N mit x + n = y erklärt ist (siehe (2.1)). Diese Relation ist reflexiv, denn es ist 0 ∈ N und x + 0 = x für alle x ∈ N. Sie ist ebenso antisymmetrisch: Falls x ≤ y und y ≤ x, etwa x + n = y und y + m = x, so folgt x + (n + m) = x, also m + n = 0, was m = n = 0 und damit x = y nach sich zieht. Sie ist transitiv: Falls x ≤ y und y ≤ z, etwa x + n = y und y + m = z, so folgt x + (n + m) = z, also x ≤ z. Also ist ≤ eine partielle Ordnung auf N. 2 Die Relation < (echt kleiner), definiert durch „x < y :⇔ es gibt n ∈ N∗ mit x + n = y“ ist transitiv, aber nicht reflexiv. Beispiel 3.5.5 Wir erinnern daran, dass auf N bzw. auf N∗ die Teilbarkeitsrelation | durch a|b :⇔ es gibt n ∈ N mit a · n = b erklärt ist (siehe (2.2)). Diese ist reflexiv, denn a|a wegen a · 1 = a für alle a ∈ N. Sie ist antisymmetrisch: Falls a|b und b|a, etwa ax = b und by = a, so folgt axy = a, was xy = 1 und daher x = 1 = y impliziert, also a = b. Sie ist transitiv: Falls a|b und b|c, etwa wieder ax = b und by = c, so ist a(xy) = c, also a|c. Insgesamt ist daher | eine partielle Ordnung. Beispiel 3.5.6 Es sei N eine Menge. Auf deren Potenzmenge P (N) ist die Teilmengenordnung ⊆ erklärt. Diese ist reflexiv, denn X ⊆ X für jede Menge X; sie ist auch antisymmetrisch, denn X ⊆ Y und Y ⊆ X ist ja nach Definition 1.1.1 nichts anderes als die Gleichheit von X und Y. Sie ist auch transitiv: aus X ⊆ Y und Y ⊆ Z folgt X ⊆ Z. Beispiel 3.5.7 Wir betrachten die Menge Rn . 1 Für zwei n-Tupel x und y aus Rn definieren wir x % y, falls gilt xi ≤ yi für alle i. Das liefert eine partielle Ordnung durch komponentenweisen Vergleich. 2 Die lexikographische Ordnung $lex auf Rn ist für jedes n ebenfalls eine partielle Ordnung. Dabei gilt (per Definition): x $lex y, falls x = y (d. h. xi = yi für alle i), oder falls xk < yk für den kleinsten Index k mit xk = yk . Beispielsweise ist (1, 2, −1) $lex (1, 3, −2) (mit n = 3). Einige der eben betrachteten Ordnungen haben eine weitere Eigenschaft, nämlich die Totalität im Sinne der folgenden Definition. Es sei $ eine partielle Ordnung auf einer Menge M. Dann heißt $ eine totale Ordnung, wenn für alle (a, b) ∈ M ×M gilt: a $ b oder b $ a. Das bedeutet, dass je zwei Elemente hinsichtlich $ vergleichbar sind. Definition 3.5.8 83 3 ABBILDUNGEN, ÄQUIVALENZEN UND ORDNUNGEN Beispiele zu Definition 3.5.8 1 Die natürliche Ordnung ≤ ist eine totale Ordnung. 2 Die Teilbarkeitsordnung | ist hingegen nicht total, weil beispielsweise weder 2|5 noch 5|2 gilt. 3 Die Teilmengenrelation ⊆ auf P (N) ist nicht total, wenn |N| ≥ 2 ist. Sind nämlich x, y ∈ N verschieden, so stehen die beiden Mengen {x} und {y} nicht in Relation. 4 Der komponentenweise Vergleich zweier n-Tupel aus Rn ist bei n ≥ 2 keine totale Ordnung. 5 Hingegen ist die lexikographische Ordnung auf Rn für jedes n ∈ N∗ total. 3.6 Äquivalenzrelationen Neben Abbildungen und partiellen Ordnungen bilden die Äquivalenzrelationen die wichtigsten Relationen. Wie bei partiellen Ordnungen handelt es sich bei Äquivalenzrelationen um spezielle Quasi-Ordnungen. Dabei wird allerdings die Antisymmetrie durch die Symmetrie ersetzt. Definition 3.6.1 Eine Relation ∼ auf einer Menge M heißt symmetrisch, falls für a, b ∈ M gilt: aus a ∼ b folgt b ∼ a. Definition 3.6.2 Die Relation ∼ heißt eine Äquivalenzrelation, falls sie reflexiv, symmetrisch und transitiv ist. Eine der wichtigsten Äquivalenzrelationen ist die Kongruenz modulo n. Beispiel 3.6.3 (Kongruenz modulo n) Für jedes n ∈ N∗ ist auf der Menge Z der ganzen Zahlen eine Relation ≡n durch a ≡n b :⇔ n|(a − b) definiert. Man liest a ist kongruent zu b modulo n und schreibt dazu auch a ≡ b mod n. Diese Relation ist reflexiv, denn n|0 = a − a für alle a aus Z. Sie ist symmetrisch: Falls a ≡n b, so gilt n|(a − b); dann ist aber auch n ein Teiler von b − a, so dass b ≡n a folgt. Sie ist transitiv: Falls nämlich n|a − b und n|b − c, etwa ns = a − b und nt = b − c, so ist a − c = (a − b) + (b − c) = ns + nt = n(s + t), weshalb n auch Teiler von a − c, also a ≡n c ist. Die Kongruenz modulo n ist Grundlage für das modulare Rechnen, auf das wir in Kapitel 6 weiter eingehen werden. Beispiel 3.6.4 (Parallelität von Geraden) Wir erinnern hier an einige aus der Schule bekannten Objekte. Wir betrachten die euklidische Ebene R2 . Für ein Paar (α, β) ∈ R2 definieren wir eine Teilmenge Gα,β des R2 durch Gα,β := {(x, y) ∈ R2 : αx + β = y} . 84 3.6 Äquivalenzrelationen Wir nennen jede solche Menge eine Gerade (mit Steigung α und Achsenabschnitt β). Wir definieren weiter eine Relation || (lies: parallel) auf der Menge aller Geraden durch Gα,β ||Gγ ,δ :⇔ Gα,β ∩ Gγ ,δ = ∅ oder Gα,β = Gγ ,δ . Bei der Parallelität handelt es sich um eine Äquivalenzrelation. Zum Nachweis werden wir allerdings nicht die drei Axiome gemäß Definition 3.6.2 durchgehen; vielmehr berechnen wir den Schnitt zweier beliebiger Geraden und leiten daraus alles weitere ab: Annahme, der Punkt (x, y) liegt auf den Geraden Gα,β und Gγ ,δ . Dann gilt αx + β = y = γ x + δ . Ist α = γ , so folgt daraus sofort β = δ, und damit natürlich Gα,β = Gγ ,δ . Ist α = γ , δ−β so kann man die Gleichung nach x auflösen; man erhält x = α−γ , woraus dann wie- derum y = αδ−βγ α−γ folgt. Insgesamt können wir daher feststellen: Für (α, β) = (γ , δ) ist Gα,β ∩ Gγ ,δ entweder leer oder einelementig; letzteres liegt genau bei α = γ vor. Somit gilt: Gα,β und Gγ ,δ sind genau dann parallel, wenn α = γ ist. Aufgrund dieser Charakterisierung, und da die Gleichheit eine Äquivalenzrelation ist, ist auch Parallelität eine Äquivalenzrelation. Das wichtigste Phänomen einer Äquivalenzrelation ist, dass man die zugrundeliegende Menge in Äquivalenzklassen zerlegen (bzw. partitionieren) kann. Definition 3.6.5 Es sei ∼ eine Äquivalenzrelation auf einer Menge M. Ist a ∈ M, so heißt die Menge [a]∼ := {x ∈ M : x ∼ a} die zu a gehörende Äquivalenzklasse. Man nennt a einen Repräsentanten der Klasse. Die Menge aller Äquivalenzklassen von ∼ wird im allgemeinen mit M/ ∼ bezeichnet. Satz 3.6.6 Es sei ∼ eine Äquivalenzrelation auf einer Menge M und a, b ∈ M . Dann gilt entweder [a]∼ ∩ [b]∼ = ∅ oder [a]∼ = [b]∼ (letzteres genau dann, wenn a ∼ b ist). Also ist M/ ∼ eine Partition der Menge M . Beweis. Annahme, die Äquivalenzklassen [a]∼ und [b]∼ haben ein Element gemeinsam, etwa x. Wir müssen zeigen, dass [a]∼ = [b]∼ gilt. Dazu sei y ∈ [a]∼ beliebig. Nach Definition von [a]∼ gilt dann y ∼ a. Ferner ist auch a ∼ x, so dass aufgrund der Transitivität auch y ∼ x ist. Wegen x ∼ b folgt erneut wegen der Transitivität, dass y ∼ b ist, was y ∈ [b]∼ bedeutet. Das beweist insgesamt [a]∼ ⊆ [b]∼ . Mit der gleichen Argumentation erhält man [b]∼ ⊆ [a]∼ und damit die Gleichheit der beiden Mengen. Wir wollen die zu ≡n gehörende Partition von Z bestimmen und führen dazu folgende vereinfachten Bezeichnungen ein. 85 3 ABBILDUNGEN, ÄQUIVALENZEN UND ORDNUNGEN Notation 3.6.7 Für a ∈ Z sei [a]n := [a]≡n die Äquivalenzklasse von a modulo n. Ferner bezeichne Zn bzw. Z/Zn (statt Z/ ≡n ) die Menge aller Äquivalenzklassen. Die Äquivalenzklassen nennt man auch Restklassen modulo n. Der Name Restklasse liegt in folgendem Resultat begründet. Satz 3.6.8 Es sei n ∈ N∗ . Dann gilt: 1 a ≡n b ⇔ a mod n = b mod n. 2 Ist r := a mod n, so gilt [a]n = [r]n = {r + nt : t ∈ Z}. 3 Die Anzahl |Zn | der Restklassen modulo n ist gleich n. Beweis. (1) Es seien a = q1 n + r1 und b = q2 n + r2 mit 0 ≤ r1 < n und 0 ≤ r2 < n. Dann ist b − a = n(q2 − q1 ) + (r2 − r1 ). Falls r1 = r2 , so sieht man sofort, dass n Teiler von b − a und daher a ≡n b ist. Falls umgekehrt a ≡n b gilt, etwa sn = b − a, so ist r2 − r1 = b − a − n(q2 − q1 ) = n(s − q2 + q1 ) durch n teilbar. Wegen r1 , r2 ∈ {0, 1, … , n − 1} kann dies aber nur für r1 = r2 sein. (2) Mit q := a div n ist nun a = qn + r (und 0 ≤ r < n), so dass a − r = qn durch n teilbar ist, was wiederum a ≡n r bedeutet. Nach Satz 3.6.6 ist daher [a]n = [r]n , so dass die erste Gleichung gilt. Ferner folgt |Zn | ≤ n, da es ja nach Satz 2.3.1 nur n verschiedene Reste gibt, nämlich 0, 1, … , n − 1. Zum Nachweis von der zweiten Gleichung sei Br := {r + nt : t ∈ Z}. Sicher ist r ≡n r + nt (i.e., n|(r + nt − r)) für alle t ∈ Z, weshalb Br in [r]n enthalten ist. Ist umgekehrt b ≡n r, so ist n Teiler von b − r, etwa ns = b − r, also ist b = r + ns enthalten in Br . Damit ist Br = [r]n . (3) Es bleibt der Nachweis, dass Zn mindestens n Elemente enthält. Es seien dazu r, s ∈ {0, 1, 2, … , n − 1} mit r = s, etwa (ohne Einschränkung) r < s. Dann sind r und s nicht kongruent modulo n (vgl. mit dem Beweis von (1)), da sonst n Teiler von s − r wäre, was wegen 0 < s − r ≤ n − 1 nicht geht. Also sind [r]∼ und [s]∼ verschieden für s = r aus {0, 1, … , n − 1}. Wir wollen auch die Äquivalenzklassen bei der Parallelität (Beispiel 3.6.4) angeben. Hier ist die zur Geraden Gα,β gehörende Klasse gleich [Gα,β ]|| = {Gα,b : b ∈ R}, also alle Geraden mit der gleichen Steigung bilden genau eine Klasse. Bemerkung 3.6.9 1 Ist ∼ Äquivalenzrelation auf M und b in der Klasse von a enthalten, also b ∈ [a]∼ , so gilt [a]∼ = [b]∼ nach Satz 3.6.6, weshalb auch b Repräsentant der Klasse [a]∼ ist; generell ist also jedes Element einer Klasse gemäß Definition auch ein Repräsentant. Unter einem Repräsentantensystem oder Vertretersystem von ∼ versteht man nun eine Teilmenge R von M mit der Eigenschaft, dass jede Klasse durch genau einen Repräsentanten in R vertreten ist; mit anderen Worten ist die Abbildung R → M/ ∼, r ( → [r]∼ eine Bijektion. Beispielsweise ist R := {−19, 47, 10004, −5122, 78955} ein Repräsentantensystem aller Restklassen modulo 5. 86 3.7 Exkurs 2 Häufig sticht ein Element einer Klasse besonders hervor, meist weil es besonders einfach aussieht, etwa der Rest 1 in der Klasse [−19]5 . Fasst man die jeweils besonderen Klassenelemente zu einem Repräsentantensystem zusammen, so spricht man von einem kanonischen Repräsentantensystem. Modulo 5 ist das sicherlich {0, 1, 2, 3, 4} (allerdings ist aufgrund der Symmetrie sicher auch {−2, −1, 0, 1, 2} ein heißer Kandidat für das Prädikat kanonisch). Bei der Parallelität ist ein kanonischer Repräsentant der Klasse [Gα,β ]|| die Gerade Gα,0 , denn es ist die einzige, innerhalb der Klasse, die durch den Ursprung (0, 0) des Koordinatensystems R2 verläuft. 3.7 Exkurs Abschnitt 3.2 Eine Abbildung f : M → N kann formal auch als ein Element des Mfachen kartesischen Produktes ×x∈M N von N mit sich selbst aufgefasst werden, was sich manchmal in der Schreibweise fx anstelle f (x) niederschlägt. Daher bezeichnet man die Menge aller Abbildungen von M nach N auch mit N M . Entsprechend ist M N die Menge aller Abbildungen von N nach M. Ein weiterer Grund für diese Notation liegt in der Potenzregel 4.1.4 begründet. Wir wollen noch zwei wichtige Spezialfälle hervorheben: 1 Die Menge X N aller Abbildungen von N nach X nennt man auch die Menge der Folgen mit Werten in X. Beispielsweise liefert X = R die Menge RN aller reellwertiger Folgen (die in Kapitel 13 analytisch untersucht werden). 2 Die Menge X {1,2,… ,n} aller Abbildungen von {1, 2, … , n} nach X ist nichts anderes als die Menge aller n-Tupel über X, also gleich X n , dem n-fachen kartesischen Produkt von X mit sich selbst (siehe Definition 1.6.4 und Notation 1.6.5). Insbesondere ist Rn die Menge aller n-Tupel über R (welche u. a. im Rahmen der linearen Algebra in Kapitel 7, 8 und 9 untersucht werden). Abschnitt 3.3 und Abschnitt 3.4 Die Existenz einer injektiven Abbildung f : M → N legt die Notation |M| ≤ |N| nahe, während die Existenz einer surjektiven Abbildung h : K → L die Notation |K| ≥ |L| suggeriert. In der Tat besagt ein Satz Schröder und Bernstein folgendes: Sind f : M → N und g : N → M injektive Abbildungen, so gibt es eine bijektive Abbildung von M nach N. In vereinfachter Notation wäre das |N| ≤ |M| und |M| ≤ |N| impliziert |M| = |N|, wobei die Mengen M und N nicht notwendigerweise endlich sein müssen. Sicher ist N → R, x ( → x eine injektive Abbildung. Wegen Satz 3.4.7 und dem eben erwähnten Ergebnis von Schröder und Bernstein kann umgekehrt keine injektive Abbildung von R nach N existieren. Dies legt wiederum die Notation |N| < |R| nahe, i.e., R ist mächtiger als N. Die Cantor’sche Kontinuumshypothese besagt, dass zwischen der Mächtigkeit ℵ0 von N und der Mächtigkeit |R| des Kontinuums R keine weiteren Mächtigkeiten existieren. Cantor hat lange vergeblich versucht, diese Aussage zu beweisen. Im Nachhinein konnte (durch Paul Cohen, 1963) festgestellt werden, dass die Kontinuumshypothese (in einem gewissen Sinne) nicht beweisbar ist: Diese Hypothese ist nämlich unabhängig von den gängigen Axiomen der Mengenlehre, was im Wesentlichen bedeutet, 87 3 ABBILDUNGEN, ÄQUIVALENZEN UND ORDNUNGEN dass man sowohl einerseits mit der Hypothese als auch andererseits mit der Negation der Hypothese vernünftig Mathematik betreiben kann. Mehr zu diesem interessanten Thema findet man bei Meschkowski [20]; siehe auch Friedrichsdorf und Prestel [8]. Abschnitt 3.5 1 Ist (M, $) eine partiell geordnete Menge, so heißt x ∈ M ein kleinstes Element, falls für kein Element y ∈ M mit y = x gilt: y $ x. Entsprechend definiert man ein größtes Element. Bezüglich (P (N), ⊆) ist Beispielsweise ∅ das kleinste und N das größte Element. Auf (N, ≤) ist 0 kleinstes Element und (N∗ , |) hat das kleinste Element 1; größte Elemente haben diese beiden Ordnungen aber nicht. Die Ordnungen (Rn , %) und (Rn , $lex ) aus Beispiel 3.5.7 haben weder kleinste noch größte Elemente. Im Rahmen der vollständigen Induktion haben wir erwähnt, dass die natürliche Ordnung ≤ eine Wohlordnung auf N ist. Allgemeiner nennt man eine Relation $ auf einer Menge M eine Wohlordnung, falls $ eine totale Ordnung ist und falls jede nichtleere Teilmenge von M ein kleinstes Element bzgl. $ hat. In diesem Sinne ist ≤ weder eine Wohlordnung auf R noch auf Q, denn beispielsweise haben die positiven rationalen Zahlen oder die positiven reellen Zahlen kein kleinstes Element. Der Wohlordnungssatz aus der Mengenlehre besagt nun, dass jede beliebige Menge M wohlgeordnet werden kann. Diese Aussage ist äquivalent zum Auswahlaxiom aus Abschnitt 1.8. 2 Ist (M, $) eine partiell geordnete Menge und sind a, b ∈ M mit a $ b, so nennt man die Menge [a, b] := {x ∈ M : a $ x und x $ b} ein Intervall. Ist jedes Intervall eine endliche Menge, so kann man (M, $) meist durch ein sog. Hasse-Diagramm visualisieren. Dabei ordnet man die Elemente aus M der $-Größe nach von unten nach oben in Schichten an, und man verbindet zwei Elemente x, y ∈ M mit x $ y durch eine Linie, falls x = y ist und falls das Intervall [x, y] gleich {x, y} ist, also nur aus den Randpunkten x und y besteht. {1, 2, 3} {1, 2} {1} {1, 3} {2} ∅ 88 24 12 8 6 4 3 2 {2, 3} {3} 1 3.8 Übungsaufgaben In der linken Graphik sieht man das Hasse-Diagramm zur Potenzmenge von {1, 2, 3} bzgl. der Teilmengenrelation ⊆. Die Graphik auf der rechten Seite zeigt das Hasse-Diagramm zur Teilermenge von 24 bzgl. der Teilerrelation |. Abschnitt 3.6 Bei vielen Anwendungen kommt es darauf an, bei einem Element x aus M zu entscheiden, in welche Klasse es bzgl. einer gegebenen Äquivalenzrelation ∼ gehört. Konkret bedeutet das, dass zunächst ein kanonisches Repräsentantensystem K gegeben sein sollte, und dass man dann ausgehend von x dasjenige (eindeutige) r ∈ K mit x ∼ r, also mit x ∈ [r]∼ finden muss. Beispielsweise entscheidet die Division mit Rest über die Klassenzugehörigkeit von a modulo n. In diesem Zusammenhang wollen wir auf zwei weitere Beispiele hinweisen. I In Kapitel 8 werden wir lineare Gleichungssysteme lösen, indem das Ausgangsystem durch äquivalente Umformungen in ein einfaches System (die TreppenNormalform) transformiert wird, dessen Lösungen man einfach ablesen kann, und die mit den Lösungen des Ausgangssystems übereinstimmen. I Bei Computer-Algebra Systemen ist die Termumformung sehr wichtig. So sind beispielsweise die Terme z· x4 − 1 y 4 (cos2 (z) + sin2 (z)) und (x 2 − 1)y 2 z x2 + 1 in dem Sinne äquivalent, dass Einsetzen von beliebigen Tripeln (x, y, z) aus R3 jeweils die gleichen Ergebnisse liefert. Offenbar ist der zweite Ausdruck wesentlich einfacher als der erste. Aufgabe des symbolischen Rechnens ist es daher, rechnerisch komplizierte Terme auf einfache Terme zu reduzieren, was nichts anderes ist, als die Klassenzugehörigkeit auf der Basis eines kanonischen Repräsentantensystems zu entscheiden. Ein kanonischer Repräsentant heißt in diesem Zusammenhang auch eine Normalform. Wer mehr zu diesem spannenden Thema wissen will, der konsultiere das Buch von Avenhaus [2] über Reduktionssysteme. 3.8 Übungsaufgaben Abschnitte 3.1, 3.2 Aufgabe 3.1 Auf der Menge M := {1, 2, 3, 4, 5, 6} seien die folgenden drei binären Relationen gegeben: α = {(i, j) ∈ M 2 : i teilt j , i = 1 , i = j} , β = {(i, j) ∈ M 2 : i + 3 ≤ j} , γ = {(i, j) ∈ M 2 : i + j ist Primzahl} . Berechnen Sie die folgende binäre Relation: (ακ β) γ . 89 3 ABBILDUNGEN, ÄQUIVALENZEN UND ORDNUNGEN Es sei 6N := {6n : n ∈ N} = {0, 6, 12, 18, …} die Menge der durch 6 teilbaren natürlichen Zahlen. Aufgabe 3.2 1 Zeigen Sie, dass die Abbildung h : N → N, x (→ x 3 − x nicht injektiv ist und dass das Bild von h eine Teilmenge von 6N ist. 2 Zeigen Sie, dass die Abbildung h∗ : N∗ → 6N, x ( → x 3 − x nicht surjektiv, aber injektiv ist. Hinweis: Bei der Injektivität ist die Verwendung der Formel x 3 − y 3 = (x − y)(x 2 + xy + y 2 ) sehr nützlich. Aufgabe 3.3 f: R\ Gegeben seien die Abbildungen 1 3x + 4 → R , x (→ 2 2x − 1 und h : R \ 3 x−5 . → R , x (→ 2 2x − 3 1 Zeigen Sie, dass f injektiv ist. 2 Zeigen Sie, dass das Bild von f gleich der Menge R \ { 23 } ist. 3 Geben Sie die Umkehrabbildung der Bijektion f ∗ : R \ 12 → R \ { 23 }, x ( → 3x+4 2x−1 an. 4 Bestimmen Sie eine Funktionsvorschrift für die verkettete Abbildung h ◦ f . Aufgabe 3.4 Es seien M und N jeweils nichtleere endliche Mengen, und f : M → N und g : N → R seien zwei Abbildungen. Beweisen Sie die Formel (g ◦ f )(m) = |f −1 (n)| · g(n) . m∈M n∈N Dabei ist f −1 (n) die Urbildmenge von n unter der Abbildung f . Geben Sie ferner eine Vereinfachung der Formel für den Spezialfall an, wo f bijektiv ist. Aufgabe 3.5 1 Wenden Sie die Formel aus der vorhergehenden Aufgabe an, um die beiden folgenden Gleichungen nachzuweisen: 2n n n k+l = j k=0 l=0 (−1) j=0 (−1) · (n + 1) − |n − j| . 2 n k=0 n l=0 |k − l|2 = n j=1 2j 2 (n − j + 1) . Hinweis: Bei der Menge M handelt es sich hier jeweils um ein kartesisches Produkt. 90 3.8 Übungsaufgaben Aufgabe 3.6 Es seien f : M → N und g : N → M, h : N → M Abbildungen. Zeigen Sie: 1 Ist f surjektiv und gilt g ◦ f = h ◦ f , so folgt g = h. 2 Ist f injektiv und gilt f ◦ g = f ◦ h, so folgt g = h. Aufgabe 3.7 Es sei f : M → N eine Abbildung. Zeigen Sie, dass die beiden folgenden Aussagen äquivalent sind. 1 f ist bijektiv. 2 es gibt Abbildungen g : N → M und h : M → N mit g◦f = idM und f ◦h = idN . Abschnitt 3.4 Aufgabe 3.8 Es sei M eine beliebige nichtleere Menge (insbesondere kann M unendliche Mächtigkeit haben) und P (M) sei die Potenzmenge von M. Zeigen Sie, dass M und P (M) nicht gleichmächtig (im Sinne von Definition 3.4.1) sind. Hinweis: Lesen Sie nach, was beim Barbier von Sevilla steht, um einen Ansatz für einen Widerspruchsbeweis zu bekommen. Aufgabe 3.9 Es sei A := {0, 1, … , b − 1} ⊆ N. Ein Wort der Länge k über A ist ein Objekt der Form α1 α2 …αk mit αi ∈ A für alle i. Beispiels- weise ist 001110011101011 ein Wort der Länge 15 über dem binären Alphabet {0, 1}. Für k ∈ N sei nun A(k) die Menge aller Worte der Länge k über A, wobei konventionsgemäß A(0) lediglich aus dem leeren Wort besteht, welches mit λ bezeichnet wird. Schließlich bezeichnet A∗ := ∪k∈N A(k) die Menge aller Worte, die über dem Alphabet A gebildet werden können. Zeigen Sie, dass (für jedes b ∈ N mit b ≥ 2) die beiden Mengen N und A∗ gleichmächtig sind. Aufgabe 3.10 Es bezeichne NN die Menge aller Abbildungen von N nach N. Ist f ∈ NN , so ist der Träger T(f ) von f definiert als die Menge T(f ) := {n ∈ N : f (n) = 0} . Schließlich sei endl(NN ) die Menge aller Abbildungen f aus NN , deren Träger T(f ) eine endliche Menge ist. Zeigen Sie: 91 3 ABBILDUNGEN, ÄQUIVALENZEN UND ORDNUNGEN 1 Die Mengen endl(NN ) und N sind gleichmächtig. 2 Die Mengen NN und N sind nicht gleichmächtig. Hinweis: Man verwende, dass jede unendliche Teilmenge von N (beispielsweise die Menge aller Primzahlen) gleiche Mächtigkeit wie N hat, also bijektiv auf N abbildbar ist. Abschnitt 3.5 Für jedes n ∈ N∗ ist die Menge Dn := {m ∈ N∗ : m|n} aller positiven Teiler von n durch die Teilbarkeitsrelation | partiell geordnet. Es seien nun p, q, r und s vier verschiedene Primzahlen. Zeichnen Sie die Hasse-Diagramme (siehe Abschnitt 3.7) für (Dn , |) in den beiden Fällen Aufgabe 3.11 n = p3 q2 r und n = pqrs . Aufgabe 3.12 Auf der Menge N × N∗ ist durch (a, b) % (c, d) : ⇔ es gibt eine gerade Zahl n ∈ N und eine ungerade Zahl m ∈ N∗ mit a + n = c und b · m = d eine Relation % definiert. Zeigen Sie, dass es sich bei % um eine partielle Ordnung handelt. Ist diese Ordnung total? Aufgabe 3.13 Auf der Menge N2 ist die lexikographische Ordnung % wie folgt definiert: (a1 , a2 ) % (b1 , b2 ) :⇔ a1 < b1 oder (a1 = b1 und a2 ≤ b2 ) , wobei ≤ die natürliche Ordnung auf N sei. Zeigen Sie, dass N2 bzgl. % die Wohlordnungseigenschaft (siehe die Ergänzungen zu Abschnitt 3.5) hat; das bedeutet, dass jede nichtleere Teilmenge M von N2 ein Element (c1 , c2 ) ∈ M mit (c1 , c2 ) % (x1 , x2 ) für alle (x1 , x2 ) ∈ M hat. Abschnitt 3.6 Aufgabe 3.14 Wir betrachten die Menge Z × N∗ aller Paare ganzer Zahlen mit positiver zweiter Komponente. Darauf ist eine Relation ∼ definiert durch (a, b) ∼ (c, d) :⇔ ad = bc . 92 3.8 Übungsaufgaben 1 Zeigen Sie zunächst, dass es sich bei ∼ um eine Äquivalenzrelation handelt. 2 Geben Sie ein Repräsentantensystem an, welches das Prädikat kanonisch verdient (siehe Bemerkung 3.6.9 (2)). 3 Die zu (a, b) gehörende Äquivalenzklasse sei mit [a : b] bezeichnet. Es sei weiter M∼ := {[a : b] : (a, b) ∈ Z × N∗ } die Menge aller Äquivalenzklassen bzgl. ∼. Auf M∼ definieren wir eine weitere Relation $ durch [a : b] $ [c : d] :⇔ ad ≤ bc (dabei ist ≤ die übliche Ordnung auf Z). Zeigen Sie, dass $ eine partielle Ordnung auf M∼ ist. Wie steht es mit der Totalität? Zeigen Sie: Ist f : M → N eine Abbildung, so ist durch a ∼f b :⇔ f (a) = f (b) eine Äquivalenzrelation auf M gegeben. Beschreiben sie die Äquivalenzklassen von f . Aufgabe 3.15 93