Infektionen im Gastrointestinaltrakt Akute bakterielle Infektionen des Gastrointestinaltraktes Teil 2: Diagnostik und Therapie T. Jelinek, O. Wichmann, M. Günther Diagnostische Maßnahmen Eine gründliche Anamnese bildet den ersten, entscheidenden Schritt zum Management der Beschwerden. Zunächst sollte geklärt werden, welche exakten Beschwerden charakteristisch für die akute Diarrhöe des jeweiligen Patienten sind. Ist die Stuhlkonsistenz zu gering? Ist die Stuhlgangfrequenz erhöht? Treten Tenesmen auf? Ist Blut im Stuhl zu sehen? Voluminöse, wässrige Stühle sind häufig mit Beschwerden im Dünndarm assoziiert, während häufiger Stuhlgang von geringem Volumen und mit Blutbeimengungen auf das Colon weist. Das zusätzliche Auftreten von Fieber, abdominellen Schmerzen, Tenesmen, Blut im Stuhl und Dehydrierung weisen genauso wie eine Krankheitsdauer über drei Tage auf eine ernstzunehmende Infektion hin. Andere wichtige Aspekte der Anamnese sind Vorerkrankungen, Medikamenteneinnahme, Nahrungsmittelzufuhr in der letzten Zeit, Reisen, Beruf, Kontakte zu Personen mit ähnlichen Beschwerden, Alkoholkonsum und Sexualpraktiken. Die hierbei gewonnenen Informationen können richtungsweisend für die Identifikation des Pathogens sein (Tabelle 2). Beim Routinemanagement der unkomplizierten, akuten Diarrhöe kann der Umfang der Labordiagnostik gering gehalten werden. Untersuchungen sollten nur angefordert werden, wenn ihr Ergebnis wesentlich das klinische Management beeinflussen kann, wie z. B. bei immunsupprimierten Patienten. Die Suche nach Leukozyten bzw. Laktoferrin im Stuhl ist eine nützliche Untersuchung, da ein Positivbefund auf eine entzündliche Diarrhöe hinweist. Bei Patienten mit positivem Leukozytennachweis im Stuhl sind die häufigsten Erreger Salmonella, Shigella, Camplylobacter, C. difficile, Yersinia, enterohämorrhagische und enteroinvasive E. coli (EHEC und EIEC). Ist der Test negativ, mag eine Stuhlkultur nicht unbedingt notwendig sein: in wenigstens zwei Studien wurde demonstriert, dass der Anteil der Positivbefunde aus Stuhlkulturen bei Patienten mit akuter, unkomplizierter Diarrhöe in der Routinediagnostik lediglich um 2 % liegt. Tabelle 2: Anamnestische Hinweise zur Ätiologie der akuten Diarrhöe Anamnese Mögliche Pathogene Blutiger Stuhl Salmonella, Shigella, Campylobacter, enterohaemorrhagische Escherichia coli, Clotridium difficile, Entamoeba histolytica Rektale Schmerzen, schwere Tenesmen Campylobacter, Salmonella, Shigella,Neisseria gonorrhoeae, Herpes, Chlamydia, E. histolytica Schwere oder persitierende abdominelle Schmerzen Campylobacter, Yersinia, Clostridium perfringens, Aeromonas Kürzliche Antibiose oder Chemotherapie C. difficile, Salmonella Reiseanamnese enterotoxigene E. coli, andere (Lateinamerika, Afrika, Asien, Bakterien, Parasiten und Viren Ozeanien) Ähnliche Symptome bei Kontaminierte Nahrung: Familie/Freunden/Bekannten Staphylococcus, Clostridium, Bacillus cereus, Salmonella Homosexueller Mann Herpes, Chlamydia, Treponema pallidum,E.histolytica,Shigella, Giardia, N. gonorrhoeae, Cryptosporidium Krankenhausaufenthalt C. difficile Pflegeheime Giardia, C. difficila, Salmonella, Shigella,Rotaviren, Norwalkviren Standardkulturen sind zur Identifikation von Salmonella, Shigella und Aeromonas geeignet. Wird eine Infektion mit Campylobacter, Yersinia, Vibrio oder E. coli 0157 vermutet, so muss das Labor hierüber informiert werden. Die Kultivierung von C. difficile ist nur selten sinnvoll, da dieser Erreger häufig als Darmkommensal auftritt. In der Regel sollte ein ELISA zum Nachweis der Toxine A und B durchgeführt werden. Das Ergebnis liegt bei einer Spezifität nahe 100 % innerhalb weniger Stunden vor, die PD Dr. med. Tomas Jelinek Institut für Tropenmedizin Spandauer Damm 130, D-14050 Berlin E-Mail: [email protected] Z. Allg. Med. 2003; 79: 377–379. © Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG, Stuttgart 2003 377 Infektionen im Gastrointestinaltrakt Sensitivität variiert zwischen 70 und 95 %. Somit schließt ein negatives Testergebnis ein Infektion nicht sicher aus. Bei klinischem Verdacht sollte die Untersuchung wiederholt bzw. eine probatorische Therapie initiiert werden. Bei Patienten mit akuter Reisediarrhöe, aber auch bei Immunsupprimierten, blutiger Diarrhöe oder Aufenthalt in Pflegeheimen sollte in jedem Fall auch eine parasitologische Diagnostik des Stuhles erfolgen. Behandlung Rehydrierung Obstipierende Mittel Obstipierende Mittel können bei der Abschwächung der Beschwerden nützliche Dienste leisten. Hier steht im praktischen Einsatz vor allem das Opiumderivat Loperamid im Vordergrund, das zu einer passageren Lähmung der Darmmuskulatur führt und auch Effekte auf die Sekretion hat. Zu beachten ist hierbei allerdings, dass akute Diarrhöe eine zwar lästige, aber durchaus effektive Abwehrmaßnahme des Körpers gegen potenziell gefährliche Infektionen darstellt. Beraubt man den Darm dieser Abwehrmöglichkeit, so lässt man unter Umständen der ungehinderten Vermehrung von Erregern seinen Lauf. Antibiotische Therapie Bei ansonsten gesunden Patienten ohne wesentliche Zeichen einer Dehydratation kann eine adäquate Flüssig- Antibiotische Therapie zeigt bei der akuten, unkomplikeits- und Elektrolytbalance ohne weiteres mit Limona- zierten Diarrhöe nur bei weniger als 10 % der Patienten den, Suppe und Salzstangen erreicht werden. Bei Patien- einen nachweisbaren Vorteil. Insbesondere bei einer Inten mit drohender Dehydrierung bzw. zugrundeliegen- fektion mit EHEC sollte von einer Antibiose abgesehen den Begleiterkrankungen sind jedoch aggressivere werden. Studien bei Patienten mit einer Infektion durch Methoden notwendig. In solchen Fällen ist eine gezielte E. coli O157:H7 haben gezeigt, dass Antibiotika zu einer intravenöse oder orale Rehydrierung indiziert. Hierbei erhöhten Toxinfreisetzung durch geschädigte Bakterien ist die orale Therapie mit Rehydratationslösungen (ORS) führen, was das Risiko eines hämolytisch-urämischen bei wesentlich geringerem Aufwand und Preis häufig Syndromes oder einer thrombotischen thrombozytopeebenso effektiv wie intravenöse Maßnahmen. ORS för- nischen Purpura deutlich erhöht. dert die Resorption von Natrium und Wasser im Dünndarm über die Akti- Tabelle 3: Antibiotische Therapie der bakteriellen Diarrhöe vierung des Glucose-Natrium-CotranPathogen/Erkrankung Mittel der Wahl Alternativpräparat sporters, dessen Funktion auf der Shigella Ampicillin, Cotrimoxazol Ciprofloxacin gleichzeitigen Anwesenheit von NaClostridium difficile Metronidazol, Vancomycin trium und Glukose im Darm beruht. Reisediarrhöe Ciprofloxacin Andere Chinolone, Dieser Mechanismus wird in aller ReCotrimoxazol gel nicht durch Entzündungen oder ToVibrio Tetrazykline Cotrimoxazol xine außer Kraft gesetzt. Auf dem Salmonella (nur in Ampicilin, Cotrimoxazol Ciprofloxacin Markt sind neben der WHO-FormulieAusnahmefällen, i.d.R. rung zahlreiche weitere ORS-Lösunkeine Antibiose) gen erhältlich, hierunter sind auch Campylobacter Erythromycin Ciprofloxacin speziell für pädiatrische Patienten Yersinia Ciprofloxacin, Cotrimoxazol Aminoglykoside, konzipierte Produkte. Tetrazykline Diätetische Maßnahmen Aeromonas Diätetische Maßnahmen sind ein weiterer Aspekt beim Management der akuten Diarrhöe. Milchprodukte sollten weitgehend vermieden werden, da vor allem virale und bakterielle Infektionen einen passageren Laktasemangel hervorrufen, der über die unverdaute Laktose zu weiteren Durchfällen, Blähungen und voluminösen, schaumigen Stühlen führen kann. Ebenso sollten Koffein und Alkohol vermieden werden, die beide Frequenz und Volumen des Stuhlganges erhöhen. Nulldiät ist unnötig und sollte vermieden werden. Statt dessen sollten die Patienten zur Aufnahme kurzkettiger Kohlenhydrate ermuntert werden, wie z. B. Kartoffeln, Nudeln, Reis, Bananen oder Suppen. 378 Cotrimoxazol,3.-Generation Tetrazyklin Cephalosporin, Ciprofloxacin Offensichtlich gibt es aber Indikationen zur antibiotischen Therapie (Tabelle 3). Hierbei sind auch lokale Resistenzmuster zu berücksichtigen. So sind z. B. in Indien erworbene Shigellen häufig resistent gegen Aminopenizilline und gegen Cotrimoxazol. Speziell auch bei der Reisediarrhöe gibt es Patienten, die eindeutig von einer antibiotischen Therapie profitieren. Hier ist bei der probatorischen Therapie eine Behandlung mit Ciprofloxacin über drei bis fünf Tage anzuraten. Im Falle einer Infektion mit C. difficile sind Metronidazol oder Vancomycin die Mittel der Wahl. Z. Allg. Med. 2003; 79: 377–379. © Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG, Stuttgart 2003 Infektionen im Gastrointestinaltrakt Bei rezidivierenden Infektionen sind in letzter Zeit sehr ermutigende Ergebnisse mit Probiotika, insbesondere Lactobacillus erzielt worden, die im Anschluss an eine antibiotische Therapie gegeben werden. Dies scheint die Wiederansiedlung der intestinalen Mikroflora zu fördern und somit eine erneute Ausbreitung von C. difficile zu verhindern. Fazit für die Praxis Akute Diarrhöe ist in der Praxis ein häufiges Problem, das jedoch häufig ohne großen Aufwand betreut werden kann. Eine gründliche Anamnese und Untersuchung ist bei der Festlegung einer Verdachtsdiagnose von entscheidender Bedeutung,häufig ist keine weitere Diagnostik notwendig. Als bakterielle Erreger der akuten Diarrhöe kommen vor allem Escherichia coli, Salmonella, Shigella, Camplylobacter, Areomonas, Clostridium difficile und Yersinia in Frage. Der diagnostische Aufwand zum Nachweis dieser Organismen ist sehr unterschiedlich. Häufig ist bei der akuten Diarrhöe eine symptomatische Therapie mit oralem Flüssigkeitsersatz ausreichend. Der Übergang zur komplizierten Diarrhöe, bei der umfangreichere Diagnostik und antibiotische Therapie indiziert sind, darf nicht verpasst werden. Literatur 1. Aranda-Michel J, Gianella RA: Acute diarrhea: A practical review. Am J Med 1999; 106: 670–676 2. Caeiro JP, DuPont HL: Management of travelers´ diarrhaea. Drugs 1998; 56: 73–78 3. Ceary RK: Costridium difficile-associated diarrhea and colitis: Clinical manifestations, diagnosis, and treatment. Dis Colon Rectum 1998; 41: 1435–1438 4. de Wit MAS, Koopmans MPG, Kortbeek LM, van Leeuwen NJ, Vinje J, Duynhoven YTHP: Etiology of gastroenteritis in sentinel general practices in The Netherlands. Clin Infect Dis 2002; 33: 280–288 5. DuPont HL: Guidelines on acute infectious diarrhea in adults. Am J Gastroenterol 1997; 92: 1962–1966 6. Ericsson CD: Travelers´ diarrhea: Epidemiology, prevention, and self-treatment. Infect Dis Clin North Am 1998; 12: 285–289 7. Fekety R: Guidelines for the diagnosis and management of Clostridium difficile-associated diarrhea and colitis. Am J Gastroenterol 1997; 92: 739–749 8. Fine KD: Diarrhea. In: Feldmann M, Sleisenger MH, Scharschmidt BF (Hrsg.) Sleisenger and Fordtran´s Gastrointestinal and Liver Disease: Pathophysiology, Diagnosis, Management. 6th ed. WB Saunders, Philadelphia; 1998: 129–139 9. Guerrant RL, van Gildner T, Steiner TS, Thielmann NM, Slutsker L, Tauxa RV, Hennessy T, Griffin PM, DuPont HL, Sack RB, Tarr P, Neill M, Nachamkin I, Reller B, Osterholm MT, Bennish ML, Pickering LK: Practice guidelines for the management of infectious diarrhea. Clin Infect Dis 2001; 32: 331–350 10. Jiang ZD, Lowe B, Verenkar MP, Ashley D, Steffen R, Tornieporth N, von Sonnenburg F, Waiyaki P, DuPont HL: Prevalence of enteric pathogens among international travelers with diarrhea acquired in Kenya (Mombasa), India (Goa), or Jamaica (Montego Bay). J Infect Dis 2002; 185: 497–502 11. Kollaritsch H: Salmonellosen (typhoide Fieber und Enteritiden). In: Lang W, Lösche T: Tropenmedizin in Klinik und Praxis. Thieme Verlag, Stuttgart, 2001: 206–221 12. Pochapin M: The effect of probiotics on Clostridium difficile diarrhea. Am J Gastroenterol 2000; 95 (Suppl 1): S16–22 13. Steffen R, Gyr NE, Kollaritsch H: Durchfallerkrankungen. In: Lang W, Lösche T. Tropenmedizin in Klinik und Praxis. Thieme Verlag, Stuttgart, 2001: 236–241 14. Svenungsson B, Lagergren A, Ekwall E, Evengard B, Hedlund KO, Kärnell A, Löfdahl S, Svensson L, Weintraub A: Enteropathogens in adult patients with diarrhea and healthy control subjects: a 1-year prospective study in a Swedish clinic for infectious diseases. Clin Infect Dis 2000; 30: 770–778 15. Talan DA, Moran GJ, Newdow M, Ong S, Mower WR, Nakase JY, Pinner RW, Slutsker L: Etiology of bloody diarrhea among patients presenting to Units States emergency departments: prevalence of Escherichia coli O157:H7 and other enteropathogens. Clin Infect Dis 2001; 32: 573–580 16. Travers K, Barza M: Morbidity of infections caused by antimicrobial-resistant bacteria. Clin Infect Dis 2002; 34 (Suppl. 3): S131–134 17. Wolf DC, Giannella RA: Antibiotic therapy for bacterial enterocolitis: A comprehensive review. Am J Gastroenterol 1993; 88: 1667–1671 Zur Person PD Dr. med. Tomas Jelinek, geb. 1966. Nach dem Studium der Humanmedizin in Frankfurt/Main tätig an der Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin der Medizinischen Klinik des Klinikums Innenstadt, Universität München. Diplom für Tropenmedizin und Parasitologie am Bernhard Nocht Institut für Tropenmedizin, Hamburg, 1993. Facharzt für Innere Medizin 2000, Zusatzbezeichnung Tropenmedizin 2001. Seit Januar 2003 Leiter der Ambulanz des Tropeninstituts Berlin. Z. Allg. Med. 2003; 79: 377–379. © Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG, Stuttgart 2003 379