Sequenzen - Uni Kassel

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Theoretische Informatik: Logik, M. Lange, FB16, Uni Kassel:
3.8 Aussagenlogik – Der Sequenzen-Kalkül
Sequenzen
Zum Abschluss des Kapitels über Aussagenlogik behandeln wir
noch Gentzens Sequenzenkalkül.
Def.: Eine Sequenz ist ein Paar Γ =⇒ ∆ von
Formel(multi)mengen. Γ heißt Antezedens, ∆ Sukzedens.
Vereinfachte Schreibweise ohne Mengenklammern, etc.:
ϕ1 , . . . , ϕn =⇒ ψ1 , . . . , ψm
Def.: Γ =⇒ ∆ ist gültig, falls für alle I gilt: wenn I |= ϕ für alle
ϕ ∈ Γ dann I |= ψ für ein ψ ∈ ∆
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3.8 Aussagenlogik – Der Sequenzen-Kalkül
Beispiele
Bsp.: welche der folgenden Sequenzen sind gültig?
1
A, A → B =⇒ B
2
¬A, ¬B =⇒ A, B
3
A, A → B =⇒ ∅
4
A, ¬A =⇒ B
5
A → B, B → C , A =⇒ C
6
A ∧ B → C , A =⇒ B → C
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Folgerung und Allgemeingültigkeit etc.
Gültigkeit von Sequenzen kann bekannte Konzepte wie
Allgemeingültigkeit etc. ausdrücken, z.B.
Lemma: ϕ ist allgemeingültig gdw. die Sequenz ∅ =⇒ ϕ gültig ist.
Beweis: Übung.
Was bedeutet die Gültigkeit der Sequenz ϕ =⇒ ∅?
Kann umgekehrt z.B. Gültigkeit von Sequenzen auf
Allgemeingültigkeit von Formeln zurückgeführt werden? Bei
endlichen Sequenzen ist dies der Fall:
�
�
Γ =⇒ ∆ gültig
gdw.
( Γ) → ( ∆) allgemeingültig
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Beweise im Sequenzenkalkül
Ziel: Formalismus (“Sequenzenkalkül”), der genau die gültigen
Sequenzen charakterisiert
Def.: Ein Beweis im Sequenzenkalkül für eine Sequenz Γ =⇒ ∆ ist
ein endlicher Baum, dessen
• Wurzel mit Γ =⇒ ∆ beschriftet ist,
• Blätter mit Axiomen beschriftet sind,
• innere Knoten mit ihren Söhnen Instanzen von Beweisregeln
sind.
Beweisregeln haben die Form
Γ1 =⇒ ∆1
. . . Γn =⇒ ∆n
Γ =⇒ ∆
(Name)
Γi =⇒ ∆i heißen Prämissen, Γ =⇒ ∆ Konklusion
Axiom = Beweisregel ohne Prämissen
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Axiome und Regeln des Sequenzenkalküls
stelle Beweisregeln auf; je eine pro nicht-atomare Formel
(Konjunktion, Negation, etc.) in Antezedentien und Sukzedentien
insgesamt zunächst 14 = 2 · 7
sinnvolle Eigenschaften
• Beweisregeln sollen Sequenzen vereinfachen: Prämissen
benutzen nur Unterformeln der Konklusion
• Beweisregeln sollen Gültigkeit erhalten: alle Prämissen gültig
gdw. Konklusion gültig
Sukzedens
Antezedens
∧
∨
tt
ff
¬
→
↔
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Fehlendes Axiom
Ist Sequenz A =⇒ A gültig?
Gibt es einen Beweis dafür?
Sequenzenkalkül mit bisherigen 14 Regeln ist nicht vollständig,
aber korrekt:
• Jede beweisbare Sequenz ist gültig.
• Es gibt gültige, aber unbeweisbare Sequenzen.
Sequenzenkalkül kann durch Hinzunahme eines Axioms vollständig
gemacht werden
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Beispiel
Formel ϕ := A ∨ (B ∧ C ) → (A ∨ B) ∧ (A ∨ C ) ist allgemeingültig.
Wie sieht Beweis für ∅ =⇒ ϕ aus?
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Axiomen- und Ableitungslemma
Ziel: zeige, dass im Sequenzenkalkül genau die gültigen Sequenzen
beweisbar sind
dazu brauchen wir zunächst zwei Lemmas
Lemma: (Axiomenlemma I) Jede Sequenz Γ =⇒ ∆, die ein Axiom
ist, ist gültig.
Beweis:
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Beweis des Ableitungslemmas
Lemma: (Ableitungslemma) Für alle Regeln des Sequenzenkalküls
gilt: Die Konklusion ist gültig gdw. alle Prämissen gültig sind.
Beweis
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Korrektheit des Sequenzenkalküls
Theorem 13
Jede im Sequenzenkalkül beweisbare Sequenz ist gültig.
Beweis: Angenommen es ex. Beweis für Γ =⇒ ∆. Wir zeigen per
Induktion über die Höhe h des Beweisbaums, dass Γ =⇒ ∆ gültig
ist.
Induktionsanfang h = 0. Dann ist Γ =⇒ ∆ ein Axiom und laut
Axiomenlemma I gültig.
Induktionsschritt. Sei h > 0. Dann gibt es eine Beweisregel mit
Prämissen P1 , . . . , Pn , zu denen Γ =⇒ ∆ Konklusion ist. Beachte:
Jedes Pi ist beweisbar im Sequenzenkalkül mit einem Beweis der
Höhe < h. Nach Induktionsvoraussetzung sind alle Pi somit gültig.
Mit dem Ableitungslemma folgt dann, dass auch Γ =⇒ ∆ gültig
sein muss.
�
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Vorbereitung auf die Vollständigkeit
Lemma: (Axiomenlemma II) Angenommen Γ, ∆ ⊆ V. Dann ist
Γ =⇒ ∆ gültig gdw. Γ ∩ ∆ �= ∅.
Beweis:
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Maß einer Sequenz
Ziel: Umkehrung von Thm. 13 (gültige Sequenzen sind beweisbar)
schwierig, denn “für alle Interpretationen . . . ⇒ es gibt Beweis . . . ”
Intuition: auf gültige Sequenzen lassen sich Beweisregeln sinnvoll
anwenden, so dass am Ende ein Beweis entstanden ist
Was heißt “am Ende”? Wir müssen irgendwie zeigen, dass dieser
Prozess auch terminiert.
Def.: (Maß) ||Γ −→ ∆|| :=
�
ϕ∈Γ
||ϕ|| +
�
ϕ∈∆
||ϕ||, wobei
||tt|| = ||ff|| := 1
||A|| := 0
||¬ϕ|| := 1 + ||ϕ||
||ϕ ∧ ψ|| = ||ϕ ∨ ψ|| = ||ϕ → ψ|| = ||ϕ ↔ ψ|| := 1 + ||ϕ|| + ||ψ||
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Vollständigkeit des Sequenzenkalküls
Theorem 14
Jede gültige Sequenz ist im Sequenzenkalkül beweisbar.
Beweis: Sei Γ =⇒ ∆ gültig. Wir zeigen, dass es auch beweisbar
ist durch Induktion über j = ||Γ =⇒ ∆||.
Induktionsanfang, j = 0. Dann besteht Γ ∪ ∆ nur aus Variablen.
Nach dem Axiomenlemma II gilt Γ ∩ ∆ �= ∅. Dann ist Γ =⇒ ∆
Instanz von (Ax) und somit beweisbar.
Induktionsschritt, j > 0. Also existiert noch mindestens ein Junktor
oder eine Konstante in Γ ∪ ∆. Wir unterscheiden zwei Fälle.
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Vollständigkeit des Sequenzenkalküls
1
ff ∈ Γ oder tt ∈ ∆. Dann ist Γ =⇒ ∆ Instanz von (ffL ) oder
(ttR ) und somit beweisbar.
2
Sonst. Da j > 0 muss mindestens eine Beweisregel anwendbar
sein. Nach dem Ableitungslemma sind alle entstehenden
Prämissen gültig. Außerdem ist deren Maß jeweils echt kleiner
als j. Nach Induktionshypothese sind diese beweisbar. Durch
Verknüpfung derer Beweisbäume erhält man einen Beweis für
Γ =⇒ ∆.
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Beweissuche
Der Sequenzenkalkül ermöglicht es, automatisch festzustellen, ob
eine gegebene Formel allgemeingültig ist. Systematisch wendet
man Regeln auf die Sequenz ∅ =⇒ ϕ an, um einen Beweisbaum zu
konstruieren.
Alle Pfade enden in Axiomen � Beweis gefunden. Ein Pfad endet
in Sequenz, die kein Axiom ist und auf die keine Regel angewandt
werden kann � kein Beweis möglich.
Beachte: Die Regel selbst verlangen zwar keine Auswahl seitens des
Benutzers; auf eine Sequenz können jedoch i.A. mehrere Regeln
angewandt werden. Reihenfolge der Regelanwendungen unerheblich
dafür, ob Beweis gefunden wird oder nicht.
Sie kann aber die Größe des gefundenen Beweises beeinflussen.
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Beispiel
B =⇒ A, B, C
A =⇒ A, B, C
C =⇒ A, B, C
(B ∨ C ) =⇒ A, B, C
A ∨ (B ∨ C ) =⇒ A, B, C
A ∨ (B ∨ C ) =⇒ A ∨ B, C
A =⇒ A, B, C
A =⇒ A ∨ B, C
(∨R )
A =⇒ (A ∨ B) ∨ C
(∨R )
B =⇒ A ∨ B, C
(∨R )
(∨R )
B =⇒ (A ∨ B) ∨ C
(∨L )
(∨R )
A ∨ (B ∨ C ) =⇒ (A ∨ B) ∨ C
B =⇒ A, B, C
(∨R )
C =⇒ A, B, C
C =⇒ A ∨ B, C
(∨R )
C =⇒ (A ∨ B) ∨ C
B ∨ C =⇒ (A ∨ B) ∨ C
A ∨ (B ∨ C ) =⇒ (A ∨ B) ∨ C
(∨L )
(∨L )
(∨R )
(∨L )
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Andere Beweisregeln
Hier vorgestellter Sequenzenkalkül ist ein System für
aussagenlogische Beweise.
Gibt es auch andere, vielleicht bessere?
Einfachere Frage: Gibt es noch andere Beweisprinzipien (≈
Beweisregeln), mit denen man einfach Beweise führen kann?
zwei Möglichkeiten, Sequenzenkalkül zu erweitern:
• herleitbare Regeln
• zulässige Regeln
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Herleitbarkeit
Def.: Eine Regel mit Prämissen P1 , . . . , Pn und Konklusion K
heißt herleitbar, wenn es einen Beweis für K gibt, der P1 , . . . , Pn
als Axiome benutzt.
Bsp.: Die folgenden Regeln sind z.B. im Sequenzenkalkül
herleitbar.
Γ =⇒ ∆, ϕ1 . . . Γ =⇒ ∆, ϕn
Γ =⇒ ∆, ϕ1 ∧ . . . ∧ ϕn
(∧∗R )
Γ, ϕ, ψ =⇒ ∆
Γ =⇒ ∆, ¬(ϕ ∧ ψ)
(NANDR )
Herleitbare Regeln können die Beweissuche vereinfachen.
Außerdem sollte folgendes offensichtlich sein.
Thm.: Eine Sequenz ist in einem Sequenzenkalkül mit zusätzlichen
herleitbaren Regeln beweisbar, gdw. sie gültig ist.
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Zulässigkeit
Def.: Eine Regel heißt zulässig, wenn sich im Sequenzenkalkül mit
dieser Regel dieselben Sequenzen beweisen lassen wie ohne diese
Regel.
Bsp.: Die folgenden Regeln sind z.B. zulässig aber nicht herleitbar!
Γ =⇒ ∆
Γ, ϕ =⇒ ∆
(WeakL )
Γ =⇒ ∆
Γ =⇒ ∆, ϕ
(WeakR )
Bem.: Jede herleitbare Regel ist zulässig. Nicht jede zulässige
Regel ist herleitbar.
Thm.: Eine Sequenz ist in einem Sequenzenkalkül mit zusätzlichen
zulässigen Regeln beweisbar, gdw. sie gültig ist.
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Fallunterscheidung
Fallunterscheidung ist wichtiges Beweisprinzip, welches Beweise
vereinfachen kann.
im Sequenzenkalkül:
Γ, ¬ϕ =⇒ ∆
Γ, ϕ =⇒ ∆
Γ =⇒ ∆
(CD)
Bsp.: beweise ∅ =⇒ (A ∧ B) ∨ (¬A ∧ B) ∨ (A ∧ ¬B) ∨ (¬A ∧ ¬B)
jeweils mit und ohne Regel (CD)
Thm.: (CD) ist nicht herleitbar aber zulässig.
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