ANALYSIS 1 Kapitel 2: Reelle und komplexe Zahlen MAB.01012UB MAT.101UB Vorlesung im WS 2017/18 Günter LETTL Institut für Mathematik und wissenschaftliches Rechnen Karl-Franzens-Universität Graz 2.1 Körperstruktur und Anordnung von Für (beliebige) reelle Zahlen a, b, c ∈ R R gelten die folgenden (algebraischen) Körperaxiome: (K1) a+b =b+a und a·b =b·a (Kommutativgesetze ) (K2) (a + b) + c = a + (b + c) und (a · b) · c = a · (b · c) (Assoziativgesetze) (K3) ∃x ∈ R mit a + x = b und - falls a 6= 0 - gibt es auch ein y ∈ R Für (K4) x schreibt man auch a · (b + c) = a · b + a · c b − a, mit und für a · y = b. y auch (Distributivgesetz ) b:a= b a. Lemma (1) Es seien a) a, b ∈ R. Die Lösungen x, y ∈ R der Gleichungen in bestimmt. b) (Produkt-Null-Satz) Ist a · b = 0, so folgt a=0 oder b = 0. (K3) sind eindeutig R ist archimedisch geordnet: Gewisse reelle Zahlen x ∈R sind als ,,positiv ausgezeichnet (nämlich diejenigen, die auf der Zahlengeraden rechts von der Zahl 0 liegen); Schreibweise: x > 0. Für beliebige reelle Zahlen a, b gelten die folgenden Anordnungsaxiome: (A1) Genau eine der 3 Relationen ist erfüllt: a > 0, (A2) Sind (A3) Es existiert ein a>0 und a = 0, b > 0, n∈N so gilt mit −a > 0 . a+b >0 n−a>0 (,,Archimedisches Axiom ) und a · b > 0. Denition (1) Es seien a, b ∈ R. −a > 0 a heiÿt negativ, wenn a heiÿt gröÿer als b (a > b), falls a−b >0 a heiÿt kleiner als b (a < b), falls b>a a heiÿt kleiner oder gleich R+ := {x ∈ R | x > 0} R− := {x ∈ R | x < 0} R≥0 := {x ∈ R | x ≥ 0}. b gilt. (a ≤ b), gilt. gilt. falls (a < b) ∨ (a = b) gilt. Satz (1) (Rechenregeln für Ungleichungen) Es seien a, b, c, d ∈ R. Dann gilt: a) Genau eine der Relationen b) Aus c) Ist a>b a > b, b>c folgt a>c ist, so folgt 1 a < 1 b. a+c >b+c c > 0 ist, so folgt ac > bc ; c < 0 ist, folgt ac < bc . iii) Wenn und wenn d) Sind i) a>b und c > d, so folgt: a+c >b+d ii) Wenn b, d ≥ 0 gilt, so folgt 2 e) Ist f) Jede natürliche Zahl ist positiv. a 6= 0, so ist a >0 oder a<b ist erfüllt. (Transitivität von ,,>). so gilt: b>0 i) Wenn ii) und a > b, a = b ac > bd . Satz (2) (Bernoulli'sche Ungleichung) Es sei 0 6= x ∈ R mit x ≥ −1 und 1 6= n ∈ N. Dann gilt: (1 + x)n > 1 + nx Satz (3) Es sei q ∈ R+ . a) Ist q > 1, b) Ist 0 Dann gilt: so gibt es zu jedem < q < 1, K ∈R so gibt es zu jedem ein ε>0 n∈N ein mit n∈N qn > K . mit q n < ε. Satz (2) (Bernoulli'sche Ungleichung) Es sei 0 6= x ∈ R mit x ≥ −1 und 1 6= n ∈ N. Dann gilt: (1 + x)n > 1 + nx Satz (3) Es sei q ∈ R+ . a) Ist q > 1, b) Ist 0 Dann gilt: so gibt es zu jedem < q < 1, K ∈R so gibt es zu jedem ein ε>0 n∈N ein mit n∈N qn > K . mit q n < ε. Denition (2) a ∈ R. Dann heiÿt ( a falls a ≥ 0 |a| := der Absolutbetrag von a und −a falls a < 0 1 falls a > 0 sgn(a) := 0 falls a = 0 das Vorzeichen (oder Signum) von a. −1 falls a < 0 Es sei Satz (4) Für a, b ∈ R gilt: a) |a · b| = |a| · |b| b) |a| < b ⇔ −b < a < b und c) |a| − |b| ≤ |a ± b| ≤ |a| + |b| |a| ≤ b ⇔ −b ≤ a ≤ b Denition (2) a ∈ R. Dann heiÿt ( a falls a ≥ 0 |a| := der Absolutbetrag von a und −a falls a < 0 1 falls a > 0 sgn(a) := 0 falls a = 0 das Vorzeichen (oder Signum) von a. −1 falls a < 0 Es sei Satz (4) Für a, b ∈ R gilt: a) |a · b| = |a| · |b| b) |a| < b ⇔ −b < a < b und c) |a| − |b| ≤ |a ± b| ≤ |a| + |b| |a| ≤ b ⇔ −b ≤ a ≤ b 2.2 Die Vollständigkeit von R Satz (5) √ 2 ist eine irrationale Zahl. Denition (3. a)) Es seien a, b ∈ R mit a < b. Dann heiÿt I = [a, b] := {x ∈ R | a ≤ x ≤ b} das kompakte) Intervall (von a nach b ); I =(a, b) := {x ∈ R | a < x < b} abgeschlossene (auch: das oene Intervall (von a nach I = [a, b) := {x ∈ R | a ≤ x < b} a nach b ); das (nach rechts) halboene I = (a, b] := {x ∈ R | a < x ≤ b} Intervall (von a nach b ). das (nach links) halboene Intervall (von a und b heiÿen die Randpunkte |I | = b − a heiÿt dessen Länge. jedes solchen Intervalls I, und b ); 2.2 Die Vollständigkeit von R Satz (5) √ 2 ist eine irrationale Zahl. Denition (3. a)) Es seien a, b ∈ R mit a < b. Dann heiÿt I = [a, b] := {x ∈ R | a ≤ x ≤ b} das kompakte) Intervall (von a nach b ); I =(a, b) := {x ∈ R | a < x < b} abgeschlossene (auch: das oene Intervall (von a nach I = [a, b) := {x ∈ R | a ≤ x < b} a nach b ); das (nach rechts) halboene I = (a, b] := {x ∈ R | a < x ≤ b} Intervall (von a nach b ). das (nach links) halboene Intervall (von a und b heiÿen die Randpunkte |I | = b − a heiÿt dessen Länge. jedes solchen Intervalls I, und b ); Denition (3. b)) Eine Folge von kompakten Intervallen (In )n∈N = I1 , I2 , I3 , . . . heiÿt eine Intervallschachtelung, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: (IS1) ∀n ∈ N: In+1 ⊂ In (IS2) ∀ε > 0: ∃n ∈ N mit |In | < ε. Vollständigkeitsaxiom (für R): Zu jeder Intervallschachtelung (In )n∈N in R gibt es eine reelle Zahl, die in jedem der Intervalle In enthalten ist. (In )n∈N eine Intervallschachtelung in R, reelle Zahl α, sodass ∀n ∈ N gilt: α ∈ In . Behauptung: Ist genau eine so gibt es Denition (3. b)) Eine Folge von kompakten Intervallen (In )n∈N = I1 , I2 , I3 , . . . heiÿt eine Intervallschachtelung, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: (IS1) ∀n ∈ N: In+1 ⊂ In (IS2) ∀ε > 0: ∃n ∈ N mit |In | < ε. Vollständigkeitsaxiom (für R): Zu jeder Intervallschachtelung (In )n∈N in R gibt es eine reelle Zahl, die in jedem der Intervalle In enthalten ist. (In )n∈N eine Intervallschachtelung in R, reelle Zahl α, sodass ∀n ∈ N gilt: α ∈ In . Behauptung: Ist genau eine so gibt es Satz (6) (Existenz von Wurzeln aus positiven reellen Zahlen) < x ∈ R und jedes k ∈ N k Zahl y > 0 mit y = x . √ 1 k x = xk. Schreibweise: y = Für jedes 0 existiert genau eine reelle Korollar (Denition rationaler Potenzen positiver reeller Zahlen) Es seien 0 Dann gilt: def (=: xr , <x ∈R und p, p 0 ∈ Z, q, q 0 ∈ N √ q xp = √ q0 mit p q = p0 q0 = r ∈ Q. x p0 ist unabhängig von der Darstellung von r als Bruchzahl). Satz (6) (Existenz von Wurzeln aus positiven reellen Zahlen) < x ∈ R und jedes k ∈ N k Zahl y > 0 mit y = x . √ 1 k x = xk. Schreibweise: y = Für jedes 0 existiert genau eine reelle Korollar (Denition rationaler Potenzen positiver reeller Zahlen) Es seien 0 Dann gilt: def (=: xr , <x ∈R und p, p 0 ∈ Z, q, q 0 ∈ N √ q xp = √ q0 mit p q = p0 q0 = r ∈ Q. x p0 ist unabhängig von der Darstellung von r als Bruchzahl). Satz (7) (Arithmetisch-geometrische Mittelungleichung) Für n∈N und a1 , a2 , . . . , an ∈ R≥0 √ n a1 · a2 · . . . · an ≤ gilt: a1 + a2 + . . . + an , n und in dieser Ungleichung gilt ,,= genau dann, wenn a1 = a2 = . . . = an . Hilfssatz Sind (zum Beweis): n∈N und x1 , . . . , xn ∈ R>0 und ,,= gilt genau mit x1 + . . . + xn = n, x1 · . . . · xn ≤ 1 , dann, wenn x1 = x2 = . . . = xn = 1. so gilt Denition (4) Es sei a) M⊂R eine Menge reeller Zahlen. m ∈ M heiÿt Maximum [bzw. Minimum] x ∈ M gilt: x ≤ m [bzw. m ≤ x ]. Schreibweise: m = max(M) [bzw. m = min(M)]. Eine Zahl von M, wenn für alle b) M, s ∈ R heiÿt obere [bzw. untere] x ∈ M gilt: x ≤ s [bzw. s ≤ x ]. Eine reelle Zahl wenn für alle c) M heiÿt nach oben [bzw. nach unten] beschränkt, wenn eine obere [bzw. untere] Schranke von M Schranke von heiÿt beschränkt, wenn M M existiert. nach oben und nach unten beschränkt ist; andernfalls heiÿt M unbeschränkt. Denition (4) (Fortsetzung) d) Eine reelle Zahl Schranke) von M, i) s eine obere ii) jedes s 0 ∈ R Schreibweise: M, heiÿt Supremum (oder kleinste obere Schranke von 0 mit s <s M ist und keine obere Schranke von M ist. s = sup(M). Eine reelle Zahl von s∈R wenn s∈R heiÿt Inmum (oder gröÿte untere Schranke) wenn i) s eine untere Schranke von M ist und ii) jedes s 0 ∈ R mit s < s 0 keine untere Schranke Schreibweise: s = inf (M). von M ist. Satz (8) (Supremumseigenschaft von Jede nicht leere Menge M ⊂ R, R) die nach oben [bzw. nach unten] beschränkt ist, besitzt ein Supremum [bzw. ein Inmum]. Satz (9) (,,Q liegt dicht in Zu jedem r ∈Q mit x ∈ R und jedem |x − r | < ε. R) 0 <ε∈R gibt es eine rationale Zahl Satz (8) (Supremumseigenschaft von Jede nicht leere Menge M ⊂ R, R) die nach oben [bzw. nach unten] beschränkt ist, besitzt ein Supremum [bzw. ein Inmum]. Satz (9) (,,Q liegt dicht in Zu jedem r ∈Q mit x ∈ R und jedem |x − r | < ε. R) 0 <ε∈R gibt es eine rationale Zahl 2.3 Die komplexen Zahlen Denition (5) R2 = {(x, y ) | x, y ∈ R} eine Multiplikation wie folgt deniert: 2 Für (x, y ), (u, v ) ∈ R seien Auf der Menge werde eine Addition ⊕ und (A) (x, y ) ⊕ (u, v ) = (x + u, y + v ) (M) (x, y ) (u, v ) = (xu − yv , xv + yu) Satz (10) Mit den in Denition 5 denierten Operationen Menge R2 (1, 0)), in dem die Gleichung einen Körper (mit Nullelement (0, 0) z 2 = z z = (−1, 0) 2 Lösungen besitzt. ⊕ und bildet die und Einselement 2.3 Die komplexen Zahlen Denition (5) R2 = {(x, y ) | x, y ∈ R} eine Multiplikation wie folgt deniert: 2 Für (x, y ), (u, v ) ∈ R seien Auf der Menge werde eine Addition ⊕ und (A) (x, y ) ⊕ (u, v ) = (x + u, y + v ) (M) (x, y ) (u, v ) = (xu − yv , xv + yu) Satz (10) Mit den in Denition 5 denierten Operationen Menge R2 (1, 0)), in dem die Gleichung einen Körper (mit Nullelement (0, 0) z 2 = z z = (−1, 0) 2 Lösungen besitzt. ⊕ und bildet die und Einselement Denition (6) C = {a + bi | a, b ∈ R} heiÿt der Körper der komplexen Zahlen. Für eine komplexe Zahl z = x + iy ∈ C x = <(z) der Realteil von y = =(z) der Imaginärteil von (mit x, y ∈ R) z z z = x − iy die zu z konjugiert komplexe Zahl p |z| = x 2 + y 2 der (Absolut-)Betrag von z . z ∈C heiÿt rein imaginär, wenn <(z) = 0 gilt. heiÿt: Satz (11) (Rechenregeln für den Absolutbetrag) Für w, z ∈ C a) |z| ≥ 0 gilt: und b) |z| = |z| = √ c) |<(z)| ≤ |z| (|z| = 0 ⇔ z = 0) z · z, und d) z + w = z + w e) |z · w | = |z| · |w | z + z = 2 <(z), |=(z)| ≤ |z| und z ·w =z ·w und |z + w | ≤ |z| + |w | (Dreiecksungleichung) Fundamentalsatz der Algebra: n mit n∈N und z − z = i · 2 =(z) Jede Gleichung n−1 z + an−1 z + . . . + a1 z + a0 = 0 a0 , a1 , . . . , an−1 ∈ C besitzt eine Lösung in C.