Das Schädelhirntrauma und seine Folgen A.S. Gonschorek SHT - Epidemiologie • Etwa 200.000-280.000 pro Jahr in Deutschland • 15% gesetzliche Unfallversicherung • 91 % leichte • 4% mittelschwere • 5% schwere SHT • Männer : Frauen = 4 : 1 1 SHT- Kausalkette versicherte Situation (z.B. Arbeitsplatz) Tatsachenfeststellung im Vollbeweis = mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (§ 286 ZPO) Aufgabe der Verwaltung bzw. des Versicherers Schädigungsereignis (z.B. Sturz) Gesundheitsschädigung (z.B. Hirnkontusion) Aufgabe des Gutachters Funktionsstörung (z.B. Psychosyndrom) SHT - Einteilung • • • • • • • Schädelprellung/Schädelfraktur Commotio cerebri/Contusio cerebri Leicht/mittel/schweres SHT (nach GCS) SHT I, II, III (Tönnis) SHT I, II, III, IV (Bues) SHT I, II, III, IV, V, VI (Lange-Cosack) leichtes/schweres SHT (Plänitz) ? „Die Fiktion, eine Commotio cerebi ohne Substanzbeteiligung und mit definitionsgemäß voller Wiederherstellung klinisch sicher diagnostizieren zu können muss fallen gelassen werden“ (Plänitz und Jochheim 2000) 2 SHT – „leicht“ gleich leicht ? • Ergebnisse einer prospektiven Studie an ca. 6800 Patienten (Hannover-Münster-Studie, von Wild et al., 2006): Patienten mit einem initial als leicht eingeschätzten SHT blieben trotz einer Neurorehabilitation zu 15% schwer, und 40% mäßig stark behindert • Auch nach einem leichten SHT ist das Risiko zu sterben um das 7fache erhöht (McMillan & Teasdale, Brain 2007) Forderung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie: Bei allen Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma sollte in den ersten 14 Tagen eine qualifizierte neurologische und verhaltensneurologische Untersuchung einschließlich EEG durchgeführt werden ! SHT- Pathophysiologische Mechanismen • fokale Hirnschädigung (Coup – Contrecoup) • diffuse axonale Hirnschädigung (Scherverletzung) • sekundäre Hirnschädigung (z.B. Hirndruck, Blutungen, Hirnödem, Hypoxie) 3 SHT – Diffuse axonale Schädigung Problem: • Verletzte sind nicht zwingend länger als eine Stunde bewusstlos • Bei Erstkontakt mit dem Arzt nicht zwingend GCS < 15 • In akuter Bildgebung (CT) meist keine pathologischen Befunde SHT - Anamnese • • • • • • Unfallereignis Initiale Bewusstlosigkeit (DD iatrogen) Amnesie (DD iatrogen) Initiale Symptomatik Durchgangssyndrom (DD iatrogen) Epileptische Anfälle Fremdanamnese, Krankenakte, Pflegedokumentation 4 SHT – Klinische Symptomatik • • • • • • • • • Zentrale Lähmungen Hirnnervenausfälle Störungen der Koordination (Ataxie), Sprech -und Sprachstörungen (Dysarthrie und Aphasie) Sehstörungen (Doppelbilder und Gesichtsfeldausfälle) Störungen des Riechens (Anosmie) Störungen der Durchführung von Handlungen (Apraxie), Störungen der Haltungs- und Gleichgewichtsstabilität Organische Psychosyndrome Decrescendo-Verlauf der Symptomatik ! SHT – Neuroradiologie • Läsionsnachweis beweisend • Initialbefund evtl. falsch negativ (CT oder MRT) • unauffälliges CT schließt Hirnschädigung nicht aus • MRT einschließlich T2*-Sequenz (Hämosiderinnachweis) in Zusammenhangsbegutachtung obligat Cave: - unspezifische Läsionen - unauffällige Bildgebung - spontane Mikroblutungen 5 SHT - Neuroradiologie Subarachnoidalblutung (SAB) oder aktutes Subduralhämatom legen eine traumatische Hirnschädigung nahe, sind aber nicht beweisend ! Epidurale Blutung kein Prädiktor ! Cave: spontane SAB ! SHT - EEG • Herdbefunde mit Verlaufsdynamik • Allgemeinveränderung mit Verlaufsdynamik • Nachweis epileptischer Erregungsbildung 6 SHT - Neuropsychologie • Erfassung/Quantifizierung kognitiver Störungen • Abhängig von Motivation des Probanden (negative Antwortverzerrungen) • Nicht spezifisch (kann für sich genommen eine organische Hirnschädigung nicht nachweisen (DD psychogene Störung) SHT- Kopfschmerzen Keine feste Beziehung zur Schwere der Verletzung, vielfältige Ursachen ! • • • • substantielle Hirnschädigung Schädel- und/oder Weichteilverletzung Psychoreaktive Unfallfolgen Muskuloskeletale Funktionsstörungen Cave: Crescendo-Verlauf der Symptomatik ! Komplikation der Hirnschädigung medikamenteninduzierter Kopfschmerz Verschiebung der Wesensgrundlage 7 SHT - Epilepsie • Nachweis einer traumatischen Hirnschädigung Grundvoraussetzung für Anerkennung • Sicherung der Diagnose (Fremdanamnese, EEG, Video-EEG, ggf. stationäre Beobachtung) • Anfallssemiologie passt zur Lokalisation der Hirnschädigung • Manifestation in der Mehrzahl in ersten 2 Jahren • Keine Anhaltspunkte für konkurrierende Ursachen • Keine Anhaltspunkte für ideopathische Epilepsie SHT - Schwindel • häufiges und belastendes Symptom nach SHT • zentraler Schwindel durch Schädigung des Kleinhirns und Hirnstamms und daraus resultierenden Koordinationsstörungen oder „zentral-vegetativ“ • Schädigung des Gleichgewichtsorgane im Innenohr, z.B. durch eine traumatische Vestibularisschädigung • ein gutartiger Lagerungsschwindel wird häufig übersehen oder diagnostisch falsch eingeordnet, ist aber durch ein entsprechendes Lagerungstraining gut behandelbar. • neurologische und HNO-ärztlichen Untersuchung einschließlich apparativer Diagnostik erforderlich 8 SHT - Endokrinopathie • posttraumatische Hypophysenvorderlappen-(HVL)Insuffizienz möglicherweise nicht selten und bislang häufig übersehen • Die Hormonstörung kann typische Beschwerden eines Schädel-Hirn-Traumas imitieren oder verstärken (z.B. allgemeine Leistungsminderung und Aufmerksamkeitsstörungen, depressive Verstimmungen, Libidoverlust und Wesensänderung). • Bei depressiven Syndromen und/oder Klagen über Befindlichkeitsstörungen und weiteren hinweisenden Symptomen auf eine HVL-Insuffizienz sollte eine endokrinologische Zusatzbegutachtung in Betracht gezogen werden SHT – Psychische Störungen • Unfallunabhängige komorbide Erkrankung • Erlebnisreaktive Störungen, bei der das Unfallereignis auch zu einer psychischen Traumatisierung geführt hat (z.B. phobische Ängste im Straßenverkehr) • Störungen, die sekundär als Folge verbleibender Behinderungen im Verlauf auftreten • Auftreten einer PTBS nach SHT wird kontrovers diskutiert 9 SHT – Psychische Störungen • Depression und Angststörungen sind nach einer traumatischen Hirnschädigung häufig • in vielen Fällen Ausdruck der organischen Wesensänderung (Dysthymie/Minor Depression) • können einen eigenen Krankheitswert besitzen (Major Depression) • Negative Auswirkungen auf die Folgen einer traumatischen Hirnschädigung (allgemeine Minderbelastbarkeit, Antriebsminderung, kognitivmnestische Funktionsstörungen) • Eine sorgfältige gutachterliche Abklärung einschl. neuropsychologischer Untersuchung ist auch im Hinblick auf die Abgrenzung möglicher unfallunabhängiger psychosozialer Faktoren erforderlich. SHT- chronisches Subduralhämatom 10 SHT – M. Alzheimer SHT – M. Alzheimer Die Epidemiologische Daten sind uneinheitlich Problem: -unterschiedliche Definition SHT -definitive Diagnose M. Alzheimer erst postmortem möglich -unterschiedliche Informationsquellen -konfundierende Faktoren sind unbekannt Zusammenfassung der Studienergebnisse: • Neuere Studien stützen die Auffassung das ein SHT ein signifikanter Risikofaktor für die Entwicklung einer Alzheimerdemenz darstellt • SHT interagiert mit anderen Risikofaktoren z.B. Apolipoprotein E4 • SHT kann die Zeit bis zum Auftreten einer Alzheimerdemenz verkürzen • Leichte SHT erhöhen das Risiko nicht 11 SHT - Parkinson • Die Entwicklung eines Parkinsonsyndroms ist bei wiederholter Traumatisierung des Kopfes z. B. bei Boxern (Dementia pugilistica) bekannt • ob und in wieweit auch ein einmaliges Schädel-HirnTrauma zu einer derartigen Symptomatik führen kann ist strittig • Ein Zusammenhang ist nur anzunehmen, wenn es nach einem schweren Schädel-Hirn-Trauma mit Hirnstammschädigung unmittelbar oder im engen zeitlichen Abstand zu einer Parkinsonerkrankung kommt • Ein sich Jahre nach einem einmaligen Schädel-HirnTrauma entwickelndes Parkinsonsyndrom kann hingegen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dem Trauma zugerechnet werden. SHT - Fazit • Die Begutachtung von Schädelhirntraumen ist komplex (Leitlinie DGN) • Eine neuropsychologische Untersuchung ist anzustreben, bei Zusammenhangsfragen notwendig • Im Zweifel ist eine MRT-Untersuchung, einschließlich T2* Sequenzen erforderlich 12