Labyrinthreflexe nach Abschleuderung der Otolithenmembranen bei

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Physiology. Labyrinthreflexe nach Abschlellderung der Otolithenmembranen bei Meerschweinchen. Von A . DE KLEYN und C. V ERSTEEGH.
(Communicated at
~he
mee ting of June 27 , 1931.)
In früheren Arbeiten 1) konnten die klinischen Beobachtungen rnitÇJc teilt werden, die an verschiedenen Meerschweinchen nach Abschleuderung
der Otolithenrnernbranen durch Zentrifugieren nach der Methode von
WITTMAACJ< gernacht worden sind.
Von den Labyrinthreflexen waren bei den Tieren nach dem Zentrifu ··
gieren noch die Reflexe auf Drehung und auf Progressivbewegung auslösbar, während die tonisch en Reflexe verschwunden waren. Die ganze
Untersuchung fand auf die folgende Weise statt: Vor dern Zentrifugieren
wurden bei den Meerschweinchen die verschiedenen Labyrinthreflexe
genau untersucht und nur diejenigen Tiere fanden in den Versuchen
Verwendung, bei denen alle Reflexe norrnal vorhanden waren. Nachdern
die Tiere zentrifugiert worden waren, wurde die Untersuchung der
Labyrinthreflexe wiederholt. Nach längerer oder kürzerer Zeit wurden
die Tiere dann dezerebriert, urn die tonischen Labyrinthreflexe auf die
Muskeln der Extrernitäten gen au untersuchen zu können, während rnittels
einer anatornischen Untersuchung in Serienschnitten kontrolliert wurde,
ob die Otolithenrnernbranen durch das Zentrifugieren tatsächlich ganz
abgeschleudert waren. Einige Bernerkungen über die früher veröffentlichten ProtokolIe rnögen hier eingefügt werden:
Bei der Mitteilung dieser Protokol'le haben sich einige Undeutlichkeiten eingeschlichen",
welche eventuell Veranlassung zu Verwirrungen geben könnten. Wenn darin gèsagt wird
"Augendrehreaktionen nonnal vorhanden" so n.'uss dies eigentlich heissen : Augendrehreaktionen vorhanden, da keine quantitativen Versuche gemacht worden sind. Ausserdem
wurde auch niC'ht vcrmerkt, dass von den Augendrehreaktionen und -nachreaktionen, bzw,
-nystagmus nur die horizontalen und nicht auch die vertikalen und rotatorischen untersucht wurden.
In den vorigen Mitteilungen haben wir die folgenden Gruppen von
Tieren beschrieben :
a. 3 Tiere. bei denen nach Zentrifugieren die Reflexe auf Bewegung
vorhanden. die tonischen Reflexe dagegen verschwunden waren und die
rnikroskopische Untersuchung nachwies. dass die Otolithenrnernbranen
1) MAGNUS R. und DE KLEYN A. Proceedings 23. 1920. 907. S. auch Proceedings 25.
1922. 256 und Proceedings 27. 1923. 201. Uebrigens DE KLEYN A. und MAGNUS R.
Pflügers Arohlv 186. 1921. 61 und DE KLEYN A. und LUND R. Acta oto-Iaryngologie;)
6. 1924. 92.
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abgeschleudert waren. Diese Tiere wurden 2, 2. und 8 Tage nach dem
Zentrifugieren getötet.
b. 4 Tiere, bei denen ebenfalls die Reaktionen auf Bewegung erhalten
und die tonisch en Reflex e verschwunden waren, die jedoch nUf klinisch
unters uc ht worden sind (7- 9 Tage nach dem Z en trifugieren getötet).
c. I Tier (4 Tage nach dem Zentrifugieren getötet), bei dem infolg e
einer weitläufigen Blutung das eine Labyrinth ganz ausgeschaltet war,
worauf übrigens schon die klinische Untersuc hung hinwies (asymmetrische Reflexe auf Drehung).
d, 1 Tier, bei dem nach dem Z entrifugieren alle Reflexe normal waren
und es sich bei der anatomischen Untersuchung herausstellte, dass die
Otolithenmembranen auch nicht abgeschleudert waren.
Ausser diesen schon beschriebenen Fällen stehen uns jetzt noch 19 zur
Verfügung, di e sowohl klinisch als anatomisch untersucht worden sind.
2 Tiere wiesen bei volkom men abgeschleuderten Otolithenmembranen das
oben beschriebene klinische Bild auf: vorhandene Bewegungs- und
fehlende tonische Refle xe. Bei 5 Tieren steilte sich bei der anatomischen
Untersuchung heraus, dass die Otolithenmembranen gänzlich, oder so gut
als gänzlich an Ort und Stelle geblieben waren. In Uebereinstimmung
hiermit waren bei diesen Tieren alle Labyrinthreflexe vorhanden.
Ausdrücklich möge hier jedoch darauf hingewiesen werden, dass obiges
keineswegs sage n will , dass das Zentrifugieren überhaupt keinen Einfluss
auf die Labyrinthreflex e ausgeübt habe. Di e nur qualitativ ausgeführten
Versuche können hierüber keinen Aufschluss geben. Verlässliche quantitative Untersuchung en der verschiedenen Labyrinthreflexe sind augenblicklich noch nicht aus führbar. Dies gilt in erster Linie in Bezug auf die
meisten tonischen Labyrinthreflexe und Reaktion en auf Progressivbewegungen , ab er auch bei der quantitativen Besti mmung der Drehreflexe stösst
man auf sehr grosse Schwierigkeiten, 1 )
Bei mehreren von den übrigen Tieren steilte sich heraus , dass die
tonisch en Labyrinthreflexe auf verschiedene Wei se gestört waren. Wir
haben gehofft, durch eine genaue Vergleic hung der klinischen Erscheinungen mit den gefundenen anatomischen Abweichungen nähere Aufschlüsse zu erhalten über die Auslösungsstellen der verschiedenen Labyrinthreflexe im peripheren Labyrinth Durch verschiedene Umstände war
es uns erst jetzt möglich , die klinisch en und anatomischen Abweichungen
genau zu studieren. Dabei kamen einige merkwürdige Befunde ans Licht,
die leider zwar zeigten, dass unsere Hoffnung vorläufig nur eitel war ,
die jedoch immerhin für unsere Auffassung der Labyrinthreflexe u.E. nicht
ohne Bedeutung sind.
Obwohl früher gezeigt werden konnte 2), dass nach doppelseitiger
Exstirpation der beiden maculae sacculi die bisher bekannten labyrinthären
Reflexe noch ohne Ausnahme und scheinbar unverändert ausgelöst wer-
J. und DE KLEY N A . Graefe's Archiv 111 , 1923, 374,
2) VERSTEEG H, C. Acta Otto-Laryngol. 11 . 1927. 393.
1) S. u. A. DUSSER DE BARENN E
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den können und es also wahrscheinlich für die von uns untersuchten
Labyrinthreflexe nicht von Bedeutung ist. ob die Sacculusotolithenmembranen abgeschleudert sind oder nicht. wurde doch bei obigen Tieren der
Zustand der Sacculusmembranen immer genau untersucht. Von den Resultaten dieser Untersuchung möge jetzt schon kurz das folg ende mitgeteilt
werden . Eine ausführIiche Beschreibung möge für eine spätere Arbei t
vorbehalten werden .
1. Es ist möglich , dass kürz ere oder längere Zeit nach Abschleuderung der Otolithenmembran en doch wieder tonische Labyrint/.reflexe auftreten können. Diese Auffassung stützt sich u.a. auf die folgenden Beobachtungen :
Mee r s c h wei n c hen 11: Beide Utriculusmembranen vollkommen
abgeschleudert. beide Sacculusmembranen ebenfalls. bis auf einen ganz
kleinen Teil der linken. der an der ventralen Wand hängen geblieben ist.
Trotz diesem Befund wurden nach Dezerebrierung sogar sehr lebhafte
tonische Labyrinthreflexe auf die Extremitäten gefunden .
Mee r s c h wei n c hen 17: Linke Utriculus- und Sacculusmembranen vollkommen abgeschleudert. rechte Utriculus- und Sacculusmembranen
grösstenteils in situ. Trotz dieser einseitig vollkommenen Abschleuderung
der Otolithenmembranen waren alle tonischen Labyrinthreflexe symmetrisch auslösbar (nur ei ne leichte Grunddrehung war vorhanden) . Wenn
die Maculae ohne Otolithenmembranen keine tonischen Reflexe auslösen
würden . so müsste man a uf jeden Fall eine starke Asymmetrie erwarten.
ähnlich derjenigen. welche die tonischen Labyrinthreflexe nach einseitiger
Maculaausschaltung 1) aufweisen.
Mee r s c h wei n c hen 9 : Linke Utriculusmembran und beide Sacculusmembranen gänzlich abgeschleudert. rechte Utriculusmembran grösstenteils in situ. Obwohl hier also nur eine Utriculu smembran funktionierte .
waren doch alle tonischen Labyrinthreflexe symmetrisch vorhande n.
Auch - bei einigen anderen Tieren sind noch ähnliche Beobachtungen
gema cht worden . - diese drei Beispiele mögen jedoch genügen. um zu
zeigen . dass auch ohne Otolithenmembranen tonische Labyrinthreflexe
a uslösbar sind .
2. Obwohl in 4 Pällen ein e d er Otolithenmembran en gege n eine von
den Cris fae d er B ogengänge angeschleudert und dort haften geblieben war,
zeigte nur ein Tier (Meerschweinche n 5) einen spontanen Augen- und
Kopfnystagmus, und auch dies es nur an dem Taf/e, an d em es zentrifu .·
giert worden war.
Da in dem Moment der Anschleuderung der Otolithenmembran gegen
die Crista eine Untersuchung der Tiere natürIich nicht ausführbar ist.
bleibt es möglich. dass ein ganz kurz . dauernder Nystagmus hierdurch
ausgelöst wird. ohne bemerkt zu werden ; merkwürdig ist jedenfalls. dass
von dem Moment an . dass die Tiere untersucht werden können . in vielen
1) VERSTEEGH C. Acta Oto-Laryngol. 11. 1927. 393.
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Fällen der bleibende Kontakt der Membran mit der Crista keinen spontanen Kopf- und Augennystagmus a ls Zeichen einer wahrnehmbaren Irritation der Crista verursacht.
Nebenbei sei bemerkt. dass im Gegensatz zu den Beobachtungen von
NYL EN I) in . keinem von unseren Fällen ein Kopflage-nystagmus der
Augen wahrgenommen wurde. auch da nn nicht. wenn die Otolithenmembranen nur an einer Seite abgeschleudert waren. Unter welchen bestimmten Umständen das von NVL EN beobachtete Phenom en zur Beobachtung
kommt. müsste noch näher unters ucht werden.
3. Schliesslich noch einige Bemerkungen über die Auslösungsstelle der
Progressivreaktion en. Seinerzeit wurde auf Grund dessen . dass die Progressivreaktionen noch auslösbar waren nach Abschleuderung von allen
vier Otolithenmembranen. a ngenommen . dass diese Reaktionen auch in den
Bogengängen ausgelöst werden können. obwohl schon damals darauf hingewiesen wurde . dass hiermit keineswegs gesagt werden soli. dass die
Otolithenorgane nicht auc h als Auslösungsstelle in Betracht kommen
können . 2 )
Unter 1. konnte gezeigt werden. dass für die AlIslösllng der tonisch en
Labyrinthreflexe die Otolithenmembranen nicht unbedingt notwendig sind.
Hieraus ergibt sich von selbst die F rage. ob das Vorhandensein von Progressivreaktionen nach dem Z~n trifugieren nicht ausschliesslich in dem
Sinne gedeutet werden darf. dass die membranlosen Maculae auch auf
Progressivbewegunge n reagieren können.
Mehr Sicherheit wäre über diese Frage zu bekommen. wenn man bei
den Versuchstieren den N. utricularis doppelseitig durchschneiden würde.
Bei den oben angeführten Versuchen 3) war dies nur einseitig geschehen .
nach einem derartig en Eingriff ist das Weiterbestehen der Progressivreaktionen nicht beweisend. da auch nach einseitiger totaler Labyrinthextirpation noch Progressivreaktionen auftreten.
Doch bleibt es merkwürdig . dass in beinahe allen Fällen schon unmittelbar nach dem Zentrifugieren und der Abschleuderung der Otolithenmembranen bei fehlend en tonischen Labyrinthreflexen sowohl Dreh- als Progressivreaktionen gut auslösbar waren. während in allen unsren Fällen.
in denen die tonischen Labyrinthreflexe nach dem Zentrifugieren mehr
oder weniger gestört waren. die Dreh- und Progressivreaktionen immer
ausgelöst werden konnten.
Würden die Progressivreaktionen ausschliesslich in den Otolithenorganen ausgelöst. so wäre es nicht gut erklärlich. dass bei einerstarker Beschädigung dieser Organe in den allermeisten Fällen sogar unmittelbar
nach der Beschädigung. keine Störungen der Progressivreaktionen zur
Beobachtung kommen.
C. Acta Oto-Laryngol. 9 . 1926. 179.
u.A. DE KLEVN A. Jahresbe richte über die Ges. Physiologie 1920. S. 300
3) VERSTEEGH C. Acta Oto-Laryngol. 11. 1927. 393.
I) NVLEN
2)
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Physiologisch müssen die Progressivreaktionen jedenfalls zu den Bewegungs- und nicht zu den Lagereflexen gerechnet werden. Bleiben doch
diese letzteren so lange bestehen, wie eine bestimmte Stellung des Kopfps.
d.h. der Labyrinthe im Raume beibehalten wird, während die Bewegungsreflexe im Vergleich mit den tonisch en Labyrinthreflexen immer ~ur kurzdauernd sind und nur dann auftreten wenn der Kopf bezw. die Labyrinthe
bewegt werden. Auch kann man im allgemeinen sagen, dass die tonisch en
Labyrinthreflexe eine längere Latenzzeit zei gen als die Bewegungsreflexe.
Es wird aber noch vieler Experimente bedürfen, urn mit grösserer Sicherheit feststellen zu können, wo man sich anatomisch die Auslösungsstellen
der verschiedenen Labyrinthreflexe denken muss.
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