Beitrag Herr Bernd Frank

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Clienia Littenheid AG
Privatklinik für Psychiatrie
und Psychotherapie
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Das Psychotrauma und seine Folgen
1) Was ist ein Trauma?
 Unterschiedliche Konzepte
 Unterscheidung Typ I und Typ II
2) Unterscheidung der Traumatisierungen
3) Bindung und Trauma
4) Auswirkungen frühkindlicher Traumatisierungen auf die Gehirnentwicklung
 Komplexe Beeinträchtigung von Struktur und Funktion
5) Kurzer Abriss Neurobiologie der komplexen Traumafolgestörungen
6) Welche komplexen Traumafolgestörungen werden unterschieden
 Symptomatische Unterscheidung
 Komorbiditäten/PTSD-Verlaufstypen
 Transgenerationale Weitergabe von Traumatisierungen
1) Was ist ein Trauma
Emotionaler Missbrauch: Entwerten, isolieren, ausbeuten, etc.
„Traumatische Zange“ es gibt keine Möglichkeit der traumatischen Situation zu entrinnen, diese Ausweglosigkeit
wird als „traumatische Zange“ bezeichnet.
Es können auch in der kindlichen Entwicklung sogenannte „Parentifizierungsphänomene“ auftreten, dass heisst
ein Kind wird in eine Elternrolle gedrückt oder muss eine Elternrolle übernehmen, anstatt sich auf seine eigene
Entwicklung verlassen zu können.
Psychisches Trauma (seelische Verletzung)
Ein psychisches Trauma ist zunächst eine seelische Verletzung. Eine traumatische Erfahrung ist ein Erlebnis von
solcher Intensität und Bedrohlichkeit für die psychische Integrität, dass es seelisch zunächst nicht verarbeitet
werden kann. Ein Trauma entsteht, wenn ein Mensch durch ein Naturereignis oder eine Handlung anderer Menschen hilflos gemacht wird und vollkommen überwältigt wird, wenn alle bisherigen Sicherheiten verloren gehen,
wenn das Netz zerreist, das diesem Menschen bisher das Gefühl von Halt, Sicherheit und Kontrolle über sein
Leben, Zugehörigkeit und Sinn gab.
Eine traumatische Erfahrung ist ein vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den
individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von absoluter Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe
einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbstverständnis und Weltverständnis bewirkt.
„Ein Trauma ist die am meisten vermiedene, ignorierte, verleugnete, missverstandene und unbehandelte Ursache
menschlichen Leidens“ (P. Levine).
2) Unterscheidung der Traumatisierungen
Schocktraumata
 Unfälle
 Naturkatastrophen (Tsunami, etc.)
 Überfälle
 Kriegshandlungen (aktives und passives Erleben)
Beziehungstraumata
 Vernachlässigung (neglect)
 Sexueller/Physischer Missbrauch (abuse)
 Emotionaler Missbrauch
Bindungstraumata
 Unsichere Bindung → Desorganisierte Bindung (Typ-D)
 Deprivation
Differenzierung zwischen kurzen und einmaligen Traumatisierungen (Typ I) und länger anhaltenden und wiederholten Traumatisierungen (Typ II).
3) Bindung und Trauma
Entwicklungspsychologische Bemerkungen
Bindungsforschung und Entwicklungspsychologie haben die Grundlagen für die moderne Behandlung schwerer
Persönlichkeitsstörungen sowie Traumafolgestörungen gelegt.
Eine wichtige Erkenntnis ist, dass der Verfügbarkeit, Responsivität und Feinfühligkeit früherer Bezugspersonen
eine grosse Bedeutung für die Ausbildung sicherer Bindungen zu kommen.
Es konnte überzeugend gezeigt werden, dass eine optimale Entwicklung und eine lebenslange Widerstandskraft
gegen Belastungen ihre Wurzeln in den dyadischen Prozessen der frühen Kindheit haben.
Der Bindungsstatus eines Menschen ist der ausschlaggebende Faktor für dessen Beziehungen – dass spiegelt
sich in der Art und Weise wieder, wie er über sich und andere denkt.
Komplexe posttraumatische Belastungsstörungen sind immer auch Bindungsstörungen, denn anhaltende personale Traumatisierungen treffen die Bindung zu den wichtigsten Bezugspersonen zentral. Von daher haben die
Befunde der neueren Bindungsforschung für das Verständnis der Persönlichkeitsproblematik traumatisierter Menschen eine herausragende Bedeutung.
Vier Bindungsstile werden unterschieden
 Sichere Bindung
 Unsicher-vermeidende Bindung
 Unsicher-ambivalente Bindung
 Desorganisierte/Desorientierte Bindungen (Typ-D-Bindung)
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Neurobiologie des Bindetraumas
 Misshandelnde Bezugspersonen lösen bei Kindern traumatische Zustände mit anhaltenden negativen Affektzuständen aus.
 Es finden "chaotische" biochemische Veränderungen im kindlichen Gehirn statt, insbesondere exzessive
Freisetzung von Stresshormonen und Neurotransmittern.
 Synapsen bilden sich zurück und der programmierte Zelltod beschleunigt sich.
 Der präfrontale Kortex, der für die Emotionsregulierung in reifungssensiblen Phasen des Hirnwachstums
wichtig ist, ist geschädigt.
 Neurobiologische Vorgänge bei sozialen Trennungen ähneln denjenigen bei körperlichem Schmerz.
4) Auswirkungen frühkindlicher Traumatisierungen auf die Gehirnentwicklung
Der Einfluss von traumatischen Erfahrungen auf Funktion und Struktur des Gehirns
 Beziehungstraumen in den ersten Lebensjahren behindern das Wachstum des limbischen Systems, dabei kommt es zu einer Störung der Entwicklung der Bewältigungssysteme, zu emotionaler Übererregung
und zu verminderter bewusster Emotionswahrnehmung.
 Beziehungstraumata beeinträchtigen die Fähigkeit, sich ein Bild von dem eigenen körperlichen Zustand
zu machen und beeinflusst das Körperbild.
 Bei anhaltender Bedrohung nicht im „window of tolerance“ → ausgeprägte Mentalisierungsdefizite
 Beziehungstraumen blockieren in kritischen Phasen das Wachstum der Dendriten. Sie behindern auch
die Vermehrung der Astrozyten, die für die Regulation der metabolischen Aktivität und der Plastizität der
Synapsen im Gehirn zuständig sind.
 Misshandlungen und Vernachlässigung bewirken insbesondere eine exzessive Freisetzung von Adrenalin
und Noradrenalin. Diese Substanzen führen in hoher Konzentration zum Rückgang von Synapsen.
Traumatische Einflüsse haben ihre schädlichsten Auswirkungen in denjenigen kritischen Entwicklungsphasen, in
denen das Gehirn am stärksten formbar ist. Die negativen Beziehungserfahrungen werden in die neurobiologischen Strukturen eingeprägt und bewirken eine anhaltende Minderung der Fähigkeit zur Emotionsregulierung
sowie auch zur Mentalisierung.
5) Kurzer Abriss Neurobiologie der komplexen Traumafolgestörungen
Traumatischer Stress bewirkt
 Einen Zusammenbruch der Funktionen des Hippocampus und damit eine Störung der Transformation der
Erinnerungseindrücke in ein integriertes semantisches Gedächtnis.
 Eine ungefilterte Aktivität der Amygdala mit unangemessener Meldung von Gefahrensignalen, Intrusionen
und übergeneralisierter Angstreaktionen auf Auslösereize, die spezifische Elemente der traumatischen Situation enthalten.
Im traumatischen Zustand, der lange anhalten kann, sind beide Komponenten des autonomen Nervensystems
(ANS) aktiviert, die sympathikotone – Energie erzeugende – und die parasympathikotone – Energie bewahrende
– Komponente. Das beinhaltet einen Zustand der Übererregung und der massiven Bremsung (gleichzeitig auf das
Gas und die Bremse treten). Solche Zustände werden vor allem bei desorganisiert gebundenen Kindern beobachtet.
Unter Extremstress kommt es zu einem Zusammenbruch der Verbindung zwischen Amygdala und Hippocampus,
so dass hemmende Reize vom Hippocampus nicht mehr erfolgen.
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Dadurch wird eine korrigierende Bewertung der im Kortex gespeicherten Informationen nicht mehr möglich, was
das hilflose Ausgeliefertsein an überflutende Emotionen bei Traumatisierten erklären kann.
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Aktivierungs-/Stresskurve
Strukturelle Dissoziation
TRAUMA
Erfahrungen können
Integriert werden
Erfahrungen können nicht
integriert werden durch Mangel
an integrativen Kapazitäten der
Persönlichkeit
Integration: "Hier und Jetzt" versus
"Dort und Damals"
Strukturelle Dissoziation der Persönlichkeit
Peritraumatische Dissoziation
Während eines Traumas (massiv bedrohliche Ereignisse) ergeben sich folgende Phänomene:
 Tiefe Gefühle von Unwirklichkeit
 Out-of-body-Erfahrungen
 Losgelöstsein vom eigenen Körper
 Tunnelblick
 Unempfindlichkeit gegenüber Schmerzen (Analgesie)
 Bewegungsstörungen
Ein Trauma löst desintegrative Effekte proportional zu seiner Schwere, seiner Intensität, seiner Dauer und seiner
Wiederholungen aus.
Während eines Traumas spaltet sich die integre Persönlichkeit auf in einen EP (emotionalen Persönlichkeitsanteil) und in einen ANP (anscheinend normaler Persönlichkeitsanteil) –
Die Unfähigkeit, ein traumatisches Ereignis zu integrieren, ruft eine strukturelle Dissoziation der prämorbiden Persönlichkeit in zwei mentale Zustände hervor!
Nijenhuis und Kollegen gehen davon aus, dass ernsthafte Bedrohung zu einer strukturellen Dissoziation führt,
primär zwischen dem Alltagssystem, welches in die Organisation des täglichen Lebens und dem Überleben der
Art der anderen Seite.
Diese beiden dissoziierten Selbst-Zustände oder Persönlichkeitsanteile werden ANP (anscheinend normale Persönlichkeitsanteile) und EP (emotionale Persönlichkeitsanteile) genannt, entsprechend einem Vorschlag von Myers (1940) auf Grund von Beobachtungen im 1. Weltkrieg.
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Neurotransmitter Dysfunktionen (Noradrenalinerg, Serotonerg, Dopaminerg) bewirken psychische Symptome wie
flash-backs/Intrusionen, gestörte Impulskontrolle, Pseudohalluzinationen, etc.
6) Welche komplexen Traumafolgestörungen werden unterschieden
Die diagnostischen Kriterien der posttraumatischen Belastungsstörung nach ICD-10
Im ICD-10 findet sich unter F.43.1 eine dem DSM-IV analoge Klassifikation für die PTSD als verzögerte oder
protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit aussergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmass, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde.(…) Typische Merkmale sind:
Das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks,
Intrusionen), Träumen oder Albträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein
und emotionaler Stumpfheit auftreten.
(…) Gleichgültigkeit (…), Teilnahmslosigkeit (…), Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten.
(…) ein Zustand von vegetativer Übererregbarkeit mit Vigilanzsteigerung, (…) einer übermässigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörungen (…).
Angst und Depression, (…) Suizidgedanken sind nicht selten.
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Akute Belastungsreaktionen
Komplexe PTSD
Komplexe Dissoziative Störungen
 DDNOS (Dissociative Disorder Not Otherwise Specified ) = Nicht näher bezeichnete Dissoziative
Störung
 DIS (Dissoziative Identitätsstörung)
Traumabedingte Persönlichkeitsstörungen
Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung
Übersicht der Belastungsstörungen und einer Auswahl der dissoziativen Störungen
ICD-10
F43.0 Akute Belastungsreaktion
F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung
F62.0 Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, nicht anderweitig bezeichnet. Diese Störung
entspricht weitgehend der komplexen PTSD oder DESNOS
Dissoziative Störungen
F44.0 Dissoziative Amnesie
F44.1 Dissoziative Fugue
F44.2 Dissoziativer Stupor
F44.81 Multiple Persönlichkeitsstörung
F48.1 Depersonalisations-/Derealisationssyndrom (im ICD-10 unter neurotischen Strg.)
Das Posttraumatische Belastungssyndrom
Eine nicht verarbeitete seelische Traumatisierung äussert sich vor allem:
 Wiederkehrende, sich aufdrängende Bilder vom traumatischen Ereignis (Intrusionen)
 Nachhallerinnerungen (Flashbacks)
 Albträume
 Angst und erhöhte Schreckhaftigkeit
 Allgemein erhöhtes Erregungsniveau im Nervensystem
 Übermässige Wachsamkeit (Hyperarousal)
 Ein- und Durchschlafstörungen
 Reizbarkeit und Wutausbrüche
 Konzentrationsstörungen
 Vermeidung von Situationen, die an das Trauma erinnern könnten
Trias
I. Unfreiwillige Erinnerungsbilder an das Trauma, die sich aufdrängen → Intrusionen (visuell, auditiv, olfaktorisch, etc. )
II. Verleugnung und Vermeidung von Situationen, die an das Trauma erinnern oder diesem ähneln (Konstriktive Symptomatik)
III. Dauerndes erhöhtes Erregungsniveau, überhöhte Wachsamkeit, ständige Alarmbereitschaft des Nervensystem, Hyperarousel, Hypervigilanz, Nervosität
Störungsbereiche der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung
I. Störungen der Regulation von Affekten und Impulsen
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Starke Stimmungsschwankungen mit Unfähigkeit sich selbst zu beruhigen
Verminderte Steuerungsfähigkeit von aggressiven Impulsen
Autodestruktive Handlungen und Selbstverletzen
Suizidalität
Störungen der Sexualität
Exzessives Risikoverhalten
II. Störungen der Wahrnehmung oder des Bewusstseins
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Amnesien
Dissoziative Episoden und Depersonalisation
III. Störungen der Selbstwahrnehmung
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Unzureichende Selbstfürsorge
Gefühl dauerhaft zerstört zu sein
Schuldgefühle
Scham
Gefühl isoliert und abgeschnitten von der Umwelt zu sein
Bagatellisieren von gefährlichen Situationen
IV. Störungen in der Beziehung zu anderen Menschen
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Unfähigkeit zu vertrauen
Wiederholte Viktimisierungen
Viktimisierung anderer Menschen
V. Somatisierung
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Somatoforme Symptome
 Gastrointestinale Symptome
 Chronische Schmerzen
 Kardiopulmonale Symptome
 Konversionssymptome
 Sexuelle Symptome
Hypochondrische Ängste
VI. Veränderungen von Lebenseinstellungen
 Fehlende Zukunftsperspektive, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit
 Verlust von früher stützenden, persönlichen Grundüberzeugungen und Werten
Psychobiologische Verlaufstypen der PTSD
Sucht-Verlaufstyp
Gekennzeichnet durch den Versuch, traumatische Angst und intrusive Erinnerungsbilder durch Suchtmittel unter
Kontrolle zu bringen.
PTSD-Angsttyp
Überwiegen traumabedingte Ängste – in der traditionellen Versorgung meist frühe Behandlung, jedoch unter der
Diagnose einer Angststörung.
PTSD-Vermeidungstyp
Besteht die zentrale Verarbeitung in unterschiedlichen Formen von Vermeidungsverhalten, um Angstzuständen
zu entgehen.
Dissoziations-Verlaufstyp
Der Verlauf ist vorrangig durch Traumaverarbeitung über verschiedene Formen der Dissoziation gekennzeichnet.
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Leistungskompensatorischer Verlaufstyp
(„Workaholic“) Traumaverarbeitung durch übermässige Arbeit, Vorteil: Sozial anerkannt; wird oft über Jahrzehnte
beibehalten, Entwicklung von psychosomatischen Symptomen, vor allem psychogene Schmerzen und depressiven Verstimmungen.
Begleiterkrankungen/Komorbidität der PTSD
Traumareaktive Begleiterkrankungen finden sich bis zu 80% bei der PTSD – die „einfache“ PTSD ist eher die
Ausnahme!
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Posttraumatische Abhängigkeitsstörungen (z. B. Alkohol, Schmerzmittel, Beruhigungsmittel, etc.) – das
beste Mittel gegen Nachhallerinnerungen (Flashbacks) sind Alkohol und Tranquilizer!
Posttraumatische Depression (ca. 50% der depressiven Menschen sind komplex traumatisiert)
Posttraumatische Schmerzstörung (z. B. chronisches Schmerzsyndrom, Fibromyalgie, etc.)
Posttraumatische Angststörungen (z. B. Panikstörung, undifferenzierte Angstzustände)
Posttraumatische Esstörungen (z. B. Anorexie/Magersucht, Bulimie/Ess-/Brechsucht, etc.)
Posttraumatische Persönlichkeitsveränderung (Wut- und Hassausbrüche bei den kleinsten psychischen
Belastungen, Dissozialität, Selbst- und Fremdgefährdung)
Posttraumatische dissoziative Störungen (z. B. Borderline – Persönlichkeitsstörung, DIS=dissoziative
Identitätsstörung/multiple Persönlichkeit)
Selbstverletzung ist das „beste“ Antidissoziativum
Bernd Frank
Oberarzt Stationäre Traumatherapie
Fachpsychotherapeut für Traumatherapie (DIPT/SIPT)
19.10.2010
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