WINTERLOGIK 2016-17 André Fuhrmann Goethe-Universität Frankfurt am Main Frankfurt am Main im März 2017 © A. Fuhrmann Goethe-Universität Frankfurt am Main Institut für Philosophie Logik im Winter 20016-17 Einführung André Fuhrmann 00einfuehrung 161018.1136 Winterlogik 2016-17 / fol. 1 Vorlesung Di 12–14 und Mi 10–12, HZ 6 Sprechstunde Prof. Dr. André Fuhrmann I.G. Farben, Zimmer 2.557 nach Voranmeldung Fragen zur Vorlesung Auch sehr gerne per Email: fuhrmann(at)em.uni-frankfurt.de oder über das OLAT-Forum. 2 Winterlogik 2016-17 / fol. 2 “Die Philosophie ist heute bestenfalls dort wo die Mathematik bei den Babyloniern war.” Kurt Gödel (1906-1978) 3 Winterlogik 2016-17 / fol. 3 Dank Dank Studenten und Tutoren, die seit 2006 diese Vorlesung in Frankfurt begleitet haben, bin ich sehr zu Dank verpflichtet. Von den Tutoren möchte ich insbesondere nennen: Katayun Bahremand, Maria Bätzing, Serkan Gören, Dominik Kauß, Tim König, Matthias Hoch, Melvin Keilbar, Katrin Öchsner, Clemens Rosenbaum, Sophie Siebenlist und Alexander Umstadt. Danken möchte ich auch meinen Kollegen Manfred Kupffer und Ede Zimmermann, die an der Frankfurter Konzeption einer Logik für Philosophen und Kognitive Linguisten einen wichtigen Anteil haben. Schließlich sei auch sehr herzlich Erna Mamane † und Maria Nicolosi für die organisatorische Betreuung der Winterlogik gedankt. AF im Winter 2016-17 4 Winterlogik 2016-17 / fol. 4 ?? ?? • Logik ist (wie Ethik, oder Metaphysik, oder Sprachphilosophie, oder Politische Philosophie, oder Ästhetik, oder ...) ein eigenständiges Gebiet in der Philosophie. • Wie die meisten anderen philosophischen Gebiete, steht es in Beziehungen zu bestimmten Nachbardisziplinen: Linguistik, Informatik, Mathematik u.a. • Wie in den meisten anderen philosophischen Gebieten, setzen gültige Forschungsleistungen in der Logik heute einen hohen Grad an Spezialisierung voraus. — Um solches Spezialwissen geht es in dieser Einführung nicht. • In den meisten philosophischen Gebieten werden heute logische Mittel (“formale Methoden”) verwendet. Das kann ggf. mehr (Theoretische Philosophie) oder weniger (Praktische Philosophie, Ästhetik, Philosophiegeschichte) der Fall sein. • Wer ganz ohne logische Mittel dasteht, dem bleibt ein großer Teil der modernen Philosophie dauerhaft verschlossen. • Wer sich ein wenig mit Logik vertraut macht, der wird nicht nur die Theorien anderer besser verstehen, sondern auch an seinen eigenen mit mehr Phantasie und Erfolg basteln. 5 Winterlogik 2016-17 / fol. 5 ?? • Ein (verbreitetes) Mißverständnis: Eine Einführung in die Logik dient nicht dazu “logisch denken” zu lernen. Wenn Sie hier sitzen, dann können Sie das schon (mehr oder weniger). Wenn Sie hier fertig sind, dann werden Sie es nicht besser können als zuvor. · Vgl: Eine Ethik-Vorlesung macht aus niemandem einen besseren Menschen, oder? Sie lernen dort Theorien kennen. Ob sie danach handeln können oder wollen, steht auf einem anderen Blatt · Vgl: Ein Ästhetik-Seminar macht aus keinem Banausen einen geschmackvollen Kenner. Auch dort lernen sie nur Theorien kennen. Ob sie diese dann richtig anwenden können, und ob sie sich zu den theoretisch ausgezeichneten Werken tatsächlich hingezogen fühlen, das bleibt offen. • In dieser Vorlesung lernen Sie auch “nur” Beschreibungsmittel und Theorien kennen. Um deren folgerichtige Anwendung müssen Sie sich dann in jedem Fall erneut bemühen. • Diese Vorlesung führt beispielhaft vor, welchen Ansprüchen strenges Argumentieren – auch in der Philosophie! – genügen muß. Was diesen Ansprüchen nicht genügt, dürfen Sie kritisieren. Wer hinter diesen Ansprüchen zurückbleiben möchte, sollte besser nicht Philosophie studieren. 6 Winterlogik 2016-17 / fol. 6 ?? • In dieser Vorlesung geht es um die Teile der Logik, die Philosophen (aber auch Linguisten) kennen müssen, um sich mit modernen philosophischen (und auch linguistischen) Theorien kompetent zu befassen. · Diese, für uns relevanten Teile der Logik gehen einerseits oft über den früher gelehrten Kanon deutlich hinaus. · Andererseits enthielt der klassische Kanon vieles, was m.E. entbehrlich ist (z.B. die Einübung in bestimmte Kalkülarten). • Wir werden Logik hier als ein universelles Beschreibungsmittel kennenlernen, in dem sich Folgerungsverhältnisse sicher und relativ schnell feststellen lassen. • Wenn Sie sich als Philosoph mit Logik beschäftigen, erschließen Sie sich einen wichtigen und rasant sich entwickelnden Zugang zu philosophischen Problemen. • Die logische Aufbereitung philosophischer Probleme erzeugt spannende Querverbindungen zu anderen Fächern. (Logik ist so etwas wie eine lingua franca vieler Disziplinen.) • Logik ist schließlich auch selbst als gemeinsamer Kern aller vernünftigen Theoriebildung ein spannendes philosophisches Thema. 7 Winterlogik 2016-17 / fol. 7 Literatur Literatur ... wird im Prinzip nicht benötigt, da ein Skript zur Verfügung steht (s.u.). Spezielle Literatur wird gelegentlich in der VL angegeben. Gute leichte Kost (Deutsch) • Beckermann, Einführung in die Logik • von Kutschera und Breitkopf Einführung in die moderne Logik • Strobach, Einführung in die Logik Vier Klassiker (der Mathematischen Logik) • Kleene, Introduction to Metamathematics • Mendelson, Introduction to Mathematical Logic • Shoenfield, Mathematical Logic • Smullyan, First-Order Logic 8 Winterlogik 2016-17 / fol. 8 Literatur Auch gut • Andrews, An Introduction to Mathematical Logic and Type Theory • Ebbinghaus, Flum & Thomas, Einführung in die mathematische Logik • Friedrichsdorf, Einführung in die klassische und intensionale Logik Speziell für Linguisten bzw. Informatiker • Dowty, Wall & Peters Introduction to Montague Semantics • Fitting, First-Order Logic and Automated Theorem Proving • Makinson, Sets, Logic and Maths for Computing • Schöning, Logik für Informatiker Mengentheoretischer Hintergrund • Halmos, Naive Set Theory (auch dt. als Naive Mengenlehre) • Hamilton, Numbers, Sets and Axioms 9 Winterlogik 2016-17 / fol. 9 Literatur Viele dieser Bücher sind teuer oder vergriffen oder beides. Wenn Sie sich nur eines leisten können oder möchten, empfehle ich: Dover Publications. Ca. 10 Euro (neu / gebraucht ab 7,06 Euro) bei einem bekannten Anbieter im Internet. 10 Winterlogik 2016-17 / fol. 10 Literatur Ferner empfehle ich als Einführungs- und Begleitlektüre: • Graham Priest, Logic: A Very Short Introduction, Oxford University Press 2000. EUR 9,49 (gebraucht ab 2,51 Euro). 11 Winterlogik 2016-17 / fol. 11 Goethe-Universität Frankfurt am Main Institut für Philosophie Logik im Winter 2016-17 Sprachen André Fuhrmann 01sprachen 161025.0905 Winterlogik 2016-17 / fol. 12 Zur Einführung Zur Einführung Worum geht es in der Logik? · Was ist das zentrale Thema, · das zentrale Problem um das alles kreist? “THE BEST WAY TO DISCOVER WHAT LOGIC IS ABOUT” IS SIMPLY BY DOING LOGIC.” Arthur Prior (Formal Logic, 1955) 2 Winterlogik 2016-17 / fol. 13 Zur Einführung Logik als Theorie des Folgerns Argumentieren: Von Prämissen zu Konklusionen übergehen. Zum Beispiel so: An Freitagen mit primen Daten fällt der Markt Heute ist Freitag, der 11. 11 ist prim Also Heute fällt der Markt Gute Argumente überzeugen, weil • die Prämissen wahr sind und • der Übergang zur Konklusion zwingend ist. (D.h., es wäre unvernünftig, die Prämissen zu akzeptieren und die Konklusion abzulehnen.) • Die Prämissen prüfen ... – oft nur empirisch möglich. • Den Übergang prüfen ... Prüfen, ob die Konklusion aus den Prämissen zwingend folgt. 3 Winterlogik 2016-17 / fol. 14 Zur Einführung Folgerungen: Zwingende (“logische”) Übergänge von Aussagen (Prämissen) zu weiteren Aussagen (Konklusionen). (Worin besteht der Zwang? – Später.) PRÄMISSEN ⇒ KONKLUSION 4 Winterlogik 2016-17 / fol. 15 Zwei (?) Theorien des Folgerns Zwei (?) Theorien des Folgerns Semantisch Beispiel 1 : Aus Auf dem Ei ist grüne Soße und Grüne Soße enthält Öl folgt Auf dem Ei ist Öl Denn, wie könnte eine Situation, in der das Ei in grüner Soße liegt nicht zugleich eine Situation sein, in der es in Öl liegt – gegeben, daß grüne Soße nun einmal Öl enthält? Der Schluß ist zwingend weil wir wissen, was die Sätze bedeuten und uns diese Bedeutungen etwa so vorstellen müssen: 5 Winterlogik 2016-17 / fol. 16 Zwei (?) Theorien des Folgerns Schwarz: Die Situationen, in denen da ein Ei liegt. Grün: Die Situationen, in denen etwas in grüner Soße liegt. Rot: Die Situationen, in denen etwas (u.a.) in Öl liegt. Es sieht so aus, als folgerten wir aufgrund semantischen Wissens (Wissen über Bedeutungen). Danach müßte eine Theorie des Folgerns eine semantische Theorie sein. 6 Winterlogik 2016-17 / fol. 17 Zwei (?) Theorien des Folgerns Syntaktisch Beispiel 2 : Aus Jeder Fechenheimer ist Frankfurter und Jeder Frankfurter ist ein Eintracht-Freund folgt Jeder Fechenheimer ist ein Eintracht-Freund • Offenbar wieder ein gültiger Schluß (wenn auch kein gutes Argument). • Wir könnten uns die Inklusionsverhältnisse (Fechenheimer/Frankfurter/EintrachtFreund) vorstellen ... oder • folgendes beobachten: Wenn Bsp. 2 gültig ist, dann auch Beispiel 3 : Aus Jeder Abgeordneter ist gewählt und Jeder Gewählte ist demokratisch legitimiert folgt Jeder Abgeordnete ist demokratisch legitimiert und ... 7 Winterlogik 2016-17 / fol. 18 Zwei (?) Theorien des Folgerns Beispiel 4 : Aus Jeder Luchs ist ein Hund und Jeder Hund ist ein Säugetier folgt Jeder Luchs ist ein Säugetier Denn jeder Schluß der Form Aus Jedes A ist ein B und jedes B ist ein C folgt jedes A ist ein C ist zwingend. (Und da Bsp. 2 von dieser allgemein gültigen Form ist, ist auch 2 gültig.) • Die Form eines Argumentes ist ein rein syntaktischer Aspekt. (Jede Maschine –die keine Bedeutungen kennt– kann Formen erkennen.) • Also können wir aufgrund rein syntaktischer Information gültige Argumente erkennen. Jetzt sieht es so aus, als ob eine Theorie des Folgerns keine semantische Perspektive bräuchte; sie kann rein syntaktisch verfahren. ◦ Siehe zB Aristoteles’ Versuch einen Katalog aller gültigen Formen aufzustellen (% Syllogistik). 8 Winterlogik 2016-17 / fol. 19 Zwei (?) Theorien des Folgerns Verdacht : Es scheint mindestens zwei Theorien des logischen Folgerns zu geben: • Folgern aufgrund semantischen Gehalts ; • Folgern aufgrund syntaktischer Form. — Hoffentlich stimmen die beiden Theorien letztlich überein! 9 Winterlogik 2016-17 / fol. 20 Zwei (?) Theorien des Folgerns Sprache als Medium des Folgerns Zwei Aspekte jeder Sprache: • “Konstruieren” : Form, Grammatik, Syntax. • “Interpretieren” : Bedeutung, Inhalt, Semantik. Der syntaktische Aspekt Basis Einfachste Zeichen (Grundzeichen), möglicherweise verschiedener Arten (syntaktischer Kategorien). Schritt Regeln zur Konstruktion neuer Zeichen aus gegebenen Zeichen. Resultat Das Universum möglicher Zeichen (der betrachteten Sprache). 10 Winterlogik 2016-17 / fol. 21 Zwei (?) Theorien des Folgerns Der semantische Aspekt Basis Einfachste “Objekte” (Bedeutungen), auf die sich Zeichen der betrachteten Sprache beziehen können. Schritt Operationen und Regeln zur Konstruktion neuer Objekte aus gegebenen Objekten. (Z.B. Bed. von “gehen” + Bed. von “schnell” > Bed. von “schnell gehen”; oder Bed. von “gehen” + Bed. von “-der” > Bed. von “Gehender”.) Resultat Das Universum möglicher Objekte (auf die man sich in der betrachteten Sprache beziehen kann). Bemerkung. Semantik ist also eine auf-eine-Sprache-bezogene Ontologie* – eine reduktive Theorie eines Universums solcher Gegenstände, auf die sich die betrachtete Sprache überhaupt beziehen kann. * Lehre von dem, was es gibt. 11 Winterlogik 2016-17 / fol. 22 Zwei (?) Theorien des Folgerns Einige Beispiele • Rauch- oder Klopfzeichen • Sprache der Autofahrer (Handzeichen, Blinken, Hupen) • Morse-Alphabet • Ziffernsysteme (arabisch, römisch) • Programmiersprachen (Lochkarten, ..., Pascal, Prolog, C, etc.) • Schachnotation • Natürliche Sprachen • Teile natürlicher Sprachen (zB gesprochene Sprache der Arithmetik) “Eins um eins vermehrt, ergibt zwei.” • Formalisierte Teile natürlicher Sprachen (symbolische Sprache der Arithmetik) “1+1=2.” 12 Winterlogik 2016-17 / fol. 23 Zwei (?) Theorien des Folgerns Ausblick Wir werden sowohl syntaktische als auch semantische Theorien des logischen Folgerns betrachten: – Folgern aufgrund syntaktischer Muster; – Folgern aufgrund von Bedeutungszusammenhängen. Dann werden wir zeigen, wie diese beiden Theorietypen manchmal (d.h. im Erfolgsfall) verblüffend exakt zusammenpassen, d.h. im Grunde dasselbe beschreiben: • Die syntaktische und die semantische Theorie logischen Folgerns zeichnet die gleichen Schlüsse als logisch “gelungene” aus. 13 Winterlogik 2016-17 / fol. 24 Zwei (?) Theorien des Folgerns Bevor wir dies tun, sollten wir uns aber vergewissern, wovon wir sprechen (Folgern in einer Sprache). Wir müssen fragen: • Was ist die Syntax einer Sprache? • Wie läßt sich die Syntax einer Sprache exakt angeben? Und natürlich • Was ist die Semantik einer Sprache? • Wie läßt sich die Semantik einer Sprache exakt angeben? 14 Winterlogik 2016-17 / fol. 25 Zwei (?) Theorien des Folgerns Die Antworten auf diese Fragen werden notwendigerweise so allgemein ausfallen, wie es der Allgemeinheitsanspruch der Logik erfordert. (Logisches Folgern soll ja immer funktionieren, gleichgültig worüber Sie gerade sprechen.) Achtung: “Allgemein” heißt hier nicht nur abstrakt )-:, sondern auch einfach (-:, d.h. einigen wenigen Bedingungen gehorchend. Diese Bedingungen werden wir in der Regel recht abstrakt formulieren — weshalb es wichtig ist, sich stets einfache Beispiele vor Augen zu halten. Insbesondere sollten Sie sich immer klar und deutlich vor Augen führen, daß – obwohl logische Notation auf dem Papier zunächst fremdartig aussieht, – Sie mit dieser Art von Sprache eigentlich schon von kindesauf vertraut sind: Logische Notation hebt einfach nur einige Strukturen hervor, die vermutlich zum Kernbestand jeder natürlichen Sprache gehören. 15 Winterlogik 2016-17 / fol. 26 Beispiel: Syntax der Schachnotation Beispiel: Syntax der Schachnotation 16 Winterlogik 2016-17 / fol. 27 Beispiel: Syntax der Schachnotation 17 Winterlogik 2016-17 / fol. 28 Beispiel: Syntax der Schachnotation Beispiel: Syntax der Schachnotation 1.1.Bd2–d4 Sg1–f6 Bd2–d4 Sg1–f3 2.2.Bc2–c4 Be7–e6 Bc2–c4 Be7–e6 3.3.Lc1–g5 Lf1–e7 Lc1–g5 Lf1–e7 4.4.Sb1–c3 usw. Sb1–c3 usw. Wir wollen die Aufgabe herangehen, eine Grammatik für diese Wir wollen einmaleinmal “naiv”“naiv” an dieanAufgabe herangehen, eine Grammatik für diese Art Art von Notation aufzustellen. von Notation aufzustellen. (Auf der vorhergehenden Seite sehen Sie einen “Dialekt” der hier betrachteten Notation.) 14 18 Winterlogik 2016-17 / fol. 29 Beispiel: Syntax der Schachnotation 1. 2. 3. 4. Bd2–d4 Sg1–f3 Bc2–c4 Be7–e6 Lc1–g5 Lf1–e7 Sb1–c3 usw. Beobachtungen: • Fortlaufend nummerierte Zeilen: Es kommt offenbar auf die Reihenfolge an. • Jede Zeile ist von der Form n. B1 , B2 . • Jedes Bi ist von der Form F P1 −P2 . • Jedes Pi ist von der Form Kleinbuchstabe bZahl. Wenn wir uns den Fortgang der Partie ansehen, dann stellen wir fest, daß es offenbar vier Arten von Grundzeichen (Basis) gibt: • Figurenzeichen (F ig): (B), S, L, T, D, K. • Reihenzeichen (Rei): 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8. • Linienzeichen (Lin): a, b, c, d, e, f, g, h. • das Zeichen −. 19 Winterlogik 2016-17 / fol. 30 Beispiel: Syntax der Schachnotation Angeleitet durch unser Vorverständnis (oder nachdem wir den Spielern genügend lange zugeschaut, gelegentlich auch befragt haben) definieren wir vier weitere wichtige syntaktische Kategorien (Schritt): • Positionen (P os): wenn m ∈ Lin und n ∈ Rei, dann mn ∈ P os (zB d1). Das können Sie so lesen: Wenn m ein Linienzeichen und n ein Reihenzeichen ist, dann ist deren Verknüpfung mn (in dieser Reihenfolge!) ein Positionszeichen. • Aktionen (Akt): wenn p ∈ P os, dann −p ∈ Akt (zB −d3). • Agenten (Ag): wenn F ∈ F ig und p ∈ P os, dann F p ∈ Ag (zB Dd1). • Zug (Zg): wenn x ∈ Ag und y ∈ Akt, dann xy ∈ Zg (zB Dd1-d3). (Jetzt nicht weiter wichtiger Zusatz: Jede der vier Kategorien soll jeweils nur aus der kleinsten Menge bestehen, die die jeweilige Bedingung erfüllt.) (Konvention: Wir können vereinbaren, das Figurenzeichen B (für Bauer) nicht hinzuschreiben.) 20 Winterlogik 2016-17 / fol. 31 Beispiel: Syntax der Schachnotation Jetzt können wir die syntaktischen Kategorien definieren, auf die es uns letztlich ankommt (Resultat): • Was ist ein Zugpaar? — Ein Zugpaar ist ein Paar von aufeinanderfolgenden Zügen. • Was ist eine Partie? — Eine Partie ist eine (endliche) Folge von Zugpaaren. Drei Beobachtungen. 1. Auf der Basis des Lexikons von Grundzeichen generiert diese Grammatik alle Zeilen (Züge) unseres Beispiels – und viele weitere. 2. Damit haben wir natürlich noch nicht zwischen im engeren Sinne möglichen (regelgemäßen) und unmöglichen (regelwidrigen und unsinnigen) Zügen bzw. Partien unterschieden. Dazu müßten wir erst die Regeln des Spiels beschreiben. Aber für eine solche Beschreibung ist eine Notation für Figurenpositionen und -bewegungen eine notwendige Voraussetzung. (Übrigens wird durch die Notation allein auch nicht ausgeschlossen, daß notierte Züge mehrdeutig sein können. Wenn zB mehrere Damen auf d1 stehen –warum nicht?–, dann würde mit “Dd1” gar kein bestimmter Agent bezeichnet sein.) 21 Winterlogik 2016-17 / fol. 32 Beispiel: Syntax der Schachnotation 3. Die syntaktische Analyse lehnt sich hier an die umgangssprachliche Paraphrase an. Sg1−f 3 ist eben kurz für Springer auf g1 zieht nach f3. N ADJ V ADV NP VP (=Ag) (=Akt) Die syntaktische Analyse eines Zugs können wir als einen Baum darstellen: Zug F ig Agent P os Linie Reihe − Aktion P os Linie Reihe 22 Winterlogik 2016-17 / fol. 33 Beispiel: Syntax der Schachnotation Also z.B.: Sf 3−d4 S Sf 3 −d4 f3 f − 3 d4 d 4 Tatsächlich ist die Darstellung eines Ausdrucks als Baum in dem · alle Knoten regelgerecht erzeugt sind und · alle Blätter aus dem Lexikon stammen ein Beweis dafür, daß der Ausdruck “gut” ist! Syntax ist im Kern Baumkonstruktion. Manche sagen, daß das auch für die Logik gilt: “LOGIC IS AT ROOTS ALL ABOUT TREES.” (Raymond Smullyan) 23 Winterlogik 2016-17 / fol. 34 Beispiel: Syntax der Schachnotation DENKPAUSE: Zeichnen Sie den Konstruktionsbaum für Lc1–g5 ! Hier noch einmal die Vorlage: Zug F ig Agent P os Linie Reihe − Aktion P os Linie Reihe 24 Winterlogik 2016-17 / fol. 35 Beispiel: Syntax und Semantik des Zehnersystems Beispiel: Syntax und Semantik des Zehnersystems Syntax • Grundzeichen (Ziffern): 0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9. • Idee: Jede Verknüpfung von Ziffern ist ein Zahlzeichen. Definition 1. Es sei Z0 = {1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 0} die Menge der Grundzahlzeichen. Dann soll die Menge Z der Zahlzeichen die folgenden Bedingungen erfüllen: Für alle Zeichen x und y, 1. wenn x ∈ Z0 , dann x ∈ Z; 2. wenn x ∈ Z und y ∈ Z, dann xy ∈ Z; 3. Z ist die kleinste Menge, welche die Bedingungen 1–2 erfüllt. (Konvention: Zahlzeichen der Form 0x schreiben wir so hin: x. Diese Konvention dürfen Sie beliebig oft anwenden! Also: 0020 → 020 → 20, oder auch 000 → 00 → 0.) Über Mengen und das Zeichen ∈ (lies: ist in) erfahren Sie bald mehr. 25 Winterlogik 2016-17 / fol. 36 Beispiel: Syntax und Semantik des Zehnersystems Man beachte ... (a) den Unterschied zwischen Konstanten, 0, 1, 2, ..., und Variablen, x und y; (b) die Bindung der Variablen durch die Wendung “für alle x ...” (“Quantor” genannt); (c) die abschließende Bedingung 3: “... die kleinste Menge, welche ...” Ad (a) (Konstanten und Variablen). Den Unterschied zwischen Konstanten und (verschiedenen Arten von) Variablen exakt zu erklären ist nicht so ganz einfach. Wir eignen uns hier den Unterschied durch intuitiven Gebrauch an. (Augustinus: “Was ist Zeit? Solange niemand danach fragt, weiß ich es.”) Idee: Konstanten bezeichnen fest bestimmte Gegenstände; Variablen bezeichnen unbestimmt beliebige Gegenstände (meist einer bestimmten Art). Eine Konstante ist wie ein reservierter Sitz; auf eine Variable kann sich jeder setzen. Wichtig ist jedoch, ... 26 Winterlogik 2016-17 / fol. 37 Beispiel: Syntax und Semantik des Zehnersystems Ad (b) (Variablenbindung). ... daß immer deutlich ist, wie der Gebrauch von Variablen zu verstehen sei. Für einen Ausdruck wie wenn x ∈ Z0 , dann x ∈ Z ist das nicht so ohne weiteres klar. Was für ein x ?? Sprechen wir hier · über alles, wofür x stehen könnte, d.h. über alle x, · über höchstens oder mindestens ein x, · über die meisten x, oder · über ein bestimmtes x, das wir zuvor schon erwähnt haben?? Man vergleiche x+y =y+x in einem Arithmetik-Lehrbuch. Hier denken wir uns immer gleich diejenige VariablenBindung hinzu, welche die Allgemeinheit ausdrückt: für alle x und y ... (Dieser Konvention werden wir uns im folgenden oft bedienen.) Wie auch immer, ob explizit oder durch Konvention, die Verwendung von Variablen ohne Angabe ihrer Bindung (durch einen “Quantor”) ergibt keine sinnvolle Aussage. 27 Winterlogik 2016-17 / fol. 38 Beispiel: Syntax und Semantik des Zehnersystems Ad (c). (“die kleinste Menge, welche ...”) Die Abschlußklausel 3 ist wichtig, denn allein durch 1. wenn x ∈ Z0 , dann x ∈ Z, und 2. wenn x ∈ Z und y ∈ Z, dann xy ∈ Z, wird keine bestimmte Menge definiert. DENKPAUSE: Warum nicht? · Finden Sie zunächst zwei Mengen, die 1–2 erfüllen! · Überlegen Sie sich sodann, warum es unendlich viele Mengen gibt, welche die Bedingungen erfüllen! 28 Winterlogik 2016-17 / fol. 39 Beispiel: Syntax und Semantik des Zehnersystems Allein durch 1. wenn x ∈ Z0 , dann x ∈ Z, und 2. wenn x ∈ Z und y ∈ Z, dann xy ∈ Z, wird also keine bestimmte Menge definiert. (Wir können die Menge der Zahlzeichen beliebig mit “Fremdlingen” anreichern, ohne 1 oder 2 zu verletzen.) Aber woher wissen wir denn, daß durch die weitere Bedingung, 3. Z ist die kleinste Menge, welche die Bedingungen 1–2 erfüllt, genau eine Menge bestimmt wird? Könnte es nicht sein, daß wir ein Phantom definiert haben, daß die Definition witzlos, weil leer oder gar widersprüchlich ist? (Vgl. “Sei Max die größte natürliche Zahl ...”) Hier gilt es Überzeugungsarbeit zu leisten, d.h. einen Beweis zu liefern ... 29 Winterlogik 2016-17 / fol. 40 Beispiel: Syntax und Semantik des Zehnersystems Bedingung 3 der Definition fordert: • Die Menge der Zahlen, Z, sei die kleinste Menge, welche die Bedingungen 1–2 erfüllt. Damit hier überhaupt etwas definiert wird, setzen wir offenbar zweierlei voraus: (a) Es gibt mindestens eine Menge, welche die Bedingungen erfüllt; und (b) Es gibt höchstens eine kleinste Menge, welche die Bedingungen erfüllt. Das sieht schrecklich subtil aus, ist aber eigentlich ganz einfach. (a) (... mindestens ...) ist trivial: Wir bauen einfach aus den Ziffern durch Verknüpfung eine Menge auf. (Da können wir dann auch noch Fremdlinge hineinstecken – Hauptsache Bedingungen 1 und 2 sind erfüllt.) 30 Winterlogik 2016-17 / fol. 41 Beispiel: Syntax und Semantik des Zehnersystems Um (b) (... höchsten ...) zu beweisen, wagen wir einmal eine Hypothese: (1) Sei F die Familie aller Mengen, die die Bedingungen 1. wenn x ∈ Z0 , dann x ∈ Z, und 2. wenn x ∈ Z und y ∈ Z, dann xy ∈ Z, erfüllen (also auch solche mit Fremdlingen neben den Zahlzeichen.) T (2) Sei M = F , der Schnitt von F (= der gemeinsame Kern aller Mengen in F .) (3) Beobachtung: M selbst erfüllt die Bedingungen 1–2. (Übung!) Hypothese: M ist die kleinste Menge, welche die Bedingungen erfüllt. (4) Angenommen, die Hypothese ist falsch. Dann gäbe es eine Menge N ∈ F , welche in M echt enthalten ist (N ⊂ M ). (5) Dann gäbe es also ein x ∈ M , welches nicht in N ist. Aber x wäre dann in allen Mengen in F enthalten, also auch in N – Widerspruch. T (6) Also kann die Hypothese nicht falsch sein. M = F ist tatsächlich die kleinste Menge, welche die Bedingungen 1–2 erfüllt. QED — quod erat demonstrandum. In Bildern ... 31 Winterlogik 2016-17 / fol. 42 Beispiel: Syntax und Semantik des Zehnersystems F = alle 1&2-Mengen M M ist der Schnitt von F (was allen 1&2-Mengen gemein ist). M ist selbst eine 1&2-Menge. 32 Winterlogik 2016-17 / fol. 43 Beispiel: Syntax und Semantik des Zehnersystems 1&2-Mengen N ? N ist eine 1&2-Menge, die noch kleiner als M ist. Geht das ?? 33 Winterlogik 2016-17 / fol. 44 Beispiel: Syntax und Semantik des Zehnersystems 1&2-Mengen N x 9x, das ist in M aber nicht in N. 34 Winterlogik 2016-17 / fol. 45 Beispiel: Syntax und Semantik des Zehnersystems 1&2-Mengen N x Aber was in M ist, ist in jeder 1&2-Menge. Also auch in N !! M ist also die kleinste 1&2-Menge. 35 Winterlogik 2016-17 / fol. 46 Beispiel: Syntax und Semantik des Zehnersystems Drei Bemerkungen 1. Das ist ein Beweis durch reductio ad absurdum (= Rückführung auf etwas Unmögliches): Wir nehmen das Gegenteil von dem an, was wir beweisen wollen (Ziel), und zeigen, daß uns dann sichere Zusatzannahmen in einen Widerspruch verstricken. Schematisch: Ziel falsch (?) (sichere) Zusatzannahmen · · · Widerspruch Ziel (!) 36 Winterlogik 2016-17 / fol. 47 Beispiel: Syntax und Semantik des Zehnersystems 2. Wir sagten “Es sei M der Schnitt aller Mengen in F ” Offenbar setzen wir hier die Existenz und Einzigkeit des Schnittes einer (nichtleeren) Mengenfamilie voraus. Alle Argumente beruhen eben immer auf gewissen Voraussetzungen. Die hier bemühten Voraussetzungen sind Teil der Mengenlehre. Diese könnten wir hinterfragen. Dann wäre unser Gegenstand nicht länger Logik (bisher eigentlich: abstrakte Syntax), sondern Mengenlehre. Auch interessant ... Allgemein gilt: Wenn immer wir etwas untersuchen, dann bedienen wir uns theoretischer Mittel, die damit selbst nicht automatisch zum Untersuchungsgegenstand werden müssen (und es im selben Atemzug auch gar nicht werden können). In der Logik ist die sogenannte naive Mengenlehre normalerweise ein solches Mittel, nicht Gegenstand der Untersuchung. 37 Winterlogik 2016-17 / fol. 48 Beispiel: Syntax und Semantik des Zehnersystems 3. Ein wenig Mengenlehre braucht man offenbar, um schon sehr einfache Fragen bezüglich der Syntax sehr einfacher Sprachen klar und deutlich beantworten zu können. Mengenlehre ist ein echtes Elementarhandwerkszeug — auch für Philosophen! Das müssen wir uns also einmal etwas genauer ansehen ... 38 Winterlogik 2016-17 / fol. 49 Goethe-Universität Frankfurt am Main Institut für Philosophie Logik im Winter 2016-17 Mengen André Fuhrmann 02mengen 161101.1052 Winterlogik 2016-17 / fol. 50 Elementares zu elementaren Grundbegriffen Elementares zu elementaren Grundbegriffen Mengen Hier sind einige Objekte (“Elemente”): ♣♦♥♠ (1) Diese Objekte können wir zu einem neuen Objekt zusammenfassen. Eine Art der Zusammenfassung, nennen wir Menge: {♣, ♦, ♥, ♠} (2) Wir haben hier die Elemente einfach explizit angegeben. Aber dieselbe Menge können wir auch durch eine Beschreibung angeben; z.B. so: {x : x ist eine Spielkartenfarbe} (3) Zwei Menge sind gleich, wenn sie dieselben Objekte enthalten.1 1 Keine Entität ohne Identität! 2 Winterlogik 2016-17 / fol. 51 Elementares zu elementaren Grundbegriffen Mengen fassen Objekte zu einem neuen Objekt zusammen. Wenn M = {♣, ♦} und N = {♥, ♠}, Dann sind M und N Objekte, die wir ebenfalls zu einer Menge zusammenfassen können: L = {M, N }, d.h. L = {{♣, ♦}, {♥, ♠}}. Hier ist die Menge A, die nur aus dem Objekt ♠ besteht: A = {♠} Und hier ist die Menge B, die nur aus der Menge A besteht: B = {A} = {{♠}} Das Objekt ♠ ist nicht dasselbe Objekt wie die Menge A. Daher sind auch A und B verschiedene Objekte (Mengen): ♠ 6= {♠} 6= {{♠}} ! Oder, wie ein Kommilitone einmal treffend bemerkte: Ein Sack ist keine Banane, und also ist ein Sack, in dem eine Banane ist, auch kein Sack, in dem ein Sack mit einer Banane ist ... 3 Winterlogik 2016-17 / fol. 52 Elementares zu elementaren Grundbegriffen {B} 6= B {{B}} 6= {B} 4 Winterlogik 2016-17 / fol. 53 Elementares zu elementaren Grundbegriffen Wir können die vier Objekte auch anders zu einem neuen Objekt zusammenfassen; z.B. zu einer Folge: h♣, ♦, ♥, ♠i (4) Beachten Sie die spitzen Klammern! (Manchmal benutzen wir aber auch runde Klammern für Folgen. Je nach Lust und Laune – niemals jedoch geschweifte Klammern: die sind für Mengen reserviert.) (4) ist nicht dieselbe Folge wie z.B. h♦, ♥, ♠, ♣i (5) Mit (5) können Sie zB die Reihenfolge der Wertigkeit der Karten richtig angeben; mit (4) nicht. (4) ist auch nicht dieselbe Folge wie h♣, ♦, ♦, ♥, ♠i (6) (6) könnte zB die Reihenfolge der Karten auf Ihrer Hand sein: Sie haben zwei Karos. Das wäre dann eine andere Hand als die in (4) dargestellte. 5 Winterlogik 2016-17 / fol. 54 Elementares zu elementaren Grundbegriffen Allgemein sagen wir, daß zwei Folgen S = (s1 , s2 , ..., sn ) und T = (t1 , t2 , ..., tm ) gleich sind, wenn sie dieselben Objekte auf dieselbe Weise anordnen, also s1 = t1 , s2 = t2 , . . . , sn = sm . (Natürlich können auch Mengen Elemente von Folgen sein.) Mengen unterscheiden also gröber als Folgen: {♣, ♦} = {♦, ♣} = {♦, ♦, ♣} h♣, ♦i = 6 h♦, ♣i = 6 h♦, ♦, ♣i Mengen sind im Gegensatz zu Folgen kommutativ (linke Gleichung) und idempotent (rechte Gleichung). 6 Winterlogik 2016-17 / fol. 55 Elementares zu elementaren Grundbegriffen Elementbeziehung, Enthaltensein Wenn x ein Element der Menge M ist, dann schreiben wir x∈M und lesen: x ist in M . Also zB: ♣ ∈ {♣, ♦, ♥} ♦ ∈ {♣, ♦, ♥} ♥ ∈ {♣, ♦, ♥} Wir sagen auch manchmal x sei in M “enthalten”. Aber eigentlich wollen wir die Rede vom Enthaltensein für ein Verhältnis zwischen zwei Mengen und nicht für eines zwischen Mengen und ihren Elementen reservieren. 7 Winterlogik 2016-17 / fol. 56 Elementares zu elementaren Grundbegriffen Wenn jedes Element in M zugleich auch in N ist, dann sagen wir, daß M in N enthalten ist oder daß M ein Teil oder eine Teilmenge von N ist. Das schreiben wir so: M ⊆ N. Daß alles, was in M ist, auch in N ist, schließt natürlich auch den Grenzfall ein, daß M und N gleich sind. Diesen Fall schließen wir aus, wenn wir sagen, daß M in N echt enthalten ist. Das schreiben und definieren wir so: M ⊂ N gdw M ⊆ N und M 6= N Hier sind einige Beispiele: {♥, ♠} ⊆ {♦, ♠, ♥} {♦, ♠, ♥} ⊇ {♥, ♠} {♠, ♥} ⊂ {♦, ♠, ♥} {♦, ♠, ♥} ⊃ {♥, ♠} ♠ ∈ {♦,♠, ♥} {♠} ⊆ {♦,♠, ♥} {♦, ♠, ♥} ⊆ {♦,♠, ♥} Die ersten zwei Beispiele zeigen, daß Sie das Symbol auch einfach umdrehen können. Sie behaupten dann die Inklusion in umgedrehter Richtung – ist ja klar. 8 Winterlogik 2016-17 / fol. 57 Elementares zu elementaren Grundbegriffen DENKPAUSE: Welche der drei Mengen ist die kleinste? a = {♦} b = {♣, ♦} c = {♦, ♠}? (Antwort) Warum? 9 Winterlogik 2016-17 / fol. 58 Elementares zu elementaren Grundbegriffen Die “Größe” von Mengen Erste Frage: Welche der drei Mengen ist die kleinste? a = {♦} b = {♣, ♦} c = {♦, ♠}? Natürlich a. Warum? — Zwei mögliche Antworten: • Weil a weniger Elemente hat als b und c. • Weil a in b und in c echt enthalten ist. Zweite Frage: Welche der drei Mengen ist die größte? n = {x : x ist eine natürliche Zahl} g = {x : x ist eine gerade natürliche Zahl} p = {x : x ist eine Primzahl}? Natürlich (?) n. Warum? 10 Winterlogik 2016-17 / fol. 59 Elementares zu elementaren Grundbegriffen — Zwei mögliche Antworten: • Weil n mehr Elemente hat als g und p. • Weil g und p in n echt enthalten sind. Die erste Antwort wäre jetzt falsch! – Alle drei Mengen sind, was die Anzahl der Elemente betrifft, gleich groß! n: g: p: 0 1 2 3 0 2 4 6 2 3 5 7 4 5 6 7 ... 8 10 12 14 . . . 11 13 17 19 . . . • Alle drei Mengen haben unendlich viele Elemente. • Die Elemente können Sie abzählen: “Das ist die erste natürliche / gerade / prime Zahl; das ist die zweite ... ; das ist die dritte ... .” • Die drei Mengen sind also abzählbar unendlich. 11 Winterlogik 2016-17 / fol. 60 Elementares zu elementaren Grundbegriffen Frage: Gleich viele natürliche, gerade und prime Zahlen? Wie kann das sein? Nur die Hälfte der natürlichen Zahlen sind doch gerade, und noch weniger sind prim! Wie können da die drei Mengen gleich groß sein? Antwort: Na ja, wenn wir über endliche Mengen sprächen, dann hätten Sie recht. Aber mit unendlichen Mengen verhält es sich anders. • Eine unendliche Menge N kann durchaus eine echte Teilmenge M haben, die genügend viele Elemente enthält, um jedem Element in der Obermenge N eines aus M an die Seite zu stellen. Wenn diese Art vollständiger und eindeutiger Paarung möglich ist, dann sind die beiden Mengen gleich groß. • Genau das wollen wir unter “gleich groß” verstehen: Mengen sind genau dann gleich groß, wenn zwischen ihnen eine 1:1-Paarung möglich ist. 12 Winterlogik 2016-17 / fol. 61 Elementares zu elementaren Grundbegriffen Daß unendliche Mengen gleich große echte Teilmengen haben, kann man geradezu als die wesentliche Eigenschaft unendlicher Mengen ansehen (Dedekind): • Eine Menge ist unendlich gdw sie gleich große (im 1:1-Sinn) echte Teilmengen enthält. Merke: Wenn nicht anders angegeben, dann ist bei Wendungen wie “M ist die kleinste/größte Menge so, daß ...” immer an einen Vergleich der relevanten Mengen im Sinne der Inklusionsverhältnisse, nicht der Mächtigkeit (= Anzahl der Elemente) gedacht. • “M ist kleiner als N ”: (meist) M ist in N enthalten. • “M ist kleiner als N ”: (seltener) M enthält weniger Elemente als N . 13 Winterlogik 2016-17 / fol. 62 Elementares zu elementaren Grundbegriffen Relationen Betrachten wir noch einmal die natürlichen, die geraden und die primen Zahlen: n: g: p: 0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, . . . 0, 2, 4, 6, 8, 10, 12, 14, . . . 2, 3, 5, 7, 11, 13, 17, 19, . . . Wenn wir diese “Matrix” senkrecht lesen, dann können wir zB beobachten, daß 0 über 0 und auch über 2 steht, so wie 5 über 10 und auch über 13 steht. Wir stellen hier eine immer wiederkehrende Beziehung, die Relation x steht (unmittelbar) über y, kürzer xRy (oder Rxy) fest. Diese Relation paart Zahlen in einer bestimmten Reihenfolge. Also 0 mit 0, 0 mit 2 (nicht 2 mit 0!), 1 mit 2 (nicht 2 mit 1!), 2 mit 3 (...!) usw. MaW eine Relation ist eigentlich nichts anderes als eine Menge von Paaren. Und Paare sind natürlich Folgen, die aus nur zwei Gliedern bestehen. Also R = {h0, 0i, h0, 2i, h1, 2i, h2, 3i, h2, 4i, h4, 5i, . . .} 14 Winterlogik 2016-17 / fol. 63 Elementares zu elementaren Grundbegriffen Diese Menge R von Paaren könnten wir auch so beschreiben: R = {hx, yi : x steht (unmittelbar) über y} (Bitte stören Sie sich nicht daran, daß wir den Buchstaben R sowohl verwenden, um anzudeuten, daß zwei Elemente in der Relation zueinander stehen — 0R2 oder R02 — als auch, um die Menge aller solchen Paare zu bezeichnen — R = {. . .}.) Das war nun eine zweistellige Relation; Rxy. Natürlich gibt es auch dreistellige, vierstellige, usw. Relationen. Hier ist ein Beispiel für eine dreistellige Relation: S = {hx, y, zi : x steht (unmittelbar) über y, und y steht (unmittelbar) über z} Also in unserem Beispiel n: g: p: 0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, . . . 0, 2, 4, 6, 8, 10, 12, 14, . . . 2, 3, 5, 7, 11, 13, 17, 19, . . . haben wir S = {h0, 0, 2i, h1, 2, 3i, h2, 4, 5i, h3, 6, 7i, h4, 8, 11i, h5, 10, 13i, . . .} 15 Winterlogik 2016-17 / fol. 64 Elementares zu elementaren Grundbegriffen Ganz allgemein betrachtet, sind Relationen also nichts als Mengen von Folgen: {h−i, h−i, . . . , h−i, h−i}. DENKPAUSE: Definieren Sie die dreistellige Relation S = {hx, y, zi : x steht unmittelbar über y, und y steht unmittelbar über z} mit Hilfe der zweistelligen Relation U = {hx, yi : x steht unmittelbar unter y}. Also Sxyz gdw . . . ; oder S = {hxyzi : . . . } 16 Winterlogik 2016-17 / fol. 65 Elementares zu elementaren Grundbegriffen [Antwort: Sxyz gdw U zy und U yx, bzw. S = {hxyzi : U zy und U yx}.] Funktionen Bestimmte (zweistellige) Relationen verdienen besondere Beachtung. Das sind solche Relationen, die ihre linke Koordinate immer mit genau einer rechten Koordinaten paaren. Eine so “eindeutige” Relation R erfüllt die Bedingung (Fun) wenn Rxy und Rxz, dann y = z Die Bedingung schließt folgendes Bild aus: A B f 17 Winterlogik 2016-17 / fol. 66 Elementares zu elementaren Grundbegriffen (Fun) wenn Rxy und Rxz, dann y = z Wenn wir zB mit der Relation U , “x steht unmittelbar unter y”, die geraden (x) und die natürlichen (y) in Beziehung setzen, dann stellen wir fest, daß U die Bedingung (Fun) erfüllt. Die Relation U bildet die geraden Zahlen auf die natürlichen Zahlen ab; d.h. sie gibt jeder geraden Zahl x genau eine natürliche y an die Hand. (In diesem Sinne zählt U die geraden Zahlen ab, sie indiziert sie mit den natürlichen Zahlen – beginnend mit 0.) • Solche eindeutig abbildenden Relationen nennt man Funktionen oder einfach Abbildungen. • Eine Funktion ist immer darstellbar als eine Menge von Paaren, welche die o.g. Bedingung (Fun) erfüllt. 18 Winterlogik 2016-17 / fol. 67 Elementares zu elementaren Grundbegriffen Eine Funktion f bildet Argumente aus einer Menge A (zB die geraden Z.) in Werte aus einer möglicherweise anderen Menge B (zB die nat. Z.) ab. Das deuten wir so an: f : A −→ B. Weitere Beispiele von Funktionen: (1) u : Menge der Ankommenden −→ {EU, nEU }. Bildet jeden Ankommenden x auf die Eigenschaft EU-Bürger oder nicht EU-Bürger zu sein ab (zB bei der Paßkontrolle am Flughafen). Oder (2) v : Menge der Medaillen −→ Menge der Teilnehmer am Wettbewerb. Für jede Medaille m besagt v(m) = N.N., daß m von N.N. gewonnen wurde. Oder (3) w : Menge der Kleinbuchstaben −→ Menge der Großbuchstaben. D.h., w(a) = A, w(b) = B, w(c) = C, u.s.w. (ohne ‘ß’). Diese Beispiele illustrieren (unter normalen Annahmen) drei Typen von Funktionen ... 19 Winterlogik 2016-17 / fol. 68 Elementares zu elementaren Grundbegriffen Es sei f : A −→ B eine Funktion (mit Argumentbereich A und Wertebereich B). • f is surjektiv gdw: Für alle b in B gibt es ein a in A so, daß f (a) = b. (Jedes Element in B ist Wert eines Elementes in A unter f ; B kann aus A unter f erzeugt werden.) • f ist injektiv gdw: Für alle a und a0 in A: Wenn a 6= a0 , dann f (a) 6= f (a0 ). (Distinkte Argumente erhalten unter f distinkte Werte; falls b = f (a), dann läßt sich b eindeutig unter f nach A zurückverfolgen.) • f ist bijektiv gdw: f ist surjektiv und injektiv. (Jedes Element in B ist Wert unter f genau eines Argumentes in A; die Zuordnung ist in beide Richtungen eindeutig (“ein-eindeutig”).) (Funktionen solcher Art nennen wir auch Surjektionen, Injektionen bzw. Bijektionen.) 20 Winterlogik 2016-17 / fol. 69 Elementares zu elementaren Grundbegriffen A B A B f f surjektiv (Jedes Element in B ist ein Wert) A injektiv (verschiedene Argumente bekommen verschiedene Werte) B f bijektiv (surjektiv & injektiv) 21 Winterlogik 2016-17 / fol. 70 Elementares zu elementaren Grundbegriffen A B f f-1 bijektiv (umkehrbar eindeutig, ein-eindeutig) Wenn eine Funktion f : A −→ B bijektiv ist, dann gibt es eine Funktion g : B −→ A derart, daß (für alle a ∈ A, b ∈ B) g(b) = a gdw f (a) = b (und umgekehrt). D.h. g kehrt f um, weshalb g auch die Umkehrfunktion von f genannt und mit f −1 notiert wird. 22 Winterlogik 2016-17 / fol. 71 Elementares zu elementaren Grundbegriffen Schreiben wir f für die Funktion, welche die geraden Zahlen auf die natürlichen abbildet (die geraden Zahlen “abzählt”), dann sieht das so aus: f (0) = 0 f (2) = 1 f (4) = 2 f (6) = 3 f (8) = 4 usw. Im Bild (f von unten nach oben): 0 1 2 3 0 2 4 6 ... f ... Offensichtlich ist f injektiv und surjektiv, also bijektiv (ein-eindeutig). Die Umkehrung von f (hier: von oben nach unten) gibt zu jeder Position in der Abzählung die dazugehörige gerade Zahl an. 23 Winterlogik 2016-17 / fol. 72 Elementares zu elementaren Grundbegriffen ... und um noch einmal darauf zurückzukommen: n = { 0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, . . . } g = { 2, 4, 6, 8, 10, 12, 14, 16, . . . } p = { 3, 5, 7, 11, 13, 17, 19, 23, . . . } Wann zwei Mengen die gleiche Anzahl von Elementen enthalten, d.h. gleich groß (“mächtig”) sind, können wir jetzt auch so beschreiben: • Zwei Mengen sind genau dann gleich mächtig, wenn es eine bijektive (= injektive und surjektive) Abbildung) zwischen ihnen gibt. Offensichtlich gibt es zwischen N und bestimmten Teilmengen von N (wie g oder p) eine Bijektion. Deshalb ist N nach der Dedekind’schen Definition eine unendlich große Menge: Eine Menge ist unendlich gdw sie sich bijektiv auf eine echte Teilmenge abbilden läßt. 24 Winterlogik 2016-17 / fol. 73 Elementares zu elementaren Grundbegriffen DENKPAUSE: A B A B f f surjektiv (Jedes Element in B ist ein Wert) A injektiv (verschiedene Argumente bekommen verschiedene Werte) B f bijektiv (surjektiv & injektiv) Finden Sie je ein Beispiel für eine surjektive, eine injektive und eine bijektive Abbildung! (Legen Sie erst A und B fest und beschreiben Sie dann, was f tut!) 25 Winterlogik 2016-17 / fol. 74 Mengenoperationen Mengenoperationen • Mit Zahlen können Sie operieren: Sie können addieren, subtrahieren, multiplizieren, potenzieren und vieles mehr. • Mit Mengen können Sie das auch. Nur haben diese Operationen hier natürlich eine ganz eigene Bedeutung. • Sie können Mengen vereinigen (“addieren”): {♣, ♦} ∪ {♥, ♠} = {♣, ♠, ♦, ♥} (Auf die Reihenfolge kommt es bei Mengen, wie wir wissen, nicht an.) Allgemeiner: M ∪ N = {x : x ∈ M oder x ∈ N } Def. ∪ 26 Winterlogik 2016-17 / fol. 75 Mengenoperationen • Sie können diejenigen Elemente aus Mengen herausfischen, die den Mengen gemeinsam sind. Das nennt man schneiden: {♦, ♣} ∩ {♠, ♦} = {♦} Allgemeiner: M ∩ N = {x : x ∈ M und x ∈ N } Def. ∩ • Das alles geht auch in großem Stil (Vereinigung und Schnitt einer Mengenfamilie): [ {M1 , M2 , . . . , Mn } = M1 ∪ M2 ∪ · · · ∪ Mn \ {M1 , M2 , . . . , Mn } = M1 ∩ M2 ∩ · · · ∩ Mn • Diese zwei Definitionen decken nur den endlichen (n !) Fall ab. Aber sie lassen sich leicht zum unendlichen Fall erweitern. Sei F eine beliebige Menge von Mengen. Dann [ F = {x : x ist in mindestens einer der Mengen in F } 27 Winterlogik 2016-17 / fol. 76 Mengenoperationen T [Aufgabe: (a) Definieren sie den Schnitt F von F . (b) Überzeugen Sie sich davon, daß aus Ihrer Definition die richtige Definition von M ∩ N folgt.] • Sie können Mengen subtrahieren: {♣, ♦, ♥} − {♦} = {♣, ♥} Allgemeiner: M − N = {x : x ∈ M und x ∈ / N} Def. − ◦ Im Kontext legen wir meist eine Menge U als das Universum (Grundmenge, Bereich) der jeweils in Betracht kommenden Objekte fest. So schreiben wir dann einfacher N für U − N und nennen N die Komplementärmenge von N (in U ). (N ergänzt (“komplementiert”) N zum Universum U , d.h. N ∪ N = U .) 28 Winterlogik 2016-17 / fol. 77 Mengenoperationen • Sie können Produkte von Mengen bilden, d.h. “multiplizieren”. Dazu bilden sie einfach die Menge aller Paare, wobei der eine Partner immer aus der einen Menge, der andere aus der anderen Menge kommt. Aber, Achtung!, wie Sie jetzt wissen, kommt es bei Paaren (2er-Folgen!) auf die Reihenfolge an – anders als beim Multiplizieren zweier Zahlen. {♣, ♠} × {♦, ♥} = {h♣, ♦i, h♣, ♥i, h♠, ♦i, h♠, ♥i} Allgemeiner: M × N = {hx, yi : x ∈ M und y ∈ N } Def. × Übrigens: Wenn m und n die Anzahl der Elemente in M bzw. N sind, dann enthält M × N genau m · n Elemente. (Es hat also doch ein wenig mit Multiplikation zu tun.) 29 Winterlogik 2016-17 / fol. 78 Mengenoperationen DENKPAUSE: M × N = {hx, yi : x ∈ M und y ∈ N } “Klar, bei Folgen kommt es auf die Reihenfolge an. Deshalb ist natürlich {♣, ♠} × {♦, ♥} nicht gleich {♠, ♣} × {♦, ♥} ”, sagte neulich jemand in der U-Bahn.—Stimmt das? (Zwei Wege zu einer Antwort: ein schneller Weg und ein langsamer Weg. Suchen Sie erst den schnellen!) 30 Winterlogik 2016-17 / fol. 79 Mengenoperationen DENKPAUSE: M × N = {hx, yi : x ∈ M und y ∈ N } “Klar, bei Folgen kommt es auf die Reihenfolge an ... {♣, ♠} × {♦, ♥} 6= {♠, ♣} × {♦, ♥} ” (??) Schneller Weg: {♣, ♠} = {♠, ♣} und {♦, ♥} = {♦, ♥}. Der Definition von M × N (blättern Sie zurück!) ist es gleichgültig, wie wir die Mengen M und N hinschreiben. Langsamer Weg: Bilden Sie die jeweiligen Produktmengen und überzeugen Sie sich, daß sie dieselben Elemente enthalten. Was der Mann in der U-Bahn meinte war dies: {♣, ♠} × {♦, ♥} 6= {♦, ♥} × {♣, ♠} ! (Die Mengenproduktoperation ist nicht kommutativ.) 31 Winterlogik 2016-17 / fol. 80 Mengenoperationen • Schließlich können Sie Mengen auch potenzieren. In diesem Fall sammeln Sie einfach alle Teilmengen, die in der betrachteten Menge enthalten sind und stecken sie zwischen Mengenklammern. Also ... Erster Schritt: Teilmengen bilden ∅ ⊆ {♣, ♦, ♥} {♣} ⊆ {♣, ♦, ♥} {♦} ⊆ {♣, ♦, ♥} {♥} ⊆ {♣, ♦, ♥} {♣, ♦} ⊆ {♣, ♦, ♥} {♣, ♥} ⊆ {♣, ♦, ♥} {♦, ♥} ⊆ {♣, ♦, ♥} {♣, ♦, ♥} ⊆ {♣, ♦, ♥} Zweiter Schritt: Teilmengen einsammeln ℘({♣, ♦, ♥}) = {∅, {♣}, {♦}, {♥}, {♣, ♦}, {♣, ♥}, {♦, ♥}, {♣, ♦, ♥}} 32 Winterlogik 2016-17 / fol. 81 Mengenoperationen Allgemeiner : ℘(M ) = {N : N ⊆ M } Def. ℘ Übrigens: Wenn m die Anzahl der Elemente in M ist, dann gibt 2m immer die Anzahl der Elemente von ℘(M ) an — weshalb manche statt ℘(M ) auch 2M schreiben. DENKPAUSE: Bilden Sie die Potenzmenge von {0, 1, 2}! 33 Winterlogik 2016-17 / fol. 82 Mengenoperationen Offensichtliche Frage: Warum ist denn die leere Menge in der Potenzmenge jeder Menge mit drin? Offensichtliche Antwort: Das muß wohl an der Definition einer Potenzmenge liegen. Schauen wir uns diese Definition ( ℘(M ) = {N : N ⊆ M } ) also noch einmal an (mit ∅ nun schon für N eingesetzt): ∅ ∈ ℘(M ) gdw ∅ ⊆ M . Um hier weiterzukommen, fragen wir uns, was die rechte Seite eigentlich bedeutet: ∅ ⊆ M gdw (für alle x) wenn x ∈ ∅, dann x ∈ M. Jetzt ist klar: ∅ ⊆ M kann nur unter einer Bedingung falsch werden: Es ist nicht der Fall, daß: (für alle x) wenn x ∈ ∅, dann x ∈ M, d.h. es gibt ein x : x ∈ ∅ aber x ∈ / M. Frage: Kann diese Bedingung eintreffen?? — Falls nicht, dann kann ∅ ⊆ M nie falsch sein, für beliebiges M . Und was nicht falsch sein kann, muß ja dann wohl wahr sein, oder? 34 Winterlogik 2016-17 / fol. 83 Exkurs: Der Satz von Cantor Exkurs: Der Satz von Cantor Mit dem, was wir bisher über Abzählbarkeit, Funktionen und Potenzmengen gelernt haben, können wir schon zu einem interessanten Resultat, dem Satz von Cantor, kommen. • Wenn M eine Menge ist, dann sei |M | die Anzahl der Elemente in M . • Erinnerung: | ℘(M )| = 2|M | . ZB: | ℘(∅)| = 20 = 1 (Festlegung im Grenzfall), | ℘({a})| = 21 = 2 usw. • Für jede natürliche Zahl n ist n < 2n . • Für jede endliche Menge gibt es eine natürliche Zahl n so, daß die Menge n Elemente enthält. Also: • Für jede endliche Menge M gilt: |M | < | ℘(M )|. Die Anzahl unendlicher Mengen läßt sich nicht durch eine natürliche Zahl angeben. Was passiert also in diesem Fall? 35 Winterlogik 2016-17 / fol. 84 Exkurs: Der Satz von Cantor Georg Cantor (1845-1918), deutscher Mathematiker und Philosoph CANTORS SATZ. Für beliebige (!) Mengen M gilt: |M | < | ℘(M )|. Beweis Beobachtung: Für jedes x in M gibt es das Element {x} in ℘(M ). (Etwas anspruchsvoller formuliert: Die Abbildung f : M −→ ℘(M ) mit f (x) = {x} ist injektiv.) Also wissen wir: |M | ≤ | ℘(M )|. Es bleibt zu zeigen: |M | 6= | ℘(M )|. /... 36 Winterlogik 2016-17 / fol. 85 Exkurs: Der Satz von Cantor Nehmen wir an – reductio ad absurdum! –, daß (1) |M | = | ℘(M )|. Dann gibt es für jedes Element in ℘(M ) eines in M . D.h. (2) es gibt eine Funktion g : M −→ ℘(M ), die surjektiv ist. Man betrachte nun die Menge N = {x ∈ M : x ∈ / g(x)}, d.h. (3) x ∈ N gdw x ∈ M und x ∈ / g(x). Offensichtlich ist (4) N ⊆ M und also N ∈ ℘(M ). Aus (2, d.h. der Surjektivität von g) und (4) folgt, (5) daß es ein y ∈ M gibt, so daß g(y) = N . Ist y ∈ N [= g(y)] ? Wenn ja (y ∈ N ), dann (nach 3⇒) y ∈ / N. Wenn nein (y ∈ / N ), dann (nach 3⇐ und y ∈ M ) y ∈ N . Entweder ist aber y ∈ N oder y ∈ / N – eine dritte Möglichkeit besteht nicht. In jedem Fall erhalten wir einen Widerspruch. Also ist (1) falsch. QED 37 Winterlogik 2016-17 / fol. 86 Exkurs: Der Satz von Cantor Für die Menge N der natürlichen Zahlen ist nach Cantors Satz die Menge ℘(N) ein einfaches Beispiel einer überabzählbar unendlichen Menge. Aus Cantors Satz ergibt sich die historisch erste Paradoxien des intuitiven Mengenbegriffs: Cantors Paradoxie Kann es eine Menge U aller Mengen geben? Wenn ja, dann kann es jedenfalls keine Menge M geben, die größer (mächtiger) ist als U ; d.h. für alle M : |M | ≤ |U |. Wenn wir aber für M die Menge ℘(U ) einsetzen, dann erhalten wir | ℘(U )| ≤ |U |. Das widerspricht Cantors Satz. Also kann es keine Menge aller Mengen geben. Offenbar gibt es nicht zu jeder Eigenschaft (zB eine Menge zu sein) eine entsprechende Menge (die Menge der Elemente, welche die Eigenschaft haben). Wir werden gleich eine weitere Paradoxie kennenlernen, die das gleiche Ergebnis nahelegt (die Russellsche Paradoxie). 38 Winterlogik 2016-17 / fol. 87 Zusammenfassung: Einige Grundbegriffe der naiven Mengenlehre Zusammenfassung: Einige Grundbegriffe der naiven Mengenlehre Mengen: “Ansammlungen” von Objekten (Elementen). Auch Mengen selbst können Elemente von Mengen sein. Ein Element x ist in der Menge A: x ∈ A. Eine Menge A ist in der Menge B enthalten: A ⊆ B, d.h. A ist Teil(menge) von B. Wenn A ⊆ B aber A 6= B, dann ist A in B echt enthalten, A ⊂ B. Schnitt: A ∩ B — alle Elemente, die A und B gemeinsam sind: A ∩ B := {x : x ∈ A und x ∈ B}. Schnitt einer Mengenfamilie F : sam sind. T F — alle Elemente, die allen Mengen in F gemein- Vereinigung (oder “Summe”): A ∪ B oder auch B (bzw in mind. einer der Mengen in F ) sind: S F — alle Elemente, die in A oder in A ∪ B := {x : x ∈ A oder x ∈ B}. 39 Winterlogik 2016-17 / fol. 88 Zusammenfassung: Einige Grundbegriffe der naiven Mengenlehre Subtraktion bzw. Komplementärbildung: A − B (auch A \ B) — alle Elemente in A, die nicht in B sind: A − B := {x : x ∈ A und x ∈ / B}. Bzw. B — alle Elemente (des “Universums”), die nicht in B sind. Potenzmenge von A: ℘(A) — Die Menge (Familie) aller Mengen, die Teil von A sind, “angefangen” mit ∅, der leeren Menge: ℘(A) = {X : X ⊆ A}. (Kartesisches) Produkt A × B: Menge aller Paare (a, b), wobei die erste Koordinate, a, aus der Menge A und die zweite Koordinate, b, aus der Menge B stammt: A × B = {(a, b) : a ∈ A und b ∈ B}. Natürlich lassen sich auch Produkte aus mehr als zwei Mengen bilden. Diese ergeben dann Mengen aus Tripeln, Quadrupeln, Quintupeln usw. Z.B.: A × B × C = {(a, b, c) : a ∈ A und b ∈ B und c ∈ C}. 40 Winterlogik 2016-17 / fol. 89 Zusammenfassung: Einige Grundbegriffe der naiven Mengenlehre Bei Folgen kommt es, im Ggs. zu Mengen, auf die Reihenfolge an, in der die Elemente gesammelt werden sowie auf Wiederholungen. Folgen schreibt man mit spitzen (oder auch runden) Klammern: ha, bi. — Achtung: {a, b, a} = {a, b} = {b, a} Mengenbildung ist also idempotent und kommutativ. Für Folgen gilt das nicht; deshalb: ha, b, ai 6= ha, bi 6= hb, ai Übung Beweisen Sie, daß für jede Menge M , die Potenzmenge ℘(M ) genau ein kleinstes und ein größtes Element (im Sinne des Inklusionsvergleichs) hat. (Das Muster für einen solchen Beweis kennen Sie schon aus der Diskussion über die Rolle der Abschlußklausel in der Definition der Menge der Zahlzeichen.) 41 Winterlogik 2016-17 / fol. 90 Zusammenfassung: Einige Grundbegriffe der naiven Mengenlehre Warum “naive” Mengenlehre? Weil sie halt ein wenig “naiv” verfährt: Es gibt hier keine Beschränkung für die Mengenbildung. • Wenn immer Sie eine Bedingung φ (lies: ”phi”) haben, dann können Sie die Menge derjenigen Objekte bilden, welche die Bedingung erfüllen, d.h. es gilt das uneingeschränkte Komprehensionsprinzip: Für jede Bedingung φ gibt es eine Menge M so, daß M = {x : φx}, d.h. x ∈ M gdw φx • Z.B. die Menge aller Mengen (Cantors Paradoxie!): u = {x : Menge(x)} Oder die Menge der geraden Zahlen: g = {x : x ∈ N und gerade(x)} 42 Winterlogik 2016-17 / fol. 91 Zusammenfassung: Einige Grundbegriffe der naiven Mengenlehre • Oder die Menge n aller Nicht-Zahlen, n = {x : nicht Zahl (x)}. Die Menge n der Nichtzahlen ist übrigens eine Menge, die sich selbst als Element enthält: Denn die Menge n ist ja keine Zahl; also n ∈ n. • Oder die Menge t aller Teller, t = {x : Teller (x)}. Das ist eine Menge, die sich selbst nicht als Element enthält: Denn die Menge t ist ja kein Teller; also t ∈ / t. 43 Winterlogik 2016-17 / fol. 92 Zusammenfassung: Einige Grundbegriffe der naiven Mengenlehre • Wir wollen Mengen dieser letzten Art einmal “einsammeln”: Sei r die Menge genau derjenigen Mengen, die sich nicht selbst als Element enthalten: r = {x : x ∈ / x} (Anders gesagt: Für alle x, x ∈ r gdw nicht x ∈ x.) Frage: Ist r ∈ r? Entweder ist es so oder es ist nicht so. · Falls es so ist (r ∈ r), dann erfüllt r die Bedingung, d.h. r ∈ / r. · Falls nicht (r ∈ / r), dann erfüllt r die Bedingung nicht, d.h. r ∈ r. • Also r ∈ r und r ∈ /r! (Man nennt r die Russell-Menge; Russell ca. 1901.) 44 Winterlogik 2016-17 / fol. 93 Zusammenfassung: Einige Grundbegriffe der naiven Mengenlehre Bertrand Russell (1872-1970) Die naive Mengenlehre erlaubt es, merkwürdige Mengen wie die Russell-Menge (oder die Menge aller Mengen) zu bilden: Sie ist eine inkonsistente Theorie! • Für “normale” Zwecke erlauben wir uns naiv zu bleiben. Aber für eine konsistente Mengenlehre müssen wir irgendwie die Mengenbildung einschränken. Mehr darüber zB in der Wikipedia unter Russellsche Antinomie (klick!). 45 Winterlogik 2016-17 / fol. 94 Zusammenfassung: Einige Grundbegriffe der naiven Mengenlehre DENKPAUSE: Was passiert eigentlich, wenn Sie die Menge aller Mengen, die sich selbst enthalten bilden, also s = {x : x ∈ x} ? Ist das auch inkonsistent? 46 Winterlogik 2016-17 / fol. 95 Zusammenfassung: Einige Grundbegriffe der naiven Mengenlehre DENKPAUSE: Was passiert eigentlich, wenn Sie die Menge aller Mengen, die sich selbst enthalten (wie die Menge der Nichtzahlen) bilden, also s = {x : x ∈ x} ? Ist das auch inkonsistent? Hier ist noch einmal—etwas anders aufgeschrieben—die Definition von s: Für alle x : x ∈ s gdw x ∈ x. Setzen wir s selbst für x ein, dann ... · wenn s ∈ s, dann s ∈ s; und · wenn s ∈ / s, dann s ∈ / s. Das geht soweit in Ordnung. (Obgleich die Menge s zwar “merkwürdig” sein mag, gibt es zunächst keinen Grund, sie abzulehnen – was nicht heißt, das s uns nicht vielleicht auf andere Weise in Schwierigkeiten bringt.) 47 Winterlogik 2016-17 / fol. 96 Goethe-Universität Frankfurt am Main Institut für Philosophie Logik im Winter 2016-17 Zehnersystem: Ableitungen und Semantik André Fuhrmann 03ableitungen 161115.1144 Winterlogik 2016-17 / fol. 97 Ableitung eines Zahlzeichens Ableitung eines Zahlzeichens Betrachten wir erneut die folgende Definition 1. Es sei Z0 = {1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 0} die Menge der Grundzahlzeichen. Dann soll die Menge Z der Zahlzeichen die folgenden Bedingungen erfüllen: Für alle Zeichen x und y, 1. wenn x ∈ Z0 , dann x ∈ Z; 2. wenn x ∈ Z und y ∈ Z, dann xy ∈ Z; 3. Z ist die kleinste Menge, welche die Bedingungen 1–2 erfüllt. Die Definition ist zugleich eine Konstruktions- und eine Verifikationsanweisung: • Sie beschreibt, wie Zahlzeichen zu konstruieren sind. • Sie gibt an, wie man nachprüfen kann, ob etwas ein Zahlzeichen ist. (Vergleiche: Eine Grammatik erlaubt, richtige Ausdrücke zu bilden, und sie erlaubt, Ausdrücke als richtige zu erkennen.) 2 Winterlogik 2016-17 / fol. 98 Ableitung eines Zahlzeichens Diese beiden Aspekte lassen sich im Begriff einer Ableitung zusammenfassen: • Ableitungen konstruieren richtige Ausdrücke aus dem Anfangsmaterial mit Hilfe der Regeln. • Ableitungen rechtfertigen die Behauptung, daß etwas ein richtiger Ausdruck sei. • Zusammengefaßt: Etwas ist ein Zahlzeichen, wenn es sich nach den Bedingungen 1–2 ableiten läßt: 1. Alle Grundzeichen (Ziffern) sind Zahlzeichen (und i.d.S. ableitbar). 2. Das Resultat des Zusammenfügens zweier bereits abgeleiteter Zahlzeichen ist ein Zahlzeichen (und also ableitbar). (Die Abschlußbedingung 3 der Def. 1 ist erfüllt, wenn als Anfangsmaterial für Ableitungen auschließlich Grundzeichen verwendet werden.) 3 Winterlogik 2016-17 / fol. 99 Ableitung eines Zahlzeichens Betrachten wir Ableitungen zunächst unter dem Aspekt der Konstruktion. • Ableiten ist etwas, was in Schritten geschieht. • Jeder Schritt baut auf etwas auf, was in vorhergehenden Schritten erreicht wurde. • Im letzten Schritt wird das Ziel der Konstruktion erreicht. • Der letzte Schritt ist “gut”, wenn alle ersten Schritte “gut” und jeder weitere Schritt ebenfalls “gut” ist. · “Gut” heißt: Folgt den vereinbarten Regeln / gehorcht zuvor bestimmten Bedingungen. (ZB: Das Resultat des letzten Schrittes ist ein Zahlzeichen, wenn die Konstruktion mit Zahlzeichen begonnen wurde und in jedem weiteren Schritt ein Zahlzeichen resultierte.) Letztlich ist eine Ableitung also nichts anderes als eine unter bestimmten Regeln stehende Abfolge von Schritten: h Schritt 1, Schritt 2, ... , Schritt n i 4 Winterlogik 2016-17 / fol. 100 Ableitung eines Zahlzeichens Eine Ableitung des Zahlzeichens 78434 kann man so als Folge notieren: h7, 8, 78, 4, 784, 3, 7843, 4, 78434i Diese Folge gibt wieder, wie wir die Zahlen von links nach rechts aufschreiben. Aber auch dies wäre eine Ableitung von 78434: h8, 4, 84, 7, 784, 3, 7843, 4, 78434i Nachprüfung zeigt, daß jedes Element der Folge aufgrund einer der Regeln 1 und 2 aufgeschrieben wurde: Regel 1 Grundzahlzeichen dürfen wir ohne weiteres hinschreiben (Ziffernregel ). Regel 2 Was schon hingeschrieben ist, dürfen wir zusammengefügt hinschreiben (Verkettungsregel ). 5 Winterlogik 2016-17 / fol. 101 Ableitung eines Zahlzeichens Manchmal ist es gut, die Nachprüfung zu erleichtern, indem man den Konstruktionsprozeß als Baum aufzeichnet. Neben den Knoten können wir noch die jeweils angewendete Regel angeben (Zif für die Ziffernregel, Ket für die Verkettungsregel): 7 Zif 8 Zif 4 84 784 Zif Ket Ket 7843 3 Zif Ket 78434 4 Zif Ket Erkennen Sie die Baumstruktur? • Von oben nach unten (zur Wurzel 78434 hin) gelesen, zeigt der Baum, wie sich die Zahl aus Grundzeichen (den Blättern) zusammensetzen läßt (“Synthese”). [Wir sagen jetzt häufiger einfach “Zahl” statt (richtiger) “Zahlzeichen”.] • Von unten nach oben gelesen, zeigt der Baum, wie sich diese komplexe Zahl aus immer weniger komplexen Zahlen aufbaut (“Analyse”). (Die SynthesePerspektive ist sozusagen für den “Zahlensprecher”; die Analyse-Perspektive für den “Zahlenhörer”.) 6 Winterlogik 2016-17 / fol. 102 Ableitung eines Zahlzeichens Die verschiedenen Möglichkeiten, die Zahl zu konstruieren, können durch jeweils verschiedene Bäume dargestellt werden — zB: 7 Zif 8 Zif 4 84 784 Zif Ket Ket 7843 3 4 Zif Ket 78434 4 Zif Ket Zif 3 Zif 34 434 4 Zif Ket Ket 78434 7 Zif 78 8 Ket Ket Es gibt also viele verschiedene Ableitungen der Zahl (des Zahlzeichens!) 78434 i.S. der folgenden Definition 2. Eine Ableitung eines Zahlzeichens x ist eine Folge von Zahlzeichen x0 , . . . , x n wobei xn = x, und jedes Zeichen xk (0 ≤ k ≤ n; k, n ∈ N) ist entweder ein Grundzahlzeichen oder nach Regel 2 (Def. 1) aus vorhergehenden Zahlzeichen xi , xj (i, j < k) zusammengesetzt. 7 Winterlogik 2016-17 / fol. 103 Ableitung eines Zahlzeichens Erste Bemerkung In der Definition bedienen wir uns einer häufig angewandten Methode Variablen zu unterscheiden und zu vermehren. Buchstaben wie x werden einfach mit natürlichen Zahlen, 0, 1, 2, ..., indiziert. Das ist besonders dann hilfreich, wenn es auf die Anordnung der Variablen ankommt. So bestimmt die Definition, daß ein Zeichen, das variabel mit, sagen wir, x3 benannt ist, entweder ein Grundzeichen ist oder aus vorhergehenden Zeichen konstruiert wurde, wobei das Vorhergehen durch Indizes kleiner als 3 angezeigt ist. · Also ist z.B. die Folge x0 , . . . , x 3 eine Ableitung (von x3 ), falls jedes Zeichen xk (k ∈ {0, 1, 2, 3}) entweder ein Grundzahlzeichen ist oder aus vorhergehenden Zahlzeichen xi , xj (i, j < k) nach Regel 2 zusammengesetzt ist. — In der Definition ist das ganz allgemein formuliert, wiederum mit Hilfe von (Meta-)Variabeln, i, j, k, die für natürlichen Zahlen stehen. 8 Winterlogik 2016-17 / fol. 104 Ableitung eines Zahlzeichens Zweite Bemerkung Aus der Definition folgt, daß Ableitungen immer endlich sind. Denn Ableitungen sind Folgen von Zeichen x0 , . . . , x n , wobei n variabel für eine natürliche Zahl steht. Zwar gibt es unendlich viele natürliche Zahlen; aber welche Zahl auch immer wir für n einsetzen, das Resultat ist eine Folge von endlich vielen Variablen, die sich auf Zahlzeichen beziehen. Mit anderen Worten: Es gibt zwar (abzählbar) unendlich viele Zahlzeichen, aber jedes dieser Zeichen ist endlich konstruierbar. · Wie in den natürlichen Sprachen, so ist auch in allen hier betrachteten Kunstsprachen, ein Zeichen immer ein endliches Gebilde. 9 Winterlogik 2016-17 / fol. 105 Ableitung eines Zahlzeichens Dritte Bemerkung Ableitungen sind “monoton”. ZB ist (1, 2, 12) eine Ableitung von 12. Aber auch (1, 2, 3, 12) ist eine Ableitung von 12! (Prüfen Sie das anhand der Definition 2 nach!) Es ist vielleicht nicht elegant, in der Absicht eine bestimmte Zahl zu konstruieren, Zahlen abzuleiten, die am Ende gar nicht gebraucht werden. Aber es gibt eben viele Wege zu einer Zahl – darunter auch Umwege. Wenn eine Ableitung einer Zahl vorliegt, dann können Sie also die Ableitung zu weiteren (unendlich vielen!) Ableitungen derselben Zahl erweitern (Monotonie!). Aber Vorsicht! Sie können Ableitungen nicht beliebig erweitern. ZB würde die Folge (1, 2, 78434, 12) keine Ableitung der Zahl 12 darstellen. (Prüfen Sie auch das anhand der Definition 2 nach!) 10 Winterlogik 2016-17 / fol. 106 Axiomatische Systeme Axiomatische Systeme Wir haben soeben ein sehr einfaches Beispiel eines axiomatischen Systems kennengelernt. Das Zehnersystem zeichnet ◦ in einem bestimmten Bereich B von Objekten [zB den Ausdrücken der deutschen Sprache] ◦ auf der Basis einiger Grundobjekte A (aus B) [den Ziffern] ◦ durch Anwendung einiger Regeln R [der Verkettungsregel] ◦ eine Teilmenge T ⊆ B “bevorzugter” Objekte aus [die Zahlzeichen]. Damit enthält es alle Elemente eines axiomatischen Systems (B, A, R): · einen Bereich, B, · eine Menge von Axiomen, A [⊆ B], · eine Menge von Regeln, R: x1 , . . . , x n mit x1 , . . . , xn , y ∈ B (n ≥ 1). y 11 Winterlogik 2016-17 / fol. 107 Axiomatische Systeme Bemerkung. Wenn wir als Grenzfall Regeln mit der leeren Prämissenmenge in die Betrachtung einschließen, dann können wir auch die Axiome unter die Regeln subsumieren. Wir betrachten Axiome dann als Anfangsregeln, d.h. als Regeln ohne Prämissen: y · So haben wir zB die Ziffernregel aufgefaßt: Ziffern dürfen ohne weiteres hingeschrieben werden (“null Prämissen”). Dagegen muß die Verkettungsregel immer auf zwei zuvor aufgeschriebene Zeichen (“Prämissen”) zurückgreifen: x für x ∈ Z0 x y xy · Wir werden hier weiter zwischen Axiomen und Regeln unterscheiden. (Das ist nur eine Frage der Darstellung, an der nichts hängt.) Axiome und Regeln “generieren” zusammen eine Menge von Theoremen (auch Thesen genannt. 12 Winterlogik 2016-17 / fol. 108 Axiomatische Systeme “Generieren”: x ist gd ein Theorem in einem axiomatischen System (B, A, R), wenn x in dem System abgeleitet werden kann. Definition 3. Eine Ableitung eines Objektes x in einem axiomatischen System (B, A, R) ist eine Folge von Objekten x0 , . . . , x n (alle aus B) wobei xn = x, und jedes Objekt xk (0 ≤ k ≤ n; k, n ∈ N) ist entweder ein Axiom (aus A) oder nach einer der Regeln (aus R) aus vorhergehenden Objekten xi , ..., xj (i, ..., j < k) geschlossen. Bemerkungen. 1. Die letzte Bedingung ist so allgemein formuliert, daß sie sich auf Regeln mit beliebig (endlich) vielen Prämissen beziehen kann. In der Praxis werden wir es aber immer nur mit einer oder zwei Prämissen zu tun haben. 2. Ableitungen von Sätzen oder Aussagen nennen wir auch Beweise. Überhaupt denken viele bei axiomatischen Systemen unwillkürlich immer an Aussagen. Das dürfen Sie weiterhin tun—solange Sie im Hinterkopf behalten, daß die Art der Objekte eigentlich nicht wesentlich für den Begriff eines axiomatischen Systems ist. 13 Winterlogik 2016-17 / fol. 109 Axiomatische Systeme Ein etwas “anspruchsvolleres” axiomatisches System Sprache · Grundzeichen: A, B, C, D, ... · Zwei Operationen: ¬ und → · Alle Grundzeichen sind Formeln, und wenn A und B Formeln sind, dann sind ¬A und A → B Formeln. Schluß. Bereich: Formeln der Sprache Axiome A1 A → (B → A) A2 (A → (B → C)) → ((A → B) → (A → C)) A3 (¬A → ¬B) → ((¬A → B) → A) Regeln “Einsetzen” (solange die Struktur der Formel gewahrt bleibt) sowie A A→B Modus Ponens (MP) B 14 Winterlogik 2016-17 / fol. 110 Axiomatische Systeme Einsetzen “...die Struktur der Formel wahren...”: Beim Einsetzen wahren Sie genau dann die Struktur, wenn Sie für gleiche Blätter (Variablen) gleiche Formeln einsetzen. Zum Beispiel enstehen aus A → (B → A) u.a. die Formeln A → ((C → C) → A) und B → (B → B) durch Einsetzen von (C → C) für B bzw. B für A. Auf den folgenden Folien sehen Sie zwei Beispiele für das Einsetzen. Wir tauschen die Blätter in einem Baum gleichförmig aus und wahren so die Struktur des Baumes. 15 Winterlogik 2016-17 / fol. 111 Axiomatische Systeme 16 Winterlogik 2016-17 / fol. 112 Axiomatische Systeme 17 Winterlogik 2016-17 / fol. 113 Axiomatische Systeme 18 Winterlogik 2016-17 / fol. 114 Axiomatische Systeme 19 Winterlogik 2016-17 / fol. 115 Axiomatische Systeme In der Theorie des logischen Schließens ist so etwas wie eine Einsetzungsregel zu erwarten. Denn ... ... als wir über die syntaktische Konzeption des logischen Schließens gesprochen haben, haben wir gesehen, daß logisches Schließen etwas mit der Form (Struktur ) eines Argumentes zu tun hat. ZB sind offenbar alle Schlüsse der Form Wenn A, dann B / Wenn B, dann C / Also: Wenn A, dann C logisch gut. ◦ Wenn ein Schluß S logisch gut ist, dann kann ein Schluß S 0 gleicher Form nicht schlecht sein. (Logik ist formal.) ◦ S und S 0 haben die gleiche Form, wenn der eine aus dem anderen durch Einsetzen von Gleichem für Gleiches entsteht. (Definition “gleiche Form”.) Also: • Wenn S logisch gut ist, und S 0 aus S durch Einsetzen entsteht, dann kann S 0 nicht logisch schlecht sein. 20 Winterlogik 2016-17 / fol. 116 Axiomatische Systeme A1 A → (B → A) A2 (A → (B → C)) → ((A → B) → (A → C)) Hier nun eine Ableitung in dem soeben definierten axiomatischen System. (Wir benutzen jetzt eine alternative Form, die Nachprüfung einer Ableitung zu erleichtern: Dazu schreiben wir die Elemente der Folge untereinander und numerieren sie, damit wir uns in den Rechtfertigungen auf die Elemente der Folge beziehen können.) Ableitung (Beweis) von A → A: 1. 2. 3. 4. 5. Formel (A → ((A → A) → A)) → ((A → (A → A)) → (A → A)) A → ((A → A) → A) (A → (A → A)) → (A → A) A → (A → A) A→A Rechtfertigung Formel der Form A2 Formel der Form A1 aus 1 und 2 durch MP Formel der Form A1 aus 3 und 4 durch MP. [Tafel: Als Baum – von unten nach oben.] 21 Winterlogik 2016-17 / fol. 117 Axiomatische Systeme DENKPAUSE: A1 A → (B → A) A2 (A → (B → C)) → ((A → B) → (A → C)) A3 ... A A→B Modus Ponens (MP) B Beweisen Sie (A → B) → (A → A) ! 22 Winterlogik 2016-17 / fol. 118 Axiomatische Systeme Soviel zu den wichtigsten syntaktischen Begriffe der Logik: Axiomatisches System — Ableitung/Beweis Nun zum wichtigsten semantischen Begriff der Logik: Interpretationen sind Abbildungen von Zeichen (Ausdrücken) auf Bedeutungen. Wie das im Prinzip funktioniert, betrachten wir wieder an einem sehr einfachen Beispiel. 23 Winterlogik 2016-17 / fol. 119 Semantik der Sprache des Zehnersystems Semantik der Sprache des Zehnersystems Syntax (Erinnerung) • Nur eine Kategorie von Zeichen: Zahlzeichen, Z. • Grundzahlzeichen (Ziffern), Z0 : 0,1,2,3,4,5,6,7,8,9. • Nur eine syntaktische Operation: Verkettung (Zusammenschreiben). Dazugehörige Regel: Wenn x und y Zahlzeichen sind, dann ist auch xy ein Zahlzeichen. Idee: Wir möchten diese Sprache so verwenden/verstehen, daß sich die Zeichen in Z auf Zahlen beziehen. (Also zB das Zeichen 119 auf die Zahl 119.) Die Brücke zwischen Zahlzeichen und Zahlen kommt erst durch eine Interpretation zustande. Wir interpretieren die Zeichen — weisen ihnen eine Bedeutung zu — indem wir eine Funktion, i(•), definieren, die ein Zeichen n ∈ Z in eine natürliche Zahl n ∈ N abbildet. 24 Winterlogik 2016-17 / fol. 120 Semantik der Sprache des Zehnersystems Nach dieser Interpretation ist i(0) = 0 i(1) = 1 i(2) = 2 i(3) = 3 i(4) = 4 i(5) = 5 i(6) = 6 i(7) = 7 i(8) = 8 i(9) = 9 Und: Für alle x ∈ Z und y ∈ Z0 : i(xy) = 10 × i(x) + i(y) (Wie immer: Multiplikation vor Addition!) Das ist im Kern die Semantik für die Sprache der Zahlzeichen im Zehnersystem. Bemerkungen. 1. Die semantischen Regeln für die Abbildung von arabischen Zahlzeichen in Zahlen erscheinen uns geradezu unsinnig trivial. Aber das beruht auf unserer schlafwandlerischen Vertrautheit mit dem Zehnersystem. (Versuchen Sie sich einmal am Binärsystem oder — viel schwieriger — an den römische Zahlzeichen! Oder denken Sie sich eine Interpretation aus, mit der Sie Zahlen verschlüsseln können!) 2. Die Abbildung von Zeichen auf Zahlen ist surjektiv: Jede Zahl wird bezeichnet. Aber die Abbildung ist nicht injektiv. Für jede Zahl n gibt es unendlich viele Zeichen: 0n, 00n, 000n, usw. D.h. es gibt unendlich viele Synonyme! (Unsere Konvention — Präfix-0 schreiben wir nicht hin — besagt, daß wir von diesen jeweils nur eines benutzen wollen.) 25 Winterlogik 2016-17 / fol. 121 Semantik der Sprache des Zehnersystems Beispiel für die Anwendung der Bedeutungsregeln: Wir “berechnen” die Bedeutung des Zahlzeichens 7750 (einige offensichtliche Schritte überspringend): i(7750) = 10 × i(775) + i(0) = 10 × (10 × i(77) + 5) = 10 × (10 × (10 × i(7) + 7) + 5) = 10 × (10 × (10 × 7 + 7) + 5) = 10 × (770 + 5) = 7750 26 Winterlogik 2016-17 / fol. 122 Semantik der Sprache des Zehnersystems DENKPAUSE: i(0) = 0 i(1) = 1 i(2) = 2 i(3) = 3 i(4) = 4 i(5) = 5 i(6) = 6 i(7) = 7 i(8) = 8 i(9) = 9 für alle x ∈ Z und y ∈ Z0 : i(xy) = 10 × i(x) + i(y) Was bedeutet 2015? 27 Winterlogik 2016-17 / fol. 123 Semantik der Sprache des Zehnersystems Einige Fragen an die Semantik von Z • Ist die Semantik endlich? ⇒ Gibt sie auf endliche Weise die Bedeutungen von allen, d.h. unendlich vielen Zahlzeichen an? ⇒ Läßt sich die Bedeutung jedes Zahlzeichens in endlich vielen Schritten bestimmen? • Ist die Semantik kompositional? ⇒ Bestimmt sie die Bedeutung jedes komplexen Zahlzeichens aufgrund der Bedeutungen seiner Bestandteile und der Art ihrer Zusammensetzung? • Folgt aus der Kompositionalität einer Semantik, daß diese auch extensional ist? ⇒ Wenn die Bedeutung von z bestimmt wird von den Bedeutungen der Bestandteile von z und der Art ihrer Zusammensetzungen (Kompositionalität), sind dann Bestandteile von z gegen solche mit gleicher Bedeutung immer austauschbar, ohne daß sich an der Bedeutung von z etwas ändert (Extensionalität)? 28 Winterlogik 2016-17 / fol. 124 Semantik der Sprache des Zehnersystems Die Semantik ist endlich. Wie die Funktion i(•) unendlich vielen Ausdrücken eine Bedeutung zuweist, ist in endlicher Weise beschrieben (elf Bedingungen). (Die Funktion i ist rekursiv definiert. Über diesen wichtigen Begriff später mehr.) Der Argumentbereich der Funktion i – die Menge der Zahlzeichen – ist schon in endlicher Weise bestimmt: Endlich viele (zehn) Grundzeichen; endlich viele Regeln (nur eine, die Verkettungsregel) um alle weiteren Zeichen aus diesen Grundzeichen zu konstruieren. (Die Funktion operiert auf einem rekursiv definiertem Bereich.) Die Bedeutungsfunktion i rekapituliert nun die Definition ihres Bereichs: Sie legt Bedeutungen für die Grundzeichen fest (zehn Klauseln) und wird unter eine Bedingung gestellt, die es erlaubt die Bedeutung komplexerer Zeichen unter Rekurs (Rückgriff) auf die Bedeutung weniger komplexer Zeichen zu bestimmen (die “Rechenregel”). Da die Komplexität jedes Zeichens endlich ist, ist garantiert, daß der Rekurs effektiv ist, d.h. nach endlich vielen Schritten die Bedeutung feststeht. 29 Winterlogik 2016-17 / fol. 125 Semantik der Sprache des Zehnersystems Die Bedingung der Endlichkeit einer Semantik kann auf zweierlei Weise verletzt werden: 1. Unendlich viele Lexikoneinträge oder Regeln. Z.B. eine Semantik, welche jedes Zahlzeichen wie einen strukturlosen Eigennamen betrachtet: i(0) = 0, i(1) = 2, ... , i(10) = 10, ... , i(217) = 217, ... Eine solche Sprache könnte niemand (in endlicher Zeit) lernen. 2. Ausdrücke, deren Bedeutungen nicht nach endlich vielen Schritten feststehen. (Z.B. zirkuläre Regeln.) ZB sei die Funktion i wie oben beschrieben, jedoch mit diesen Klauseln für 8 und 9: i(8) = i(9) − 1 i(9) = i(8) + 1. Versuchen Sie einmal die Bedeutung von 8 zu bestimmen! ... 30 Winterlogik 2016-17 / fol. 126 Semantik der Sprache des Zehnersystems Die Semantik ist kompositional. Die Bedeutung eines jeden Zeichens setzt sich zusammen aus den Bedeutungen der in ihm vorkommenden Zeichen. Genauer: Die Bedeutung eines komplexen Ausdruckes, i(x0 · · · xn ), ist eine Funktion, f , der Bedeutungen seiner (weniger komplexen) Teilausdrücke: i(x0 · · · xn ) = f (i(x0 ), . . . , i(xn )) (Komp) Diese Funktion f ist in der letzten, elften Bedingung der Semantik beschrieben, der “Rechenregel”. (Dabei kommt es natürlich auf die Anordnung der Teilausdrücke an: 8 gefolgt von 1 steht für eine andere Zahl als 1 gefolgt von 8.) Da eine Semantik im wesentlichen aus einer Bedeutungsfunktion i über dem Bereich der betrachteten Ausdrücke besteht, nennt man eine Semantik, deren Bedeutungsfunktion die Kompositionalitätsbedingung (Komp) erfüllt, eine kompositionale Semantik. In natürlichen Sprachen gibt es typischerweise Kompositionalitätslücken. ZB: · Die Bedeutung von “schräge Wand” errechnen Sie aus den Bedeutungen von “schräg” und “Wand”. · Die Bedeutung von “schräger Vogel” ... 31 Winterlogik 2016-17 / fol. 127 Semantik der Sprache des Zehnersystems Die Semantik ist nicht extensional. Wenn die Bedeutungen eines komplexen Ausdrucks sich immer aus den Bedeutungen der Teilausdrücke zusammensetzt, heißt das dann, daß bedeutungsgleiche Teile austauschbar sind, ohne an der Bedeutung des komplexen Ausdrucks etwas zu ändern? Wenn das so wäre, dann wäre unsere Semantik auch durchgehend extensional. Denn eine Semantik heißt extensional, wenn für jeden Kontext . . . • . . . gilt: wenn i(x) = i(y), dann i(. . . x . . .) = i(. . . y . . .) (Ext) Unsere Semantik ist in diesem Sinne nicht extensional. Sei zB x = 1 und y = 01. Dann i(1) = i(01). Aber zB i(215) 6= i(2015). Kompositionalität impliziert also nicht so ohne weiteres Extensionalität! (Wir werden später, in der Behandlung der Prädikatenlogik, auf die Frage der Extensionalität zurückkommen und zeigen, wie sich arabische Zahlausdrücke in eine extensionale Sprache einfügen lassen.) 32 Winterlogik 2016-17 / fol. 128 Semantik der Sprache des Zehnersystems In der alltäglichen Sprache (aber nicht nur in dieser) ist Nichtextensionaliät ein verbreitetes Phänomen. · So bezeichnen “Burma” und “Myanmar” dasselbe Land (in SO-Asien) — die beiden Ausdrücke haben dieselbe Bedeutung. Bleibt jeder wahre Satz mit “Burma” wahr, wenn wir “Burma” gegen “Myanmar” vertauschen? (1) Maria glaubt, eine Reise nach Myanmar gebucht zu haben. (2) Maria glaubt, eine Reise nach Burma gebucht zu haben. Unter Umständen kann Satz (1) wahr sein, während Satz (2) falsch ist. “Glaubt, daß ... ” ist ein Ausdruck, der einen nichtextensionalen (intensionalen) Kontext anzeigt. Auch philosophisch wichtige Begriffe wie Notwendigkeit generieren intensionale Kontexte. · So sind im 18. Deutschen Bundestag 681 Abgeordnete vertreten. D.h. “681” und “die Anzahl der Abgeordneten im 18. Bundestag” bezeichnen dieselbe Zahl. (3) Es ist notwendig, daß 681 = 681. — Wahr. (4) Es ist notwendig, daß 681 = die Anzahl der Abgeordneten im 18. Bundestag. — Falsch. 33 Winterlogik 2016-17 / fol. 129 Goethe-Universität Frankfurt am Main Institut für Philosophie Logik im Winter 2016-17 Prädikatenlogische Sprachen (1): Einführung André Fuhrmann 04PLeinfuehrung 161122.1121 Winterlogik 2016-17 / fol. 130 Eine prädikatenlogische Sprache (Einführung) Eine prädikatenlogische Sprache (Einführung) Wir haben zwar das Bezeichnungssystem für Zahlen eine “Sprache” genannt, aber es fehlt doch noch vieles, was eine Sprache im eigentlichen Sinne ausmacht. • In dem Bezeichnungssystem können wir nur Objekte benennen • Wir können nichts über sie aussagen. (ZB würden wir sagen wollen, daß 5 und 05 gleich sind. Aber in der bisher betrachteten Sprache gibt es kein Zeichen, um die Gleichheitsbeziehung auszudrücken.) Um zu sehen, was wir von einer richtigen Sprache erwarten, verlassen wir vorläufig die Welt der Zahlen und schauen Thomas und Ulla in die Karten ... 2 Winterlogik 2016-17 / fol. 131 Eine prädikatenlogische Sprache (Einführung) Zum Beispiel : Mau Mau-Kiebitzen. Voraussetzung: eine Sprache, mit der sich eine konkrete Sitation im Spiel beschreiben läßt: die Verteilung von Karten über die Spieler, deren Wertigkeit etc. 3 Winterlogik 2016-17 / fol. 132 Eine prädikatenlogische Sprache (Einführung) Wir wollen hier nur die statischen Verhältnisse im Spiel beschreiben. Also nicht Handlungen wie · Ulla trumpft mit Herz-As oder · Thomas muß passen, sondern · Ulla hat nur ein Karo oder · Thomas hat die höhere Hand. 4 Winterlogik 2016-17 / fol. 133 Eine prädikatenlogische Sprache (Einführung) Beschreibungsmittel Wir möchten ... • ... uns auf bestimmte Spielkarten beziehen, zB durch – Eigennamen (für Karten) wie “Karte Nummer 5” (Individuenkonstanten) oder durch – ... eindeutige Beschreibungen wie “Ullas As” (jedoch Vorsicht! s.u.). • ... Karten beschreiben, typischerweise durch – Eigenschaftswörter (Prädikate), wie “ist ein As”, “ist ein Kreuz”, “ist in Ullas Hand”, “ist im Stock”, oder – Beziehungswörter (Relationen), wie “ist mehr wert als” oder auch einfach “ist identisch mit” (=). • ... manchmal recht allgemeine Sachverhalte beschreiben, wie “Alle Könige sind noch im Stock” oder “Weder Ulla noch Thomas haben ein Herz”. Am einfachsten und flexibelsten paraphrasieren wir das mit – Variablen (x, y, ...), deren Verwendung Quantoren (alle, einige) regeln (für alle x: wenn x ein König ist, dann ist x noch im Stock). 5 Winterlogik 2016-17 / fol. 134 Eine prädikatenlogische Sprache (Einführung) Wir möchten ferner • Aussagen verneinen oder mit den typischen (grammatischen) Konjunktionen “und”, “oder”, “wenn-dann” usw. verknüpfen. In der Logik sprechen wir von – Junktoren, die Sätze zu neuen Sätzen verknüpfen. • Schließlich werden wir Interpunktionszeichen brauchen (hier: Klammern) um unsere Rede so zu gliedern, wie es unserer Absicht entspricht. Jede Sprache, die über mindestens diese syntaktischen Kategorien verfügt, – Konstanten und Variablen (für Individuen) – Prädikate und Relationen – Quantoren und Junktoren (und Interpunktion) nennen wir eine prädikatenlogische (PL-) Sprache. Jede natürliche Sprache ist (vermutlich) eine PL-Sprache! 6 Winterlogik 2016-17 / fol. 135 Eine prädikatenlogische Sprache (Einführung) Anmerkung zu Quantoren und Variablen In der Umgangssprache sind Variablen selten unmittelbar zu beobachten. ZB scheint es in (1) Alle Karten sind verteilt keine Spur einer Variablen zu geben. (Schulgrammatisch haben wir hier ein Subjekt, “alle Karten”, das durch das Hilfsverb mit dem Adjektiv “verteilt” verbunden ist.) Jedoch besagt (1) dasselbe wie (2) Wenn etwas eine Karte ist, dann ist es verteilt. Hier nimmt das Pronomen etwas unbestimmt auf etwas Bezug, und das Pronomen es greift diesen Bezug wieder auf. Genau diese unbestimmte Bezugnahme geben wir durch Variablen wieder: (3) Wenn x eine Karte ist, dann ist x [dasselbe x!] verteilt. 7 Winterlogik 2016-17 / fol. 136 Eine prädikatenlogische Sprache (Einführung) (1) Alle Karten sind verteilt (2) Wenn etwas eine Karte ist, dann ist es verteilt. (3) Wenn x eine Karte ist, dann ist x [dasselbe x!] verteilt. Aber im Gegensatz zu (2), ist in (3) nicht klar, in welchem Sinne wir die Variable verwenden wollen (manche, alle, die meisten x?). Also können wir Pronomina nicht einfach als Variablen auffassen. Vielmehr sind Pronomina in einem bestimmten Sinne gemeinte Variablen. Um den beabsichtigten Sinn wiederzugeben, binden wir die Variablen an Quantoren. So gibt Für alle x, wenn x eine Karte ist, dann ist x verteilt. genau das wieder, was in (1) und (2) gemeint ist. Pronomina sind also auf bestimmte Weise gebundene Variablen. 8 Winterlogik 2016-17 / fol. 137 Eine prädikatenlogische Sprache (Einführung) Die Sprache K IND, Individuenkonstanten (Eigennamen für Karten) k, k1 , k2 , k3 , . . . · Wir können uns vorstellen, daß wir auf die Rückseite einiger Karten einen “Namen” geschrieben haben. (Das nennt man auch “Zinken”.) VAR, Variablen (für Karten) x, y, z, ... IND und VAR fassen wir in der Menge TRM der Terme zusammen (t0 , t1 , t2 , ...) PRD1 , Prädikate ♦, ♥, ♠, ♣ 7, 8, 9, 10, B, D, K, A S, T, U 9 Winterlogik 2016-17 / fol. 138 Eine prädikatenlogische Sprache (Einführung) Zum Beispiel: · 7(x): x ist eine 7. · ♥(x): x ist ein Herz. · S(k): Karte k ist im Stock · U (k): Ulla hat k. PRD2 , 2-stellige Relationen: < und = (zwischen beliebigen Termen t, t0 für Karten.) · t < t0 : t0 wertet höher als t. · t = t0 : t und t0 sind identisch, d.h. dieselbe Karte. JUN, Junktoren (nicht, und, oder, wenn-dann) ¬, ∧, ∨, → · ¬♥(x): x ist kein Herz. (Es ist nicht der Fall, daß x ein Herz ist.) · A(x) ∧ ♥(x): x ist ein As und ein Herz. · A(x) ∨ ♥(x): x ist ein As oder ein Herz. · S(k) → ♥(k): Wenn k im Stock ist, dann ist k ein Herz. 10 Winterlogik 2016-17 / fol. 139 Eine prädikatenlogische Sprache (Einführung) QUA, Quantoren (alle, mindestens eines) ∀, ∃ · Wenn x eine Variable ist, dann besagt ∀x(blah), daß alle x die Bedingung blah erfüllen. · Wenn x eine Variable ist, dann besagt ∃x(blah), daß mindestens ein x die Bedingung blah erfüllt. KLAMMERN setzen wir (sparsam) “nach Gefühl”, d.h. genügend viele, um Mehrdeutigkeiten auszuschließen. (Eindeutige Baumstruktur!) Konventionen: ¬ bindet am stärksten, ∧ und ∨ binden stärker als →. D.h. zB, daß wir statt ((¬A(k)) ∧ ♥(k)) → U (k) einfacher ¬A(k) ∧ ♥(k) → U (k) schreiben können (und sollten). 11 Winterlogik 2016-17 / fol. 140 Eine prädikatenlogische Sprache (Einführung) Das Lexikon der Sprache K zusammengefaßt IND: VAR: PRD1;2 : JUN1;2 : QUA: k, k1 , k2 , ... x, y, z, ... 7, 8, 9, 10, B, D, K, A, ♦, ♥, ♠, ♣, S, T, U ; <, = ¬; ∧, ∨, → ∀, ∃ Klammern Grammatik der Sprache K Wie in den Beispielen erläutert. Später mehr ... Semantik der Sprache K Intuitiv, wie erläutert. 12 Winterlogik 2016-17 / fol. 141 Eine prädikatenlogische Sprache (Einführung) Wir basteln Sätze in K Karte k ist ein Herz-As ♥(k) ∧ A(k) (4) Ulla hat Herz. ∃x(U x ∧ ♥x) (5) · Ab jetzt lassen wir meist die Klammern bei Prädikaten weg. Jede Partei hat mindestens eine Dame. (6) ∃x(U x ∧ Dx) ∧ ∃y(T y ∧ Dy) Thomas hat höchstens eine Dame. · Zuvor definieren wir T Dx := T x ∧ Dx. ∀x( T Dx → ∀y(T Dy → x = y) ) Ulla hat genau eine Dame. (U Dx := U x ∧ Dx) (7) ∃x( U Dx ∧ ∀y(U Dy → x = y) ) [Die Bereiche der Variablenbindung durch die Quantoren sind farbig markiert.] 13 Winterlogik 2016-17 / fol. 142 Eine prädikatenlogische Sprache (Einführung) ∀x(T Dx → ∀y(T Dy → x = y)) Noch einmal: “Höchstens eine” Erster Schritt (Kontraposition): (1) Wenn Ulla Herz hat, dann hat sie eine rote Karte. (1) ist von der Form A → B und “sagt das gleiche” wie: (2) Wenn Ulla keine rote Karte hat, dann hat sie kein Herz. (2) ist von der Form ¬B → ¬A, und überhaupt gilt für beliebige Aussagen A und B: Wenn A → B, dann ¬B → ¬A, und umgekehrt (“gdw”). (Daß das so ist, können Sie sich jetzt schon einigermaßen plausibel machen. In Kürze werden Sie es — sehr schnell — beweisen können.) 14 Winterlogik 2016-17 / fol. 143 Eine prädikatenlogische Sprache (Einführung) ∀x(T Dx → ∀y(T Dy → x = y)) Zweiter Schritt: Thomas hat höchstens eine Dame. = Wenn Thomas überhaupt eine Dame hat, dann hat er jedenfalls nicht mehr als eine. = Wenn Thomas eine Dame x hat dann ist jede von x verschiedene Karte (y) nicht eine Dame in Thomas’ Hand. = ∀x(T Dx → ∀y(¬(x = y) → ¬T Dy)) (*) Dritter Schritt: Sie sehen, daß in ∀y(¬(x = y) → ¬T Dy) so etwas wie ¬B → ¬A vorkommt: · ¬B für ¬(x = y) (wofür wir auch x 6= y schreiben wollen), · ¬A für ¬T Dy. Also dürfen Sie Ihre gerade gewonnene Einsicht in den Zusammenhang von ¬B → ¬A und A → B benutzen und sehen nun, daß (*) nichts anderes sagt als ∀x(T Dx → ∀y(T Dy → x = y)). 15 Winterlogik 2016-17 / fol. 144 Eine prädikatenlogische Sprache (Einführung) Weiter ... Thomas hat genau zwei Piks. (T ♠x := ♠x ∧ T x) (8) ∃xy((T ♠x ∧ T ♠y) ∧ x 6= y ∧ ∀z(T ♠z → (z = x ∨ z = y))) Wenn weder Ulla noch Thomas ein As haben, dann sind alle Asse noch im Stock. (9) ∀x((Ax ∧ ¬U x ∧ ¬T x) → Sx) Ulla hat die höhere Karte. (10) ∃x(U x ∧ ∀y(T y → y < x)) Herz zählt immer mehr als Karo. (11) ∀x(♥x → ∀y(♦y → y < x)) Jede Karo-Karte wird von einer Herz-Karte übertrumpft. (12) ∀x(♦x → ∃y(♥y ∧ x < y)) 16 Winterlogik 2016-17 / fol. 145 Eine prädikatenlogische Sprache (Einführung) Übung: Was ist der (inhaltliche) Unterschied zwischen (11) und (12)? (Tipp: (11) macht eine stärkere Aussage als (12).) Nach dieser Übung werden Sie auch mit dem folgenden Satz keine Schwierigkeiten haben: Keine Karte schlägt Herz-As. (13) ∀x(♥Ax → ∀y(¬♥Ay → y < x)) Oder, äquivalent (wie sich herausstellen wird): (14) ∀x∀y(♥Ax ∧ ¬♥Ay → y < x)) Oder, äquivalent unter der Annahme daß von zwei Karten immer die eine die andere schlägt: (15) ∀x(♥Ax → ¬∃y(¬♥Ay ∧ x < y)) 17 Winterlogik 2016-17 / fol. 146 Eine prädikatenlogische Sprache (Einführung) Ullas As sticht alle Karten von Thomas aus. Achtung: • “das As von Ulla” ist keine Eigenschaft, die auf mehrere Karten zutreffen könnte, sondern scheint eher wie ein Eigenname zu funktionieren: Der Ausdruck will genau einen Gegenstand bezeichnen. Wendungen der Form “der/die/das So-und-so” heißen Kennzeichnungen. • Der Schein trügt: Kennzeichnungen behandelt man besser nicht wie Eigennamen. Dazu gibt es eine Theorie, die in der modernen Sprachphilosophie eine wichtige Rolle spielt; siehe gleich den Exkurs über Bertrand Russells “On Denoting”(1905). 18 Winterlogik 2016-17 / fol. 147 Eine prädikatenlogische Sprache (Einführung) Bitte setzen Sie sich auf den anderen Stuhl ! 19 Winterlogik 2016-17 / fol. 148 Eine prädikatenlogische Sprache (Einführung) Bitte setzen Sie sich auf den anderen Stuhl ! 20 Winterlogik 2016-17 / fol. 149 Eine prädikatenlogische Sprache (Einführung) In einem Satz wie das As von Ulla sticht alle Karten von Thomas stecken zwei Annahmen: · daß Ulla überhaupt ein As hat (Existenz) und · daß Ulla höchstens ein As hat (Einzigkeit). Ist eine der Annahmen falsch, dann ist der Satz gewissermaßen “verunglückt”. (Erinnern Sie sich an “die kleinste Menge, welche ...” in der ersten Definition der VL!) Nach Russell sollten wir den Satz deshalb so paraphrasieren: Es gibt genau ein As in Ullas Hand ∃x(U Ax ∧ ∀y(U Ay → x = y) und dieses sticht alle Karten von Thomas. ∧ ∀z(T z → z < x)) DENKPAUSE: Thomas’ As sticht Ullas König. (Tip: Variablen x, y, z, u.) 21 Winterlogik 2016-17 / fol. 150 Eine prädikatenlogische Sprache (Einführung) Thomas’ As sticht Ullas König. · Es gibt genau ein As in Thomas’ Hand (x), und · Es gibt genau einen König in Ullas Hand (z), und · dieser (z) wertet niedriger als jenes (x) (“jenes sticht diesen”). ∃x(T Ax ∧ ∀y(T Ay → x = y) ∧ ∃z(U Kz ∧ ∀u(U Ku → z = u) ∧ z < x)) Erinnerung: Gebundene Variablen sind wie Pronomina (hier: dieser, jenes); Pronomina sind wie gebundene Variablen. 22 Winterlogik 2016-17 / fol. 151 Exkurs: Russell über Bezeichnen Exkurs: Russell über Bezeichnen Die Theorie der Kennzeichnungen habe ich 1905 in dem Artikel ‘On Denoting’ in Mind dargelegt. Die Theorie schien dem damaligen Herausgeber so widersinnig zu sein, daß er mich inständig bat, sie zu überdenken und nicht auf ihrer Veröffentlichung in dieser Form zu bestehen. Ich war jedoch von ihrer Richtigkeit überzeugt und lehnte es ab, nachzugeben. Später wurde sie allgemein anerkannt und zu meinem bedeutendsten Beitrag zur Logik erklärt. My Philosophical Development (1959), p. 83. 23 Winterlogik 2016-17 / fol. 152 Exkurs: Russell über Bezeichnen Drei Sätze, die scheinbar von der Form “X ε Y ” (Subjekt-Prädikat) sind: (1) Alle Könige sind bärtig (2) Einige Könige sind bärtig (3) Der König ist bärtig Logiker sind heute (nach Frege) der Auffassung, daß die Analyse X ε Y für (1) und (2) am Wesen der Sache (Quantifikation) vorbeigeht. Eine bessere Analyse ist: (1) ∀x(Kx → bärtig(x)) (2) ∃x(Kx ∧ bärtig(x)) Russell argumentiert, daß Gleiches auch für (3) gilt. Zwar tritt Der König in (3) als grammatisches Subjekt (Individuum) eines Satzes auf. Richtig (“logisch”) analysiert, verschwindet dieses Subjekt jedoch zugunsten einer komplexen Quantifikation in die Eigenschaft K: (3) ∃x(Kx ∧ ∀y(Ky → x = y) ∧ bärtig(x) (Existenz ∧ Einzigkeit ∧ Eigenschaft) • Offensichtliche Frage: Warum so komplizert? • Antwort (Russell): Die Alternative (Frege) ist inkohärent. 24 Winterlogik 2016-17 / fol. 153 Exkurs: Russell über Bezeichnen Frege Frege glaubte, daß Nominalphrasen (NPn) sich im allgemeinen (nicht immer: siehe die Quantorenphrasen in (1) und (2)) auf Individuen (“Gegenstände”) beziehen. Kennzeichnungen sind natürlich NPn. Das Paradigma einer NP ist ein Eigenname (N). Kennzeichnungen funktionieren also letztlich nicht anders als Nn. • Wenn eine Kennzeichnung überhaupt etwas bezeichnet, dann bezeichnet sie ein Individuum. • Wenn eine Kennzeichnung nichts bezeichnet, dann überträgt sich der Bezeichnungsfehler auf jeden Kontext, in dem die Kennzeichnung eingebettet ist: Der Kontext ist dann ebenfalls ohne Bezeichnung/Bedeutung. 25 Winterlogik 2016-17 / fol. 154 Exkurs: Russell über Bezeichnen Erste Schwierigkeit: Leere Kennzeichnungen (nach Russell): (1) In dem Satz Das As in Ullas Hand wird zum Problem funktioniert die NP das As in Ullas Hand wie ein Eigenname. (Freges erste These.) (2) Es gibt gar kein As in Ullas Hand. (Annahme.) (3) Wenn ein Eigenname in einem Satz keine Bedeutung hat, dann hat der gesamte Satz keine Bedeutung. (Freges zweite These.) (4) Der Satz in (1) hat keine Bedeutung. (Aus (1-3).) (5) Aber der Satz hat eine Bedeutung! (Wir verstehen etwas, wenn wir ihn hören und viele — auch Russell — würden sagen daß er falsch sei.) (6) Wenn Freges zweite These richtig ist, dann muß die erste falsch sein. (Aus (4-5)(Widerspruch!) und (3) folgt nicht-(1), gegeben (2).) 26 Winterlogik 2016-17 / fol. 155 Exkurs: Russell über Bezeichnen Freges (vermutliche) Antwort: • Semantischer Gehalt hat einen Doppelaspekt: Bedeutung (Bezeichnung) und Sinn. % Frege, Über Sinn und Bedeutung (1892). • Manche Kennzeichnungen mögen zwar nichts bedeuten/bezeichnen — in diesem Sinne ist (4) (“der Satz hat keine Bedeutung”) richtig — ... • ... aber sie können durchaus einen Sinn/Inhalt haben. • Dasselbe gilt dann für jeden Ausdruck, in den die bedeutungslose aber sinnvolle Kennzeichnung eingebettet ist. — Jetzt ist aus der Prämisse (5) (“Aber der Satz hat Bedeutung!”) die Luft heraus: Was wir verstehen, ist der Sinn des Satzes. • So können wir fortfahren, der syntaktische Gleichförmigkeit von Kennzeichnungen und Eigennamen auch semantisch zu folgen. Russells kritische Nachfrage: Ich weiß, was die Bedeutung eines Ausdrucks ist. Aber was ist denn der “Sinn”?? 27 Winterlogik 2016-17 / fol. 156 Exkurs: Russell über Bezeichnen Zweite Schwierigkeit: Nicht zutreffende Bedingungen (nach Russell): (1) (Für alle u:) Wenn u eine Einermenge ist, dann ist das-u (Kennzeichnung) in u: ∃x(x ∈ u ∧ ∀y(y ∈ u → x = y)) → das-u ∈ u (2) Angenommen, das Antezedens ist falsch. (3) Dann hat der Ausdruck (∼ Eigenname) das-u keine Bedeutung. (Aus Freges erster These.) (4) Also muß in diesem Fall die Aussage (1) ohne Bedeutung sein. (Freges zweite These.) (5) Aber aus (2) folgt (aufgrund der Bedeutung von →), daß die Aussage (1) wahr ist und also Bedeutung hat — Widerspruch! (6) Die zwei Annahmen Freges können nicht beide wahr sein. (D.h., die erste, daß “das-u” wie ein Eigenname funktioniert, muß falsch sein, wenn wir der zweiten Annahme folgen wollen.) 28 Winterlogik 2016-17 / fol. 157 Exkurs: Russell über Bezeichnen Freges (vermutliche) Antwort: In (5) wird angenommen, daß es für die Wahrheit eines Wenn-dann-Satzes reicht, wenn das Antezedens falsch ist: (falsch → X) = wahr. Das lehne ich ab (während ich natürlich (falsch → wahr) = wahr akzeptiere). Vielmehr ist Bedeutungslosigkeit maximal ansteckend, so daß (falsch → “ohne”) = “ohne”. • Freges verallgemeinerte zweite These: Jeder Ausdruck mit einem bedeutungslosem Bestandteil ist selbst ohne Bedeutung. Der Satz (1) ist unter der Annahme (2) also tatsächlich ohne Bedeutung. Kein Widerspruch entsteht. (Daß (1) gleichwohl verständlich ist, liegt daran, daß der Satz sinnvoll ist.) Übung Formalisieren Sie den Satz (1) à la Russell. Ist der Satz unter der Bedingung (2) wahr oder falsch? 29 Winterlogik 2016-17 / fol. 158 Exkurs: Russell über Bezeichnen Wir halten fest: Die Auseinandersetzung über das richtige Verständnis von Kennzeichnungen hat Anlaß gegeben zu einigen wichtigen Fragen: • Müssen Audrücke, die syntaktisch in einer Nominalposition stehen immer Gegenstände (im weitesten Sinne) bezeichnen? (Nein: Quantoren! Kennzeichnungen?) • Müssen wir neben der Bedeutung (Referenz, “Extension”) eines Ausdrucks auch noch so etwas wie seinen Sinn (Gehalt, “Intension”) annehmen? (Frege: Ja — Russell: Nein). Wenn ja, was ist der Sinn eines Ausdrucks? (% Intensionale Semantik) • Wie wirkt sich die Bedeutungslosigkeit eines Teilausdrucks (z.B. Teilsatz) auf die Bedeutung des Ganzen aus? Wird das Ganze dann immer auch bedeutungslos? (Frege: Ja. — Russell: Nein) • Wohnte Sherlock Holmes in Baker Street oder in Glentworth Street? Was macht die Antwort Ja auf die erste Alternative richtig und dieselbe Antwort auf die zweite Alternative falsch (obwohl doch “SH” nichts bezeichnet)? (% Semantik fiktionaler Ausrücke.) 30 Winterlogik 2016-17 / fol. 159 Was ist eigentlich ein Satz in K? Was ist eigentlich ein Satz in K? • Bisher haben wir die Antwort unserem “Gefühl” bzw unserem Vorverständnis der Bedeutungen der Ausdrücke überlassen. • D.h. wir haben im Grunde ins Deutsche übersetzt und dann unser syntaktisches Verständnis des Deutschen auf K projiziert. • Jetzt wollen wir die Frage genauer und direkter (d.h. ohne riskante Umwege) beantworten. (Nachdem wir das Lexikon von K schon angegeben haben, reichen wir nun die Grammatik nach.) • Die Definition verfährt in drei, aufeinander aufbauenden Schritten: Terme, Formeln, Sätze. 31 Winterlogik 2016-17 / fol. 160 Was ist eigentlich ein Satz in K? Definition: Satz in K Terme 1. Alle Individuenkonstanten und Individuenvariablen sind Terme. Formeln 2. Wenn t1 und t2 Terme sind, und P • und Q • • Prädikate sind, dann sind P (t1 ) und Q(t1 , t2 ) Formeln. 3. Wenn A und B Formeln sind, a. dann sind (¬A), (A ∧ B), (A ∨ B) und (A → B) Formeln; b. und wenn v eine Variable ist, dann sind (∀vA) und (∃vA) Formeln. 4. Das ist alles: Nichts ist ein Term, was nicht durch (1) als Term bestimmt ist; nichts ist eine Formel was nicht durch (2–3) als Formel bestimmt ist. Um Klammern zu sparen, folgen wir Konventionen: Äußere Klammern werden nie geschrieben; ¬ bindet am stärksten, ∧ und ∨ binden stärker als →. (Später werden wir sehen, wie wir im Prinzip ganz ohne Klammern auskommen können.) 32 Winterlogik 2016-17 / fol. 161 Was ist eigentlich ein Satz in K? Gut, jetzt wissen wir, was Terme und Formeln sind. Und was ist ein Satz (etwas, das etwas aussagt und also wahr oder falsch sein kann) ?? — Betrachten wir drei Formeln (k bezeichne eine bestimmte Karte): (1) ∀x(♦x → x < y) (2) ∀x∃y(♦x → x < y) (3) ∀x(♠k) • Quantoren binden Variablen: Sie zeigen an, wie die Variable im Bereich des Quantors zu verstehen ist. Der Bereich eines Quantors wird mit Klammern angezeigt. • Kommt in einer Formel eine Variable vor, die nicht durch einen Quantor gebunden ist, also frei ist, dann ist der Gebrauch der Variablen noch offen und die ganze Formel wird offen genannt. (“Ungesättigt”, hätte Frege gesagt.) 33 Winterlogik 2016-17 / fol. 162 Was ist eigentlich ein Satz in K? (1) ∀x(♦x → x < y) (2) ∀x∃y(♦x → x < y) (3) ∀x(♠k) • Sind in einer Formel alle darin vorkommenden Variablen gebunden, dann ist die Formel geschlossen – dann wissen wir von allen Variablen, wie sie zu verstehen sind. • Nur geschlossene Formeln, d.h. solche in denen es keine ungebundenen Variablen gibt, “sagen etwas aus” – weshalb wir sie auch Aussagen oder Sätze nennen. • In Bsp (3) ist der Quantor redundant: x ist nicht frei, wird aber nicht benutzt. Wir wollen Formeln wie (3) als harmlos verunglückte Sätze behandeln. (Etwas so: “Welche Karte Sie auch betrachten (∀x), diese Karte (k) ist ein Pik.”) (Übungen zu Termen, Formeln, Variablenbindung und Sätzen) ... in den Tutorien. 34 Winterlogik 2016-17 / fol. 163 Goethe-Universität Frankfurt am Main Institut für Philosophie Logik im Winter 2016-17 Prädikatenlogische Sprachen (2): Formalisierung André Fuhrmann 05PLformalisierung 161129.1125 Winterlogik 2016-17 / fol. 164 Vorbetrachtungen Vorbetrachtungen Wir wollen uns nun ein wenig in den Gebrauch prädikatenlogischer (PL-) Sprachen einüben. Solcher Gebrauch ist grundsätzlich von zweierlei Art. • Beschreibung: Ein irgendwie strukturierter Bereich ist vorgegeben. (ZB Spielkarten verschiedener Art.) Diesen beschreiben wir in der Sprache der Prädikatenlogik. · Hier richten wir unsere Aufmerksamkeit auf den Gegenstand der Rede (das “Modell”) und versuchen diesen prädikatenlogisch zu beschreiben. • Formalisierung: Ein deutscher Satz ist vorgegeben. (ZB “Ulla hat Pik 7.”) Diesen übersetzen wir in die Sprache der Prädikatenlogik. · Hier versuchen wir, den deutschen Satz in die Sprache der Prädikatenlogik zu übertragen. 2 Winterlogik 2016-17 / fol. 165 Vorbetrachtungen In der Praxis sind diese beiden Aspekte nicht deutlich voneinander geschieden. • So beschreiben wir oft die wesentlichen Aspekte einer bestimmten Struktur zunächst umgangssprachlich, um dann diese Beschreibungen zu formalisieren. (So kommen wir über die Formalisierung einer umgangssprachlichen Beschreibung (indirekt) zu einer prädikatenlogischen Beschreibung.) • Oder wir richten unsere Augenmerk auf den Gegenstand eines umgangssprachlichen Satzes. Diesen Gegenstand versuchen wir dann prädikatenlogisch zu beschreiben. Indem wir das tun, haben wir den umgangssprachlichen Ausgangssatz formalisiert. (So kommen wir über eine prädikatenlogische Beschreibung des Gegenstands der Rede (indirekt) zur Formalisierung eines umgangssprachlichen Satzes.) 3 Winterlogik 2016-17 / fol. 166 Vorbetrachtungen Gegenstand (Modell) Natürliche Sprache 4 Gegenstand Beschreibung Formalisierung PL-Sprache PL-Sprache indirekt Winterlogik 2016-17 / fol. 167 Vorbetrachtungen Gegenstand (Modell) indirekt Beschreibung B es ch re ib u n g Beschreibung 5 Natürliche Sprache Formalisierung Gegenstand Beschreibung PL-Sprache Winterlogik 2016-17 / fol. 168 Vorbetrachtungen Beschreibung n ru ie is al m or F Natürliche Sprache PL-Sprache g Beschreibung Gegenstand (Modell) indirekte Formalisierung 6 Winterlogik 2016-17 / fol. 169 Vorbetrachtungen Was ist eigentlich so gut an der Prädikatenlogik Erster Stufe? • Universalität: Jede natürliche Sprache ist (zumindest) eine PL-Sprache! (Warum?) • Ontologische Sparsamkeit: Wer den Existenzquantor gebraucht, behauptet daß es etwas gibt. In den Sprachen erster Stufe wird nur über Individuen (Gegenstände) quantifiziert. Wer also nur in der ersten Stufe redet, setzt nur die Existenz von Gegenständen voraus (und nicht etwa auch die von Eigenschaften). Diese Voraussetzung ist philosophisch kaum umstritten. Der Versuch, mit dieser Voraussetzung auszukommen, ist daher immer der Mühe wert. • Quine (1): Der Versuch, mit der ersten Stufe auszukommen, ist sogar philosophisch geboten! Denn was sich klar sagen läßt, läßt sich nur auf dieser Basis sagen. – Ähnlich Wittgenstein im Tractatus. • Quine (2): Durch Formalisierung unserer besten Theorien in einer PL-Sprache finden wir heraus, was es in unserer Welt gibt (= wozu wir uns ontologisch verpflichten, wenn wir diese Theorien für wahr halten). /... 7 Winterlogik 2016-17 / fol. 170 Willard Van Orman Quine (1908–2000) Willard Van Orman Quine (1908–2000) Frage: Was gibt es? Quine: Dasjenige, von dem unsere besten Theorien (irreduzibel) behaupten, daß es das gibt. Frage: Was sind das für Behauptungen? Quine: Sätze der Form ∃x ... To be is to be the value of a variable. (Quine, “On what there is”, 1948) 8 Winterlogik 2016-17 / fol. 171 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Wir geben hier einige intuitive Erläuterungen zu den typischen Junktoren einer PLSrache. Syntaktisch gesehen fügen Junktoren Formeln zu neuen Formeln zusammen: Junktor : (Formel, Formel, ... ) 7→ Formel Bsp Negation: Blabla 7→ Nicht: Blabla Semantisch gesehen bilden Junktoren Wahrheitswerte auf Wahrheitswerte ab (d.h. sie sind Wahrheitsfunktionen):∗ Wahrheitsfunktion : (Wahrheitswert, Wahrheitswert, ... ) 7→ Wahrheitswert Bsp Negation: Wahr 7→ Falsch ∗ Wichtige Anmerkung: Das gilt nur bis auf weiteres. Später (viel später) werden wir Junktoren kennenlernen, die nicht als Funktionen von Wahrheitswerten, sondern komplexerer semantischer Werte zu verstehen sind. 9 Winterlogik 2016-17 / fol. 172 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Vereinbarungen • Wir wollen ab jetzt den Wahrheitswert Wahr mit 1 und den Wahrheitswert Falsch mit 0 abkürzen. • Wir sprechen in einer Sprache (hier: Deutsch) über eine Sprache (hier: eine beliebige prädikatenlogische Sprache). Die erste nennt man manchmal Metasprache (oder Theoriesprache, Sprache der Theorie), die zweite Objektsprache (Objekt der Theorie). 10 Winterlogik 2016-17 / fol. 173 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache • Wir wollen Großbuchstaben vom Beginn des Alphabets (manchmal auch mit Indizes “dekoriert”), A, B, C, ..., A0 , A1 , A2 , ..., verwenden, um uns in der Sprache, in der wir reden (der Metasprache) auf beliebige Formeln der Sprache über die wir reden (der Objektsprache), variabel zu beziehen. • Diese Variablen A, B, C, ... (manchmal schematische Variablen genannt) gehören also zur Metasprache — hier: eine in dieser Vorlesung benutzten Erweiterung der deutschen Sprache. • Beispiel : Wenn A und B lateinische Sätze sind, dann ist A et B auch ein lateinischer Satz. (Objektsprache: Latein; Metasprache: Deutsch, erweitert um Variablen für lateinische Sätze.) · Alternativ (aber ein wenig länger): Wenn zwei lateinische Sätze durch “et” miteinander verbunden werden, dann ist das Resultat auch ein lateinischer Satz. 11 Winterlogik 2016-17 / fol. 174 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Negation: ¬ ¬A : Es ist nicht der Fall (falsch), daß A. ¬A ist also gd wahr, wenn A falsch ist. A ¬A 0 1 1 0 Sie sehen an der Wahrheitstafel, daß wenn Sie zweimal A verneinen, wieder da sind, wo Sie angefangen haben: bei A. ¬¬A und A sind äquivalent, denn ¬¬0 = ¬1 = 0 und ¬¬1 = ¬0 = 1. 12 Winterlogik 2016-17 / fol. 175 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Konjunktion: ∧ A ∧ B : Sowohl A als auch B ist wahr. A ∧ B ist also falsch, wenn A falsch ist oder B falsch ist (drei Möglichkeiten!). A B 0 0 1 1 0 1 0 1 A∧B 0 0 0 1 13 Winterlogik 2016-17 / fol. 176 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Disjunktion: ∨ A ∨ B : Mindestens eines, A oder B ist wahr. A ∨ B wird also nur falsch, wenn beide Disjunkte falsch sind. Achtung: Es handelt sich also nicht um den gegenseitig ausschließenden Sinn von “oder”, wie in “Entweder ist das Herz oder Pik”! A B A∨B 0 0 0 0 1 1 1 0 1 1 1 1 14 Winterlogik 2016-17 / fol. 177 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache (Materiale) Implikation: → A → B : Wenn A, dann B. Wird nur falsch, wenn A aber nicht B. A B A→B 0 0 1 0 1 1 1 0 0 1 1 1 Aus der Tafel geht hervor, daß A → B gd wahr ist, wenn A falsch oder B wahr ist, also A → B gdw ¬A ∨ B Übrigens soll A ↔ B kurz sein für (A → B) ∧ (B → A) DENKPAUSE: Schreiben Sie die Wahrheitstafel für die Äquivalenz ↔ auf! 15 Winterlogik 2016-17 / fol. 178 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache A ↔ B := (A → B) ∧ (B → A) A B 0 0 1 1 0 1 0 1 A→B 1 1 0 1 B→A 1 0 1 1 A↔B 1 0 0 1 16 Winterlogik 2016-17 / fol. 179 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Zwei Arten Wahrheitstafeln aufzuschreiben Lang: A B A 0 1 ¬A 1 0 0 0 1 1 0 1 0 1 A∧B 0 0 0 1 A B 0 0 1 1 0 1 0 1 A∨B A B 0 1 1 1 0 0 1 1 0 1 0 1 A→B 1 1 0 1 Kurz: ¬ 0 1 1 0 ∧ 0 1 0 0 0 1 0 1 ∨ 0 1 0 0 1 1 1 1 → 0 1 0 1 1 1 0 1 17 Winterlogik 2016-17 / fol. 180 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Die Wahrheitstafeln für die klassische Aussagenlogik gehen zurück auf (1902): ¬ 0 1 1 0 ∧ 0 1 0 0 0 1 0 1 ∨ 0 1 0 0 1 1 1 1 Charles Sanders Peirce (1839–1914), amerikanischer Philosoph und Logiker, Begründer des Pragmatismus. → 0 1 0 1 1 1 0 1 18 Winterlogik 2016-17 / fol. 181 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache “Paradoxien” der materialen Implikation Wir sagten A → B ist wahr gdw A falsch oder B wahr ist. Merkwürdig! Reicht es für die Wahrheit von A → B wirklich aus, daß A falsch bzw. B wahr ist?? • A falsch: Wenn (A) 2 + 2 = 5, dann (B) steigt der Meerespegel im nächsten Jahr um 5cm ?? • B wahr: Wenn (A) es morgen in Moskau schneit, dann (B) findet jetzt in Frankfurt eine Vorlesung statt ?? 19 Winterlogik 2016-17 / fol. 182 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Ein Argument für die Äquivalenz (A → B)w gdw Af oder Bw Von links nach rechts: (A → B)wX nicht: (Aw und Bf ) ( nicht: Aw) oder ( nicht: Bf ) Af oder Bw wenn (A → B)wX , dann Af oder Bw Von rechts nach links: (A → B)f X Af X Aw (A → B)f X BwX Bf ⊥ ⊥ wenn Af X , dann (A → B)wX wenn BwX , dann (A → B)wX wenn Af oder Bw, dann (A → B)w 20 Winterlogik 2016-17 / fol. 183 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Warum wir das dennoch merkwürdig finden Das liegt daran, daß es manchmal nicht reicht, wahre Sätze zu äußern, um sich erfolgreich an einem Gespräch zu beteiligen. Manchmal ist es nicht falsch, A → B zu sagen — aber es mag witzlos, oder irreführend oder sogar geschmacklos sein. Beispiel: Hans sagt zu Peters Mutter: • Wenn (A) Peters Fallschirm sich geöffnet hat, dann (B) hat er den Sprung überlebt. Es gibt mindesten zwei Bedingungen unter denen Hans das nicht sagen sollte: • Wenn Hans weiß, daß A falsch ist. Dann sollte er einfach sagen: Der Fallschirm hat versagt. • Wenn Hans weiß, daß B wahr ist. Dann sollte er einfach sagen: Peter hat überlebt. 21 Winterlogik 2016-17 / fol. 184 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Hans weiß: (1) Peters Fallschirm hat sich nicht geöffnet. Oder Hans weiß: (2) Peter hat den Sprung überlebt. In beiden Fällen ist es wahr, daß (3) wenn Peters Fallschirm sich geöffnet hat, dann hat er den Sprung überlebt. Hans sollte jedoch nicht (3) sagen, sondern (1) bzw. (2). Warum? (Wie können wir das Sollen begründen?) In beiden Fällen sagt Hans nichts Falsche. Aber er gibt mit (3) weniger Information preis als er es könnte. Peters Mutter wird glauben, daß Hans nicht mehr weiß als (3). Hans verwendet (3) also in irreführender Weise. Das sollte er nicht tun. Gespräche dienen ihrem normalen Zweck nur, wenn die Gesprächspartner kooperieren. 22 Winterlogik 2016-17 / fol. 185 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Gice’sches Kooperationsprinzip “Trage zum Gespräch so bei, wie es zum Zeitpunkt Deines Beitrags der anerkannte Zweck oder der Stand des Austauschs an dem Du teilnimmst, erfordern.” Paul Grice, Logic and conversation, 1975 Dieses Prinzip sagt etwas über den richtigen Gebrauch von Sätzen (Pragmatik). Wahre Sätze können falsch gebraucht werden. Der falsche Gebrauch eines wahren Satzes macht ihn aber nicht weniger wahr. Paul Grice, Studies in the Way of Words, Cambridge Mass. (Harvard Univ. Press), 1989. Frank Jackson, Conditionals, Oxford (Univ. Press), 1991. 23 Winterlogik 2016-17 / fol. 186 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Die Kombination Wahrheitstafel für → + Kooperationsprinzip ist ein Beispiel für eine typische Vorgehensweise in der philosophischen Theorienbildung: Kerntheorie + Irrtumstheorie. • Wir geben eine Theorie T an. · Wahrheitsbedingungen für bestimmte Konditionalsätze. • Wir treffen auf intuitiven Widerstand gegen die Theorie. (Oft von sprachlichen Intuitionen herrührende Gegenbeispiele.) Die Theorie ist so nicht glaubhaft. · Konditionale, die wir nicht äußern würden, bloß weil das Antezedens falsch bzw. das Konsequens wahr ist. • Wir erklären diese Intuitionen in einer Weise, die kompatibel mit T ist. · Kooperationsprinzip für Gespräche. • Aus der Erklärung der Intuition wird deutlich, warum wir (irrtümlich) dazu neigen, die Theorie abzulehnen. · Verwechslung von Wahrheitsbedingungen mit Gebrauchsbedingungen. 24 Winterlogik 2016-17 / fol. 187 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Verschiedene Konditionale Manche Konditionale mit falschen Antezedens sind jedoch einfach nicht wahr. Das können dann keine materialen Konditionale sein. Die materiale Implikation (m.I.) kann keine kontrafaktischen (konjunktivischen) Konditionale wiedergeben. (1) Wenn es jetzt 29 Grad warm wäre, würden viele im Freibad sein. Es ist jetzt nicht 29 Grad warm. Also ist das Antezedens falsch und somit das ganze Konditional wahr, wenn wir es als m.I. interpretieren. So weit, so gut. Aber (2) Wenn es jetzt 29 Grad warm wäre, würden die Straßen vereist sein ist aus demselben Grunde wahr, wenn wir das Konditional material lesen. • Alle echt kontrafaktischen Konditionale, d.h. solche mit falschem Antezedens, sind wahr, wenn sie als materiale Implikationen interpretiert werden. • Einige (echt) kontrafaktische Konditionale sind jedoch falsch; z.B. (2). • Also können wir kontrafaktische Konditionale nicht im materialen Sinne interpretieren. 25 Winterlogik 2016-17 / fol. 188 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Das materiale Konditional ist auch nicht geeignet, kausale Verknüpfungen wiederzugeben. Beispiele: (3) Wenn 2 + 2 = 5 ist, dann steigt der Meerespegel im nächsten Jahr um 5 cm. (4) Wenn es morgen in Moskau schneit, dann findet jetzt in Frankfurt eine Vorlesung statt. Material gelesen, sind das wahre Wenn-dann-Sätze. Wenn wir die Sätze als falsch ablehnen, dann mag das daran liegen, daß wir sie im Kontext ihres Gebrauchs über den materialen Sinne hinaus kausal aufladen – etwa so: (3’) Wenn 2 + 2 = 5 ist, dann steigt aufgrund dieser Tatsache der Meerespegel ... (4’) In Frankfurt findet jetzt eine VL statt, weil es morgen in Moskau schneien wird. 26 Winterlogik 2016-17 / fol. 189 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Nach einer einflußreichen Theorie kausaler Verknüpfungen (David Lewis) werden Kausalverhältnisse durch kontrafaktische Konditionale wiedergegeben. Beispiel : (40 ) Daß es morgen in Moskau schneit, ist der kausale Grund für / verursacht die heutige Vorlesung in Frankfurt. Nach der kontrafaktischen Theorie der Kausalität ist (40 ) gleichbedeutend mit (4*) Wenn es morgen in Moskau nicht schneite, dann würde heute diese VL in Ffm nicht stattfinden. Die Semantik kontrafaktischer Konditionale (nicht Gegenstand dieser VL) erklärt, warum (40 ), und also (4*), falsch ist. 27 Winterlogik 2016-17 / fol. 190 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Die materiale Interpretation des Konditionals ist plausibel für indikativische, nichtkausale Konditionale wie die folgenden: (5) Wenn das Lineal länger als 30 cm ist, dann paßt es nicht in die Tasche. (6) Wenn das Lineal länger als 30 cm ist, dann ist 30 eine gerade Zahl. Das erste Konditional könnte interessant und wahr sein. Das zweite ist sicher wahr aber uninteressant. Hier greift die Kooperationsmaxime von Grice. Auch philosophische Thesen sind oft von dieser Art: (7) Wenn es keine ethischen Tatsachen gibt, dann sind ethische Theorien weder wahr noch falsch. (8) Wenn wir ein kontrafaktisches Konditional als m.I. lesen, dann ist es wahr. Ebenso: (9) Wo (Wenn) Sokrates recht hat, da (dann) hat er recht. (10) Wenn Sokrates recht hat, dann ist 30 eine gerade Zahl. (10) Wenn Sokrates Römer war, dann ist 31 eine gerade Zahl. 28 Winterlogik 2016-17 / fol. 191 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Der Allquantor: ∀ ∀xAx : Wenn x in der Formel A irgendwie umschrieben wird (in der Formel A (frei) vorkommt), dann sagt ∀xAx aus, daß das, was A sagt, für alle Gegenstände des Bereichs wahr ist. (Damit ist x dann in A gebunden.) • Wenn es im gewählten Bereich nur endlich viele Gegenstände gibt, z.B. β1 , β2 und β3 , und wenn Sie für jeden Gegenstand einen Namen zur Verfügung haben, z.B. b1 , b2 , b3 , dann bedeutet ∀xAx natürlich nichts anderes als Ab1 ∧ Ab2 ∧ Ab3 . (Manche Logiker schreiben deshalb den Allquantor auch so: ^ xAx — der Allquantor als “große Konjunktion”.) • Aber manchmal gibt es halt unendlich viele Gegenstände – und Formeln sind eben nur endliche Zeichenketten. • Oder Sie haben nicht jedem Gegenstand einen Namen gegeben; dann fehlen Ihnen die Worte. 29 Winterlogik 2016-17 / fol. 192 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Der Existenzquantor: ∃ ∃xAx : Wenn x in der Formel A irgendwie umschrieben wird (in der Formel A (frei) vorkommt), dann sagt ∃xAx aus, daß das, was A sagt, für mindestens einen Gegenstand des Bereichs wahr ist. (Damit ist x dann in A gebunden.) • Wenn es im gewählten Bereich nur endlich viele Gegenstände gibt, z.B. β1 , β2 und β3 , und wenn Sie für jeden Gegenstand einen Namen zur Verfügung haben, z.B. b1 , b2 , b3 , dann bedeutet ∃xAx natürlich nichts anderes als Ab1 ∨ Ab2 x ∨ Ab3 . (Manche Logiker schreiben deshalb den Existenzquantor auch so: _ xAx — der Existenzquantor als “große Disjunktion”.) • Aber manchmal gibt es halt unendlich viele Gegenstände – und Formeln sind eben nur endliche Zeichenketten. • Oder Sie haben nicht jedem Gegenstand einen Namen gegeben; dann fehlen Ihnen die Worte. 30 Winterlogik 2016-17 / fol. 193 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Vom All- zum Existenzquantor, und zurück Sie haben wohl schon gemerkt, daß die beiden Quantoren sich ziemlich ähnlich sind. Tatsächlich sind sie sich so ähnlich, daß, wenn man einen von ihnen hat, den anderen gratis dazu bekommt: ∃xAx := ¬∀x¬Ax oder ∀xAx := ¬∃x¬Ax Und da man sich die beiden ja im Grunde als große Konjunktionen bzw. Disjunktionen denken kann, vermuten Sie richtig, daß die kleine Konjunktion und die kleine Disjunktion im gleichen Verhältnis zueinander stehen: A ∨ B := ¬(¬A ∧ ¬B) A ∧ B := ¬(¬A ∨ ¬B) Das sind wichtige Zusammenhänge, die Sie sich kristallklar machen sollten! 31 Winterlogik 2016-17 / fol. 194 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache “All mit Pfeil, Ex mit Keil” Mit Hilfe der beiden Quantoren werden Sie vor allem zwei Arten von Sachverhalten audrücken wollen: (A) Alle As sind auch Bs. (Alle Asse sind im Stock.) (E) Es gibt As, die auch Bs sind. (Mindestens ein Herz ist in Ullas Hand) Im Gegensatz zu (A), steckt in (E) eine Existenzbehauptung. • (A) behauptet nicht, daß es As gibt. Es sagt nur: Falls es As gibt, dann sind sie auch Bs.1 • (E) behauptet, daß es As gibt. Und es behauptet darüberhinaus noch etwas. Wir geben das so wieder: (A) Alle As sind auch Bs: Wenn etwas ein A ist, dann ist es ein B — kurz: ∀x(Ax → Bx). (E) Es gibt As, die auch Bs sind: Es gibt etwas, das ein A und ein B ist — kurz: ∃x(Ax ∧ Bx). 1 In der Urteilslehre des Aristoteles wird (A) anders verstanden. Danach schließt (A) die Aussage (E) ein. Wir kommen im Exkurs über Syllogistik darauf zurück. 32 Winterlogik 2016-17 / fol. 195 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Neben (A) und (E) gibt es zwei “ähnliche” Formeln (hier in der rechten Spalte), die etwas anderes ausdrücken: ∀x(Ax → T x) ∃x(Ax ∧ T x) ∀x(Ax ∧ T x) ∃x(Ax → T x) Wir verdeutlichen uns den Unterschied anhand kleiner Beispiele (“Modelle”), die eine oder mehrere Kartenverteilungen über den Stock (S), Thomas (T) und Ute (U) beschreiben. • Wir wollen vereinbaren, daß die Quantoren Alle Karten und Es gibt Karten sich nur auf die im Modell gezeigten, d.h. die verteilten Karten bezieht. (Das müssen nicht immmer alle 32 sein!). In dem Modell S ♠7 T ♠As U ♠9 gäbe es also nur drei Karten (♠7, ♠As und ♠9) und die Aussage ∀x(♠x) wäre wahr. • Manchmal kommt es gar nicht darauf an, wie die Karten im einzelnen verteilt sind. Dann lassen wir bestimmte Aspekte vage und deuten das mit · · · an. Der Kasten S ··· T ♠As U ··· beschreibt also gleich eine ganze Menge von Modellen; in allen besteht Thomas’ Hand aus nur einer Karte (♠As) und in allen ist ∃x(♠x) wahr. 33 Winterlogik 2016-17 / fol. 196 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Zurück zu (A) ∀x(Ax → T x) (E) ∃x(Ax ∧ T x) • In jeder Verteilung S ··· (1) ∀x(Ax ∧ T x) (2) ∃x(Ax → T x) T ♦A ♥A ♠A ♣A U ♥D ist (A) wahr. Aber (1) ist falsch; denn nicht alle Karten sind Asse (und es sind auch nicht alle Karten in Thomas’ Hand). Also impliziert (A) nicht (1). • (1) impliziert jedoch (A). — Denn wenn für jede Karte x, Ax ∧ T x wahr ist, dann ist auch für jede Karte Ax → T x wahr. (Allgemein: Wenn A ∧ B, dann A → B – Wahrheitstafel!) • (E) impliziert auch (2). (Aus dem gleichen Grund.) • Umgekehrt folgt (E) aber nicht aus (2). Dazu betrachten wir diese Modelle: S ··· T ♥D U ··· . Hier ist (2) wahr, denn Thomas’ hat etwas in der Hand (übrigens kein As). Für eine →-Formel reicht ja die Wahrheit des Konsequens (bzw. die Falschheit des Antezedens.) Aber er hat kein As in der Hand. Also ist (E) falsch. 34 Winterlogik 2016-17 / fol. 197 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Wir merken uns: ∀ ist stärker als ∃; ∧ ist stärker als →. Daraus folgt: Alles ist A und B 8x(Ax^Bx) Alle As sind Bs 8x(Ax!Bx) Einiges ist A und B 9x(Ax^Bx) Einiges ist B, wenn es A ist 9x(Ax!Bx) Keiner der Pfeile gilt auch in der umgekehrten Richtung. Faustregeln: • Da wir häufiger sagen wollen, daß etwas ein B ist, unter der Bedingung, daß es ein A ist (statt daß alles A und B ist) gilt: All mit Pfeil! • Und da wir häufiger sagen wollen, daß es etwas gibt, das zugleich ein A und ein B ist (statt daß es etwas gibt, daß nur dann ein A ist, wenn es ein B ist), gilt: Ex mit Keil! 35 Winterlogik 2016-17 / fol. 198 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Hier ist eine weitere wichtige Beobachtung: Sie können die Quantoren nicht einfach umstellen: ∀x∃yA ist nicht allgemein (d.h. nicht für beliebiges A) äquivalent zu ∃y∀xA ! Um das einzusehen, definieren wir eine Relation ∼ so, daß x ∼ y bedeutet: x und y sind gleichfarbig (sind beide ♦, ♥, ♠ oder ♣.) (Die Definition können wir auch in unserer formalen Sprache angeben: x ∼ y := . . . Übung! ) Jetzt betrachten wir das Modell S ♠7 T ♥7 ♦8 U ♥9 ♦10 DENKPAUSE: Was können wir über (1) ∀x∃y(T x → (U y ∧ x ∼ y)) und (2) ∃y∀x(T x → (U y ∧ x ∼ y)) sagen? 36 Winterlogik 2016-17 / fol. 199 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Hier ist eine weitere wichtige Beobachtung: Sie können die Quantoren nicht einfach umstellen: ∀x∃yA ist nicht äquivalent zu ∃y∀xA ! Um das einzusehen, definieren wie eine Relation ∼ so, daß x ∼ y bedeutet: x und y sind gleichfarbig (sind beide ♦, ♥, ♠ oder ♣.) Jetzt betrachten wir das Modell S ♠7 T ♥7 ♦8 U ♥9 ♦10 DENKPAUSE: WAHR (1) ∀x∃y(T x → U y ∧ x ∼ y) Zu jeder Karte in Thomas’ Hand gibt es eine gleichfarbige in Ullas Hand. (2) ∃y∀x(T x → U y ∧ x ∼ y) FALSCH Es gibt eine Karte in Ullas Hand, die gleichfarbig zu jeder Karte in Thomas’ Hand ist. (Weder ♥9 (6∼ ♦8) noch ♦10 (6∼ ♥7) hat die geforderte Eigenschaft.) 37 Winterlogik 2016-17 / fol. 200 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Die den Quantoren folgende Formel Tx → Uy ∧ x ∼ y drückt eigentlich nur eine komplexe Beziehung R zwischen x und y aus. Wir können diese komplexe Beziehung auch durch eine Definition kürzer hinschreiben, Rxy := T x → U y ∧ x ∼ y, und dann die Formeln (1) und (2) in dieser, einfacheren Form betrachten: (3) ∀x∃y(Rxy) (4) ∃y∀x(Rxy). Mit R so wie gerade definiert, haben wir ein Gegenbeispiel angegeben zu der Behauptung, daß (4) aus (3) folgt. Ist ein Gegenbeispiel erst einmal gefunden, dann kommen weitere schnell nach. Zum Beispiel stehe Rxy für x liebt y. • Was besagen dann (3) und (4) und warum folgt (4) nicht aus (3)? 38 Winterlogik 2016-17 / fol. 201 Kurze Erläuterungen zu den Junktoren einer PL-Sprache Das Bild zeigt, daß (4) aus (3) nicht folgt. Wie sieht es umgekehrt aus: Folgt (3) aus (4)? 39 Winterlogik 2016-17 / fol. 202 Übungen Übungen Üben Sie für sich und in den Tutorien Aufgaben der folgenden Arten: • Vorgegeben sei eine Kartenverteilung (Modell). · Prüfen Sie bestimmte Formeln daraufhin, ob sie in dem Modell wahr oder falsch sind. · Finden Sie Formeln, die etwas wahres über das Modell sagen (es beschreiben). • Vorgegeben seien einige Formeln. · Finden Sie ein (möglichst kleines) Modell, das alle Formeln wahr macht. • Vorgegeben sei eine Formel. · Finden Sie ein (möglichst kleines) Modell, das die Formel falsch macht. 40 Winterlogik 2016-17 / fol. 203 Spickzettel zur Syntax beliebiger PL-Sprachen Spickzettel zur Syntax beliebiger PL-Sprachen Alphabet Individuenvariablen (VAR): x, y, z, ... Individuenkonstanten (IND): a, b, c, ... Prädikate (PRD): P, Q, R, ... (P n deutet die Stelligkeit des Prädikats an) Quantoren: ∀, ∃ Junktoren: ⊥, >, ¬, ∧, ∨, → Grammatik VAR ∪ IND ⊆ TRM. Wenn P n ∈ PRD, und t1 , . . . tn ∈ TRM, dann P (t1 , . . . tn ) ∈ FML. Wenn A ∈ FML und x ∈ VAR, dann ∀xA, ∃xA ∈ FML. ⊥, > ∈ FML. Wenn A, B ∈ FML, dann ¬A, A ∧ B, A ∨ B, A → B ∈ FML. 41 Winterlogik 2016-17 / fol. 204 Goethe-Universität Frankfurt am Main Institut für Philosophie Logik im Winter 2016-17 Prädikatenlogische Sprachen (3): Weiteres zur Syntax André Fuhrmann 06PLsyntax 161129.1008 Winterlogik 2016-17 / fol. 205 In diesem Abschnitt: Allgemeine Definition einer PL-Sprache (erster Stufe) • Alphabet (sortiertes Lexikon) Zwei Anmerkungen zum Alphabet: 1. Termbildende Funktionen 2. Nullstelligkeit • Syntaktische Regeln (Grammatik) Eine Anmerkung zur Syntax: 3. Präfix- und Infixnotation • Kleines Beispiel Überleitung zur Semantik von PL-Sprachen 2 Winterlogik 2016-17 / fol. 206 Das Alphabet Das Alphabet Wir verfahren in zwei Schritten: · Erst definieren wir die Grundbausteine der Sprache, das Alphabet. · Sodann erklären wir die Regeln, nach denen diese Bausteine zu Termen, Formeln und Sätzen zusammengefügt werden. Alphabet Definition 1. Das Alphabet einer PL-Sprache besteht aus . . . 1. einer Menge von Individuenvariablen: VAR = {x1 , x2 , . . .}; 2. einer Menge von Funktionszeichen (darüber gleich die erste Anmerkung): FUN = {f1 , f2 , . . .}, zusammen mit einer Stelligkeitsfunktion s, welche jedem Funktionszeichen f eine natürliche Zahl s(f ) ≥ 0 zuordnet (die Anzahl seiner Argumentstellen); 3 Winterlogik 2016-17 / fol. 207 Das Alphabet 3. einer nichtleeren Menge von Prädikatausdrücken: PRD = {P1 , P2 , . . .}, wobei die die Funktion s(P ) ≥ 0 für jeden Prädikatausdruck P die Anzahl seiner Argumentstellen bestimmt (über 0-Stelligkeit siehe gleich die zweite Anmerkung); 4.∗ einer Menge von Quantoren: QUA = {Q1 , Q2 , . . .}; wobei die s(Q) ≥ 1 für jeden Quantor Q die Anzahl der Variablen angibt, die er bindet. 5.∗ einer Menge von Verknüpfungen (Junktoren): JUN = {J1 , J2 , . . .}, wobei s(J) ≥ 0 für jeden Junktor J die Anzahl der Formeln angibt, die er verknüpft. Die letzten zwei Bedingungen sind für die meisten unserer Zwecke unnötig allgemein formuliert. Sie sollen bis auf weiteres durch spezifischere Bedingungen vertreten werden, nämlich 4 Winterlogik 2016-17 / fol. 208 Das Alphabet 4. QUA = {∀, ∃}, mit s(∀) = s(∃) = 1; (Mehrstellige Quantoren betrachten wir hier nicht. Aber es gibt natürliche Beispiele, wie: mehr x als y. Mehr x als y (U x ∧ T y) – Ulla hat mehr Karten als Thomas.) 5. JUN = {⊥, ¬, ∧, ∨, →}, mit s(⊥) = 0, s(¬) = 1, s(∧) = s(∨) = s(→) = 2. Ferner wollen wir zwei weitere Junktoren, > und ↔, definieren: > := ¬⊥ A ↔ B := (A → B) ∧ (B → A). 5 Winterlogik 2016-17 / fol. 209 Das Alphabet Erste Anmerkung: Termbildende Funktionen Worauf beziehen sich Ausdrücke wie 32 oder 5 + 4 oder 3 · 3 ? Richtig: Auf eine Zahl (die Zahl 9). Sie tun dies aber nicht direkt, sondern als Resultat von Abbildungen anderer Zahlen: ( )2 : 3 7→ 9 + : (5, 4) 7→ 9 · : (3, 3) 7→ 9 MaW, die arithmetischen Operationen nehmen eine bzw. zwei Zahlen und bilden diese auf eine neue Zahl ab: Typische Beispiele von Funktionen! • Funktionen sind nützliche, manchmal unverzichtbare Mittel zur Konstruktion von Individuenbezeichnern (Termen). • In natürlichen Sprachen sind sie allgegenwärtig: 6 Winterlogik 2016-17 / fol. 210 Das Alphabet Beispiele von Funktionen: · Die Mutter von (Person) · Die Zutaten der (Suppe) · Der Gewinner des (Turniers) · Der Geschmack von (Getränk) mit (Getränk) · Der Tag nach (Ullas Geburtstag) · Der erste, der am (Tag) um (Uhrzeit) die (Telefonnummer) wählt · Die Menge der wesentlichen Eigenschaften von (Gegenstand) · Die Rechte von (Person) · Der Wahrheitswert von (Aussage) · Die Bedeutung von (Ausdruck) · Die beobachtbaren Folgerungen aus (Theorie) % Gottlob Frege: Funktion und Begriff (1891) 7 Winterlogik 2016-17 / fol. 211 Das Alphabet DENKPAUSE: Weitere Beispiele von Funktionen (ein- oder mehrstellig) 8 Winterlogik 2016-17 / fol. 212 Das Alphabet Zweite Anmerkung: 0-Stellige Funktionen, Prädikate und Junktoren • Funktionen und Prädikate können von beliebiger endlicher Stelligkeit sein — angefangen bei 0! (Mehr als 2-stellige Funktionen oder Prädikate werden wir jedoch kaum betrachten.) – Alleinstehende (0-stellige) Funktionen bezeichnen ohne weitere Argumente Gegenstände: die Individuenkonstanten lassen sich also als 0-stellige Funktionen auffassen. – Alleinstehende (0-stellige) Prädikate drücken ohne weitere Argumente eine Aussage aus: diese bezeichnen wir als atomare Sätze (“Atome”). • Auch Junktoren können von beliebiger endlicher Stelligkeit sein. Wir werden uns hier hauptsächlich mit solchen Junktoren beschäftigen, die für Funktionen der Wahrheitswerte Wahr und Falsch stehen sollen. In diesem Fall sind mehr als 2-stellige Junktoren prinzipiell überflüssig (wie wir sehen werden). – 0-stellige Junktoren sind die Wahrheitswertkonstanten ⊥ und >, die immer die Wahrheitswerte Wahr (1) bzw. Falsch (0) bezeichnen. 9 Winterlogik 2016-17 / fol. 213 Das Alphabet Gegenstandsbereich φ( ) 1-stellig φ 0-stellig Unter dem Gegenstandsbereich dürfen Sie sich Beliebiges vorstellen. Das φ (sprich: phi) deutet hier nicht nur Funktionen, sondern auch Prädikate und Junktoren an: In allen Fällen wird die Vereinbarung für den Fall der Nullstelligkeit illustriert. 10 Winterlogik 2016-17 / fol. 214 Das Alphabet • Wir werden die Stelligkeit s einer Funktion (Prädikat oder Junktor) auch einfacher mit einer hochgestellten Zahl andeuten. f 2 (bzw P 2 ) soll also zB für eine zweistellige Funktion (bzw. für ein zweistelliges Prädikat) stehen. · D.h. statt zB “P mit s(P ) = 2”, schreiben wir kürzer “P 2 ”. · Wenn die Stelligkeit im Kontext bekannt ist, zeigen wir sie nicht explizit an. • Offiziell gibt es keine Interpunktionszeichen, wie Klammern oder ähnliches. Wie wir gleich sehen werden, werden keine gebraucht. (Inoffiziell, werden wir uns ihrer aber weiterhin bedienen.) 11 Winterlogik 2016-17 / fol. 215 Die syntaktischen Regeln Die syntaktischen Regeln Definition 2. Die Mengen TRM der Terme und FML der Formeln einer PLSprache sind jeweils die kleinsten Mengen, welche die folgenden Bedingungen erfüllen: 1. VAR ⊆ TRM; 2. Wenn f n ∈ FUN und t1 , . . . , tn ∈ TRM, dann ist f t1 . . . tn ∈ TRM; falls s(f ) = 0, dann nennen wir f ∈ TRM eine Individuenkonstante. 3. Wenn P n ∈ PRD und t1 , . . . , tn ∈ TRM, dann ist P t1 . . . tn ∈ FML eine Primformel; falls s(P ) = 0, dann ist P ∈ FML ein Atom. 4. Wenn Q ∈ QUA, x ∈ VAR und A ∈ FML, dann ist QxA ∈ FML; 5. Wenn J n ∈ JUN und A1 , . . . , An ∈ FML, dann ist JA1 . . . An ∈ FML (dazu gleich die dritte Anmerkung); falls s(J) = 0, dann nennen wir J ∈ FML eine Satzkonstante. Die einfachst Art von Formeln sind von der in (3) beschriebenen Art. Eine Formel, in der Variablen nicht frei vorkommen, heißt geschlossene Formel oder einfach Satz. 12 Winterlogik 2016-17 / fol. 216 Die syntaktischen Regeln Wichtiger Spezialfall: Aussagenlogische Sprachen Wir werden später einen besonders einfachen Fall von PL-Sprachen eingehend betrachten: aussagenlogische (AL-) Sprachen. Diese sind • PL-Sprachen, die nur aus Atomen (0-stelligen Prädikaten) und Junktoren aufgebaut sind, also aus P0 , P1 , P2 , ... sowie ⊥, ¬, ∧, → etc. • Erwartungsgemäß kürzen sich dann die gerade gegebenen Definition auf einige wenige Zeilen zusammen. 13 Winterlogik 2016-17 / fol. 217 Die syntaktischen Regeln Dritte Anmerkung: Polnisch und Klammernesisch Jan Lukasiewicz (1878-1956), polnischer Philosoph und Logiker 14 Winterlogik 2016-17 / fol. 218 Die syntaktischen Regeln Nach Definition 2 werden Terme und Formeln immer durch Voranstellen (“Präfigieren”) der Funktionen, Prädikatausdrücke oder Junktoren gebildet. Hier ist noch einmal die Anweisung für Junktoren: Wenn J n ∈ JUN und A1 , . . . , An ∈ FML, dann ist JA1 . . . An ∈ FML Diese Konstruktionsweise (Präfixnotation, “Polnisch”) erlaubt es ganz ohne Klammern oder ähnliches auszukommen. Beispiele: (1) (2) (3) (4) (5) (6) Infix (Klammernesisch) A→B A → (B → C) (A → B) → C ¬A ¬(A ∨ B) ¬A ∨ B Präfix (Polnisch) → AB → A → BC →→ ABC ¬A ¬ ∨ AB ∨¬AB Die Beispiele zeigen wieder einmal, wie wichtig es ist, durch die syntaktische Oberfläche hindurch die zugrundeliegende Baumstruktur zu sehen. 15 Winterlogik 2016-17 / fol. 219 Die syntaktischen Regeln Wenn wir in Klammernesisch die Klammern fortlassen, ist die Struktur nicht immer eindeutig bestimmt: A → B → C A oder A→ B → C B →C A→B B A C ? C B “Polnisch” kommt dagegen ohne Klammern aus: → A →BC A →→ ABC → BC → AB B A C C B Sie betrachten immer nur den vordersten Junktor und suchen dann nach rechts bis Sie die dazugehörige Anzahl der Argumente isoliert haben. Diese schreiben Sie dann als unmittelbar nachfolgende und als nächste aufzulösende Knoten auf. 16 Winterlogik 2016-17 / fol. 220 Die syntaktischen Regeln Polnisch ist zwar elegant aber anstrengend. Natürliche Sprachen – insbesondere solche aus der indogermanischen Sprachfamilie – neigen zu infigierendem (“dazwischenstellendem”) Satzbau • Wir sagen: “Konstanz und Köln liegen am Rhein”, nicht: “Liegen am und Konstanz Köln Rhein”.) Wohl deshalb hat sich auch in der Logik Infixnotation durchgesetzt. • Siehe jedoch zB die Bücher von A.N. Prior (zB Formal Logic), oder viele Programmiersprachen. 17 Winterlogik 2016-17 / fol. 221 Die syntaktischen Regeln DENKPAUSE: 1. Übersetzen Sie diese Formel ins Polnische: ((A ∧ ¬B) ∨ C) → ((C ∧ ¬B) → ¬A) 2. Zeichnen Sie den Baum dieser Formel und übersetzen Sie ins Klammernesische: →→ A → BC →→ AB → AC 18 Winterlogik 2016-17 / fol. 222 Die syntaktischen Regeln DENKPAUSE: 1. ((A ∧ ¬B) ∨ C) → ((C ∧ ¬B) → ¬A) ins Polnische. Wir gehen schrittweise vor: → [(A ∧ ¬B) ∨ C][(C ∧ ¬B) → ¬A] → ∨[A ∧ ¬B]C → [C ∧ ¬B]¬A → ∨ ∧ A¬BC → ∧C¬B¬A 2. Baum und ins Klammernesische: →→ A → BC →→ AB → AC → A →BC A → BC →→ AB → AC → AB → AC B C A B A B (A → (B → C)) → ((A → B) → (A → C)) DENKPAUSE: (Für zuhause.) Wie verfahren wir mit den Quantoren in der Polnischen Notation? 19 Winterlogik 2016-17 / fol. 223 Die syntaktischen Regeln Hochsprache und Dialekt: Das Beste aus beiden Welten Bei festlichen Anlässen, wie Definitionen, benutzen wir Polnisch. Im täglichen Gebrauch verwenden wir einen “Infixdialekt”. Dabei benutzen wir Klammern soweit nötig, um Mehrdeutigkeit auszuschließen. — Hier ein paar natürliche Vereinbarungen: • Äußerste Klammern brauchen nicht geschrieben zu werden. Statt (A) schreiben wir einfacher A. • Die Quantoren binden ihre Argumente stärker an sich als die Junktoren. Statt (∀xA) ∧ B schreiben wir kürzer ∀xA ∧ B. • Einige Junktoren binden ihre Argumente stärker an sich als andere. Die Bindungskraft der Junktoren soll in folgender Reihenfolge abnehmen: ¬, ∧, ∨, →. Statt (((¬A) ∧ B) ∨ C) → D können wir daher auch schreiben ¬A ∧ B ∨ C → D. • Im Zweifelsfall verwende man eher zu viele als vielleicht zu wenige Klammern. Wenn das Setzen eigentlich redundanter Klammern das Lesen erleichtert, dann bitte schön! (Also vielleicht doch besser (¬A ∧ B) ∨ C → D statt ¬A ∧ B ∨ C → D.) 20 Winterlogik 2016-17 / fol. 224 Die syntaktischen Regeln • Um anzuzeigen, daß in einer Formel A Variablen x1 , . . . , xn frei vorkommen, schreiben wir A(x1 , . . . , xn ) oder noch einfacher Ax1 , . . . , xn . Im einfachsten Fall: Ax — in A kommt x frei vor. • Wenn wir in einem bestimmten Kontext mit Ax1 , . . . , xn eine Formel A mit freien Variablen x1 , . . . , xn bezeichnet haben, dann soll At1 , . . . , tn im selben Kontext diejenige Formel bezeichnen, die aus Ax1 , . . . , xn entsteht, wenn alle Vorkommen von x1 , . . . , xn durch t1 , . . . , tn ersetzt sind (gleichförmige Ersetung). Im einfachsten Fall: Aus Ax entsteht durch (gleichförmige) Ersetzung At. • Wenn wir uns nicht auf den Kontext verlassen können oder wollen, dann schreiben wir (im einfachsten Fall) A[t/x] für das Resultat der gleichförmigen Ersetzung von x durch t (“t für x”) in A. • Gleichartige Variablenbindungen dürfen zusammengezogen werden. Z.B. ∀xyA statt ∀x∀yA oder ∀x∃yzA statt ∀x∃y∃zA. 21 Winterlogik 2016-17 / fol. 225 Die syntaktischen Regeln Wenn wir diese Konventionen verwenden, dann machen wir eigentlich folgendes. • Wir schreiben Formeln der Sprache, um die es gehen soll nie hin. Wenn wir das täten, dann würden wir ja Polnisches auf dem Papier sehen. • Stattdessen schreiben wir Namen für diese Formeln hin. Dabei müssen wir nur darauf achten, daß die Namen eindeutig sind. Die Konventionen dienen allein diesem Zweck. • Es lohnt sich auch gar nicht diese verschiedenen Sprachebenen explizit zu definieren und immer anzugeben, auf welcher Ebene wir gerade sprechen. Das Ganze geht rein intuitiv und soll uns nur die Arbeit erleichtern. 22 Winterlogik 2016-17 / fol. 226 Die syntaktischen Regeln Ein Beispiel (An Sprachen des folgenden einfachen Typs werden wir gleich illustrieren, wie die Interpretation einer PL-Sprache vor sich geht.) Definition. Das Alphabet der Beispielsprache besteht aus . . . 1. der Menge von (nur zwei) Individuenvariablen: VAR = {x, y}; 2. der Menge von Funktionszeichen FUN = {a0 , b0 , f 1 }, wobei die hochgestellte Zahl hier (wie im folgenden) die Stelligkeit anzeigt; 3. der Menge von Prädikatausdrücken: PRD = {R1 , S 1 , =2 }; 23 Winterlogik 2016-17 / fol. 227 Die syntaktischen Regeln 4. dem Quantor : QUA = {∀}; 5. der Menge von Verknüpfungen (Junktoren): JUN = {⊥0 , →2 }. Definition. Die Mengen TRM der Terme und FML der Formeln der Beispielsprache sind jeweils die kleinsten Mengen, welche die folgenden Bedingungen erfüllen: 1. Alle Variablen sind Terme; 2. die Individuenkonstanten a und b sind Terme, und wenn t ein Term ist, dann ist f t ein Term. 3. Wenn s und t Terme sind, dann sind Rt, St sowie s = t Formeln. 4. Wenn t ein Variable und A eine Formel ist, dann ist ∀tA eine Formel; 5. ⊥ ist eine Formel (Satzkonstante), und wenn A und B Formeln sind, dann ist auch → AB eine Formel. (Für → AB wollen wir (A → B) schreiben und Klammern sparsam nach den üblichen Konventionen verwenden.) 24 Winterlogik 2016-17 / fol. 228 Die syntaktischen Regeln Definition. Weitere Symbole seien wie folgt definiert. ¬A A∨B A∧B > ∃xA := := := := := A→⊥ ¬A → B ¬(¬A ∨ ¬B) ¬⊥ ¬∀x¬A Ende des Beispiels. Übung: ⊥ bezeichne konstant den Wert 0 und → sei die, durch die Wahrheitstafel (% Folienpaket 5) für die materiale Implikation beschriebene Wahrheitsfunktion. Verifizieren Sie, daß durch die Definitionen die Zeichen ¬, ∨ und ∧ genau die durch die Wahrheitstafeln für die Negation, Disjunktion und Konjunktion festgelegten Bedeutungen erhalten! (Führen Sie die Verifikation in genau dieser Reihenfolge durch: ¬, ∨, ∧ !) 25 Winterlogik 2016-17 / fol. 229 Die syntaktischen Regeln Wir wissen nun, wie wir die verschiedenen syntaktischen Kategorien genau definieren können. Insbesondere wissen wir, welche Bedingungen eine Zeichenkette erfüllen muß, damit sie ein Satz ist. (Sätze sind auf bestimme Weise zusammengesetzte Zeichenketten.) Wenn die logischen Sätze diejenigen sind, die “auf besondere” Weise wahr sind, dann sollten wir jetzt zunächst nach den Bedingungen fragen, die ein Satz erfüllen muß, damit er wahr ist. (Erst danach können wir “besondere” Arten von Wahrheit definieren.) Darauf gibt es eine Antwort, die schon Aristoteles gewußt hat: Es ist eine falsche Aussage, von dem was ist, zu sagen, daß es nicht sei oder von dem was nicht ist, zu sagen, daß es sei; dagegen ist es wahr zu sagen, daß das was ist, sei und das was nicht ist, nicht sei. (Metaphysik Γ, 1011b 25) • Soweit, so gut. Aber wie gelingt es einer bestimmten Zusammensetzung sprachlicher Bausteine, sich auf das zu beziehen, was ist? • Und wie muß diese Beziehung aussehen, damit der Satz wahr ist? • Und wann folgt die Wahrheit eines Satzes aus der Wahrheit anderer? 26 Winterlogik 2016-17 / fol. 230 Die syntaktischen Regeln 27 Winterlogik 2016-17 / fol. 231 Truth or Consequences – Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Truth_or_Consequences Die syntaktischen Regeln Koordinaten: 33° 8′ N, 107° 15′ W aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie Truth or Consequences ist eine Kleinstadt in New Mexico, Vereinigte Staaten. Sie ist County Seat des Sierra Countys. Im Jahr 2000 hatte sie insgesamt 7289 Einwohner. Truth or Consequences Inhaltsverzeichnis 1 2 3 4 5 Geschichte Geografie Demografie Weblinks Einzelnachweise und Anmerkungen Lage in New Mexico Geschichte Ursprünglich hieß die Stadt Hot Springs. Am 31. März 1950 beschlossen die Bürger der Stadt mit 1294 zu 1295 Stimmen, sie nach der Quizshow Truth or Consequences von Ralph Edwards umzubenennen[1]. Edwards hatte versprochen, die Rundfunksendung in der Stadt zu produzieren, die als erste den Namen der Show annimmt. Heute wird ihr Name von der Bevölkerung New Mexicos meist zu T or C abgekürzt. 28 Staat: Bundesstaat: Basisdaten Vereinigte Staaten New Mexico County: Sierra County Die Stadt ist beliebter Touristenort und Alterssitz, was auch an den geringen Baukosten liegt. Golf, Wandern und Angeln sind die beliebtesten Freizeitaktivitäten in und um die Stadt. Der bekannte britische Fotograf Nick Waplington hat Ende der 1990er Jahre den Ort, die Menschen und ihr Alltagsleben und die Landschaft um T or C in einem Bildband dokumentiert.[2] Koordinaten: 33° 8′ N, 107° 15′ W Zeitzone: Mountain Standard Time (UTC−7) Einwohner: 7289 (Stand: 2000) Bevölkerungsdichte: 222,2 Einwohner je km² 33,1 km² (ca. 13 mi²) Fläche: davon 32,8 km² (ca. 13 mi²) Land Höhe: 1294 m Postleitzahl: 87901 Vorwahl: +1 505 Geografie FIPS: Laut United States Census Bureau bedeckt die Stadt 33,1 km². Sie liegt am Rio Grande. GNIS-ID: Demografie Webpräsenz: 35-79840 (http://censtats.census.gov /data/NM/1603579840.pdf) 0897496 (http://geonames.usgs.gov /pls/gnispublic /f?p=gnispq:3:::NO::P3_FID:0897496) www.ci.truth-or-consequences.nm.us Winterlogik 2016-17 / fol. 232 (http://www.ci.truth- Goethe-Universität Frankfurt am Main Institut für Philosophie Logik im Winter 2016-17 Prädikatenlogische Sprachen (4): Semantik monadischer PL André Fuhrmann 07PLsemantik1 161212.1406 Winterlogik 2016-17 / fol. 233 Vorbetrachtungen Vorbetrachtungen Kontingente und logische Wahrheit Die Wahrheit oder Falschheit dessen was wir sagen, hängt in der Regel davon ab, ob die Dinge in dem Bereich, auf den wir uns beziehen, so sind, wie wir sagen, daß sie es sind. (Kontingente Wahrheit.) Beispiel A: Im Hörsaal sind 184 Studenten. Manches was wir sagen, ist wahr, gleichgültig auf welchen Bereich wir uns beziehen. Solche bereichsunabhängigen Wahrheiten sind offenbar in der inneren Struktur dessen, was wir sagen, angelegt. (Logische Wahrheit.) Beispiel: A oder nicht A. Manches was wir sagen, hat keine Chance wahr zu werden, gleichgültig worüber wir reden. Solche bereichsunabhängigen Falschheiten sind offenbar strukturell falsch, d.h. in sich widersprüchliche Aussagen. (Logische Falschheit.) Beispiel: A und nicht A. 2 Winterlogik 2016-17 / fol. 234 Vorbetrachtungen Wir sprechen über etwas: Bereiche und Interpretationen • Bereich: Eine Menge von Gegenständen über die gesprochen wird. • Interpretation: Stellt eine Verbindung zwischen Sprache und Welt (Bereich) her. Eine Interpretation ist eine Abbildung (Funktion), welche den Ausdrücken der betrachteten Sprache eine Bedeutung im gewählten Bereich zuweist (grob gesagt). • Modell: Eine bestimmte Interpretation (der Ausdrücke der betrachteten Sprache) in einem bestimmten Bereich • Modellfamilie: Eine Menge von Modellen. Ausdruck Sprache Interpretationen ein Modell Bereiche 3 Winterlogik 2016-17 / fol. 235 Vorbetrachtungen Betrachten wir eine Aussage A. Folgende Möglichkeiten bestehen: A ist wahr ... • ... in einem bestimmten Bereich U unter einer bestimmten Interpretation I. – Wir halten Bereich U und Interpretation I fix: – A ist wahr im Modell (U, I) — könnte aber falsch sein unter anderen Interpretationen I 0 in diesem Bereich. ◦ ... in einem bestimmten Bereich U , gleichgültig, wie wir A interpretieren. – Wir halten den Bereich U fix und variieren die Interpretationen: – A ist wahr in allen Modellen mit dem Bereich U — könnte aber falsch sein in anderen Bereichen U 0 . I1 . A ist wahr im Bereich U, .. Im . 4 Winterlogik 2016-17 / fol. 236 Vorbetrachtungen • ... in einem beliebigen Bereich, gleichgültig, wie wir A interpretieren. – Wir variieren die Bereiche, und für jeden Bereich die Interpretationen. – A ist wahr in allen Modellen — und kann daher überhaupt nicht falsch sein! I1 .. U 1 . Im A ist wahr in allen Modellen .. . I1 .. U k . In Letztere, rein strukturelle Wahrheit ist offenbar ein guter Kandidat für logische Wahrheit (oder Gültigkeit): Logische Wahrheit: Wahrheit völlig unabhängig vom Gegenstand der Rede. 5 Winterlogik 2016-17 / fol. 237 Semantik von PL-Sprachen ohne Variablen Semantik von PL-Sprachen ohne Variablen • Aufgabe: Sage, wann ein Satz in einem Modell M wahr ist. Dann können wir schließlich auch sagen, wann ein Satz in allen Modellen, d.h. logisch wahr ist. • Zwei Bedingungen: 1. Vollständigkeit: Interpretationen einer Sprache in einem Bereich sollen derart sein, daß sie jeden Satz der Sprache mit einer Wahrheitsbedingung versehen. 2. Kompositionalität: Die Bedeutung eines Satzes (seine Wahrheitsbedingung) soll bestimmt sein durch die Bedeutungen der darin vorkommenden Ausdrücke und die Art ihrer Zusammensetzung. Da jeder Ausdruck Bestandteil eines Satzes sein kann, folgt aus 1 und 2: · Interpretationen sollen derart sein, daß sie jeden Ausdruck der Sprache, der eine Bedeutung haben kann, mit einer Bedeutung versehen. 6 Winterlogik 2016-17 / fol. 238 Semantik von PL-Sprachen ohne Variablen Wir beginnen damit, nur das variablenfreie Fragment einer PL-Sprache zu betrachten. Demnach sind · alle Terme Konstanten oder Funktionen von Konstanten, und · Quantoren finden keine Verwendung. In einer variablenfreien Sprache sind natürlich alle Formeln Sätze. Deshalb dürfen wir unter dieser Einschränkung “Formel” und “Satz” austauschbar gebrauchen. Wir beginnen mit einer (vollständigen) Fallunterscheidung. Ein Satz A kann von folgender Gestalt sein: A. ⊥ | > | ¬B | B ∧ C | B ∨ C | B → C (mit Junktoren zusammengesetzte Sätze) B. P (t1 . . . tn ) (einfachste Sätze) – (Erst später nehmen wir C. Variablen und Quantoren hinzu.) • Präzisierung der Aufgabe: Definiere Wahrheit in einem Modell M für jeden dieser Fälle. Dann haben wir Wahrheit für alle Sätze definiert. 7 Winterlogik 2016-17 / fol. 239 A. Mit Junktoren zusammengesetzte Formeln A. Mit Junktoren zusammengesetzte Formeln Die Fälle unter A sind einfach (Wahrheitstafeln!): ⊥ soll immer falsch sein; > soll immer wahr sein; ¬B soll gd wahr sein, wenn B falsch ist; B ∧ C soll gd wahr sein, wenn B und C wahr sind; B ∨ C soll gd wahr sein, wenn B oder C wahr ist; und B → C soll gd wahr sein, wenn B falsch oder C wahr ist. 8 Winterlogik 2016-17 / fol. 240 Exkurs: Satzbedeutung Exkurs: Satzbedeutung In der Logik wollen wir eine Klasse logisch wahrer Sätze bestimmen. Logische Wahrheit, so die Idee, ist Wahrheit in allen Modellen. Für die Zwecke der Logik genügt es daher, für jeden Satz anzugeben, unter welchen Bedingungen er in einem Modell wahr wird. • Geben wir mit den Wahrheitsbedingungen für einen Satz zugleich seine Bedeutung an? Hier ist ein Argument, daß das so ist: · Wenn Sie wissen, was ein Satz A bedeutet, dann wissen Sie unter welchen Bedingungen A wahr ist. ? Und wenn Sie wissen, unter welchen Bedingungen A wahr ist, dann wissen Sie, was A bedeutet. · Also erschöpft sich die Kenntnis von Satzbedeutungen in der Kenntnis der jeweiligen Wahrheitsbedingungen. 9 Winterlogik 2016-17 / fol. 241 Exkurs: Satzbedeutung Jedoch: Die Prämisse ? Wenn Sie wissen, unter welchen Bedingungen A wahr ist, dann wissen Sie, was A bedeutet. ist vielleicht nicht so unproblematisch wie es zunächst scheint. Man betrachte: (1) “2+2=4” ist wahr gdw 2+2 = 4. (2) 2+2=4 gdw 2+3 = 5. — Also (aus 1 und 2): (3) “2+2=4” ist wahr gdw 2+3 = 5. Sicher sind (1-3) wahr. Aber gibt (3) die Bedeutung von “2+2=4” an? Wenn das in einem bestimmten Sinne von Bedeutung nicht so ist, dann kann auch (1) nicht die Bedeutung von “2+2=4” in diesem Sinne angeben. Wir werden hier (bis auf weiteres) Bedeutung in folgendem Sinne verwenden: • Die (logische) Bedeutung eines Satzes ist sein Wahrheitswert (Frege). Danach haben einerseits alle wahren und andererseits alle falschen Sätze — also auch “2+2=4” und “2+3=5” — dieselbe logische Bedeutung! 10 Winterlogik 2016-17 / fol. 242 Exkurs: Satzbedeutung Frege würde hinzufügen: ”2+2=4”, ”2+3=5” und ”Schnee ist weiß” haben alle dieselbe (logische) Bedeutung, nämlich den Wahrheitswert Wahr. Die Sätze stellen diesen Wahrheitswert aber auf verschiedene Weise dar; sie haben einen jeweils eigenen Sinn. Wie auch immer wir zu Freges Erläuterung stehen mögen, eines dürfen wir festhalten: (1) Zwei Sätze A und A0 sind bedeutungsgleich (in einer Sprache), wenn A und A0 in allen Satzkontexten B (in dieser Sprache) gegeneinander ausgetauscht werden können, ohne daß sich am Wahrheitswert von B etwas ändert. (2) In PL-Sprachen werden Sätze nur durch die Junktoren zu komplexeren Sätzen zusammengesetzt. (3) Die Junktoren sind Wahrheitswertfunktionen: Es kommt nur auf die Wahrheitswerte an (Wahrheitstafeln!). (4) Daher (aus 2 und 3): Wenn A und A0 denselben Wahrheitswert haben, dann können Sie in beliebigen Satzkontexten B gegeneinander ausgetauscht werden, ohne daß sich am Wahrheitswert von B etwas ändert (“salva veritate”). (5) Also (aus 1 und 3): Wenn A und A0 denselben Wahrheitswert haben, dann sind sie bedeutungsgleich — jedenfalls in wahrheitsfunktionalen Sprachen. 11 Winterlogik 2016-17 / fol. 243 Exkurs: Satzbedeutung Austauschprinzip (Prämisse 1): Zwei Sätze A und A0 sind bedeutungsgleich (in einer Sprache), wenn A und A0 in allen Satzkontexten B (in dieser Sprache) gegeneinander ausgetauscht werden können, ohne daß sich am Wahrheitswert von B etwas ändert. Was zeigt dieses Argument? • Unter der Annahme des Austauschprinzips, ist es für wahrheitsfunktionale Sprachen völlig richtig, die Bedeutung von Sätzen mit deren Wahrheitswerten zu identifizieren. • In Sprachen, die Zusammensetzungen (Junktoren) kennen, die nicht wahrheitsfunktional sind, funktioniert das nicht. · Beispiel: “Schnee ist weiß” und “2+2=4” sind nicht austauschbar salva veritate, wenn wir einen Junktor wie “Es ist notwendig, daß ... ” voranstellen. • “Grob” ist nicht der Bedeutungsbegriff, sondern eine rein wahrheitsfunktionale Sprache, die zwischen “2+2=4” und “Schnee ist weiß” nicht differenziert—besser: nicht differenzieren muß. (PL-Sprachen “grob” zu nennen ist eine unfreundliche Weise, auf ihre Einfachheit hinzuweisen. Für bestimmte Zwecke kann gerade diese Einfachheit gut sein.) 12 Winterlogik 2016-17 / fol. 244 A. (Fortsetzung Junktoren) (Ende des Exkurses über Satzbedeutung.) Ab jetzt schreiben wir [φ] für die Bedeutung eines Ausdrucks φ. Bedeutung in welchem Bereich und unter welcher Interpretation, d.h. in welchem Modell M = (U, I)? — Wenn es darauf ankommt, die Abhängigkeit der Bedeutung eines Ausdrucks φ von dem gewählten Modell M anzuzeigen (etwa weil mehr als ein Modell im Spiel ist), dann schreiben wir [φ]M . Nach dem gerade Gesagten, dürfen wir für jeden Satz A erwarten, daß [A]M ∈ {0, 1}. 13 Winterlogik 2016-17 / fol. 245 A. (Fortsetzung Junktoren) Wie bestimmt sich die Bedeutung [A]M eines Satzes A, wenn dieser mit Junktoren zusammengesetzt sind? (Wir lassen das tiefgestellte M jetzt weg.) Nullstellige Junktoren: [⊥] = 0 [>] = 1 Einstelliger Junktor: [¬A] = 1 gdw [A] = 0 Zweistellige Junktoren: [A ∧ B] = 1 gdw [A] = 1 = [B] [A ∨ B] = 1 gdw [A] = 1 oder [B] = 1 [A → B] = 1 gdw [A] = 0 oder [B] = 1 Das können Sie auch so aufschreiben (Übung: Warum?): [¬A] = [A ∧ B] = [A ∨ B] = [A → B] = 1 − [A] das Kleinere von [A] und [B] das Größere von [A] und [B] das Größere von 1 − [A] und [B] 14 Winterlogik 2016-17 / fol. 246 B. Einfachste Formeln B. Einfachste Formeln Wenn wir die Wahrheitsregeln unter A anwenden, dann kommen wir schließlich zur Frage, wann eine Primformel P (t1 . . . tn ) wahr bzw. falsch ist. Primformeln bestehen nur aus Prädikatausdrücken P und Termen. Unter unserer vereinfachenden Annahme, daß die Sprache keine Variablen enthält, bezeichnen alle Terme auf fixe Weise Individuen. Wir fragen jetzt also weiter, wie wir Prädikatausdrücke P und fix bezeichnende Terme t interpretieren wollen. 15 Winterlogik 2016-17 / fol. 247 B. Einfachste Formeln (Fixe) Terme Was ist die Bedeutung [t] eines Terms t? Die Aufgabe von Termen ist es, Objekte im Bereich zu bezeichnen. Für alle Terme t gilt daher, daß [t] ∈ U. Nun können Terme auf verschieden komplexe Art ein Individuum bezeichnen. Sie können es direkt tun, als Namen, d.h. nullstellige Funktionen (Individuenkonstanten); oder sie können es indirekt tun, als Resultat der Anwendung einer mehrstelligen Funktion auf die entsprechene Anzahl von Objekten im Bereich: [f 0 ] ∈ U [f 1 ] : U −→ U [f 2 ] : U × U −→ U ... [f n (t1 ...tn )] [ = [f n ]([t1 ]...[tn ]) ] ∈U Beispiele: [“Peter”] = Peter; [“Vater von”]: bildet eine Person auf eine Person ab; [“Erstgeborene von”]: bildet ein Paar von Personen auf eine Person ab. 16 Winterlogik 2016-17 / fol. 248 B. Einfachste Formeln Prädikatausdrücke mit einer Stelle ... haben syntaktisch die Aufgabe, zusammen mit einem Term einen Satz zu bilden: Sie bilden also einen Term in einen Satz ab, Prädikatausdruck: Term 7→ Satz. Semantisch gesehen, sollte deshalb die Bedeutung eines Prädikats darin bestehen, das, was ein Term bedeutet, abzubilden in das, was ein Satz bedeutet, [Prädikatausdruck]: [Term] 7→ [Satz]. Nun bedeutet ein Term einen Gegenstand im Bereich und ein Satz bedeutet einen Wahrheitswert. Also sollte die Bedeutung eines Prädikats eine Abbildung von U nach {0, 1} sein: [P 1 ] : U −→ {0, 1}. Das macht intuitiv guten Sinn: Prädikate bedeuten Eigenschaften, die auf ein Objekt im Bereich (U ) zutreffen (1) oder nicht zutreffen (0). 17 Winterlogik 2016-17 / fol. 249 B. Einfachste Formeln Prädikate mit zwei Stellen (2-stellige Relationen) können wir dann als Funktionen interpretieren, die Paaren von Objekten genau einen der zwei Werte 0 oder 1 zuordnet. Also: [P 2 ] : U × U −→ {0, 1}. Beispiel : Den Ausdruck “... ist Sohn von ...” interpretieren wir als eine Funktion, die einem Paar (X, Y ) gd den Wert 1 zuordnet, wenn Y Mutter oder Vater von X ist. Nullstellige Prädikatausdrücke erhalten “ohne Umweg” über Gegenstände einen Wert aus {0, 1}. MaW, nullstellige Prädikatausdrücke werden wie Sätze behandelt: [P 0 ] ∈ {0, 1}. Allgemein: Prädikatausdrücke von Stelligkeit n werden als Funktionen von nTupeln nach der Menge der Wahrheitswerte interpretiert: [P n ] : U n −→ {0, 1}. 18 Winterlogik 2016-17 / fol. 250 B. Einfachste Formeln Anmerkung: Wenn wir in einem Bereich U eine Funktion f haben, die jedem Gegenstand entweder den Wert 0 oder 1 zuordnet, dann definiert f indirekt eine Teilmenge F von U : nämlich die Menge genau der Gegenstände in U , für welche f den Wert 1 annimmt: Ff := {x ∈ U : f (x) = 1}. Umgekehrt, gegeben eine beliebige Teilmenge F von U , können wir eine Funktion f so definieren, daß sie genau den Elementen von F den Wert 1 zuweist: ∀x ∈ U : fF (x) = 1 :gdw x ∈ F. Man nennt · Ff das Bild von U unter f und · fF die charakteristische Funktion der Menge F . 19 Winterlogik 2016-17 / fol. 251 B. Einfachste Formeln Ff := {x ∈ U : f (x) = 1}. ∀x ∈ U : fF (x) = 1 :gdw x ∈ F. Wir können offenbar beliebig zwischen fF und Ff hin- und hergehen. Der Unterschied zwischen x ∈ Ff und fF (x) = 1 ist letztlich nur einer in der Darstellung, nicht in der Sache. So verhält es sich auch mit der Interpretation von Prädikatausdrücken. • Wir können die Bedeutung [P 1 ] eines Prädikats P 1 als charakteristische Funktion einer Teilmenge von U oder gleich als Teilmenge von U auffassen. In letzterem Fall fassen wir Eigenschaften unmittelbar als Mengen auf. (Allgemeiner für n-stellige Prädikate P n (n ≥ 1): [P n ] ⊆ U n .) • Manchmal wird in der Logik so verfahren (Prädikate als Mengen interpretiert). Aber dann entzieht sich der Fall P 0 der Behandlung durch natürliche Verallgemeinerung. Das wollen wir hier jedoch, damit die Aussagenlogik durch eine einfache Abstraktion aus der Prädikatenlogik entstehen kann. (Ende der Anmerkung) 20 Winterlogik 2016-17 / fol. 252 B. Einfachste Formeln Primformeln Nun, da wir wissen, was Prädikate P und (fixe) Terme t bedeuten, können wir zur Frage zurückkehren, unter welcher Bedingung eine Primformel P (t1 ...tn ) wahr ist. [P (t1 ...tn )] = 1 gdw [P ]([t1 ]...[tn ]) = 1. Im einfachsten Fall n = 1: P (t) ist gd wahr, wenn “P auf t zutrifft” — genauer: wenn die Anwendung der Bedeutung [P ] des Prädikats, (= eine Abbildung aller Objekte in U auf einen der Wahrheitswerte) auf die Bedeutung [t] des Terms t, (= Element in U ) den Wahrheitswert 1 ergibt. Allgemeiner : P (t1 ...tn ) ist gd wahr, wenn [P ] auf das n-Tupel ([t1 ], ..., [tn ]) von Termbedeutungen zutrifft. 21 Winterlogik 2016-17 / fol. 253 B. Einfachste Formeln Wo ist I ? Ein Modell, so haben wir gesagt, besteht aus einem Bereich U und einer Interpretation I. Von dem Bereich war oben oft die Rede, auch von einer Interpretationsfunktion [ ]. Wo und wie kommt aber I zum Einsatz? Tatsächlich haben wir den Gebrauch von [ ] im Interesse der Einfachheit ein wenig überdehnt. Am Anfang der Interpretationsarbeit steht I und dann setzt [ ] diese Arbeit fort. Die Funktion I grundiert nämlich [ ] im folgenden Sinne: I interpretiert die einfachsten Zeichen der verschiedenen syntaktischen Sorten, die fixe Bedeutungen im Modell M haben. Also: • Wenn a eine Individuenkonstante ist, dann ist I(a) ∈ U . • f n ein Funktionszeichen ist, dann ist I(f ) : U n −→ U . • Wenn P n ein Prädikatausdruck ist, dann ist I(P ) : U n −→ {0, 1}. • Wenn J n ein Junktor ist, dann ist I(f ) eine n-stellige Funktion von Wahrheitswerten, also {0, 1}n −→ {0, 1}. • Und auch für die Quantoren liefert I, wie wir gleich sehen werden, eine Interpretation. 22 Winterlogik 2016-17 / fol. 254 B. Einfachste Formeln Die Klammerfunktion [ ] weitet die Interpretation I elementarer Zeichen auf eine Interpretation aller Zeichen in eindeutiger Weise aus. D.h. [ ] wird erst auf der Basis von I definiert. Das beginnt bei den komplexen Termen: [f (t1 , ..., tn )] = I(f )([t1 ], ..., [tn ]). Weiter geht es mit den Primsätzen: [P (t1 , ..., tn )] = 1 gdw I(P )([t1 ], ..., [tn ]) = 1. Im Grunde tun I und [ ] also das Gleiche: Sie interpretieren die Ausdrücke der Sprache (abgesehen von den Variablen). Da die Regeln für [ ] bestimmen, daß [ ] den Anfang I in eindeutiger Weise fortsetzt, ist es harmlos, auch die Interpretation eines elementaren Zeichens φ so zu notieren: [φ]. (Wir wissen, daß in diesem Fall ist I(φ) gemeint ist.) 23 Winterlogik 2016-17 / fol. 255 B. Einfachste Formeln Zusammenfassung von A und B Wir wollen einen Satz A (hier noch ohne Variablen!) in einem Bereich U interpretieren. D.h. eine Abbildung (Interpretation) [ ] (basierend auf I) soll dem Satz A eine Bedeutung [A] auf der Grundlage des Bereichs U zuweisen. ? Wenn [ ] die genannten Bedingungen erfüllt, können wir dann sicher sein, daß A eine Bedeutung erhält, gleichgültig welche Art von Satz A ist? • A könnte durch Junktoren zusammengesetzt sein. — Wir wissen, was die Junktoren bedeuten (Funktionen von Wahrheitswerten). Also wissen wir, was der zusammengesetzte Satz bedeutet (= unter welchen Bedingungen er wahr ist), vorausgesetzt, wir wissen was die Teilsätze bedeuten (= unter welchen Bedingungen diese wahr sind). Die Teilsätze könnten wiederum durch Junktoren zusammengesetzt sein. — Wir wenden die Bedeutungsregeln für Junktoren an, bis wir nur noch auf Primsätze stoßen. ... 24 Winterlogik 2016-17 / fol. 256 B. Einfachste Formeln • Primsätze sind einfache, nicht durch Junktoren zusammengesetzte Sätze: P n (t1 ...tn ). · Wir wissen, was ein Prädikatausdruck P n bedeutet, nämlich eine Abbildung der Bedeutungen von n Termen (in bestimmter Reihenfolge) auf das Wahre oder das Falsche. Also wissen wir, was P n (t1 ...tn ) bedeutet, vorausgesetzt, wir wissen von jedem Term ti , was er bedeutet. • Ein Term t kann zusammengesetzt oder einfach (hier: eine Konstante) sein. · Sei t zusammengesetzt, zB von der Form f (t1 , t2 ). Wir wissen, was der Funktionsausdruck f bedeutet, nämlich eine Abbildung der Bedeutungen zweier Terme auf einen Gegenstand des Bereichs. Also wissen wir, was f (t1 , t2 ) bedeutet, sofern wir wissen, was t1 und t2 bedeuten. — Wir wenden die Bedeutungsregeln für Terme auf t und t0 an, bis wir nur noch auf einfache Terme (Konstanten) stoßen. · Die Bedeutung einer Konstanten ist ein Gegenstand im Bereich. 25 Winterlogik 2016-17 / fol. 257 B. Einfachste Formeln Logische Wahrheit und Folgerung • A ist genau dann wahr in einem (bestimmten) Bereich U unter einer (bestimmten) Interpretation I (d.h. im Modell M = (U, I)) (|=M A), wenn [A]M = 1. • A ist genau dann logisch wahr (gültig) (|= A), wenn A in allen Modellen wahr ist, d.h. in beliebigen (nichtleeren) Bereichen und unter beliebigen Interpretationen in diesen Bereichen; also |= A gdw für alle M : |=M A. • A folgt genau dann aus einer Formelmenge Γ (Γ |= A), wenn jedes Modell, welches alle Formeln in Γ wahr macht, auch die Formel A wahr macht; also Γ |= A gdw für alle M : Wenn |=M B (für jedes B ∈ Γ), dann |=M A. Und was machen wir mit Variablen und Quantoren? ... 26 Winterlogik 2016-17 / fol. 258 Variablen und Quantoren (in monadischer PL) Variablen und Quantoren (in monadischer PL) Monadische Prädikensprachen Als Hinführung zur Angabe einer Wahrheitsbedingung für beliebige Sätze einer PLSprache betrachten wir zunächst nur solche Sätze, in denen höchstens einstellige Prädikate vorkommen. Eine so eingeschränkte PL-Sprache nennt man eine Sprache der monadische Prädikatenlogik (MPL). • Primformeln in einer MPL-Sprache können also von der Form P 1 t (oder auch P 0 ), nicht aber z.B. von der Form P 2 t1 t2 sein (wobei t jetzt eine Konstante oder eine Variable sein kann). 27 Winterlogik 2016-17 / fol. 259 Variablen und Quantoren (in monadischer PL) Bisher haben wir nur variablenfreie Sprachen betrachtet. Nun erweitern wir die Definition von I in einem Modell (U, I) so, daß I auch Variablen interpretiert: I : Menge der Variablen −→ Bereich U Vereinfachend wollen von (komplexen) Funktionsaudrücken absehen, so daß in einer Primformel P (t) der Buchstabe t entweder für eine Kontante a oder eine Variable x steht; in beiden Fällen ist I(t) ∈ U . Im Prinzip bleiben unsere Interpretationsklauseln also unverändert: [P t]M = 1 gdw [P ]M ([t]M ) = 1, d.h. I(P )(I(a)) = 1, falls t = a eine Konstante ist; gdw I(P )(I(x)) = 1, falls t = x eine Variable ist [¬A]M [A ∧ B]M [A ∨ B]M [A → B]M =1 =1 =1 =1 gdw gdw gdw gdw [A]M [A]M [A]M [A]M =0 = 1 = [B]M = 1 oder [B]M = 1 = 0 oder [B]M = 1 28 Winterlogik 2016-17 / fol. 260 Variablen und Quantoren (in monadischer PL) Man beachte: 1. Soweit unterscheiden sich Variablen von Konstanten weder syntaktisch noch semantisch. · Syntaktisch betrachtet, haben beide Audruckssorten die Aufgabe, Prädikatausdrücke zu Formeln zu ergänzen. · Semantisch betrachtet, bezeichenen Variablen wie Konstanten Objekte im Bereich. 2. Aber haben wir nicht gesagt, daß eine Formel, in der eine Variable frei vorkommt gar keine bestimmte Aussage macht, also kein Satz mit einem bestimmten Wahrheitswert ist? [Klein(x)] = ? Jetzt ist jedoch die offene Formel [Klein(x)](U,I) = 1 (wahr!), falls I(x) ein Objekt ist, auf das die Eigenschaft I(Klein) zutrifft. Also alles wieder zurück? Antwort (vorläufig): Nein, im Gegensatz zum Satz Klein(Frankfurt) hat die Formel Klein(x) tatsächlich keinen Wahrheitswert – solange wir nicht angeben, wofür x stehen soll. Wenn wir das aber tun, dann dürfen wir sagen, daß Klein(x) relativ zur Bedeutungsfestlegung I(x) wahr oder falsch ist. 29 Winterlogik 2016-17 / fol. 261 Variablen und Quantoren (in monadischer PL) C. Quantoren und Variablen Der Unterschied zwischen Variablen und Konstanten wird erst deutlich, wenn Quantoren ins Spiel kommen. · Syntaktisch gesehen, binden Quantoren Variablen, nicht Konstanten. · Semnatisch gesehen, regeln Quantoren die Interpretationen von Variablen, nicht die von Konstanten. Intuitiv ist der Allsatz ∀xAx genau dann wahr, wenn A auf alles zutrifft, d.h. ◦ ∀xAx ist gd wahr (in M = (U, I)), wenn Ax wahr ist, “gleichgültig wofür x steht”. Den letzten Teil ,“gleichgültig ...”, präzisieren wir so: ◦ ... wenn Ax wahr ist unter jeder Interpretation von x. Etwas genauer: • ... wenn Ax wahr ist unter jeder Interpretation I 0 im Bereich U , die von I allenfalls in der Interpretation von x abweicht (was wir kurz so schreiben wollen: I 0 ∼x I). 30 Winterlogik 2016-17 / fol. 262 Variablen und Quantoren (in monadischer PL) Es sei nun Mx = {(U, I 0 ) : I 0 ∼x I}, also die Klasse der Modelle, die aus M höchstens durch Variation von I über x entstehen. (Man beachte, daß M ∈ Mx .) Dann haben wir soeben die folgende Wahrheitsbedingung für Allsätze festgelegt: (∀) [∀xA]M = 1 gdw [Ax]M 0 = 1, für alle M 0 ∈ Mx . Analog verfahren wir mit Existenzsätzen: (∃) [∃xA]M = 1 gdw [Ax]M 0 = 1, für mindestens ein M 0 ∈ Mx . Übung: Man überzeuge sich davon, daß (∀) und (∃) für den Fall, daß x in A gar nicht vorkommt, folgendes vorsehen: [∀xA]M = 1 gdw [A]M = 1 und [∃xA]M = 1 gdw [A]M = 1. 31 Winterlogik 2016-17 / fol. 263 Variablen und Quantoren (in monadischer PL) Konsistenz einer Satzmenge (Entscheidbarkeit) Die Definitionen von logischer Wahrheit und Folgerung für MPL-Sprachen bleiben unverändert wie auf p. 26. Eine Formelmenge Γ ist gd konsistent, wenn es ein Modell (eine “Möglichkeit”) gibt, in dem jede Formel in Γ wahr ist. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen Konsistenz, logischer Wahrheit und Folgerung: ◦ Wenn A logisch wahr ist, dann ist die Verneinung von A, also ¬A inkonsistent. ◦ Wenn A aus B folgt, dann ist die Wahrheit von B mit der Verneinung von A, d.h. die Menge {B, ¬A} inkonsistent. Also allgemein: • |= A gdw es kein Modell M gibt so, daß |=M ¬A. • Γ |= A gdw es kein Modell M gibt so, daß |=M Γ ∪ {¬A}. (Der letzte Ausdruck ist kurz für: |=M ¬A und für alle B ∈ Γ, |=M B.) Dieser Zusammenhang erklärt, warum Logiker, deren zentrales Thema ja logische Wahrheit und Folgern ist, sich ebenso für Konsistenz interessieren. 32 Winterlogik 2016-17 / fol. 264 Variablen und Quantoren (in monadischer PL) Frage: Gibt es ein sicheres Verfahren für eine beliebige Satzmenge einer MPL-Sprache zu entscheiden, ob diese konsistent ist? (Wir fragen hier danach, ob Konsistenz und also auch logische Wahrheit und Folgerung in MPL entscheidbar ist.) Antwort: Ja! Das Verfahren beruht darauf, daß wir ∀-Formeln als große Konjunktionen und ∃Formeln als große Disjunktionen wiedergeben können, falls der Bereich, auf den sie sich beziehen endlich ist und es für jedes Objekt im Bereich einen Namen gibt. • Unter der genannten Bedingung kann jede Formel A in eine quantorfreie Formel A∗ umgeformt werden. (Die Anzahl der Konjunkte bzw. Disjunkte, die die Quantoren ersetzen, ist jeweils gleich der Anzahl der Elemente des Bereichs.) Wir betrachten im folgenden den Fall, daß Γ aus nur einer Formel A besteht. (Die Verallgemeinerung liegt dann auf der Hand.) 33 Winterlogik 2016-17 / fol. 265 Variablen und Quantoren (in monadischer PL) A ist konsistent gdw es ein Modell M = (U, I) gibt so, daß |=M A. Schritt 1: Teste A in U1 = {1}, d.h. in Bereichen mit nur einem Element. · Benenne 1 mit einem Namen n1 (d.h. betrachte Interpretationen mit I(n1 ) = 1). · Forme die Quantor-Formeln in A entsprechend um. Also z.B. (∀xP x)∗ = P n1 und ebenso (∃xP x)∗ = P n1 . Resultat: Eine Formel, die höchstens mit Junktoren zusammengesetzt (hier: einfach) ist. · Prüfe (Wahrheitstafel!) ob es eine Interpretation I gibt unter der A∗ wahr sein kann. Ja? Fertig! Nein? Gehe zu Schritt 2! Schritt 2: Teste A in U2 = {1, 2}, d.h. in Bereichen mit zwei Elementen. · Benenne 1 und 2 mit n1 bzw. n2 . · Forme die Quantor-Formeln in A entsprechend um. Also z.B. (∀xP x)∗ = P n1 ∧ Pn 2 und (∃xP x)∗ = P n1 ∨ P n2 . · Prüfe (Wahrheitstafel!) ob es eine Interpretation I gibt unter der A∗ wahr sein kann. Ja? Fertig! Nein? Gehe zu Schritt 3! Schritt 3 : Modelle mit drei Elementen ... ... 34 Winterlogik 2016-17 / fol. 266 Variablen und Quantoren (in monadischer PL) Beispiel : (∃xP x) ∧ (∃x¬P x). Benamsen in U1 = {1} und umformen: P n1 ∧ ¬P n1 . Wahrheitstafel: P n1 P n1 ∧ ¬P n1 0 0 0 1 1 1 0 0 Die Formel ist in jeder Zeile falsch, d.h. es gibt keine Interpretation in U1 unter der sie wahr ist. 35 Winterlogik 2016-17 / fol. 267 Variablen und Quantoren (in monadischer PL) Weiter zu U2 = {1, 2} und umformen: (P n1 ∨ P n2 ) ∧ (¬P n1 ∨ ¬P n2 ). Wahrheitstafel: P n1 P n2 (P n1 ∨ P n2 ) ∧ (¬P n1 ∨ ¬P n2 ) 0 0 0 0 1 0 1 1 1 1 1 0 1 1 1 1 1 1 0 0 Die Formel wird in zwei Zeilen wahr, kann also auf zweierlei Weise im Bereich {1, 2} wahr sein. Fertig! (Die Formel ist konsistent) “Auf zweierlei Weise” bedeutet, daß es zwei Modelle mit Bereich {1, 2} gibt, in denen die Formel wahr ist. In dem einen ist I(P n1 ) = 0 und I(P n2 ) = 1, in dem anderen ist es umgekehrt, I(P n1 ) = 1 und I(P n2 ) = 0. Die folgenden Matrizen geben diese Modelle wieder: 1 2 1 2 P + − P − + 36 Winterlogik 2016-17 / fol. 268 Variablen und Quantoren (in monadischer PL) Das ging nach zwei Schritten gut! Aber hört das immer nach endlich vielen Schritten auf? Und wenn ja, mit wievielen Schritten müssen wir maximal rechnen? Satz 1. Wenn Γ = {A0 , ..., An } eine konsistente Formelmenge einer MPL-Sprache ist, welche n Prädikatausdrücke enthält, dann gibt es ein Modell M = (U, I) mit 2n Elementen in U so, daß |=M Ai , für alle Ai ∈ Γ. (Beweis z.B. in Boolos, Burgess & Jeffrey, Computability and Logic, Kap. 21.) · Für eine Formel mit zwei Prädikatausdrücken müssen wir also mit maximal vier, für eine mit drei mit maximal acht Schritten rechnen, um die Frage der Konsistenz zu entscheiden. · Für eine Formelmenge suchen wir nach einem Modell, welches alle Formeln der Menge wahr macht. So läßt sich z.B. die Frage, ob { ∀x(P x → M x), ∃x(Sx ∧ ¬M x), ¬∃x(Sx ∧ ¬P x) } konsistent ist, d.h. ob {∀x(P x → M x), ∃x(Sx ∧ ¬M x)} |= ∃x(Sx ∧ ¬P x), in maximal 23 (drei Prädikate), d.h. in acht Schritten entscheiden. 37 Winterlogik 2016-17 / fol. 269 Variablen und Quantoren (in monadischer PL) Zusammenfassung A-C • Wir haben gesehen (A), wie wir die Wahrheitsbedingungen von Sätzen angeben, die mit Junktoren zusammengesetzt sind. • Von (A) werden wir auf die Wahrheitsbedingungen immer weniger komplexe Sätze verwiesen, bis wir schließlich die Wahrheitsbedingungen von Primsätzen angeben müssen (B). • Wir haben von Quantoren gebundene Variablen in die Betrachtung einbezogen (C) und die Wahrheitsbedingungen für Sätze mit Quantoren angegeben – unter einer vereinfachenden Annahme, daß wir es mit einer monadischen Prädikatensprache zu tun haben. • Wir haben ein Entscheidungsverfahren für Konsistenz, logische Wahrheit und Folgerung für monadische Formeln vorgestellt. Bevor wir die Beschränkung auf monadische Formeln aufheben, leisten wir uns einen kleinen Exkurs in die Geschichte der Logik. EXKURS ZUR SYLLOGISTIK ... 38 Winterlogik 2016-17 / fol. 270 Goethe-Universität Frankfurt am Main Institut für Philosophie Logik im Winter 2016-17 Prädikatenlogische Sprachen (5): Exkurs zur Syllogistik André Fuhrmann 08PLsyllogistik 161207.0955 Winterlogik 2016-17 / fol. 271 Die moderne Logik, so wie wir sie in dieser VL kennenlernen, entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, vor allem in den Arbeiten von · George Boole (1815-1864) · Charles S. Peirce (1839-1914) · Ernst Schröder (1841-1902) · Gottlob Frege (1848-1825) · Bertrand Russell (1872-1970) und Alfred N. Whitehead (1861-1947) 2 Winterlogik 2016-17 / fol. 272 Zuvor wurde Logik im wesentlichen gleichbedeutend mit aristotelischer Logik, und letztere meist gleichbedeutend mit (einer bestimmten Art von) Syllogistik genommen. Die Lehre von den Syllogismen galt als abgeschlossener Kanon logischen Schließens (oder zumindest als dessen Kern).1 So schreib Kant in der Vorrede zur KdrV (2. Aufl., 1787): Daß die Logik diesen sicheren Gang [einer Wissenschaft] schon von den ältesten Zeiten her gegangen sei, läßt sich daraus ersehen, daß sie seit dem Aristoteles keinen Schritt rückwärts hat tun dürfen [...]. [...] Merkwürdig ist noch an ihr, daß sie auch bis jetzt keinen Schritt vorwärts hat tun können, und also allem Ansehen nach geschlossen und vollendet zu sein scheint. Diese Sicht der Dinge dauerte bis zu den Arbeiten der gerade erwähnten ersten modernen Logiker beinahe unangefochten an — mit Nachgefechten zum Teil noch bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts. Was ist die aristotelische Theorie der Syllogismen? 1 Diese Sicht unterschlägt bedeutende Entwicklungen z.B. in der antiken Stoa aber auch was eine genauere Lektüre von Aristoteles’ eigenen Schriften zur Logik hergibt. 3 Winterlogik 2016-17 / fol. 273 Aristoteles (384-322) nach einer Porträtbüste des Lysipp 4 Winterlogik 2016-17 / fol. 274 Syllogistische Terminologie Syllogistische Terminologie • Zwei Prämissen, eine Konklusion: Erste Prämisse Zweite Prämisse Konklusion • Folgerungen aus nur einer Prämisse sind nicht vorgesehen. Folgerungen aus mehr als zwei Prämissen lassen sich als Ketten (“Sorites”)2 von Syllogismen darstellen. • Prämissen und Konklusionen setzen Terme als Subjekte (S) und Prädikate (P ) miteinander in Beziehung. (Achtung: ‘Term’ hat im Rahmen der Syllogistik eine andere Bedeutung als in der Prädikatenlogik!) · ZB sind die Terme Mensch und Säugetier Subjekt bzw. Prädikat der Aussage Menschen (S) sind Säugetiere (P). 2 Eine engere Verwendung hat der Begiff im Zusammenhang mit der Haufenparadoxie, die wir später behandeln werden. 5 Winterlogik 2016-17 / fol. 275 Syllogistische Terminologie Aristoteles unterscheidet vier Formen der Zusammensetzung von Subjekt und Prädikat. Diese unterscheiden sich (“qualitativ”) danach ob sie das Prädikat bejahen oder verneinen und (“quantitiv”) ob sie sich auf alle oder einige Subjekte beziehen. A E I O (Universal affirmativ): (Universal negativ): (Partikulär affirmativ): (Partikulär negativ): Alle S sind P Kein S ist P Einige S sind P Einige S sind nicht P — — — — kurz: SaP . SeP . SiP . SoP . 6 Winterlogik 2016-17 / fol. 276 Syllogistische Terminologie Die vier Formen stehen jeweils paarweise in logischen Beziehungen zueinander. · Konträre Paare können nicht zugleich wahr sein. · Subkonträre Paare können nicht zugleich falsch sein. · Kontradiktorische Paaren schließen einander aus: Ist die eine Form wahr, ist die andere falsch und umgekehrt. · Folgt die eine Form aus der anderen, dann ist jene dieser unergeordnet (subaltern). Diese Verhältnisse werden traditionell in einem Rechteck der Oppositionen dargestellt ... 7 Winterlogik 2016-17 / fol. 277 Syllogistische Terminologie Aus: Whateley, Elements of Logic (1826) 8 Winterlogik 2016-17 / fol. 278 Syllogistische Terminologie In dieser Darstellung fällt auf, daß aus A die Form I und aus E die Form O folgt (die eine subalterniert die andere); also: (AI) Aus Alle S sind P folgt Einige S sind P, und (EO) aus Kein S ist P folgt Einige S sind nicht P. Nun liegt es heute nahe, die Formen A und I so verstehen, d.h. in PL übersetzen: ∀x(Sx → P x) ∃x(Sx ∧ P x) bzw. Die linke Seite schließt aber sicher nicht die rechte Seite ein. Und E und O stellen wir uns formalisiert so vor: ¬∃x(Sx ∧ P x) bzw. ∃x(Sx ∧ ¬P x). Die linke Seite beschreibt, was es nicht gibt. Daraus kann nichts darüber folgen, was es gibt. Offenbar haben die Syllogistiker die Aussageformen Alle S sind ... und Kein S ist ... in einer Weise verstanden, welche jedenfalls die Existenz des Subjekts S voraussetzt. Wir nehmen das jetzt einfach nur zur Kenntnis und kommen später darauf zurück. 9 Winterlogik 2016-17 / fol. 279 Syllogistische Terminologie Das Paar Alle S sind P (SaP ) und Einige S sind nicht P (SoP ) und ebenso Kein S ist P (SeP ) und Einige S sind P (SiP ) verhalten sich kontradiktorisch zueinander: Die eine Form ist die Verneinung der anderen, und umgekehrt. (Z.B sagt die Verneinung von SaP das gleiche wie SoP , und umgekehrt). Wenn wir die Verneinung einer Form durch einen Überstrich andeuten, dann können wie das auch so ausdrücken: SāP ist gleich SoP . Noch kürzer, und die anderen Formen einbeziehend, notieren wir: ā = o, ē = i, ī = e und ō = a. Es folgt für jede der Formen •, daß ¯ • = •: Doppelte Verneinung ist Bejahung. 10 Winterlogik 2016-17 / fol. 280 Syllogistische Terminologie Aristoteles: Ein Schluß ist eine Rede, in der, wenn etwas gesetzt wird, etwas von dem Gesetzen Verschiedenes notwendig dadurch folgt, daß dieses ist. Erste Analytik(en), 24b Ein Syllogismus ist eine besondere Art von Schluß: • Es müssen zwei Prämissen gesetzt sein. • Prämissen und Konklusion müssen jeweils von einer der vier Formen sein. • Die Prämissen müssen drei Terme so miteinander verknüpfen, daß einer von ihnen (der Mittelterm M , das Eliminandum) in der Konklusion nicht mehr vorhanden ist; z.B. so: SaM M aP SaP Alle Menschen sind Tiere Tiere sind sterblich Alle Menschen sind sterblich Es ist somit klar, daß eine Theorie der syllogistischen Schlüsse keine allgemeine Theorie logischen Schließens sein kann. Syllogismen bilden allenfalls so etwas wie eine natürliche Familie von Schlüssen, relativ zu der Privilegierung von Aussagen der Form A, E, I und O. 11 Winterlogik 2016-17 / fol. 281 Syllogistische Terminologie • Es gibt vier Möglichkeiten S und P aus der Konklusion mit einem Mittelterm M in den Prämissen zu kombinieren. Das sind die Figuren der Syllogismen: M •P S•M I. S•P M •P M •S III. S•P P •M S•M II. S•P M •S P •M IV. S•P (Figur IV ist eine nacharistotelische Erweiterung der Theorie. Für Aristoteles ist IV in I als einfache Spiegelung der Terme enthalten.) • Da jede der drei Aussagen in einer Figur von viererlei Form sein kann (• steht für a, e, i, oder o), gibt es 43 = 64 syllogistische Modi in jeder der Figuren, also 256 Modi insgesamt. • Welche der 256 Modi stellen gültige Folgerungen dar? Das (traditionelle) Corpus von Theorien, welche diese Frage zu beantworten suchen, nennt man Syllogistik. 12 Winterlogik 2016-17 / fol. 282 Syllogistische Terminologie Terminologie: • Ein (syllogistischer) Modus ist ein Schluß der gerade beschriebenen Art. Ein Syllogismus ist ein guter, d.h. gültiger Modus. • Eine Aussage (Prämisse oder Konklusion) der Form SaP , SeP , SiP oder SoP notieren wir manchmal einfach auch so: a, e, i bzw. o. (Im Kontext wird immer deutlich, was gemeint ist.) • Die Form eines Modus (Schlusses) ergibt sich aus den Formen der Prämissen und der Konklusion. Sind z.B. alle drei von der Form A, dann notieren wir die Form des Schlusses mit aaa. Die Form aaa in Figur I (kurz: aaa in I) ist also der Schluß M aP SaM . SaP Übungen: 1. Was ist (die Form) aaa in (Figur) II, in III, und in IV? 2. Was meinen Sie: In welcher der Figuren gibt aoo einen guten Schluß ab? 13 Winterlogik 2016-17 / fol. 283 Syllogistische Terminologie Es hat sicher zur Faszination der Syllogistik über die Jahrhunderte und bis in unsere Tage beigetragen, daß man die Frage nach den gültigen Modi auf sehr verschiedene Weise beantworten kann. Hier sind nur einige Ansätze: · Distributionslehre der mittelalterlichen Scholastik · Leibniz’ Kalkül charakteristischer Zahlen (1679) · Venn-Diagramme (ca. 1880) · Lewis Carrolls Game of Logic (1886) · Lukasiewicz’ Versuch einer Axiomatisierung in einer reduzierten PL (1951) Den ältesten Ansatz, die Methode der Reduktion, führte Aristoteles selbst (in der Ersten Analytik ) aus.3 Dieser Ansatz war bis ins 19. Jahrhundert zentrales Lehrstück jeden Logik-Unterrichts. Schon aus antiquarischer Neugier – und zur Entspannung – wollen wir uns das einmal näher anschauen. 3 Manche Übersetzer ziehen den Plural Erste Analytiken vor. 14 Winterlogik 2016-17 / fol. 284 Syllogistische Terminologie Was nun folgt, ist nur sehr eingeschränkt eine AristotelesInterpretation. Syllogistik ist im Laufe der Jahrhunderte philosophisches Allgemeingut geworden. Die Lehre bleibt im Kern gleich; aber sie kann verschieden dargestellt und erläutert werden. 15 Winterlogik 2016-17 / fol. 285 Aristotelische Syllogistik: Reduktion Aristotelische Syllogistik: Reduktion Hier noch einmal die Schlußfiguren und die Aussageformen: I. M •P S•M S•P M •P M •S III. S•P II. P •M S•M S•P P •M M •S IV. S•P a : Alle A sind B e : Kein A ist B i : Einige X sind Y o : Einige X sind nicht Y Vollkommen nenne ich einen Schluß, der, damit seine Notwendigkeit einleuchtet, außer den Voraussetzungen keiner weiteren Bestimmung bedarf, unvollkommen einen solche, der noch einer oder mehrerer weiteren Bestimmungen bedarf, die zwar wegen der zugrundeliegenden Begriffe notwendig gelten, aber nicht in den Vordersätzen enthalten sind. Erste Analytik, 24b Aristoteles beginnt mit einer Basis unmittelbar einsichtiger, d.h. vollkommener Schlüsse. Um die unvollkommenen Schlüsse einzusehen, brauchen wir allgemeine Prinzipien (“weitere Bestimmungen”), die es erlauben, jene auf die vollkommenen zurückzuführen (zu reduzieren). Solche Prinzipien werden als Reduktionsregeln zur Verfügung gestellt. 16 Winterlogik 2016-17 / fol. 286 Aristotelische Syllogistik: Reduktion Die vollkommenen Schlüsse Für Aristoteles sind alle gültigen Schlüsse der Figur I vollkommen. (Ihre Gültigkeit ist unmittelbar einsichtig aufgrund dessen, was von allem und nichts gesagt werden kann, “dictum de omni et nullo”. Wir überspringen diese Begründung hier.) Also Barbara: M aP SaM / SaP Celarent: M eP SaM / SeP Darii : M aP SiM / SiP Ferio: M eP SiM / SoP (Auf die im wörtlichen Sinne merkwürdigen Namen kommen wir gleich zurück.) Die Idee der Aristotelischen Reduktion ist es nun, genügend (einsichtige) Regeln anzugeben, mit deren Hilfe die “unvollkommenen” Schlüsse auf die vollkommenen zurückgeführt werden können: • Wenn so gezeigt wird, daß der Schluß S* gut ist unter der Voraussetzung, daß S gut ist, dann ist S* auf S zurückgeführt; S* also gut relativ zu S. • Und wenn S vollkommen ist, dann ist durch die Reduktion von S* auf S die Güte von S* “vollkommen” gesichert. 17 Winterlogik 2016-17 / fol. 287 Aristotelische Syllogistik: Reduktion Die Reduktionsregeln Im folgenden sollen A, B für beliebige Terme und x, y für beliebige Aussagen stehen. Wie schon angekündigt, schreiben wir auch einfach a, e, i, o um Aussagen der Form A (AaB), E (AeB), U (AiB) und O (AoB) abzukürzen. (s) Einfache Konversion (conversio simplex ) Einige A sind B bedeutet dasselbe wie Einige B sind A, und Kein A ist B bedeutet dasselbe wie Kein B ist A. Solche Aussagen dürfen also jederzeit gegeneinander ausgetauscht werden, was wir kurz so notieren: AiB ≡ BiA und AeB ≡ BeA (m) Prämissenvertauschung (mutatio) Die Reihenfolge der Prämissen ist unwichtig: xy/z ⇔ yx/z 18 Winterlogik 2016-17 / fol. 288 Aristotelische Syllogistik: Reduktion (c) Kontraposition (conversio per contrapositionem) Wenn xy/z ein guter Schluß ist, dann ist auch x nicht-z / nicht-y ein guter Schluß, und umgekehrt. (Für nicht-x schreiben wir, wie zuvor, kurz x̄.) Also kurzum: x y / z ⇔ x z̄ / ȳ. Unter Verwendung der bekannten Gleichungen (siehe p. 10) ā = o, ē = i, ī = e und ō = a folgen 42 = 16 Instanzen der allgemeinen (c)-Regel, die wir jederzeit verwenden dürfen, z.B. x a / e ⇔ x ē / ā [= x i / o]. 19 Winterlogik 2016-17 / fol. 289 Aristotelische Syllogistik: Reduktion (r) Umbuchstabierung ist jederzeit erlaubt, denn es kommt nicht darauf an, wie die Terme benannt sind. Z.B. AaB BiC / AoC ⇔ BaA AiC / BoC (A und B vertauscht) Alle bisherigen Regeln waren Äquivalenzumformungen, angezeigt durch den Doppelpfeil ⇔. Die letzte Regel hat nur eine Richtung. (p) Akzidentelle Konversion (conversio per accidens) Nach dem Rechteck haben wir diese zwei Subalternationsverhältnisse: a → i und e → o. Nun sind offensichtlich die folgenden Übergänge von einem Schluß (und einer Subalternationsannahme) zu einem anderen Schluß gut: x y / z z → z∗ x∗ → x x y / z x y / z∗ x∗ y / z Daraus ergeben sich die folgenden vier Reduktionsregeln: xy /i⇐xy /a xy /o⇐xy /e iy /z⇐ay /z oy /z⇐ey /z 20 Winterlogik 2016-17 / fol. 290 Aristotelische Syllogistik: Reduktion xy /i⇐xy /a xy /o⇐xy /e iy /z⇐ay /z oy /z⇐ey /z Der Doppelpfeil gibt die Folgerungsrichtung an. Wir haben ihn hier von rechts nach links deuten lassen, denn in der Rückführung einer unvollkommenen auf einen vollkommenen Schluß beginnen wir “links” mit dem unvollkommenen und zeigen – “nach rechts” – wie er aus einem vollkommenen folgt. Tatsächlich werden wir gleich nicht von links nach rechts, sondern von oben nach unten verfahren. D.h. (p) erlaubt uns zB (Regel oben links) so zu reduzieren xy/i (p), xy/a in der Absicht, mit der zweiten Zeile einem vollkommenen Syllogismus näher gekommen zu sein. 21 Winterlogik 2016-17 / fol. 291 Aristotelische Syllogistik: Reduktion Einschub: Syllogistik als axiomatisches System Terme: A, B, C, ...; auch M, P, und S. (Elementare) Copulæ: a, e, i, o. Strich: −. Wenn • eine Copula ist, dann ist auch ¯ • eine Copula. Wenn A und B Terme sind und • eine Copula ist, dann ist A • B ein Satz. (Variablen: x, y, z, ...) Ein Schluß ist ein Tripel (x, y, z) (kurz: xyz) von Sätzen. Frage: Welche Schlüsse sind gut (Syllogismen?) “Aristoteles”: Solche Schlüsse, die sich im folgenden axiomatischen System ableiten lassen ... (Ableitungen sind Umkehrungen von Reduktionen!) 22 Winterlogik 2016-17 / fol. 292 Aristotelische Syllogistik: Reduktion Axiome (M aP, SaM, SaP ) (M eP, SaM, SeP ) (M aP, SiM, SiP ) (M eP, SiM, SoP ) Barbara Celarent Darii Ferio (s1-2) (m) (n1-4) (c) AiB = BiA AeB = BeA xyz = yxz ā = o ē = i ī = e ō = a xyz = xz̄ ȳ Regeln (p1-4) xya xyi xyo xye iyz ayz oyz eyz (r) Gleichförmige alphabetische Ersetzung (Umbuchstabierung). (=) Gleiche (=) Ausdrücke dürfen ausgetauscht werden. 23 Winterlogik 2016-17 / fol. 293 Aristotelische Syllogistik: Reduktion Beispiele für Reduktionen Von den 256 möglichen Modi sind nur wenige gültig, d.h. Syllogismen, nämlich 24. Von diesen sind einige uninteressant. Generell ist ein Schluß uninteressant (“subaltern”), wenn aus den gleichen Prämissen legitim auf eine stärkere, also interessantere Konklusion geschlossen werden kann. Z.B. ist aai in Figur I gültig, jedoch ist auch aaa in I mit der stärkeren Konklusion a statt i gültig. Ebenso uninteressant sind Modi mit Konklusion o für die es einen gültigen Modus mit der stärkeren Konklusion e gibt. Von den Syllogismen sind fünf in diesem Sinne uninteressant. Von den verbleibenden 19 sind vier vollkommen. Es bleibt also die Aufgabe, Reduktionen für 15 Syllogismen zu finden. Für die 19 interessanten Syllogismen gibt es eine Folge von Versen, die man sich gut merken kann, weil sie Hexameter sind ;-) — Namen der Modi kursiv: I. II. III. IV. Barbara, Celarent, Darii, Ferioque prioris; Cesare, Camestres, Festino, Baroco secundae; Tertia Darapti, Disamis, Datisi, Felapton, Bocardo, Feriso habet; quarta insuper addit Bramantip, Camenes, Dimaris, Fesapo, Fresison. 24 Winterlogik 2016-17 / fol. 294 Aristotelische Syllogistik: Reduktion ... , Darapti, Disamis, Datisi, Felapton, Bocardo, Feriso, ... Es fällt etwas auf: 1. Es kommen nur die Vokale a, e, i und o vor. 2. Jeder unvollkommene Modus beginnt mit dem Anfangsbuchstaben eines vollkommenen Modus (Barbara, Celarent, Darii oder Ferio). 3. Unter der Konsonanten unmittelbar nach Vokalen sind besonders oft s, m, c, r und p zu finden. Ja, Sie vermuten richtig: Ad 1. Darapti weist auf einen Schluß der Form aai, Felapton auf einen der Form eao hin, usw. Ad 2. Darapti, Disamis und Datisi werden auf Darii, Felapton und Feriso auf Ferio, und Bocardo auf Barbara reduziert. Ad 3. Für die Reduktion von Darapti wenden wir zuerst (r) und dann (p) an; für Disamis erst (s), dann (m); in der Reduktion von Felapton kommt (p) zum Zuge. Ferner beziehen sich die Regelkonsonanten immer auf die vorangehenden Prämissenvokale. 25 Winterlogik 2016-17 / fol. 295 Aristotelische Syllogistik: Reduktion Reduktion nach (c) und (p) wird in den Merknamen immer registriert, die anderen Regeln oft nicht; ‘t’ deutet meist (s) an. Die Merknamen geben jedenfalls immer die Form des Schlusses und das Reduktionsziel sowie die wichtigsten Umformungen an. Wenn man sich zum Namen die Figur merkt, dann geht daraus eindeutig der Modus hervor. Es folgen Beispiele für Reduktionen unvollkommener auf vollkommene Syllogismen. Baroco (II) auf Barbara: P aM SoM / SoP M aP SoP / SoM M aP S ōM / S ōP M aP SaM / SaP P aM SoM / SoP (r : MP) (c) = oder auch so: P aM S ōP / S ōM P aM SaP / SaM M aP SaM / SaP (c) = (r : MP) 26 Winterlogik 2016-17 / fol. 296 Aristotelische Syllogistik: Reduktion Ähnlich verläuft die Reduktion von Bocardo (III) auf Barbara: M oP M aS / SoP M aS M oP / SoP M aS S ōP / M ōP M aS SaP / M aP SaM M aP / SaP M aP SaM / SaP (m) (c) = (r : SM) (m) 27 Winterlogik 2016-17 / fol. 297 Aristotelische Syllogistik: Reduktion Camestres (II) auf Celarent: P aM SeM / SeP SeM P aM / SeP M eS P aM / SeP M eS P aM / P eS M eP SaM / SeP (m) (s) (s) (r : PS) Darapti (III) auf Darii : M aP M aS / SiP M aS M aP / P iS M iS M aP / P iS M iS M aP / SiP M aP M iS / SiP M aP SiM / SiP (r : SP) (p) (s) (m) (s) 28 Winterlogik 2016-17 / fol. 298 Aristotelische Syllogistik: Reduktion Bramantip (IV) auf Barbara: P aM M aS / SiP SaM M aP / P iS M aP SaM / P iS M aP SaM / SiP M aP SaM / SaP (r : PS) (m) (s) (p) Natürlicher ist es eigentlich, solche Reduktionen von unten nach oben im Sinne von Ableitungen zu lesen: Wir beginnen mit vollkommenen Modi (Axiome) und leiten aus diesen durch die Anwendung von Regeln unvollkommene Modi ab. Übungen: Sehen Sie sich den Merkvers auf p. 24 an und versuchen Sie an Hand der Hinweise in den Namen Reduktionen durchzuführen. 29 Winterlogik 2016-17 / fol. 299 Syllogismen in der Prädikatenlogik Syllogismen in der Prädikatenlogik Schon die Sprache der monadischen Prädikatenlogik (MPL) ist ausdrucksstark genug, um alle aristotelischen Formen auf naheliegende Weise wiedergeben zu können – mit einer Einschränkung, die wir schon genannt haben und auf die wir sogleich zurückkommen werden. A E I O Alle S sind P Kein S ist P Einige S sind P Einige S sind nicht P ∀x(Sx → P x) ¬∃(Sx ∧ P x) ∃x(Sx ∧ P x) ∃x(Sx ∧ ¬P x) Für die Sprache der MPL haben wir auch eine Definition der Folgerung mit der wir die Gültigkeit der meisten der Modi nachweisen können. (Hier für den Fall zweier Prämissen:) (|=) C folgt aus den Prämissen A und B genau dann, wenn in jedem Modell, in dem A und B wahr sind, auch C wahr ist. (Notation: A, B |= C.) 30 Winterlogik 2016-17 / fol. 300 Syllogismen in der Prädikatenlogik Es ist klar — wir haben schon darauf hingewiesen —, daß nach der Def. (|=) die beiden Folgerungen (Sub) A |= I und E |= O nicht gültig sind — jedenfalls nicht so, wie wir die Formen gerade formalisiert haben. Wenn (Sub) gültig sein soll, dann müssen wir also entweder in die Definition von |= eingreifen (Strategie 1, unten) oder die Formen anders formalisieren (Strategie 2). • Alle vollkommenen und die meisten der unvollkommenen Modi sind nach der naheliegenden Formalisierung und der Def. (|=) gültig. Die Nachweise sind — im Gegensatz zu manchen syllogistischen Reduktionen — trivial. • Ungültig sind jene vier Modi, die (Sub) voraussetzen, die Sub-Modi, wie wir sie nennen wollen. In den Namen werden diese durch die Gegenwart des Konsonanten ‘p’ angezeigt, denn es ist allein die Konversion per accidens (p) welcher von den Subalternationen Gebrauch macht; also: Darapti, Felapton, Bramantip und Fesapo. Es gibt zwei Strategien, um auch die Sub-Modi als gültig auszuzeichnen. / ... 31 Winterlogik 2016-17 / fol. 301 Syllogismen in der Prädikatenlogik Erste Strategie: Einschränkung der Modelle ∀x(Sx → P x) (SaP ) schließt ∃x(Sx ∧ P x) (SiP ) ein und ebenso folgt ∃x(Sx ∧ ¬P x) (SoP ) aus ¬∃x(Sx ∧ P x) (SeP ), wenn S und P für instantiierte Eigenschaften stehen. • Die Syllogistik erweist sich als richtig bezüglich |=, wenn wir nur Modelle betrachten, in denen die in den Syllogismen vorkommenden Terme nichtleere Eigenschaften bezeichnen. Also: (|=0 ) C folgt aus den Prämissen A und B genau dann, wenn in jedem Modell, in dem alle in A, B, und C vorkommenden Terme nichtleere Eigenschaften bezeichnen und in dem A und B wahr sind, auch C wahr ist. Man kann sich leicht davon überzeugen, daß nun die Sub-Modi gültig sind. Die Nichtsub-Modi bleiben weiterhin gültig, denn was in einer größeren Klasse von Modellen gültig ist, kann in einer Teilklasse davon nicht ungültig sein. 32 Winterlogik 2016-17 / fol. 302 Syllogismen in der Prädikatenlogik • Problem: Technisch funktioniert diese Lösung aber sie geht einen Schritt zu weit. Für die aristotelischen Subalternationen sind Existenzvoraussetzungen nur für die Subjekte, nicht für alle Terme nötig. · Alle S sind ... setzt S-Dinge voraus. Daher folgt Es gibt S, die ... · Kein S ist ... setzt ebenfalls S-Dinge voraus. Daher folgt Einige S sind nicht ... Man beachte insbesondere, wie unplausibel die Annahme ist, daß Kein S ist P (zB Kein Lebewesen ist ein Einhorn) die Existenz von P -Dingen voraussetzt! • Lösung: Wir können die Definition (|=0 ) weiter verfeinern, indem wir auf die Subjekt-Prädikat-Struktur syllogistischer Prämissen Bezug nehmen, und nur für die Subjekte Instantiierung fordern. (...) ◦ Die nächste Strategie tut im Grunde genau das. Aber sie tut es nicht durch eine direkte Einschränkung der Klasse der Modelle, von denen in (|=) die Rede ist. Vielmehr führt sie die Einschränkung indirekt herbei, indem sie diese in der Formalisierung beschreibt. 33 Winterlogik 2016-17 / fol. 303 Syllogismen in der Prädikatenlogik Zweite Strategie: Veränderte Übersetzung Es spricht einiges dafür, daß das Prädikationswort ist (Plural sind) von den “Alten” mit einer existenziellen Nebenbedeutung benutzt wurde. Sokrates ist weise soll nicht nur ausdrücken, daß Sokrates eine bestimmte Eigenschaft hat, sondern auch, daß Sokrates ist, d.h. existiert. Ähnliches gilt für Alle Philosophen sind weise: Sie haben die Eigenschaft der Weisheit — und sie sind. Die Idee hinter SaP ist es also (im Beispiel), daß wir mit (1) Alle Philosophen sind weise etwas mehr sagen wollen als bloß (2) Wenn jemand ein Philosoph ist, dann ist er weise; nämlich auch dies: (3) Es gibt Philosophen. D.h. (1) bedeutet soviel wie (2) und (3).4 4 Warum das keine gute Idee sein kann, erklärt Frege in “Sinn und Bedeutung” (1892), pp. 39f. 34 Winterlogik 2016-17 / fol. 304 Syllogismen in der Prädikatenlogik Der Vorschlag, SaP so wiederzugeben: (4) SaP (A) = ∀x(Sx → P x) ∧ ∃x(Sx), hat sogleich den ersten gewünschten Effekt für A |= I [= ∃x(Sx ∧ P x)] — |= hier im Sinne der Def. (|=), d.h. ohne Einschränkung! Das ist die eine Hälfte von (Sub). Wie steht es mit der anderen Hälfte, E |= O ? Das Rechteck verlangt, daß A und O einander widersprechen, daß also A die Negation von O ist, und umgekehrt. Das bedeutet, daß wir O so formalisieren müssen: (5) SoP (O) = ¬SaP = ¬(∀x(Sx → P x) ∧ ∃xSx) = ¬∀x(Sx → P x) ∨ ¬∃xSx. Diese Formalisierung hat den zweiten gewünschten Effekt: E [¬∃x(Sx ∧ P x)] |= O. (Übung: Überprüfen Sie das!) Damit gelten nun beide Teile von (Sub). Alle Syllogismen in der geänderten Formalisierung stellen sich als gültige Folgerungen im Sinne der Definition (|=) heraus. 35 Winterlogik 2016-17 / fol. 305 Syllogismen in der Prädikatenlogik • Problem: Technisch funktioniert auch diese Lösung aber sie scheint in der Sache ungenügend begründet zu sein. Wir haben unsere Neuformalisierung von A so begründet: In der Syllogistik folgt aus der Prädikation von einem Subjekt, daß es das Subjekt gibt. (Existenzielle Nebenbedeutung der Copulæ ist/sind.) So folgt aus Alle Philosophen sind ... , daß es Philosophen gibt. Das gleiche sollte auch für (6) Einige Philosophen sind nicht ... und für Kein Philosoph ist ... · Aber wenn wir den linken Satz in (6) (von der Form SoP ) mit ¬∀x(Sx → P x) ∨ ¬∃xSx wiedergeben, dann folgt nicht, daß es Philosophen gibt. (Aus SoP , so formalisiert, folgt nicht, daß es das Subjekt S gibt.) · Ebensowenig folgt aus dem rechten Satz in (6) (von der Form SeP, also ¬∃x(Sx ∧ P x) ), daß es Philosophen gibt. (Aus SeP , so formalisiert, folgt nicht, daß es S gibt.) Mit der Idee, daß die Prädikation in der Syllogistik immer die Existenz des Subjektes der Prädikation einschließt, läßt sich die vorgeschlagene Formalisierung also nicht begründen. 36 Winterlogik 2016-17 / fol. 306 Syllogismen in der Prädikatenlogik Verifikation von Syllogismen in monadischer PL Es sei M = (U, I) ein Modell für die MPL. Zur Erinnerung: (¬) (∧) (→) (∀) (∃) |=M ¬A |=M A ∧ B |=M A → B |=M ∀xA |=M ∃xA gdw gdw gdw gdw gdw 6|=M A |=M A und |=M B 6|=M A oder |=M B für alle M 0 ∈ Mx : |=M 0 A(x) für mindestens ein M 0 ∈ Mx : |=M 0 A(x) Die Erfüllungsbedingungen für Primformeln und für Disjunktionen werden jetzt nicht gebraucht. Und ebenfalls noch einmal zur Erinnerung: (|=) C folgt aus den Prämissen A und B (A, B |= C) genau dann, wenn für beliebige M gilt: Unter den Annahmen |=M A und |=M B ist |=M C. 37 Winterlogik 2016-17 / fol. 307 Syllogismen in der Prädikatenlogik Beispiel: Baroco P aM SoM / SoP . Instanz (Whateley): Jeder wahre Patriot ist ein Freund der Religion Einige große Staatsmänner sind keine Freunde der Religion Einige große Staatsmänner sind keine wahren Patrioten (Einfache) Formalisierung: ∀x(P x → M x), ∃x(Sx ∧ ¬M x) |= ∃x(Sx ∧ ¬P x). Verifikation: Wir betrachten ein beliebiges Modell M und nehmen an, daß (1) |=M ∀x(P x → M x) und (2) |=M ∃x(Sx ∧ ¬M x) (Zu zeigen ist, daß |=M ∃x(Sx ∧ ¬P x), d.h. nach (∃), daß es ein N ∈ Mx gibt mit |=N Sx ∧ ¬P x, was nach (∧) und (¬) bedeutet, daß (a) |=N Sx und (b) 6|=N P x.) Wenn wir (1) und (2) auspacken (nach (∀) und (→), bzw. nach (∃), (∧) und (¬)), dann erhalten wir: (3) Für alle M 0 ∈ Mx : 6|=M 0 P x oder |=M 0 M x; und (4) es gibt ein N ∈ Mx : |=N Sx und 6|=N M x. (4) gibt uns unmittelbar (a). Aus 6|=N M x und (3) folgt 6|=N P x, d.h. (b). QED 38 Winterlogik 2016-17 / fol. 308 Syllogismen in der Prädikatenlogik • Das Beispiel ist typisch: Jeder Nachweis, daß ein Syllogismus ein gültiger Schluß im Sinne von |= ist, folgt diesem Muster. • Die Nachweise haben etwas Mechanisches an sich (wie alle guten Methoden zur “Ausrechnung” syllogistischer Modi): · Die Übertragung in die Formelsprache folgt vier einfachen Mustern. · Die Komplexität der Formeln wird durch die Erfüllungsbedingungen für die Junktoren und Quantoren bis zu den Primformeln in eindeutiger Weise heruntergebrochen. · Schließlich zwingt ein elementares Verständnis der deutschen Wörter “nicht”, “oder”, “und”, “alle” und “es gibt” den Blick auf das richtige Ergebnis. • Ähnliches gilt für Gegenbeispiele zu Modi, die keine Syllogismen sind. Diese lassen sich recht einfach gescheiterten Verifikationsversuchen entnehmen. Wir können uns jedoch auch des Entscheidungsverfahrens für Folgerung in monadischen Prädikatensprachen bedienen. /... Übung: Wir beschreiben hier nur in kurzer Form das Resultat des Verfahrens. Verifizieren Sie das Resultat, indem Sie das Verfahren Schritt für Schritt, d.h. wie zuvor ausführlich beschrieben, durchführen. 39 Winterlogik 2016-17 / fol. 309 Syllogismen in der Prädikatenlogik Beispiel: P oM SaM/SeP . (Das ist oae in II) Instanz: Einige große Staatsmänner sind keine Freunde der Religion Jeder wahre Patriot ist ein Freund der Religion Kein wahrer Patriot ist ein großer Staatsmann (Einfache) Formalisierung: ∃x(P x ∧ ¬M x), ∀x(Sx → M x) |= ¬∃x(Sx ∧ ¬P x). Wir testen die Konsistenz von Γ = {∃x(P x ∧ ¬M x), ∀x(Sx → M x), ∃x(Sx ∧ ¬P x)}. (Falls Γ konsistent ist, kann der Schluß nicht gültig sein.) Wir kürzen ab: Im dritten Schritt stoßen wir gleich auf mehrere Modelle für Γ mit U = {1, 2, 3}. Darin verteilen die Interpretationen I die Elemente über S, P und M so: 1 S + P − M + 2 3 + − + − (Die Lücken in der P -Zeile deuten an, daß es gleichgültig ist ob P auf 2 oder 3 zutrifft (+) oder nicht (−). Die Matrix bescheibt also vier Modelle für Γ.) 40 Winterlogik 2016-17 / fol. 310 Zusammenfassung Zusammenfassung • Die traditionelle Syllogistik ist eine komplizierte Theorie für eine eng umschriebene Familie von Folgerungen. • Die Semantik der Prädikatenlogik ist eine einfache Theorie für eine viel umfassendere Familie von Folgerungen. Warum es dennoch lohnt, sich mit Syllogistik zu beschäftigen: • Über mehr als 2000 Jahre wichtiger Teil der Philosophiegeschichte (nicht nur des Abendlandes). • Als Nebenprodukte: Auch heute noch interessante Theorien zur Struktur und Semantik von Aussagen. In mancher Hinsicht ist die Syllogistik die Keimzelle der modernen Sprachphilosophie. • Graphische Darstellungen logischer Schlüsse. • Reines Vergnügen an einfallsreicher Abstraktion und Systematisierung. 41 Winterlogik 2016-17 / fol. 311 Goethe-Universität Frankfurt am Main Institut für Philosophie Logik im Winter 2016-17 Prädikatenlogische Sprachen (6): Semantik der allgemeinen PL André Fuhrmann 09PLsemantik1 161226.1401 Winterlogik 2016-17 / fol. 312 Erste Theorie: Variablen interpretieren Erste Theorie: Variablen interpretieren Am Ende der letzten VL haben wir eine Bedeutungstheorie für prädikatenlogische Sprachen mit zwei Einschränkungen angegeben: · Prädikatausdrücke sind höchstens einstellig (MPL), und · Terme sind nur Individuenkonstanten und Variablen (keine Termbildung durch Funktionen). Diese beiden Einschränkungen sind einfach aufzuheben, indem wir die Klausel für Primformeln [P t] = 1 gdw I(P )(I(t)) = 1 so verallgemeinern: (P ) [P n (t0 ...tn )] = 1 gdw I(P n )(h[t0 ], ..., [tn ]i) = 1. (Die spitzen Folgeklammern lassen wir jetzt weg.) 2 Winterlogik 2016-17 / fol. 313 Erste Theorie: Variablen interpretieren (P ) [P n (t0 ...tn )] = 1 gdw I(P n )([t0 ], ..., [tn ]) = 1. Wenn ein Term t eine Variable oder eine Konstante ist, dann ist [t] = I(t); also zB [x] = I(x) = 2, [1] = I(1) = 1. Das ist der erste Teil unserer Festlegung für die Interpretation von Termen: (T.a) [t] = I(t), falls t in VAR oder in IND. Wenn t ein komplexer Term ist, also t = f (t0 , ...tm ), denn ist (T.b) [f (t0 , ...tm )] = I(f )([t0 ], ..., [tm ]). An einfachen Beispielen wird der Sinn dieser Gleichung schnell deutlich. /... 3 Winterlogik 2016-17 / fol. 314 Erste Theorie: Variablen interpretieren (T.a) (T.b) [t] = I(t), falls t in VAR oder in IND; [f (t0 , ...tm )] = I(f )([t0 ], ..., [tm ]). Beispiele: 1. Der Term +(1, 2) (oder 1+2, wie wir gewöhnlich schreiben) bezeichnet die Zahl 3 in einem Modell mit I(1) = 1, I(2) = 2 und I(+) = Plus. Warum? Nun, [+(1, 2)] = I(+)([1], [2]) nach (T.b); ... = I(+)(I(1), I(2)) nach (T.a); ... = Plus(1, 2) im betrachteten Modell; d.h. [+(1, 2)] = 3. 2. Nehmen wir an, daß im gerade betrachten Modell außerdem I(x) = 1 und I(−) = Minus. Dann gilt für (1 + x) + (2 − x), d.h. (Präfix!) +(+(1, x), −(2, x)) : [+(+(1, x) − (2, x))] = I(+)(I(+)([1], [x]), I(−)([2], [x])) nach (T.b). ... = Plus(Plus(1, 1), Minus(2, 1)) nach (T.a) und dem, was wir für I im Modell vereinbart haben; d.h. [+(+(1, x) − (2, x))] = 3. 4 Winterlogik 2016-17 / fol. 315 Erste Theorie: Variablen interpretieren Schließlich seien hier noch einmal die Klauseln für die Quantoren wiederholt. Wir definieren zunächst die Relation ∼x der x-Varianz zwischen Interpretationen in einem Bereich U : • I 0 ∼x I gdw für alle von x verschiedenen (elementaren) Ausdrücke φ der Sprache: I 0 (φ) = I(φ). (Man beachte: I ∼x I !) • Sodann sei Mx die Menge aller x-Varianten von M = (U, I), d.h. die Menge aller Modelle M 0 = (U, I 0 ) mit I 0 ∼x I. (∀) (∃) [∀xA]M = 1 gdw [A]M 0 = 1, für alle M 0 ∈ Mx . [∃xA]M = 1 gdw [A]M 0 = 1, für mindestens ein M 0 ∈ Mx . 5 Winterlogik 2016-17 / fol. 316 Zweite Theorie: Variablen belegen Zweite Theorie: Variablen belegen Die erste Theorie ist einfach, hat aber (vielleicht) einen kleinen Schönheitsfehler. • In jedem Modell ist eine offene Formel wie 2 + x = 4 ebenso wahr (1) oder falsch (0) wie ein Satz 2 + 2 = 4. Denn in jedem Modell erhält die Variable x durch die Interpretation I ebenso eine Bedeutung wie die Konstante 2. • Wir könnten sagen, daß die Wahrheit von 2 + x = 4 nur eine relative ist: relativ zum Wert von x unter I. — Aber das gilt ebenso für 2 + 2 = 4. Auch die Wahrheit dieses Satzes ist u.a. relativ zur Bedeutung von 2 im betrachteten Modell. • Viele Logiker möchten sagen: Offene Formeln unterscheiden sich von geschlossenen Formeln (Sätzen) nicht nur syntaktisch. Semantisch unterscheiden sie sich darin, daß Sätze, nicht aber offene Formeln (in einem Modell) wahr oder falsch sind. 6 Winterlogik 2016-17 / fol. 317 Zweite Theorie: Variablen belegen Nun hängt aber der Wahrheitswert eines Satzes wie ∀x(P x ∧ Qa) ab von bestimmten Eigenschaften der Formel P x ∧ Qa und diese wiederum von Eigenschaften der offenen Formel P x und der geschlossenen Formel Qa. Im Gegensatz zu Qa kann die gesuchte Eigenschaft von P x jedoch nicht ihr Wahrheitswert sein, denn offene Formeln sind ja weder wahr noch falsch. Wir brauchen also eine Eigenschaft, die auf offene wie auf geschlossene Formeln zutreffen und die gewünschte Rolle in der Bestimmung des Wahrheitswertes von ∀x(P x ∧ Qa) spielen kann. 7 Winterlogik 2016-17 / fol. 318 Zweite Theorie: Variablen belegen • Im Rahmen der Interpretationstheorie könnten wir sagen, daß die semantischen Werte 1 und 0 — entgegen dem Eindruck, den wir bisher erweckt haben — nicht für die Wahrheitswerte Wahr und Falsch, sondern für etwas Allgemeineres stehen, das auch Wert offener Formeln wie 2 + x = 4 sein kann. (Vieleicht sollten wir nicht “1” und “0”, sondern “4” und “5” schreiben.) Am Ende könnten wir dann sagen, daß eine Formel A in einem Modell wahr im eigentlichen Sinne ist, wenn A in dem Modell den Wert 1 (4) hat und geschlossen, also ein Satz ist. Die jetzt zu besprechende Theorie geht im Grunde so vor. Um das gerade skizzierte Problem zu lösen, hat Alfred Tarski die Eigenschaft der Erfüllung einer (geschlossenen oder offenen) Formel in einem Modell unter einer Belegung der Variablen eingeführt. Diese Behandlung darf als klassisch gelten und findet sich in vielen Lehrbüchern der Logik. Unter Philosophen ist sie als Tarskis semantische Definition der Wahrheit bekannt. 8 Winterlogik 2016-17 / fol. 319 Zweite Theorie: Variablen belegen Die Idee ist sehr einfach: • In einem Modell (U, I) ist I zuständig für die Interpretation aller elementaren Audrücke, ausgenommen der Variablen! D.h., wie zuvor, gilt für Individuenkonstanten a, Funktionsausdrücke f und Prädikatausdrücke P : (n) (f) (P) I(a) ∈ U I(f n ) : U n −→ U I(P n ) ... (Für Prädikatausdrücke müssen wir uns gleich etwas neues einfallen lassen.) • Sodann nehmen wir zu jedem Modell M eine Belegung h hinzu, welche jede Variable x der Sprache mit einem Wert in U belegt: (v) h(x) ∈ U 9 Winterlogik 2016-17 / fol. 320 Zweite Theorie: Variablen belegen Betrachten wir ein Modell M = (U, I) zusammen mit eine Belegung h der Variablen in U . (Das wollen wir künftig so andeuten: M h.) · Von der Formel 1 + x = 3 können wir nicht sagen, daß sie wahr oder falsch ist. · Aber wir können sagen, daß die Zahl 2 die in der Formel ausgedrückte Eigenschaft hat. · Oder etwas anders: Wenn wir die Variable x mit der Zahl 2 belegen, dann hat die Formel die Eigenschaft, unter dieser Belegung erfüllt zu werden (vorausgesetzt wir interpretieren die anderen Zeichen in der Formel wie gewöhnlich). · M h erfüllt die Formel 1 + x = 3 gdw wenn I(+) =Plus, I(=)=Identität, I(1) = 1, I(3) = 3 — und h(x) = 2. · M h erfüllt die Formel 1 + 2 = 3 gdw wenn I(+) =Plus, I(=)=Identität, I(1) = 1, I(2)=2, I(3) = 3 — gleichgültig wie h die Variablen der Sprache belegt. 10 Winterlogik 2016-17 / fol. 321 Zweite Theorie: Variablen belegen · Die Formel 1 + x = 3 wird unter einer bestimmten Belegung der Variablen x erfüllt, unter einer anderen nicht. · Die Formel 1 + 2 = 3 ist erfüllt unabhängig von Variablenbelegungen: Sie ist unter jeder Belegung erfüllt. Tarskis Idee: In einem Modell zusammen mit einer Belegung der Variablen ist für jede Formel bestimmt, ob diese erfüllt ist oder nicht. Wenn in einer Formel keine freien Variablen vorkommen, kommt es auf die gewählte Belegung offenbar nicht an — solche Formeln werden unter keiner oder jeder Belegung erfüllt. • A ist gd ein wahrer Satz (in M ), wenn A eine geschlossene Formel ist, die unter jeder Belegungen (in M ) erfüllt ist. Erfüllung ist also der allgemeinere Begriff, der auf beliebige Formeln angewandt wird; Wahrheit ist der speziellere Begriff, der nur auf geschlossene Formeln zutreffen kann. 11 Winterlogik 2016-17 / fol. 322 Zweite Theorie: Variablen belegen Tarskis Definition der Wahrheit Wir schreiben M h |= A für: Modell M = (U, I) mit Belegung h erfüllt die Formel A. Wir lassen wieder die Komplikationen, die durch komplexe Terme entstehen beiseite; die Details sind unschwer zu ergänzen. Prädikatausdrücke interpretieren wir jetzt als Mengen:1 I(P n ) ⊆ U n (P ) Einstelliges P drückt eine Menge in U aus (intuitiv: die Menge der Gegenstände, auf die das Prädikat zutrifft). Zweistelliges P drückt eine Menge von Paaren aus U aus (intuitiv: die Menge der Paare, die in der Relation zueinander stehen). Usw. Dann definieren wir Erfüllung für einfachste Formeln so: M h |= P (t0 ...zn ) gdw ([t0 ]M h , ..., [tn ]M h ) ∈ I(P ), wobei [t]M h = 1 I(a), falls t = a eine Konstante ist, h(x), falls t = x eine Variable ist. Vgl. den Exkurs über charakteristische Funktionen in der letzten VL. 12 Winterlogik 2016-17 / fol. 323 Zweite Theorie: Variablen belegen Ferner soll für die Zusammensetzung durch Junktoren folgendes gelten. M h |= ¬A M h |= A ∧ B M h |= A ∨ B M h |= A → B] gdw gdw gdw gdw M h 6|= A M h |= A und M h |= B M h |= A] oder M h |= B M h 6|= A oder M h |= B Wir sagen, daß die Belegung h0 eine x-Variante von h im Bereich U ist (h0 ∼x h), falls h und h0 höchstens im Wert für x voneinander abweichen. Dann definieren wir schließlich Erfüllung für Quantorenformeln: (∀) (∃) M h |= ∀xA gdw M h0 |= A, für alle h0 ∼x h. M h |= ∃xA gdw ... Übung ... Damit ist Erfüllung in einem Modell unter einer Belegung für alle Formeln definiert. 13 Winterlogik 2016-17 / fol. 324 Zweite Theorie: Variablen belegen Nun können wir nicht einfach sagen, eine Formel sei wahr, wenn sie von allen Belegungen erfüllt wird. Viele offene Formeln wären dann wahr in in diesem Sinne, z.B x = x oder P x → P x. · In keinem Modell gibt es eine Belegung h derart, daß h(x) 6= h(x), oder h(x) ∈ I(P ) und h(x) ∈ / I(P ). Also werden diese Formeln in allen Modellen unter allen Belegungen erfüllt. Deshalb fordert Tarski für die Eigenschaft der Wahrheit einer Formel, daß diese unter allen Belegungen erfüllt und geschlossen ist. • Eine Formel A ist gd wahr in einem Modell M (M |= A oder |=M A), wenn A geschlossen und in M unter beliebigen Belegungen erfüllt ist. Eine Formel A ist gd gültig (logisch wahr) (|= A), wenn A in allen Modellen wahr ist. 14 Winterlogik 2016-17 / fol. 325 Zweite Theorie: Variablen belegen Übungen Überzeugen Sie sich von der Richtigkeit der folgenden Behauptungen: 1. M h |= ∀xA gdw für alle g: M g |= ∀xA. 2. Wenn A ein Satz ist, dann wird A gd von einer Belegung (in einem Modell M ) erfüllt, wenn A von allen Belegungen (in M ) erfüllt wird. 3.a) ¬A ist gd wahr in M , wenn A nicht wahr ist in M . 3.b) A ∧ B ist gd wahr in M , wenn A und B in M wahr sind. 3.c) A ∨ B ist gd wahr in M , wenn A oder B in M wahr ist. 3.d) A → B ist gd wahr in M , wenn B wahr ist in M , falls A wahr ist in M . 3.e) ∃xP x ist gd wahr in M = (U, I), wenn I(P ) auf etwas in U zutrifft. 15 Winterlogik 2016-17 / fol. 326 Dritte Theorie: Variablen ersetzen Dritte Theorie: Variablen ersetzen Hier ist eine nicht unplausible Sicht der Dinge: (∗) x=x und Ax → Ax sind wie Muster für das Hervorbringen wahrer Sätze. Wie benutzen wir die Muster in (*) um wahrheitsfähige Sätze zu erzeugen? Indem wir Namen (Individuenkonstanten) für x einsetzen: a = a, b = b, ... Im Falle von (*) erzeugt jede solche Einsetzung einen wahren Satz. Ist es nicht genau dieser Umstand, den wir durch die Quantorenformeln (∀∗) ∀x(x = x) und ∀x(Ax → Ax) ausdrücken wollen? 16 Winterlogik 2016-17 / fol. 327 Dritte Theorie: Variablen ersetzen • Erste (schlechte) Idee: Ganz allgemein bedeutet ∀xAx nichts anderes als: Ab für jeden Namen b. Wir wissen, daß die Erste Idee sehr oft nicht funktionieren kann, nämlich wenn es in dem Bereich, den wir beschreiben möchten, mehr Objekte als Namen gibt. Wenn es nur einen Namen a aber zwei Objekte in U gibt, dann könnte P a wahr sein obwohl nicht alles in U ein P ist. ∀xP x kann in dem Fall nicht dasselbe bedeuten wie P n für alle verfügbaren Namen n. — Aber könnten wir nicht einfach die Interpretation von a in U variieren? • Zweite (gute) Idee: ∀xAx bedeutet nichts anderes als: Ab für jede Interpretation eines beliebig gewählten Namens b. Das ist die Grundidee der Ersetzungsinterpretation (Substitutionsinterpretation) der Quantoren. 17 Winterlogik 2016-17 / fol. 328 Dritte Theorie: Variablen ersetzen Die Ersetzungsinterpretation Wieder wollen wir hier von termbildenden Ausdrücken absehen. (Die nötigen Komplikation möge man als Übung nachtragen.) Terme sind also entweder Variablen oder Individuenkonstanten. Modelle sind wie zuvor vom Typ (U, I). • Variablen haben keine Bedeutungen. (Sie deuten nur Stellen für Einsetzungen in Formeln an.) Deshalb weist I den Variablen keine Elemente in U zu. Für alle Individuenkonstanten a und Prädikate P n ist I wie in der ersten Theorie bestimmt: (n) (P) I(a) ∈ U I(P n ) : U n −→ {0, 1} Nun erweitern wir die Interpretation I elementarer Ausdrücke zu einer Interpretation [ ]M beliebiger Sätze — offene Formeln haben keine Interpretation! (Das tiefgestellte M lassen wir jetzt wieder weg.) 18 Winterlogik 2016-17 / fol. 329 Dritte Theorie: Variablen ersetzen Wie beginnen mit den Primsätzen: [P n (a0 , ..., an )] = 1 gdw I(P n )(I(a0 ), ..., I(an )) = 1. Die Interpretation der Junktoren bietet keine Überraschungen gegenüber der ersten Theorie: [¬A] = 1 gdw [A] = 0 [A ∧ B] = 1 gdw [A] = 1 = [B] [A ∨ B] = 1 gdw [A] = 1 oder [B] = 1 [A → B] = 1 gdw [A] = 0 oder [B] = 1 19 Winterlogik 2016-17 / fol. 330 Dritte Theorie: Variablen ersetzen Schließlich versehen wir Quantorsätze mit Wahrheitsbedingungen. • Die Idee ist es, in einem Allsatz ∀xAx mögliche Vorkommen von x durch einen Namen b zu ersetzen und dann zu prüfen, ob Ab unter beliebigen Interpretation von b wahr ist. Dazu variieren wir nicht, wie in der ersten Theorie, die Interpretation von Variablen — Variablen haben in dieser Theorie ja gar keine Bedeutung! —, sondern die Interpretation von Namen. Wir schreiben (im Kontext eines Modells (U, I)) I 0 ∼a I für: I 0 weicht von I höchstens in der Interpretation von I in U ab. Ferner sei Ma = {(U, I 0 ) : I 0 ∼a I} die Klasse der Modelle, die aus M allein durch Variation von I über a entstehen. (Man beachte wie zuvor, daß M ∈ Ma .) 20 Winterlogik 2016-17 / fol. 331 Dritte Theorie: Variablen ersetzen Hier ist die Interpretation von Quantorensätzen: (∀) (∃) [∀xA]M = 1 gdw [A(b/x)]M 0 = 1, für alle M 0 ∈ Mb . [∃xA]M = 1 gdw [A(b/x)]M 0 = 1, für mindestens ein M 0 ∈ Mb . Die beiden Klauseln (∀) und (∃) stehen unter einer wichtigen Bedingung: Der Name b muß beliebig gewählt sein, d.h. er darf in A nicht schon vorkommen — er muß für die Einsetzung an der Variablenstelle frei sein. Warum das wichtig ist, zeigt ein Beispiel. · Wir betrachten ∃x(P a ∧ ¬P x). Für bestimmte Interpretationen von a und P kann dieser Satz durchaus wahr sein. Angenommen, wir ersetzen x durch a. Das Resultat, P a ∧ ¬P a kann für keine Interpretation wahr sein. Wir sollten also besser prüfen, ob es eine Interpretation gibt unter der P a ∧ ¬P b wahr ist. 21 Winterlogik 2016-17 / fol. 332 Dritte Theorie: Variablen ersetzen Wir haben jetzt für jeden Satz A der Sprache ein Bikonditional [A]M = 1 gdw ... Wenn wir Wahrheit im Modell M als [A]M = 1 definieren, dann liefert unsere Theorie somit für jeden Satz A eine Wahrheitsbedingung der Form A ist wahr in M gdw ... Damit ist unser Ziel erreicht. Die Ersetzungsinterpretation ist der Interpretationstheorie sehr ähnlich, begrifflich jedoch sauberer, indem sie offenen Formeln keine Wahrheitswerte zuerkennt. Bei genauerem Hinsehen erkauft sie sich diesen Vorteil jedoch durch eine wesentliche Komplikation: • Für jede quantifizierte Formel brauchen wir einen Namen, der für die erforderliche Einsetzung frei ist. Unter bestimmten Bedingungen — die man sich leicht überlegen kann — kann das ein Problem sein. In diesen Fällen muß man die betrachtete Sprache um bisher nicht gebundene Namen erweitern. Das haben wir in der Formulierung (∀) bzw. (∃) nicht berücksichtigt. Wenn wir das tun, dann ist die Theorie nicht mehr ganz so einfach wie auf den ersten Blick. 22 Winterlogik 2016-17 / fol. 333 Vergleich der Theorien Vergleich der Theorien Im Hinblick auf die Frage, welche Sätze logisch wahr sind, stimmen alle drei Theorien überein. Das folgt unmittelbar aus der folgenden Beobachtung 1. Für jedes Modell M = (U, I) in der einen Theorie, gibt es ein Modell M 0 = (U, I 0 ) in jeder der anderen Theorien so, daß ein Satz A in M gd wahr ist, wenn A in M 0 wahr ist. Ein Beweis (im eigentlichen Sinne) der Beobachtung würde hier zu weit gehen. Aber der Beweisgrund ist schnell einzusehen: · Primsätze (nicht Primformeln!) behandeln die drei Theorien im wesentlichen auf gleiche Weise. · Der Interpretation der Junktoren liegen in allen drei Theorien die Wahrheitstafeln zugrunde. · Alle drei Theorien interpretieren Allsätze indem sie durch eine jeweils geeignete Variation alle Objekte des Bereichs im Hinblick auf die jeweils durch eine offene Formel gegebene Beschreibung prüfen. (Der Existenzquantor kann definiert werden: ∃ = ¬∀¬.) 23 Winterlogik 2016-17 / fol. 334 Unentscheidbarkeit Unentscheidbarkeit Für die monadische Prädikatenlogik (MPL) haben wir ein Verfahren kennengelernt, daß uns in die Lage versetzt quasi mechanisch und in endlich vielen Schritten zu entscheiden, ob · eine Formel logisch wahr ist, · eine Formel aus anderen logisch folgt, bzw. · eine Formelmenge konsistent ist. Kurz faßt man das so zusammen: • MPL ist entscheidbar. Die volle Prädikatenlogik, PL, ist dagegen nicht allgemein entscheidbar : • Wenn A in PL eine ungültige Formel (oder Γ |= A eine ungültige Folgerung, oder Γ eine konsistente Menge) ist, dann gibt es im allgemeinen kein mechanisches und endliches (= “effektives”) Verfahren, um dies festszustellen. Die Unentscheidbarkeit der PL liegt natürlich an dem, was sie von der MPL unterscheidet, d.h. an der Präsenz von Relationen in der Sprache. Mehr darüber zu sagen, würde an dieser Stelle zu weit führen. 24 Winterlogik 2016-17 / fol. 335 Unentscheidbarkeit Für gültige Formeln etc. sieht die Situation besser aus. Deshalb sagt man, daß PL in folgendem Sinne halb-entscheidbar sei: • Wenn A in PL eine gültige Formel (oder Γ |= A eine gültige Folgerung, oder Γ eine inkonsistente Menge) ist, dann gibt es ein mechanisches und endliches Verfahren, um dies festszustellen. 25 Winterlogik 2016-17 / fol. 336 Nachbemerkung: Die Extensionalität von PL-Sprachen Nachbemerkung: Die Extensionalität von PL-Sprachen Im arabischen Ziffernsystem ist z.B. [1] = [01], jedoch [213] 6= [2013]! Wenn wir also Zahlenterme dieser Art in eine PL-Sprache aufnehmen, dann gilt für eine solche Sprache das folgende Prinzip nicht: Extensionalität Für alle Sätze A der Sprache gilt: Wenn (für beliebige Ausdrücke X und X 0 ) [X] = [X 0 ], dann [A] = [A0 ], wobei A0 das Resultat der Ersetzung beliebig vieler Vorkommen von X durch X 0 in A ist. (Zur Darstellung und philosophischen Bedeutung des Prinzips siehe z.B. Quine, From Stimulus to Science (1995), pp. 90ff.) Eine Sprache kann nicht durchgehend extensional sein, wenn nicht alle Grundbausteine der Sprache extensional sind. Unser Beispiel zeigt, daß die Operation der Verkettung arabischen Zahlterme nicht extensional ist. 26 Winterlogik 2016-17 / fol. 337 Nachbemerkung: Die Extensionalität von PL-Sprachen ◦ In diesem Fall ist das Problem leicht beheben: Durch eine Verschärfung der syntaktischen Regeln lassen wir Zahlterme mit anfänglicher Null systematisch nicht mehr zu. Dann ist auch die Verkettung von Ziffern im folgenden Sinne extensional: Wenn [s] = [t] und [u] = [v], dann [su] = [tv]. Aufgabe: Schreiben Sie die nötige syntaktische Regel für die Bildung von Zahltermen (ohne anfängliche Null) auf! 27 Winterlogik 2016-17 / fol. 338 Nachbemerkung: Die Extensionalität von PL-Sprachen In anderen Fällen kann ein solcher Eingriff in die Grammatik nicht zum Ziel führen. In natürlichen Sprachen gibt es viele wohlgebildete Ausdrücke, die, obwohl syntaktisch komplex, semantische, oft metaphorische (Einheiten) bilden: · Thomas gerät auf eine (schiefe Bahn) · ?? Thomas gerät auf eine geneigte Bahn oder · der (Eiserne Kanzler) · ?? der aus dem Element mit der Ordnungszahl 26 beschaffene Kanzler Innerhalb der Einheiten lassen sich bedeutungsgleiche syntaktische Einheiten nicht gegeneinander austauschen, ohne die Bedeutung des Ganzen zu (zer-)stören. ◦ Hier helfen separate Einträge ins Lexikon, um Extensionalität zu wahren. 28 Winterlogik 2016-17 / fol. 339 Nachbemerkung: Die Extensionalität von PL-Sprachen Es gibt jedoch auch Satzkontexte, in denen Extensionalität weder durch grammatische Regeln noch durch (endlich viele) Lexikoneinträge gerettet werden kann. Dazu gehören vor allem die sog. propositionalen Einstellungen. Z.B. sind die folgenden Sätze (1-3) wahr: (1) Bismarck ist der Eiserne Kanzler. (2) Bismarck ist Bismarck. (3) Ulla weiß, daß (2). Weiß Ulla auch, daß (1)? Möglicherweise weiß sie das nicht. Dann ist der Satz (4) Ulla weiß, daß (1) falsch, obwohl doch (1) und (2) denselben Wahrheitswert haben. Satzkontexte wie Ulla weiß, daß ... sind offenbar in einem starken Sinne nichtextensional. 29 Winterlogik 2016-17 / fol. 340 Goethe-Universität Frankfurt am Main Institut für Philosophie Logik im Winter 2016-17 Prädikatenlogische Sprachen: Exkurs zu Tarskis Wahrheitstheorie Übergang zur Aussagenlogik André Fuhrmann 10PLsemantik2 161220.1054 Winterlogik 2016-17 / fol. 341 Etwas über Definitionen Etwas über Definitionen Was ist ein Palindrom? Manche Wörter sind Palindrome, andere nicht.1 Die Frage, welche Wörter (in einer Sprache L) Palindrome sind, können wir beantworten, wenn wir eine Theorie zur Verfügung haben, die es erlaubt, für jedes Wort A von L eine (nichtzirkuläre) Aussage der folgenden Art anzugeben: (P) A ist gd ein Palindrom, wenn ... Die Gesamtheit dieser P-Aussagen bestimmt den Umfang des Prädikats ist ein Palindrom (für die Sprache L). • Die Theorie bestimmt also für jedes Wort A, ob A ein Palindrom ist oder nicht. • In diesem Sinne ist die Gesamtheit der P-Aussagen (die Gesamtheit der Instanzen des P-Schemas) eine Definition des Prädikats ist ein Palindrom. 1 Es soll hier nur um das Beipiel der Wort-, nicht der Satzpalindrome gehen. 2 Winterlogik 2016-17 / fol. 342 Etwas über Definitionen Abgesehen von einer Ja/Nein-Antwort auf die Frage ob A ein Palindrom sei (für jeden Ausdruck A), können wir uns wünschen, daß die Definition weitere Eigenschaften haben möge, z.B. (a) Die Definition soll keine unendliche Liste, sondern überschaubar, d.h. endlich darstellbar sein. Die Bedingung (a) ist offenbar wichtig, damit der definierte Begriff überhaupt in endlicher Zeit in Gänze verstanden werden kann. ◦ Viele Definitionen sind zwar endlich aber sehr lang und wenige lernen den so definierten Begriff jemals in seiner Gänze. (Beispiel : Der Begriff eines deutschen Autokennzeichens. Eine Abfolge von Zeichen ist gd ein deutsches Autokennz., wenn ... ) Das liegt meist daran, daß der Definition keine durchgehend systematische Idee zugrunde liegt. Dennoch sind solche Begriffe wohldefiniert. 3 Winterlogik 2016-17 / fol. 343 Etwas über Definitionen Hier ist eine weitere mögliche Wunschbedingung: (b) Die Definition soll eine Analyse des Begriffs Palindrom mithilfe einfacherer Begriffe angeben, etwa so: (Q) Ein Palindrom ist ein Wort, das von vorn und von hinten gelesen gleich bleibt. (Beispiele von deutschen Palindromen: Egge, Anna, Hannah, Retter, Rentner, Reittier, Reliefpfeiler, Retsinakanister.) ◦ Ob die Bedingung (b) erfüllt werden kann, hängt davon ab, ob einfachere Begriffe zur Verfügung stehen. “Einfacher” bedeutet hier insbesondere, daß die in der Analyse verwendeten Begriffe verstanden werden können, ohne auf den zu analysierenden Begriff zurückzugreifen—alles andere wäre zirkulär. Auf die Definition (Q) trifft das sicher zu: vorn, hinten, lesen, gleich sind alles Begriffe, die recht einfach sind und zu deren Verständnis man nicht wissen muß, was ein Palindrom ist. 4 Winterlogik 2016-17 / fol. 344 Etwas über Definitionen Übrigens können wir die Definition (Q) Ein Palindrom ist ein Wort, das von vorn und von hinten gelesen gleich bleibt. auch so in die Form von (P) (... gdw ...) bringen: Es sei (a1 · · · an ) eine Folge von Buchstaben, die ein Wort bildet. Dann ist (PQ) (a1 · · · an ) gd ein Palindrom, wenn (a1 · · · an ) = (an · · · a1 ). Auch um diese Definition zu verstehen, müssen die Termini auf der rechten Seite einfacher und unabhängig von dem sein, was analysiert (definiert) wird. Das sind im Falle von (PQ) wieder der Begriff der Gleichheit sowie der Begriff einer Folge und der Umkehrung einer Folge (was vorne war, ist nun hinten). 5 Winterlogik 2016-17 / fol. 345 Etwas über Definitionen Vielleicht befriedigen uns die Definitionen (Q) und (PQ) nicht, weil in ihnen zB der Begriff der Gleichheit unanalysiert vorkommt. · Was macht zwei Buchstabenfolgen gleich? Solange wir keine befriedigende Antwort auf diese Frage haben, könnten wir sagen: · “Die Definitionen (Q) und (PQ) sind keine befriedigenden Analysen des Begriffs Palindrom.” An diesem Punkte sollten wir so antworten: • Es ist nicht Aufgabe einer Definition des Begriffs Palindrom eine Analyse der Gleichheitsbeziehung vorzulegen. • Darüberhinaus sind einige Begriffe (z.B. Gleichheit) schon so einfach, daß weitere Analysen wenig sinnvoll und vielleicht (ohne Zirkularität) gar nicht möglich sind. · x = y gdw ... — Was könnte für ... stehen, das nicht schon den Begriff der Gleichheit voraussetzt? · Oder: “Gleichheit ist diejenige Beziehung R, die jeder Gegenstand zu sich selbst und zu keinem anderen unterhält”. ∀x(Rxx ∧ ∀y(x 6= y → ¬Rxy))?? 6 Winterlogik 2016-17 / fol. 346 Etwas über Definitionen Was ist Wahrheit? Manche Sätze sind wahr, andere nicht. Die Frage, welche Sätze (in einer Sprache L) wahr sind, können wir beantworten, wenn wir eine Theorie zur Verfügung haben, die es erlaubt, für jeden Satz A von L eine (nichtzirkuläre) Aussage der folgenden Art anzugeben: (T) A ist gd wahr, wenn ... Die Gesamtheit dieser T-Aussagen bestimmt den Umfang des Prädikats ist wahr (für die Sprache L). • Die Theorie bestimmt also für jeden Satz A, ob A wahr ist oder nicht. • In diesem Sinne ist die Gesamtheit der T-Aussagen (die Gesamtheit der Instanzen des T-Schemas) eine Definition des Prädikats ist wahr. 7 Winterlogik 2016-17 / fol. 347 Etwas über Definitionen In den letzten Vorlesungen haben wir für prädikatenlogische Sprachen (bzw. für die PL-Fragmente beliebiger Sprachen) Theorien vorgelegt, die systematisch T-Aussagen generiert. Mit anderen Worten, • wir haben Wahrheitsteorien für beliebige prädikatenlogische Sprachen vorgelegt! Die zweite dieser Theorien (die Theorie, die mit Variablenbelegungen und einer Erfüllungsrelation arbeitete) ist im wesentlichen Alfred Tarskis (1901–1983) semantische Theorie der Wahrheit. 8 Winterlogik 2016-17 / fol. 348 Tarskis semantische Theorie der Wahrheit Tarskis semantische Theorie der Wahrheit Alfred Tarski, insbes. “Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen” (1935) und “The semantic conception of truth” (1944), beide häufig wiederabgedruckt. Aus Der Wahrheitsbegriff in den Sprachen der deduktiven Disziplinen (1932): Das Grundproblem ist die Konstruktion einer methodologisch korrekten und inhaltlich adäquaten Definition der wahren Aussagen. In dieser Definition sollen diejenigen Intuitionen realisiert werden, die in der sogenannten klassischen Auffassung des Wahrheitsbegriffs enthalten sind, also in derjenigen Auffassung, derzufolge “wahr” soviel als “mit der Wirklichkeit übereinstimmend” bedeutet. Genauer gesagt, als adäquat in bezug auf eine gegebene Sprache betrachte ich eine solche Wahrheitsdefinition aus der sich alle Thesen von der folgenden Gestalt ergeben: “x ist wahr dann und nur dann, wenn p”, wo anstatt p eine beliebige Aussage der untersuchten Sprache und anstatt x ein beliebiger Individualname dieser Aussage zu setzen ist [der homophone Fall, s.u.]. Beim Konstruieren der Definition vermeide ich von den Begriffen semantischen Inhalts Gebrauch zu machen, deren Präzisierung zumindest dieselben Schwierigkeiten bietet wie diejenige des Wahrheitsbegriffs. (23) 9 Winterlogik 2016-17 / fol. 349 Tarskis semantische Theorie der Wahrheit • “Inhaltlich adäquat”: Für jede Aussage x der Objektsprache (ObjS) wird eine Wahrheitsbedingung (in unserer Theoriesprache/Metasprache, MetaS) angegeben: x ist wahr gdw p, wobei p zur Theoriesprache gehört. Also zB: (T) “Neve e bianco” ist gd wahr, wenn Schnee weiß ist. · ObjS und MetaS können zusammenfallen: zB eine Wahrheitstheorie in deutscher Sprache (MetaS) für deutsche Sätze (ObjS). Das ist der sogenannte homophone Fall einer Wahrheitstheorie: “Schnee ist weiß” ist gd wahr, wenn Schnee weiß ist. • “Methodologisch korrekt”: Die Definition von Wahrheit darf nicht Begriffe benutzen, die selbst (vermutlich) nur unter Rückgriff auf den Wahrheitsbegriff definiert werden können. Also zB “Neve e bianco” ist gd wahr, wenn es (in der Theorieprache) einen bedeutungsgleichen Satz p gibt, so daß p. (Sätze sind vermutlich bedeutungsgleich, wenn sie “notwendig” —in einem besonders starken, noch zu erläuterndem Sinn— unter denselben Bedingungen wahr (Zirkel!) sind.) 10 Winterlogik 2016-17 / fol. 350 Tarskis semantische Theorie der Wahrheit Wie löst Tarski das “Grundproblem” (Konstruktion einer korrekten und adäquaten Definition)? Im wesentlichen genauso wie in der bereits vorgestellten zweiten semantischen Theorie der PL. Am Ende erlaubt es die Theorie, für jeden Satz A der Sprache ein Bikonditional der Form A ist gd wahr im Modell M = (U, I), wenn ... in M . zu erzeugen. Was tritt an die Stelle der Ellipse? Betrachten wir einen konkreten Satz: (*) “Sokrates ist Grieche” ist gd wahr in M , wenn [“Sokrates”]M ∈ [“Grieche”]M . Wenn nun in M = (U, I) die Menge U den Bereich unserer Welt und I die gewöhnliche Interpretation des Deutschen darstellt, M also unser “natürliches” Modell ist, dann besagt (*) nichts anderes als: “Sokrates ist Grieche” ist gd wahr, wenn Sokrates Grieche ist. 11 Winterlogik 2016-17 / fol. 351 Ist das alles? Ist das alles? Ist Tarskis Definition der Wahrheit eine Definition der Wahrheit, die Philosophen befriedigen kann? Tarskis Theorie erzeugt die Gesamtheit aller Schemata der Form Der Satz A ist wahr gdw der Fall ist, was A besagt. Im Fall, daß Theorie- und Objektsprache identisch sind (der sogenannte homophone Fall: zB Theorie der Wahrheit in deutscher Sprache für deutsche Sätze) können wir kürzer so formulieren: (T) Der Satz “A” ist wahr gdw A. Links wird der Satz genannt (zitert), rechts wird er gebraucht. · Man beachte, daß der homophone Fall (T) nur scheinbar trivial ist. Die Trivialität verschwindet sogleich, wenn wir ihn mit heterophonen Fälle vergleichen. 12 Winterlogik 2016-17 / fol. 352 Ist das alles? 1. Materiale Adäquatheit Zunächst ist festzuhalten, daß Tarskis Definition der Wahrheit genauso erfolgreich ist wie die Definition eines Palindroms, (P) Das Wort W ist ein Palindrom gdw W von vorne und von hinten gelesen gleich ist. Für jeden Satz der Sprache (für jedes Wort der Sprache) legt die Definition fest, ob er wahr ist (ob es ein Palindrom ist). Beide Definitionen sind—in Tarskis Worten— material adäquat. 2. Übersichtlichkeit und Erklärungskraft Beide Definitionen sind auch übersichtlich und erklärend. ◦ Die Definitionen sind endlich darstellbar. ◦ (P) erklärt die Eigenschaft eines Wortes ein Palindrom zu sein, im Rückgriff auf die Bestandteile (die Buchstaben) eines Wortes. ◦ (T) erklärt die Eigenschaft eines Satzes (oder einer Aussage) wahr zu sein, im Rückgriff auf die Bestandteile des Satzes (bzw. der Aussage). 13 Winterlogik 2016-17 / fol. 353 Ist das alles? 3. Analyse ◦ (P) bietet eine Analyse des Begriffs Palindrom in einfacheren Begriffen an. ◦ In (T) steckt allenfalls eine Analyse des Begriffs Wahrheit mithilfe des Begriffs der Erfüllung. Aber letzterer Begriff hat eigentlich nur eine technische Bewandnis, wie wir gesehen haben. (Der Begriff dient dazu, Erfüllungsbedingungen von offenen Formeln unter Belegungen und daraufhin Wahrheitsbedingungen von quantifizierten Sätze angeben zu können.) Von (T) kann nicht wirklich gesagt werden, daß es Wahrheit unter Rückgriff auf einfachere Begriffen analysiert. • Für das Fehlen einer Analyse könnte es eine Erklärung geben: Vielleich ist im Falle der Wahrheit —wie im Falle der Identität— die Voraussetzung für eine Analyse nicht gegeben: · Wahrheit ist vielleicht ein so einfacher, grundlegender Begriff, daß er nicht weiter analysiert werden kann. Alles, was wir über das “Wesen” der Wahrheit wissen, wäre dann in (T) zusammengefaßt. 14 Winterlogik 2016-17 / fol. 354 Ist das alles? Frage: Was würde die These, daß Wahrheit ein einfacher, unreduzierbarer Begriff ist, plausibel machen? Antwort: Die Allgegenwart von Wahrheit und die damit zusammenhängenden die Mißerfolge von Versuchen einer reduktiven Analyse (vgl. Identität). · Korrespondenztheorien: Eine Aussage ist wahr, wenn sie mit der Wirklicheit übereinstimmt/korrespondiert — wobei “Korrespondenz” in einem Sinne bestimmt werden soll, der über das T-Schema hinausgeht. · Kohärenztheorien: Eine Aussage ist wahr, wenn sie in ein besonders kohärentes Überzeugungssystem paßt. · Epistemische Theorien: Wahrheit steht unter bestimmten epistemischen Bedingungen; insbesondere ... – Verifikationismus: wahr ist, was nachprüfbar/verifizierbar ist (auf lange Sicht oder auch nur im Prinzip). – Pragmatistische Theorien: Wahr ist, was sich im Handeln bewährt. – Diskurstheorien: wahr ist, worauf man sich am Ende eines idealen Gesprächs einigen würde. · Esoterische Theorien: Wahr ist, was sich einem Eingeweihten enthüllt. 15 Winterlogik 2016-17 / fol. 355 Ist das alles? Alle diese Theorien haben eine oder mehrere der folgenden Fehler : · Sie können ihre Schlüsselbegriffe nicht hinreichend oder nur zirkulär erklären. · Sie erklären Aussagen zugleich für wahr und falsch oder relativieren Wahrheit in unplausibler Weise. · Sie generieren nicht alle Instanzen des T-Schemas, sind also material inadäquat. · Sie verwechseln Wahrheit mit verschiedenen epistemischen Eigenschaften oder schlagen ohne unabhängige Gründe eine Reform des Wahrheitsbegriffs vor. Einführende Literatur : Paul Horwich, Truth, Oxford (Blackwell) 1998 (2. Aufl.). 16 Winterlogik 2016-17 / fol. 356 Ist das alles? 4. Epitheorie Daß der Kern des Wahrheitsbegriffs im T-Schema liegt, schließt nicht aus, daß wir vieles weitere über Wahrheit sagen — manches davon wahr, anderes falsch. ZB: · Wir streben im allgemeinen nach wahren Überzeugungen. · Manchmal ist es besser, die Wahrheit nicht zu kennen. · Der Erfolg einer Theorie wird am besten durch die Annahme ihrer Wahrheit erklärt. · Wissenschaftliche Methoden sind dem Auffinden der Wahrheit förderlich. · Ethische Theorien können weder wahr noch falsch sein. · Manchmal ist es besser, die Unwahrheit zu sagen. · Ein guter Roman drückt auf seine ganz eigene Weise eine Wahrheit aus. Aber damit sagen wir nichts über das Wesen der Wahrheit, sondern etwas über (das Wesen von?) Überzeugungen, Erklärungen, vernünftige Methoden, moralische Urteile, Romane etc. Gerade einfache Begriffe zeichnen sich dadurch aus, daß sie in den verschiedensten Zusammenhängen allgegenwärtig sind! 17 Winterlogik 2016-17 / fol. 357 Tarski und der Lügner Tarski und der Lügner Tarski selbst war skeptisch, ob sich seine Definition der Wahrheit auf natürliche Sprachen anwenden ließe. So schreibt er in Der Wahrheitsbegriff in den Sprachen der deduktiven Disziplinen (1932): So scheint selbst die Möglichkeit eines konsequenten und dabei mit den Grundsätzen der Logik und dem Geiste der Umgangssprache übereinstimmenden Gebrauchs des Ausdrucks “wahre Aussage” und, was daraus folgt, die Möglichkeit des Aufbaus irgend welcher korrekten Definitionen dieses Ausdrucks sehr in Frage gestellt. (19) ... insbesondere legt die Analyse der bekannten Antinomie vom Lügner den Schluß nahe, daß auf dem Boden der Umgangssprache (und in Bezug auf sie) nicht nur eine exakte Definition, sondern auch die konsequente Anwendung des Wahrheitsbegriffes schlechthin unmöglich sind. ¶ Im folgenden beschränke ich mich auf die Betrachtung von Kunstsprachen ... (23) 18 Winterlogik 2016-17 / fol. 358 Tarski und der Lügner Tarskis Skepsis und seine Beschränkung auf Sprachfragmente, die sich in die Form einer Kunstsprache bringen lassen, ist sicher nicht so zu deuten, daß er empfiehlt für natürliche Sprachen eine ganz andere Definition der Wahrheit zu suchen. ◦ Jede Definition, Analyse oder auch nur flüchtige Skizze von Wahrheit in natürlichen Sprachen wird zwei sehr schwache und unvermeidliche Bedingungen erfüllen und dadurch allein widersprüchlich werden. ◦ Tarski behauptet daher, daß es gar keine konsistente Theorie von Wahrheit als Eigenschaft von natürlichsprachigen Sätzen geben kann. • Tarski: Unser alltäglicher Begriff von Wahrheit ist widersprüchlich. 19 Winterlogik 2016-17 / fol. 359 Tarski und der Lügner Tarski und Gödel in Wien, 1935 20 Winterlogik 2016-17 / fol. 360 Tarski und der Lügner Was ist das Problem? Natürliche Sprachen enthalten ihre eigenen semantischen Termini — sie sind semantisch abgeschlossen: (1) Man kann sich in der deutschen Sprache auf deutsche Ausdrücke beziehen, und (2) man kann auf Deutsch über die Bedeutungen deutscher Ausdrücke etwas sagen. (3) Der Satz (1) nimmt auf deutsche Ausdrücke Bezug —inklusive auf sich selbst— und sagt etwas über sie; und (4) der Satz (2) sagt etwas über die Bedeutungen solcher Ausdrücke, nämlich, daß man über sie etwas sagen kann. Und natürlich sind Sätze die Subjekte von (3) und (4) und die Bezüge oder Bedeutungen von Sätzen stehen dort in der Objekt-Position usw. — So weit, so gut. 21 Winterlogik 2016-17 / fol. 361 Tarski und der Lügner Wahrheit Das Wahrheitsprädikat ist einer der semantischen Termini, unter dem die deutsche Sprache abgeschlossen ist. Sie können zB sagen (5) (1) [s.u.] ist wahr. Satz (5) ist natürlich ein deutscher Satz. Übrigens ist (5) wahr. Um die Wahrheit eines Satzes wie (5) nachzuprüfen, geht man nämlich auch im Deutschen immer von der Binsenwahrheit des T-Schemas aus: T. “P ” ist wahr gdw P . (Die Anführungszeichen deuten hier irgendeine Methode an, sich auf einen Satz zu beziehen; zB auch durch Anhängen eines “Nummernschilds”.) Nach diesem Schema sagt (5) nichts anderes als (1) — und (1) ist, wie wir wissen, wahr: (1) Man kann sich in der deutschen Sprache auf deutsche Ausdrücke beziehen. 22 Winterlogik 2016-17 / fol. 362 Tarski und der Lügner Selbstbezüglichkeit Auch (6) ist ein deutscher Satz: (6) (6) ist ein deutscher Satz. Nomen, Verb, Adjektiv: Alles, wie es die Regeln des deutschen Satzbaus verlangen. Der Satz ist selbstbezüglich. Na und? Dieser Satz besteht aus sechs Wörtern. Dieser Satz ist selbstbezüglich. sind auch wahre selbstbezügliche Sätze. Noch immer kein Problem. 23 Winterlogik 2016-17 / fol. 363 Tarski und der Lügner Wahrheit + Selbstbezüglichkeit Ebenso steht es um den folgenden Satz: (7) (7) ist wahr. Nach dem T-Schema gilt T7. (7) ist wahr ↔ (7). Wenn wir jetzt rechts in T7 den Satz (7) einsetzen, dann erhalten wir (7) ist wahr ↔ (7) ist wahr — nichts, was wir nicht schon gewußt hätten. Ist (7) wahr oder falsch? • Sie haben weder einen guten Grund (7) wahr zu nennen, noch einen guten Grund ihn falsch zu nennen. • Vielleicht sollten wir daher sagen, daß (7) weder wahr noch falsch ist. Dann würde hier so etwas wie eine Wahrheitswertlücke im Deutschen entstehen. Auch das ist noch kein Problem für eine Bedeutungstheorie: Dann gibt es halt grammatisch richtige Sätze, die keine Bedeutung haben. 24 Winterlogik 2016-17 / fol. 364 Tarski und der Lügner “Ich lüge” Betrachten wir nun (8) (8) ist nicht wahr. Jetzt haben wir ein Problem! Denn wenn wir T auf (8) anwenden, dann gilt T8. (8) ist wahr ↔ (8) Setzen wir rechts in T8 den Satz (8) ein, dann erhalten wir jedoch (8) ist wahr ↔ (8) ist nicht wahr. Das sieht nicht gut aus! Denn • jeder Satz ist entweder wahr oder er ist es nicht (in welchem Fall er falsch oder irgendetwas anderes, vielleicht ohne Bedeutung sein kann). In beiden Fällen müssen wir schließen, daß (8) sowohl wahr ist, als auch nicht wahr ist. • Die Bedeutungstheorie des Deutschen wird also widersprüchlich, sobald der Satz (8) an die Reihe kommt. 25 Winterlogik 2016-17 / fol. 365 Tarski und der Lügner Inkonsistenz impliziert Trivialität • Können wir den Widerspruch nicht “isolieren”? Die Theorie würde dann nur für merkwürdige Sätze wie (8) widersprüchlich sein, d.h. (8) ∧ ¬(8) enthalten. • Eine gute Bedeutungstheorie steht, wie alle guten Theorien, zu allem, was aus ihr folgt. Logisch (jedenfalls nach klassischer Auffassung) folgt aber aus einem Widerspruch alles Mögliche (und Unmögliche) — ex falso quodlibet: EFQ. A ∧ ¬A → B(lahblah) • Ein Widerspruch reicht also, um die Theorie zur Explosion zu bringen! • Eine Bedeutungstheorie, die · jede Instanz des T-Schemas “P” ist wahr gdw P enthält, und · die Bildung von Lügnersätzen wie (8) erlaubt, und · unter klassischer logischer Konsequenz abgeschlossen ist, ist daher trivial und also wertlos. 26 Winterlogik 2016-17 / fol. 366 Tarski und der Lügner DENKPAUSE: Warum ist EFQ A ∧ ¬A → B ein logisch wahrer Satz? 27 Winterlogik 2016-17 / fol. 367 Tarski und der Lügner DENKPAUSE: Der Satz (besser: das Schema) EFQ. A ∧ ¬A → B ist logisch wahr. Denn angenommen, es wäre nicht so. - Dann könnte EFQ falsch (0) sein. - In diesem Fall müßte das Antezedens A ∧ ¬A den Wert 1 und das Konsequens B den Wert 0 haben. - Aber keine Aussage der Form A ∧ ¬A kann den Wert 1 haben. - Also kann EFQ nie falsch sein. Also ist EFQ logisch wahr. • Diese Eigenschaft der klassischen Logik hat ihr nicht nur Freunde gewonnen. • Es gab und gibt immer wieder Versuche, Logiken —manchmal nur für bestimmte Zwecke— zu entwerfen, die inkonsistente Theorien nicht trivialisieren. In solchen (parakonsistenten) Logiken gilt EFQ nicht. % Web-Suche: Parakonsistenz [paraconsistency], Relevanzlogik [relevant/ relevance logic]; Alan Anderson, Nuel Belnap, Richard Routley, Graham Priest (letzterer mit Blick insbes. auf philosophische Anwendungen). 28 Winterlogik 2016-17 / fol. 368 Tarski und der Lügner Ein möglicher Ausweg? Problematisch ist offenbar die semantische Abgeschlossenheit des Deutschen; genauer: A. Im Deutschen haben wir die Mittel, uns auf deutsche Sätze zu beziehen (zB — aber nicht nur — durch Anführungszeichen); und B. Im Deutschen gibt es ein Prädikat, φ, mit der Eigenschaft T. für jeden deutschen Satz A: φ(“A”) gdw A. Dieses Prädikat φ ist der Ausdruck ist wahr . • Eine Bedeutungstheorie für Deutsch muß alle wahren Instanzen von T hervorbringen. • Im Deutschen lassen sich Lügnersätze bilden (aufgrund von A). • Das T-Schema (B), auf Lügnersätze angewandt, bringt Widersprüche hervor. • Daher läßt sich für die deutsche Sprache keine konsistente Bedeutungstheorie angeben. (Manche kürzen diese Aussage ab zu: Die deutsche Sprache ist inkonsistent.) • Dieses Resultat gilt für alle Sprachen, die sinngemäß die Bedingungen A und B erfüllen! 29 Winterlogik 2016-17 / fol. 369 Tarski und der Lügner Beobachtung — und Ansatz zu einer Lösung? Schon in einem Satz wie (8) (8) ist wahr bleibt die Frage: Was ist wahr? merkwürdig unbeantwortet. · Wir wollen antworten: Satz (8) · Wenn wir nachschauen, wofür Satz (8) steht, werden wir an den Anknüpfungspunkt unserer Frage zurückverwiesen. Das ganze scheint ohne Fundament zu sein! Ein Ausweg (?): Wir müssen von einem Fundament ausgehen und darauf aufbauen. “Wahr” dürfen wir immer nur auf eine Ebene von Sätzen anwenden, die wir schon aufgebaut (“fundamentiert”) haben. · Ein Satz wie (8) wäre demnach ein Versuch, “wahr” auf einen Satz anzuwenden, den dafür noch gar nicht zur Verfügung haben. · In einem erweiterten Sinn von “grammatisch” wäre das schlicht ungrammatisch. (D.h. (8) erfüllt zwar die Regeln der deutschen Grammatik, verstößt aber gegen die “logische Grammatik”.) 30 Winterlogik 2016-17 / fol. 370 Tarski und der Lügner Tarskis Version dieses Auswegs 0. Wir beginnen mit einer Sprache S0 , dem Fundament, in dem es noch gar kein Wahrheitsprädikat gibt. 1. Dann erweitern wir die Sprache S0 zu einer Sprache S1 (d.h. S0 ⊆ S1 ) um ein Wahrheitsprädikat, w0 , für Sätze aus S0 . Das T-Schema in der Theoriesprache S1 für die Objektsprache S0 lautet nun T0 . für jeden Satz A ∈ S0 : w0 (“A”) gdw A. Alle Instanzen des Schemas T0 und alle Sätze der Form w0 (A) sind Sätze in S1 . 2. Nun definieren wir Wahrheit für Sätze in S1 : Wir erweitern S1 zu S2 um ein Wahrheitsprädikat, w1 , für Sätze in S1 . Alle Instanzen des neuen Schemas und alle Sätze der Form w1 (A) gehören zu S2 : T1 . für jeden Satz A ∈ S1 : w1 (“A”) gdw A. n. Ganz allgemein, bauen wir, ausgehend von S0 , eine Sprachhierarchie S0 ⊆ S1 ⊆ S2 ⊆ ... auf, jeweils mit dazugehöriger Wahrheitsdefinition: Tn . für jeden Satz A ∈ Sn : wn (“A”) gdw A. Jede Instanz von Tn und jeder Satz der Form wn (A) gehört zur Sprache Sn+1 . 31 Winterlogik 2016-17 / fol. 371 Tarski und der Lügner Aufbau einer Tarski’schen Sprachhierarchie · Wahrn wird nur auf Sätze der Sprachebene Sn angewandt. · Wahrn (A) gehört zu Ebene Sn+1 · Die Hierarchie ist kumulativ: S0 ⊆ S1 ⊆ S2 ⊆ · · · . 32 Winterlogik 2016-17 / fol. 372 Tarski und der Lügner Lügnersätze können in einer solchen Hierarchie nur in folgender Form auftauchen (ohne Einschränkung der Allgemeinheit nehmen wir w3 als Beispiel): L: L ist nicht wahr3 . Einerseits ergibt die Anwendung des Prädikats “wahr3 ” einen Satz, der zu S4 und nicht zu S3 gehört. · So gesehen, kann L nicht zu S3 gehören. Andererseits läßt sich das Prädikat wahr3 nur auf Sätze aus S3 anwenden. · So gesehen, muß L zu S3 gehören. Sätze der Form L gibt es also gar nicht: Sie lassen sich keiner Sprachebene konsistent zuordnen. • Lügnersätze verstoßen daher gegen die syntaktischen Regeln des logischen Sprachaufbaus. In diesem (erweiterten) Sinne sind sie ungrammatisch. 33 Winterlogik 2016-17 / fol. 373 Tarski und der Lügner Mehr oder weniger gute Einwände • Der Aufbau einer Sprachhierarchie ist sehr künstlich, weshalb Tarski selbst jede Sprache dieser Art eine Kunstsprache nennt. (“The concept of truth in formalized languages”, so der Titel einer seiner Aufsätze.) ?Antwort: Semantische Theorien wirken auf unbedarfte Sprecher immer “künstlich”. • Daß natürliche Sprachen auf “versteckte” (d.h. für die meisten Sprecher unbemerkte) Weise aus Sprachschichten bestehen, klingt recht unplausibel. ?Antwort: Das mag daran liegen, daß wir selten Lügnersätze gebrauchen und daher selten in die Verlegenheit geraten, die Sprachschichten explizit zu machen. 34 Winterlogik 2016-17 / fol. 374 Tarski und der Lügner Ein starker Einwand (Kripke) ”It really is a nice theory. The only defect I think it has is probably common to all philosophical theories. It’s wrong.”2 • Es ist nicht klar, in welchem Sinne eine natürliche Sprache überhaupt geschichtet sein könnte. 2 Das ist wirklich eine schöne Theorie. Sie leidet nur an einer Schwäche, die, so glaube ich, wahrscheinlich alle philosophischen Theorien teilen: Sie ist falsch. 35 Winterlogik 2016-17 / fol. 375 Tarski und der Lügner Am Vorabend der Verhandlung sagt Frau Mustermann nur dies: (9) Morgen werden Sie von Herrn Mustermeier endlich die Wahrheit erfahren. Am Verhandlungstag sagt Mustermeier den Reportern: (10) Was immer Frau Mustermann Ihnen gestern gesagt haben mag, gehen Sie davon aus, daß es nicht wahr ist. Merkwürdig: (9) sieht ziemlich harmlos aus. Jedoch wird am Tag darauf ein Lügnersatz daraus! Denn Saul Kripke – Wenn (9) wahr ist, dann ist (10) wahr, d.h. (9) ist nicht wahr; – und wenn (9) nicht wahr ist, dann ist also auch (10) nicht wahr und somit muß (9) wahr sein. – (9) ist also wahr und nicht wahr. 36 Winterlogik 2016-17 / fol. 376 Tarski und der Lügner ◦ Die Zuordnung einer Sprachebene zu (9) hängt also nicht von (9) allein ab, sondern von dem, was sonst noch gesagt wird. ◦ Insbesondere läßt sich die Frage, ob ein Satz paradox ist, nur im Kontext der Gesamtheit aller geäußerten Sätze beurteilen. Im Kontext einer Satzmenge eingebettet, mag ein Satz paradox sein, im Kontext einer anderen Menge nicht. ◦ Das erfordert eine Theorie, die deutlich komplexer ist als die Tarski’sche. % Kripke, Outline of a theory of truth, The Journal of Philosophy 72 (1975), pp. 690-716. 37 Winterlogik 2016-17 / fol. 377 Die Lügner-Paradoxie—Woran liegt’s? Die Lügner-Paradoxie—Woran liegt’s? Wir werfen noch einmal einen Blick auf das Argument, welches die Lügner-Paradoxie erzeugt. Die erste Voraussetzung: Die Sprache muß genügend ausdrucksreich sein. • Lügnersätze lassen sich nur bilden, wenn wir in der betrachteten Sprache uns auf Sätze dieser Sprache beziehen können. L: L ist nicht wahr. Die zweite Voraussetzung: In der Sprache gibt es ein Wahrheitsprädikat wahr( ). D.h. für jeden Satz A der Sprache gilt T. wahr(A) gdw A. Dann können wir L in das T-Schema einsetzen: TL. wahr(L) gdw L und so (L = nicht wahr(L)) erhalten wir TL0 . wahr(L) gdw nicht wahr(L). 38 Winterlogik 2016-17 / fol. 378 Die Lügner-Paradoxie—Woran liegt’s? TL0 . wahr(L) gdw nicht wahr(L). Noch haben wir keine Paradoxie. Dazu brauchen wir zunächst eine Instanz des Satzes vom Ausgeschlossenen Dritten, AD (a) L ist wahr oder (b) L ist nicht wahr. Dann geht es so weiter (s.o.): · Im Falle (a) folgt aus TL0 (re nach li), daß L wahr und nicht wahr ist. · Im Falle (b) folgt ebenfalls aus TL0 (li nach re), daß L wahr und nicht wahr ist. ◦ Also ist L in jedem Falle wahr und nicht wahr, d.h. (X) L ist wahr und nicht wahr. 39 Winterlogik 2016-17 / fol. 379 Die Lügner-Paradoxie—Woran liegt’s? (X) L ist wahr und nicht wahr. Wir könnten das akzeptieren: Es gibt die Eigenschaft wahr zu sein und die Eigenschaft nicht wahr zu sein; manche Sätze haben beide. Aber dagegen spricht der Satz vom Ausgeschlossenen Widerspruch: AW Kein Satz ist wahr und nicht wahr. Erst jetzt haben wir eine Paradoxie: • Ausgehend von plausiblen Annahmen, sind wir auf eine Konklusion gestoßen, (X), von der wir nicht plausibel annehmen können (AW!), daß sie wahr ist. 40 Winterlogik 2016-17 / fol. 380 Die Lügner-Paradoxie—Woran liegt’s? TL0 . wahr(L) gdw nicht wahr(L) .... (X) L ist wahr und nicht wahr. Erst nachdem wir die paradoxe Argumentation in diesem Detail dargestellt haben, sehen wir, daß es genau drei Stellen gibt, an denen wir im Prinzip eingreifen können. • Tarski dreht an der zweiten Voraussetzung: Wir haben nicht ein Wahrheitsprädikat, sondern viele; eines für jede Ebene der Sprache. Als Resultat ist das TSchema entsprechend eingeschränkt (und in doppeltem Sinne schematisch): Wenn A ∈ Sn , dann: wahrn (A) gdw A. So kann es erst gar nicht zum Bikonditional TL kommen. • Wir könnten TL0 akzeptieren aber den Satz vom Ausgeschlossenen Dritten ablehnen. So könnten wir den Weg zu (X) versperren. Dann müßten wir erklären, in welchem Sinne der Lügnersatz weder wahr noch nicht wahr ist. • Schließlich könnten wir auch (X) noch akzeptieren, jedoch den Satz vom Ausgeschlossenen Widerspruch zurückweisen. Wir müßten dann erklären, in welchem Sinne man von einem Satz (wie L) verständlich sagen kann, daß er wahr und auch nicht wahr ist. All diese Lösungsvorschläge für die Lügner-Paradoxie gibt es. 41 Winterlogik 2016-17 / fol. 381 Die Lügner-Paradoxie—Woran liegt’s? Currys Paradoxie Wie effektiv wäre es, die Logik so zu reformieren, daß der Satz vom Ausgeschlossenen Dritten oder EFQ nicht mehr gültig ist? ◦ Können wir durch eine solche Abschwächung der Logik Paradoxien, die durch Selbstbezug erzeugt werden, ausschließen? Tatsächlich lauern weitere Gefahren. Man betrachte den folgenden Satz: C : Wenn dieser Satz wahr ist, dann ist alles wahr. Oder, etwas formaler: C : wahr(C) → A. Wir zeigen (mit ein wenig Logik), daß in Sprachen, in denen ein Satz wie C gebildet werden kann, alles wahr ist. Da nach dem T-Schema wahr(C) ↔ C, können und wollen wir C äquivalent in dieser Form betrachten: C : C → A. 42 Winterlogik 2016-17 / fol. 382 Die Lügner-Paradoxie—Woran liegt’s? C: C→A In der Tautologie C→C ID. ersetzen wir C im Konsequens durch das, was C sagt: C → (C → A). (∗) Ebenfalls eine Tautologie ist dieses Schema (“Kontraktion” genannt): W. (C → (C → A)) → (C → A) Aus (*) und W erhalten wir durch Modus Ponens (†) C → A. Das ist aber nichts anderes als C, woraus mit (†) durch Modus Ponens folgt, daß A, d.h. Alles (da A beliebig gewählt war). 43 Winterlogik 2016-17 / fol. 383 Die Lügner-Paradoxie—Woran liegt’s? • Currys Paradoxie scheint zu zeigen, daß Selbstbezüglichkeit gefährliche Möglichkeiten eröffnet – auch ohne daß Negation im Spiel sein muß. (Deshalb hilft es in diesem Fall nicht, den Satz vom AD oder AW bzw. EFQ abzulehnen.) • Wesentlich für Currys Paradox sind lediglich · Selbstbezug (C : C → A bzw. C ↔ (C → A)), · das Identitätsschema A → A, · das Kontraktionsschema A → (A → B) → (A → B), · und Modus Ponens. • Wollte man der Paradoxie durch eine Einschränkung der logischen Mittel beikommen, müßte es sich um eine beträchtliche Einschränkung handeln. (Vielleicht wäre Kontraktion das schwächste Glied in der Argumentation.) Haskell B. Curry, The inconsistency of certain formal logics, Journal of Symbolic Logic 7 (1942), 115–117. 44 Winterlogik 2016-17 / fol. 384 Die Lügner-Paradoxie—Woran liegt’s? Mehr über die Paradoxien und moderne Wahrheitstheorien Blättern Sie online in (klickbar) Oder klicken Sie einfach auf http://plato.stanford.edu/search/searcher.py?query=liar oder http://plato.stanford.edu/search/searcher.py?query=truth http://plato.stanford.edu/entries/curry-paradox/ 45 Winterlogik 2016-17 / fol. 385 Übergang zur Aussagenlogik Übergang zur Aussagenlogik ... als Abstraktion aus der Prädikatenlogik Wir zeigen hier, wie die Syntax und Semantik der Aussagenlogik sich einfach durch das Absehen (“Abstraktion”) von bestimmten Aspekten der Prädikatenlogik ergibt. • Dies bedeutet, daß wenn wir uns mit Aussagenlogik beschäftigen, dann beschäftigen wir uns tatsächlich auf abstrakte Weise mit Prädikatenlogik. • Es spricht einiges für die teils philosophische teils linguistische Hypothese, daß die Prädikatenlogik im Prinzip für die logische Analyse zumindest großer Teile natürlicher Sprachen ausreicht. (Davidsons Programm.) • Es spricht noch mehr dafür, daß Theorien (im weitesten Sinne) über die Welt im Prinzip prädikatenlogisch formuliert werden sollten. (Quines Programm.) • Die Aussagenlogik – als Abstraktion aus der Prädikatenlogik – behandelt daher wichtiger Teile der Alltagssprache, insbesondere solche, die für die Formulierung von Weltwissen unverzichtbar ist. 46 Winterlogik 2016-17 / fol. 386 Übergang zur Aussagenlogik Definition 1. Das Alphabet einer AL-Sprache besteht aus . . . 1. einer Menge von Individuenvariablen ... 2. einer Menge von Funktionszeichen ... 3. einer nichtleeren Menge von Prädikatausdrücken: PRD = {P1 , P2 , . . .}, allesamt 0-stellig (atomare Formeln); 0-stellige Prädikate nennen wir jetzt Atome (atomare Formel) (Menge: ATM); 4. einer Menge von Quantoren ... 5. einer Menge von Verknüpfungen (Junktoren): JUN = {J1 , J2 , . . .}, wobei s(J) ≥ 0 für jeden Junktor J die Anzahl der Formeln angibt, die er verknüpft. 47 Winterlogik 2016-17 / fol. 387 Übergang zur Aussagenlogik Definition 2. Die Mengen TRM der Terme und FML der Formeln einer PL ALSprache sind jeweils [ist] die kleinsten Mengen, welche die folgenden Bedingungen erfüllen[t]: 1. VAR ⊆ TRM; 2. Wenn f ∈ FUN mit s(f ) = n (n ≥ 0) und t1 , . . . , tn ∈ TRM, dann f t1 . . . tn ∈ TRM; falls s(f ) = 0, dann nennen wir f ∈ TRM eine Individuenkonstante. 3. Wenn P 0 ∈ ATM dann P ∈ FML. 4. Wenn Q ∈ QUA, x ∈ VAR und A ∈ FML, dann QxA ∈ FML; 5. Wenn J n ∈ JUN und A1 , . . . , An ∈ FML, dann JA1 . . . An ∈ FML; falls s(J) = 0, dann nennen wir J ∈ FML eine Satzkonstante. 48 Winterlogik 2016-17 / fol. 388 Übergang zur Aussagenlogik Als Vorlage für die semantische Theorie einer PL-Sprache nehmen wir hier die erste, Interpretationstheorie. Definition 3. Ein Modell für eine PL-Sprache L ist ein Tripel M = (UM , VM , IM ) bestehend aus 1. einer nichtleeren Menge UM (Grundmenge, Träger, Bereich oder Universum von M genannt); 2. einer Menge V = {0, 1} von Wahrheitswerten;3 3. einer Funktion I (Interpretation), welche wie folgt definiert ist. a) Wenn f n ∈ FUN, dann ist I(f ): U n −→ U (eine n-stellige Funktion); b) Wenn x ∈ VAR, dann ist I(x) ∈ U . c) wenn P 0 ∈ ATM, dann ist I(P ) ∈ V d) Wenn J n ∈ JUN, dann ist I(J) eine n-stellige Wahrheitswertfunkion V n −→ V . 3 Diese bisher stillschweigend angenommene Zutat zu einem Modell machen wir jetzt explizit. Später betrachten wir auch Aussagenlogiken mit mehr als zwei Wahrheitswerten. 49 Winterlogik 2016-17 / fol. 389 Übergang zur Aussagenlogik Definition 4. Es sei M = (U , V, I) ein Modell. Wir definieren eine Interpretation [ ] : FML −→ {0, 1} in M für beliebige Formeln. 1. A ist ein Atom, P 0 : [P ] = 1 gdw I(P ) = 1; 2. A ist eine Negation, A = ¬B: [¬B] = 1 gdw [B] = 0; 3. A ist eine Konjunktion, A = B ∧ C: [B ∧ C] = 1 gdw [B] = [C] = 1; 4. A ist eine Disjunktion, A = B ∨ C: [B ∨ C] = 1 gdw [B] = 1 oder [C] = 1; 5. A ist eine Implikation, A = B → C: [B → C] = 1 gdw [B] = 0 oder [C] = 1; 6. A ist universal quantifiziert, A = ∀xB: [∀xB]M = 1 gdw [B]M 0 für alle M 0 ∈ Mx . 7. A ist existenzial quantifiziert, A = ∃xB: [∃xB]M gdw [B]M 0 für mindestens ein M 0 ∈ Mx . 50 Winterlogik 2016-17 / fol. 390 Übergang zur Aussagenlogik Spickzettel AL Alphabet Atome (ATM): P, Q, R, ... Junktoren: ⊥, >, ¬, ∧, ∨, → Grammatik ATM ⊆ FML. ⊥, > ∈ FML. Wenn A, B ∈ FML, dann ¬A, A ∧ B, A ∨ B, A → B ∈ FML. 51 Winterlogik 2016-17 / fol. 391 Übergang zur Aussagenlogik Semantik Modell M = ({0, 1}, I), I : ATM −→ {0, 1} Erweiterung zu einer Interpretation [ ]M : FML −→ {0, 1} aller Formeln wie folgt: [P ] = 1 gdw I(P ) = 1. [⊥] = 0, [>] = 1. [¬A] = 1 gdw [A] = 0. [A ∧ B] = 1 gdw [A] = 1 = [B]. [A ∨ B] = 1 gdw [A] = 1 oder [B] = 1. [A → B] = 1 gdw [A] = 0 oder [B] = 1. A ist wahr in M = ({0, 1}, I) (auch: A ist wahr unter I) gdw [A]M = 1. A ist logisch wahr (gültig, |= A) gdw A in allen Modellen wahr ist. A folgt aus Γ (Γ |= A) gdw für alle M : wenn Γ wahr ist in M , dann ist A wahr in M . 52 Winterlogik 2016-17 / fol. 392 Goethe-Universität Frankfurt am Main Institut für Philosophie Logik im Winter 2016-17 Theorie der Wahrheitsfunktionen (Teil 1) André Fuhrmann 11wfunktionen1 170117.1125 Winterlogik 2016-17 / fol. 393 George Boole (1815–1864) 2 Winterlogik 2016-17 / fol. 394 Aussagenlogik Aussagenlogik Alphabet Atome (ATM): P, Q, R, ... Junktoren: ⊥, >, ¬, ∧, ∨, → Grammatik (Definition der Formelmenge) ATM ⊆ FML; ⊥, > ∈ FML; wenn A, B ∈ FML, dann ¬A, A ∧ B, A ∨ B, A → B ∈ FML. 3 Winterlogik 2016-17 / fol. 395 Aussagenlogik Semantik M = ({0, 1}, I), wobei die Interpretation I Atome auf Wahrheitswerte und Junktoren auf Wahrheitswertfunktionen wie folgt abbildet: (Es seien v, v1 , v2 Variablen für Wahrheitswerte.) Für alle P ∈ ATM : I(P ) ∈ {0, 1} I(⊥) = 0 I(¬) = n mit n(v) = 1 − v I(∧) = k I(∨) = d I(→) = i, wobei: k(v1 , v2 ) = min(v1 , v2 ) d(v1 , v2 ) = max(v1 , v2 ) i(v1 , v2 ) = max(1 − v1 , v2 ) Die Darstellung dieser Funktionen mithife von Wahrheitstafeln folgt gleich! 4 Winterlogik 2016-17 / fol. 396 Aussagenlogik Definition des Erfüllungsprädikats (im Modell M ) |=M (links) bzw. der erweiterten Interpretation [[ ]]M (rechts): |=M ⊆ FML |= P gdw I(P ) = 1 Nie |= ⊥, immer |= > |= ¬A gdw 6|= A |= A ∧ B gdw |= A und |= B |= A ∨ B gdw |= A oder |= B |= A → B gdw 6|= A oder |= B [[ ]]M : FML −→ {0, 1} [[P ]] = I(P ) [[⊥]] = 0, [[>]] = 1 [[¬A]] = 1 − [[A]] [[A ∧ B]] = min([[A]], [[B]]) [[A ∨ B]] = max([[A]], [[B]]) [[A → B]] = max(1 − [[A]], [[B]]) (In allen Zeilen denken wir uns den Bezug auf ein Modell M dazu.) • A ist gd wahr in M wenn |=M A bzw [[A]]M = 1. • A ist gd logisch wahr wenn A in allen Modellen wahr ist. • A folgt gd aus einer Formelmenge Γ, wenn A in allen Modellen wahr ist, denen Γ wahr ist. 5 Winterlogik 2016-17 / fol. 397 Aussagenlogik Die “Funktionsweise” der Wahrheitsfunktionen fassen wir in einer Tafel zusammen: A B ¬A A∧B A∨B A→B A↔B 0 0 1 0 0 1 1 0 1 1 0 1 1 0 1 0 0 0 1 0 0 1 1 0 1 1 1 1 Ganz rechts haben wir noch die nicht ganz unwichtige Funktion e([[A]], [[B]]) bzw. ↔ AB der Äquivalenz hinzugenommen, welche so definiert ist: [[↔ AB]] = 1 gdw [[A]] = [[B]] Ein wenig Nachrechnen zeigt, daß sich die Funktion e auch als die Funktion i in beide Richtungen beschreiben läßt, also so: e([[A]], [[B]]) = k(i([[A]], [[B]]), i([[B]], [[A]])). Syntaktisch könnten wir daher ↔ einfach als Abkürzung im Sinne einer der folgenden 6 Winterlogik 2016-17 / fol. 398 Aussagenlogik definitorischen Gleichungen (Gleichsetzungen, :=) behandeln: A ↔ B := (A ∧ B) ∨ (¬A ∧ ¬B) := (A → B) ∧ (B → A) := (¬A ∨ B) ∧ (¬B ∨ A) · Die erste Gleichung entspricht unserer ersten Definition von e als Gleichheit der Wahrheitswerte von A und B. · Die zweite Gleichung behandelt Äquivalenz als Implikation in beide Richtungen. · Die dritte Gleichung geht von der zweiten aus und rekapituliert darin die Definition der Implikation. · Übung: Überzeugen Sie sich davon, daß in allen drei Zeilen (auf der rechten Seite) dieselbe Wahrheitsfunktion beschrieben wird und finden Sie eine weitere, äquivalente Beschreibung. 7 Winterlogik 2016-17 / fol. 399 Aussagenlogik Diese und ähnliche Beobachtungen über die Definierbarkeit von Wahrheitsfunktionen bringen uns zu zwei interessanten Fragen: • Wieviele Wahrheitsfunktionen (zweier Wahrheitswerte) gibt es eigentlich? • Da es vermutlich viele gibt, läßt sich die Vielfalt auf einige wenige durch Definitionen reduzieren? 8 Winterlogik 2016-17 / fol. 400 Die Vielfalt der Wahrheitsfunktionen Die Vielfalt der Wahrheitsfunktionen Einstellige Wahrheitsfunktionen Neben der Negation gibt es drei weitere einstellige (“unäre”) Wahrheitsfunktionen, die uns nicht weiter beschäftigen werden: A U1 A U2 A U3 A ¬A 1 0 0 1 0 0 1 0 1 1 (U1 die Falschmacherfunktion, U2 die Wahrmacherfunktion, U3 die Leerlauf- oder Identitätsfunktion.) Damit ist der Bereich möglicher einstelliger Wahrheitsfunktionen offensichtlich erschöpft. DENKPAUSE: Könnte man unsere Konstanten Verum (>) und Falsum (⊥) nicht mit Hilfe der einen oder anderen U-Funktion definieren? 9 Winterlogik 2016-17 / fol. 401 Die Vielfalt der Wahrheitsfunktionen Zweistellige Wahrheitsfunktionen Wieviele zweistellige (binäre) Wahrheitsfunktionen gibt es? Dazu sehen wir uns das folgende Schema einer Wahrheitstafel für eine zweistellige Verknüpfung an: A B A◦B 0 0 ? 0 1 ? 1 0 ? 1 1 ? Die Funktion hat zwei Stellen (Exponent), A und B, und an jeder dieser Stellen kann einer von zwei möglichen Werten (Basis) vergeben werden. Also haben wir hier richtig 22 = 4 vier Zeilen für die Wahrheitstafel einer zwei-stelligen Wahrheitsfunktion vorgesehen. (Gäbe es statt zweier Wahrheitswerte drei (zB 0, 1 und “Unsinn”), dann hätten wir 32 = 9 Zeilen auszufüllen.) 10 Winterlogik 2016-17 / fol. 402 Die Vielfalt der Wahrheitsfunktionen A B 0 0 1 1 0 1 0 1 A◦B ? ? ? ? In jeder der vier Zeilen (Exponent) der Tafel kann wiederum einer von zwei möglichen Werten (Basis) vergeben werden (der Funktionswert). Also gibt es 24 = 16 Möglichkeiten die Tafel auszufüllen, d.h. es gibt 16 verschiedene Wahrheitsfunktionen zweier Argumente. (Frage: Wieviele verschiedene binäre Wahrheitsfunktionen gibt es, wenn wir von drei Wahrheitswerten ausgehen?) Wir stellen die binären Verknüpfungen zweier Werte in der nächsten Tafel (etwas gedrängter als bisher) dar: 11 Winterlogik 2016-17 / fol. 403 Die Vielfalt der Wahrheitsfunktionen B1 ∧ B3 B4 B5 B6 B7 ∨ B9 ↔ B11 B12 B13 → B15 B16 00 01 10 11 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 1 1 0 1 0 0 0 1 0 1 0 1 1 0 0 1 1 1 1 0 0 0 1 0 0 1 1 0 1 0 1 0 1 1 1 1 0 0 1 1 0 1 1 1 1 0 1 1 1 1 12 Winterlogik 2016-17 / fol. 404 Die Vielfalt der Wahrheitsfunktionen Drei- und mehrstellige Wahrheitsfunktionen • Eine n-stellige Wahrheitsfunktion hat n Argumente: f (v1 , ..., vn ). • Jedes der Argumente kann einen von zwei Werten haben: wahr (1) oder falsch (0). • Also besteht die Wahrheitstafel für eine n-stellige Wahrheitsfunktion aus 2n Zeilen. • In jeder Zeile der Tafel kann die Funktion einen von zwei Werten annehmen: Wahr (1) oder Falsch (0). n) (2 • Also gibt es 2 verschiedenen Wahrheitsfunktionen mit n Argumenten: n=3: 3 2(2 ) = 28 = 256 dreistellige Funktionen, n=4: 4 (2 2 ) = 216 = 65 536 vierstellige Funktionen usw. Die Zahl möglicher Wahrheitsfunktionen wächst also sehr schnell mit zunehmender Stelligkeit! Spätestens hier stellt sich die Frage: • Kann es so etwas wie eine vollständige Theorie aller möglichen Wahrheitsfunktionen überhaupt geben? 13 Winterlogik 2016-17 / fol. 405 Die Vielfalt der Wahrheitsfunktionen Die Antwort lautet: Ja — und es gibt sehr viele solcher Theorien. • Eine der einfachsten dieser Theorien besteht im Grunde aus nicht mehr als der Tafel für einen einzigen zweistelligen Junktor. • Einen solchen Schlüssel zum Universum der Wahrheitsfunktionen, einen “universalen” Junktor, werden wir kennenlernen. (Er versteckt sich zZt noch unter den B1 − B16 .) 14 Winterlogik 2016-17 / fol. 406 Funktionale Äquivalenz und Vollständigkeit, 1 Funktionale Äquivalenz und Vollständigkeit, 1 Die mit der Formel A→B (1) beschriebene Implikationsfunktion i, i([[A]], [[B]]) = max(1 − [[A]], [[B]]) gibt für die Argumente [[A]] und [[B]] dasselbe Resultat wie die (komplexe) Funktion d(n([[A]]), [[B]]), welche durch die folgende Formel beschrieben wird ¬A ∨ B. (2) Daß (1) A → B und (2) ¬A ∨ B eigentlich dasselbe beschrieben, nämlich dieselbe Wahrheitsfunktion, sehen wir sofort, wenn wir die Wahrheitstafeln vergleichen: 15 Winterlogik 2016-17 / fol. 407 Funktionale Äquivalenz und Vollständigkeit, 1 A B 0 0 1 1 0 1 0 1 A→B 1 1 0 1 ¬A ∨ B 1 1 0 1 Für jede Verteilung der Werte über A und B (d.h. in allen Modellen) nehmen die beiden Formeln denselben Wert an. Wir drücken diesen Sachverhalt kurz so aus: A → B ≡ ¬A ∨ B. NB : Das Zeichen “≡” ist kein Zeichen der Formelsprache, sondern eine Abkürzung in unserer deutschen Metasprache für logische Äquivalenz zwischen Formeln, im gerade beschriebenen Sinne. (A ≡ B gdw ∀M, [[A]]M = [[B]]M .) 16 Winterlogik 2016-17 / fol. 408 Funktionale Äquivalenz und Vollständigkeit, 1 • Aus der Äquivalenz von A → B und ¬A ∨ B folgt unmittelbar, daß alles, was sich in einer Sprache mit {¬, ∨, →} sagen läßt, auch in einer “kleineren” Sprache mit {¬, ∨} sagen läßt — nur, vielleicht, etwas umständlicher. • Eigentlich ist die eine Sprache gar nicht kleiner als die andere. Denn die beiden Junktorenmengen {¬, ∨, →} und {¬, ∨} sind funktional äquivalent: Sie erlauben, genau dieselben Wahrheitsfunktionen zu beschreiben. Hier sind zwei weitere funktional äquivalente Mengen von Junktoren: {¬, ∧} und {¬, ∨}. Die beiden Mengen sind funktional äquivalent weil einerseits A ∨ B ≡ ¬(¬A ∧ ¬B), und andererseits A ∧ B ≡ ¬(¬A ∨ ¬B). So kann mittels der ersten Äquivalenz die Disjunktion durch ¬ und ∧ und mittels der zweiten Äquivalenz die Konjunktion durch ¬ und ∨ ausgedrückt werden. Die beiden Junktoren-Mengen sind also gleich ausdrucksstark. (Machen Sie sich das unbedingt klar — am besten anhand von Wahrheitstafeln!) Weiter ... 17 Winterlogik 2016-17 / fol. 409 Funktionale Äquivalenz und Vollständigkeit, 1 • Wir wissen bereits, daß sich ↔ mit → und ∧ ausdrücken läßt: A ↔ B ≡ (A → B) ∧ (B → A). Also ist ↔ “implizit” in {∧, →} und also auch in {¬, ∨} und in {¬, ∧} enthalten. • Die falsum-Konstante ⊥ definieren wir einfach so: P ∧ ¬P (für irgendein Atom P ). Und die verum-Konstante > ist natürlich nichts anderes als ¬⊥. Also sind auch die Mengen {¬, ∧} und {⊥, >, ¬, ∧, ∨, →, ↔} funktional äquivalent. Diese und andere Äquivalenzbeobachtungen geben Anlaß zu der Vermutung, daß die Theorie der Wahrheitsfunktionen reduziert werden kann auf die Betrachtung einiger ganz weniger Funktionen, aus denen dann alle weiteren bei Bedarf definiert werden können. • Eine Menge von Junktoren, die genügt, um schlichtweg alle (beliebigstelligen!) Junktoren auszudrücken, die also funktional äquivalent ist zur Menge aller Junktoren, heißt funktional vollständig. 18 Winterlogik 2016-17 / fol. 410 Funktionale Äquivalenz und Vollständigkeit, 1 Im Jahr 1920 hat Emil Post die Vermutung für die folgende Menge bewiesen. Satz 1. Die Menge {¬, ∧} ist funktional vollständig. Der Beweis des Satzes wird der Zielpunkt unseres Streifzugs durch die Welt der Wahrheitsfunktionen sein. Für den Beweis brauchen wir ein weiteres Instrument, “Induktion” genannt. Um dieses Instrument und seine Anwendungen zu verstehen, beginnen wir wir mit einer kleinen Beobachtung über das Verhältnis von ↔ und ≡. 19 Winterlogik 2016-17 / fol. 411 Funktionale Äquivalenz und Vollständigkeit, 1 Die Zeichen ↔ und ≡ drücken so etwas wie “Gleichwertigkeit” (Äquivalenz) aus — aber mit einem kleinen Unterschied: • A ↔ B ist ein Satz der Formelsprache, die wir untersuchen. Das Zeichen ↔ interpretieren wir als eine bestimmte Wahrheitsfunktion. • A ≡ B ist ein Satz der Theoriesprache, in der wir die Untersuchung ausführen. Das Zeichen ≡ kürzt eine bestimmte Beziehung zwischen Wahrheitstafeln (besser: Modellen/Interpretationen) ab. Aber natürlich gibt es da einen engen Zusammenhang: Satz 2. 1. A |= B gdw |= A → B. 2. A ≡ B gdw |= A ↔ B: Die Formeln A und B werden in beliebigen Modellen immer nur zusammen wahr gdw die Formel A ↔ B eine logische Wahrheit ist. Der Satz folgt unmittelbar aus der Definition der Folgerung (|=) bzw. der logischen Äquivalenz (≡) sowie den Wahrheitsbedingungen für → bzw. ↔. Übung! 20 Winterlogik 2016-17 / fol. 412 Funktionale Äquivalenz und Vollständigkeit, 1 Von dem nächsten Satz werden wir so häufig Gebrauch machen, daß wir seinen Gebrauch im einzelnen gar nicht mehr erwähnen werden: · Äquivalente Formeln tauschen wir beliebig gegeneinander aus! Satz 3. (Ersetzbarkeit) Es sei B ≡ B 0 und A[B 0 /B] sei das Resultat der Ersetzung beliebig vieler Vorkommen von B durch B 0 in einer Formel A (“A mit B 0 für B”). Dann ist A ≡ A[B 0 /B]. Was der Satz sagt, ist eigentlich ganz einfach: • Formeln beschreiben mehr oder weniger komplexe Wahrheitsfunktionen. • Wenn Sie in einer solchen Funktion äquivalente (≡) Teile austauschen, d.h. solche, die immer denselben Wert erhalten, gleichgültig welche Werte letztlich die Atome haben, dann wird sich am Wert des Ganzen (in dem Sie etwas ausgetauscht habe) nichts ändern. Der Satz sagt etwas über Ersetzbarkeit in allen möglichen Formeln: Alle Formeln sollen die genannte Eigenschaft haben. Wie prüfen wir so etwas nach? — Sicher nicht Formel für Formel. Wie können wir den Satz dann beweisen? — Fall für Fall ! Das nennt man “Induktion über den Formelaufbau” ... 21 Winterlogik 2016-17 / fol. 413 Exkurs: Induktion Exkurs: Induktion Logische Untersuchungen richten sich in der Regel auf unendliche Mengen: • die Menge aller Tautologien, • die Menge aller in einem Modell erfüllbaren Formeln, • die Menge aller Terme (in der Prädikatenlogik), • die Menge aller in einem Kalkül ableitbaren Formeln, etc. Um etwas interessantes über solche Menge aussagen zu können, brauchen wir gewisse Werkzeuge, nämlich erstens, • ein wenig Mengenlehre (haben wir schon) und, zweitens, • ein Beweisprinzip, welches auf der besonderen Weise der Definition solcher Mengen aufbaut. Das ist das Prinzip der Induktion.1 1 Manchmal spricht man von “vollständiger” Induktion, um dieses Beweisprinzip, welches Irrtumsmöglichkeiten vollständig ausschließt, zu unterscheiden von induktiven Argumentationen, die widrige Fälle nur mit mehr oder minder hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen können. Beispiel für eine “unvollständige” Induktion ist das unten folgende Dominoprinzip. 22 Winterlogik 2016-17 / fol. 414 Exkurs: Induktion 23 Winterlogik 2016-17 / fol. 415 Exkurs: Induktion Beschreibung einer Dominokette (1) Ein Stein d1 wird senkrecht aufgestellt; dieser steht am Anfang der Reihe (ist also kein Nachfolger eines Steins). (Anfang) (2) Jeder Stein d wird so aufgestellt, daß der Nachfolger d0 in einem Abstand von d steht, der kleiner als die Länge von d ist. (Schritt) Die Kettenreaktion Wenn (1) Stein 1 fällt; und (2) für alle Steine n gilt: wenn Stein n fällt, dann fällt der unmittelbare Nachfolgestein n + 1; dann (3) fallen alle Steine. 24 Winterlogik 2016-17 / fol. 416 Exkurs: Induktion Das Dominoprinzip Das legt ein Argumentationsmuster nahe, um zu begründen, warum es zur Kettenreaktion kommt, d.h. alle Steine fallen: · Verifiziere den Anfang: Stein d1 fällt. · Gehe aus von der Annahme: Ein beliebig herausgegriffener Stein d fällt. · Argumentiere für den Schritt: Dann fällt Stein d0 . · Schließe: Alle Steine fallen. Wichtige Beobachtung: ◦ Das Dominoprinzip rekapituliert in seinen Schritten die jeweiligen Schritte der “induktiven” Beschreibung einer Dominokette: Anfang, Stellung eines Steins zu seinem Nachfolger. • Allgemein gilt: Beweise durch Induktion rekapitulieren die induktive (rekursive) Definition der Objekte über die etwas ausgesagt werden soll. 25 Winterlogik 2016-17 / fol. 417 Exkurs: Induktion Anmerkung. Natürlich können Sie nicht strikt beweisen, daß in einer konkreten Dominokette immer alle Steine fallen werden. Ob die Steine fallen, ist eine empirische Frage. Der Umstand, daß je zwei konkrete Steine im beschriebenen Abstand zueinander stehen und der erste Stein fällt, macht es nicht logisch zwingend, daß alle Steine fallen. (Vieles könnte das verhindern, auch wenn es nicht sehr wahrscheinlich sein mag: Ein Stein könnte angeschraubt oder besonders schwer sein, oder jemand hält die Kette einfach auf.) Mit abstrakten Gegenständen, wie Zahlen oder Formeln, ist das ganz anders. Hier betrachten wir nur diejenigen Eigenschaften, die ihnen per Definition zukommen. Alle weiteren Eigenschaften können nur logisch aus diesen Definitionen entwickelt werden. (Abstrakte Gegenstände haben keine Eigenschaften, die wir mit logischen Mitteln allein nicht vorhersehen können.) Deshalb sind induktive Beweise zB über Zahlen (soweit sie nur auf deren definierte Eigenschaften zurückgreifen) zwingend, während sie im Falle von Dominosteinen nur mehr oder weniger plausibel sind. 26 Winterlogik 2016-17 / fol. 418 Exkurs: Induktion Beispiel: Induktion über Zahlzeichen 1, 12, 124, 1241, ... Jeder weiß, was mit einer (endlichen) Ziffernverkettung gemeint ist. Wir schreiben das einmal als eine induktive Definition (Zv) auf: (1) Jede Ziffer ist eine Ziffernverkettung (nämlich der einfachsten Art). (Anfang) (2) Wenn y eine Ziffernverkettung ist und z eine Ziffer ist, dann ist yz eine Ziffernverkettung. (Schritt) (Nichts sonst ist eine Ziffernverkettung.) Die Induktion im folgenden Beweis folgt einfach der Induktion in der Definition. Erinnerung an die etwas andere Definition (Zz) eines Zahlzeichens: (1*) Jede Ziffer ist ein Zahlzeichen. (2*) Wenn x und y Zahlzeichen sind, dann ist xy ein Zahlzeichen. (Nichts sonst ist eine Ziffernverkettung.) 27 Winterlogik 2016-17 / fol. 419 Exkurs: Induktion Beobachtung. Jede Ziffernverkettung ist ein Zahlzeichen. Erster Beweis. (Dieser Beweis ist ein Beispiel für etwas, was wir später strukturelle Induktion nennen werden.) Es sei y eine Ziffernverkettung. I.B. (= Induktionsbasis, nach Teil (1) der Def. (Zv)): y ist eine Ziffer. Dann ist y ein Zahlzeichen nach (Zz). I.A. (= Induktionsannahme): Die Beobachtung gelte für eine Ziffernverkettung y, d.h. y sei ein Zahlzeichen. I.S. (= Induktionsschritt, nach Teil (2) der Def. (Zv)): Zu zeigen ist, daß wenn z eine Ziffer ist, dann ist die Ziffernverkettung yz ein Zahlzeichen. Nun ist y ein Zahlzeichen nach I.A. und z ist ein Zahlzeichen nach I.B. Es folgt dann unmittelbar aus (Zz), daß yz ein Zahlzeichen ist. Schluß: Jede Art Ziffernverkettungen nach der Def. (Zv) zu generieren, resultiert in einem Zahlzeichen nach der Def. (Zz). QED 28 Winterlogik 2016-17 / fol. 420 Exkurs: Induktion Jede Verkettung von Ziffern ist ein Zahlzeichen. Zweiter Beweis. (Jetzt führen wir die Induktion über die natürlichen Zahlen durch, welche die Länge einer Ziffernverkettung angeben.) Es sei z eine Ziffernverkettung und `(z) die Länge von z. I.B. (= Induktionsbasis) Fall `(z) = 1: Dann ist z ist eine Ziffer und also ist z ein Zahlzeichen nach (Zz). I.A. (= Induktionsannahme): Die Beobachtung gelte für `(z) = n. I.S. (= Induktionsschritt) Fall `(z) = n + 1: Dann ist z = xy, wobei x eine Ziffernverkettung mit `(x) = n und y eine Ziffer ist. Also ist x ein Zahlzeichen nach I.A. und y ist ein Zahlzeichen nach I.B.; somit ist xy ein Zahlzeichen nach (Zv). QED Übung: Beweisen Sie die Umkehrung (jedes Zz ist eine Zv) durch Ind. über die Länge eines Zahlzeichens! • Im Prinzip lassen sich alle Induktionsbeweise letztlich auf Induktion über die natürlichen Zahlen zurückführen. 29 Winterlogik 2016-17 / fol. 421 Exkurs: Induktion Induktion über die natürlichen Zahlen N = 0, 1, 2, 3, 4, 5, ... Die natürlichen Zahlen werden induktiv generiert aus einem · Anfangsobjekt, der Zahl 0 · durch fortgesetzte Anwendung der Nachfolgerfunktion ( )0 . Das folgende Beweisprinzip rekapituliert diese Art der induktiven Erzeugung des Bereichs der natürlichen Zahlen: Prinzip der einfachen (oder schwachen) Induktion über N Wenn (1) die Zahl 0 eine bestimmte Eigenschaft hat (Induktionsanfang), und wenn ferner (2) unter der Annahme, daß eine Zahl n die Eigenschaft hat (Induktionsannahme) auch der Nachfolger n0 die Eigenschaft hat (Induktionsschritt), dann (3) hat jede natürliche Zahl die Eigenschaft (Schluß). 30 Winterlogik 2016-17 / fol. 422 Exkurs: Induktion Anmerkung Manchmal ist es sinnvoll mit der Zahl 1 statt mit der 0 anzufangen. In diesem Fall führt man einen Induktionsbeweis über die Menge N∗ = N \ {0} der positiven ganzen Zahlen — formal macht das nicht den geringsten Unterschied, denn N und N∗ lassen sich ja — wie Sie bereits wissen — eins zu eins aufeinander abbilden. 31 Winterlogik 2016-17 / fol. 423 Exkurs: Induktion Beispiel. Jede positive ganze Zahl x hat die Eigenschaft 21 + · · · + 2x = 2x+1 − 2. Wir könnten uns die Behauptung plausibel machen, indem wir einige Zahlen ausprobieren. Z.B. x = 2: 21 + 22 = 2 + 4 = 6 = 8 − 2 = 23 − 2. Oder x = 5: 21 + 22 + 23 + 24 + 25 = 2 + 4 + 8 + 16 + 32 = 62 = 64 − 2 = 26 − 2. Die Behaupung scheint zu stimmen. Sicher sein, daß sie stimmt, können wir uns jedoch nicht, solange wir uns nur auf Stichproben stützen. Um Sicherheit zu haben, brauchen wir einen ... 32 Winterlogik 2016-17 / fol. 424 Exkurs: Induktion Jede positive ganze Zahl x hat die Eigenschaft 21 + · · · + 2x = 2x+1 − 2. Beweis. (Induktion über die positiven ganzen Zahlen, x.) Anfang: x = 1. Dann 21 = 2 = 4 − 2 = 21+1 − 2. Annahme: Eine beliebig gewählte Zahl n habe die Eigenschaft, d.h. 21 + · · · + 2n = 2n+1 − 2. IA Schritt: x = n + 1. Wir müssen zeigen, daß 21 + · · · + 2n + 2n+1 = 2(n+1)+1 − 2. Wir rechnen: 21 + · · · + 2n + 2n+1 = (2n+1 − 2) + 2n+1 IA = (2n+1 + 2n+1 ) − 2 = 2(2n+1 ) − 2 = 2n+2 − 2 Das beendet den Induktionsschritt und damit den Beweis. 33 Winterlogik 2016-17 / fol. 425 Exkurs: Induktion DENKPAUSE: Sie möchten einen Formel finden, die es Ihnen erlaubt, schnell beliebige Summen der Art 1 + 2, 1 + 2 + 3, 1 + 2 + 3 + 4, 1 + 2 + 3 + 4 + 5, ... zu berechnen. Nach einigem Probieren kommen Sie auf folgende Idee: Für jede natürliche Zahl x ≥ 2: x(x + 1) . 1 + ··· + x = 2 (Das ist die Gauß’sche Summenformel, 1786 vom kleinen C.F. gefunden.) Zeigen Sie, daß die Hypothese richtig ist durch Induktion über die natürlichen Zahlen x ≥ 2. 34 Winterlogik 2016-17 / fol. 426 Exkurs: Induktion DENKPAUSE: Zz : Für alle x ≥ 2, 1 + · · · + x = x(x+1) . 2 Anfang: x = 2. (...) Annahme: 1 + · · · + n = n(n+1) , 2 für beliebig gewähltes n. Schritt: x = n + 1. D.h. zz: 1 + · · · + n + (n + 1) = 1 + · · · + n + (n + 1) = = = = = IA (n+1)((n+1)+1) 2 n(n + 1) + (n + 1) IA 2 n(n + 1) 2(n + 1) + Umformen 2 2 n(n + 1) + 2(n + 1) Summieren 2 (n + 2)(n + 1) (n + 1) ausklammern 2 (n + 1)((n + 1) + 1) Umformen 2 35 Winterlogik 2016-17 / fol. 427 Exkurs: Induktion Kumulative Induktion über N Neben dem Prinzip der einfachen (“schwachen”) Induktion gibt es noch andere Versionen des Induktionsprinzips. In manchen Fällen erfordert die Definition des Bereichs oder die Eigenschaft, um die des geht, das Prinzip der starken Induktion (oder kumulativen bzw. Wertverlaufsinduktion). Es steht der gleich zu besprechenden strukturellen Induktion nahe. Prinzip der kumulativen (oder starken) Induktion über N Wenn (1) die Zahl 0 eine bestimmte Eigenschaft hat (Induktionsanfang), und wenn ferner (2) unter der Annahme, daß jede Zahl m < n die Eigenschaft hat (d.h. der gesamte Verlauf bis einschließlich n) (Induktionsannahme) auch n die Eigenschaft hat (Induktionsschritt), dann (3) hat jede natürliche Zahl die Eigenschaft (Schluß). 36 Winterlogik 2016-17 / fol. 428 Exkurs: Induktion φ = nachzuweisende Eigenschaft I.B. = Induktionsbasis I.A. = Induktionsannahme I.S. = Induktionsschritt 37 Winterlogik 2016-17 / fol. 429 Exkurs: Induktion Der Unterschied zwischen einfacher (schwacher) und kumulativer (starker) Induktion liegt in der Induktionsannahme für den Schritt zur Konklusion, daß n die Eigenschaft hat: • schwache I.: Nimm an, n − 1 habe die Eigenschaft. • starke I.: Nimm an, alle Zahlen kleiner als n haben die Eigenschaft. Wenn Sie den Induktionschritt in einer schwachen Induktion hinkriegen, dann kriegen Sie ihn natürlich auch in der starken Induktion hin. Denn • in der starken Induktion ist der Fall n unter einer stärkeren Annahme zu zeigen. • Damit ist die zweite Prämisse der Induktion (der Schritt) schwächer, als in der schwachen Induktion. • Ein Prinzip, daß Ihnen zu einer Konklusion aus schwächeren Prämissen verhilft, ist stärker als ein solches, daß stärkere Prämissen benötigt. • Deshalb scheint starke Induktion ein stärkeres Prinzip als einfache schwache Induktion zu sein. Der Schein trügt jedoch: Tatsächlich sind einfache (schwache) und kumulative (starke) Induktion äquivalent — was wir aber hier nicht beweisen wollen. 38 Winterlogik 2016-17 / fol. 430 Exkurs: Induktion Einfaches arithmetisches Beispiel für die kumulative Induktion: (Hauptsatz der elementaren Zahlentheorie) Jede natürliche Zahl n ≥ 2 läßt sich prim zerlegen. (n ∈ N ist gd prim zerlegbar (pz.), wenn n = p0 · ... · pm mit pi (0 ≤ i ≤ m) prim.) Beweis. Basis n = 2: 2 ist prim! I.A.: Wir betrachten ein beliebig gewähltes n ≥ 2 und nehmen an, daß jede Zahl m ∈ N mit 2 ≤ m < n pz. ist. (Das ist die starke Induktionsannahme!) I.S.: Zwei Fälle: Fall n ist prim. Fertig. Fall n ist nicht prim. Dann n = a · b mit a, b ≥ 2. Daher a < n und b < n. Nach I.A. folgt, daß a und b pz. sind. Also ist a · b (= n) pz. 39 Winterlogik 2016-17 / fol. 431 Exkurs: Induktion Strukturelle Induktion Wir haben zwei Beispiele von Bereichen gesehen, die derart aufgebaut sind, daß Beweise durch Induktion geführt werden können (Ziffernverkettungen und N). • Noch einmal: Induktive Beweise funktionieren nur in Bereichen, die dafür passend dargestellt werden können, nämlich induktiv (rekursiv)! In der Logik haben wir es beinahe immer mit Bereichen zu tun (Formeln, Theoremen, Bewertungen und Interpretationen), die durch strukturelle Rekursion definiert sind. Frage: Was ist ein strukturell rekursiv definierter Bereich? Antwort: Ein Bereich B ist strukturell rekursiv, wenn B der Abschluß einer Menge A unter einer Menge R von Relationen ist. 40 Winterlogik 2016-17 / fol. 432 Exkurs: Induktion Strukturelle Rekursion: Die Menge A nennt man die Basis (“Anfang”) der Rekursion. Es sei r eine Relation (= eine Menge von Folgen). Die Menge B ist unter r abgeschlossen, wenn folgendes der Fall ist: Wenn (a0 , ..., an , x) ∈ r und a0 , ..., an ∈ B, dann x ∈ B. R sei eine Menge von Relationen. B ist der Abschluß von A unter R (R(A)) gdw B die kleinste Menge ist so, daß (a) A ⊆ B, und (b) B unter allen Relationen r ∈ R abgeschlossen ist. B ist gd strukturell rekursiv, wenn B = R(A) (für eine Basis A und Regelmenge R). NB Jede Relation r in R ist eine Menge von Folgen. In der Definition des Abschlusses können wir jedes Element (a0 , ..., an , x) ∈ r im Sinne einer Regel auffassen (mit “Prämissen” a0 , ..., an und “Konklusion” x). Im weiteren wollen wir deshalb die Elemente von Relationen in R (also bestimmte Paare, Tripel, etc.) einfach Regeln nennen. 41 Winterlogik 2016-17 / fol. 433 Exkurs: Induktion Beispiele strukturell rekursiver Mengen: • Die Menge der Z der Zahlzeichen. Basis ist die Menge Z0 der Ziffern. Regeln sind alle Tripel (a, b, ab) mit a, b ∈ B. • Die Menge FML der Formeln einer AL-Sprache (z.B. in {¬, ∧}). Basis ist die Menge ATM aller Atome. Regeln sind alle Paare (A, ¬A) und Tripel (A, B, ∧AB) mit A, B ∈ FML. — Ebenso die Menge der Formeln einer AL-Sprache mit anderer Wahl primitiver Junktoren, oder die Mengen der Terme und Formeln einer PL-Sprache (etwas kompliziertere Definition). • Die Menge der Theoreme eines axiomatischen Systems. Basis ist die Menge der Axiome, die Regeln sind die im System vorgegebenen (z.B. in einem ax. System der AL typischerweise alle Fälle von Modus Ponens, (A, A → B, B)). • Die Menge N der natürlichen Zahlen, wenn wir diese durch Mengen darstellen! Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten. Hier ist eine (Zermelo): Die leere Menge ∅ ist die Basis. Regeln sind alle Paare (M, M ∪ {M }). Man betrachte nun die kleinste Menge N , welche ∅ enthält und unter dem Regelschema abgeschlossen ist, d.h. N = {∅, ∅ ∪ {∅}, ∅ ∪ {∅} ∪ {∅ ∪ {0}}, ...}. Die Elemente von N können wir auch so benennen: 0, 1, 2, ... und statt ∅ ⊂ ∅ ∪ {∅} ⊂ ... können wir auch 0 < 1 < ... schreiben. (Das ist die Basis für die Reduktion der Arithmetik auf Mengenlehre.) 42 Winterlogik 2016-17 / fol. 434 Exkurs: Induktion Prinzip der strukturellen Induktion Es sei B = R(A) wie in der Definition einer strukturell rekursiven Menge. Wenn (1) Jedes Objekt in A eine bestimmte Eigenschaft hat, (Induktionsanfang) und wenn ferner für jede Regel (a0 , ..., an , x) gilt, daß (2) unter der Annahme, daß a0 , ..., an die Eigenschaft haben, (Induktionsannahme) auch x die Eigenschaft hat, (Induktionsschritt) dann (3) hat jedes Objekt in B die Eigenschaft. (Schluß) Frage: Warum ist strukturelle Induktion in B ein sicheres Beweismittel? (Wenn die Basis (1) und der Induktionssschritt (2) wahr sind, dann muß auch die allgemeine Konklusion (3) wahr sein.) Antwort: Das liegt an der Definition von B. /... 43 Winterlogik 2016-17 / fol. 435 Exkurs: Induktion Strukturelle Induktion in B = R(A) funktioniert. Beweis. Es sei φ die Eigenschaft, die nachgewiesen werden soll und Φ sei die Menge aller φs. Wir nehmen an, daß (1) der Anfangsschritt und (2) der Induktonsschritt wahr sind. (Zz: (3) ∀x ∈ B : φx.) Nach (1) haben wir A ⊆ Φ. Nach (2) ist Φ unter R (d.h. unter allen Regeln) abgeschlossen. Nun ist B = R(A) definiert als die kleinste Menge, welche (1) und (2) erfüllt. Also B ⊆ Φ, d.h. alles in B hat die Eigenschaft φ. NB Die Abschlußklausel in induktiven Definitionen (“nichts sonst ist ein B”) garantiert, daß B die kleinste Menge ist, welche die Bedingungen erfüllt. (Denken Sie an die Definition der Formelmenge einer AL-Sprache!) M.a.W., die Abschlußklausel stellt sicher, daß über den so definierten Bereich induktive Beweise geführt werden können! 44 Winterlogik 2016-17 / fol. 436 Exkurs: Induktion Fall: Induktion über die Struktur von Formeln (Formelaufbau) Es sei FML = J(ATM), die Menge der Formeln einer AL-Sprache mit einer Menge ATM von atomaren Formeln als Anfangsobjekten und einer Menge ausgewählter Junktoren. (J(ATM) stehe für den Abschluß von ATM unter den bekannten grammatischen Regeln2 für diese Junktoren.) Wenn (1) Jedes Atom in ATM eine bestimmte Eigenschaft hat, (Induktionsanfang) und wenn ferner gilt, daß (2) unter der Annahme, daß beliebig gewählte Formeln A und B die Eigenschaft haben (Induktionsannahme), auch jede Junktorenzusammensetzung von A und B die Eigenschaft hat (Induktionsschritt), dann (3) hat jede Formeln in FML die Eigenschaft. (Schluß) 2 Also z.B. die Regel (A, B, ∧AB): Wenn A und B Formeln sind, dann ist auch ∧AB eine Formel. 45 Winterlogik 2016-17 / fol. 437 Exkurs: Induktion Bedingung: Eindeutige Lesbarkeit ... Strukturelle und kumulative Induktion ... (Kumulative Induktion über die Anzahl der Regelanwendungen) ... % David Makinson, Sets, Logic and Maths for Computing, London (Springer) 2008; Kap. 4: “Recycling outputs as inputs: Induction and Recursion”. (Ende des Exkurses über Induktion) Anwendung: Ersetzbarkeit /... 46 Winterlogik 2016-17 / fol. 438 Exkurs: Induktion Beweis von Satz 3 (Ersetzbarkeit) Satz 3. Es sei B ≡ B 0 und A[B 0 /B] sei das Resultat der Ersetzung beliebig vieler (einschl. keiner) Vorkommen von B durch B 0 in einer Formel A. Dann ist A ≡ A[B 0 /B]. D.h. für alle Formeln A (in {¬, ∧}) gilt: Wenn B ≡ B 0 , dann A ≡ A[B 0 /B]. Beweis. Strukturelle Induktion über den Aufbau der Formel A. Anfang: A ist ein Atom, P . Dann ist P (= A) selbst die einzige ersetzbare Teilformel von A. Wenn wir P durch eine äquivalente Formel B 0 ersetzen, dann sind A und das Resultat der Ersetzung trivialerweise äquivalent. 47 Winterlogik 2016-17 / fol. 439 Exkurs: Induktion Wenn B ≡ B 0 , dann A ≡ A[B 0 /B]. Induktionsannahme (IA): Der Satz soll für alle Teilformeln der im Schritt zu betrachtenden Formel A gelten. Schritt: Fall A ist eine Negation, also von der Form ¬D. Angenommen B ≡ B 0 . Sei D0 = D[B 0 /B]. (Zu zeigen: ¬D ≡ ¬D0 .) Dann gilt nach IA daß D ≡ D0 , d.h. in jedem Modell ist [[D]] = [[D0 ]]. Aber dann gilt ebenfalls 1 − [[D]] = 1 − [[D0 ]], d.h. [[¬D]] = [[¬D0 ]] in jedem Modell, d.h. ¬D ≡ ¬D0 , wie gewünscht. Fall A ist eine Konjunktion, also von der Form C ∧ D. Angenommen B ≡ B 0 . Sei C 0 = C[B/B 0 ] und D0 = D[B/B 0 ]. *) (Zu zeigen: C ∧ D ≡ C 0 ∧ D0 .) Nach IA gilt [[C]] = [[C 0 ]] und [[D]] = [[D0 ]] (in jedem Modell). Aber dann ist min([[C]], [[D]]) = min([[C 0 ]], [[D0 ]]), d.h. C ∧ D ≡ C 0 ∧ D0 , wie gewünscht. *) Wenn B in C nicht vorkommt, dann ist C 0 = C[B 0 /B] = C! 48 Winterlogik 2016-17 / fol. 440 Goethe-Universität Frankfurt am Main Institut für Philosophie Logik im Winter 2015-16 Theorie der Wahrheitsfunktionen (Teil 2) André Fuhrmann 12wfunktionen2 170118.1244 Winterlogik 2016-17 / fol. 441 Tautologie-Tests Tautologie-Tests ◦ A ist genau dann eine Tautologie wenn A in allen Modellen wahr ist. ◦ Ein Modell ist eine mögliche Verteilung (I) von Wahrheitswerten (0 oder 1) über alle Atome und dann (per |=I bzw. [[ ]]I ) über alle Formeln der Sprache. Eine Zeile in einer Wahrheitstafel faßt gleich mehrere Verteilungen I von Wahrheitswerten über ATM zusammen. ZB A B C (A ∧ B) ∨ C 0 1 1 1 besagt: Für alle I mit [[A]]I = 0, [[B]]I = [[C]]I = 1 ist [[(A ∧ B) ∨ C]]I = 1. ◦ Eine vollständige Wahrheitstafel für eine Formel faßt alle Verteilungen von Wahrheitswerten, d.h. alle Modelle zusammen, die für die Bewertung dieser Formel relevant sind. (Im Beispiel sind das 23 Zeilen.) 2 Winterlogik 2016-17 / fol. 442 Tautologie-Tests Die Methode der Wahrheitstafeln ist daher ein Verfahren, mit dem man sicher nachprüfen kann, ob eine gegebene Formel eine Tautologie ist: • Wenn wir die vollständige Wahrheitstafel einer Formel aufschreiben und feststellen, daß die Formel in jeder Zeile den Wert 1 erhält, dann ist die Formel eine Tautologie. Beispiel : A B 0 0 1 1 0 1 0 1 ((A → B) → 1 1 0 1 0 1 1 1 B) → A 0 1 0 1 1 0 1 1 0 0 1 1 Keine Tautologie! Vollständige Wahrheitstafeln aufzuschreiben, kann recht umständlich sein. Deshalb wollen wir jetzt zwei Verfahren vorstellen, mit denen man wesentlich schneller nachprüfen kann, ob eine gegebene Formel eine Tautologie ist. [Baum] 3 Winterlogik 2016-17 / fol. 443 Tautologie-Tests Beide Verfahren beruhen auf einer reductio ad absurdum: · Es wird versucht, ein Modell zu finden, das die gegebene Formel falsch macht. · Wenn das zu einem Widerspruch führt, dann wissen wir: Ein Modell, das die Formel falsch macht, kann es nicht geben; · also ist die Formel in allen Modellen wahr, d.h. eine Tautologie. 4 Winterlogik 2016-17 / fol. 444 Tautologie-Tests Bäume Um die Verfahren vorzustellen, müssen wir uns kurz wieder über die Beschreibung von Baumstrukturen verständigen. In einem Baum wie dem folgenden, a aa ab aba abb abba nennen wir jeden der beschrifteten Punkte Knoten. Der Knoten a ist die Wurzel des Baums. Die Endknoten aa, aba und abba nennen wir Blätter. Knoten, die mit derselben Formel beschriftet sind, nennen wir (einander) ähnlich. Ein Pfad durch einen Baum besteht aus genau den Knoten, durch die eine Linie von der Wurzel immer nur abwärts bis zu einem Blatt führt. In dem Beipiel gibt es genau drei Pfade: (a − aa), (a − ab − aba) und (a − ab − abb − abba). 5 Winterlogik 2016-17 / fol. 445 Tautologie-Tests Signierte Bäume (Tableaux, 1) Zunächst schreiben wir die Formel hin und versehen (signieren) sie mit 0 (für “falsch”). Dann konstruieren wir einen Baum nach den folgenden Regeln: A ∧B : 1 A:1 B:1 A ∧ B :0 A:0 B:0 A ∨ B :1 A:1 B:1 A ∨B : 0 A:0 B:0 A →B : 0 ¬A: 1 ¬A: 0 A:1 A:0 A:1 A:0 B:1 B:0 Einen Pfad in dem ähnliche Knoten verschieden signiert sind, nennen wir abgeschlossen und ziehen einen Strich darunter ( ). Nicht abgeschlossene Pfade sind offen. Sind alle Pfade in einem Baum mit der Wurzel A : 0 abgeschlossen, dann ist A eine Tautologie. Pfade, die nicht abgeschlossen sind, zeigen Gegenbeispiele zur Behauptung an, die getestete Formel sei eine Tautologie. A→ B : 1 Vgl. [Unsignierte Bäume] 6 Winterlogik 2016-17 / fol. 446 Tautologie-Tests Aufgabe Das war die schlichte Beschreibung, eines Verfahrens zur Konstruktion signierter Bäume. Gleich sehen wir uns Beispiele des Verfahrens an. Wenn Sie so gelernt haben, die Regeln anzuwenden, dann beantworten Sie bitte die folgenden Fragen: · Was repräsentiert ein Pfad in einem Baum? · Warum müssen alle Pfade abgeschlossen sein, damit eine Formel eine Tautologie ist? · Welche Information können Sie einem offenen Pfad entnehmen? (Illustrieren Sie Ihre Antwort anhand eines Beispiels.) Schreiben Sie Ihre Antwort auf (maximal 2 Seiten) und geben Sie diese Ihrem Tutor! 7 Winterlogik 2016-17 / fol. 447 Tautologie-Tests Erstes Beispiel: (¬A → ¬B) → ((¬A → B) → A) : 0 ¬A → ¬B : 1 (¬A → B) →A:0 ¬A → B : 1 A:0 ¬A: 0 A:1 B:1 ¬A: 0 A:1 ¬B: 1 B:0 8 Winterlogik 2016-17 / fol. 448 Tautologie-Tests Praktische Hinweise • Einige Regeln führen zu Verzweigungen, andere nicht. Es ist besser bei der Konstruktion eines Baumes Verzweigungen so weit wie möglich aufzuschieben. • Merken Sie sich, welche Formeln (Knoten) Sie schon mithilfe einer der Regeln weiterverarbeitet haben. (Setzen Sie zum Beispiel ein Häkchen.) • Sobald in einem Pfad ähnliche aber verschieden signierte Knoten auftauchen, brauchen Sie diesen Pfad nicht mehr weiter zu treiben: Es würde sich nichts daran ändern, daß Sie am Ende einen Strich unter den Pfad ziehen können. • Zwei mögliche Resultate: · Sie haben unter allen Pfaden einen Strich gezogen. Sie sind fertig: Die Wurzel ist eine Tautologie. · Sie haben alle Formeln aufgelöst und dennoch ist ein Pfad offen geblieben. Sie sind fertig: Die Wurzel ist keine Tautologie. 9 Winterlogik 2016-17 / fol. 449 Tautologie-Tests Zwei weitere Beispiele: Peirce Abel ((A → B) → A) → A : 0 (A → B) → A : 1 A:0 ((A → B) → B) → A : 0 (A → B) → B : 1 A:0 A →B : 0 A:1 B:0 A:1 A →B : 0 A:1 B:0 B:1 DENKPAUSE: Was schließen Sie aus diesen zwei Bäumen? 10 Winterlogik 2016-17 / fol. 450 Tautologie-Tests DENKPAUSE: • Peirce: ((A → B) → A) → A ist eine Tautologie—alle Pfade geschlossen. • Abel: ((A → B) → B) → A : 0 ist keine Tautologie—ein offener Pfad (rechts): ((A → B) → B) → A : 0 (A → B) → B : 1 A:0 A →B : 0 A:1 B:0 B:1 Wenn [[A]]=0 und [[B]] = 1, dann wird ((A → B) → B) → A falsch: Das ist ein Gegenbeispiel (ein Gegenmodell) für die Behauptung, daß Abel tautologisch sei. Siehe [Wahrheitstafel] 11 Winterlogik 2016-17 / fol. 451 Tautologie-Tests Unsignierte Bäume (Tableaux, 2) Auf die Signaturen mit 0 oder 1 können wir auch verzichten: • einen Knoten A : 1 notieren wir dann einfach als A, und • einen Knoten A : 0 notieren wir als ¬A. Die Regeln sehen dann so aus: A∧ B A B ¬(A ∧ B) A ∨ B ¬A A ¬B B ¬(A ∨ B) ¬A ¬B ¬(A → B) ¬¬A A A ¬A B ¬B Ein Pfad schließt, wenn er Knoten der Form A und ¬A enthält. A→ B Vgl. [Signierte Bäume] 12 Winterlogik 2016-17 / fol. 452 Tautologie-Tests Übungen Überprüfen Sie anhand der Baummethode (signiert oder unsigniert) die folgenden Formeln: a) A → (B → A) b) ((A → B) ∧ (B → C)) → (A → C) c) ((A → B) ∧ (A → C)) → (A → (B ∧ C)) d) ((A → C) ∧ (B → C) ∧ (A ∨ B)) → C e) ¬(A ∧ B) → (¬A ∨ ¬B) f) ¬(A ∨ B) → (¬A ∧ ¬B) g) (¬A ∨ ¬B) → ¬(A ∧ B) h) (A ∨ (B ∧ C)) → ((A ∨ B) ∧ (A ∨ C)) 13 Winterlogik 2016-17 / fol. 453 Tautologie-Tests 14 Winterlogik 2016-17 / fol. 454 Tautologie-Tests Quines Verfahren Wenn Sie das Baumverfahren sicher beherrschen, dann können Sie dazu übergehen, einen sehr praktischen, weil schnell zum Ziel führenden Tautologie-Test anzuwenden. 1. Schreiben Sie die Formel und seine syntaktische Baumstruktur auf. (Achtung: Der Baum der jetzt entsteht hat (beinahe) nichts mit Tableaux zu tun!) 2. Signieren Sie die Formel (d.h. die Baumwurzel) mit 0. 3. Versuchen Sie nun alle Knoten in Übereinstimmung mit den Wahrheitstafeln zu signieren. Ähnliche Knoten sollen überall denselben Wert erhalten. 4. Geht das? · Wenn ja, dann ist die Formel keine Tautologie: Sie haben eine mögliche Bewertung gefunden, die die Formel falsch macht. · Wenn nein, dann ist die Formel eine Tautologie: Es gelingt nicht, sie falsch zu machen. 5. Achtung: Manchmal gibt es mehr als eine Möglichkeit (Verzweigung!). Im schlimmsten Fall müssen Sie beide Möglichkeiten ausprobieren. Die “Kunst” besteht darin, Verzweigungen möglichst zu vermeiden. 15 Winterlogik 2016-17 / fol. 455 Tautologie-Tests Beispiel : Erster Schritt: Baum zeichnen mit Wurzel : 0 (¬A → ¬B) → ((¬A → B) → A) : 0 ¬A → ¬B ¬A A ¬B B (¬A → B) → A ¬A →B ¬A A A B 16 Winterlogik 2016-17 / fol. 456 Tautologie-Tests Beispiel : Zweiter Schritt: Überlegen (¬A → ¬B) → ((¬A → B) → A) : 0 ¬A→ ¬B :1 ¬A A ¬B B (¬A → B) → A : 0 ¬A →B ¬A A A B 17 Winterlogik 2016-17 / fol. 457 Tautologie-Tests Beispiel : Dritter Schritt: Überlegen (¬A → ¬B) → ((¬A → B) → A) : 0 ¬A→ ¬B :1 ¬A A ¬B B (¬A → B) → A : 0 ¬A→ B : 1 ¬A A A:0 B (Wir haben rechts weitergemacht, da wir links mehr als eine Möglichkeit betrachten müßten.) 18 Winterlogik 2016-17 / fol. 458 Tautologie-Tests Beispiel : Vierter Schritt: Wert für A übertragen (¬A → ¬B) → ((¬A → B) → A) : 0 ¬A→ ¬B: 1 (¬A → B) → A : 0 ¬A: 1 A:0 ¬A→ B :1 ¬B B ¬A: 1 A:0 A:0 B 19 Winterlogik 2016-17 / fol. 459 Tautologie-Tests Beispiel : Fünfter Schritt: Überlegen (¬A → ¬B) → ((¬A → B) → A) : 0 ¬A → ¬B: 1 ¬A: 1 A:0 ¬B: 1 B:0 (¬A → B) → A : 0 ¬A :1 →B ¬A: 1 A:0 A:0 B:1 Widerspruch: B : 0 und B : 1 ! 20 Winterlogik 2016-17 / fol. 460 Tautologie-Tests Abgekürzt (d.i. das eigentliche Quine’sche Verfahren): Sie schieben den Baum einfach in zwei Zeilen zusammen: In der ersten Zeile steht die Formel; darunter stehen jeweils die Signaturen der Teilformeln (Knoten). — Am besten sehen wir uns das wieder schrittweise am Beispiel an. → ((¬A → B) → A) 0 → → → (¬A ¬B) ((¬A → B) A) 1 0 0 (¬A → ¬B) (¬A → → → →A ¬B) ((¬A B) ) 1 0 1 0 0 ¬A→ → ¬A→ →A ¬B) (( B) ) ( 1 0 1 0 1 0 1 0 0 ( ( ¬A→¬ → ¬A→B →A B) (( ) ) 1 0 1 1 0 1 0 1 1 0 0 ¬A→¬B → ¬A→B →A ) (( ) ) 1 0 1 1 0 0 1 0 1 1 0 0 21 Winterlogik 2016-17 / fol. 461 Tautologie-Tests (Demonstrationsfolie: Tautologie?) (¬A → ¬B) → ((¬A → B) → A) A → (B → A ∧ B) (A → (B → C)) → (A ∧ B → C) A → (B → ¬A ∨ C) (A ∨ B) ∧ ¬A → B 22 Winterlogik 2016-17 / fol. 462 Tautologie-Tests Obwohl Tableaux schlafwandlerisch zum Ziel führen, verwenden praktizierende Logiker beinahe ausschließlich das abgekürzte Quine’sche Verfahren. Sie sollten sich nun in beide Verfahren so lange einüben, bis Sie sie völlig sicher beherrschen. Die nächste Aufgabe bietet dafür Gelegenheit. (Prüfen Sie aber bitte auch weitere Formeln, die Ihnen interessant erscheinen.) Einige Formeln sollten Sie nach beiden Verfahren testen. Auf diese Weise wird Ihnen klar werden, daß es sich im Grunde um Varianten ein- und desselben Verfahrens handelt. Sobald – und sicher nicht bevor – sich diese Einsicht eingestellt hat, haben Sie die Verfahren verstanden; Sie werden sie dann immer richtig anwenden. Hinweis zur Prüfung von A ≡ B: Wenden Sie Satz 2 an aus der letzten VL (A ≡ B gdw |= A ↔ B) oder — im Effekt dasselbe — prüfen Sie, ob A und B verschiedene Wahrheitswerte haben können! 23 Winterlogik 2016-17 / fol. 463 Tautologie-Tests Lemma 1. A ∧ (B ∧ C) ≡ (A ∧ B) ∧ C A ∨ (B ∨ C) ≡ (A ∨ B) ∨ C A∧B ≡B∧A A∨B ≡B∨A A∧A≡A A∨A≡A A ∧ (A ∨ B) ≡ A A ∨ (A ∧ B) ≡ A A ∧ (B ∨ C) ≡ (A ∧ B) ∨ (A ∧ C) A ∨ (B ∧ C) ≡ (A ∨ B) ∧ (A ∨ C) ¬(A ∨ B) ≡ ¬A ∧ ¬B ¬(A ∧ B) ≡ ¬A ∨ ¬B ¬¬A ≡ A Assoziativität Kommutativität Idempotenz Absorption Distributivität DeMorgan Doppelnegation Beweis. Übung — bitte bei Ihrem Tutor abgeben! 24 Winterlogik 2016-17 / fol. 464 Vereinfachung der Notation Vereinfachung der Notation Da (A ∧ B) ∧ C ≡ A ∧ (B ∧ C) (A ∨ B) ∨ C ≡ A ∨ (B ∨ C) ist es eigentlich gleich, wie wir die Klammern in solchen konjunktiven oder disjunktiven Formeln setzen. Syntaktisch ist eine Formel wie A ∧ B ∧ C oder A ∨ B ∨ C zwar mehrdeutig. Aber im Hinblick auf die Wahrheit der Formel, macht es keinen Unterschied, wie wir die Mehrdeutigkeit beseitigen. Das rechtfertigt die folgende Notation: A1 ∧ · · · ∧ An bzw. A1 ∨ · · · ∨ An soll eine beliebig geklammerte Konjunktion bzw. Disjunktion mit n Gliedern bezeichnen. 25 Winterlogik 2016-17 / fol. 465 Vereinfachung der Notation • Im Grenzfall n = 1 bezeichne A1 ∧ · · · ∧ An einfach A1 . • Manchmal wollen wir sagen, daß jedes Glied in A1 ∨ · · · ∨ An eine Eigenschaft φ erfüllt. Dann schreiben wir “jedes Ai (1 ≤ i ≤ n) ist ein φ”; manchmal lassen wir den Zusatz “(1 ≤ i ≤ n)” einfach weg; also zB: A1 ∨ · · · ∨ An , wobei jedes Ai die Eigenschaft φ hat. 26 Winterlogik 2016-17 / fol. 466 Eine Beobachtung Eine Beobachtung Sei A eine Formel, die aus den Atomen P und P Q 0 0 0 1 1 0 1 1 Q so zusammengesetzt ist, daß A 0 1 0 1 In der Tafel werden die Atome gewissermaßen mit Werten signiert. Die Formel A ist also gd wahr, wenn (P falsch und Q wahr ist) oder (P wahr und Q wahr ist). Das läßt sich auch als Formel wiedergeben: (¬P ∧ Q) ∨ (P ∧ Q) (1) Die Formel A und (1) sind also äquivalent: die eine Formel ist genau dann wahr, wenn die andere wahr ist — beide Formeln drücken dieselbe Wahrheitsfunktion aus. 27 Winterlogik 2016-17 / fol. 467 Eine Beobachtung Betrachten wir nun die Zeilen, in denen A falsch wird: P Q A 0 0 0 0 1 1 1 0 0 1 1 1 A wird gd falsch, wenn (P und Q beide falsch sind) oder (P wahr und Q falsch ist). Also wird A gd wahr, wenn beides nicht der Fall ist, also wenn weder (P und Q beide falsch sind) noch (P wahr und Q falsch ist), d.h. wenn (P wahr oder q wahr ist) und (P falsch oder q wahr ist). Auch das können wir in einer Formel beschreiben, die zu A äquivalent ist: (P ∨ Q) ∧ (¬P ∨ Q) (2) 28 Winterlogik 2016-17 / fol. 468 Eine Beobachtung Was wir hier tun, ist sehr einfach: Wir schauen uns eine Wahrheitstafel an und geben in der Formelsprache selbst und in sehr einfacher Weise wieder, unter welchen Bedingungen die Formel wahr wird. Wir ersetzen — wie beim Übergang von signierten zu unsignierten Bäume — die Werte durch Formeln: P 0 0 1 1 Q A 0 0 1 1 0 0 1 1 P =⇒ ¬P ¬P P P Q ¬Q Q ¬Q Q A 0 1 0 1 =⇒ (P ∨ Q) ∧ (¬P ∨ Q) bzw. (¬P ∧ Q) ∨ (P ∧ Q) Die Sache ist so einfach, daß sich die Vermutung aufdrängt • daß es zu jeder, für eine Wahrheitsfunktion stehende Formel solche “einfachen” Formeln gibt, die deren Wahrheitstafel “beschreiben”. 29 Winterlogik 2016-17 / fol. 469 Eine Beobachtung Einfache Formel bedeutet hier: In der Formel kommen nur die Junktoren ¬, ∨ oder ∧ vor. (NB: “Einfach”, in diesem Sinne, ist kein stehender Begriff der Logik. Wir führen den Begriff für unsere Zwecke nur vorübergehend ein.) Nun ist ◦ jede Wahrheitsfunktion (beliebiger Stelligkeit) vollständig durch eine Wahrheitstafel definiert. Wenn daher • (Vermutung) jede Wahrheitstafel durch eine Formel mit Junktoren aus {¬, ∨, ∧} dargestellt werden kann, dann ◦ kann jede Wahrheitsfunktion durch eine Formel mit Junktoren aus {¬, ∨, ∧} dargestellt werden. D.h. die Menge {¬, ∨, ∧} wäre funktional vollständig. Wir werden im folgenden die Vermutung beweisen. 30 Winterlogik 2016-17 / fol. 470 Funktionale Vollständigkeit: Der Beweis Funktionale Vollständigkeit: Der Beweis Lemma 2. Zu jeder Formel A (in einer beliebigen aussagenlogischen Sprache) gibt es eine äquivalente einfache Formel (d.h. eine Formel nur mit ¬, ∧ oder ∨). Beweis. Wir begnügen uns mit einer Beweisskizze. Es sei A eine Formel mit Atomen P1 , . . . , Pn und T ihre vollständig ausgefüllte Wahrheitstafel. (Wir verallgemeinern jetzt das auf Seite 27 an einem Beispiel beschriebene Verfahren zur Charakterisierung von Wahrheitstafeln durch Formeln in Normalform.) Dann besteht T aus 2n Zeilen: P1 · · · Pn Z1 .. . Z2n A 31 Winterlogik 2016-17 / fol. 471 Funktionale Vollständigkeit: Der Beweis Zwei Fälle sind zu unterscheiden: 1. A erhält in keiner Zeile den Wert 1; 2. A erhält in mindestens einer Zeile den Wert 1. Fall 1 : In diesem Fall wird A bei jeder möglichen Interpretation der in A vorkommenden Atome falsch. Wir wählen ein beliebiges dieser Atome aus. Es sei P das ausgewählte Atom. Dann ist P ∧ ¬P einfach und zu A äquivalent. Fall 2 : Für den Fortgang des Beweises sei eine Abbildung | definiert: |P |k = |: ATM −→ LIT P, falls I(P ) = 1 in Zeile k ¬P, falls I(P ) = 0 in Zeile k (|P |k ist also der als Formel wiedergegebene Wahrheitswert von P in Zeile k.) Eine Formel der Art P oder ¬P , d.h. ein Atom oder dessen Negation, nennt man übrigens ein Literal. 32 Winterlogik 2016-17 / fol. 472 Funktionale Vollständigkeit: Der Beweis Jetzt schreiben wir T so um, daß unter den Atomen P die Werte, 0 oder 1, jeweils durch ihre Formelbeschreibungen, |P |, ersetzt werden: P1 Z1 |P1 |1 .. . Z2n |P1 |2n ··· Pn ··· |Pn |1 ··· |Pn |2n A Man suche nun diejenigen Zeilen Zi auf, in denen A den Wert 1 erhält. Für jede dieser Zeilen Zi bilde man die Konjunktion Ki = |P1 |i ∧ · · · ∧ |Pn |i (Ki ) Dann ist die Disjunktion aller Ki eine zu A äquivalente und einfache Formel. • Schauen Sie sich noch einmal die Seiten 27f. an, um sich an einem kleinen Beispiel vor Augen zu führen, wie wir den Satz in der nun gebotenen Allgemeinheit bewiesen haben. 33 Winterlogik 2016-17 / fol. 473 Funktionale Vollständigkeit: Der Beweis Erinnerung: Eine Menge von Junktoren, die genügt, um schlichtweg alle (beliebigstelligen!) Junktoren auszudrücken, die also funktional äquivalent ist zur Menge aller Junktoren, heißt funktional vollständig. Satz. (Post 1920) Die Menge OPR = {¬, ∧} ist funktional vollständig. Beweis. Es sei S eine maximal ausdrucksstarke Sprache, d.h eine in der es für jede Wahrheitsfunktion eine sie repräsentierende Verknüfung gibt. (1) Jede Formel in S ist äquivalent zu einer einfachen Formel (Lemma 2), d.h. einer Formel in {¬, ∧, ∨}. (2) {¬, ∧, ∨} ist funktional äquivalent zu {¬, ∧}. (Denn A ∨ B ≡ ¬(¬A ∧ ¬B).) Es folgt aus (1) und (2), daß jede S-Formel äquivalent ist zu einer Formel in {¬, ∧}. Aber dann ist die Menge aller Junktoren von S, d.h. die Menge aller Junktoren, funktional äquivalent zu {¬, ∧}, d.h. {¬, ∧} ist funktional vollständig. 34 Winterlogik 2016-17 / fol. 474 Funktionale Vollständigkeit: Der Beweis Emil Post (1897–1954) 35 Winterlogik 2016-17 / fol. 475 Funktionale Vollständigkeit: Der Beweis Normalformen In bestimmten Anwendungen der Logik, vor allem in der Informatik,1 spielen einfache Formeln einer bestimmten Art eine besondere Rolle. Solche Formen nennt man Normalformen. Zwei Normalformen werden unterschieden: disjunktive und konjunktive Normalformen (abgekürzt: DNF und KNF). Hier sind die schrittweisen Definitionen: Definition 3. 1. Ein Literal ist ein Atom oder die Negation eines Atoms: LIT = ATM ∪ {¬P : P ∈ ATM} 2. Jede Disjunktion von Literalen, d.h., jede Formel der Gestalt L1 ∨ · · · ∨ Ln Li ∈ LIT (1 ≤ i ≤ n) ist eine DL-Formel. 1 Das Stichwort lautet Resolution. Siehe zB Schöning, Logik für Informatiker, Kap. 1.5. 36 Winterlogik 2016-17 / fol. 476 Funktionale Vollständigkeit: Der Beweis 3. Jede Konjunktion von Literalen, d.h., jede Formel der Form L1 ∧ · · · ∧ Ln Li ∈ LIT (1 ≤ i ≤ n) ist eine KL-Formel. 4. Eine Formel ist in konjunktiver Normalform (KNF), wenn sie eine Konjunktion von DL-Formeln ist: D1 ∧ · · · ∧ Dn 5. Eine Formel ist in disjunktiver Normalform (DNF), wenn sie eine Disjunktion von KL-Formeln ist: K1 ∨ · · · ∨ Kn Eine Formel in DNF hat also die Form (A1 ∧ · · · ∧ Ak ) ∨ (B1 ∧ · · · ∧ Bm ) ∨ · · · ∨ (C1 ∧ · · · ∧ Cn ) Ai , Bi , Ci ∈ LIT und eine Formel in KNF ist von der Form (A1 ∨ · · · ∨ Ak ) ∧ (B1 ∨ · · · ∨ Bm ) ∧ · · · ∧ (C1 ∨ · · · ∨ Cn ) Ai , Bi , Ci ∈ LIT 37 Winterlogik 2016-17 / fol. 477 Funktionale Vollständigkeit: Der Beweis DNF: KNF: (A1 ∧ · · · ∧ Ak ) ∨ (B1 ∧ · · · ∧ Bm ) ∨ · · · ∨ (C1 ∧ · · · ∧ Cn ) (A1 ∨ · · · ∨ Ak ) ∧ (B1 ∨ · · · ∨ Bm ) ∧ · · · ∧ (C1 ∨ · · · ∨ Cn ) Ai , Bi , Ci ∈ LIT • Die Definitionen bestimmen für den Grenzfall n = 1, daß ein alleinstehendes Literal L1 (trivialerweise) sowohl eine DL-Formel als auch eine KL-Formel und sowohl in DNF als auch in KNF ist. • Auch A ∧ B und A ∨ B (A, B ∈ LIT) sind Grenzfälle beider Normalformen, d.h. beide sind sowohl in DNF als auch in KNF. Merken: • DNF: Disjunktion von Konkunktionen von Literalen (“DKL”) • KNF: Konjunktion von Disjunktionen von Literalen (“KDL”) 38 Winterlogik 2016-17 / fol. 478 Funktionale Vollständigkeit: Der Beweis Sehen wir uns jetzt noch einmal den entscheidenden Schritt im Beweis von Lemma 2 an! Aus der Tafel für die Formel A A P1 ··· Pn Z1 |P1 |1 · · · |Pn |1 .. . Z2n |P1 |2n · · · |Pn |2n haben wir eine zu A äquivalente einfache Formel so gebildet: · Jeden Wert (0 oder 1) unter Pi haben wir durch ein Literal |Pi | wiedergegeben. · Jede Zeile habe wir durch die Konjunktion solcher Literale wiedergegeben. · Schließlich haben wir die Tafel wiedergegeben als Disjunktion aller Konjunktionen von Zeilen, denen A den Wert 1 hat. • D.h. die zu A äquivalente Formel ist eine Disjunktion von Konjunktionen von Literalen (DKL), d.h. eine DNF! Tatsächlich haben wir also folgendes bewiesen: Lemma 4. Zu jeder Formel A (in einer beliebigen aussagenlogischen Sprache) gibt es eine äquivalente Formel in DNF. 39 Winterlogik 2016-17 / fol. 479 Funktionale Vollständigkeit: Der Beweis P1 Z1 |P1 |1 .. . Z2n |P1 |2n ··· Pn ··· |Pn |1 ··· |Pn |2n A Wir hätten auch so vorgehen können: · Wir bilden wieder die Zeilenkonjunktionen Ki von Literalen. · Für jede Zeile i mit [[A]] = 0 bilden wir die Negation ¬Ki . · Dann formen wir jede dieser Zeilennegationen ¬Ki = ¬(L1 ∧ · · · Ln ) nach DeMorgan in eine Disjunktion (¬L1 ∨ · · · ∨ ¬Ln ) von Literalen um. · Schließlich bilden wir die Konjunktion aller dieser Zeilendisjunktionen. Das Resultat ist eine KDL-Formel, d.h. eine KNF ≡ A. So haben wir auch bewiesen: Lemma 5. Zu jeder Formel A (in einer beliebigen aussagenlogischen Sprache) gibt es eine äquivalente Formel in KNF. 40 Winterlogik 2016-17 / fol. 480 Funktionale Vollständigkeit: Der Beweis Zwei Schlüssel zum Universum Der Sheffer-Strich | und der Peirce-Pfeil ↓ sind durch die Wahrheitstafeln A B A|B 0 0 1 0 1 1 1 0 1 1 1 0 zweistellige Verknüpfungen, definiert A↓B 1 0 0 0 A | B sagt offenbar soviel wie “nicht: A und B” (“NAND”), während A ↓ B soviel bedeutet wie “nicht: A oder B” (“NOR”). Anmerkung: Die NAND-Funktion (der Sheffer-Strich) findet in elektronischen Bauelementen als universelles Logikgatter Verwendung; praktisch jedes einigermaßen komplexe elekronische Gerät basiert auf dieser Schaltung. Die theoretische Grundlage für diese Verwendung ist der Satz über den Sheffer-Strich, den wir jetzt beweisen werden. 41 Winterlogik 2016-17 / fol. 481 Funktionale Vollständigkeit: Der Beweis Satz. Es genügt der Sheffer-Strich, um alle Wahrheitsfunkionen zu definieren. (D.h. {|} ist funktional vollständig.) Das können wir so beweisen. Nach dem letzten Satz genügt es zu zeigen, wie man die Negation und die Konjunktion nur mithilfe des Sheffer-Strichs darstellt. Dazu beweisen wir aufgrund der Wahrheitstafel für den Sheffer-Strich | diese Äquivalenzen: ¬A ≡ A | A A ∧ B ≡ (A | B) |(A | B). Hier noch einmal die Wahrheitstafel für | : A B 0 0 1 1 0 1 0 1 A|B 1 1 1 0 DENKPAUSE: 42 Winterlogik 2016-17 / fol. 482 Funktionale Vollständigkeit: Der Beweis DENKPAUSE: A B 0 0 0 1 1 0 1 1 A|B 1 1 1 0 A∧B 0 0 0 1 (A | B) |(A | B) ¬A 1 1 0 0 A|A 43 Winterlogik 2016-17 / fol. 483 Funktionale Vollständigkeit: Der Beweis DENKPAUSE: Ausgehend von der Beobachtung, daß A | B offenbar soviel bedeutet wie “nicht: A und B” (NAND, also ¬(A ∧ B)) und A ↓ B soviel wie “nicht: A oder B” (NOR, also ¬(A ∨ B)) können wir auch für diese Junktoren Tableau-Regeln auftstellen: A|B : 1 A|B : 0 A↓B:1 A↓B:0 44 Winterlogik 2016-17 / fol. 484 Funktionale Vollständigkeit: Der Beweis DENKPAUSE: A ∧B : 1 A:1 B:1 A|B : 1 A:0 B:0 A ∧ B :0 A:0 B:0 A|B : 0 A:1 B:1 A ∨ B :1 A:1 B:1 A ↓ B:1 A:0 B:0 A ∨B : 0 A:0 B:0 A↓B:0 A:1 B:1 Und unsignierte Bäume? ... 45 Winterlogik 2016-17 / fol. 485 Funktionale Vollständigkeit: Der Beweis Mit diesen Regeln in der Hand, können Sie sich überlegen, wie Sie im Quine’schen Verfahren mit diesen Junktoren umgehen und so zB sehr schnell die nötigen Verifikationen für den folgenen Satz durchführen: Satz. Es genügt der Peirce-Pfeil ↓, um alle Wahrheitsfunkionen zu definieren. Beweis. Hausaufgabe: Finden Sie die richtigen Definitionen wie zuvor für den Sheffer-Strich! 46 Winterlogik 2016-17 / fol. 486 Goethe-Universität Frankfurt am Main Institut für Philosophie Logik im Winter 2016-17 Theorie der Wahrheitsfunktionen (Teil 3) Mehrwertige Logik André Fuhrmann 13mehrwertig 170130.1637 Winterlogik 2016-17 / fol. 487 Mehrwertige Logik Mehrwertige Logik Wir haben bisher angenommen, daß • alle Aussagen genau einen von zwei Werten, wahr (1) oder falsch (0) haben, und daß ◦ die Aussagenverknüpfungen Funktionen solcher Wahrheitswerte sind. Die Logik handelt zwar (unter anderem) von zwingenden Argumenten, ihre eigenen Grundannahmen sind aber selbst nicht unbedingt zwingend. So können wir auch folgende Alternativen zu logischen Theorien entwickeln: ◦ Daß einige Aussagenverknüpfungen nicht Funktionen von Wahrheitswerten, sondern anderer semantischer Aspekte von Aussagen (vielleicht der beschriebenen Sachverhalte?) sind, und • daß die Aussagenverknüpfungen zwar Funktionen von Wahrheitswerten sind, daß es aber mehr als zwei solcher Werte geben kann. Wir wollen hier diese zweite Möglichkeit ein wenig betrachten. 2 Winterlogik 2016-17 / fol. 488 Mehrwertige Logik Jan Lukasiewicz (1878–1956) Stephen C. Kleene (1909–1994) 3 Winterlogik 2016-17 / fol. 489 Mehrwertige Logik Wir werden Werte einführen, die den Werten Wahr und Falsch in gewissen Hinsichten vergleichbar sein sollen. • Aussagen können wahr, falsch, v1 , oder v2 , oder ... sein. • Ob eine komplexe Aussage den Wert v hat, soll durch die Werte der in der Aussage vorkommenden Teilaussagen (und der Art ihrer Zusammensetzung) sein. Wir streben Tafeln für die Werte an. • Was wir über Wahr und Falsch bisher (in der 2-wertigen Logik) gesagt haben, soll weiterhin gelten. • Neu soll nur die Behandlung der neuen Werte v1 , v2 , ... sein. (Konservative Erweiterung.) 4 Winterlogik 2016-17 / fol. 490 Dreiwertige Logik Dreiwertige Logik Es gibt verschiedene Gründe, warum Aussagen neben den Werten Wahr und Falsch noch einen dritten Wert haben könnten. • Einige Sätz enthalten zu wenig Information, um sie als wahr oder falsch zu beurteilen. Bsp: “Frankfurt ist eine große Stadt.” Hier fehlt uns Information über die Klasse der Städte, die verglichen werden sollen. • Einige Sätze subsumieren Grenzfälle unter vage Eigenschaften. Bsp: “Türkis ist eine Art Blau.” — Ist Türkis nicht eine Art Grün? • Einigen Sätzen fehlt die Voraussetzung dafür, wahr oder falsch zu sein. Bsp: “Die Schweiz führt wieder die Monarchie ein.” Die Schweiz wurde noch nie von einem Monarchen regiert. • In einigen Sätzen wird der Anwendungsbereich einer Operation oder eines Prädikats überzogen. Bsp: In “ 01 ≤ 1” wird durch Null dividiert, was nicht definiert ist. 5 Winterlogik 2016-17 / fol. 491 Dreiwertige Logik • Das ist einer von vielen Fällen, in denen Sätze grammatisch vorgeben, etwas auszusagen, aber keinen Inhalt haben, den man als wahr oder falsch beurteilen könnte. Weiteres Bsp: “Diese Socke ergibt durch zwei geteilt eine ganze Zahl” oder vielleicht auch “Das Nichts nichtet”. • Einige Philosophen sind der Auffassung, daß auch ethische Sätze in diese Kategorie gehören. Bsp: “Das Wohl Aller im Blick zu haben, ist gut” sagt nichts aus, was wahr oder falsch sein kann, sondern drückt eine Haltung oder eine Empfehlung aus. • Einige Philosophen setzen Wahrheit mit Verfizierbarkeit und Falschheit mit Falsifizierbarkeit gleich. Wenn sich nicht alle Sätze entweder verifizieren oder falsifizieren lassen, dann gibt es Sätze, die weder wahr noch falsch sind. Bsp: “Jede gerade Zahl > 2 ist die Summe zweier Primzahlen.” Angenommen, es gibt weder einen Beweis noch eine Widerlegung dieser Vermutung. Ist der Satz dann weder wahr noch falsch? 6 Winterlogik 2016-17 / fol. 492 Dreiwertige Logik Zukünftige Kontingenzen In De Interpretatione (Kap. 9) behauptet Aristoteles, Aussagen über künftige kontingente Ereignisse hätten jetzt keinen Wahrheitswert. Da das eine überraschende These ist und gern als Motiv für mehrwertige Logiken zitiert wird, wollen wir uns die Sache näher ansehen. Demnach soll zB der Satz P. Morgen findet eine Prüfung statt erst morgen, nicht aber schon jetzt einen Wahrheitswert haben. Für diese These scheint Aristoteles so zu argumentieren: (1) Wenn P jetzt wahr ist, dann findet notwendigerweise morgen eine Prüfung statt. (2) Wenn P jetzt falsch ist, dann findet notwendigerweise morgen keine Prüfung statt. (3) Aber daß morgen eine Prüfung stattfindet, ist weder notwendigerweise wahr noch notwendigerweise falsch (sondern kontingent). (4) Also ist P jetzt weder wahr noch falsch. 7 Winterlogik 2016-17 / fol. 493 Dreiwertige Logik • Dieses Argument ist ein Fehlschluß (s.u.). (Das ist nicht überraschend. Aber die Analyse, die wir gleich nachliefern werden, ist instruktiv.) • Dennoch hat Jan Lukasiewiecz dieses Argument 1920 aufgegriffen und daraufhin einen besonders prominenten Vorschag für eine mehrwertige Logik gemacht. • Neben den Werten 1 (wahr) und 0 (falsch) betrachtet Lukasiewicz einen dritten Wert i (unbestimmt, d.h. weder wahr noch falsch). Dann füllt er die Tafeln wie folgt: 8 Winterlogik 2016-17 / fol. 494 Dreiwertige Logik Lukasiewicz’ Logik L3 Erstens: ¬ 1 i 0 0 ? 1 ∧ 1 i 0 1 1 ? 0 i ? ? ? 0 0 ? 0 ∨ 1 i 0 1 i 0 1 ? 1 ? ? ? 1 ? 0 → 1 i 0 1 i 0 1 ? 0 ? ? ? 1 ? 1 Mit den klassischen Werten 1 und 0 soll auf klassische Weise verfahren werden. Damit stehen die Eckwerte fest: Sie werden aus den Tafeln für die zweiwertige Logik übernommen. 9 Winterlogik 2016-17 / fol. 495 Dreiwertige Logik Zweitens: ¬ 1 0 i i 0 1 ∧ 1 i 0 1 i 0 1 i 0 i i 0 0 0 0 ∨ 1 i 0 1 1 1 1 i 1 i i 0 1 i 0 → 1 i 0 1 1 ? 0 i ? ? ? 0 1 ? 1 Konjunktion und Disjunktion: Wir denken uns die Werte so angeordnet: 0 < i < 1. (Lukasiewicz schreibt 12 für i !) Genau wie in der zweiwertigen Logik ist x∧y dann der kleinere (das Minimum) und x ∨ y ist der größere (das Maximum) der beiden Werte. Im Falle x = y ist das Minimum zugleich auch das Maximum; also x ∧ x = x = x ∨ x. Negation: Wenn ein Satz unbestimmt ist, dann ist auch dessen Negation unbestimmt, und umgekehrt. 10 Winterlogik 2016-17 / fol. 496 Dreiwertige Logik ¬ 1 i 0 0 i 1 ∧ 1 i 1 1 i i i i 0 0 0 0 0 0 0 ∨ 1 i 0 1 1 1 1 i 1 i i 0 1 i 0 Diese Tafeln lassen sich in einem sogenannten Hasse-Diagramm zusammenfassen: - Die Negation vertauscht die Werte 1 und 0 bzw. ist die Identität für den Wert i. - Die Konjunktion zweier Werte ist das Minimum (= der untere) der beiden Werte. - Die Disjunktion zweier Werte ist das Maximum (= der obere) der beiden Werte. (Dabei ist x ∧ x = x = x ∨ x.) Jetzt fehlt nur noch die Implikation ... 11 Winterlogik 2016-17 / fol. 497 Dreiwertige Logik Drittens: ¬ 1 i 0 0 i 1 ∧ 1 i 1 1 i i i i 0 0 0 0 0 0 0 ∨ 1 i 0 1 1 1 1 i 1 i i 0 1 i 0 → 1 i 0 1 1 i 0 i 1 1 i 0 1 1 1 Wir verfahren nach bewährtem, klassischem Rezept: · 0 im Antezedens macht das Konditional wahr; also 0 → i = 1. · 1 im Konsequens macht das Konditional wahr; also i → 1 = 1 Sodann: · 1 → i ist zwar nicht wahr, aber auch nicht falsch: also = i. · Ebenso i → 0 ... : also = i. Schließlich: · i → i: Sicher nicht = 0. Wenn i → i = i, dann wäre A → A nicht wahr, wenn v(A) = i. Aber A → A sollte unter jeder Belegung wahr sein. Also: i → i = 1. 12 Winterlogik 2016-17 / fol. 498 Dreiwertige Logik Keine Überraschung bei der Definition logischer Wahrheit: Ein Satz soll logisch wahr (tautologisch) sein, wenn er immer (d.h. unter allen möglichen Verteilungen von Wahrheitswerten) den Wert 1 erhält. Einige Resultate: • Das Gesetz vom Ausgeschlossenen Dritten, A ∨ ¬A, erhält nun nicht immer den Wert 1. (Sei A = i. Dann ¬i ∨ i = i.) • Auch das Gesetz der Widerspruchsfreiheit, ¬(A ∧ ¬A), ist nicht mehr tautologisch. (Sei A = i. Dann i ∧ ¬i = i = ¬i.) • Die Tafel für → ist aber so eingerichtet, daß das Identitätsgesetz A → A immer wahr ist. • Daraus folgt, daß sich in L3 die Implikation nicht wie gewohnt definieren läßt: Weder A → B ≡ ¬A ∨ B, noch A → B ≡ ¬(A ∧ ¬B). (Man betrachte B = A.) 13 Winterlogik 2016-17 / fol. 499 Dreiwertige Logik Durch eine kleine Änderung in der Tafel für → läßt sich die Definierbarkeit der Implikation wiederherstellen (i → i = i statt 1). Das ist ¬ 1 i 0 0 i 1 Kleenes (“starke”) Logik K3 ∧ 1 i 0 ∨ 1 i 0 1 1 i 0 1 1 1 1 i i i 0 i 1 i i 0 0 0 0 0 1 i 0 → 1 i 0 1 1 i 0 i 1 i i 0 1 1 1 • Zwar ist jetzt A → A nicht mehr tautologisch (i → i = i); • aber dafür gilt nun wieder A → B ≡ ¬A ∨ B ≡ ¬(A ∧ ¬B). • D.h. Da die Implikation in der Kleene-Logik kann aus Negation und Disjunktion oder Konjunktion definiert werden. Damit beschreiben die drei linken Tafeln (oder das Hasse-Diagramm auf p. 11) vollständig das Verhalten der Junktoren in K3. 14 Winterlogik 2016-17 / fol. 500 Dreiwertige Logik Hier ist eine zunächst überraschende aber einfach zu beweisende Beobachtung 1. In der Logik K3 gibt es keine logischen Wahrheiten (Tautologien). Beweis. A ist eine logische Wahrheit, wenn v(A) = 1 für jede Belegung v der Atome. Man betrachte die Belegung w mit w(P ) = i, für jedes Atom P . Behauptung: [A]w = i für jede Formel A. (Jetzt ist eine Induktion über den Formelaufbau angesagt. Aber ein kurzer Blick auf die Wahrheitstafeln — sozusagen eine Schnellinduktion — sollte Sie von der Wahrheit der Behauptung überzeugen.) Die Logik K3 kennt zwar keine Tautologien, aber sie unterscheidet zwischen gültigen und ungültigen Folgerungen! Ein Satz A folgt logisch aus einer Menge Γ von Sätzen (Γ |= A), wenn jede Belegung, die alle Elemente in Γ wahr macht auch A wahr macht. Übung: Prüfen Sie A |= A; A ∧ B |= B; A |= A ∨ B; A, ¬A |= B; A, A → B |= B, usw. 15 Winterlogik 2016-17 / fol. 501 Dreiwertige Logik Eine skeptischere und zugleich einfachere Lösung der Frage, wie die Unbestimmtheit von Teilen das Ganze affiziert, ist in den folgenden Tafeln enthalten: Kleenes “schwache” Logik (Bochvar-Logik B3) ¬ 1 0 i i 0 1 ∧ 1 i 0 1 i 0 1 i 0 i i i 0 i 0 ∨ 1 i 0 1 1 i 1 i i i i 0 1 i 0 → 1 i 0 1 1 i 0 i i i i 0 1 i 1 Die Logik B3 kennt Tautologien genausowenig wie K3. In B3 sind jedoch viele Folgerungen ungültig, die in K3 noch gültig sind. · Gültig sind in B3 beispielsweise A |= A und A ∧ B |= B, und auch A ∧ ¬A |= B (prüfen!). · Aber die Annahme, daß v(A) = 1 reicht jetzt nicht mehr für die Konklusion, daß v(A ∨ B) = 1. (Man betrachte v(B) = i !) D.h. A |= A ∨ B ist keine gültige Folgerung in B3. 16 Winterlogik 2016-17 / fol. 502 Dreiwertige Logik Anmerkung Wir haben Kleenes schwache Logik (aus Introduction to Metamathematics, 1952) hier B3 genannt, nach Dimitri Anatol Bochvar (1903–1990), einem russischen Chemiker, Logiker und Träger des Lenin-Ordens. Bochvar hat diese Tafeln schon 1938 angegeben als Teil einer “Logik des Unsinns”; dieselben Tafeln finden sich unabhängig von Bochvar in Sören Halldéns “The logic of nonsense” (1949). Für Bochvar zeigt der dritte Wert einen semantischen Defekt an. Semantisch defekt (“paradox”) sind nach Bochvar (bestimmte) Sätze über die Russell-Menge oder über Lügner-Sätze. Andere Sätze werden defekt (“unsinnig”) durch semantische Kategorienfehler, wie “Diese Socke ergibt durch zwei geteilt eine ganze Zahl” In jedem Fall versteht Bochvar den Defekt so, daß er maximal ansteckend wirkt: Jeder Satz, der einen defekten Teilsatz enthält, ist selbst (teilweise) defekt. Danach rettet auch die Wahrheit des Satzes “1+1=2” die Disjunktion “Diese Socke ergibt durch zwei geteilt eine ganze Zahl oder 1+1=2” nicht davor, defekt (statt wahr) zu sein. 17 Winterlogik 2016-17 / fol. 503 Dreiwertige Logik Eine Anwendung: Voraussetzungen (Präsuppositionen) Angenommen, Ulla hat nie eine Lehre begonnen. Würden Sie die Frage “Hat Ulla ihre Lehre abgebrochen?” mit Ja oder Nein beantworten? Ist der Satz “Ulla hat ihre Lehre abgebrochen” wahr oder falsch? • Der Frage liegt die Annahme zugrunde, daß Ulla eine Lehre begonnen hat. • Wenn Sie die Frage mit Ja beantworten, “Ja, Ulla hat ihre Lehre abgebrochen”, dann geben Sie zum Ausdruck, daß Sie die Annahme teilen. • Ditto, wenn Sie Nein sagen. • Sie werden daher weder das Eine noch das Andere sagen wollen. • Daß UIla ihre Lehre abgebrochen hat, ist weder wahr noch falsch. Das liegt daran, daß der Satz (und ebenso das Gegenteil, “Ulla hat ihre Lehre nicht abgebrochen”) etwas voraussetzt (“präsupponiert”), was nicht zutrifft. Frage: Ist Präsupponieren (,→) dasselbe wie Implizieren (→)? 18 Winterlogik 2016-17 / fol. 504 Dreiwertige Logik Diese Frage stellte schon Gottlob Frege in (Über Sinn und Bedeutung, 1892, p. 40): Wenn man also behauptet, “Kepler starb im Elend” [K], so ist dabei vorausgesetzt [,→], daß der Name “Kepler” etwas bezeichne [E]; [K ,→ E] aber darum ist doch im Sinne des Satzes “Kepler starb im Elend” der Gedanke, daß der Name “Kepler” etwas bezeichne, nicht enthalten (→). A] Wenn das der Fall wäre, [K → E und also K ≡ K ∧ E] müßte die Verneinung [¬K] nicht lauten “Kepler starb nicht im Elend”, sondern “Kepler starb nicht im Elend oder der Name ‘Kepler’ ist bedeutungslos”. [Eigentlich: Dann wäre ¬K äqv. zu ¬K ∨ ¬E.] B] Daß der Name Kepler etwas bezeichne, ist vielmehr Voraussetzung ebenso für die Behauptung “Kepler starb im Elend” wie für die entgegengesetzte. [¬K ,→ E] Ad A] Das ist im wesentlichen das, was Russell in seiner Kennzeichnungstheorie behauptet — wenn man (wie Frege) “Kepler” als kurz für eine Kennzeichnung auffaßt, zB. “der Entdecker der elliptische Gestalt der Umlaufbahn der Planeten.” 19 Winterlogik 2016-17 / fol. 505 Dreiwertige Logik Ad B] Das ist das eigentliche Argument gegen die Gleichsetzung von Implikation und Präsupposition: • Aus A → B folgt nicht ¬A → B; • aus A ,→ B folgt jedoch ¬A ,→ B. Man sagt auch: A projiziert seine Präsuppositionen auf die Einbettung per Negation. Aus dieser Beobachung ergibt sich ist ein einfacher Test für Präsuppositionen (versus Implikationen): • A setzt B gd voraus (im Sinne einer Präsupposition), wenn: Wenn A wahr oder falsch ist, dann ist auch B wahr. So impliziert zB jede Aussage sich selbst (A → A) aber keine Aussage setzt ihre eigene Wahrheit voraus (A 6,→ A). 20 Winterlogik 2016-17 / fol. 506 Dreiwertige Logik Wie ist es mit der Projektion von Präsuppositionen bei weiteren Einbettungen? Eine besonders einfache Hypothese wäre diese: • Präsuppositionen sind kumulativ: Wenn A ,→ B, dann C(A) ,→ B für jeden Satzkontext C, in den A eingebettet werden kann. Wenn wir den Wert i als “nicht wahrheitsdefinit aufgrund einer falschen Präsupposition” interpretieren, dann drücken die schwachen Kleene-Tafeln B3 genau diese kumulative Hypothese aus. So einfach verhält es sich jedoch nicht, wie man sich schnell klar machen kann. ZB werden Präsuppositionen nicht immer bei Einbettungen per → projiziert. (1) Q: Ulla hat ihre Lehre abgebrochen ,→ P : Ulla hat eine Lehre begonnen. Jedoch (2) P → Q: (Wenn Ulla eine Lehre begonnen hat, dann hat sie diese abgebrochen) 6,→ P : Ulla hat eine Lehre begonnen. Für (1) mögen wir annehmen, daß Q = i, da P = 0. Dann sagt B3 voraus, daß (P → Q) = i. Aber P → Q in (2) setzt P nicht voraus: In dieser Einbettung verliert Q seine Präsupposition P und es gibt keinen Grund, P → Q mit i zu bewerten. 21 Winterlogik 2016-17 / fol. 507 Dreiwertige Logik Die Projektion von Präsuppositionen ist also nicht kumulativ: Manche Einbettungen haben die Wirkung, die Präsuppositionen von Teilsätzen zu löschen. Bei bestimmten Einbettungen scheint das Löschen immer zu funktionieren, zB dann, wenn man eine Präsupposition als Antezedens eines Konditionals zur Sprache bringt: (B → A) 6,→ B, auch wenn A ,→ B ! Im Gegensatz zu B3 sind die starken Kleene-Tafeln K3 mit dem Phänomen des Löschens besser verträglich. (Wenn wir im Beispiel wie zuvor annehmen, daß Q = i, da P = 0, dann ist P → Q = 1 in K3.) • Wie Projektion und Löschung von Präsuppositionen funktioniert und wie sich das am besten erklären läßt, das sind heiß diskutierte Fragen. Für einen Einstieg sei empfohlen: % L.T.F. Gamut, Logic, Language and Meaning, 1, Chicago (The University of Chicago Press), 1991; Kap. 5.5.3., % D.I. Beaver and B. Geurts, Presupposition, in Stanf. Enc. Phil., 22 Winterlogik 2016-17 / fol. 508 Dreiwertige Logik DENKPAUSE: Warum ist das Aristotelische Argument (falls Aristoteles es so gemeint hat) schlecht? Das Argument: P. Morgen findet eine Prüfung statt. (1) Wenn P jetzt wahr ist, dann findet notwendigerweise morgen eine Prüfung statt. (2) Wenn P jetzt falsch ist, dann findet notwendigerweise morgen keine Prüfung statt. (3w) Aber daß morgen eine Prüfung stattfindet, ist nicht notwendigerweise wahr. (4w) Also ist P jetzt nicht wahr. (3f) Daß morgen eine Prüfung stattfindet, ist auch nicht notwendigerweise falsch. (4f) Also ist P jetzt nicht falsch. (4) Also ist P jetzt weder wahr noch falsch. 23 Winterlogik 2016-17 / fol. 509 Dreiwertige Logik DENKPAUSE: (1) Wenn P jetzt wahr ist, dann findet notwendigerweise morgen eine Prüfung statt. (2) Wenn P jetzt falsch ist, dann findet notwendigerweise morgen keine Prüfung statt. (3) Aber daß morgen eine Prüfung stattfindet, ist weder notwendigerweise wahr noch notwendigerweise falsch. (4) Also ist P jetzt weder wahr noch falsch. Frage: Bezieht sich “notwendigerweise” auf (a) das ganze Konditional (1/2) oder nur auf (b) das Konsequens von (1/2)? Wenn (a), dann ist der Schluß ungültig; wenn (b) dann sind die ersten zwei Prämissen falsch. In keinem Fall kommen wir zur Konklusion (4). Im Detail ... 24 Winterlogik 2016-17 / fol. 510 Dreiwertige Logik Angenommen (a): Das “Notwendig” bezieht sich auf die ganze konditionalen Prämisse. Dann sieht das Argument so aus: (1a) Notw (P ist jetzt wahr → P ). (2a) Notw (P ist jetzt falsch → ¬P ). (3) ¬ Notw (P ) ∧ ¬ Notw (¬P ) (4) Also (??) ist P jetzt weder wahr noch falsch. Der Schluß geht fehl. Vergleiche: (1) Notw (Peter ist Junggeselle → Peter ist unverheiratet). (3) ¬ Notw (Peter ist unverheiratet) (4) Also (??) Peter ist nicht Junggeselle. 25 Winterlogik 2016-17 / fol. 511 Dreiwertige Logik Angenommen (b): Das “Notwendig” bezieht sich nur auf das Konsequens der Prämissen. Dann sieht das Argument so aus: (1b) P ist jetzt wahr → Notw (P ). (??) (2b) P ist jetzt falsch → Notw (¬P ). (??) (3) ¬ Notw (P ) ∧ ¬ Notw (¬P ) (4) Also ist P jetzt weder wahr noch falsch. Jetzt wäre der Schluß gut. Aber die Prämissen (1b) und (2b) sind natürlich falsch! Daß etwas (jetzt) wahr ist, impliziert nicht, daß es notwendig wahr ist, wie Aristoteles selbst in (3) feststellt. (Analog für 2b.) Das Argument ist ein klassisches Beispiel einer Äquivokation: • Es kann auf zweierlei Weise gelesen werden (hier: “notwendigerweise”). • In keiner Lesart ist es gut. • Es überzeugt nur vordergründig, wenn man im Laufe der Argumentation von einer Lesart in die andere wechselt (“äquivoziert”: den gleichen Worten einen andern Sinn unterschiebt). 26 Winterlogik 2016-17 / fol. 512 Dreiwertige Logik Wahre Widersprüche: Priests Logik der Paradoxie Bisher haben wir immer angenommen, 1 sei der einzige “gute” (desiginierte) Wert in einer dreiwertigen Logik. Das mag unter manchen Interpretationen des dritten Wertes naheliegend sein. Unter anderen Interpretationen des dritten Wertes ist das vielleicht nicht mehr selbstverständlich. Was ist, zB, wenn wir in den starken Kleene-Tafeln den dritten Wert nicht als un(ter)bestimmt, sondern als überbestimmt, interpretieren? Die Idee: • Manche Sätze sind weder wahr noch falsch (zB wenn Präsuppositionen nicht erfüllt sind). Diese Möglichkeit betrachten wir jetzt nicht. • Andere Sätze sind wahr und falsch zugleich. Ihr Wahrheitswert ist überbestimmt. Diese Möglichkeit betrachten wir jetzt. • Sicher, im allgemeinen ist uns die reine Wahrheit (“Wahrheit und nichts als die Wahrheit”) lieber. Aber manchmal ist reine Wahrheit nicht zu haben: Zu haben ist dann weniger oder eben auch mehr! Aber wie könnte ein überbestimmter Satz aussehen?? /... 27 Winterlogik 2016-17 / fol. 513 Dreiwertige Logik Hier ist ein Beispiel: L: Der Satz L ist falsch. Angenommen L ist wahr. Dann gilt was L sagt: L ist falsch. — Angenommen L ist falsch. Dann stimmt nicht, was L sagt, nämlich daß L falsch sei. Also ist L wahr. Zusammengefaßt: L ist entweder wahr oder falsch. Im ersten Fall ist L auch falsch; im zweiten Fall ist L auch wahr. Also ist L in jedem Fall wahr und falsch. • Ein Satz kann also – wahr (1), – falsch (0), oder auch – beides (b) sein. • Mit diesen drei Werten interpretieren wir die Junktoren nun nach den starken Kleene-Tafeln. (Machen Sie mal einige Stichproben: Die Kleene-Tafeln sind unter diesen neuen Interpretation ziemlich plausibel!) 28 Winterlogik 2016-17 / fol. 514 Dreiwertige Logik ¬ 1 b 0 0 b 1 ∧ 1 b 1 1 b b b b 0 0 0 0 0 0 0 ∨ 1 b 0 1 1 1 1 b 1 b b 0 1 b 0 → 1 b 0 1 1 b 0 b 1 b b 0 1 1 1 • Logische Wahrheit: – In der starken Kleene Logik, K3, ist ein Satz logisch wahr, wenn er unter jeder Interpretation wahr ist, d.h. wenn der Satz immer den Wert 1 hat. Und B folgt logisch aus A, wenn B wahr sein muß unter der Voraussetzung, daß A es ist. In K3 gibt es also nur einen designierten (“guten”) Wert, nämlich 1. – In der Logik der Paradoxie, LP, ist ein Satz logisch wahr, wenn er unter jeder Interpretation (mindesten ein bißchen) wahr ist, d.h. wenn der Satz immer den Wert 1 oder b hat. Und B folgt logisch aus A, wenn unter der Voraussetzung, daß A (ein bißchen) wahr ist, auch B es (ein bißchen) sein muß. Mit anderen Worten, in LP gibt es zwei designierte Werte: 1 und b ! 29 Winterlogik 2016-17 / fol. 515 Dreiwertige Logik Wir können uns die Werte in den Tafeln auch so vorstellen: · w und f mögen für Wahrheit und Falschheit stehen. · 1 = {w} ist die reine Wahrheit. · 0 = {f } ist die reine Falschheit. · b = {w, f } ist Wahrheit-und-Falschheit. • Ein Satz A ist genau dann wahr, wenn w ∈ v(A) (also wenn sein Wert 1 oder b ist). • Ein Satz ist gd logisch wahr (|= A), wenn er immer wahr ist, d.h. immer den Wert 1 oder b hat. • B folgt aus A (A |= B) gdw B wahr ist unter der Voraussetzung, daß A wahr ist. K3 und LP unterscheiden sich nur in der Wahl designierter Werte: • In K3 ist nur der Wert 1 designiert. • In LP sind 1 und b desiginiert. Dieser, scheinbar kleine Unterschied hat einige interessante Folgen. 30 Winterlogik 2016-17 / fol. 516 Dreiwertige Logik • Im Gegensatz zu K3 sind A ∨ ¬A und A → A in LP gültig. • Andererseits kann sogar A ∧ ¬A (ein bißchen) wahr werden: Es sei v(A) = b. • Deshalb kann in LP aus einer Kontradiktion, A ∧ ¬A, nicht mehr beliebiges, B, folgen, d.h. A ∧ ¬A 6|= B. Klassisch war die Folgerung erzwungen, weil A ∧ ¬A nie (rein) wahr sein kann — und da spielte der Wahrheitswert von B schon keine Rolle mehr. Aber A ∧ ¬A kann nun genügend wahr (nämlich b) werden. Wenn B dann völlig falsch (0) ist dann folgt B nicht aus A ∧ ¬A. · Obwohl also B nicht aus A ∧ ¬A folgt, ist die Implikation A ∧ ¬A → B eine logische Wahrheit (d.h. niemals = 0)! Testen Sie nach Quine: A ∧ ¬A → B 0 · Also gilt in LP nicht mehr der klassischen Zusammenhang zwischen Folgerung und Implikation: Aus |= A → B dürfen wir nicht auf A |= B schließen. (Vgl. Satz 2 in Vorlesung 9.) 31 Winterlogik 2016-17 / fol. 517 Dreiwertige Logik • Andererseits ist nun aber Modus Ponens ungültig, d.h. der Schluß von A und A → B auf B garantiert nicht, daß wenn die Prämissen genügend wahr sind, dann auch die Konklusion genügend wahr ist. (Da b → 0 = b, ist folgendes möglich: Während v(A) = b und v(A → B) = b, ist v(B) = 0.) • Das Problem (wenn es eines ist) läßt sich beheben, indem wir die Tafel für → so (rot) ändern (b → 0 = 0 statt b), daß das gerade genannte Gegenbeispiel ausgeschlossen ist: → 1 b 0 1 1 0 0 b 1 b 0 0 1 1 1 (Gleichzeitig haben wir die Tafel auch so (grün) geändert (1 → b = 0 statt b), damit nach der ersten Änderung A → B und ¬A ∨ B äquivalent bleiben.) Die resultierende Logik, RM3, ist ein einfaches Beispiel einer sogenannten Relevanzlogik, in der Formeln wie A ∧ ¬A → B A → B ∨ ¬B in denen der Vordersatz für den Nachsatz “irrelevant” ist, nicht gültig sind. 32 Winterlogik 2016-17 / fol. 518 Eine vierwertige Logik Eine vierwertige Logik Zwar mag es ausgezeichnete Gründe für die philosophischen Thesen geben, • daß keine Aussage zugleich wahr und falsch sein kann (Konsistenz), und • daß jede überhaupt sinnvolle Aussage entweder sagt, wie es ist (= wahr ist) oder nicht sagt, wie es ist (= falsch ist). “In der Praxis” mögen diese Thesen aber wenig hilfreich sein. Wenn sich Ihre Vergabe von Wahrheitswerten zB nur auf Mitteilungen gründet, deren Vertrauenswürdigkeit Sie nicht überprüfen können dann kann schnell folgendes passieren: • Sie fragen: “P ?” · Sie bekommen keine Antwort, oder · die eine Quelle sagt “Ja”, die andere (oder dieselbe zu einem anderen Zeitpunkt) sagt “Nein”. Datenbanken können sehr schnell in genau diese Situation kommen! 33 Winterlogik 2016-17 / fol. 519 Eine vierwertige Logik Eine Datenbank besteht aus • einer Menge ∆ von Basisinformationen, und • einer Folgerungsmaschine. Richten Sie eine Anfrage P ? an die Datenbank, dann wird die Folgerungsmaschine versuchen, P aus der Menge ∆ abzuleiten. · Gelingt das, dann antwortet die Datenbank P ; Was passiert, wenn die Folgerungsmaschine klassisch vorgeht? · Angenommen, in die ∆ hat sich eine Inkonsistenz eingeschlichen: Sowohl Q also auch ¬Q wurde in ∆ eingegeben. Fragen Sie jetzt P ?, dann antwortet ∆ mit P . Denn klassisch folgt ja aus beliebigem A ∧ ¬A beliebiges B. Eine “kleine” Inkonsistenz macht so die gesamte Datenbank unbrauchbar! Die Datenbank “explodiert”: Sie wird jede Anfrage positiv bescheiden. 34 Winterlogik 2016-17 / fol. 520 Eine vierwertige Logik Die Folgerungsmaschine einer möglicherweise inkonsistenten Datenbank sollte daher besser nicht einfach klassisch vorgehen. Stattdessen sollte sie davon ausgehen, daß ein Eintrag in ∆ einen von vier Werten annehmen kann: wahr falsch weder-noch wahr und falsch. Wir können das auch so ausdrücken: Für den Wert v(A) einer Formel A gibt es vier Möglichkeiten: v(A) = 1 v(A) = 0 v(A) = i v(A) = b. Oder auch: v(A) = {w} v(A) = {f } v(A) = { } v(A) = {w, f }. Die letzten zwei Möglichkeiten — Unterbestimmung (i) und Überbestimmung (b) — sind in der klassischen Logik gewissermaßen nicht vorgesehen. Vielleicht kommen sie in der Welt auch nicht vor. • Aber in unseren Theorien über die Welt können Sie aufgrund unvollkommener Evidenz sehr wohl vorkommen. Sofern wir nicht die Welt sondern unsere Theorien über die Welt unter logischer Konsequenz abschließen wollen, spricht also einiges dafür, daß eine vierwertige Logik manchmal zumindest “nützlich” sein kann. 35 Winterlogik 2016-17 / fol. 521 Eine vierwertige Logik DENKPAUSE: (Anregung für Interessierte.) Basteln Sie eine plausible vierwertige Logik, indem Sie ◦ Tafeln mit vier Werten für Negation, Konjunktion, Disjunktion und Implikation angeben, und ◦ logische Wahrheit und Folgerung definieren. % Makinson, David, Topics in Modern Logic, Methuen, London, 1973. Priest, Graham, Introduction to Non-Classical Logic, Cambridge (Cambridge University Press), 2001. Dt. als Einführung in die nicht-klassische Logik, Paderborn (mentis), 2008. Belnap, Nuel D., A useful four-valued logic, in Modern Uses of Multiple-Valued Logic, hg. v. J.M. Dunn and G. Epstein, Dordrecht (Reidel), 1977 36 Winterlogik 2016-17 / fol. 522 Unendlichwertige Logik Unendlichwertige Logik Gegenüber den Vorgaben der klassischen Logik — zwei Wahrheitswerte, einer davon designiert — haben wir unseren Horizont jetzt schon erheblich erweitert: • drei und vier Wahrheitswerte (wahr, falsch, unterbestimmt, überbestimmt), • mehr als ein designierter Wert. Jetzt wollen wir die erste dieser zwei Erweiterungen zu einem Extrem treiben: • (dicht) unendlich viele Wahrheitswerte! (Dicht = Zwischen je zweien gibt es immer noch einen dritten Wert.) Wie man auf eine solche Idee kommen kann und warum das sogar eine ausgespochen gute Idee sein könnte, wollen wir an einem Beispiel illustrieren. 37 Winterlogik 2016-17 / fol. 523 Unendlichwertige Logik 38 Winterlogik 2016-17 / fol. 524 Unendlichwertige Logik Haufen-(Sorites-)Paradoxien Der Anfang: (A) Ein Sandkorn ist kein Haufen. Das Toleranz- oder Induktionsprinzip: (B) Für alle n: Wenn n Sandkörner kein Haufen sind, dann sind auch n + 1 Sandkörner kein Haufen. Per Induktion über n zur Konklusion: (C) Also gilt für alle n: n Sandkörner sind kein Haufen. [ Alternativ, eine genügend goße Reihe von Konditionalen (z.B. 1 ≤ n ≤ 999.999): (Bn ) Wenn n Sandkörner kein Haufen sind, dann sind auch n + 1 Sandkörner kein Haufen. Dann folgt nach 999.999 × Modus Ponens die Konklusion (C106 ) 1 Million Sandkörner sind kein Haufen. ] 39 Winterlogik 2016-17 / fol. 525 Unendlichwertige Logik Lösungen Entweder Ja zum Argument und damit zur Konklusion: I. Keine noch so große Anzahl von Sandkörnern ergibt einen Haufen. M.a.W., Haufen gibt es gar nicht. Oder Nein zum Argument. Dann entweder Nein zum Schluß: II. Modus Ponens ist kein allgemein gültiger logischer Schluß. Oder Nein zu einer der Prämissen, d.h. entweder III. Nein zum Anfang: Ein Sandkorn ist ein Haufen. Oder IV. Nein zur Toleranz: Nicht für alle Anzahlen n von Sandkörnern macht das Hinzufügen von einem weiteren Korn keinen Unterschied im Hinblick auf die Eigenschaft, ein Haufen zu sein: die Toleranz hat eine scharfe Grenze. Wir betrachten jetzt Option II: • Wie könnte man erklären, warum Modus Ponens hier kein gültiger Schluß ist?? 40 Winterlogik 2016-17 / fol. 526 Unendlichwertige Logik Fuzzy Logic Betrachten Sie einen Graukeil ... ... und verschieben Sie langsam die rote Maske von links (ganz schwarz) nach rechts (ganz weiß). In dem sie die Maske verschieben, wird das, was Sie im Ausschnitt sehen immer weniger schwarz und zunehmend weißer. Das können Sie auch so ausdrücken: • Es wird immer weniger wahr, daß der Ausschnitt schwarz ist. • Es wird zunehmend wahrer, daß der Ausschnitt weiß ist. 41 Winterlogik 2016-17 / fol. 527 Unendlichwertige Logik Das ist die Grundidee der Fuzzy Logic: • Wahrheit und Falschheit werden entlang eines Kontinuums gemessen. • Die zweiwertige Auffassung von Wahrheit betrachtet nur die Grenzfälle. • Zwischen absolut wahr (1) und absolut falsch (0) gibt es eine reelle (d.h. dicht unendliche) Anzahl weiterer Abstufungen, [1, ..., 0]. 42 Winterlogik 2016-17 / fol. 528 Unendlichwertige Logik Eine Diagnose der Haufenparadoxie • Mit nur einem Euro auf dem Konto ist man sicher arm. • Mit zehn Euro auf dem Konto ist man zwar immer noch arm aber weniger arm als zuvor. • Je mehr Euros sich auf einem Konto sammeln, umso weniger wahr ist es, daß sein Besitzer arm ist. • Allgemein: Der Wahrheitsgehalt der im Fortgang des paradoxen Arguments erschlossenen Aussagen nimmt langsam ab bis er am Ende auf Null geschrumpft ist. • Vielleicht steckt der Kern des Problems der Haufenparadoxie genau darin: Wir tun so, also ob wir bei jedem Schluß von wahren Aussagen zu wahren Aussagen übergehen. Tatsächlich jedoch gehen wir über zu immer weniger wahren Aussagen. Ist ein solcher Übergang (immer per Modus Ponens!) überhaupt gültig, d.h. logisch gerechtfertigt? 43 Winterlogik 2016-17 / fol. 529 Unendlichwertige Logik % Gottwald, S., Mehrwertige Logik, Berlin (Akademie), 1989. Hajék, P., Why Fuzzy Logic?, A Companion to Philosophical Logic, ed. D. Jacquette, Oxford (Blackwell), 2002, 595–605. Machina, K.F., Truth, belief and Vagueness, Journal of Philosophical Logic, 5 (1976), 47–78. Zadeh, L.A., Fuzzy Sets and Applications: Selected Papers, New York (John Wiley), 1987. 44 Winterlogik 2016-17 / fol. 530 Unendlichwertige Logik Betrachten wir noch einmal eine Haufenparadoxie in schematischer Darstellung. (A) P1 . (B1) Wenn P1 , dann P2 . P2 . (B2) Wenn P2 , dann P3 . P3 . ... (B(m-1)) Wenn Pm−1 , dann Pm . (C) Also Pm . (Wenn P1 , P2 , ... z.B. für “ein, zwei, ... Sandkörner sind kein Haufen” steht, und m eine Million ist, dann ist (C) die paradoxe Konklusion, daß eine Million Sandkörner kein Haufen sind. Oder: Für P1 lies: “1 Cent macht niemanden reich.”) 45 Winterlogik 2016-17 / fol. 531 Unendlichwertige Logik Drei Annahmen Wahrheitsschwund : Der Wahrheitsgehalt in der Reihe P1 , P2 , P3 , . . . , Pm nimmt stetig ab. Im Extremfall ist P1 vollkommen wahr (1) und Pm ist vollkommen falsch (0). w(P1 ) > w(P2 ) > w(P3 ) > . . . > w(Pm ) Toleranz : Jedes der Toleranz-Konditionale (Bi ) hat einen sehr hohen Wahrheitsgehalt. w(Pi → Pi+1 ) = 1 − ε (ε ein sehr kleiner Wert.) Konjunktionsregel : Der Wahrheitsgehalt zweier Aussagen zusammengenommen (w(A, B) bzw. w(A ∧ B)) ist genauso hoch wie der, der am wenigsten wahren der beiden Aussagen. w(A, B) = min(w(A), w(B)) NB : Im Gegensatz zur Konjunktionsregel sind Wahrheitschwund und Toleranz keine Charakteristika unendlichwertiger Logiken, sondern beschreiben nur die paradoxe Ausgangsssituation (im Vokabular solcher Logiken). 46 Winterlogik 2016-17 / fol. 532 Unendlichwertige Logik Warum Modus Ponens jetzt nicht gilt. . . 47 Winterlogik 2016-17 / fol. 533 Unendlichwertige Logik 48 Winterlogik 2016-17 / fol. 534 Unendlichwertige Logik 49 Winterlogik 2016-17 / fol. 535 Unendlichwertige Logik (N.B. Tatsächlich würde unter den beiden anderen Annahmen hier schon die schwächere Bedingung (Schranke) w(A, B) ≤ w(A) reichen.) Ergebnis Modus Ponens würde uns also zwingen, von relativ wahren (hier: 0,9) zu relativ weniger wahren (hier: 0,8) Prämissen überzugehen. Von einem gültigen Schluß sollten wir uns aber erwarten, daß die Konklusion nicht falscher sein darf als die Prämissen. • Also kann in einer unendlichwertigen Logik (mit der Konjunktionsregel (bzw. Schranke)) Modus Ponens kein gültiger Schluß sein! 50 Winterlogik 2016-17 / fol. 536 Unendlichwertige Logik (Schluß der Theorie der Wahrheitsfunktionen) 51 Winterlogik 2016-17 / fol. 537 Goethe-Universität Frankfurt am Main Institut für Philosophie Logik im Winter 2016-17 Aussagenlogik als formales System André Fuhrmann 14aussagenlogik 170207.1133 Winterlogik 2016-17 / fol. 538 Spickzettel: BNF und Wahrheitstafeln Spickzettel: BNF und Wahrheitstafeln Backus-Naur Form (BNF) Atomare Formeln: P ∈ ATM Formeln: A ∈ FML(ATM) A ::= P | ¬A1 | A1 ∧ A2 ¬ 0 1 Wahrheitstafeln ∧ 0 1 1 0 0 0 0 1 0 1 Definitionen ⊥ := P ∧ ¬P > := ¬⊥ A1 ∨ A2 := ¬(¬A1 ∧ ¬A2 ) A1 → A2 := ¬A1 ∨ A2 2 Winterlogik 2016-17 / fol. 539 Spickzettel: BNF und Wahrheitstafeln Ziel: Eine axiomatische Beschreibung der Menge der Tautologien 3 Winterlogik 2016-17 / fol. 540 Vorüberlegung Vorüberlegung (1) Yasmin ist Deutsche und Iranerin. (2) Wenn Yasmin Deutsche und Iranerin ist, dann ist Yasmin Iranerin. (3) Yasmin ist Iranerin. (4) Wenn Yasmin Iranerin ist, dann darf Sie nicht einreisen, es sei denn, sie arbeitet bei der UNO. (5) Yasmin darf nicht einreisen, es sei denn, sie arbeitet bei der UNO. (6) Jasmin arbeitet nicht bei der UNO. (7) Yasmin darf nicht einreisen. 4 Winterlogik 2016-17 / fol. 541 Vorüberlegung (1-7) ist eine Liste (Folge) von Aussagen. Was am Ende der Liste steht, (7), ist offenbar als Konklusion eines Arguments gemeint. Was macht die Liste zu einem Argument? Jede Aussage, die (7) vorangeht ist · entweder eine Annahme (Prämisse) (1,2,4,6) · oder eine Aussage, auf die aus vorangehenden Aussagen geschlossen wurde (3,5,7). Allgemein: Ein Argument für eine Konklusion C aus bestimmten Annahmen ist eine Folge von Aussagen (A0 , A1 , ..., An ) so, daß · An = C, und jede Aussage Ai · ist entweder eine der Annahmen · oder aus dem Ai vorangehenden Aussagen aufgrund einer gültigen Regel geschlossen. 5 Winterlogik 2016-17 / fol. 542 Vorüberlegung Ein Argument ist also nicht mehr und nicht weniger als eine Folge von Aussagen, die bestimmte Bedingungen erfüllt. Manchmal kommentieren wir Argumente, um die Erfüllung der Bedingungen deutlich zu machen. Etwa so ... (1) Yasmin ist Deutsche und Iranerin. Prämisse (2) Wenn Yasmin Deutsche und Iranerin ist, dann ist Yasmin Iranerin. Prämisse (3) Yasmin ist Iranerin. Schluß aus (1) und (2) (4) Wenn Yasmin Iranerin ist, dann darf Sie nicht einreisen, es sei denn, sie arbeitet bei der UNO. Prämisse (5) Yasmin darf nicht einreisen, es sei denn, sie arbeitet bei der UNO. Schluß aus (3) und (4) (6) Jasmin arbeitet nicht bei der UNO. (7) Yasmin darf nicht einreisen. Prämisse Schluß aus (5) und (7) (“Gut” nennen wir ein Argument, wenn die Annahmen und Regeln gut sind. Gute Annahmen sind wahre Annahmen; gute Regeln sind wahrheitsübertragende Regeln.) 6 Winterlogik 2016-17 / fol. 543 1.Axiomatisches System in einer Sprache L 1. Axiomatisches System in einer Sprache L Sei L eine AL-Sprache. Ein axiomatisches System S in L zeichnet ◦ im Bereich der Formeln von L, FML, ◦ auf der Basis einiger ausgewählter Formeln, genannt Axiome, ◦ durch Anwendung einiger Regeln ◦ eine Theoreme genannte Teilmenge von FML aus. (Vgl. Vorlesung 3.) • Regeln sind Folgen der Form: A1 , . . . , An , B. A1 , . . . , An heißen die Prämissen, B die Konklusion der Regel. Regeln schreiben wir auch so: A1 . . . An B 7 Winterlogik 2016-17 / fol. 544 1.Axiomatisches System in einer Sprache L Definition. 1. Eine Ableitung oder Beweis (in S) von A aus X ist eine endliche Folge von Formeln A1 , ..., An (= A) so, daß für jedes Ai , (i) Ai in X ist oder (ii) Ai ein Axiom (von S) ist oder (iii) Ai eine Konklusion aus vorhergehenden Formeln aufgrund einer der Regeln (von S) ist. 2. A ist eine Folgerung (folgt) aus einer Menge X von Fmln (Notation: X `S A) gdw es eine Ableitung (in S) von A aus X gibt. Ausdrücke der Form X ` A nennen wir auch Sequenzen. 3. Jede Formel für die es eine Ableitung (in S) aus der leeren Menge gibt (= jede Fml, die aus ∅ folgt) ist ein Theorem (von S). (Notation: ∅ `S A oder einfacher `S A.) 8 Winterlogik 2016-17 / fol. 545 1.Axiomatisches System in einer Sprache L Theoreme beweist man also allein aus Axiomen. D.h. die Bedingung (i) in der Definition einer Ableitung (Rückgriff auf Annahmen X) kommt beim Beweis von Theoremen einfach nicht zum Zuge. ◦ NB : A ` B ist kurz für {A} ` B; X, Y ` A ist kurz für X ∪ Y ` A Ein axiomatisches System S axiomatisiert eine Menge M , wenn genau die Elemente von M in S ableitbar (Theoreme von S) sind. Lemma 1. (Einige elementare Eigenschaften der Folgerungsrelation) 1. A ` A (Reflexivität); 2. Wenn X ⊆ Y und X ` A, dann Y ` A (Monotonie); 3. X ` A gdw es eine endliche Teilmenge X 0 ⊆ X gibt mit X 0 ` A (Endlichkeit); 4. Wenn X ` A und für jedes B in X, Y ` B, dann Y ` A (Schnitt). Beweis. Die Behauptungen folgen unmittelbar aus der Definition einer Folgerung: 9 Winterlogik 2016-17 / fol. 546 1.Axiomatisches System in einer Sprache L 1. A ` A (Reflexivität); 2. Wenn X ⊆ Y und X ` A, dann Y ` A (Monotonie); 3. X ` A gdw es eine endliche Teilmenge X 0 ⊆ X gibt mit X 0 ` A (Endlichkeit); 4. Wenn X ` A und für jedes B in X, Y ` B, dann Y ` A (Schnitt). Ad 1: Die Folge hAi ist eine Ableitung von A aus der Menge {A}. Ad 2: Wenn die Ableitung von A unter Rückgriff auf die Menge X gelingt, dann gelingt sie auch unter Rückgriff auf jede größere Menge. Ad 3: Ableitungen sind endliche Folgen. Wenn also A unter Rückgriff auf eine Menge abgeleitet werden kann, dann nur unter Rückgriff auf endlich viele Elemente dieser Menge Ad 4: Angenommen, wir habe eine Ableitung von A aus X. Betrachten wir nun ein B0 in X, welches seinerseits aus Y abgeleitet werden kann. Dann können wir die Ableitung von A aus X links verlängern um die Ableitung von B0 aus Y . So erhalten wir eine Ableitung von A aus Y zusammen mit X ohne B0 (Y ∪ X \ B0 ). Das können wir für alle B in X so machen. Dann erhalten wir schließlich eine Ableitung von A aus Y allein. 10 Winterlogik 2016-17 / fol. 547 2.Axiomatisches System in einer Sprache L Diese Eigenschaften der Relation ` können wir auch so aufschreiben: X`A X, Y ` A Monotonie X ` A ∀B ∈ X : Y ` B Y `A Schnitt Die folgenden Regeln sind oft gebrauchte Fälle der Schnitt-Regel: X, A ` B Y `A X, Y ` B A`B X`A X`B A`B B`C A`C (Im Korollar zu Lemma 2 (unten) werden wir von folgender “Instanz” (einfache Y, A ` B X ` A Buchstabenvertauschung!) der Schnittregel Gebrauch machen: .) X, Y ` B 11 Winterlogik 2016-17 / fol. 548 2.Aussagenlogik als axiomatisches System 2. Aussagenlogik als axiomatisches System Ausgangspunkt unserer Betrachtungen ist eine beliebige, funktional vollständige ALSprache (aussagenlogische Sprache). Ziel ist die Axiomatisierung der Menge der Tautologien. Vorschlag: Das System K Axiome: Alle Formeln der Gestalt: A1 A2 A3 A → (B → A) (A → (B → C)) → ((A → B) → (A → C)) (¬A → ¬B) → ((¬A → B) → A) Regeln: Alle Regeln der Gestalt MP A A→B B 12 Winterlogik 2016-17 / fol. 549 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Definitionen Wenn wir annehmen, wie wir das oben getan haben, daß ¬ und ∧ die Grundjunktoren sind, dann definieren wir zunächst (im Hinblick auf die Axiome) A → B := ¬(A ∧ ¬B). Sodann weitere Junktoren nach Bedarf: ⊥ := P ∧ ¬P A ∨ B := ¬A → B A ↔ B := ¬((A → B) → ¬(B → A)) 13 Winterlogik 2016-17 / fol. 550 2.Aussagenlogik als axiomatisches System • Was wir hier unter A1–3 (und MP) notiert haben, sind eigentlich Schemata, die anzeigen sollen, welche Formeln der betrachteten Sprache, den Status von Axiomen haben sollen (bzw. wie geschlossen werden soll). • D.h. wenn hier das Schema A → (B → A) als Axiom A1 notiert ist, dann soll damit festgelegt sein, daß alle Formeln von eben dieser Gestalt, → ♠ → ♥ ♠ Axiome des Systems K sind. • Und das Schema MP als Regel des Systems legt fest, daß wenn immer wir eine → Formel der Gestalt abgeleitet haben, dann darf ♣ auch als abgeleitet gel♥ ♣ ten, sobald wir ♥ abgeleitet haben. 14 Winterlogik 2016-17 / fol. 551 2.Aussagenlogik als axiomatisches System • In diesem Sinne sind die Buchstaben A, B, C, ... Variabeln unserer Metasprache. Mit diesen Variablen beziehen wir uns auf Sätze der Objektsprache und legen dabei (bis zu dem Punkt der uns jeweils interessiert) ihre Gestalt fest. Solche metasprachlichen Variabeln werden manchmal auch schematische genannt. • So verstanden, sind die oben notierten Axiome Axiomenschemata. (Analoges gilt für die Regel MP und die Definitionen). Anmerkung: Nur die Definition ⊥ := P ∧ ¬P ist kein Schema. Wir wählen hier ein bestimmtes Atom P unserer Sprache und vereinbaren dann die Abkürzung ⊥. Welches Atom wir wählen, ist jedoch gleichgültig. 15 Winterlogik 2016-17 / fol. 552 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Das Ziel ist nun, zu zeigen, daß das System K genau die Menge der klassischen Tautologien axiomatisiert: Beweisbarkeit in K = Gültigkeit `K A gdw |= A • Gültigkeit: Die Formel A wird immer wahr, egal, welche Werte man den in ihr vorkommenenen Atomen gibt, d.h. A erhält in jeder Zeile seiner Wahrheitstafel den Wert 1. Gültigkeit ist eine semantische Eigenschaft einer Formel: Ob eine Formel sie hat, hängt davon ab, wofür sie steht (was sie bedeutet, wie wir sie interpretieren). • Beweisbarkeit in K: Die Formeln A steht am Ende einer Ableitung nur aus Axiomen von K. Beweisbarkeit ist eine syntaktische Eigenschaft. Eine Formel hat sie, wenn sie sich als Resultat rein syntaktischer Umformungen erweisen läßt. Gültigkeit und Beweisbarkeit sind jeweils semantische und syntaktische Aspekte logischer Wahrheit. Wir werden zeigen, daß diese beiden Aspekte genau übereinstimmen. 16 Winterlogik 2016-17 / fol. 553 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Wie schreibe ich eine Ableitung auf ? Eine Ableitung (Beweis) einer Formel A aus einer (möglicherweise leeren!) Formelmenge X ist eine Folge A1 .. . An (= A) so, daß jedes, Ai entweder (i) in X ist, oder (ii) ein Axiom (von K) ist, oder (iii) aus vorhergehenden Formeln aufgrund der Regel MP folgt. • Jede Formel, die in einer Ableitung auftaucht, muß also auf eine der drei Weisen gerechtfertigt sein. Diese Rechtfertigungen wollen wir rechts neben der jeweiligen Formel aufschreiben. • Ferner wird es nützlich sein, die Formeln zu numerieren, damit wir in den Rechtfertigungen auf sie Bezug nehmen können. Diese Formelnummern schreiben wir in runde Klammern. 17 Winterlogik 2016-17 / fol. 554 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Jede Zeile in einer Ableitung wollen wir deshalb so notieren: (Nummer) F ormel hRechtfertigungi Es gibt drei mögliche Rechtfertigungen; also sind drei Fälle zu unterscheiden: (i) Die Formel ist eine Annahme (“in X”): (n) A Annahme (ii) Die Formel ist ein Axiom: (n) A Axiom A1/A2/A3 (iii) Die Formel folgt aus vorausgehenden Formeln (i, k) durch MP : (i) A hRechtfertigungi .. . (k) A → B hRechtfertigungi .. . (n) B i, k, MP 18 Winterlogik 2016-17 / fol. 555 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Diese Art Ableitungen aufzuschreiben, nennen wir den Hilbert-Stil. David Hilbert (1862–1943) • Der Hilbert-Stil reflektiert unmittelbar die Definition einer Ableitung als einer Folge von Formeln. • Die Folge wird mit Zahlen (Zeilennummern) und Rechtfertigungen versehen: So entsteht das “Arbeitsprotokoll” einer Ableitung. 19 Winterlogik 2016-17 / fol. 556 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Vereinfachung: Theoremeinführung Eigentlich ist der Unterschied zwischen Axiomen und Theoremen nicht sehr groß: • Axiome hat man unmittelbar zur Verfügung, • Theoreme muß man erst noch beweisen. Hat man sie erst einmal beweisen, dann stehen uns Theoreme genau so zur Verfügung, wie Axiome. Hinter dieser intuitiven Betrachtung, steht die folgende Tatsache. Es sei A ein Theorem eines Axiomensystems S. • Wenn wir A als Axiom dem System S hinzufügen, dann läßt sich aus dem so erweiterten System S A nicht mehr ableiten, als sich schon in S ableiten ließ. (Das folgt aus einer besonders einfachen Form von Schnitt; siehe Lemma 1.4) Einige Ableitungen werden in S A einfacher sein als in S. Und da wir es gern einfach haben, bedienen wir uns folgender ... 20 Winterlogik 2016-17 / fol. 557 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Regel der Theoremeinführung: In einer Ableitung darf jederzeit eine Zeile der Form (n) A Theorem ... eingefügt werden, vorausgesetzt, A ist klarerweise ein Theorem. Eine Formel ist “klarerweise” ein Theorem, wenn sie entweder zuvor bewiesen worden ist oder als bekanntes Theorem vorausgesetzt werden darf. In jedem Fall kann es nicht schaden, die Ellipse durch einen Hinweis zu ersetzen. 21 Winterlogik 2016-17 / fol. 558 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Verallgemeinerung: Sequenzeneinführung Nun ist ja ein Theoreme eigentlich nichts anderes als der Spezialfall einer Folgerung (Sequenz), nämlich eine Folgerung “aus dem Nichts”. Im allgemeinen folgern wir aus einer Menge von Annahmen; Theoreme folgern wir aus der leeren Menge von Annahmen. • Die Regel der Theoremeinführung erlaubt es, in einer Ableitung von bereits bewiesenen Theoreme, d.h. von Sequenzen der Form ∅ ` A, jederzeit Gebrauch zu machen. • Genauso wollen wir eigentlich auch mit bewiesenen Sequenzen der Form X`A verfahren können. Aber wo bringen wir die Annahmen X unter? • Links von der Formelnummer ist noch Platz. Da wollen wir die Annahmen notieren, auf denen die jeweilige Formel beruht: X (n) A 22 Winterlogik 2016-17 / fol. 559 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Axiome und Theoreme beruhen auf gar keinen Annahmen. Also schreiben wir wie zuvor einfach (n) A Axiom bzw. Theorem Annahmen (siehe Def. “Ableitung”), beruhen natürlich darauf (sind abhängig davon), daß die Annahme wahr ist, d.h. auf sich selbst. Also schreiben wir A (n) A Annahme Die Rechtfertigung für solche Zeilen gibt Lemma 1.1 (A ` A !). (Deshalb könnten wir auch “Lemma 1.1” statt “Annahme” in die Rechtfertigungsspalte schreiben.) Statt durch die Formel selbst, werden wir eine Annahme oft auch einfach durch die Formelnummer benennen; also so: n (n) A Annahme Das werden wir insbesondere immer dann machen, wenn wir auf diese Weise Schreibarbeit sparen können. 23 Winterlogik 2016-17 / fol. 560 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Modus Ponens, MP, ist die Regel, welche Ableitungen vorantreibt. Dabei beruht die Konklusion eines MP-Schrittes natürlich auf allen Annahmen, die für die Prämissen benötigt werden. Mit anderen Worten, in einem Schluß auf B aus A → B erbt B alle Annahmen, von denen A und alle Annahmen, von denen A → B abhängig ist: X Y X, Y (i) A .. . (k) A → B .. . (n) B hRechtfertigungi hRechtfertigungi i, k, MP ◦ Hier wollen wir X und Y als Mengen von Annahmen verstehen. Das Komma links von der Formelzahl deutet die Vereinigung von Mengen an, d.h. “X, Y ” will sagen: X ∪ X. 24 Winterlogik 2016-17 / fol. 561 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Als Verallgemeinerung der Regel der Theoremeinführung wollen wir schließlich Ableitungen durch folgende Regel erleichtern: Regel der Sequenzeneinführung: In einer Ableitung darf jederzeit eine Zeile der Form X (n) A Lemma, Theorem ... o.ä. eingefügt werden, vorausgesetzt, X ` A ist klarerweise eine beweisbare Sequenz (Folgerung). Warum eine Sequenz “klarerweise” in den Beweis eingefügt werden darf, deuten Sie rechts neben der Sequenz an (typischerweise, indem Sie auf ein zuvor bewiesenes Lemma oder Theorem verweisen). 25 Winterlogik 2016-17 / fol. 562 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Diese Art Ableitungen aufzuschreiben, nennen wir den Lemmon-Stil.1 Edward John Lemmon (1930–1966) 1 Nach dem verbreiteten Lehrbuch Beginning Logic (1965) von Edward J. Lemmon. 26 Winterlogik 2016-17 / fol. 563 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Anmerkung Im Lemmon-Stil notiert, haben Ableitungen den großen Vorteil, daß wir nicht mehr den gesamten Beweis von oben nach unten durchsehen müssen, um herauszufinden, von welchen Annahmen eine Formel in einer gegebenen Zeile abhängt; vielmehr ist diese Abhängigkeit in jeder Zeile direkt angegeben. Der Lemmon-Stil ist aber nicht einfach eine Variante des Hilbert-Stils sondern kann als eine ganz andere Art von Kalkül betrachtet werden. ◦ Im Hilbert-Stil steht jede Zeile für ein Element in einer Folge von Formeln, d.h. für eine Formel. ◦ Im Lemmon-Stil steht jede Zeile für eine Ableitbarkeitsbehauptung. X, Y (n) A bedeutet: X, Y ` A! Um den Unterschied zu veranschaulichen sehen wir uns noch einmal die Modus Ponens-Regel an ... 27 Winterlogik 2016-17 / fol. 564 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Im Lemmon-Stil notiert, sieht die Regel so aus: X Y X, Y (i) A .. . (k) A → B .. . (n) B hRechtfertigungi hRechtfertigungi i, k, MP Wie bemerkt, deuten die Zeilen Ableitbarkeitsbehauptungen an. Wenn wir den Übergang von den Zeilen (i) und (k) zu (n) als logisch richtig empfehlen, dann empfehlen wir tatsächlich den folgenden Schluß von zwei Ableitbarkeitsbehauptungen auf eine dritte: “Sequenzen-Modus Ponens”: Wenn A aus X ableitbar ist (X ` A) und A → B aus Y ableitbar ist (Y ` A → B), dann gibt es auch eine Ableitung von B aus X und Y (X, Y ` B). Daß diese Empfehlung eine gute ist, folgt als Korollar aus dem folgenden ... 28 Winterlogik 2016-17 / fol. 565 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Lemma 2. Wenn X ` A → B, dann X, A ` B. Beweis. Wir wissen, daß die Folge hA, A → B, Bi eine richtige Ableitung von B aus den Annahmen A und A → B durch MP darstellt; also: A, A → B ` B (1) Nun machen wir die Annahme des Lemmas: X`A→B (2) Dann haben wir mit (1) und (2) die Prämissen für einen Schnitt (Lemma 1.4) zur gewünschten Konklusion X, A ` B. 29 Winterlogik 2016-17 / fol. 566 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Korollar. Wenn X ` A und Y ` A → B, dann X, Y ` B. Beweis. Angenommen Y ` A → B, dann (nach Lemma 2) Y, A ` B. Aus der weiteren Annahme X`A dürfen wir nun nach Schnitt (Lemma 1.4) auf X, Y ` B schließen.2 2 Erinnerung: “Y, A” ist kurz für Y ∪ {A}. Also ist Y, A = A, Y und, aus dem gleichen Grund, Y, X = X, Y . 30 Winterlogik 2016-17 / fol. 567 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Zusammenfassend: • Der Hilbert-Stil hält Ableitungen im Axiomensystem fest. Die Ableitung wird in einer Ableitbarkeitsbehauptung zusammengefaßt. • Der Lemmon-Stil hält erlaubte Übergänge zwischen Ableitbarkeitsbehauptungen fest. Jede Zeile in einem Lemmon-Beweis stellt eine solche Ableitbarkeitsbehauptung dar. • Im Hilbert-Stil notieren wir Ableitungen in einem ax. System. Im Lemmon-Stil sprechen wir über Ableitungen in einem ax. System. (In diesem Sinne setzen Beweise im Lemmon-Stil Beweise im Hilbert-Stil voraus.) Letztlich läuft es auf das Gleiche hinaus: Wenn es in einem axiomatischen System eine Ableitung von B aus Annahmen A1 , ..., An gibt, dann steht im Hilbert-Stil B genau dann als letzte Formel da, denen die Formeln A1 , ..., An vorangegangen sind, wenn sich im Hilbert-Stil eine Zeile der Form A1 , ..., An (n) A hRechtfertigungi. produzieren läßt – und umgekehrt. (Ende der Anmerkung) 31 Winterlogik 2016-17 / fol. 568 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Weiter im Lemmon-Stil Wir wollen uns nun mit konkreten Ableitungen im System K ein wenig vertraut machen. Lemma 3. 1. ` A → A 2. B → C ` A → (B → C) 3. A → B, B → C ` A → C 4. A → (B → C), B ` A → C Beweis. Ad 1) Das Schema A → A, haben wir schon einmal bewiesen. (% Formale Sprachen, Abschnitt: Das Zehnersystem (Forts.)) Dieser Beweis mag Ihnen als Modell für weitere Beweise dienen: (1) (A → ((A → A) → A)) → ((A → (A → A)) → (A → A)) A2 (2) A → ((A → A) → A) A1 (3) ((A → (A → A)) → (A → A)) 1,2 MP (4) A → (A → A) A1 (5) A → A 3,4 MP 32 Winterlogik 2016-17 / fol. 569 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Sequenzeneinführung (hier: Annahmen) Ad 2) [ B → C ` A → (B → C) ] Nach Lemma 1.1 ist A aus A ableitbar. Also können wir eine solche Sequenz, A ` A, an jeder Stelle in einen Beweis einführen. Dieser elementare Fall von Sequenzeneinführung ist vor allem ein Mittel, Annahmen in einen Beweis einzuführen, was wir rechts als Rechtfertigung (statt “Lemma 1.1”) vermerken (1) B → C Annahme (2) (B → C) → (A → (B → C)) A1 1 (3) A → (B → C) 1,2 MP 1 33 Winterlogik 2016-17 / fol. 570 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Sequenzeneinführung Die Sequenz B → C ` A → (B → C) ist damit bewiesen. Also können wir jetzt die folgende Zeile in jeden Beweis einfügen: B→C (n) A → (B → C) Lemma 3.2 Diesen Fall einer Sequenzeneinführung können wir im nächsten Beweis gut gebrauchen: Ad 3) [ A → B, B → C ` A → C ] 1 2 2 2 1,2 (1) (2) (3) (4) (5) (6) A→B B→C (A → (B → C)) → ((A → B) → (A → C)) A → (B → C) (A → B) → (A → C) A→C Annahme Annahme A2 Lemma 3.2 3,4 MP 1,5 MP 34 Winterlogik 2016-17 / fol. 571 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Theoremeinführung Auch bereits bewiesene Theoreme (d.h. Folgerungen aus der leeren Annahmenmenge) können Sie in Beweise einbauen. ZB so: (1) (A → A) → (B → (A → A)) A1 (2) A → A Lemma 3.1 (3) B → (A → A) 1,2 MP Zum Schluß geben wir noch einen Beweis ad 4) [ A → (B → C), B ` A → C ] 1 2 (1) (2) (3) 1 (4) (5) 2 (6) 1,2 (7) A → (B → C) B (A → (B → C)) → ((A → B) → (A → C)) (A → B) → (A → C) B → (A → B) A→B A→C Annahme Annahme A2 1,3 MP A1 2,5 MP 4,6 MP 35 Winterlogik 2016-17 / fol. 572 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Üben Sie bitte weitere Ableitungen! Das kann auf zweierlei Art vor sich gehen. • Probieren Sie einfach ein wenig herum, zu was für Folgerungen Sie durch Anwendungen von MP auf mehr oder weniger merkwürdige Instanzen der Axiome gelangen können! • Setzen Sie sich die Ableitung einer Formel oder einer Regel zum Ziel und versuchen Sie auf dieses Ergebnis hinzuarbeiten! (Zuvor sollten Sie sich vergewissern, daß es sich bei dem Ziel um eine Tautologie handelt, bzw. um eine Regel, die immer von Tautologien auf Tautologien schließt! Wir haben zwar noch nicht bewiesen, daß sich in K nur Tautologien ableiten lassen, aber diese Hypothese dürfen Sie für diese Übung als sichere Wette betrachten.) * * * 36 Winterlogik 2016-17 / fol. 573 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Das Deduktionstheorem Ableitungen in K können sehr kompliziert sein. Es gibt jedoch einige Tatsachen über die Ableitungsrelation `, deren Kenntnis die Arbeit des Ableitens ganz erheblich vereinfacht. Vielleicht die wichtigste und grundlegendste dieser Tatsachen ist im folgenden Satz festgehalten. (Das ist die Umkehrung von Lemma 2) Jacques Herbrand (1908–1931) 37 Winterlogik 2016-17 / fol. 574 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Satz 4. (Herbrand 1930) Wenn X, A ` B, dann X ` A → B. Beweis. Angenommen X, A ` B, d.h. B folgt aus X ∪ A (oder (X, A), wie wir kürzer schreiben werden). Dann gibt es eine Folge B1 · · · B` (= B) so, daß jedes Bi (1 ≤ i ≤ `) entweder i. ein Axiom ist, oder ii. in (X, A) ist (d.h. Bi ∈ X oder Bi = A), oder iii. eine Konklusion vorangehender Formeln aufgrund von MP ist. [Wir zeigen: Gleichgültig, wie lang die Ableitung von B aus (X, A) sein mag, in jedem Fall gibt es eine Ableitung von A → B aus X. Kumulative Induktion über die Länge ` (≥ 1) (= “Anzahl der Zeilen”) der Ableitung.] X A .. . (`) B =⇒ X .. . .. . A→B 38 Winterlogik 2016-17 / fol. 575 2.Aussagenlogik als axiomatisches System X, A ` B ⇒ X`A→B Basis: ` = 1. D.h. die Ableitung aus (X, A) besteht aus nur einer Formel, B: X, A (1) B Dann gibt es drei mögliche Fälle: a) B ist ein Axiom, oder b) B ist eine der Annahmen in (X, A), d.h. b1) B = A oder b2) B ∈ X. Wenn (a), dann: X (1) (2) (3) (4) B Axiom B → (A → B) A1 A→B 1,2 MP A→B 3 Monotonie (Lemma 1.1) 39 Winterlogik 2016-17 / fol. 576 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Wenn (b1) (A = B), dann ist A → B = A → A. Zu zeigen ist also X ` A → A. Wir wissen schon (Lemma 3.1), daß ` A → A. Also (Monotonie, Lemma 1.2) X ` A → A. Wenn (b2) (B ∈ X), dann: X X (1) B Voraussetzung (+ Refl. & Mono., Lemma 1) (2) B → (A → B) A1 (3) A → B 1,2 MP In jedem Fall folgt also, daß X ` A → B. (Die Annahme X, A ` B wird in der Induktionsbasis gar nicht benötigt.) 40 Winterlogik 2016-17 / fol. 577 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Induktionsannahme (IA): Der Satz gelte für alle Ableitungen bis Länge k; d.h. wenn es eine Ableitung B1 · · · B aus (X, A) von Länge k gibt, dann gibt es eine Ableitung B1 · · · (A → B) aus X. Induktionsschritt: Es ist zu zeigen, daß der Satz für alle Ableitungen von Länge k + 1 gilt. Wir nehmen also an, daß es eine Ableitung B1 · · · B aus (X, A) von Länge k + 1 gibt; wir zeigen, daß es in diesem Fall eine Ableitung B1 · · · (A → B) aus X gibt. Fall a): B ist ein Axiom oder in (X, A). (Dann X ` A → B wie zuvor.) Fall b): B folgt aus vorangegangenen Formeln durch MP. Dann gibt es Ableitungen B1 · · · C und B1 · · · (C → B), beide aus (X, A) und beide kürzer als k + 1. D.h., wir haben (1) X, A ` C und (2) X, A ` C → B und können darauf die Induktionsannahme anwenden: IA (3) X ` A → C und (4) X ` A → (C → B) Jetzt ist zu zeigen, daß X ` A → B: 41 Winterlogik 2016-17 / fol. 578 2.Aussagenlogik als axiomatisches System X, A X, A X X X X (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) C C→B A→C A → (C → B) (A → (C → B)) → ((A → C) → (A → B)) (A → C) → (A → B) A→B Voraussetzung Voraussetzung IA, 1 IA, 2 A2 4,5 MP 3,6 MP Damit ist die Induktion beendet: Wir haben gezeigt, daß beliebig lange Ableitungen B1 · · · B aus (X, A) sich immer in Ableitungen B1 · · · (A → B) aus X umformen lassen. Korollar. 1. X, A ` B gdw X ` A → B; 2. A ` B gdw ` A → B. Beweis. Aus dem Ded.theorem (L nach R) und Lemma 2 (R nach L). 42 Winterlogik 2016-17 / fol. 579 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Letztlich waren es diese drei Bedingungen, die ausreichten, das Deduktionstheorem zu beweisen: • Alle Formeln von der Form des Axioms A1 sind Theoreme. • Alle Formeln von der Form des Axioms A2 sind Theoreme. • Modus Ponens ist die einzige Schlussregel. Das Deduktionstheorem zeigt, daß es zulässig ist, nach folgender Regel zu schließen: X, A ` B X`A→B Ded.thm Oder, anders ausgedrückt, wir können in Ableitungen so vorgehen: ...,A (n) B ... (n + 1) A → B ... n Ded.thm 43 Winterlogik 2016-17 / fol. 580 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Hier ist ein Beispiel: Wir beweisen das Prinzip der Identität, A → A: 1 (1) A Annahme (2) A → A 1 Ded.thm Das ging flott! (Vergleichen Sie den Beweis von A → A unter Lemma 3!) Als weitere Beispiele, wie nützlich das Deduktionstheorem ist, zeigen wir recht einfach, daß die folgenden Formeln Theoreme von K sind. (A → B) → ((B → C) → (A → C)) (A → (B → C)) → (B → (A → C)) (A → (A → B)) → (A → B) 44 Winterlogik 2016-17 / fol. 581 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Als erstes 1 2 3 1,3 1,2,3 1,2 1 beweisen wir die Transitivität der Implikation: (1) A → B Annahme (2) B → C Annahme (3) A Annahme (4) B 1,3 MP (5) C 2,4 MP (6) A → C 5 Ded.thm (7) (B → C) → (A → C) 6 Ded.thm (8) (A → B) → ((B → C) → (A → C)) 7 Ded.thm Man kann diese Ableitung auch im Gentzen-Stil notieren: A`A A→B`A→B A, A → B ` B MP B→C`B→C A, A → B, B → C ` C A → B, B → C ` A → C MP Ded.thm A → B ` (B → C) → (A → C) Ded.thm ` (A → B) → ((B → C) → (A → C)) Ded.thm 45 Winterlogik 2016-17 / fol. 582 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Gerhard Gentzen (1909–1945) 46 Winterlogik 2016-17 / fol. 583 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Der Gentzen-Stil ist im Grunde nur eine zweidimensionale Spreizung des LemmonStils. Durch die Darstellung als Baum, wird das Verhältnis zwischen Prämissen und Konklusionen unmittelbar angezeigt. Dadurch werden die Formelnummern des Lemmon-Stils überflüssig. Die Permutierbarkeit der Implikation, leiten wir so ab: 1 2 3 1,3 1,3,2 1,2 1 (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) A → (B → C) B A B→C C A→C B → (A → C) (A → (B → C)) → (B → (A → C)) Annahme Annahme Annahme 1,3 MP 2,4 MP 5 Ded.thm 6 Ded.thm 7 Ded.thm Der “Trick” beruhte — wie schon in der Ableitung der Transitivität — darauf, daß wir die Annahmen (links von der Zeilennummer bzw. dem Zeichen `), wie vereinbart, als Mengen auffassen: auf ihre Reihenfolge kommt es nicht an, d.h. {1, 3, 2} = {1, 2, 3} (in Z. (5)). 47 Winterlogik 2016-17 / fol. 584 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Bei Mengen kommt es ebenfalls nicht darauf an, wie oft wir die Elemente erwähnen. Darauf beruht die folgende Ableitung des Prinzips der Kontraktion, in dem wir zweimal von der Annahme A Gebrauch machen (in Zn (3) und (4)): 1 (1) A → (A → B) 2 (2) A 1,2 (3) A → B 1,2 (4) B 1 (5) A → B (6) (A → (A → B)) → (A → B) Annahme Annahme 1,2 MP 2,3 MP 4 Ded.thm 5 Ded.thm Natürlich gilt auch die Umkehrung der Kontraktion: (A → B) → (A → (A → B)) (Expansion). DENKPAUSE: Übertragen Sie die letzten beiden Beweise aus dem Lemmon- in den Gentzen-Stil! (Am einfachsten machen Sie das von unten nach oben.) [TAFEL] 48 Winterlogik 2016-17 / fol. 585 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Dies waren Fingerübungen im Ableiten. Nun zu einigen Beobachtungen, die wir zum Teil im nächsten Kapitel brauchen werden. Lemma 5. Die auf der folgenden Seite dargestellten Regeln NK sind richtig für das System K. Anmerkung zu den Regeln. · Man beobachte, daß es für jeden der Junktoren jeweils eine Regel gibt, welche in der Prämisse bzw. den Prämissen Voraussetzungen benennt, unter denen der Junktor verwendet werden kann (Einführungsregeln). (Im Falle von ∨ ist das ein Paar von Regeln.) Spiegelbildlich werden in den Beseitigungsregeln Bedingungen genannt, unter denen der Junktor beseitigt werden kann. (Im Falle von ∧ gibt es ein Paar solcher Regeln.) Die Symmetrie wird nur im Falle der Negation durch die zusätzliche Regel DNE gebrochen, welche es erlaubt doppelte Negationen zu beseitigen. · Für die Anwendung der Negationsregeln erinnern wir uns, daß jede Kontradiktion mit jeder anderen äquivalent ist. Dann steht in diesem Sinne ⊥ nicht für eine bestimmte Kontradiktion P ∧ ¬P sondern für jede beliebige. 49 Winterlogik 2016-17 / fol. 586 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Die Regeln NK A`A X`A Y `B X, Y ` A ∧ B X`A X `A∨B ∨Ein X ` ¬A X`A X `A∨B ∧Bes ∨Ein ∧Bes X`B Y, A ` C Z, B ` C X, Y, Z ` C X`A→B → Ein X, Y ` ⊥ Y `A X, Y ` B X ` A Y ` ¬A ¬Ein X `A∧B X `A∨B X`B X`A→B X, A ` ⊥ X `A∧B ∧Ein X, A ` B Ann. ¬Bes ∨Bes → Bes X ` ¬¬A X`A DNE 50 Winterlogik 2016-17 / fol. 587 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Das Lemma selbst werden wir hier nicht beweisen. (Einige Teile des Beweises haben wir oben schon ausgeführt. ZB ist → Ein das Deduktionstheorem, Satz 4, und → Bes ist das Korollar zu Lemma 2.) Jedoch wollen wir im Beweis des folgenden Lemmas zeigen, wie wir mit solchen Regeln arbeiten können. Lemma 6. Aus den Regeln NK folgt: 1. Wenn X ` B, dann X, A ` B (Monotonie). 2. ` A ∨ ¬A (Ausgeschlossenes Drittes). 3. Die Fallregel X, A ` B X, ¬A ` B . X`B Beweis. Ad 1 : X A X, A X, A (1) (2) (3) (4) B A A∧B B Prämisse Ann. 1,2 ∧Ein 3 ∧Bes 51 Winterlogik 2016-17 / fol. 588 2.Aussagenlogik als axiomatisches System (Anmerkung zu 1)3 Ad 2 : 1 2 2 1,2 1 6 6 1,6 1 1 3 (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11) (12) ¬(A ∨ ¬A) A A ∨ ¬A ⊥ ¬A ¬A A ∨ ¬A ⊥ ¬¬A ⊥ ¬¬(A ∨ ¬A) A ∨ ¬A Ann. Ann. 2 ∨Ein 1,3 ¬Bes 4 ¬Ein Ann. 6 ∨Ein 1,7 ¬Bes 8 ¬Ein 5,9 ¬Bes 10 ¬Ein DNE Hatten wir nicht oben schon gezeigt, daß jede Ableitungsrelation ` monoton ist? Ja, aber dabei haben wir uns auf die Definition von Ableitungen in einem axiomatischen System bezogen. Im jetzigen Beweis zeigen wir, daß Monotonie auch aus der Information folgt, die uns das Regelwerk NK zur Verfügung stellt. 52 Winterlogik 2016-17 / fol. 589 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Ad 3 : X, A X, ¬A X X (1) (2) (3) (4) (5) B B A ∨ ¬A A ∨ ¬A B erste Prämisse zweite Prämisse Theoremeinführung (s.o.) 3 Monotonie (s.o.) 1,2,4 ∨Bes 53 Winterlogik 2016-17 / fol. 590 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Aus Lemma 5 (die Regeln NK sind richtig für K) dürfen wir unmittelbar schließen: • Wenn die Sequenz ∅ ` A aus den Regeln NK erzeugbar ist, dann ist die Formel A im System K beweisbar. Es gilt auch die Umkehrung: Lemma 7. Wenn eine Formel A im System K beweisbar ist, dann ist ∅ ` A aus den Regeln NK erzeugbar. Beweis. Induktion über die Länge einer Ableitung in K. Da Modus Ponens (alias →Bes) schon eine der Regeln von NK ist, genügt es, für jedes Axiom A von K die Sequenz ∅ ` A aus den Regeln NK zu erzeugen. Übung! 54 Winterlogik 2016-17 / fol. 591 2.Aussagenlogik als axiomatisches System Mit anderen Worten: Wenn – wie wir im nächste Kapitel zeigen werden – K eine axiomatische Darstellung der Menge der Tautologien ist, d.h. TAUT = {A : ` A in K}, dann ist {A : ∅ ` A in N K} ebenfalls eine Darstellung der Menge der Tautologien! • Man nennt NK ein System natürlichen Schließens, weil es nur aus Regeln besteht, die auf ziemlich natürliche Weise wiedergeben, wie wir logisch mit den Junktoren umgehen; d.h. · wie wir auf Sätze, in denen die Junktoren vorkommen schließen (Einführungsregeln), und · wie wir aus Sätzen schließen, in denen diese Junktoren vorkommen (Beseitigungsregeln). • Es gibt verschiedene Varianten von Systemen natürlichen Schließens für die klassische Aussagenlogik. Das System NK ist im wesentlichen das von Lemmon (Beginning Logic, 1965). Ein etwas anderes finden Sie zB in Essler et al., Grundzüge der Logik (1987ff). 55 Winterlogik 2016-17 / fol. 592 2.Aussagenlogik als axiomatisches System (Anhang: Die Regeln NQ für die Prädikatenlogik) Man betrachte die Erweiterung von NK um die folgenden Regeln: X ` Ax ∀ Ein: . Bedingung: y ist weder frei in X noch in A. X ` ∀yA[y/x] X ` ∀xAx ∀ Bes: . Bedingung: t ist frei für x in A. X ` A[t/x] X ` At ∃ Ein: Bedingung: t ist frei für x in A. X ` ∃xA[x/t] X ` ∃xAx Y ` B ∃ Bes: . Bedingung: 1. y ist frei für x in A, und 2. y ist weder X, Y \ {Ay} `B frei in ∃xAx, noch in B oder in Y \ {Ay}. Satz 8. Die Menge der in NQ erzeugbaren Sequenzen ist richtig und vollständig im Hinlick auf die Menge der gültigen Folgerungen in der Klasse aller PL-Modelle. 56 Winterlogik 2016-17 / fol. 593 Goethe-Universität Frankfurt am Main Institut für Philosophie Logik im Winter 2016-17 Korrektheit und Vollständigkeit des Systems K André Fuhrmann 15vollstaendig 170208.0951 Winterlogik 2016-17 / fol. 594 1.Korrektheit und Vollständigkeit 1. Korrektheit und Vollständigkeit Frage: Sind die Theoreme von K genau die Tautologien? 2 Winterlogik 2016-17 / fol. 595 1.Korrektheit und Vollständigkeit Wir wollen zeigen, daß A genau dann ein Theorem von K ist (`A), wenn A eine Tautologie ist (|= A). Wir beginnen mit dem einfacheren Teil des Nachweises dieser Äquivalenz, dem Beweis der Korrektheit des Systems K: Jeder in K ableitbare Satz ist tautologisch wahr. Satz 1. (Korrektheit) Wenn `A, dann |= A. Beweis. Wenn ` A, dann gibt es eine Ableitung A1 · · · A` (= A). Wir zeigen, daß, gleichgültig wie lang (`) eine Ableitung (aus ∅) ist, das Resultat A immer eine Tautologie ist. (Kumulative Induktion über `.) Induktionsbasis: ` = 1. Dann ist A1 = A eines der Axiome. Also ist jetzt zu zeigen, daß jedes der drei Axiome eine Tautologie ist — Übung! /... 3 Winterlogik 2016-17 / fol. 596 1.Korrektheit und Vollständigkeit .../ Induktionsannahme (IA): Alle in bis zu k Schritten abgeleiteten Formeln seien tautologisch. Induktionsschritt: Wir zeigen nun, daß eine in k + 1 Schritten abgeleitete Formel tautologisch ist. — In einem Schritt k + 1 kann A nur durch MP aus Formeln B und B → A geschlossen sein. · Dann müssen B und B → A in einem k + 1 vorhergehenden Schritt i ≤ k abgeleitet worden sein. · Wir können also die IA anwenden: B und B → A sind Tautologien. Ist A nun auch eine Tautologie? · Ja, falls MP die Eigenschaft tautologisch zu sein, von den Prämissen an die Konklusion weitergibt. Zeigen Sie das! Damit ist die Induktion beendet. Wir haben uns davon überzeugt, daß die Resultate von Ableitungen in K aus der leeren Annahmenmenge, d.h. Theoreme von K, immer Tautologien sind, gleichgültig, wie lang diese Ableitungen sein mögen. 4 Winterlogik 2016-17 / fol. 597 1.Korrektheit und Vollständigkeit Das war einfach. Nun beweisen wir die Umkehrung: Alle Tautologien lassen sich in K ableiten. Das System K ist also (in diesem Sinne) vollständig. Satz 2. (Vollständigkeit).Wenn |= A, dann ` A. Wir werden zwei sehr verschiedene Beweise des Vollständigkeitssatzes vorführen. • Der erste Beweis (Post/Kalmár) ist recht kurz und durchsichtig. Er ist für die klassische Aussagenlogik maßgeschneidert. Das hat den Nachteil, daß er nicht mehr paßt, wenn die Logik “wächst” — zB indem wir sie zur Quantorenlogik oder zu einer modalen Logik erweitern. • Der zweite Beweis (Lindenbaum/Henkin) mag zunächst ein wenig umwegiger erscheinen, fußt aber auf einem sehr viel allgemeinerem Verfahren. Dieses Verfahren wird auch dann noch von Nutzen sein, wenn wir in der Logik weiter als bloß bis zur klassischen Aussagenlogik gehen. 5 Winterlogik 2016-17 / fol. 598 1.Korrektheit und Vollständigkeit Erster Beweis (Post/Kalmár) László Kalmár (1905–1976) 6 Winterlogik 2016-17 / fol. 599 1.Korrektheit und Vollständigkeit Wie erinnern an die Funktion | − |v , welche für eine gegebene Bewertung v der Atome einer Sprache, den Wert einer Formel A als Formel wiedergibt: |A|v = A, wenn [[A]]v = 1; ¬A, anderenfalls. Wir nennen |A|v den Betrag von A unter der Bewertung v. Diese Funktion (eingeschränkt auf Literale) kennen wir aus Posts Beweis der funktionalen Vollständigkeit kleiner Junktorenmengen. Vgl. Vorlesung 10. NB : Wenn A falsch ist, dann haben, nach der Def., A und ¬A denselben Betrag, nämlich die Formel ¬A — welche eben ausdrückt, daß A falsch ist. (Von diesem Umstand machen wir im Beweis des nächsten Lemmas Gebrauch; siehe p. 10.) Wenn var(A) die Menge der in A vorkommenden Satzvariablen ist, dann sei |var(A)|v = {|B|v : B ∈ var(A)} Lemma 3. Für alle Bewertungen v gilt: |var(A)|v ` |A|v . 7 Winterlogik 2016-17 / fol. 600 1.Korrektheit und Vollständigkeit Beispiel statt Beweis. Sei A = ¬(¬A1 → A2 ). Wahrheitstafel: A1 A2 0 0 1 1 0 1 0 1 ¬(¬A1 → A2 ) 1 0 0 0 Dazugehörige Folgerungen: ¬A1 , ¬A2 ¬A1 , A2 A1 , ¬A2 A1 , A2 ` ¬(¬A1 → A2 ) ` ¬A1 → A2 ` ¬A1 → A2 ` ¬A1 → A2 Behauptung: Jede dieser Folgerungen ist in K beweisbar. Als Beispiele nehmen wir die zweite und die vierte Sequenz. 8 Winterlogik 2016-17 / fol. 601 1.Korrektheit und Vollständigkeit ¬A1 , A2 ` ¬A1 → A2 A1 , A2 ` ¬A1 → A2 1 1 1, ¬A1 1, A1 (1) (2) (3) (4) (4) A2 A2 → (¬A1 → A2 ) ¬A1 → A2 ¬A1 → A2 ¬A1 → A2 (i) (ii) Annahme Ax. 2 1,2 MP 3 Monotonie für die zweite Seq. (i) bzw. 3 Monotonie für die vierte Seq. (ii) (Übung: Beweis der ersten und dritten Sequenz. Ein wenig schwieriger.) 9 Winterlogik 2016-17 / fol. 602 1.Korrektheit und Vollständigkeit Beweis von Lemma 3. |var(A)|v ` |A|v . Die Behauptung soll für alle Formeln A, d.h für Formeln beliebiger Zusammensetzung gelten. Wir müssen also über den Aufbau von A induzieren. (Im folgenden lassen wir den immer gleichen Index v zu | | und [[ ]] fort.) IB: A ist ein Atom. (Trivial.) Wir nehmen nun wie zuvor an, ¬ und ∧ seien die einzigen Grundjunktoren und betrachten die Fälle A = ¬B und A = B ∧ C. Unserer IA ist, daß der Satz für B und C gilt. Fall A = ¬B: Dann ist var(¬B) = var(B) und so folgt aus IA, IA0 |var(¬B)| ` |B|. Aufgrund der Transitivität von ` genügt es zu zeigen, daß |B| ` |¬B|. Nun ist entweder (a) |B| = B oder (b) |B| = ¬B. — Falls (a), dann ist B wahr und also ¬B falsch, d.h. |¬B| = ¬¬B. Da B ` ¬¬B, folgt so, daß |B| ` |¬B|, wie gewünscht. — Falls (b), dann ist ¬B wahr. Also ist |¬B| = ¬B und daher |¬B| = |B|. 10 Winterlogik 2016-17 / fol. 603 1.Korrektheit und Vollständigkeit Fall A = B ∧ C: Dann ist var(B ∧ C) = var(B) ∪ var(C) und die IA lautet: IA |var(B)| ` |B| und |var(C)| ` |C|. Aus IA folgt durch ∧Ein (1) |var(B)| ∪ |var(C)| ` |B| ∧ |C|. Da var(B) ⊆ var(B ∧ C), so ist klar, daß (2) |var(B)| ∪ |var(C)| ` |var(B ∧ C)|. Wenn nun auch (3) |B| ∧ |C| ` |B ∧ C|, dann folgt aus (1) wie gewünscht, daß |var(B ∧ C)| ` |B ∧ C|. Um (3) nachzuweisen, unterscheiden wir zwei Fälle. — Erster Fall. |B ∧ C| = B ∧ C: Dann |B| = B und |C| = C, und also |B ∧ C| = |B| ∧ |C|. — Zweiter Fall: |B ∧ C| = ¬(B ∧ C) = ¬B ∨ ¬C. Dann |B| = ¬B oder |C| = ¬C. In beiden Fällen haben wir |B| ∧ |C| ` ¬B ∨ ¬C (= |B ∧ C|). 11 Winterlogik 2016-17 / fol. 604 1.Korrektheit und Vollständigkeit Erinnerung: In der letzten Vorlesung haben wir gezeigt, daß wir in K nach der folgenden Regel schließen dürfen: X, A ` B X, ¬A ` B X`B Fall (Lemma 5 “Fall”.) Diese Regel wollen wir jetzt anwenden. 12 Winterlogik 2016-17 / fol. 605 1.Korrektheit und Vollständigkeit Um die Vollständigkeit von K zu beweisen, nehmen wir an, B sei eine Tautologie, |= B mit Teilformeln A1 , . . . , Am . Dann ist immer [[B]]v = 1 und also |B|v = B, gleichgültig, welche Wahrheitswertverteilung v wir betrachten. Also gilt nach dem gerade bewiesenen Lemma 3, ∀v : |A1 |v , . . . , |Am |v ` B. Dann können wir für beliebige Bewertungen v so schließen: |A1 |v , . . . , |Am |v |A1 |v , . . . , |Am−1 |v , Am |A1 |v , . . . , |Am−1 |v , ¬Am |A1 |v , . . . , |Am−1 |v .. . (1) (2) (3) (4) B B B B ( ) B Lemma 3 1, wenn |Am |v = Am 1, wenn |Am |v = ¬Am 2,3 Fall . , . Fall Die Ellipse nach Zeile (4) deutet hier an, daß wir das Argument (2-4) so lange wiederholen, bis alle Annahmen (links von der Zeilenzahl) erschöpft sind (in Zeile 3m + 1). Am Ende haben wir dann, wie gewünscht, die Formel B aus der leeren Menge von Annahmen abgeleitet. D.h. `B 13 Winterlogik 2016-17 / fol. 606 1.Korrektheit und Vollständigkeit Zweiter Beweis (Lindenbaum/Henkin) Leon Henkin (1921–2006) 14 Winterlogik 2016-17 / fol. 607 1.Korrektheit und Vollständigkeit Definition. ◦ Eine Formelmenge X ist konsistent gdw es kein A gibt, so daß X ` A und X ` ¬A. ◦ X ist maximal konsistent (“satt”) gdw X konsistent ist und jede Erweiterung von X inkonsistent ist. Anmerkungen: 1. Natürlich bezieht sich die Ableitbarkeitsrelation ` in der Definition hier auf K. Aber die Definition ist allgemeiner und kann sich im Prinzip auf beliebige Ableitbarkeitsrelationen beziehen. 2. Für das System K der klassischen Aussagenlogik (aber nicht nur in diesem System) sind die folgenden drei Aussagen äquivalent: (a) es gibt eine Formel A derart, daß X ` A und X ` ¬A; (b) X ` ⊥; (c) X ` B (für beliebige Formeln B). Es ist also letztlich gleich, welchen dieser drei (In-)Konsistenzbegriffe wir verwenden, solange wir es mit K (oder ähnlichen Systemen) zu tun haben. 15 Winterlogik 2016-17 / fol. 608 1.Korrektheit und Vollständigkeit (Nachweis, daß (a–c) äquivalent sind.) (a) Es gibt eine Formel A derart, daß X ` A und X ` ¬A; (b) X ` ⊥; (c) X ` B (für beliebige Formeln B) Es genügt zu zeigen, daß (a) ⇒ (b) ⇒ (c) ⇒ (a). (Wichtiger Kniff, um die Äquivalenz mehrerer Behauptungen zu beweisen. Merken! ) Die Implikation (c) ⇒ (a) ist trivial. (a) ⇒ (b) ⇒ (c) beweisen wir so: X`A X ` ¬A X`⊥ X, ¬B ` ⊥ X`B ⊥Ein Mono ⊥Bes Q.e.d. 16 Winterlogik 2016-17 / fol. 609 1.Korrektheit und Vollständigkeit Sie erinnern sich: Von Modellen der Aussagenlogik haben wir gefordert, daß |= ¬A gdw nicht |= A und |= A ∧ B gdw |= A und |= B Das nächste Resultat zeigt, daß satte Mengen Eigenschaften haben, die dieser Forderung “ziemlich ähnlich” sind. (Das ist eine arge Untertreibung, wie wir gleich sehen werden ;-) Lemma 4. Wenn die Formelmenge M satt ist, dann gilt für alle Formeln A und B: 1. A ∈ M gdw M ` A; 2. ¬A ∈ M gdw A ∈ / M; 3. A ∧ B ∈ M gdw A ∈ M und B ∈ M . Beweis. Ad 1) Die ⇒-Richtung ist trivial. Für die andere Richtung nehmen wir an, daß M ` A und — für reductio —, daß A ∈ / M . In diesem Fall hätten wir M, A ` ⊥. Aber dann könnten wir so schließen: M, A ` ⊥ M ` A Schnitt M `⊥ Mit anderen Worten: M wäre, entgegen unserer Voraussetzung, inkonsistent! 17 Winterlogik 2016-17 / fol. 610 1.Korrektheit und Vollständigkeit Ad 2) ¬A ∈ M gdw A ∈ / M. Die ⇒-Richtung drückt nur die Konsistenz von M aus, was wir ja voraussetzen. Die andere Richtung drückt die Vollständigkeit von M aus. Diese beweisen wir leicht so. · Angenommen A ∈ / M und — reductio! — ¬A ∈ / M. · Dann hätten wir M, ¬A ` ⊥. · Daraus würde durch ⊥Bes M ` A folgen und so, nach Behauptung 1 des Lemmas, A ∈ M — Widerspruch! Ad 3) A ∧ B ∈ M gdw A ∈ M und B ∈ M . Gegeben Lemma 4.1, folgt die Behauptung unmittelbar aus ∧Bes und ∧Ein. Es folgt das sogenannte Lindenbaum-Lemma /... 18 Winterlogik 2016-17 / fol. 611 1.Korrektheit und Vollständigkeit Adolf Lindenbaum (1904–1941; hier 1927) 19 Winterlogik 2016-17 / fol. 612 1.Korrektheit und Vollständigkeit Lemma 5. (Lindenbaum) Jede konsistente Menge läßt sich zu einer maximal konsistenten Menge erweitern. Beweis. Sei X eine konsistente Menge und A0 , A1 , A2 , . . . eine (beliebig gewählte) Abzählung aller Formeln. ◦ Wir konstruieren induktiv eine Folge von Mengen, X0 , X1 , X2 , . . .. Wir beginnen mit X0 = X. Sodann Xn ∪ {An }, falls Xn ∪ {An } konsistent ist; Xn+1 = Xn anderenfalls. Schließlich sei X ∗ = X0 ∪ X1 ∪ X2 . . .. Wir zeigen nun, daß X ∗ maxkonsistent ist. (i) X ∗ ist konsistent. Durch Induktion (über n) folgt unmittelbar, daß jede der oben konstruierten Mengen Xn konsistent ist. · Angenommen nun, X ∗ sei inkonsistent. · Dann gibt es eine Ableitung von ⊥ aus einer endlichen Teilmenge von X ∗ . · Aber diese Teilmenge muß in einer der Xn ⊆ X ∗ enthalten sein, d.h. die Menge Xn wäre dann inkonsistent — Widerspruch. 20 Winterlogik 2016-17 / fol. 613 1.Korrektheit und Vollständigkeit (ii) Wenn A ∈ / X ∗ , dann ist X ∗ ∪ {A} inkonsistent (d.h. X ∗ ist maximal). Die Formel A ist in der Abzählung enthalten. · Sei also A = Ak . · Da Ak ∈ / X ∗ , wurde Ak nicht in Ak+1 aufgenommen, als die Formel aufgerufen wurde. · Das kann, laut Definition von Xk+1 , nur daran liegen, daß Xk ∪ {Ak } inkonsistent ist. · Da Xk ⊆ X ∗ , ist also auch X ∗ ∪ {Ak } inkonsistent. 21 Winterlogik 2016-17 / fol. 614 1.Korrektheit und Vollständigkeit Beweis der Vollständigkeit. (Alle Tautologien sind ableitbar.) Wir zeigen die Kontraposition: Wenn nicht ` F , dann nicht |= F . Angenommen (*) nicht ` F . (Wir werden zeigen, daß die Formel F keine Tautologie ist, d.h. daß es eine Interpretation [[ ]] gibt, unter der F den Wert 0 erhält.) (i) K ∪ {¬F } ist konsistent. (Mit K bezeichnen wir die Menge der Theoreme des Systems K.) · Denn angenommen, das sei nicht so. · Dann können wir in K aus der Annahme ¬F einen Widerspruch ableiten, d.h. ¬F ` ⊥. · Aber daraus folgt unmittelbar durch ⊥Bes, daß ` F — im Widerspruch zu unserer Voraussetzung (*). Nach Lindenbaums Lemma läßt sich K ∪ {¬F } zu einer maxkonsistenten Menge K ∗ erweitern. Sei nun (für jede Fml A) [[A]] = 1 gdw A ∈ K ∗ . 22 Winterlogik 2016-17 / fol. 615 1.Korrektheit und Vollständigkeit [[A]] = 1 gdw A ∈ K ∗ , mit K ∗ maxkonsistent (⊇ K ∪ {¬F }). (ii) [[ ]] ist eine Interpretation! (Erinnerung: Eine Interpretation ist eine Abbildung [[ ]] : FML −→ {0, 1}, welche die Bedingungen (¬) und (∧) erfüllt.) Es ist zu zeigen, daß a) ¬A ∈ K ∗ gdw A ∈ / K ∗ , und b) A ∧ B ∈ K ∗ gdw A ∈ K ∗ und B ∈ K ∗ — Lemma 4.2-3! (iii) [[F ]] = 0. Folgt unmittelbar aus der Tatsache, daß ¬F ∈ K ∪ {¬F } ⊆ K ∗ . Da K ∗ konsistent ist, ist F ∈ / K ∗. So haben wir gezeigt, daß es für ein beliebiges Nichttheorem F eine Interpretation [[ ]] gibt, die F falsch macht. 23 Winterlogik 2016-17 / fol. 616 1.Korrektheit und Vollständigkeit * * * Damit sind wir am Ende unserer Argumentationskette zur Konklusion `K = |= . Das axiomatische System K hat als Theoreme nur und alle Tautologien! Es ist in diesem Sinne richtig (korrekt) und vollständig. 24 Winterlogik 2016-17 / fol. 617 2.Korrektheit und Vollständigkeit Daß jedes Theorem von K eine Tautologie ist, war recht einfach nachzuweisen. • Alle Axiome sind Tautologien, und MP überträgt die Eigenschaft Tautologie zu sein von den Prämissen auf die Konklusion (Korrektheit). Die umgekehrte Richtung war etwas schwieriger. (Um uns das Leben etwas zu erleichtern, haben wir zunächst das Deduktionstheorem bewiesen.) • Wir haben angenommen, daß eine Formel F nicht ableitbar ist. • In diesem Fall ist ¬F mit der Menge K der K-Theoreme verträglich (konsistent). • Die Menge K ∪ {¬F } haben wir dann zu einer maximal konsistenten (“satten”) Menge erweitert (Lindenbaums Lemma). • So eine satte Menge ist wie ein Modell (Interpretation). • Es ist aber ein Modell, in dem F den Wert 0 erhält. • Zusammengefaßt: Wenn 6`K F , dann gibt es ein Modell M mit [[F ]]M = 0. Anders gesagt: Wenn es kein solches Modell gibt, F also eine Tautologie ist, dann ist F auch in K ableitbar — K ist vollständig! 25 Winterlogik 2016-17 / fol. 618 2.Andere Axiomatisierungen 2. Andere Axiomatisierungen der Menge der Tautologien Vorbemerkung: Mit einem Korrektheits- und Vollständigkeitsnachweis in der Hand, sind weitere solcher Nachweise relativ einfach zu führen. Wenn wir zeigen können, daß ◦ Alpha die Menge der Tautologien axiomatisiert und ◦ das System Alpha dieselben Theoreme hat wie das System Beta (blau), dann bekommen wir das Resulat, daß • auch System Beta genau die Menge der Tautologien axiomatisiert, “gratis” dazu (die rote Diagonale im Diagramm). 26 Winterlogik 2016-17 / fol. 619 2.Andere Axiomatisierungen Alpha und Beta haben dieselben Theoreme: • Alpha ⊆ Beta: Alle Alpha-Axiome sind in Beta ableitbar, und alle Alpha-Regeln sind in Beta zulässig. • Beta ⊆ Alpha: Alle Beta-Axiome sind in Alpha ableitbar, und alle Beta-Regeln sind in Alpha zulässig. Beweis. Die Axiome und Regeln des einen Systems sind im jeweils anderen System abzuleiten. 27 Winterlogik 2016-17 / fol. 620 2.Andere Axiomatisierungen Auswahl von Axiomensystemen Einige Kriterien (nicht alle zugleich erfüllbar): • Möglichst wenige Axiome/Regeln (“Eleganz”, Übersichtlichkeit). • Einfache Ableitungen. • Möglichst natürliche Charakterisierung des typischen Verhaltens der logischen Partikel. • Genau die Axiome/Regeln, die man im bevorzugten Vollständigkeitsbeweis braucht. • Solche Axiome/Regeln deutlich herausstellen, die für bestimmte logische Theorien charakteristisch sind. Z.B. · A → (B → A): Klassische/Intuitionistische Logik ja, Relevanzlogik nein. · (A → (A → B)) → (A → B): Kontraktionsfreie Logiken nein. · A ∧ ¬A → B: Parakonsistente Logiken nein. · ¬¬A → A: Intuitionistische Logik nein % Katalog einiger Axiomensysteme in Prior, Formal Logic (1955), Appendix I. 28 Winterlogik 2016-17 / fol. 621 2.Andere Axiomatisierungen Eine klassische Axiomatisierung (¬, ∨) Russell & Whitehead (PM ) 1902, Bernays 1924 A → B := ¬A ∨ B A∨A→A A→A∨B A∨B →B∨A A ∨ (B ∨ C) → B ∨ (A ∨ C) (A → B) → (A ∨ C → B ∨ C) MP 29 Winterlogik 2016-17 / fol. 622 2.Andere Axiomatisierungen Eine elegante Axiomatisierung (¬, →) Mendelson 1964 ((((A → B) → (¬C → ¬D)) → C) → E) → ((E → A) → (D → A)) MP 30 Winterlogik 2016-17 / fol. 623 2.Andere Axiomatisierungen Eine informative Axiomatisierung (¬, ∧, ∨, →) Hilbert/Bernays (Grundlagen) 1934 A → (B → A) (A → (A → B)) → (A → B) (A → B) → ((B → C) → (A → C)) A∧B →A A∧B →B (A → B) ∧ (A → C) → (A → B ∧ C) A→A∨B B →A∨B A → C → ((B → C) → (A ∨ B → C)) (A → B) → (¬B → ¬A) A → ¬¬A ¬¬A → A MP 31 Winterlogik 2016-17 / fol. 624 3.Andere Axiomatisierungen Eine frugale Axiomatisierung (|) Nicod 1917, Wajsberg/Lukaśiewicz A|(B|C)|(A|(C|A)(D|B|(A|D)|(A|D))) A|(B|C), A C 32 Winterlogik 2016-17 / fol. 625 3.Unabhängigkeit 3. Unabhängigkeit Alle Formeln der Gestalt A → A (zB) lassen sich in K aus den Axiomen ableiten. A → A wäre also als weiteres Axiomenschema überflüssig. Frage: Ist nicht vielleicht das eine oder andere Axiom von K auch überflüssig? – Könnte man es nicht (wie A → A) aus den übrigen ableiten? · Wie steht es zB um A → (B → A)? Brauchen wir das als Axiom? Definition. ◦ Ein Axiom AX eines axiomatischen Systems S ist unabhängig (vom “Rest”) :gdw die Menge der Theoreme von S ohne AX, S−AX, eine echte Teilmenge von S ist; anderenfalls ist AX als Axiom redundant. (Das gleiche gilt sinngemäß für Regeln.) ◦ Ein axiomatisches System S ist unabhängig :gdw alle Axiome und Regeln von S unabhängig (voneinander) sind. 33 Winterlogik 2016-17 / fol. 626 3.Unabhängigkeit Warum lohnt es, nach Unabhängigkeit zu fragen: • Ästhetische Erwägungen. • Überschaubarkeit: Je reduzierter die Basis, aus der eine Theorie hervorgeht, umso überschaubarer ist sie — die Basis, und vielleicht auch die Theorie. • Information: Je redundanter die Prämissen in einer Ableitbarkeitsbehauptung X ` A sind, desto geringer ist ihr informativer Gehalt. • Vertrauen: Stellt sich heraus, daß ein prima facie problematisches Axiom in den übrigen, prima facie weniger problematischen schon enthalten ist, dann kann jenes dadurch an Problematik verlieren — oder auch diese problematischer werden, als es zunächst schien. Wie zeigen wir, daß ein Axiom A in einem System S abhängig/redundant ist? Indem wir einen Beweis von A in S-ohne-A vorführen. 34 Winterlogik 2016-17 / fol. 627 3.Unabhängigkeit Wie zeigen wir, daß ein Axiom A in einem System S unabhängig ist? Indem wir beweisen, daß es in S-ohne-A keinen Beweis von A geben kann. Hier ist die Beweisidee: i. Wir zeigen zunächst, daß jede in S-ohne-A ableitbare Formel eine bestimme Eigenschaft φ hat, d.h. wenn ` B in S−A, dann φ(B). ii. Dann zeigen wir, daß (mindestens eine Instanz von) A diese Eigenschaft nicht hat: nicht φ(A). iii. Daraus dürfen wir dann schließen, daß nicht ` A in S−A. Kurz (mit S−A die Menge der (S−A)-Theoreme und Φ die Menge der φs): S−A ⊆ Φ A∈ /Φ A∈ / S−A 35 Winterlogik 2016-17 / fol. 628 3.Unabhängigkeit Wie zeigen wir (i)? • Wenn ` B in S−A, dann φ(B). Induktion über die Länge einer Ableitung in S−A: Wir zeigen, ◦ daß jedes der Axiome von S−A die Eigenschaft hat, und ◦ daß die Regeln von S−A die Eigenschaft von den Prämissen an die Konklusion weitergeben. (“Färbemethode”: Jedes Axiom von S−A wird gefärbt, und die Regeln geben die Färbung weiter. Was ungefärbt ist, kann also nicht ableitbar sein.) 36 Winterlogik 2016-17 / fol. 629 3.Unabhängigkeit Satz 6. Jedes der Axiome von K ist unabhängig. Beweis. Wir müssen die Axiome A1-3 einzeln durchgehen. Der Trick besteht darin, irgendeine Eigenschaft (“Farbe”) φ zu finden, welche das jeweilige Axiom von den anderen separiert. Sicher ist die Methode, Formeln auf bestimmte Werte (das müssen nicht Wahrheitswerte sein) abzubilden, um dann festzustellen, daß alle aus zB K-ohne-A1 ableitbaren Formeln immer einen bestimmten Wert erhalten, A1 diesen Wert aber nicht erhält. Dann dürfen Sie schließen, daß A1 nicht aus K-ohne-A1 ableitbar ist. (Im folgenden nennen wir diese Werte “Farben”.) Die Methode ist absolut sicher: Wenn A1 wirklich unabhängig ist, dann gibt es eine Abbildung der gerade beschriebenen Art. Das Verfahren läßt sich sogar automatisieren.1 Ein wenig schwieriger kann es werden, wenn Sie sich das Ziel setzen, die eleganteste (= kleinste) Lösung zu finden. Es folgen die Details ... 1 Dazu gab es Anfang der 80er Jahren einmal das Programm TESTER von Dale Isner und Nuel Belnap. Siehe auch: Pritchard, Paul, Algorithms for finding matrix models of propositional calculi, Journal Journal of Automated Reasoning (7) 1991. 37 Winterlogik 2016-17 / fol. 630 3.Unabhängigkeit Wir wollen zeigen, daß A1, A → (B → A), im System K unabhängig von den anderen Axiomen ist. Dazu betrachten wir eine “Färbung” (Zahlen deuten hier “Farben” an) f : FML −→ {0, 1, 2}, welche unter der folgenden komplexen Bedingung A B A→B 0 0 0 1 0 2 2 0 0 0 1 2 1 1 2 2 1 0 0 2 2 1 2 0 0 2 2 stehen soll: ¬A 1 1 0 Behauptung 1 : A2 und A3 haben die Eigenschaft bei jeder Färbung f die Farbe 0 zu erhalten. (Übung!) 38 Winterlogik 2016-17 / fol. 631 3.Unabhängigkeit A→B Behauptung 2 : MP, A B , vererbt diese Eigenschaft von den Prämissen auf die Konklusion. Nehmen Sie also an, daß (1) ∀f : f (A) = 0, und (2) ∀f : f (A → B) = 0. Zu zeigen ist: (*) ∀f : f (B) = 0. Schauen Sie auf die Färbetafel, dann stellen Sie fest, daß (3) wenn f (A → B) = 0, dann entweder f (A) 6= 0 oder f (B) = 0, d.h. (4) ··· dann wenn f (A) = 0, dann f (B) = 0. Aus (2) und (4) folgt (5) ∀f : wenn f (A) = 0, dann f (B) = 0. Und aus (5) folgt: (6) Wenn ∀f : f (A) = 0, dann ∀f : f (B) = 0. Aber das Antezedens von (6) haben wir in (1). Also dürfen wir von (6) das gewünschte Konsequens (*) ablösen. 39 Winterlogik 2016-17 / fol. 632 4.Unabhängigkeit Behauptung 3 : Jedes Theorem A, das in K-ohne-A1 ableitbar ist, hat die Eigenschaft ∀f, f (A) = 0. — Folgt unmittelbar aus den zwei vorangegangenen Behauptungen. Behauptung 4 : Das Axiom A1 hat diese Eigenschaft nicht, d.h. es gibt Instanzen von A1, die eine von 0 verschiedene Farbe annehmen können: ∃f : f (P → (Q → P )) 6= 0. Eine solche Belegung finden Sie schnell zB durch das Quinesche Verfahren: Sei f (P ) = 1, f (Q) = 2. Dann f (Q → P ) = f (2 → 1) = 0 und f (P → 0) = f (1 → 0) = 2 ! Konklusion aus 3 und 4 : A1 ist kein Theorem von K-ohne-A1, d.h. A1 ist unabhängig in K. Die Unabhängigkeit von A2 und A3 zeigen wir ganz ähnlich – natürlich mit jeweils leicht veränderten Färbetafeln. Übung! 40 Winterlogik 2016-17 / fol. 633 4.Entscheidbarkeit etc. – Fragen und Antworten 4. Entscheidbarkeit etc. – Fragen und Antworten (Beweisbarkeit/Ableitbarkeit bezieht sich im folgenden immer auf das System K.) Frage Gegeben eine beliebige Formel A, gibt es ein effektives Verfahren um zu entscheiden, ob A beweisbar ist?2 2 Was genau ein “effektives” Verfahren ist, ist gar nicht so einfach zu erklären. Für unsere Zwecke mag es genügend, ein Entscheidungsverfahren “effektiv” zu nennen, wenn es als Programm auf einem Computer ablaufen könnte und nach endlich vielen Rechenschritten eine Ja/Nein-Antwort ausgibt. 41 Winterlogik 2016-17 / fol. 634 4.Entscheidbarkeit etc. – Fragen und Antworten Frage Gegeben eine beliebige Formel A, gibt es ein effektives Verfahren um zu entscheiden, ob A beweisbar ist? Antwort Ja, die Eigenschaft ableitbar (d.h. ein Theorem von K) zu sein, ist entscheidbar. Denn wir wissen, daß K = TAU ist (Richtigkeit und Vollständigkeit!). Für TAU gibt es aber mindestens ein effektives Verfahren: Für jede Formel läßt sich eine endliche Wahrheitstafel konstruieren. Also läßt sich für jede Fml effektiv entscheiden ob sie in K ist, d.h. ob sie in K ableitbar ist. Auch die Tableaux-Verfahren entscheiden effektiv den Status jeder Formel. 42 Winterlogik 2016-17 / fol. 635 4.Entscheidbarkeit etc. – Fragen und Antworten Frage Wenn A ableitbar in K ist, gibt es dann ein effektives Verfahren, eine Ableitung von A zu finden? 43 Winterlogik 2016-17 / fol. 636 4.Entscheidbarkeit etc. – Fragen und Antworten Frage Wenn A ableitbar in K ist, gibt es dann ein effektives Verfahren, eine Ableitung von A zu finden? Antwort Nein, ein solches Verfahren kann es nicht geben (jedenfalls nicht allein aufgrund der Information, die uns K zur Verfügung stellt). Das System K erlaubt kein effektives Beweisverfahren. Wir müßten von A ausgehend rückwärts arbeiten, um schließlich nur noch auf Axiome zu stoßen. Modus Ponens stellt uns dabei vor ein Problem. Denn, wenn wir auf B→A A nach Modus Ponens schließen, B A, dann kommen hier potentiell unendlich viele Formeln B (und also B → A) in Betracht, die wir darauf prüfen müßten, ob sie—ggf. wiederum per Modus Ponens!—ableitbar sind. (Das schließt nicht aus, daß aufgrund weiterer Informationen über K der Suchraum immer endlich eingeschränkt und auf solche Weise eine Ableitung gefunden werden kann.) 44 Winterlogik 2016-17 / fol. 637 4.Entscheidbarkeit etc. – Fragen und Antworten Frage Falls A nicht beweisbar ist, ist dann ¬A beweisbar? 45 Winterlogik 2016-17 / fol. 638 4.Entscheidbarkeit etc. – Fragen und Antworten Frage Falls A nicht beweisbar ist, ist dann ¬A beweisbar? Antwort Nein, die Menge der K-Theoreme ist nicht negationsvollständig. Zum Beispiel sind Literale (Atome und deren Negationen, P und ¬P ) keine Tautologien und daher (Richtigkeit) nicht ableitbar. 46 Winterlogik 2016-17 / fol. 639 4.Entscheidbarkeit etc. – Fragen und Antworten Frage Kann man die Menge der Theoreme von K um weitere Formeln konsistent erweitern? 47 Winterlogik 2016-17 / fol. 640 4.Entscheidbarkeit etc. – Fragen und Antworten Frage Kann man die Menge der Theoreme von K um weitere Formeln konsistent erweitern? Antwort Ja, die Menge der Theoreme ist nicht maximal konsistent. Von Paaren von Literalen, P und ¬P , ist weder das ein noch das andere ableitbar. Also können wir entweder das eine oder das andere konsistent zur Menge der Theoreme hinzufügen. So beruht der Beweis des zweiten Vollständigkeitssatz (Lindenbaum-Henkin) darauf, daß wir zur Menge der Theoreme die Negationen beliebiger nicht ableitbarer Formeln konsistent hinzunehmen können. 48 Winterlogik 2016-17 / fol. 641 4.Entscheidbarkeit etc. – Fragen und Antworten Frage Kann man K um neue Axiomenschemata (d.h. alle Formeln einer bestimmten Gestalt) konsistent erweitern? 49 Winterlogik 2016-17 / fol. 642 4.Entscheidbarkeit etc. – Fragen und Antworten Frage Kann man K um neue Axiomenschemata (d.h. alle Formeln einer bestimmten Gestalt) konsistent erweitern? Antwort Nein, das System K, d.h. die klassische Aussagenlogik, ist im Sinne des folgenden Satzes maximal (Post-vollständig). 50 Winterlogik 2016-17 / fol. 643 4.Entscheidbarkeit etc. – Fragen und Antworten Es sei K + A die Erweiterung der Theoreme von K, d.h. der Menge der Tautologien, um alle Instanzen des Schemas A. Satz 7. (Post 1921) K ist Post-vollständig: Für 6` A ist K + A inkonsistent. Beweis. Sei A[B1 , . . . , Bn ] ein Schema (mit Blättern B1 , . . . , Bn ), das in K nicht beweisbar ist.3 Wir zeigen, daß K + A inkonsistent ist. (Vorsicht, daraus, daß das Schema A in K nicht ableitbar ist, folgt nicht, daß keine seiner Instanzen ableitbar sind! Das Schema A → B, zB, ist in K nicht ableitbar, aber alle seine Instanzen der Form A → A sind es natürlich.) Es sei a[b1 , . . . , bn ] eine bestimmte Instanz des Schemas A (mit bestimmten Blättern b1 , . . . , bn ) so, daß a ∈ / K. · Aus a ∈ / K folgt (Vollständigkeitssatz), daß a ∈ / TAU. · Also gibt es eine Interpretation v mit v(a) = 0. (Wir konstruieren nun mit Hilfe dieser falsifizierenden Interpretation v eine Variante a0 von a, die ebenfalls das Schema A instantiiert aber unter allen Interpretationen den Wert 0 erhält.) 3 Stellen Sie sich das Schema als Baum vor. Die Endpunkte der Äste in diesem Baum sind die Blätter. 51 Winterlogik 2016-17 / fol. 644 4.Entscheidbarkeit etc. – Fragen und Antworten Für jedes Blatt bi (i ∈ {1, . . . , n}) von a sei b0i = n >, falls v(bi ) = 1; ⊥ anderenfalls. Dann fällt a0 = a[b01 , . . . , b0n ] selbst unter das neue Schema A. Also ist a0 ∈ K + A. Behauptung: v(a0 ) = 0 für alle Interpretationen v. Beipiel: P → Q[P, Q]. Dann v(P → Q) = 0, wenn v(P ) = 1 und v(Q) = 0. Also ist (P → Q)0 = > → ⊥ — eine Formel, die unter allen Interpretationen falsch ist. Beweis: (Mühsame aber nicht weiter interessante Induktion über die Anzahl der Atome in a.) Die Idee: Wenn a in einer Zeile der Wahrheitstafel den Wert 0 erhält, dann erhält a0 in allen Zeilen den Wert 0—wie im Beispiel illustriert. Die Ersetzungen b0i sind so gewählt, daß eine a falsifizierende Werteverteilung nun in allen Zeilen für a0 erzwungen wird. Da a0 immer den Wert 0 erhält, muß ¬a0 eine Tautologie sein. Aber dann ist ¬a0 ∈ K ⊆ K + A — d.h. K + A enthält sowohl a0 als auch ¬a0 ! 52 Winterlogik 2016-17 / fol. 645 4.Entscheidbarkeit etc. – Fragen und Antworten Bei früherer Gelegenheit haben wir die Möglichkeit alternativer, d.h. nicht-klassischer Logiken betrachtet. Jetzt wissen wir, daß nicht-klassische Logiken keine Erweiterungen der klassischen Logik sein können. (Sie sind entweder schwächer oder (seltener) liegen “schräg” zur klassischen Logik.) Post-Vollständigkeit zeichnet die klassische Logik K gegenüber anderen aus und stellt ihr in einer wichtigen Hinsicht eine Empfehlung aus. Denn die folgenden zwei Annahmen sind sehr plausibel. • Logik ist formal. · Wir haben eingangs festgestellt, daß logische Wahrheit in einem gewissen Sinne Wahrheit aufgrund der Form eines Satzes sein soll. · Wenn zwei Sätze dieselbe Form haben, kann nicht der eine logisch wahr und der andere nicht logisch wahr sein. · MaW, wenn wir die Menge der logisch wahren Sätze einschränken oder erweitern wollen, sollten wir sie immer um alle Sätze einer bestimmten Formen, d.h. um Schemata einschränken oder erweitern. 53 Winterlogik 2016-17 / fol. 646 4.Entscheidbarkeit etc. – Fragen und Antworten • Logik ist kritisch. Indem eine Theorie unter logischer Konsequenz abgeschlossen wird, generiert Logik den Bereich der Sätze, die kritisch zu prüfen sind. · Eine Theorie zu prüfen, heißt also ihre logischen Konsequenzen zu prüfen. · Die Überprüfbarkeit, d.h. Kritisierbarkeit einer Theorie wird maximiert, indem man die logischen Konsequenzen der Theorie maximiert. Bei empirischen Theorien maximiert man so deren Kontakt mit der Erfahrung. · Das bedeutet umgekehrt: Schränken wir die logischen Konsequenzen einer Theorie ein, so schränken wir die Möglichkeiten ein, die Theorie zu kritisieren. Damit setzen wir uns dem Vorwurf aus, die Theorie gegen Kritik zu immunisieren. Unter der Voraussetzung, daß Logik formal und kritisch sein soll, zeigt die Post-Vollständigkeit der klassischen Logik, daß diese im beschriebenen Sinne die optimale logische Basis für Theorien jeder Art ist. — Ende der fünfzehnten Lieferung — 54 Winterlogik 2016-17 / fol. 647 Goethe-Universität Frankfurt am Main Institut für Philosophie Logik im Winter 2014-15 Widerspruchsfreiheit und Unvollständigkeit André Fuhrmann 14beweisbarkeit 150127.1443 Winterlogik 2016-17 / fol. 648 Gerüchte Gerüchte Im Jahre 1931 hat ein genialer Grundlagenforscher namens Kurt Gödel bewiesen, daß es eine gänzlich widerspruchsfreie Mathematik nicht geben kann. Damit hat er eine tiefverwurzelte Überzeugung der Mathematiker ein für allemal aus den Angeln gehoben; sie müssen seitdem damit leben, daß es unmöglich ist, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf der Inkonistenz zu ziehen. Hans Magnus Enzensberger Aussichten auf den Bürgerkrieg Frankfurt a.M. (Suhrkamp), 1993; S. 86. 2 Winterlogik 2016-17 / fol. 649 Gerüchte Kurt Gödel (2.v.l.) (1906–1978) 3 Winterlogik 2016-17 / fol. 650 Gerüchte 4 Winterlogik 2016-17 / fol. 651 1.Thema: Theorien 1. Thema: Theorien Was wir über die Welt wissen, stellen wir in Form von Theorien dar. Wenn wir wissen wollen, was wir wissen können, dann müssen wir auch danach fragen, was wir über Theorien wissen. Auf diese Frage hat Kurt Gödel eine wichtige Antwort gegeben. • Theorien sind zumindest das: Mengen von Sätzen in einer bestimmten Sprache (meist auf bestimmte Weise angereicherte und präzisierte Dialekte natürlicher Sprachen) • Gute Theorien sind “logisch stimmig”: Sie enthalten alle Tautologien, sind unter logischer Folgerung abgeschlossen und konsistent—siehe die Grafik. 5 Winterlogik 2016-17 / fol. 652 1.Thema: Theorien Zeichenketten Formeln Tau Kontrad Gute Theorien enthalten alle Tautologien und halten sich von Kontradiktionen fern 6 Winterlogik 2016-17 / fol. 653 1.Thema: Theorien Gute Theorien • Vollständige Theorien: ∀A : A ∈ T oder ¬A ∈ T . · Vollständiges Wissen ist immer ein erstrebenswertes Ideal. · Für manche Theorien (zB gewisse mathematische) scheint Vollständigkeit sogar eine Adäquatheitsbedingung zu sein. Betrachten wir zB die Aussage Es gibt unendlich viele Primzahlzwillinge.1 Entweder ist die Aussage wahr oder sie ist falsch. Deshalb erwarten wir von einer Theorie der natürlichen Zahlen, daß sich die Aussage oder ihre Negation in ihr beweisen läßt. Anderenfalls würden wir die Theorie verbessern wollen. Das gilt für beliebige Eigenschaften A natürlicher Zahlen n: Entweder A(n) oder ¬A(n). 1 Primzahlzwillinge haben den für Primzahlen kleinstmöglichen Abstand von 2; also (3,5), (5,7), (11,13), ... Obwohl die Primzahlzwillinge in der ansteigenden Zahlenreihe immer rarer werden, sollte es doch unendlich viele davon geben. Bewiesen hat das aber bisher noch niemand. 7 Winterlogik 2016-17 / fol. 654 1.Thema: Theorien • Widerspruchsfreie Thn: ⊥ ∈ / T. (Erinnerung: ⊥ = P ∧ ¬P .) Widerprüchlichkeit ist sicher ein Zeichen, daß mit einer Theorie etwas nicht stimmt. In der klassischen Logik ist Widersprüchlichkeit gleichbedeutend mit Trivialität (die Theorie enthält alle Sätze der Sprache). • Selbstreflektierende Theorien: Die Theorie kann auf sich selbst Bezug nehmen (“Ich behaupte A”) und reflektiert systematisch ihren Theorembestand. ZB so: · T behauptet ihre eigene Konsistenz: “Ich behaupte: nicht ⊥” ∈ T . · T ist stabil: Wenn “Ich behaupte A” ∈ T , dann A ∈ T . · T ist zu Modus Ponens bereit: Wenn “Ich behaupte A → B” ∈ T und “Ich behaupte A” ∈ T , dann “Ich behaupte B” ∈ T . · Wenn T sich sicher ist, dann greift T zu (Löb-Eigenschaft): Wenn “Ich behaupte A” → A ∈ T , dann “Ich behaupte A” ∈ T . · ... 8 Winterlogik 2016-17 / fol. 655 2.Thema: Theorien Gödels Frage: Welche Kombinationen solcher Eigenschaften können Theorien überhaupt haben? ZB: • Kann eine Theorie zugleich stabil, konsistent und vollständig sein? • Kann eine konsistente Theorie ihre eigene Konsistenz auch behaupten (und dabei eine gute Theorie bleiben)? 9 Winterlogik 2016-17 / fol. 656 2.Abstrakte Beweisbarkeitssysteme (ABS) 2. Abstrakte Beweisbarkeitssysteme (ABS) Ein ABS ist jedes formale System, welches die folgenden Bedingungen erfüllt: • Sprache: eine AL-Sprache mit Junktor 2 (“Ich behaupte, daß . . . ” oder “es ist beweisbar (bew), daß . . . ”) so, daß wenn A ∈ FML, dann 2A ∈ FML. • Axiome: Wie K und . . . B1. 2(A → B) → (2A → 2B) “wenn A → B bew ist und A bew ist, dann ist auch B bew” B2. 2A → 22A “wenn A bew ist, dann ist es bew, daß A bew ist” • Regeln: Modus Ponens (MP) und . . . A “wenn A ein Thm ist, dann ist ‘bew A’ ein Thm” RN. 2A • Definitionen: (“Widerspruch”) ⊥ := ¬(P → P ) (oder := P ∧ ¬P ) (“Konsistenz”) kons := ¬2⊥ (“ein Widerspruch ist nicht beweisbar”) 10 Winterlogik 2016-17 / fol. 657 2.Abstrakte Beweisbarkeitssysteme (ABS) Zusammenfassend: K + ... 2(A → B) → (2A → 2B) 2A → 22A A / 2A A, A → B / B ⊥ := ¬(P → P ) kons := ¬2⊥ 11 Winterlogik 2016-17 / fol. 658 2.Abstrakte Beweisbarkeitssysteme (ABS) Lemma 1. Die folgenden Regeln gelten in jedem ABS: A→B RM 2A → 2B A → (2A → B) RL 2A → 2B Beweis. Ad RM) (1) (2) (3) (4) A→B 2(A → B) 1 RN 2(A → B) → (2A → 2B) B1 2A → 2B 2,3 MP Ad RL) (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) A → (2A → B) 2A → 2(2A → B) 2A → (22A → 2B) 22A → (2A → 2B) 2A → 22A 2A → (2A → 2B) 2A → 2B 1 RM 2, B1, MP 3 Aussagenlogik (Kommutativität) B2 4,5 Aussagenlogik (Transitivität) 6 Aussagenlogik (Kontraktion) 12 Winterlogik 2016-17 / fol. 659 2.Abstrakte Beweisbarkeitssysteme (ABS) Erinnerung aus der Funktionentheorie: Fixpunkt Sei f eine beliebige Funktion und x ein mögliches Argument für f . Dann heißt x genau dann ein Fixpunkt für f , wenn f (x) = x. (D.h. die Funktion verändert x nicht; x bleibt unverändert, fixiert.) Beispiele: · Für die Multiplikation mit einer beliebigen Zahl n ist die 0 ein Fixpunkt; denn n · 0 = 0. · Für die Konjunktion mit dem Wahren (>), ist jede Formel A ein Fixpunkt; denn > ∧ A ↔ A (bzw. v(> ∧ A) = v(A)). · Für die Konjunktion oder Disjunktion mit einer beliebigen Formel A ist die Formel A selbst ein Fixpunkt; denn A∧A↔A A ∨ A ↔ A. 13 Winterlogik 2016-17 / fol. 660 2.Abstrakte Beweisbarkeitssysteme (ABS) Definition 2. • In einem ABS ist ein Satz g gd ein Fixpunkt für ¬2, wenn ¬2g ↔ g ein Theorem des Systems ist. • Ein ABS ist ein abstraktes Gödelsches System (AGS), wenn es darin einen Fixpunkt für ¬2 gibt. • Ein System ist stabil, wenn aus ` 2A folgt, daß ` A. • Ein System S ist unvollständig, wenn es mindestens einen Satz A gibt, so daß weder ` A noch ` ¬A in S. 14 Winterlogik 2016-17 / fol. 661 2.Abstrakte Beweisbarkeitssysteme (ABS) Erstes Beispiel: Maxens Überzeugungen • Eine Menge von Sätzen in einer AL-Sprache (mit 2) (Maxens Überzeugungen). • 2A : Max glaubt, daß A. • B1. 2(A → B) → (2A → 2B) “Max ist zu Modus Ponens bereit.” B2. 2A → 22A “Max ist sich aller seiner Überzeugungen bewußt.” A RN. 2A “Wenn A eine von Maxens Überzeugungen ist, dann ist er auch überzeugt, daß er A glaubt” • Fixpunkt: e := Max glaubt e nicht, d.h. e := ¬2e. Also ` e ↔ ¬2e. 15 Winterlogik 2016-17 / fol. 662 2.Abstrakte Beweisbarkeitssysteme (ABS) Gödels Sätze: I. Wenn Maxens Überzeugungen konsistent (6` ⊥) und stabil (` 2A ⇒ ` A) sind, dann sind Maxens Überzeugungen unvollständig — ∃A[= e] :6` A und 6` ¬A. II. Wenn Maxens Überzeugungen konsistent sind, dann kann er davon nicht überzeugt sein — 6` kons. Löbs Satz: Wenn Max überzeugt ist, daß wenn er etwas glaubt, dann sei es so (` 2A → A), dann ist er davon überzeugt, daß er es glaubt (` 2A). (Beweise folgen gleich.) 16 Winterlogik 2016-17 / fol. 663 2.Abstrakte Beweisbarkeitssysteme (ABS) Zweites Beispiel: Wahrheitstheorie • Eine Menge von Sätzen in einer AL-Sprache (mit 2) — eine Theorie mit einem Wahrheitsprädikat: • 2A : A ist wahr. • B1. 2(A → B) → (2A → 2B) “Wahrheit ist unter Modus Ponens abgeschlossen” B2. 2A → 22A “Wenn A wahr ist, dann ist das wahr” A “Was die Theorie behauptet, behauptet sie als wahr” RN. 2A • Fixpunkt: k := (k ist nicht wahr), d.h. k := ¬2k (Lügner- oder Kretersatz). Also ` k ↔ ¬2k. NB : Soll 2 Wahrheit ausdrücken, dann sollte das Tarski-Schema A ↔ 2A ein Axiom der Theorie sein. In dem Fall folgen (B1–2) und RN sofort als Theoreme. 17 Winterlogik 2016-17 / fol. 664 2.Abstrakte Beweisbarkeitssysteme (ABS) Gödels Sätze: I. Wenn die Wahrheitstheorie konsistent (6` ⊥) und stabil (` 2A ⇒ ` A) ist, dann ist sie unvollständig. II. Wenn die Wahrheitstheorie konsistent ist, dann kann diese Tatsache kein Theorem der Theorie sein (6` kons) (= läßt sich nicht in der Theorie beweisen). Löbs Satz: Wenn die Wahrheitstheorie behauptet, daß A falls A wahr ist(` 2A → A), dann behauptet sie, daß A wahr ist (` 2A). NB. Aus Löbs Satz folgt unmittelbar die Trivialität der Wahrheitstheorie mit dem T-Schema A ↔ 2A. Denn der Wenn-Teil ist natürlich für jedes A erfüllt und so behauptet die Theorie, daß jeder Satz wahr sei. (Beweise folgen gleich.) 18 Winterlogik 2016-17 / fol. 665 2.Abstrakte Beweisbarkeitssysteme (ABS) Drittes Beispiel: Formalisierte Arithmetik (PA) Richard Dedekind (1831–1916) Giuseppe Peano (1858–1932) 19 Winterlogik 2016-17 / fol. 666 2.Abstrakte Beweisbarkeitssysteme (ABS) Dedekinds (1879) (Peano 1889) nicht-formale Axiomatisierung der Theorie der natürlichen Zahlen (Arithmetik): P1. 0 ist eine natürliche Zahl. P2. Wenn x eine nat. Zahl ist, dann gibt es eine weitere nat. Zahl, x0 (der Nachfolger von x). P3. 0 ist kein Nachfolger irgendeiner nat. Zahl. P4. Wenn x0 = y 0 , dann x = y — jede nat. Zahl hat genau einen Nachfolger. P5. Sei φ eine mögliche Eigenschaft nat. Zahlen. Wenn 0 φ ist, und wenn x φ ist, dann auch x0 φ ist, dann ist jede nat. Zahl φ (Induktionsprinzip). (Das reicht, zusammen mit etwas Mengentheorie, für die Theorie der natürlichen Zahlen und weiter für die Theorie der rationalen, reellen und komplexen Zahlen.) Nun übersetzen wir das Ganze in eine PL-Sprache, z.B. so (nach Mendelson, Introduction to Mathematical Logic, Kap. 3: Formal number theory) ... 20 Winterlogik 2016-17 / fol. 667 2.Abstrakte Beweisbarkeitssysteme (ABS) Neue Konstante 0, Funktion1 0 (Nachfolger), Funktionen2 · (Multiplikation) und + (Addition); Relation2 = (Identität). Q1. ∀xyz(x = y → (x = z → y = z)) Q2. ∀xy(x = y → x0 = y 0 ) Q3. ∀x(0 6= x0 ) Q4. ∀xy(x0 = y 0 → x = y) Q5. ∀x(x + 0 = x) Q6. ∀xy(x + y 0 = (x + y)0 ) Q7. ∀x(x · 0 = 0) Q8. ∀xy(x · y 0 = x · y + x) Q9. A0 ∧ ∀x(Ax → Ax0 ) → ∀xAx, für jede Formel A. PA (formalisierte Arithmetik, “Peano-Arithmetik”): Eine Axiomatisierung der Prädikatenlogik plus Q1–Q9 (letzteres ein Axiomenschema!). 21 Winterlogik 2016-17 / fol. 668 2.Abstrakte Beweisbarkeitssysteme (ABS) Jetzt kommt der “Gödel-Trick”: Wir zeigen, wie wir in PA nicht nur über Zahlen, sondern auch über Formeln der PA reden können: ◦ Damit wird gezeigt, daß die Sprache der PA natürlichen Sprachen unerwartet ähnlich ist: Wir können uns in der Sprache auf Ausdrücke der Sprache beziehen. • Definition: Gödel-Nummerierung. · Jedem Ausdruck A und jeder Folge von Ausdrücken A1 , . . . An wird eine Zahl ]A bzw. ](A1 , . . . An ) eindeutig zugeordnet. (So können wir in L uns auf Ausdrücke von L durch ihre Gödelzahlen beziehen.) · Wenn die Folge A1 . . . An ein Beweis der Formel A (= An ) ist, dann können wir das als eine Relation2 Bew zwischen Gödelzahlen ausdrücken: Bew(](A1 . . . An ),] A). (So können im System Tatsachen über das System behauptet werden.) · Der Satz ∃xBew(x,] A) drückt dann aus, daß es einen Beweis für A gibt (d.h., daß A ein Thm ist). 22 Winterlogik 2016-17 / fol. 669 3.Abstrakte Beweisbarkeitssysteme (ABS) • Beobachtung: Der Junktor 2, 2A := ∃xBew(x,] A) erfüllt die Bedingungen B1–2 und RN. • Def. des Fixpunktes: g := ¬∃xBew(x,] g) (“ich bin nicht beweisbar”). Also ` g ↔ ¬2g. Gödels Sätze: I. Wenn PA konsistent und stabil ist, dann ist PA unvollständig. II. Wenn PA konsistent ist, dann läßt sich die Konsistenz von PA in PA nicht ableiten. Löbs Satz: Wenn sich in PA ableiten läßt, daß (wenn A beweisbar ist, dann ist A der Fall), dann läßt sich in PA ableiten, daß A beweisbar ist. (Beweise folgen gleich.) 23 Winterlogik 2016-17 / fol. 670 3.Gödels Unvollständigkeitssätze 3. Gödels Unvollständigkeitssätze Wir werden nun die zwei Gödelschen Sätze beweisen. Achtung: Viel Arbeit steckt ◦ in der Definition der Gödel-Zahlen, ◦ der Definition des Beweisbarkeitprädikats und ◦ dem Nachweis, daß dieses Prädikat sich wie 2 in einem ABS verhält. Diese Arbeit überspringen wir hier und bringen nur den “Kern” des Arguments. • (Erinnerung) Ein System ist stabil :gdw ` A aus ` 2A folgt. 24 Winterlogik 2016-17 / fol. 671 3.Gödels Unvollständigkeitssätze ABS 2(A → B) → (2A → 2B) 2A → 22A A / 2A ⊥ := ¬(P → P ) kons := ¬2⊥ AGS = ABS + Fixpunkt g für ¬2(...); d.h. ¬2g ↔ g ALS = ABS + Fixpunkte (für jedes A) ` für 2(...) → A; d.h. für jedes A gibt es ein ` mit 2` → A ↔ ` Gödels Erster Unvollständigkeitssatz. Sei S ein konsistentes ( 6` ⊥ ) AGS (ABS mit Fixpunkt g). Dann 1. 6` g in S, und 2. wenn S stabil ist, dann 6` ¬g in S. M.a.W., jedes konsistente und stabile AGS ist unvollständig. 25 Winterlogik 2016-17 / fol. 672 3.Gödels Unvollständigkeitssätze Beweis. Ad 1 : ` 6 g. (1) (2) (3) (4) (5) g g → ¬2g ¬2g 2g ⊥ Annahme (für reductio) Fixpunkt 1,2, MP 1, RN 3,4 Zeile (5) widerspricht unserer Annahme, daß S konsistent sei. Also 6` g in S. Ad 2 : Stabilität ⇒ 6` ¬g. (1) ¬g (2) ¬g → ¬¬2g (3) 2g (4) g (5) ⊥ Annahme (für reductio) Fixpunkt, Aussagenlogik 1,2, MP, Aussagenlogik 3, Stabilität 1,4 Zeile (5) widerspricht wieder unserer Annahme. Also auch 6` ¬g in S. 26 Winterlogik 2016-17 / fol. 673 4.Gödels Unvollständigkeitssätze Gödels Zweiter Unvollständigkeitssatz. Wenn S ein konsistentes (6` ⊥) AGS (mit Fixpunkt g) ist, dann ist die Konsistenz von S in S nicht beweisbar (6` kons). Beweis. (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11) (12) (13) g ↔ ¬2g ¬2g → (2g → ⊥) g → (2g → ⊥) 2g → 2⊥ ¬2⊥ → ¬2g ¬2g → g kons → g kons g 2g 2⊥ ¬kons ⊥ Fixpunkt Aussagenlogik (¬A→(A→B )) 1,2 Aussagenlogik 3 Regel RL (Lemma 1) 4 Aussagenlogik 1 Aussagenlogik 5,6 Aussagenlogik, Def. kons Annahme (für reductio) 7,8 MP 9 RN 4,10 MP 11 Aussagenlogik, Def. kons 8,12 Aussagenlogik Zeile (13) widerspricht der Annahme, daß S konsistent sei. Also ist die reductioAnnahme in Zeile (8) falsch, d.h. 6` kons. 27 Winterlogik 2016-17 / fol. 674 4.Löbs Satz 4. Löbs Satz Ein anderer Weg zu Gödels Zweitem Unvollständigkeitssatz. Definition 3. • Ein Satz ` ist gd ein Fixpunkt für 2(...) → A, wenn ` ` ↔ (2` → A). • Ein ABS ist gd ein abstraktes Löbsches System (ALS), wenn es darin für jede Formel A einen Fixpunkt für 2(...) → A gibt (Löb-Eigenschaft). Löbs Satz. In jedem ALS gilt: Wenn ` 2A → A, dann ` A. Beweis. (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) 2A → A (2` → A) ↔ ` ` → (2` → A) 2` → 2A 2` → A ` 2` A Annahme Fixpunkt 2 Aussagenlogik 3 RL (Lemma 1) 1,4 Aussagenlogik 2,5 MP 6 RN 5,7 MP 28 Winterlogik 2016-17 / fol. 675 4.Löbs Satz Korollar 4. (Gödels Zweiter Unvollständigkeitssatz für ALSe) Wenn ein ALS konsistent ist, dann 6` kons. Beweis. · Angenommen ` kons, · d.h. ` ¬2⊥. · Dann ` 2⊥ → ⊥. · So folgt nach Löbs Satz ` ⊥, d.h. das System ist inkonsistent. Beobachtung 5. Jedes ALS ist ein AGS. Beweis. Sei S ein ALS. · Dann gibt es einen Fixpunkt für 2(...) → ⊥. · Aber 2(...) → ⊥ ≡ ¬2(...). · Also gibt es in S einen Fixpunkt für ¬2(...). · Also ist S ein AGS. 29 Winterlogik 2016-17 / fol. 676 4.Löbs Satz Beobachtung 6. (Gödel) Jedes “genügend” ausdrucksstarken formale System ist ein ALS (und damit auch ein AGS). Es fällt damit in den Bereich der Gödelschen Sätze. • Prominentestes Beispiel: elementare Arithmetik (Peano-Arithmetik), und natürlich alles, was darauf aufbaut! 30 Winterlogik 2016-17 / fol. 677 4.Löbs Satz Zurück zum Gerücht: Gödel habe 1931 bewiesen, (1) “daß es eine gänzlich widerspruchsfreie Mathematik nicht geben kann”, und (2) “daß es unmöglich ist, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf der Inkonsistenz zu ziehen.” Nichts davon ist wahr! Beides ist allenfalls “ein wenig” wahr: • Wahr ist: Wenn axiomatisierte Mathematik vollständig ist, dann kann sie nicht widerspruchsfrei sein. (Erster Satz.) • Wahr ist ferner: Wenn axiomatisierte Mathematik widerspruchsfrei und genügend ausdrucksstark ist (um Aussagen über Beweisbarkeit in dem System auszudrücken), dann läßt sich darin kein Satz ableiten, der die Widerspruchsfreiheit des Systems ausdrückt. (Zweiter Satz.) • Tatsächlich gibt es einfache Modelle der PA (z.B. die Zahlenreihe). Also ist PA konsistent. (Aber Modellbetrachtungen sind halt ein anderes Beweismittel als die Ableitbarkeit in PA.) 31 Winterlogik 2016-17 / fol. 678 4.Löbs Satz “Die Philosophie ist heute bestenfalls dort wo die Mathematik bei den Babyloniern war.” 32 Winterlogik 2016-17 / fol. 679 4.Löbs Satz Jetzt wissen wir, was Gödel gemeint haben könnte: In der Mathematik haben wir seit den Babyloniern Fortschritte gemacht, weil wir es genauer wissen wollten und, wie sich zeigte, genauer wissen konnten. Auch in der Philosophie sollten wir uns nicht damit zufrieden geben, es weniger genau zu wissen, als wir es könnten. (Offenbar meinte Gödel, daß es in der Philosophie in dieser Hinsicht noch bedeutende Fortschrittsmöglichkeiten gebe.) • Halten Sie sich fern von ungenauen Fragestellungen und halbwahren Antworten! • Gehen Sie den Dingen auf den Grund und sagen Sie die Wahrheit und nichts als die Wahrheit! • Nehmen Sie philosophische Thesen wörtlich und prüfen Sie sie pedantisch! (Stellen Sie sich das Gegenteil vor: Thesen nicht so wörtlich nehmen und großzügig durchwinken ... ) • Sie haben ein gutes Gespür dafür, wann Sie etwas verstanden haben. Folgen Sie diesem Gespür! Lassen Sie sich nicht täuschen und täuschen Sie sich vor allem nicht selbst! 33 Winterlogik 2016-17 / fol. 680 Goethe-Universität Frankfurt am Main Institut für Philosophie Logik im Winter 2014-15 Erste Schritte in der Modallogik André Fuhrmann 15modallogik 150215.1730 Winterlogik 2016-17 / fol. 681 Die Logik logischer Notwendigkeit Die Logik logischer Notwendigkeit Der Gödelsche Beweis beruhte wesentlich auf der Möglichkeit, daß wir in der Peanoschen Arithmetik (PA) Sätze identifizieren, die Aussagen über PA repräsentieren: Aussagen darüber, was in PA beweisbar ist und was nicht. Etwas ähnliches und eigentlich sehr naheliegendes wollen wir jetzt mit der klassischen Aussagenlogik anstellen. Wir wollen die klassische Theorie logischer Wahrheit (zum Beispiel im System K dargestellt) um Sätze erweitern, die selbst sagen, daß etwas eine logische Wahrheit ist. • Damit machen wir den Begriff der logischen Wahrheit selber zum Gegenstand einer logischen Theorie. • Theoreme bzw. gültige Sätze dieser Theorie sind dann logische Wahrheiten über den Begriff logischer Wahrheit. 2 Winterlogik 2016-17 / fol. 682 Die Logik logischer Notwendigkeit Wir haben gesagt: · Ein Satz A ist gd logisch wahr (logisch notwendig, wie wir auch sagen werden), wenn A in allen Modellen wahr ist. · Die Modelle der klassischen Aussagenlogik unterscheiden sich einzig dadurch, wie sie die atomaren Formeln bewerten, d.h. die Wahrheitswerte 0 und 1 über die Atome verteilen. (Den Rest bestimmen die Wahrheitstafeln.) · Also können wir auch sagen: Ein Satz A ist gd logisch wahr, wenn er unter allen Bewertungen wahr ist. Diese einfache Idee werden wir gleich systematisch ausbuchstabieren. 3 Winterlogik 2016-17 / fol. 683 Die Logik logischer Notwendigkeit Wahrheit unter allen Bewertungen Aus einer Bewertung v und den Wahrheitstafeln für die klassischen Junktoren ergibt sich auf bekannte Weise eine Wahrmacherrelation, |=, zwischen der Bewertung v und beliebigen Formeln (für v |= A lesen wir: “v macht A wahr”): (P ) v |= P gdw v(P ) = 1 (¬) v |= ¬A gdw v 6|= A (→) v |= A → B gdw entweder v 6|= A oder v |= B ... Usw. für alle weiteren Wahrheitsfunktionen, die wir natürlich auch einfach aus ¬ und → definieren können. Jetzt wollen wir einen weiteren einstelligen Junktor einführen so, daß 2A bedeuten soll: A ist logisch notwendig. Wann ist A logisch notwendig? Siehe oben: Wenn A unter allen Bewertungen A wahr ist: (2) v |= 2A gdw für alle v 0 : v 0 |= A. 4 Winterlogik 2016-17 / fol. 684 Die Logik logischer Notwendigkeit In der Wahrheitsbedingung (2) v |= 2A gdw für alle v 0 : v 0 |= A. quantifizieren wir also über einen Bereich von Bewertungen, wie sie die klassischen Modelle charakterisieren. Diese Modelle sahen so aus: ({0, 1}, v). Die neuen Modelle, in denen wir die Sprache unserer Logik der logischen Notwendigkeit interpretieren können, sähen dann also so aus: ({0, 1}, v, v 0 , v 00 , ...). 5 Winterlogik 2016-17 / fol. 685 Die Logik logischer Notwendigkeit Punkte Eine bessere Art das aufzuschreiben, geht so: ◦ Statt die potentielle Unendlichkeit von Bewertungen mit “...” anzudeuten, indizieren wir sie mit einer Indexmenge W . Oder, was auf das gleiche hinausläuft: Wir arbeiten mit einer Funktion v, die sich einen Index aus W greift und, so relativiert, Atome bewertet: (W, v) v : ATM × W −→ {0, 1}. Als Variablen für die Indizes benutzen wir a, b, c, .... Diese Indizes nennen wir fortan auch einfach Punkte. ◦ In der Angabe der Wahrheitsbedingungen lassen wir jetzt einfach die Punkte (Indizes) für die korrespondierenden Bewertungen stehen. Also einfach a statt va . Das sieht dann so aus: (P ) a |= P gdw v(P, a) = 1 (¬) a |= ¬A gdw a 6|= A (→) a |= A → B gdw entweder a 6|= A oder a |= B (2) a |= 2A gdw für alle b ∈ W : b |= A 6 Winterlogik 2016-17 / fol. 686 Die Logik logischer Notwendigkeit • Wahrheit im Modell: Ein Satz ist wahr in einem solchen Modell (W, v), wenn ihn alle Punkte in W wahr machen. NB. Wahrheit in einem (bestimmten) Modell ist noch kein zuverlässiger Indikator logischer Gültigkeit. Zwar gehen Modelle (in der Regel) über die Betrachtung bloß einer Bewertung hinaus (i.S.v.: sie enthalten mehr als nur einen Punkt). Aber nichts garantiert, daß die Menge W in einem bestimmten Modell alle möglichen Bewertungen repräsentiert. Deshalb: • Gültigkeit: Ein Satz ist gültig, wenn er in allen Modellen wahr ist. 7 Winterlogik 2016-17 / fol. 687 Die Logik logischer Notwendigkeit • Möglichkeit: Künftig wollen wir Formeln der Form ¬2¬A auch so aufschreiben: 3A. Was will uns 3A sagen? Daß das Gegenteil von A, nämlich nicht-A, nicht notwendig ist—d.h., daß A möglich ist. (Und was will uns dann ¬3¬A sagen?) 8 Winterlogik 2016-17 / fol. 688 Die Logik logischer Notwendigkeit Intensionalität In der bisher betracheten AL galt A ↔ B → (C[A] ↔ C[B]) — material äquivalente Formeln konnten in allen Kontexten C gegeneinander ausgetauscht werden. Das lag daran, daß die Kontexte durch Zusammensetzung mittels wahrheitsfunktionaler (extensionaler) Junktoren entstanden. Wenn zB A ↔ A0 , dann ¬A ↔ ¬A0 A ∨ B ↔ A0 ∨ B A → B ↔ A0 → B etc. Was Wahrheitsfunktionalität bedeutet, macht (am Beispiel der Negation) die folgende Tafel deutlich: A A0 ¬A ¬A0 v1 : 0 0 1 1 v2 : 1 1 0 0 • Der Wert von ¬A in einer Zeile (Bewertung) hängt allein vom Wert von A in dieser Zeile ab. Wenn A und A0 , denselben Wert haben, dann müssen also auch ¬A und ¬A0 denselben Wert haben. 9 Winterlogik 2016-17 / fol. 689 Die Logik logischer Notwendigkeit Ist nun 2 eine weitere Wahrheitsfunktion wie ¬? A ¬A 2A v1 : 0 1 ? v2 : 1 0 ? Man betrachte die Tafel v1 : v2 : P P →P 0 1 1 1 2(P → P ) 2P 1 1 0 0 • Obwohl P und P → P in v2 denselben Wert haben, bekommen 2(P → P ) und 2P in derselben Zeile unterschiedliche Werte. Das bedeutet: Der Wert einer Formel 2A in einer Zeile kann nicht allein vom Wert von A in dieser Zeile abhängig sein— 2 ist keine Wahrheitsfunktion! • Tatsächlich hängt der Wert von 2A von den Werten von A in allen relevanten Bewertungen ab. (Die relevanten Bewertungen sind in der Tafel in zwei Zeilen zusammengefaßt.) 2 ist kein extensionaler sondern ein intensionaler Junktor. 10 Winterlogik 2016-17 / fol. 690 Was wir über logische Notwendigkeit wissen Was wir über logische Notwendigkeit wissen • In der um 2 erweiterten Sprache bleiben alle wahrheitsfunktional gültigen Sätze weiterhin gültig. • Gültigkeit ist unter Modus Ponens abgeschlossen: Wenn sowohl A als auch A → B gültig sind, dann ist B gültig. • Wenn A gültig ist, dann ist auch die Aussage, daß A logisch notwendig ist, 2A, gültig. • Weitere gültige Sätze: · Logische Notwendigkeit impliziert Wahrheit: 2A → A. · Logische Notwendigkeit ist unter Modus Ponens abgeschlossen: 2(A → B) → (2A → 2B). · Wenn etwas logisch notwendig ist, dann ist diese Tatsache selbst logisch notwendig: 2A → 22A · Was wahr ist, muß (2) möglich (3) sein: A → 23A. 11 Winterlogik 2016-17 / fol. 691 Das System S5 Das System S5 Daß, was wir über logische Notwendigkeit wissen, wollen wir einmal als ein axiomatisches System aufschreiben: τ Jede Tautologie T 2A → A K 2(A → B) → (2A → 2B) 4 2A → 22A 5 A → 23A A 2A A A→B B RN MP NB Anstelle des Schemas τ könnten wir hier zB die Axiomenschemata A1–3 des Systems K einsetzen. Denn A1-3 + MP erzeugt ja genau τ . 12 Winterlogik 2016-17 / fol. 692 Das System S5 Ableitung in S5 und Theorem von S5 definieren wir wie üblich. Satz (Korrektheit). Das System S5 ist korrekt für die oben beschriebenen Modelle (W,v): Wenn ` A in S5, dann |= A in allen Modellen. Beweis. Induktion über die Länge einer Ableitung in S5. Dazu müssen wir zeigen, daß alle Axiome gültig sind (Induktionsbasis) und daß die zwei Regeln MP und RN die Eigenschaft der Gültigkeit von den Prämissen an die Konklusion weitergibt (Induktionsschritt). Wir zeigen hier die Argumente für das Axiom K und die Regel RN. Ad K: Zz (zu zeigen): An beliebigem Punkt a, a |= 2(A → B) → (2A → 2B); d.h. wenn a |= 2(A → B), dann a |= 2A → 2B, d.h. wenn a |= 2(A → B), dann (wenn a |= 2A, dann a |= 2B). 1 (1) a |= 2(A → B) Annahme 2 (2) a |= 2A Annahme /zz a |= 2B 1 (3) ∀x : x |= A → B 1 (2) 1 (4) ∀x : wenn x |= A, dann x |= B 3 (→) 2 (5) ∀y : y |= A 2 (2) 1,2 (6) ∀y : y |= B 4,5 1,2 (7) a |= 2B 6 (2) 13 Winterlogik 2016-17 / fol. 693 Das System S5 Ad RN: Wir nehmen an, in einem beliebigen Modell sei A an allen Punkten wahr. In diesem Fall ist nach (2) auch die Formel 2A an jedem beliebigen Punkt wahr—was zu zeigen war. Wir wissen nun, daß jede in S5 ableitbare Formel gültig ist. Wie steht es um die umgekehrte Behauptung: • Ist jede gültige Formel ein Theorem von S5? Wenn das so ist, dann axiomatisiert S5 genau die Logik logischer Notwendigkeit— jedenfalls in dem Sinne, in dem wir diesen Begriff in den Modellen der Art (W, v) eingefangen haben. Tatsächlich verhält es sich genau so. D.h. wir werden folgenden Satz beweisen: Satz (Vollständigkeit). Das System S5 ist vollständig für die oben beschriebenen Modelle (W,v): Wenn |= A in allen Modellen, dann ` A in S5. Auf dem Weg zu diesem Resultat wollen wir zunächst Modelle betrachten, die in der Lage sind, auch andere Begriffe von Notwendigkeit wiederzugeben. 14 Winterlogik 2016-17 / fol. 694 Relationale Modelle und das modale System K Relationale Modelle und das modale System K Die Punkte in einer Modellmenge W stellen mögliche Verteilungen von Wahrheitswerten über die Atome dar. • Die Atome stehen gewissermaßen für die elementaren Sachverhalte, die bestimmen, wie es sich in der Welt verhält. • Eine mögliche Verteilung von Wahrheitswerten über die Atome, beschreibt daher eine Art und Weise, wie die Welte sein könnte—eine mögliche Welt. 15 Winterlogik 2016-17 / fol. 695 Relationale Modelle und das modale System K [Die beste aller möglichen Welten] Leibniz stellte sich die Frage, welche der vielen möglichen Welten, die aktuale Welt ist, d.h. die, in der wir leben. Das kann nur diejenige sein, die Gott für uns bestimmt hat. • Gott tut nichts ohne hinreichenden Grund. Wir können also ausschließen, daß die aktuale Welt auf zufällige Weise (per Los) bestimmt wurde. • Also muß Gott sie aufgrund eines Vergleichs ausgewählt haben. Der einzige Vergleich der hier in Frage kommt, fragt danach, ob eine Welt für uns besser oder schlechter ist. • Da Gott per definitionem ein wohlwollendes Wesen ist, kann Gott nur die für uns beste aller möglichen Welten als die aktuale Welt ausgezeichnet haben. Dazu Voltaire: Candide oder die beste aller Welten (1759) 16 Winterlogik 2016-17 / fol. 696 Relationale Modelle und das modale System K Die Erreichbarkeit möglicher Welten Leibniz war ferner der Auffassung, daß nur Gott den gesamten Raum möglicher Welten überblicken kann. Wir Menschen haben nur Zugang zu einem Teilbereich dieser Möglichkeiten. D.h., das was für uns möglich ist, wird dadurch beschränkt, welche Möglichkeiten wir überhaupt “erreichen” (“sehen”, erfassen) können. e b c f a d deontische physische Wenn a unsere Welt ist, dann können wir in diesem Bild nur b und d unmittelbar ersehen.jpg reichen, vielleicht mittelbar noch c. Wäre e unsere Welt, sähen wir f ; a − d wäre für uns unerreichbar. Eine zunächst recht “barock” anmutende Vorstellung. Dahinter steckt jedoch eine sehr plausible Idee ... 17 Winterlogik 2016-17 / fol. 697 Relationale Modelle und das modale System K Ausgehend von einer Möglichkeit a sind manche alternativen Möglichkeiten in einem bestimmten Sinne ausgeschlossen (“unerreichbar”). Beispiel 1 In der Welt in der wir leben—nennen wir sie h (für “hier”)— · kann sich nichts schneller als das Licht bewegen und · die Lichtgeschwindigkeit beträgt etwa 300 000 km pro Sekunde (im Vakuum). Das Licht der Laterne am Abend könnte meine Netzhaut schneller erreichen, wenn die Luft weniger feucht wäre—was physikalisch möglich ist. Aber sie kann mich allenfalls mit 300.000 km/Sek. erreichen: Das ist relativ zu h physikalisch notwendig. • Welten, in denen die Naturgesetze und fundamentalen Parameter für h nicht gelten, sind von h aus physikalisch nicht erreichbar. • Was logisch durchaus möglich ist—nämlich daß sich etwas schneller als mit 300.000 km/Sek bewegt—ist in diesem (physikalischen) Sinne unmöglich. 18 Winterlogik 2016-17 / fol. 698 Relationale Modelle und das modale System K Beispiel 2 In der Welt in der wir leben ist in Deutschland nach der geltenden Gesetzeslage— nennen wir diese juristisch fixierte Welt h—so einiges erlaubt. Aber nicht erlaubt ist es, als Fahrer eine rote Ampel zu ignorieren. Relativ zu h ist es rechtlich notwendig (“geboten”), an einer roten Ampel zu halten. • Die Möglichkeit, eine rote Ampel zu überfahren ist bei uns rechtlich nicht vorgesehen. Eine solche Möglichkeit ist deontisch nicht erreichbar (von h).1 1 Deontisch: So, wie es sein soll. Manchmal als gegensatz zu alethisch: So, wie es ist. 19 Winterlogik 2016-17 / fol. 699 Relationale Modelle und das modale System K Beispiel 3 In unserer Welt h ist Wasser nichts anderes als H2 O. Denkbar ist jedoch eine andere Welt, h0 , in der es einen Stoff gibt, der genauso aussieht und schmeckt wie Wasser und auch sonst alle Eigenschaften hat, die wir an Wasser schätzen. Aber in h0 hat Wasser eine ganz andere chemische Struktur, XY Z. · Heinz zeigt auf ein Glas Wasser und sagt: “Das ist H2 O”. ◦ Wenn Heinz das in h tut, dann hat er recht und drückt sogar eine metaphysisch notwendige Wahrheit aus. Denn alles ist, was es ist. Und das (worauf Heinz in h zeigt) ist nun mal H2 O. ◦ Wenn Heinz dasselbe in h0 tut, dann hat er unrecht. Denn das, (worauf er zeigt) ist XY Z und sicher ist XY Z nicht dasselbe wie H2 O. • Eine Welt, in der der Stoff, den wir in h Wasser nennen, etwas anderes als H2 O ist, ist metaphyisch unmöglich (unerreichbar). (Das Wäre eine Welt, in der H2 O nicht H2 O ist.) 20 Winterlogik 2016-17 / fol. 700 Relationale Modelle und das modale System K Beispiel 4 Wenn Max weiß, daß Ulla in Berlin ist, dann schließt er alle Möglichkeiten aus, daß sie an einem anderen Ort als Berlin ist. Wenn Max darüberhinaus weiß, daß Thomas an ihrer Seite ist, dann schließt er weitere Möglichkeiten aus. • Je mehr Max weiß, um so mehr Möglichkeiten kann er ausschließen. Maxens Wissen kann somit dargestellt werden als die Menge der Möglichkeiten, die er nicht ausschließen kann. (Sein Wissen ist in jeder Hinsicht vollständig und richtig, wenn h als einzige Möglichkeit übrig bleibt.) • Welten, in denen etwas der Fall ist, was Max in h ausschließen kann, blendet er aus: sie verschwinden hinter seinem Wissenshorizont. Solche Welten sind für ihn in h epistemisch nicht erreichbar. 21 Winterlogik 2016-17 / fol. 701 Relationale Modelle und das modale System K Möglichkeiten c metaphysische d deontische physische Max logische Notwendigkeit ist oft relativ zu bestimmten Möglichkeiten, die wir als Ausgangsmoeglich.jpg punkte jeweils fixieren. Die allgemeinere Wahrheitsbedingung für Notwendigkeitsbehauptungen muß daher so aussehen: · Ein Punkt a macht 2A gd wahr, wenn alle Punkte, die relativ zu a möglich (“zugänglich”) sind, A wahr machen. 2: transitiv 22 3: symmetrisch 4: refl.&trans.&sym. zugang.jpg Winterlogik 2016-17 / fol. 702 Relationale Modelle und das modale System K Das können wir kürzer auch so aufschreiben: (2) a |= 2A gdw ∀b: wenn Rab, dann b |= A. Das neue Element ist hier eine Relation R zwischen Punkten der Modellmenge W (also R ⊆ W × W ). Intuitiv fordert Rab, daß die Möglichkeit b, von a aus gesehen, besteht (“erreichbar” ist, in dem jeweils relevanten Sinne). Unsere Modelle sehen jetzt also so aus: (W, R, v) Alles andere bleibt wie gehabt. Insbesondere wollen wir weiterhin sagen: • Eine Formal A ist gd gültig, wenn jeder Punkt in einem beliebigen Modell A wahr macht; also |= A gdw (für alle (W, R, v)) ∀a ∈ W : a |= A Frage: Was ist nun die Logik des allgemeinsten Notwendigkeitsbegriffs? (Der allgemeinste Notwendigkeitsbegriff ist natürlich der, bei dem wir über die Relation R keinerlei Annahmen machen.) 23 Winterlogik 2016-17 / fol. 703 Relationale Modelle und das modale System K Zusammenfassung: Relationale (“Kripke”-) Modelle (W, R, v) W 6= ∅ (Punkte, “mögliche Welten”) R⊆W ×W (Zugangsrelation) v : ATM × W −→ {0, 1} (Bewertungsfunktion) |=: W × FML (Erfüllungsrelation) so, daß (∀a ∈ W ) (P ) a |= P gdw v(P, a) = 1 (¬) a |= ¬A gdw a 6|= A (→) a |= A → B gdw entweder a 6|= A oder a |= B (2) a |= 2A gdw ∀b ∈ W : wenn Rab dann b |= A. 24 Winterlogik 2016-17 / fol. 704 Relationale Modelle und das modale System K Die kleinste normale modale Logik K Die zuletzt gestellte Frage läuft darauf hinaus, ein System von Axiomen zu finden, welches Modelle der Art (W, R, v) korrekt und vollständig beschreibt.—Antwort: τ Jede Tautologie K 2(A → B) → (2A → 2B) RN MP A 2A A A→B B Achtung! Wir nennen dieses modale System K, weil das in der Literatur so üblich ist. Dieses System ist eine Erweiterung der klassischen Aussagenlogik—die wir in früheren Vorlesungen (unglücklicherweise) ebenfalls unter dem Namen K kennengelernt haben. 25 Winterlogik 2016-17 / fol. 705 Relationale Modelle und das modale System K Satz (Korrektheit). Das System K ist korrekt für die oben beschriebenen Modelle (W,R,v): Wenn ` A in K, dann |= A in allen Modellen. Beweis. (Vergleichen Sie den Beweis mit dem der Korrektheit von S5.) Induktion über die Länge einer Ableitung in K. Wir zeigen hier die einzig interessanten Fälle. Ad K: Zz: d.h. wenn d.h. wenn d.h. wenn 1 2 3 1 1 2 2,3 1,2,3 An beliebigem Punkt a, a |= 2(A → B) → (2A → 2B); a |= 2(A → B), dann a |= 2A → 2B, a |= 2(A → B) und a |= 2A, dann a |= 2B, a |= 2(A → B) und a |= 2A und Rab (b beliebig), dann b |= B. (1) a |= 2(A → B) Annahme (2) a |= 2A Annahme (3) Rab Annahme/zz b |= B (4) ∀x : Rax ⇒ x |= A → B 1 (2) (5) ∀x : Rax & x |= A ⇒ x |= B 4 (→) (6) ∀y : Ray ⇒ y |= A 2 (2) (7) b |= A 3,6 (8) b |= B 3,5,7 26 Winterlogik 2016-17 / fol. 706 Relationale Modelle und das modale System K Ad RN: Wir nehmen an, in einem beliebigen Modell sei A an allen Punkten wahr. Ist 2A an einem beliebigen Punkt a wahr? Ja, denn da A überall wahr ist, ist A auch an jedem von a aus zugänglichen Punkt wahr. Sollten wir K um weitere Axiome oder Regeln erweitern wollen, so ergänzen wir entsprechend den Beweis des obigen Satzes. Die Vollständigkeit von K Satz (Vollständigkeit). Das System K ist vollständig für die oben beschriebenen Modelle (W,v): Wenn |= A in allen Modellen, dann ` A in K. Wir müssen zeigen, daß es für jedes Nichttheorem A ein A-falsifizierendes Modell gibt. · Tatsächlich werden wir zeigen, daß es ein Modell gibt (das kanonische Modell für K), welches für jedes Nichttheorem einen falsifizierenden Punkt bereithält. · Die Punkte in einem kanonischen Modell sind Formelmengen. Genauer: Es sind Formelmengen, die im Sinne von K maximal konsistent (maxkon) sind. 27 Winterlogik 2016-17 / fol. 707 Relationale Modelle und das modale System K Definition. X ⊆ FML ist maxkon gdw 1. X 6` ⊥ (Konsistenz), und 2. ∀A : wenn A ∈ / X, dann X, A ` ⊥ (Maximalität). Achtung! Die Begriffe der Maximalität und Konsistenz sind in diesem Kapitel natürlich alle relativ zur Ableitbarkeit (`) in K zu verstehen. Lemma (Lindenbaum) 1. Jede konsistente Formelmenge X läßt sich zu einer maxkon Menge X ∗ erweitern. Den Beweis haben wir in Vorlesung 13 (Vollständigkeit der Aussagenlogik) gegeben. Der Beweis benutzt nur elementare Eigenschaften jeder Ableitbarkeitsrelation ` und gilt deshalb auch für K. Das gleiche gilt für das folgende 28 Winterlogik 2016-17 / fol. 708 Relationale Modelle und das modale System K Korollar 2. 1. Wenn eine Formel A in jeder maxkon Erweiterung Y einer Menge ist, dann ist diese Formel aus der Menge ableitbar: Wenn (∀ maxkon Y : X ⊆ Y ⇒ A ∈ Y ), dann X ` A 2. Der Schnitt aller maxkon Mengen ist die Menge der ableitbaren Formeln: Für alle A ∈ FML, \ A ∈ {X : X ist maxkon} ⇔ ` A 29 Winterlogik 2016-17 / fol. 709 Relationale Modelle und das modale System K Die “Denezessitation” einer Formelmenge: X 2 := {C : 2C ∈ X}. D.h., wenn 2A ∈ X, dann A ∈ X 2 , wenn 22A ∈ X, dann 2A ∈ X 2 usw., und umgekehrt. Lemma 3. Es seien X und Y maxkon Formelmengen. Dann gilt für alle Formeln A und B: 1. A ∈ X gdw X ` A; 2. ¬A ∈ X gdw A ∈ / X; 3. A → B ∈ X gdw A ∈ / X oder B ∈ X. 4. 2A ∈ X gdw für alle Y : X 2 ⊆ Y ⇒ A ∈ Y . Bemerkung: Die Relation X 2 ⊆ Y zwischen Formelmengen X und Y spielt die Rolle der Relation R zwischen Punkten in einem Modell, wie wir gleich sehen werden. Beweis. Auch dieses Lemma kennen wir schon aus dem Vollständigkeitsargumente für die klassische Aussagenlogik (Vorlesung 13). Es bleibt hier nur die Bedingung 4 zu beweisen. 30 Winterlogik 2016-17 / fol. 710 Relationale Modelle und das modale System K 2A ∈ X gdw für alle Y : X 2 ⊆ Y ⇒ A ∈ Y Von links nach rechts gilt die Bedingung ohne weiteres. Für die Richtung von rechts nach links nehmen wir an: (1) A ∈ Y für alle maxkon Y ⊇ X 2 und (2) 2A ∈ / X für reductio! Aus (2) folgt (da X maximal ist) (3) ¬2A ∈ X. Es sei nun X 0 = X 2 ∪ {¬A}. X 0 ist konsistent. Denn anderenfalls gäbe es A1 , ..., An ∈ X 2 so, daß ` A1 ∧ · · · ∧ An → A. Daraus würde nach RK folgen ` 2A1 ∧ · · · ∧ 2An → 2A. Und da 2A1 , ..., 2An ∈ X, hätten wir 2A ∈ X (Behauptung 1 des Lemmas). Angesichts (3) wäre damit X entgegen unserer Voraussetzung inkonsistent. Nach Lemma 1 können wir X 0 zu einer maxkon Menge X ∗ erweitern. Da ¬A ∈ X 0 ⊆ X ∗ , haben wir A ∈ / X ∗ (Behauptung 2 des Lemmas). Da aber X 2 ⊆ X 0 ⊆ X ∗ ist X ∗ eine maxkon Erweiterung von X 2 , die A nicht enthält—entgegen unserer Voraussetzung (1). Also folgt aus (1), daß 2A ∈ X, q.e.d. 31 Winterlogik 2016-17 / fol. 711 Relationale Modelle und das modale System K Definition. Kanonisches Modell für K: (W K , RK , v K ) W K = {X ⊆ FML : X ist maxkon}; RK ab gdw {A : 2A ∈ a} ⊆ b; v K (P, a) = 1 gdw P ∈ a (∀P ∈ ATM). (Obwohl die Punkte eines kanonischen Modells Formelmengen sind, bezeichnen wir diese jetzt schon suggestiv und auf das nächste Lemma vorgreifend mit a, b, c, ... statt mit X, Y, Z, ... .) 32 Winterlogik 2016-17 / fol. 712 Relationale Modelle und das modale System K Lemma 4. Das kanonische Modell M K ist ein Modell im hier zu betrachtenden Sinne. Beweis. Wir müssen zeigen, daß die Eigenschaften aus der Definition eines Modells erfüllt sind: 1. W K 6= ∅. 2. RK ⊆ W K × W K (so, daß ...) 3. v K : ATM × W K −→ {0, 1}. Unter 1 müssen wir zeigen, daß es maxkon Mengen gibt (Lindenbaums Lemma). Unter 2 müssen wir zeigen, daß die Relation von der richtigen Art ist. Im Falle von K genügt die triviale Feststellung, daß RK eine Teilmenge von W K × W K ist. Für Erweiterungen von K müssen wir an dieser Stelle Eigenschaften wie Reflexivität, Transitivität, Symmetrie o.ä. verifizieren. Das werden wir später vorführen. Dabei korrespondieren Axiome bzw. Regeln mit Eigenschaften von R. Punkt 3 gilt trivial per definitionem. 33 Winterlogik 2016-17 / fol. 713 Relationale Modelle und das modale System K Lemma 5. Sei (W, R, v) das kanonische Modell für K. Es sei eine Relation |= ⊆ W × FML so definiert: a |= A gdw A ∈ a, Dann ist die Relation |= eine Erfüllungsrelation. Beweis. Induktion über den Aufbau einer Formel A. Basis A = P . Nach Definition: P ∈ a gdw V (P, a) = 1 gdw a |= P . Fall A = ¬B. Siehe Lemma 3. Fall A = B → C. Siehe Lemma 3. Fall A = 2B. /... 34 Winterlogik 2016-17 / fol. 714 Relationale Modelle und das modale System K ... / Fall A = 2B. Einziger hier interessanter Fall. Zz: a |= 2B ⇔ 2B ∈ a; d.h. [∀x : Rax ⇒ x |= B] ⇔ [2B ∈ a]; d.h. (nach der Ind.annahme) [∀x : Rax ⇒ B ∈ x] ⇔ [2B ∈ a]; (⇒): Angenommen (Links) Dann (für alle x) ({C : 2C ∈ a} ⊆ x) ⇒ B ∈ x. Aber das ist (Rechts) von Lemma 3.4! Also 2B ∈ a, wie gewünscht. (⇐): Angenommen (Rechts), d.h. 2B ∈ a, sowie Rax. Nach der Def. von Rax folgt aus 2B ∈ a, daß B ∈ x, wie gewünscht. Satz (Vollständigkeit). Wenn |= A, dann ` A in K. Beweis. Angenommen 6` A. Dann ist K ∪ {¬A} eine konsistente Menge, die sich zu einer maxkon Menge a erweitern läßt. Diese Menge a ist ein Punkt im kanonischen Modell M K mit a 6|= A. Also gibt es ein Modell, das A nicht erfüllt. d.h. 6|= A. 35 Winterlogik 2016-17 / fol. 715 Erweiterungen von K Erweiterungen von K Normale Modallogiken Die kanonische Bedeutung der Zugangsrelation R ist diese: • Wenn Rab, dann ist alles was am Punkt a notwendig ist, am Punkt b wahr, und umgekehrt. • Anders ausgedrückt: Wenn Rab, dann stellt b aus der Perspektive von a eine Möglichkeit dar, und umgekehrt. Deshalb gilt: Wenn 2A in a behauptet wird, dann darf A in b nicht falsch sein, d.h. A muß in b wahr sein. Diese Betrachtung lädt zu der Überlegung ein, ob die Relation R nicht einige ganz allgemeine Eigenschaften haben sollte. Zum Beispiel ... 36 Winterlogik 2016-17 / fol. 716 Erweiterungen von K • Reflexivität: Raa. Denn a selbst sollte aus der Perspektive von a möglich sein. Oder • Transitivität: Wenn Rab und Rbc, dann Rac. Denn wenn die Möglichkeit b von a aus betrachtet nicht ausgeschlossen werden kann und ebenso c eine Möglichkeit für b darstellt, dann sollte auch c von a aus betrachtet möglich sein. Oder • Symmetrie: Wenn Rab, dann Rba. Wenn b eine Möglichkeit für a ist, dann auch umgekehrt a für b. Oder • Universalität: Jede Möglichkeit zählt. Keine Möglichkeit sollte von keinem Standpunkt betrachtet, ausgeschlossen werden. Ob wir die eine oder andere Eigenschaft von R für richtig halten, hängt offenbar von der Art der Notwendigkeit bzw. Möglichkeit ab, die wir im Auge haben. In jedem Fall schränken wir aber durch solchen Eigenschaften die Klasse der betrachteten Modelle ein: Statt Modellen mit beliebiger Relation R betrachten wir dann nur noch solche mit reflexiver, transitiver, symmetrischer oder universaler Zugangsrelation. 37 Winterlogik 2016-17 / fol. 717 Erweiterungen von K ◦ Durch weitere Annahmen über R werden die Modelle spezifischer (enthalten mehr Information) und machen nun weitere 2-Formeln wahr. ◦ Und umgekehrt gilt: Wenn wir zu K weitere Axiome (oder Regeln) hinzunehmen (K + [...]), dann werden die Theoreme dieser Erweiterung von K in Modellen der Form (W, R, v) nur dann wahr, wenn wir weitere Annahmen über R machen. Zum Beispiel so: Satz 6. (Korrespondenz) Sei M ein Modell der Art (W, R, v). 1. In M ist R gd reflexiv, wenn M |= 2A → A in M . 2. In M ist R gd transitiv, wenn M |= 2A → 22A. 3. In M ist R gd symmetrisch, wenn M |= A → 23A. Beweis. Wir gehen zurück zu den Beweisen der Korrektheit von K und dem Lemma 4 über kanonische Modelle für K. Diese Beweise erweitern wir nun wie dort in blauer Schrift angedeutet. Wir führen das hier nur für die Korrespondenz zwischen 2A → 22A und der Transitivität vor. 38 Winterlogik 2016-17 / fol. 718 Erweiterungen von K Ad 2, von links nach rechts: Das Schema 4 ist korrekt für transitive Modelle. Zz a |= 2A → 22A (a beliebig) unter der Annahme, daß R transitiv ist. 1 (1) a |= 2A Annahme /zz a |= 22A 2 (2) Rab Annahme /zz b |= 2A 3 (3) Rbc Annahme /zz c |= A 1 (4) ∀x : Rax ⇒ x |= A 1 2,3 (5) Rac 2,3 Transitivität 1,2,3 (6) c |= A 4,5 39 Winterlogik 2016-17 / fol. 719 Erweiterungen von K Ad 2, von rechts nach links: Das Schema 4 ist vollständig für transitive Modelle. Die kanonische Relation nennen wir jetzt R4 und definieren sie wie zuvor: R4 ab gdw {A : 2A ∈ a} ⊆ b, wobei a und b hier maxkon Mengen im Sinne von K+[2A → 22A] sind; d.h. insbesondere, daß sie alle Formeln der Form 2A → 22A enthalten (Annahme* unten). Wir zeigen, daß R4 transitiv ist. 1 (1) R4 ab Annahme Annahme /zz R4 ac 2 (2) R4 bc 3 (3) 2A ∈ a Annahme /zz A ∈ c 1 (4) 22A ∈ a ⇒ 2A ∈ b 1 Def R4 2 (5) 2A ∈ b ⇒ A ∈ c 2 Def R4 1,2 (6) 22A ∈ a ⇒ A ∈ c 4,5 7 (7) 2A → 22A ∈ a Annahme* 3,7 (8) 22A ∈ a 3,7 1,2,3,7 (9) A ∈ c 6,8 40 Winterlogik 2016-17 / fol. 720 Erweiterungen von K Natürlich lassen sich die genannten und andere Eigenschaften von R auch kombinieren—so wie sich auch Axiome kombinieren lassen. Daraus ergibt sich eine große Vielfalt möglicher Modallogiken. Modallogiken, die sich so wie im Korrespondenzsatz mit relationalen Modellen modellieren lassen, heißen normal. Diejenige Logik, deren Theoreme in allen relationalen Modellen—d.h. ohne Annahmen über R—gültig sind, ist offenbar die kleinste normale Modallogik. Das ist unser System K. Chellas (in Modal Logic, pp. 285f.) listet eine Auswahl (!) von 142 Erweiterungen von K auf. Von “praktischer” Bedeutung sind aber nur eine Hand voll davon. Philosophen haben es vor allem mit zweien zu tun: S4 = K + T 4 2A → A 2A → 22A S5 = S4 + 5 A → 23A 41 Winterlogik 2016-17 / fol. 721 Erweiterungen von K Korollar (zum Korrespondenzsatz) 7. 1. Das System S4 ist korrekt und vollständig bezüglich der Klasse von Modellen in denen R reflexiv und transitiv ist. 2. Das System S5 ist korrekt und vollständig bezüglich der Klasse von Modellen in denen R reflexiv, transitiv und symmetrisch ist. Damit sind wir wieder bei einem alten Bekannten: Der Logik logischer Notwendigkeit, S5. 42 Winterlogik 2016-17 / fol. 722 f a d deontische Die Vollständigkeit von S5 sehen.jpg physische Max Die Vollständigkeit von S5 logische Hier sind vier Skizzen von kleinen Modellen, in denen die Relation R (Pfeil) jeweils verschiedene Eigenschaften hat. (Ein ungefüllter Punkt ◦ deutetmoeglich.jpg eine reflexive Welt a an, d.h. eine für die gilt: Raa.) 1: reflexiv 2: transitiv 3: symmetrisch 4: refl.&trans.&sym. zugang.jpg In Bild 4 ist die Relation reflexiv, transitiv und symmetrisch. Man sieht, daß der Bereich in zwei Teilbereiche zerfällt (durch eine gedachte Diagonale getrennt), in denen jeder Punkt zu sich selbst und zu allen anderen in der Relation steht. MaW, innerhalb dieser Teilbereiche—aber nicht im gesamten Bereich—ist R universal. 43 Winterlogik 2016-17 / fol. 723 Die Vollständigkeit von S5 • Eine Relation, die reflexiv, transitiv und symmetrisch ist, nennen wir eine Äquivalenzrelation. (Die Gleichheit ist eine typische Äquivalenzrelation.) • Eine Äquivalenzrelation teilt einen Bereich in eine oder mehrere Äquivalenzklassen, in denen alle Punkte in der Relation zueinander stehen. (Im Bild 4 gibt es zwei solche Klassen.) • Wenn R eine Äquivalenzrelation ist, dann generiert jeder Punkt in W seine eigene natürliche Äquivalenzklasse unter R so: [a]R := {b ∈ W : Rab}. Da nun ◦ S5 = K + T + 4 + 5 und ◦ die Axiome T, 4 und 5 jeweils mit den R-Eigenschaften der Reflexivität, Transitivität bzw. Symmetrie korrespondieren (siehe Satz 6), so ist das System S5 also korrekt und vollständig für alle Modelle (W, R, v) in denen R eine Äquivalenzrelation ist: |= A in diesen Modellen gdw ` A in S5. 44 Winterlogik 2016-17 / fol. 724 Die Vollständigkeit von S5 Dieses Resultat beendet noch nicht unsere Suche nach der Logik logischer Notwendigkeit. Denn in den Modellen, in denen R eine Äquivalenzrelation ist, ist an einem Punkt a wahr, wenn A in an allen Punkten in der Äquivalenzklasse risch(1)4:2A refl.&trans.&sym. [a]R wahr ist. Um 2 als logische Notwendigkeit zu interpretieren brauchen wir aber diese Bedingung: W Wa a a allen Punkten des Modells wahr ist, d.h. (2) 2A wahr am Punkt a,Rwenn AMan M ist gd R jede mögliche Verteilung von Wahrheitswerten über die Atome A wahr macht. a a Daß (2) nicht aus (1) folgt, sieht man anhand dieses kleinen Modells: Es bestehe aus zwei reflexiven undteilmodell.pdf ansonsten isolierten Punkten, a und b. R ist in dem Modell trivialerweise symmetrisch und transitiv. Sei a |= P und b 6|= P . Dann a |= 2P nach Bedingung (1), jedoch nicht nach (2). a P b ∀x : Rab ⇒ x |= P , jedoch nicht ∀x : x |= P . gegenmodell.pdf 45 Winterlogik 2016-17 / fol. 725 Die Vollständigkeit von S5 Wenn S5 die Logik logischer Notwendigkeit sein soll, dann hätten wir gern dieses Resultat: Satz 8. Das System S5 ist korrekt und vollständig für alle Modelle (W, R, v) in denen R universal ist. Es stellt sich heraus, daß der Satz gilt – unbeschadet der gerade angestellten Überlegung über die Verschiedenheit von Modellen mit universaler und mit Äquivalenzrelation. Der Nachweis der Korrektheit ist trivial: Wenn wir A in einem Modell verifizieren können unter der Annahme, daß R eine Äquivalenz ist, dann gelingt das sicher auch unter der stärkeren Annahme, daß R universal ist. Für den Nachweis der Vollständigkeit machen wir einen letzten kleinen Umweg. 46 Winterlogik 2016-17 / fol. 726 Die Vollständigkeit von S5 Teilmodelle ◦ Gegeben sei ein Modell (W, R, v). ◦ Wir greifen einen Punkt a ∈ W heraus und fragen ob der Punkt eine bestimmte Formel A erfüllt. ◦ Wenn A Kisten enthält, dann wird uns die Relation R an weitere Punkte verweisen. ◦ Für die Beurteilung von A am Punkt a sind aber letztlich nur Punkte relevant, die zu a in der R-Relation stehen. • Ein aus einem Punkt erzeugtes Teilmodell enthält nur die i.d.S. relevanten Punkte des Ausgangsmodells. ◦ Auch wenn die Relation R nicht transitiv sein sollte, ist das Verweisen per R doch eine transitive Relation. Um alle relevanten Punkten zu treffen, erzeugen wir das Teilmodell deshalb (falls nötig) mit dem transitiven Abschluß R+ von R: R+ ab gdw ∃n ≥ 0 : ∃x0 ...xn ∈ W mit x0 = a und xn = b und ∀i < n : Rxi xi+1 ; also etwa so: R+ ab gdw Rax1 , Rx1 x2 , . . . , Rxn−1 b. 47 Winterlogik 2016-17 / fol. 727 Die Vollständigkeit von S5 Definition. Gegeben ein Modell M = (W, R, v) mit a ∈ W , ist M a = (W a , Ra , v a ) das aus a erzeugte Teilmodell von M , wobei itiv W a = {a} ∪ {b ∈ W : R+ ab}; 3: symmetrisch Ra = R ∩ (W a 4: × refl.&trans.&sym. W a ), d.h. Ra bc gdw Rab und a, b ∈ W a ; ∀b ∈ W a : v a (P, b) = 1 gdw v(P, b) = 1. zugang.pdf Wa W M Ra R a b Ma a teilmodell.pdf Lemma 9. (Teilmodelle) Für jeden Punkt b ∈ W a eines Teilmodells M a von M = (W, R, v) gilt (für beliebige Formeln A): logische b |= A in M a gdw b |= A in M. Beweis. Induktion über den Aufbau von A. (Wir schreiben kurz b |=a A für “b |= A in M a ”.) Fall A ∈ ATM ist gegeben durch die Definition. 48 Winterlogik 2016-17 / fol. 728 Die Vollständigkeit von S5 Fälle A = ¬B und A = B → C. Hier finden keine Verweise per R bzw. Ra statt. Fall A = 2B, d.h. b |=a 2B ⇔ b |= 2B. (⇒) Wir 1 2 1 1 1,2 1,2 1,2 1,2 nehmen an b |=a 2B; zz b |= 2B, (1) b |=a 2B (2) Rbc (3) b ∈ W a (4) ∀x ∈ W a : Ra bx ⇒ x |=a B (5) c ∈ W a (6) Ra bc (7) c |=a B (8) c |= B d.h. wenn Rbc, dann c |= B (c beliebig). Annahme Annahme /zz c |= B 1 1 2,3 Def W a 3,5 Def Ra 4,6 7 Induktionsannahme (⇐) 1 2 1 2 1,2 1,2 (1) (2) (3) (4) (5) (6) b |= 2B Ra bc ∀x ∈ W : Rbx ⇒ x |= B Rbc c |= B c |=a B Annahme Annahme /zz c |=a B 1 2 Def Ra 3,4 5 Induktionsannahme 49 Winterlogik 2016-17 / fol. 729 Die Vollständigkeit von S5 Zurück zu S5 Wie hilft uns nun die Erzeugung von Teilmodellen aus einem Punkt weiter beim Beweis der Behauptung, daß S5 vollständig für alle universalen Modelle sei (Satz 8)? Recht einfach: · Wir wissen, daß jedes Nicht-Theorem von S5 an einem Punkt im kanonischen Modell für S5 falsch wird. · Aus diesem Punkt erzeugen wir ein Teilmodell des kanonischen Modells und stellen fest, daß die Zugangsrelation in diesem Teilmodell universal ist. · Also läßt sich jedes Nicht-Theorem in einem universalen Modell widerlegen. Im Detail geht das so ... 50 Winterlogik 2016-17 / fol. 730 Die Vollständigkeit von S5 Angenommen A sei in S5 nicht ableitbar. (Zz: es gibt ein universales Modell, welche A nicht erfüllt.) Dann gibt es ein Modell M = (W, R, v)—das kanonische S5-Modell—mit · R einer Äquivalenzrelation und · einem Punkt a ∈ W so, daß a 6|= A. Wir betrachten nun das Teilmodell M a von M . · a ∈ M a und · a 6|=a A (nach dem Teilmodell-Lemma 9). Ferner haben wir W a = {a} ∪ {b ∈ W : R+ ab} nach Def W a = {b ∈ W : R+ ab} da R reflexiv = {b ∈ W : Rab} da R transitiv = [a]R da R eine Äquivalenz Also ist Ra = R ∩ [a]2R universal. MaW, M a = ([a]R , Ra , v a ) ist das gesuchte universale Modell, welches das Nicht-Theorem A von S5 widerlegt. 51 Winterlogik 2016-17 / fol. 731 Zusammenfassung und Interpretation des Resultats Zusammenfassung und Interpretation des Resultats Eine leitende Idee all unserer Überlegungen in dieser Einführung in die Logik war diese: Logisch notwendig (“logisch gültig”, wie wir früher auch gesagt haben) ist ein Satz, wenn er wahr ist, gleichgültig, wie wir seine nichtlogischen Komponenten interpretieren. • Die logischen Komponenten eines Satzes, sind diejenigen, deren Bedeutung wir konstant halten, indem wir sie in jedem Modell auf dieselbe Weise interpretieren. · In der Aussagenlogik: die Wahrheitsfunktionen. (In der Modallogik kommt die Kiste, 2, noch hinzu.) • Die ultimativen nichtlogischen Komponenten sind die Atome. Deren Bedeutung wird variiert. · Variation der Bedeutung bedeutet hier: Variation des Wahrheitswertes. · Die Wahrheitswerte der Atomen variieren wir, indem wir verschiedene Abbildungen v : ATM −→ {0, 1} betrachten. 52 Winterlogik 2016-17 / fol. 732 Zusammenfassung und Interpretation des Resultats • Wenn W die Menge aller solcher Variationen ist (“Punkte”, “Möglichkeiten”), dann ist ein Satz logisch notwendig, wenn er überall in W wahr wird. • Den Ausdruck “logisch notwendig” (kurz: 2) nehmen wir jetzt mit dieser konstanten Bedeutung in unsere aussagenlogische Sprache auf und fragen: • Was ist eine richtige und vollständige Theorie logischer Notwendigkeit? • Antwort: S5. Auf dem Weg zu dieser Antwort haben wir einige wichtige Techniken und Resultate der Modallogik kennengelernt: ◦ Relationale Modelle (auch Kripke-Modelle genannt). ◦ Das grundlegende Vollständigkeitstheorem für normale Modallogiken. ◦ Korrespondenzen zwischen Axiomen/Regeln und Eigenschaft der Zugangsrelation. ◦ Die Erzeugung von Teilmodellen. 53 Winterlogik 2016-17 / fol. 733 Goethe-Universität Frankfurt am Main Institut für Philosophie Logik im Winter 2013-14 Modallogik als Epistemische Logik André Fuhrmann 16epistemLogik 140204.1137 Winterlogik 2016-17 / fol. 734 Maxens Überzeugungen Maxens Überzeugungen In VL 14 (Beweisbarkeit) haben wir informell den Operator 2 so interpretiert, daß er eine epistemische Einstellung (einer Person, Max) ausdrücken soll: 2A : Max glaubt, daß A. Wir haben es seinerzeit bei dieser informellen Interpretation belassen. Jetzt wollen wir überlegen, wie wir solche epistemischen Einstellungen in KripkeModellen der Modallogik, (W, R, v), wiedergeben können. 2 Winterlogik 2016-17 / fol. 735 Maxens Überzeugungen • Jeder Punkt in W stellt eine Art und Weise dar, wie es sich in der Welt verhalten könnte.—Die Punkte in W sind maximal spezifizierte Möglichkeiten oder mögliche Welten. • Max stellt sich die Frage: “Was ist der Fall? Welche mögliche Welt ist die meine? Wo bin ich?”. Zwei Extreme: · Glaubt er lediglich, er sei irgendwo in W , dann hat er gar keine Überzeugungen—außer logischen, die überall wahr sind. · Glaubt er, er sei an genau einem bestimmten Punkt in W , dann hat er auf jede Frage eine Antwort bereit. • Wenn Max A glaubt, dann scheiden mit A unverträgliche Möglichkeiten für Max aus: “Ich bin irgendwo, wo A der Fall ist.” • Der Überzeugungszustand von Max kann also durch die Menge derjenigen Möglichkeiten charakterisiert werden, die aus Maxens Sicht (Relation R!) in Frage kommen. 3 Winterlogik 2016-17 / fol. 736 Maxens Überzeugungen • Der Überzeugungszustand von Max hängt auch davon ab, in welcher Welt wir seine Überzeugungen interpretieren: · Glaubt Max hier, er schmecke Wasser, dann scheidet die Möglichkeit, er trinke XY Z aus. Glaubt Max (oder sein Zwilling) dort (vgl. letzte Vorlesung), er schmecke Wasser, dann scheidet die Möglichkeit, er trinke H2 O aus. (“Bedeutungen sind nicht im Kopf”, sagt Hilary Putnam.1 ) • In einem Modell (W, R, v) können wir Maxens Überzeugungen in einer möglichen Welt a also durch die Menge der von a aus für Max zulässigen Möglichkeiten darstellen: Maxens Überzeugungen in a: alle Punkte in W so, daß Rab. 1 Das ist Putnams berühmtes Zwillingserden-Szenario aus The meaning of ‘meaning’, in ders., Mind, Language and Reality. Philosophical Papers Vol. 2, Cambridge (Univ. Press), 1975. 4 Winterlogik 2016-17 / fol. 737 Maxens Überzeugungen Max und Helga spielen Karten Helga zieht eine Karte k vom Stock. Im folgenden machen wir einige Annahmen darüber, was Max über k glaubt und schauen uns an, wie sich diese Annahmen auf Maxens Frage “Wo bin ich” im Modell auswirkt. 5 Winterlogik 2016-17 / fol. 738 Maxens Überzeugungen Helga hat eine Karte gezogen Pik Herz Karo Kreuz Roter Bereich: Möglichkeiten, die ausscheiden 6 Winterlogik 2016-17 / fol. 739 Maxens Überzeugungen Ein Joker ist es nicht Pik Herz Karo Kreuz Roter Bereich: Möglichkeiten, die ausscheiden 7 Winterlogik 2016-17 / fol. 740 Maxens Überzeugungen Herz ist es auch nicht Pik Herz Karo Kreuz Roter Bereich: Möglichkeiten, die ausscheiden 8 Winterlogik 2016-17 / fol. 741 Maxens Überzeugungen Es ist auch keine schwarze Karte Pik Herz Karo Kreuz Roter Bereich: Möglichkeiten, die ausscheiden 9 Winterlogik 2016-17 / fol. 742 Maxens Überzeugungen Ich bin in einer Welt, in der Helga gerade ein Karo gezogen hat Karo Roter Bereich: Möglichkeiten, die ausscheiden 10 Winterlogik 2016-17 / fol. 743 Maxens Überzeugungen Epistemische Logik Gehen wir von unserer Welt, h, aus, dann können wir sagen: • Max glaubt (in h), daß Helga Karo gezogen hat ⇔ Helga hat in allen Welten Karo gezogen, die Max in h für möglich hält. Etwas allgemeiner (für beliebige Welten a und beliebige Aussagen A) und in der Terminologie der Kripke-Modelle: (2) a |= 2A gdw für alle b ∈ W : wenn Rab, dann b |= A. (Wenn [a]R := {b ∈ W : Rab} die Menge der Welten ist, die Max in a für möglich hält und [A] := {a ∈ W : a |= A} die Menge der Welten ist, in denen A der Fall ist, dann können wir das auch noch kürzer so aufschreiben: a |= 2A gdw [a]R ⊆ [A].) Nun haben wir gesehen, daß wenn wir in Kripke-Modellen einen Operator wie in Bedingung (2) interpretieren und sonst nichts weiter über die Relation R annehmen, dann beschreibt das Basissystem K die Logik dieses Operators. Das heißt, die Logik des Glaubens können wir in diesem Falle so axiomatisieren: 11 Winterlogik 2016-17 / fol. 744 Maxens Überzeugungen τ Jede Tautologie K 2(A → B) → (2A → 2B) RN MP A 2A A A→B B • Das Axiomenschema K drückt nun aus, daß Überzeugungen unter Modus Ponens abgeschlossen sind. Schön wär’s, wenn wir alle immer auch die logischen Konsequenzen unserer Überzeugungen anerkennen würden! Allein, es ist nicht so. Aber es sollte so sein! Die Logik K gibt also Überzeugungen in dem Sinne wieder, in dem wir uns um sie bemühen sollten. • Auch die Regel RN spiegelt keinen Realzustand wieder. Niemand ist sich aller logischen Wahrheiten (inklusive solcher über den Begriff der Überzeugung) bewußt. Es kostet Mühe sich von der einen oder anderen zu überzeugen. Die Logik K fordert sozusagen, daß Sie sich dieser Mühe unterziehen. 12 Winterlogik 2016-17 / fol. 745 Maxens Überzeugungen • Die Logik K gibt also keinen realistischen —und damit in vielerlei Hinsicht defizitären—Begriff tatsächlicher Überzeugungen wieder. Sie beschreibt, zu welchen Überzeugungen eine Person qua Logik vernünftig verpflichtet ist. Wie steht es um weitere Postulate? Z.B. 4. 2A → 22A — Wenn Max etwas glaubt, dann glaubt er, daß er es glaubt. (R ist in diesem Fall transitiv.) 4c. 22A → 2A — Max glaubt nur, daß er etwas glaubt, wenn er es tatsächlich glaubt. (R ist interpolierbar: Wenn Rab, dann gibt es ein x mit Rax und Rxb.) D. 2A → 3A — Wenn Max etwas glaubt, dann schließt er es nicht aus. (R ist seriell: Von jeder Welt aus erschließen sich Möglichkeiten; ∀a∃b : Rab) 5. A → 23A — Von Tatsachen glaubt Max, daß er sie nicht ausschließt. (R ist symmetrisch.) T. 2A → A — Max glaubt nur Tatsachen. (R ist reflexiv.) 13 Winterlogik 2016-17 / fol. 746 Maxens Überzeugungen Die letzten beiden Postulate verlangen sicher zuviel von Überzeugungen. • Ad 5, A → 23A: Angenommen Max glaubt fälschlich, daß Helga Pik gezogen hat. Also 2♠ und ¬♠. Dann gilt nach 5 23¬♠, also 2¬2♠. Jetzt sollte Max nicht glauben, was er glaubt, d.h. 22♠, denn dann hätte er inkonsistente Überzeugungen. Anders gesagt: Das plausiblere Axiom 4, 2A → 22A, und die Annahme, daß Überzeugungen falsch sein können, lassen sich in der Gegenwart von 5 nicht konsistent kombinieren. • Ad T, 2A → A: Das würde nur gelten, wenn Max unfehlbar wäre, d.h. wenn er nur Wahres glauben würde. Selbst für die Überzeugungen eines logisch perfekten Wesens ist das offenbar keine zutreffende Bedingung. Aber für den Begriff des Wissens schon! Denn kann nichts wissen, was nicht wahr ist. Also haben wir mit KT = K + T den Anfang einer Logik des Wissens. 14 Winterlogik 2016-17 / fol. 747 Die bemalten Kinder Die bemalten Kinder Interessant wird es in der epistemischen Logik eigentlich erst, wenn wir verschiedene Modaloperatoren zusammenspielen lassen. Zum Beispiel können wir das Wissen verschiedener Personen so zusammenbringen, daß sich genuin neues Wissen ergibt. Hier ist ein berühmtes Beispiel. 15 Winterlogik 2016-17 / fol. 748 Die bemalten Kinder • Eine Mutter hat zwei Kinder, a und b. • Beide waren in der Fasnachtsgruppe, erinnern sich aber nicht mehr, ob sie bemalt wurden. Die beiden können sich gegenseitig, nicht aber jeweils sich selbst sehen. • Die Mutter sagt: “Mindestens einer von Euch ist bemalt.” • (1. Runde) Die Mutter fragt: “Weiß jemand, ob er bemalt ist?” — Keine Antwort. • (2. Runde) Die Mutter fragt noch einmal: “Weiß jemand, ob er bemalt ist?”— Beide antworten (richtig) “Ich bin bemalt!” 16 Winterlogik 2016-17 / fol. 749 Die bemalten Kinder Was geht hier vor? Die Kinder kommen zu ihren richtigen Antworten nur aufgrund von logischem Schließen aus den Annahmen, die nach der ersten Runde vorliegen. • Wie machen sie das? · Was sind hier die wesentlichen Informationen und · wieviel epistemische Logik braucht man für die richtige Antwort? 17 Winterlogik 2016-17 / fol. 750 Die bemalten Kinder Seien [a] und [b] die Wissensoperatoren für Kind a bzw. b. Die Formeln A und B sollen ausdrücken, daß a bzw. b schmutzig ist. Zu Beginn des Szenarios wissen beide, daß A ∨ B; also [a](A ∨ B) und [b](A ∨ B). Ferner wissen beide, daß der jeweils andere das weiß; also I. [a][b](A ∨ B) und [b][a](A ∨ B). Auch kann jeder sehen, ob der jeweils andere bemalt ist, und jeder weiß, daß der jeweils andere das sehen kann. Also weiß zB a, daß b weiß ob a bemalt ist oder nicht: II. [a]([b]A ∨ [b]¬A). Da die erste Frage ohne Antwort bleibt, wissen beide nach der ersten Runde, daß der jeweils andere von sich nicht weiß, ob er bemalt ist; also im Falle von a: III. [a]¬[b]B. 18 Winterlogik 2016-17 / fol. 751 Die bemalten Kinder Wie kommt nun a zur richtigen Antwort in der zweiten Runde? Wie können wir aus den Annahmen I-III diese Formel ableiten: (∗) [a]A ? Antwort: Dazu reicht es für beide Operatoren [a] und [b] die Basislogik K um das Schema T zu erweitern, d.h. die Ableitung von (∗) gelingt schon in der kleinsten Wissenslogik KT.2 2 Ableitung nach Melvin Fitting, “Basic Modal Logic”, in Handbook of Logic in Artificial Intelligence and Logic Programming, Vol. 1, ed. Gabbay et al., Oxford (Univ. Press), 1993; pp. 336-448, hier p. 372. 19 Winterlogik 2016-17 / fol. 752 Die bemalten Kinder I I I I III I,III II II I,II,III I,II,III (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11) (12) (13) (14) (15) (16) (17) (18) [b](¬A → B) → ([b]¬A → [b]B) [a][b](¬A → B) → [a]([b]¬A → [b]B) [a][b](¬A → B) [a]([b]¬A → [b]B) ([b]¬A → [b]B) → (¬[b]B → ¬[b]¬A) [a]([b]¬A → [b]B) → [a](¬[b]B → ¬[b]¬A) [a](¬[b]B → ¬[b]¬A) [a](¬[b]B → ¬[b]¬A) → ([a]¬[b]B → [a]¬[b]¬A) [a]¬[b]B → [a]¬[b]¬A [a]¬[b]B [a]¬[b]¬A [a](¬[b]¬A → [b]A) [a](¬[b]¬A → [b]A) → ([a]¬[b]¬A → [a][b]A) [a]¬[b]¬A → [a][b]A [a][b]A [b]A → A [a][b]A → [a]A [a]A K 1 RM (= K+RN) Annahme I 3, K etc τ 5 RM 4,6 MP K 7,8 MP Annahme III 9,10 MP Annahme II K 12,13 MP 11,14 MP T 16 RM 15,17 MP 20 Winterlogik 2016-17 / fol. 753 Wissen und Verifizieren Wissen und Verifizieren Um das Problem der bemalten Kinder darzustellen und zu lösen, brauchten wir zwei modale Operatoren: jeweils eine Wissensmodalität für jedes Kind. Logiken mit mehr als einem modalen Operator, in denen sich die Operatoren nicht aufeinander reduzieren lassen (zB sind ja 2 und 3 gegenseitig definierbar), heißen multimodale Systeme. 21 Winterlogik 2016-17 / fol. 754 Wissen und Verifizieren Modelle multimodaler Systeme Um multimodale Systeme zu modellieren müssen die Kripke-Modelle entsprechend “aufgerüstet” werden. • Zu jeder Modalität in der zu interpretierenden Sprache gibt es nun in den Modellen eine Zugänglichkeitstrelation R mit den Eigenschaften, die den axiomatisch festgelegten Eigenschaften der Modalität entsprechen. • Wollen wir zB Glauben und Wissen zugleich behandeln, dann brauchen wir für das Glauben eine Relation die nicht allgemein reflexiv und für das Wissen eine, die durchgehend reflexiv ist. • Interaktion Wollen wir Glauben und Wissen nicht unverbunden nebeneinander stehen lassen— was sicher witzlos wäre, dann wollen wir vermutlich folgendes Axiom haben: · [W ]A → [G]A — Was gewußt wird, muß geglaubt werden. Das erfordert aber auf der Ebene der Modelle, daß die Relation Rw , die für das Wissen zuständig ist, in einer systematischen Beziehung zur Relation Rg , die für das Glauben zuständig ist, stehen muß. (Finden Sie heraus, in welcher!) 22 Winterlogik 2016-17 / fol. 755 Wissen und Verifizieren Wissen, Wahrheit und Notwendigkeit Manchmal ist Interaktion zwischen Modalitäten gar nicht wünschenswert. D.h. manche Interaktionen sind bei Strafe eines Widerspruchs ausgeschlossen. Hier sind zwei Thesen, die sich zeitweise beinahe universalen Zuspruchs unter Philosophen erfreuten und noch heute viele Sympathisanten haben: • Wahrheit ist Verifizierbarkeit (im weitesten Sinne). Eine Aussage ist gd wahr, wenn sie sich im Prinzip als wahr erweisen läßt. Läßt sich von einer Aussage nicht angeben, wie man sie selbst bei idealer Evidenzlage als wahr erweisen kann, dann ist sie sinnlos. (So etwa Rudolf Carnap.) • Wahrheit ist eine wesentlich von Menschen vergebene Eigenschaft. Es ist diejenige Eigenschaft, die auf einen Sachverhalt zutrifft, wenn wir wissen, daß er der Fall ist. Wenn wir vermuten, daß etwas wahr ist, dann vermuten wir, daß wir davon Wissen erlangen können. Die Rede von Wahrheit in einer Welt, in der es kein Wissen geben kann, ist sinnlos. (So etwas William James.) Die zweite These tritt etwas bescheidener auf, als die erste. Beide stimmen in folgendem überein: 23 Winterlogik 2016-17 / fol. 756 Wissen und Verifizieren • Es gibt keine wahren Sachverhalte, die im Prinzip nicht gewußt werden können. In dem Prinzipe werden zwei Modalitäten kombiniert: eine epistemische (“gewußt”) und eine alethische (“können”). Geben wir die eine mit [W ] und die andere mit 3 wieder, dann wird folgendes behauptet: (W ) A → 3[W ]A Alle Wahrheiten können (3) gewußt ([W ]) werden. Die in (W) geforderte Interaktion von Wahrheit, Wissen und Möglichkeit (in einem mehr oder weniger weiten Sinne) charakterisiert eine ganze philosophische Tradition zum Begriff der Wahrheit. 24 Winterlogik 2016-17 / fol. 757 Wissen und Verifizieren Fitch’ Paradox Ein Argument, daß in der gegenwärtigen Philosophie heiß diskutiert wird, zeigt, daß das Wissbarkeitsprinzip (W ) A → 3[W ]A es sich zu einfach macht. Damit wird, wie gesagt, durch einen Beweis von wenigen Zeilen eine gewichtige philosophische Tradition in Frage gestellt. Sei P eine Wissenslücke, also eine Aussage, von der wir annehmen, daß sie Wahr aber nicht gewußt wird: L P ∧ ¬[W ]P. Niemand bestreitet, daß es solche Lücken gibt; (W) bestreitet nur, daß die Lücke nicht geschlossen werden kann. Wir zeigen, daß (W) unhaltbar ist. 25 Winterlogik 2016-17 / fol. 758 Wissen und Verifizieren Erster Schritt: 1 (1) W (2) 1,W (3) Es ist möglich, von solchen Lücken, L = (P ∧ ¬[W ]P ), zu wissen. L Annahme L → 3[W ]L (W) 3[W ]L 1,2 Modus Ponens Zweiter Schritt: Es ist unmöglich, von solchen Lücken zu wissen. 1 (1) [W ]L Annahme für reductio 1 (2) [W ](P ∧ ¬[W ]P ) 1 Def L 1 (3) [W ]P ∧ [W ]¬[W ]P 2, M für [W ], Mod. Pon. 1 (4) [W ]P ∧ ¬[W ]P 3,T für [W ], Modus Ponens (5) ¬[W ]L 1,4 reductio (6) 2¬[W ]L 5 RN für 2 (7) ¬3[W ]L 6 Def 3 Beide Schritte zusammengenommen ergeben einen Widerspruch. · Das Resultat des zweiten Schrittes beruht auf keinerlei (nichtlogischen) Annahmen; · das des ersten Schrittes nur auf der unproblematischen Annahme L (Lücken gibt’s) und dem Prinzip (W). 26 Winterlogik 2016-17 / fol. 759 Wissen und Verifizieren · Die logische Voraussetzungen sind minimal: System K für 2 und KT für [W ]. In Zeile 3 des zweiten Schritts haben wir das Schema M , [W ](A ∧ B) → [W ]A ∧ [W ]B, verwendet. Es ist in K ableitbar bzw. in allen Modellen für K wahr. (Letzte Übung: verifizieren Sie mindestens eine der beiden Behauptungen!) Also ist das Prinzip (W), alle Wahrheiten müssen gewußt werden können, unhaltbar. 27 Winterlogik 2016-17 / fol. 760