Erklärung für unerklärten Schmerz?

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Central sensitivity:
Erklärung für
unerklärten Schmerz?
Diagnostisch-Therapeutisches Seminar 12.06.08
Dr. med. N. Egloff
Kompetenzbereich für Psychosomatische Medizin
KAIM, C.L. Loryhaus, Inselspital Bern
Central sensitivity
Schmerzlupe
Herr M. F. 1959
• Ehemaliger Hochleistungssportler
• „Workoholic“
• 50% AUF
Anamnese:
Gliederschmerzen
Fatigue
St.n. diversen Sportunfällen
Herr M. F. 1959
• Körperstatus: Keine fassbare
anatomische Schmerzursache
• Zusatzuntersuchungen: keine
Hinweise für internistische,
rheumatologische oder
neurologische Pathologie
• Psychostatus: unauffällig
Befinden
Befund
übersehen?
Diskrepanz
Aggravation?
Psychosomatische
Störung?
Befund
Befinden
Cave: Kommunikation
Befund
„Ich habe den Eindruck, es liegt bei Ihnen ein
übersehen?
etwas komplizierteres Schmerzproblem vor,
welches sich nicht auf einen Befund
reduzieren
Psychosomatis
lässt. Ich denke, es würde sich lohnen,
diesen
che Störung?
Schmerztyp detaillierter zu explorieren“.
Aggravation?
Befund
Psychosomatische Störungen
1. Körperregulationsstörungen
1. 2.
Bsp. Stresskrankheiten
2. Körperperzeptionsstörungen
Bsp. Schmerzkrankheiten
Schmerzreaktionsmuster fMRI:
Fibromyalgiepatienten versus Gesunde
[Gracely R.H. 2002]
Ursachen verstärkter Schmerzwahrnehmung :
Zentral-zerebrale Hyperalgesie
Zentral-spinale Hyperalgesie
Periphere Hyperalgesie
Periphere Hyperalgesie
Axonreflex
Freisetzung von
Substanz P, CGRP
Reizung der
Nozizeptoren
Mastzelle
Inflammatory
Freisetzung von
Soup Interleukinen,Histamin etc
Zentral-spinale Hyperalgesie
normale Synapse
schmerzsensibilisierte Synapse
[Förstel H., Hautzinger M., Roth G., Springer 2006]
Zentral-zerebrale Hyperalgesie
Zentral-spinale Hyperalgesie
Periphere Hyperalgesie
Schmerzsensibilisierung des Cortex
Gesunde
Patienten mit chronischen Rückenschmerzen
[Flor H. et al 1997]
lges
a
r
e
p
Hy
e
l
a
r
t
Zen
ie
1. somatische
Schmerzvorerfahrung
(priming)
2. Kindheitsbelastungen
(pain proneness)
Psych. und phys. Gewalterfahrung
Vernachlässigung
Missbrauch, Übergriffe
Dauerkonfliktsituationen
Tod, Krankheit eines Familienmitgliedes
[ Engel G.L. 1959, Felliti VJ 1998, Davis DA 2005, Sachs-Ericsson N 2007 etc.]
= beides neuroplastische
Prägungsvorgänge!
Bei Schmerzerleben involvierte Hirnfunktionen
Körperperzeption
Kognition
Emotion
Gedächtnis
Körperregulation
Repräsentanzen/Prägungen
Repräsentanzen/Prägungen
Emotion
Somatosensorik
z.B. Schmerz
Stressregulation
Repräsentanzen/Prägungen beim
misshandelten Kind
Emotion
Somatosensorik
z.B. Schmerz
Stressregulation
Bsp.: Prägung psychoendokriner Funktionalität
30 Min spielen mit Mutter,
resp. Adoptivmutter
1.Lebensjahr in Kinderheim
Bei Eltern aufgewachsen
= unsichere Bindungserfahrung
= sichere Bindungserfahrung
Oxytozin
[Fries A.B. et al 2005]
Bsp.: Frühkindliche Prägung zerebraler Schmerzsensibilität
Schmerzverhalten im Schulalter
mit
Intensivpflegeerfahrung
in der ersten Lebenswochen
ohne
Intensivpflegeerfahrung
in der ersten Lebenswochen
[Hermann C et al, Pain 2006; Hohmeister J et al , Eur J Pain 2008]
Bsp.: Epigenetische Prägung zerebraler Stressregulation
nachlässiges
Muttertier
Antistressgen im Jungtier
blockiert
fürsorgliches
Muttertier
Antistressgen im Jungtier
transkribiert
[Meany M..et al 2005]
Bsp.: zerebrale Stressregulation bei Schmerzpatienten
Stressreaktion eines
Patienten
mit somatoformer
Schmerzstörung
Stressreaktion eines
Gesunden
[Egle UT et al 2007]
Kindliche Synapsenentwicklung:
Vermehrung und Selektionierung gemäss Reizmillieu
5
4
3
2
„Prägungsfenster“
„tuning periods“
1
0
1
2
3
Alter in Jahren
lges
a
r
e
p
Hy
e
l
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r
t
Zen
ie
1. somatische
Schmerzanamnese
(priming)
2. Kindheitsbelastungen
(pain proneness)
3. Stressbelastungen
(action proneness)
eigenständiger Risikofaktor! „Überaktiver
Lebensstil“, physische Höchstleistungen
(z.B. Sport), berufliche Verausgabung,
Nicht-Neinsagen-Können, Perfektionismus.
Chronischer psychosozialer Stress, z.B. i.R.
schwieriger Migrationsumstände, familiärer
Dauerkonflikte , Caregiversituationen etc.
Risikofaktor „action – proneness“
[Houdenhove B. et al]
1986: action – proneness … is there a link…
2000: Psychosocial stress and chronic pain
2001: Premorbid „overactive lifestyle“ in chronic fatigue
syndrome and fibromyalgia
2005: The role of life stress in fibromyalgia
2006: Stress, depression and fibromyalgia
Bsp. Interaktion Stress- Schmerzphysiologie
CRH
Unter Stress:
Hemmung der deszendierenden
antinozizeptiven Bahnen in den
Raphé-Kernen durch CRH
Anstieg von Substanz P im Liquor bei
chronischen Stress
Raphékerne
[Schedlowski M. 1996, Kirby LG 2000, Milan MJ 2002, Dadabhoy D 2006]
Psychobiographische
Prägung
Genetische
Vulnerabilität
Kindheitsprägung
Pain prone
Stress
Action prone
Zentral-zerebrale Schmerz- Sensibilisierung
Spinale Sensibilisierung
Somatosensorisches
Priming
Periphere Sensibilisierung
Psychobiographische
Prägung
Genetische
Vulnerabilität
Kindheitsprägung
Pain prone
Stress
Action prone
Traumat
isierung
Zentral-zerebrale Schmerz- Sensibilisierung
Spinale Sensibilisierung
Somatosensorisches
Priming
Periphere Sensibilisierung
„Central Sensitivity Syndromes“
= Krankheiten bei denen Schmerzsensibilisierungsvorgänge
(„Reizamplifizierung“) eine entscheidende Rolle spielen:
- chronifizierte, primär somatogene Schmerzkrankheiten
- chronische, primär somatoforme Schmerzstörungen
- Funktionelle somatische Syndrome
„Central Sensitivity Syndromes“
Klassisch 2 Komponenten:
lokale Vorgeschichte/Trigger + ZNS-Schmerzdisposition!
Funktionelle Somatische Syndrome:
HNO:
Burning mouth, Tinnitus, Globus-Syndrom
Gastroenterologie: Funktionelle Dyspepsie, Reizdarmsyndrom
Neurologie:
Chronische Spannungskopfschmerzen,
Atypischer Gesichtsschmerz
Rheumatologie:
Fibromyalgie
Urologie:
Chronic Pelvic Pain Syndrome, Interst. Zystitis
Gynäkologie:
Perimenstruelles Syndrom
Infektiologie:
(Postvirale) Chronic Fatigue Syndrome
Allergologie:
Multiple Chemical Sensitivity Syndrome
Chirurgie:
Failed (back) Surgery Syndrome
[Wessely S. 1999, Yunus M.B. 2007]
Hinweise für zentralisierte Schmerzstörungen
Anamnese: disponierende somatische Vorgeschichte? Pain prone, action prone,
Traumatisierung? subj.: Schweregefühl, Brennen, Taubheitsgefühl, VAS 7-10!
Hohe Komorbiditätsraten bezüglich weiteren „Central Sensitivity Syndromes“= Overlapping disorders!
Status: häufig Myogelosen, subtile hyposensible nicht-dermatomale Areale bezügl. Berührungsempfindung
Schmerzmodulierbarkeit: Tagesformabhängigkeit, Schmerzverstärkung bei
Erwartungsdruck, „Konzentrieren müssen“ und fight-flight-Affekten.
„Büssen müssen“ nach körperlicher Anstrengung. Kein wesentliches Ansprechen auf
konventionelle Analgetika, Wärmeapplikation/Bad wird meist geschätzt
Reizamplifizierung: Allodynie/Hyperalgesie z.B. bei Klämmerliversuch, Phono-,
Photophobie, „Ermüdungsschmerzen“ bei normalem Muskelhaltetonus, daher häufig „Position wechseln
müssen“. Prolongierte Beschwerden nach Belastung, langsame Erholung nach Stress.
Veg. Begleitsymptome: Verdauungsbeschwerden, Spannungskopfschmerzen,
Nackenschmerzen, Schwitzen, kalte Akren, Mundtrockenheit, Globusgefühl
Psychofunktionelle/neuropsychische Begleitsymtome: Schlafstörungen,
gesteigerte Reizbarkeit, Erschöpfungsgefühl, Konzentrationsstörungen,
Kurzzeitgedächtnisstörungen, weitere depressionsassoziierte Symptome
Persönlichkeitsprofil: keine psychische Komorbidität/Problematik notwendig,
prämorbid vielfach weitgehend unauffällig, häufig „Überleister“, i.R. Schmerzkrankheit reaktive depressive
Entwicklung häufig, keine belle indifférence,
Therapie
Prävention!
STOP Priming: Suffiziente Analgetikatherapie bei akuten Schmerzen
STOP Pain prone: Unterstützung und Schutz von Risikofamilien
STOP Action prone: Erfassung von Risikoverhalten vor Dekompensation
Therapieansätze: multimodal…
Niveau 1: periphere Nozizeption
- Konventionelle Analgetika (Cave: Langzeit-NW)
- Muskelentspannende Massnahmen, Bad
- dosierte (!) Belastungen
Niveau 2: vegetative Dysbalance
- Analyse des individuellen Stressprofils, Stressabbau
- Training einer Relaxationsmethode
- Schlafhygienemassnahmen
Niveau 3: zentralnervöser somatosensorischer Input
- Einsatz von zentral schmerzmodulierenden Medikamenten wie TZK
oder SSRI, ev. Ketamin
- Wahrnehmungstherapie/Ablenkungsstrategien
Niveau 4: emotional-limbischer Schmerzanteil
- entlastende Gesprächstherapie
- Ressourcenmobilisation, Sinnfindung
- Lustvolle Physiotherapie (Musik, Spiel)
- Behandlung allfälliger psychiatrischer Komorbiditäten
Niveau 5: mental-kognitive Schmerzverstärkung
- Konstruktive Krankheitsaufklärung, Schmerzinfo-Schulung
- Abbau dysfunktionaler Kognitionen, z.B. Schonverhalten
- Planung und Durchführung eines individuellen Homeprogramms
Niveau 6: soziale Folgen
- Einbezug von Angehörigen, ev. Arbeitgeber
- Reaktivierung von Sozialfunktionen
- Früher Beizug von Sozialarbeitern und Versicherungsträgern
Central sensitivity
Schmerzlupe
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