Politische Parteien als fragmentierte Organisationen im

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Politische Parteien als fragmentierte
Organisationen im Wandel: Eine Einführung
Uwe Jun
1. Einleitung: Parteienverständnis
Da dieser Band die unterschiedlichsten Facetten der Organisationsstrukturen
politischer Parteien zum zentralen Gegenstand hat, ist der hier verwendete
Parteienbegriff zunächst eindeutig zu bestimmen.1 Dies ist umso mehr erforderlich, als in der Politikwissenschaft unterschiedliche Parteienbegriffe existieren, die von differenten Sichtweisen über Demokratie, Staat, Repräsentation, Konflikt und Konsens oder Legitimität von politischer Herrschaft herrühren (siehe die unterschiedlichen Definitionen bei Katz 2008: 293-297). In
jüngerer Zeit ist es gelungen durch Reduktion auf zentrale Merkmale den
Parteienbegriff zu vereinheitlichen, wie es etwa in der Definition von Ulrich
von Alemann (1995: 9) vorgenommen wird. Dieser charakterisiert politische
Parteien als „auf Dauer angelegte gesellschaftliche Organisationen, die Interessen ihrer Anhänger mobilisieren, artikulieren und bündeln und diese in politische Macht umsetzen suchen – durch Übernahme von Ämtern in Parlamenten und Regierungen“. Mit dem Hinweis auf die Verankerung in der Gesellschaft soll zum Ausdruck gebracht werden, dass politische Parteien nicht
primär staatliche Akteure sind, sondern als Vermittlungsagenturen neben anderen Organisationen wie Interessenverbänden, Massenmedien, Bürgerinitiativen, Kirchen oder sozialen Bewegungen zwischen Bürgern und dem staatlichen Bereich agieren und somit primär als gesellschaftliche Organisationen
zu verstehen sind. Von Interessenverbänden oder sozialen Bewegungen unterscheiden sich politische Parteien durch das Privileg, den institutionellen
Kontext selbst bestimmen und damit auf die Handlungsmöglichkeiten eigener
und anderer nach politischer Macht strebender Gruppen oder Organisationen
einwirken zu können, das heißt nur politische Parteien können als gesellschaftliche Organisationen direkt politische Macht ausüben. Diese resultiert
aus der Legitimation, die sie aus der Teilnahme an Wahlen gewinnen.
Die Begriffsdefinition von Alemanns soll für den Typus der westlichen
Demokratien etwas erweitert werden: Politische Parteien sind hier politische
1
Diese Abhandlung versteht sich insgesamt als eine grundlegende Einführung in allgemeine
Merkmale von Parteiorganisationen und soll den nachfolgenden Abhandlungen lediglich
einen Rahmen verleihen. Die Überlegungen gehen zurück auf Jun (2004: 58ff.) und sind
vollständig aktualisiert worden.
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Organisationen, die die Selektion und Rekrutierung des politischen Personals
vornehmen, Ziele und Programme zur Durchsetzung im politischen Willensbildungsprozess formulieren, Kommunikation zwischen den politischen Akteuren
auf der staatlichen Ebene und den Wählern herstellen, an der staatlichen und
gesellschaftlichen Meinungsbildung mitwirken und Entscheidungen im staatlichen Bereich möglichst zu steuern und zu koordinieren, zumindest aber zu beeinflussen versuchen. Gegenüber den Wählern suchen sie nach Unterstützung,
ihre Organisationsstruktur dient der Artikulation, Aggregation und Repräsentation von Interessen, Meinungen und Werten womit sie die Funktion der Systemintegration von Gruppen und Individuen erfüllen. Ziel von politischen Parteien ist es, im politischen Wettbewerb ein Machtfaktor zu sein, um auf politische Entscheidungen Einfluss ausüben zu können. Für ein politisches System
kommt ihnen auch die Aufgabe zu, Legitimität herzustellen und zu sichern.
Das jeweilige politische System bestimmt denn auch ihre Handlungsmöglichkeiten, wobei politische Parteien die Strukturen des politischen Systems mitbestimmen können. Der Wettbewerbsrahmen des Parteiensystems stellt in demokratischen Systemen den machtbegrenzenden und auch machtalternierenden
funktionalen Bezugspunkt des Handelns von politischen Parteien dar.
Auf der Basis dieses Parteienverständnisses sollen im Folgenden einführend die Grundstrukturen von Parteiorganisationen und die Möglichkeiten
des Wandels politischer Parteien skizziert werden. Weitergehende Forschungsansätze zu dieser Thematik behandelt Elmar Wiesendahl im zweiten
Beitrag dieses Bandes. An dieser Stelle soll lediglich zunächst ein Rahmen
für die unterschiedlichen Ansätze und Facetten der Organisationsforschung
zu Parteien, die in diesem Buch zu finden sind, aufgespannt werden.
2. Grundstrukturen von Parteiorganisationen
Politische Parteien gelten als spezifische Organisationsform, die sich von anderen Organisationen erkennbar unterscheiden. Als Organisationsstrukturen
gelten in der Forschung „Instrumente zur Steuerung des Verhaltens der Organisationsmitglieder“ (Kieser/Kubicek 1992: 10). Das Besondere an politischen Organisationen wie Parteien ist, dass sie Zusammenschlüsse von handelnden Personen sind, die politische Interessen verfolgen und die Durchsetzung von politischen Zielen anstreben. Politische Parteien bilden ein kollektives Denk- und Handlungssystem, welches das Handeln in der Organisation
zugleich ermöglicht und begrenzt. Als komplexe Organisation mit unterschiedlichen Handlungs- und Wirkungslogiken (siehe weiter unten) sind die
Interessen und Ziele einer Partei in ihrer Komplexität schwer eindeutig bestimmbar und selten homogen (Deeg/Weibler 2005). Diese Komplexität folgt
neben der Vielschichtigkeit des Wirkens einer Partei auf mehreren gesell-
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schaftlichen und staatlichen Ebenen und in differenten Institutionen sowie der
arbeitsteiligen Aufgabendifferenzierung wesentlich dem Aspekt der Freiwilligkeit. Die Mitgliedschaft beruht weder auf Zwang, noch nur auf berechnendem Engagement oder auf einer auf materiellen Belohnungen basierenden
Herrschaftsorganisation; vielmehr wird bei politischen Parteien – zumindest
in Demokratien – ein Mindestmaß an ideellen Beweggründen für das Eintreten und die Mitarbeit in Rechnung gestellt. Freiwillige Mitglieder lassen sich
nur begrenzt nach rationalen Effizienzkriterien, Leistungsmaßstäben oder
zweckrationalen Überlegungen steuern und in ihrem Handeln bestimmen.
Die organisatorische Struktur von politischen Parteien ist per se keineswegs gleichförmig, sondern abhängig von organisationsexternen und -internen
Faktoren (vgl. Ware 1996: 93ff.; Panebianco 1988: 163ff.). Organisationsexterne Faktoren sind etwa die rechtlichen Grundlagen für das Agieren von politischen Parteien, das Ausmaß und die Ausgestaltung demokratischer Beteiligungsrechte in einem politischen System, das Wahlrecht, die politische Kultur
eines Landes, die Struktur des Parteienwettbewerbs, die Finanzierung von politischen Organisationen, das Mediensystem mit seinen Auswirkungen auf die
Struktur politischer Vermittlung oder die Bedeutung von ideologischen Konfliktlinien. Als organisationsinterne Faktoren zu nennen sind die Größe der
Mitgliederzahl und deren Interessen, innerparteiliche Werte und Normen, formale Regeln, Prioritätensetzungen bei Zielbestimmungen, das innerparteiliche
Verständnis von Machtverhältnissen, das Rollenverständnis von Führung, Mitgliedern und Sympathisanten oder die Ausgestaltung der innerparteilichen
Kommunikationskanäle. Die interne Struktur wird darüber hinaus bestimmt
durch die formalen Verbindungslinien von lokalen, gegebenenfalls regionalen
und nationalen Verbänden, durch die Verteilung von Machtzentren, durch das
Vorhandensein von vertikalen und horizontalen Subeinheiten und informellen
Gruppierungen oder durch das Ausmaß der Bürokratisierung der Organisation.
2.1 Die Komplexität der Strukturen
Doch wie sind diese unterschiedlichen Gruppen in einer Partei miteinander
verbunden? Entgegen den frühen Studien der Organisationssoziologie, welche sich auf Robert Michels’ „ehernes Gesetz der Oligarchie“ bei der Beschreibung der Organisationsstrukturen von politischen Parteien beziehen,
herrscht in der moderneren Parteienforschung ein anderes Bild von der Struktur von Parteien vor: es dominieren Vorstellungen von der „lose verkoppelten
Anarchie“ (Lösche 1993) oder von einem „pluralistischen Stratarchiemodell
mit mehreren Machtzentren und wechselseitigen Abhängigkeitsstrukturen“
(Niedermayer 1993: 234).2 Parteien konstituieren sich demnach aus einer
2
Samuel Eldersveld (1964: 8) hat das Stratarchiemodell einer Partei ausführlicher entwickelt. Er verweist dabei ausdrücklich darauf, dass Machtdiffusion das wesentlichste Cha-
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Vielzahl von Gruppen und Subeinheiten, die nur lose miteinander verbunden
sind. Vielfältige, heterogene, partiell sogar möglicherweise sich diametral
gegenüberstehende Interessen, widersprüchliche und eigensinnige Rationalitäten und Handlungen lassen Parteien als ein Konglomerat von differenten
Organisationseinheiten erscheinen, als ein buntes Kaleidoskop an Organisationswirklichkeiten. Politische Parteien zerfallen diesen Modellen zufolge in
eine Vielzahl von unterschiedlichen Gruppen, Flügeln, Faktionen und Subeinheiten, die partiell rivalisieren oder Koalitionen schmieden, um ihre innerparteiliche Durchsetzungsfähigkeit zu erhöhen. Dieses Patchwork von unterschiedlichen Elementen, die zu großen Teilen unverbunden nebeneinander
stehen, gibt zusammen mit den nur lückenhaft vorhandenen innerparteilichen
Informations- und Kommunikationsnetzwerken den Einzelteilen eine relativ
große Autonomie, so dass auch im Hinblick auf Machtverteilungsstruktur
und Kontrollspanne eine Partei nicht hierarchisch strukturiert ist, sondern
eher einer Stratarchie gleicht, die nur begrenzt von oben steuerbar ist: „The
important insight here is that organisational units within parties can possess a
significant degree of autonomy, and that simple hierarchical paradigms no
longer represent the reality of party structures“ (Carty 2004: 7). Der
Stratarchiebegriff lässt deutlich werden, dass sich die innerparteilichen Einflusspotentiale über verschiedene Stufen und Zentren streuen, wodurch
Machtkonzentration kaum durchsetzbar ist, denn in diesem pluralistischen
Parteienmodell gibt es verschiedene und autonome Subeinheiten, die aufgrund ihrer Autonomie und ihrer Vielfältigkeit eher eine Machtdiffusion begünstigen. Das Stratarchiemodell soll gleichzeitig die Komplexität von politischen Parteien ausdrücken und die komplexen Strukturen der Netzwerke innerhalb der Parteien anschaulich machen.
Politische Parteien sind also insgesamt nur begrenzt dazu in der Lage, die
auftretenden Ungereimtheiten, Spannungen und Widersprüche organisatorisch
aufzuheben. Vier Prinzipien lassen sich ausmachen, welche die Organisation
von politischen Parteien strukturieren: Unbestimmtheit, Fragmentierung, lose
Koppelung und Hypokrisie. Die Unbestimmtheit zeigt sich unter anderem daran, dass Organisationsziele nur vergleichsweise selten in konkretes Handeln
umgesetzt werden, sondern zumeist dem Symbolbereich zugeordnet werden
können. Fragmentierung führt zu einer Verselbständigung und Abschottung
von Organisationsteilen, die sich in nur geringem Ausmaß in Kooperation niederschlägt. Der Ortsverband gilt als wichtigster Ort des Mitgliederengagements, mit der Folge, dass für den Großteil der Mitglieder die Interaktionsbeziehungen zur übrigen Partei an der Grenze des Ortsverbandes enden. Folge ist
eine Zweiteilung von Parteien: Auf Orts- und Kreisebene wird Kommunalpolitik betrieben, in föderativen Systemen wie dem Deutschlands mit Einwirkunrakteristikum des Stratarchiemodells ist: „The general characteristics of stratarchy are the
proliferation of the ruling group and the diffusion of power prerogatives and power
exercise“ . Vgl. auch Eldersveld (1971) und Wiesendahl in diesem Band.
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gen auf die Landespolitik. Doch die nationale Ebene bleibt das Geschäft der
professionellen Politiker, die vergleichsweise abgeschottet von den übrigen
Mitgliedern agieren: „Parteien tragen strukturell weiterhin ein Doppelgesicht,
insoweit unter einem gemeinsamen Dach die elektoral-professionelle Profipartei und die vereinsartige Mitgliederpartei lose verkoppelt nebeneinander
herleben“ (Wiesendahl 2001: 615; vgl. auch Sarcinelli 2007: 132; Schroeder/Neumann in diesem Band). Berufspolitikerpartei und Freiwilligenpartei
verfolgen unterschiedliche Organisationsrationalitäten. Wolfgang Schroeder
und Arijana Neumann verdeutlichen in ihrem Beitrag, dass innerhalb der Parteien neben der vereinsartigen Mitgliederpartei eine „zweite Säule“ bedeutsam
ist, die professionalisiert und effizienzorientiert ist. Die zunehmende Professionalisierung (Borchert 2003; Jun 2009; siehe Sönmez/Probst und Bukow in diesem Band) und Medialisierung (Schulz 2008: 21ff.; Donges 2008 und in diesem Band) und damit einhergehende Prozesse der innerparteilichen Abschottung und Entfremdung der Berufspolitikerpartei (Spitzen der party central office bzw. party in public office) von anderen Segmenten der Organisation hat zur
Zentralisierung innerparteilicher Entscheidungsprozesse erheblich beigetragen,
zugleich aber Verselbständigungstendenzen unterschiedlicher Gruppen und
Ebenen begünstigt. Die lose Kopplung bewirkt einen autonomen Handlungsspielraum der Parteispitzen, den diese für sich nutzen können und in der jüngeren Vergangenheit auch genutzt haben: „The weight of power within the party,
as measured by changes in the locus of decision-making, as well as by the distribution of internal ressources – finance, staff, etc. – has moved much more
firmly into the hands of the party in public office“ (Katz/Mair 2009: 756; vgl.
auch Feser in diesem Band).
Die kommunikative Vernetzung der verschiedenen Organisationsteile ist
relativ schwach, was Abschottungstendenzen verstärkt. Die kommunikativen
Verbindungslinien sind oftmals zu dünn, um unterschiedliche Ideen, Meinungen, Werthaltungen und Interessen der einzelnen Organisationssegmente
zu vermitteln und an die Parteiführung zu übermitteln. Die Parteiführung dagegen genießt den Vorteil des leichteren Zugangs zu den Massenmedien, um
ihre Informationen an die anderen Organisationsteile weiterzuleiten. Neuere
Kommunikationstechniken bieten zwar die Möglichkeiten dieses Gefälle zu
verringern, sind aber bislang nur verhalten von den Parteien in dieser Hinsicht genutzt worden: „To date however, there has been more evidence of
people at the grass roots using the internet to send messages to those in position of authority than there has been evidence of those in authority actually
listening (...) real power will continue to rest with those who frame the questions“ (Katz 2008: 315). Damit verfügt die Parteiführung im Organisationsgefüge einer politischen Partei – insbesondere in Mediendemokratien – über
einen erheblichen Vorteil, den sie als Machtressource einsetzen kann. Hypokrisie bringt das ebenfalls zum Ausdruck: die innerparteiliche Diskussion mit
ihrer Entscheidungsfindung und praktisches Handeln in Parteien laufen in
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nicht wenigen Fällen auseinander. „Hypokrisie heißt für Parteien, nicht nur
mit gespaltenen bzw. vielen Zungen zu reden, sondern darüber hinaus auch
noch auf die eine Weise zu reden und sich zu entscheiden und auf die andere
Weise zu handeln“ (Wiesendahl 1998: 234). Die disparaten Ansprüche, die
an Parteien herangetragen werden und die sie insgesamt in ihre Strukturen
aufnehmen müssen, bringen die Organisation in Spannungszustände, die sie
nicht vollständig lösen können, sondern mit denen sie leben müssen. Modelle, welche die Organisationsstruktur von politischen Parteien ausschließlich
zweckgerichtet zum Erreichen bestimmter Ziele verstehen, gehen an der Organisationswirklichkeit vorbei. Weder sind die Ziele von Parteien a priori
eindeutig bestimmbar, noch verfolgen alle Akteure innerhalb einer Partei die
gleichen Ziele. Das schließt jedoch keineswegs aus, dass primäre Zwecke beziehungsweise Ziele existieren. Häufig genannt werden (siehe beispielhaft
Müller/Strom 1999):
1. ein möglichst erfolgreiches Abschneiden bei Wahlen oder Stimmenmaximierung (vote-seeking),
2. bestimmte politische Ziele durchsetzen oder zumindest erhöhte Aufmerksamkeit für einzelne politische Inhalte gewinnen (policy-seeking),
3. Personen in Machtpositionen bringen, das heißt die Übernahme von öffentlichen Ämtern und/oder Patronage zu betreiben (office-seeking).
Daher ist bei politischen Parteien eher von einem Zielbündel zu sprechen als
von einer eindeutigen Zielgerichtetheit. Welche Ziele dabei durchgesetzt werden können, hängt vom Parteientyp, dem Selbstverständnis einer Partei, von
Machtkonstellationen innerhalb der Organisationsstruktur und von der jeweiligen Situation der Partei im Parteienwettbewerb ab. Zielkonflikte sind aufgrund
der Heterogenität der Struktur keine Seltenheit. Stimmenmaximierung bzw. das
Erreichen eines Wahlsieges hat sich bei den meisten Parteien aber als wichtigste Zielgröße herausgeschält. Bei den wählerorientierten Gruppen innerhalb von
Parteien gilt die Organisation primär als funktionale Größe zur Mobilisierung
von Wählern und zur Herbeiführung von Wahlerfolgen.
2.2 Der Charakter der Freiwilligkeit
Parteien konstituieren eine Struktur ihrer Organisation, um ein Mindestmaß
an formellen Regelungen durchzusetzen, welche die Interaktionen ihrer Sympathisanten zumindest partiell regulieren und eine überindividuelle Kontinuität gewährleisten sollen. Die Organisation soll Wirksamkeit im Sinne der
Zweckerfüllung und Leistungsfähigkeit im Sinne einer Mitwirkung von potenziellen Sympathisanten gewährleisten. Nicht zuletzt soll die Organisationsstruktur politischer Parteien dazu beitragen Aufgaben wie Zielfindung, Interessenartikulation und -aggregation, Legitimationsbeschaffung, Regierungsbildung und Rekrutierung von politischen Eliten wahrzunehmen, die
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Ansprüche ihrer Sympathisanten zu befriedigen, diese zu integrieren und für
jeweils zu bestimmende Zwecke zu mobilisieren.
Ist es für den Bestand einer Organisation im Allgemeinen notwendig,
Anreize zu entwickeln und diese mit Beiträgen der Individuen in Einklang zu
bringen (siehe Bogumil/Schmid 2001: 39), so besteht aufgrund des Aspektes
der Freiwilligkeit für politische Parteien die Notwendigkeit ein spezifisches
Anreiz- und Gratifikationssystem zu entwickeln, um Sympathisanten für sich
zu gewinnen und möglichst dauerhaft an sich zu binden. Schließlich bringen
Parteimitglieder Ressourcen wie Zeit, Beitragszahlungen und ihr Sachwissen
ein und erwarten entsprechende Gratifikationen dafür (vgl. Heidar 2006: 304;
Niedermayer 2009: 95).
Bei den Anreizstrukturen ist zwischen kollektiven Anreizen, die sich an
alle potenziellen Sympathisanten gleichermaßen richten, und selektiven Anreizen, die nur bestimmte Gruppen von Sympathisanten ansprechen sollen, zu
unterscheiden (vgl. Panebianco 1988: 9f.). Unter kollektiven Anreizen zu
verstehen sind immaterielle, wie sinnstiftende oder kollektive Identität verleihende, Solidarität und ideologische Gemeinsamkeiten; unter selektive Anreize fallen die materiellen, wobei Macht und Status etwa durch innerparteiliche Ämter oder öffentliche Mandate hierin eingeschlossen sind. Im Idealfall
sollte eine politische Partei die Anreizstruktur sorgfältig ausbalancieren: Die
Befriedigung individueller Interessen erfolgt primär durch selektive und die
Bewahrung organisatorischer Loyalität durch kollektive Anreize. Insgesamt
sollen Anreize das Funktionieren der Organisation sichern helfen. Bei der
Analyse von Parteiorganisationen sollte also nicht vergessen werden, dass es
primär jene Anreize oder individuellen Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung sind, die Parteisympathisanten dazu bewegen, sich zur Partei ihrer Wahl
zu bekennen. Die ebenfalls organisationsbildenden gesetzten Regeln und
Normen, welche die Organisation zumindest partiell strukturieren, können
dagegen aufgrund der Freiwilligkeit der Mitgliedschaft nur eine bedingte
Bindungskraft entfalten. Entsprechend können Handlungen der Parteien nur
verstanden werden, wenn die Erwartungen, Wünsche und Bedürfnisse der
Sympathisanten in Rechnung gestellt werden. Eine reine Abarbeitung statutarischer Grundlagen führt meist nicht sehr weit, um die Organisationswirklichkeit von Parteien genauer zu analysieren.
Parteien solchermaßen verstanden als organisierte Erfüllungsinstrumente
von individuellen Wünschen, Vorstellungen und Bedürfnissen ihrer Sympathisanten bedürfen einer kollektiven Identität, um die Organisation zusammenhaltende Identifikationsangebote bieten zu können, auf dem Wählermarkt identifizierbar zu sein und überindividuelle politische Ziele nach außen vertreten zu
können. Dazu dienen etwa gemeinsame Wertvorstellungen und Ziele, Programme und Symbole, die zwei Funktionen erfüllen: sie konturieren eine Partei
für Außenstehende und sie wirken integrierend nach innen, sie binden den einzelnen Sympathisanten in den Aufgabenzusammenhang der Organisation ein.
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Sie bieten zudem Wählern Orientierungshilfen zur Strukturierung der Komplexität politischer Erscheinungen an, in besonderer Weise, um eine Wahlentscheidung zugunsten einer einzelnen Partei treffen zu können. Nicht zuletzt aus
diesem Grund versprechen Parteien, die Interessen ihrer Sympathisanten zu repräsentieren und in politische Ziele zu transformieren. Dabei berücksichtigen
sie überindividuelle Interpretationsmuster, Erfahrungen und Deutungen der
Sympathisanten, ohne die das organisatorische Funktionieren von politischen
Parteien unvorstellbar ist (vgl. Wiesendahl 1998: 125).
Wer aber nun sind die Sympathisanten einer Partei? Grob zu unterscheiden
sind Mitglieder und Wähler. Das heißt Parteien repräsentieren sowohl die Interessen, Werte und Meinungen ihrer Mitglieder als auch die ihrer Wähler. Daraus können zwei unterschiedliche Organisationslogiken folgen, nämlich die
Prinzipien- oder Mitgliedschaftslogik, die allgemein die Interessen der Mitglieder in den Vordergrund stellt, aber zumeist nur vom Kern der aktiven Mitglieder verfolgt wird, und die Stimmengewinnlogik, nach der möglichst viele
Sympathisanten im Sinne von Wählern für eine Partei zu gewinnen sind. Aktive Mitglieder galten als ideologischer als einfache Mitglieder oder Wähler in
dem Sinne der Vertretung der Prinzipien und Werte einer Partei. Seitdem instrumentelle Motive beim Beitritt überhand gewinnen, scheint sich diese Differenz abzuschwächen (Spier in diesem Band). Auf der Ebene der Mitglieder
können übrigens verschiedene Formen der Mitgliedschaft unterschieden werden: korporative, affiliierte und direkte Mitgliedschaft sowie die Mitgliedschaft
in Unterorganisationen (Einzelheiten bei Poguntke 2000: 216). Innerhalb der
verschiedenen Mitgliedsformen kann nochmals unterschieden werden zwischen einfachen Mitgliedern, den Aktivisten und der Führung.
2.3 Parteien als Mitgliederorganisationen
Mitgliedschaft in einer Organisation bedeutet zunächst das Eingehen einer
Beziehung mit dieser Organisation, häufig durch Integration oder Einbindung; bei politischen Parteien wird von Mitgliedern formell der Eintritt erklärt. Mitglieder bekennen im Vergleich zu den Wählern einer Partei nach
außen hin eindeutiger ihre politische Haltung. Sie erklären mit ihrem Beitritt
ein gewisses Maß an Übereinstimmung mit den Werten und politischen Zielen der von ihnen präferierten Partei. In Westeuropa herrscht bei politischen
Parteien das Selbstverständnis der Mitgliederpartei vor mit einem festen und
dauerhaften Mitgliederstamm, der als Ressource der Organisation dient (ausführlicher zur Mitgliederpartei Wiesendahl 2006).
In Abgrenzung zu Sympathisanten oder Wählern bieten europäische Parteien formell eingeschriebenen Mitgliedern ein größeres innerparteiliches Betätigungsfeld. Nur diese haben die Rechte zur Teilnahme am Auswahlprozess
für Kandidaten für öffentliche Ämter (siehe Höhne in diesem Band) und zur
Mitbestimmung programmatischer Grundsatzentscheidungen. Die Pflichten
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sind äußerst gering: jeder hat einen Mitgliedsbeitrag zu entrichten und darf
keiner konkurrierenden Partei angehören. Man kann von einer weitgehenden
Voraussetzungslosigkeit der Parteimitgliedschaft sprechen.
Das innerparteiliche Betätigungsfeld kann von den Mitgliedern ganz unterschiedlich genutzt werden: mancher sucht eine politische Heimat und eine
politische Sinnerfüllung, ein anderer strebt danach, politische Karriereinteressen zu verwirklichen, ein dritter erhofft sich persönliche Vorteile. Manche
wollen einfach nur mit dabei sein. Diese Differenzen spiegeln sich in den unterschiedlichsten Ansätzen zur Erklärung der Motivation der Mitglieder, sich
an eine Partei zu binden, wider.
Oskar Niedermayer (1989: 110ff.; 2009: 97ff.) unterscheidet zwischen
expressiven und instrumentellen Bindungsmotiven zu einer Partei. Unter expressiven könnten solche affektiven Bedürfnisse wie Gesinnung, Freundschaft, Status- und Prestigebedürfnisse sowie normative Identifikationsbedürfnisse subsumiert werden. Die Parteizugehörigkeit an sich hat einen „intrinsischen Belohnungscharakter“ (Niedermayer 2009: 97). Das Gemeinschaftserleben steht im Vordergrund ihrer Parteiaktivitäten: Schwerpunkt des
Mitgliederengagements bildet der Besuch von Parteiversammlungen, aber
auch die Teilnahme an Festen und geselligen Runden. Diese Seite der Parteiorganisation hat einen Vereinscharakter und kann daher als die Vereinsseite
des Parteilebens bezeichnet werden.
Die in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmenden instrumentellen Bindungsmotive (Klein 2006) dagegen betonen den Mittelcharakter (siehe auch
Spier in diesem Band). Die Mitgliedschaft dient als Instrument zur Erreichung bestimmter individueller Zwecke und Ziele, wobei diese in politischinstrumentelle und materielle zu unterscheiden wären. Von materiellen kann
dann gesprochen werden, wenn der Einzelne mit der Parteibindung eigene
materielle Vorteile verbindet. Politisch-instrumentelle Bindungsmotive sind
auf Ziele und Prozesse des politischen Systems bezogen. Zielbezogen ist eine
Parteibindung, wenn das Individuum diese zur Unterstützung bzw. Durchsetzung von allgemeinen politischen Anliegen oder gesellschaftlichen Interessen
nutzt. Der Einzelne will mit seinem Engagement deutlich machen, welche
gesellschaftlichen Zielverwirklichungen er als zentral ansieht und versucht
seinen Beitrag zur Lösung der Probleme einzubringen. Wer aus zielbezogenen politisch-instrumentellen Bindungsmotiven einer Partei beitritt, der hat
konkret Mitwirkung an der Politikgestaltung im Sinn. Wer eher prozessbezogene Bindungsmotive hat, der will Politik kognitiv verarbeiten, der sucht
nach Information, Einsicht und bloßer Teilhabe am politischen Willensbildungsprozess. Die politisch-instrumentellen Bindungsmotive zielen insgesamt auf Partizipation ab, auf die Übernahme politischer Ämter inner- und
außerhalb der Partei, auf den Wunsch nach Mitwirkung bei politischen Entscheidungen, darüber hinaus nach Gestaltung von Politik. Für diese Gruppe
der Mitglieder hat eine systematische Aus- und Weiterbildung hohe Rele-
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vanz, sichert sie ihnen doch Informations- und erweiterte Handlungsmöglichkeiten (siehe Sönmez/Probst in diesem Band).
Entsprechend der unterschiedlichen Beitritts- und Bindungsmotive können
die Mitglieder in mehrere Gruppen unterschieden werden, zunächst grob zwischen den einfachen Mitgliedern und den Aktivisten, letztere sind die ehrenamtlich und hauptamtlich Aktiven. Innerhalb der Aktiven kann noch zwischen
Idealisten, Karriereristen und Lobbyisten unterschieden werden (siehe auch
Wiesendahl 1998). Während erstere häufig prinzipienfeste Anhänger der Ideologie, Programmatik und Konzepte der Partei sind und für diese eintreten, ohne
primäres Interesse an einer politischen Karriere zu haben, sind zweite zumindest auch daran orientiert, politische Macht zu erringen, um eine Laufbahn in
der Politik mit entsprechender materieller Absicherung einschlagen bzw. fortführen zu können. Diese Unterscheidung ist nicht gänzlich deckungsgleich mit
der zwischen Ideologen oder Fundamentalisten – im Sinne einer relativ strikten
Bindung dieser an Parteiprogramme und -beschlüsse – und Pragmatikern, da
ein Pragmatiker durchaus auch idealistische Werthaltungen im Sinne einer –
wenn auch eher pragmatischen orientierten – Durchsetzung der Parteiziele haben und ein Ideologe zumindest partiell auch Karriereinteressen verfolgen
kann. Allerdings verlangt Karriere in der Politik größere Anpassungsleistungen, Kompromisse, Konsensorientierung und – insbesondere bei mit einer öffentlichen Wahl verbundenen Ämtern – Mehrheitsfindung, während der an
Durchsetzung programmatischer Ziele orientierte Akteur sich diesen Zwängen
kaum ausgesetzt sieht. Der Karriererist strebt nach öffentlichen Ämtern, hegt
innerparteiliche Aufstiegsambitionen und sieht die Partei als Ausgangspunkt,
Handlungsraum und gegebenenfalls Auffangbecken seiner persönlichen Karriereinteressen. Er ist weit mehr ein Einzelkämpfer als der Idealist, der seine Befriedigung im gemeinschaftlichen Erleben und der daraus erwachsenen Sinnstiftung seines Handelns findet. Der Idealist sieht die Partei als Raum für Geselligkeit und Gemeinschaft, er will mit Gleichgesonnenen für seine Ideen, für
Parteikonzepte und Programme, für die „gute Sache“ eintreten, die zuallererst
seine eigene ist, ohne dass er notwendigerweise unmittelbare persönliche Vorteile daraus ziehen kann. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit und die kollektive Identität bilden für ihn Basiswerte. Die Idealisten gelten daher bei Verstoß
gegen diese Basiswerte als besonders anfällig für Enttäuschungen, bei dauerhaft als frustrierend wahrgenommenen Erfahrungen schwindet ihre Mitarbeitsbereitschaft: „Sie sind soweit loyal, wie sich die Partei in Beschlüssen und Auftreten ihrer Wortführer in Wort und Tat loyal gegenüber Parteizielen erweist“
(Wiesendahl 1998: 166). Ihre Empfindlichkeiten können so weit gehen, dass
sie bei abweichendem Verhalten der Parteiführung nicht nur die Mitarbeit verweigern, sondern bei Wahlen auch der eigenen Partei nicht die Stimme geben.
Denn ihre Hauptmotivation für ihre Mitarbeit beziehen sie aus dem Einstehen
für „ihre“ Politikkonzeption. Daher will der Idealist seine Vorstellungen und
die der Partei weitgehend in Einklang sehen oder zumindest die Chance ver-
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spüren, diese in Einklang zu bringen. Ist das nicht der Fall, kann sich die Motivation gegen die eigene Führung wenden. Zurückzuführen ist diese Haltung
auch auf ein dezidiert vorhandenes politisches Gegnerverständnis: Zwischenparteiliche Auseinandersetzungen üben eine stark mobilisierende Wirkung auf
ihn aus, die noch übertroffen werden kann von innerparteilichen Streitigkeiten
um inhaltliche Fragen. Ein Abrücken von der Programmatik oder Konzeption
der bisherigen Parteilinie kann als „Verrat an der eigenen Sache“ wahrgenommen werden, was die emotionale Enttäuschung nur größer werden lässt. Da das
Gemeinschafts- und das Solidaritätsgefühl der Idealisten Gemeinsamkeiten betonen, interaktive Formen der Verständigung und Vergewisserung bevorzugen,
bilden sich häufig enge Beziehungs- und Kontaktnetzwerke zwischen den unterschiedlichen Aktivistengruppen heraus, die mit Abschottungs- und Isolationstendenzen einhergehen. Denn persönliche Vertrautheit und inhaltliche Nähe
stärken das Gemeinschaftsgefühl, während fehlende Vertrautheit, das Unbekannte und die Unbestimmtheit sowie die Austragung von Konflikten Gemeinschaftsgefühl untergraben können.
Temporär und quantitativ befristet wirken die sogenannten Lobbyisten an
der Parteiarbeit mit: Sie sind auf ein berufliches und/oder geschäftliches Fortkommen außerhalb der Politik orientiert und nutzen die Kontaktstrukturen innerhalb der Parteien, um materielle oder sonstige persönliche Vorteile für sich
zu erlangen. Sie sind zumeist Interessenvertreter in eigener Sache, können aber
auch im Einvernehmen mit Verbänden oder Unternehmen handeln.
Deutlich geworden ist, dass die unterschiedlichen Aktivistengruppen ganz
unterschiedliche Ziele verfolgen und entsprechend jeweils eigenen Handlungslogiken folgen. Am deutlichsten kann diese Differenz zwischen Idealisten und
Karriereristen darin hervortreten, dass die einen mehr Legitimität im Sinne parteiinterner Demokratie einfordern, während die anderen elektorale Effektivität
zum primärem Maßstab des Parteihandelns deklarieren. Jedoch unabhängig davon, ob das Ziel sich eher an Inhalten, Karriere oder Patronage orientiert, so
sind sie außerhalb der eigenen Organisationsgrenzen realisierbar, wenn die Partei öffentliche Ämter zu vergeben hat. Die Bekleidung öffentlicher Ämter ist in
demokratischen Systemen wiederum abhängig von einem Mindestmaß an
Wählerstimmen. Um politisch Einfluss entfalten, Inhalte gesamtgesellschaftlich
durchsetzen und Karriere in staatlichen Institutionen machen zu können, sind
Wahlerfolge erforderlich. Nur mit Hilfe politischer Macht lassen sich weitergehende politische Ziele umsetzen, sie schaffen die Voraussetzungen für die Zielverwirklichung außerhalb der eigenen Partei. In dieser Hinsicht sind politische
Parteien „externe Zielverfolgungsorganisationen“ (Wiesendahl 1998: 210). Um
Erfolg an der Wahlurne zu haben, sind die unterschiedlichen innerparteilichen
Gruppen darauf angewiesen, zumindest bei grundsätzlichen Fragen Kompromisse zu erzielen, Konsensmöglichkeiten auszuloten, sich gegenseitig zu unterstützen und miteinander vor den Wähler zu treten. Die Notwendigkeit von
Wahlerfolgen zur Durchsetzung von außerparteilichen Zielen zwingt zu einem
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Mindestmaß an Einheit, die zumindest so groß sein sollte, dass nach außen für
die Wählerschaft ein konturiertes Bild der Partei erkennbar wird.
Neben diesen beiden Hauptgruppen von Aktivisten existiert im Organisationsgefüge einer politischen Partei die weitaus größere Zahl der einfachen
Mitglieder, die mit nur einem geringen Aktivismus am Parteileben teilnehmen. Sie unterstützen die Partei finanziell durch Mitgliedsbeiträge oder
Spenden, zeigen aber ansonsten relativ wenig Interesse, sich im Kommunikations- und Interaktionsnetzwerk der Partei zu engagieren. Ihr Aktivitätsgrad
kann als nicht nennenswert hoch eingestuft werden.
Diese Kategorisierung der Aktivitäten der Mitglieder ist nicht als ein Gegenüber, sondern als ein Kontinuum zu verstehen, mit den lediglich in der Kartei auftauchenden, aber ansonsten nicht am Parteileben teilnehmenden Mitgliedern am einen Ende, über die aktiven, einen erheblichen Teil ihrer Freizeit in
der Partei verbringenden Mitglieder bis hin zu den hauptberuflich in der Politik
Tätigen am anderen Ende der Skala. Wesentlich ist der Teil der Mitgliedschaft,
der aus politisch-instrumentellen Bindungsmotiven heraus Mitglied einer Partei
ist, er erfüllt die Funktion der Politikgestaltung als eine der normativ zugeschriebenen Aufgaben von Parteimitgliedern. Weitere Aufgaben von Parteimitgliedern in westlichen Demokratien sollen kurz benannt werden: Funktionswahrnehmungen im Bereich der Parteiorganisation, programmatische Arbeit,
Auswahl von Kandidaten für öffentliche Ämter und Wahlkampfunterstützung.
Mit ihrer freiwilligen Mitarbeit beschaffen sie Legitimität für die Demokratie
und gewährleisten ihre Funktionsfähigkeit, halten sie den Prozess der permanenten politischen Kommunikation zwischen Wählern und Gewählten aufrecht,
sind sie verantwortlich für die Rekrutierung und Sozialisation politischen Führungspersonals, beeinflussen sie innerparteiliche Kommunikationsprozesse,
insbesondere bei der Programmgestaltung, und mobilisieren die Anhänger der
Partei bei Wahlkämpfen. Mit der Wahrnehmung dieser Aufgaben sichern die
Mitglieder der Partei beträchtliche Ressourcen. Als Gegenleistung dafür erwartet zumindest der aktive Teil der Mitglieder die zumindest partielle Berücksichtigung seiner politischen Präferenzen.
2.4 Die Führung von Parteien
Die Parteiführung besteht im Wesentlichen aus dem engeren Kreis der Parteieliten, die sich dadurch auszeichnen, dass sie gegenüber ihrer Partei primär
entweder politisch-instrumentelle oder materielle Bindungsmotive im Sinn haben. Innerhalb der Parteielite kann zwischen der Partei in öffentlichen Ämtern
(„party in public office“) und den Führungsgremien der politischen Parteien in
den zentralen Geschäftsstellen und Führungsstäben („party central office“) unterschieden werden, wobei es zwischen beiden Ebenen zumeist starke personelle Verflechtungen gibt (Katz/Mair 2002: 122ff.) Unter der Partei in öffentlichen
Ämtern werden die Mandatsträger und gegebenenfalls die Regierungsmitglie-
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der einer Partei subsumiert. Die Führungsgremien der Partei bestehen aus von
der Gesamtpartei oder von Parteirepräsentanten gewählten Vertretern. Dazu
kommen die leitenden Mitarbeiter in den Parteizentralen, also das hauptamtliche Personal (siehe dazu Bukow in diesem Band).
Das primäre Interesse beider Ebenen im Hinblick auf die Parteiorganisation ist durchaus unterschiedlich, was sich aus den differenten Rekrutierungsmechanismen ergibt (vgl. Bukow 2010). Während Mandatsträger und
die gewählte Parteiführung durch Wahlen in ihr Amt gelangen, ist das hauptamtliche Personal durch Arbeitsverträge an die Partei gebunden. Bei dieser
Gruppe der Parteiangestellten handelt es sich um einen durch längerfristige
weisungsgebundene Tätigkeit im dauerhaften Geschäftsbetrieb der Parteiorganisation tätigen Teil der gesamten Funktionärsschaft der Partei. Letztere
streben daher primär die Sicherung der organisatorischen Ressourcen an, um
ihre Position im Apparat nicht gefährdet zu sehen (siehe aber zu deren Gestaltungsanspruch Bukow 2010). Für die durch Wahlen ins Amt gelangte Parteiführung, für Mandatsträger und Regierungsmitglieder geht es zwar ebenfalls um die Sicherung ihrer politischen Karrieren, sie sind dabei aber auf
Wahlen angewiesen und betrachten die Organisation in erster Linie als ein
Instrument zur Führung von Wahlkämpfen. Nun greift es entschieden zu
weit, sämtliche Personen, die als Parteieliten zu verstehen sind, zur Parteiführung zu rechnen. Für unser Verständnis von Parteiführung sollte ein engerer
Führungskreis innerhalb der Parteieliten in Frage kommen, nämlich jener
Kreis, der bei innerparteilichen Entscheidungsprozessen im politischen Alltag
eine herausgehobene Position inne hat und die Ressourcen besitzt, kurzfristig
Entscheidungen zu implementieren, um mit den ihr zur Verfügung stehenden
Mitteln politische Führung auszuüben.
Auf welchen Kreis trifft diese Charakterisierung zu? Wohl nur eingeschränkt auf die hauptamtlich Aktiven, die Parteiangestellten, die fast ausnahmslos der Gruppe der Aktivisten zuzurechnen sind, und nicht selten neben ihrem Beruf in der Partei ehrenamtliche Funktionen ausüben (siehe
Bukow 2010). Ihren Beeinflussungsmöglichkeiten im Entscheidungsprozess
über das tagtägliche Management der Partei hinaus sind enge Grenzen gesetzt, denn sie sind gegenüber der gewählten Führung weisungsgebunden und
können schon allein aus dieser Erwägung heraus nicht als zentrale Entscheidungsträger fungieren. Ausgenommen davon sind lediglich die Spitzenpositionen der Verwaltungsseite einer politischen Partei, etwa die zumeist durch
innerparteiliche Wahlen legitimierten Generalsekretäre oder Geschäftsführer,
die aufgrund ihrer Wahl und ihrer herausgehobenen Stellung dem engeren
Kreis der Parteiführung zuzurechnen sind. Auch die meisten Mandatsträger
nehmen im innerparteilichen Entscheidungsprozess eher eine Nebenrolle ein,
sie sind zumeist eher in einer Beratungs- denn in der Entscheidungsfunktion.
Für einzelne Politikbereiche etwa fungieren sie als Experten, oder sie vermitteln eigene Interessen, Werthaltungen und Meinungen oder die ihrer Wähler-
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Uwe Jun
schaft an die Parteiführung. Auch hier gilt, dass nur Funktionsträger herausgehobener Positionen, wie etwa Fraktionsvorsitzende im nationalen Parlament, direkt zur Parteiführung gezählt werden können.
Um aber die Parteiführung exakter bestimmen zu können, kommen wir
letztlich nicht ohne die Skizzierung der formalen Struktur einer Partei aus.
Komplexe Organisationen benötigen wegen ihrer funktionalen Differenzierung
ein Regelungsorgan, das verbindliche Entscheidungen für die Gesamtorganisation fällt. Dieses Regelungsorgan kommt bei auf Freiwilligkeit der Mitglieder
beruhenden, demokratischen Organisationen durch Wahl zustande, wie es
überhaupt für eine derartige Organisation, wenn sie weitverzweigt und ausdifferenziert ist, notwendig ist, Gremien zu bilden, deren Zusammensetzung bei
demokratischen Organisationen im Regelfall durch eine Wahl entschieden
wird. Der Bildung von Organen und Gremien liegt in demokratisch verfassten
Organisationen das Prinzip der Repräsentation zugrunde, bei politischen Parteien kann unterschieden werden zwischen funktionaler und territorialer Repräsentation. Die politischen Parteien gliedern sich zumeist auf in Orts-, Regionalund nationale Verbände. Der organisatorische Aufbau der Parteien orientiert
sich in der Regel am staatlichen und verwaltungsmäßigen Aufbau des jeweiligen politischen Systems, wobei in föderativen Systemen durch die Länder eine
zusätzliche formal garantierte Strukturierungsebene hinzukommt (vgl. van
Houten 2009). Die Finanzierung der einzelnen Ebenen wird in Gesetzen und
den Parteistatuten geregelt (siehe Feser in diesem Band).
Der Aufbau der demokratischen Mitgliederpartei ist so organisiert, dass
die jeweils untere Ebene Delegierte in die jeweils übergeordnete territoriale
Ebene entsendet. Diese sind auf Parteitagen oder in Delegiertenversammlungen vertreten. Um das tagespolitische Management zu gewährleisten und
kurzfristige Politikentscheidungen treffen zu können, wird auf jeder Ebene
ein Exekutivorgan gewählt, der Vorstand, aus dem unter Umständen noch ein
Präsidium hervorgeht. Das Präsidium auf nationaler Ebene kann formal als
das oberste Leitungsgremium einer politischen Partei angesehen werden, zumeist geht es aus dem Parteivorstand hervor und ihm gehören in der Regel
zwischen 15 und 20 Mitglieder an. Der Parteivorstand auf nationaler Ebene
ist das erweiterte Führungsgremium, es ist stärker mit grundsätzlichen Fragen
der Politik beschäftigt und überlässt das Tagesgeschäft häufig dem jeweiligen
Präsidium. Gewählt wird der Vorstand in vielen Fällen vom Parteitag oder
seltener einer Mitgliedervollversammlung, noch seltener von einem dazwischen geschalteten Gremium, wie etwa dem Parteirat. In den Parteistatuten ist
in aller Regel der Parteitag oder die Mitgliederversammlung formal der Souverän, der alle grundsätzlichen politischen Entscheidungen einer Partei zu
treffen hat. Die Parteiführung erhält vom Parteitag ihre notwendige Legitimation, sowohl was ihre personelle Zusammensetzung als auch ihre inhaltliche
Politik betrifft. Um eine größere Repräsentation zwischen den Parteitagen zu
gewährleisten, wird bei einzelnen Parteien noch ein Gremium eingerichtet, in
Politische Parteien als fragmentierte Organisationen im Wandel
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dem alle relevanten innerparteilichen Gruppierungen (siehe funktionale Repräsentation) sowie die maßgeblichen regionalen Gliederungen vertreten
sind, häufig Parteirat oder nationaler Ausschuss genannt. Es dient der Koordination der verschiedenen Organisationsebenen und der Festlegung der
Grundlinien der Politik im Sinne einer Beratung der Parteiführung. Dessen
Mitglieder werden nach territorialen und funktionalen Kriterien ausgewählt.
Eine politische Partei ist nicht nur vertikal in verschiedene regionale Gliederungen aufgeteilt, sondern auch horizontal durch formelle und informelle
Gruppierungen. Formelle Gruppierungen sind zumeist in einzelnen Arbeitsgemeinschaften, Arbeitsgruppen oder Vereinigungen organisiert, sie artikulieren und aggregieren in der Regel einzelne Interessen innerhalb der Partei,
wie die von Arbeitnehmern, Selbständigen, Frauen, ethnischen Minderheiten,
jungen Menschen, Senioren oder einzelnen Berufsgruppen. Diese Gruppierungen sind in den meisten Fällen formal in den Statuten der Parteien verankert, haben Rechte und nehmen Pflichten wahr; ihre Repräsentation in den
verschiedenen Leitungsgremien wird meist sichergestellt.
Daneben gibt es informelle Strömungen innerhalb einer politischen Partei, sogenannte Faktionen (siehe Trefs 2006; Köllner/Basedau 2006; Boucek
2009), die sich um Personen, politische Positionen oder gesamtgesellschaftliche Konzeptionen gruppieren. Ihre Repräsentation in den Leitungsgremien
hängt von ihrer Stärke (gemessen etwa am Einfluss zur Parteiführung, Mitgliedergröße, Durchsetzungschancen eigener Positionen oder Konzeptionen)
in der Partei ab. Formale Repräsentationsgarantien haben sie in der Regel
nicht, sie haben sich aber in der Vergangenheit durch eigene Stärke, Absprachen oder gegenseitige Vereinbarungen mit anderen Gruppierungen Leitungspositionen gesichert. Der informelle Charakter besagt keineswegs, dass
die Mitglieder nur lose miteinander verbunden sind. Vielmehr haben auch
diese Strömungen gelegentlich klar herausgebildete, zum Teil komplexe
Strukturen mit unterschiedlichen Machtzentren bis hin zu Führungsansprüchen in der Gesamtpartei.
Weiterhin existieren bei politischen Parteien mehr oder minder enge
Verbindungen zu Vorfeldorganisationen, die mit der Partei assoziiert sind
und die in einzelnen Fällen auch in der Partei auf der Basis funktionaler Repräsentation vertreten sind (siehe dazu ausführlicher Poguntke 2006). Beispielhaft für einen vergleichsweise starken Einfluss einer solchen Organisation stehen die Gewerkschaften in der britischen Labour Party, die bis in die
1990er Jahre hinein den Parteitag dominierten und auf den Vorstand der Partei erheblichen Einfluss ausübten.
Die Ausführungen dürften deutlich gemacht haben, dass Parteien aufgrund ihrer Heterogenität, Fragmentierung und der an sie gestellten innerparteilichen Repräsentativitätsanforderungen vor keiner leichten Aufgabe stehen,
ein Führungsgremium zu etablieren, das einerseits effizient arbeiten kann,
andererseits dem Gedanken der angemessenen Repräsentation der unter-
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Uwe Jun
schiedlichen regionalen und funktionalen Gruppierungen nachkommt. Denn
– wie schon erwähnt – sollte ein Führungsorgan von der Anzahl der Personen
her betrachtet klein genug sein, um effiziente Entscheidungsprozesse durchführen und die daraus hervorgehenden Entscheidungen durchsetzen zu können. Daher ist „die Zusammensetzung des Präsidiums (...) normalerweise
nicht durch Repräsentationsgarantien eingeengt“ (Poguntke 2000: 110) und
eher als ein Forum für Aushandlungsprozesse der unterschiedlichen Strömungen der Parteieliten (vertikal wie horizontal) anzusehen. Dies wiederum
kann zur Folge haben, dass nicht alle Führungspolitiker einer politischen Partei im Präsidium zu finden sein müssen und nicht alle Präsidiumsmitglieder
zum engen Kreis der Führungselite zählen. Im Präsidium werden tagespolitische Aktivitäten formal bestimmt und die Parteigeschäfte koordiniert.
Die Bedeutung eines Gremiums im innerparteilichen Machtgefüge ist
demnach nicht nur an seinen formalen Kompetenzen festzumachen, sondern
auch nach der Machtposition der in diesem Gremium vertretenen Personen.
Zudem können demokratische Mitgliederparteien schwerlich zentral beherrscht werden. Die genaue Lokalisierung der Macht in Parteien ist daher im
Einzelfall vorzunehmen. Um dennoch begründet einen engeren Kreis benennen zu können, werden zur Parteiführung neben dem Parteivorsitzenden, das
Präsidium, wichtige Vorstandsmitglieder und einflussreiche Berater des Parteivorsitzenden gezählt, sofern sie der Partei angehören. Letztere aufgrund
der Beobachtung, „dass gerade auf der Leitungsebene auf der Basis von ausgewählten Kontakten und nicht auf der Basis komplexer, ausgearbeiteter
Vorlagen der Informationsverarbeitung entschieden wird“ (Luhmann 2000:
254). Als enger Kreis der Führungselite, diejenigen, die in politischen Parteien zentrale Entscheidungen vordeterminieren, kann bei Parteien als lose verkoppelten Anarchien analog ein strategisches Zentrum einer Partei, das die
Personen umfasst, die strategisch relevante Positionen im Parteiapparat oder
in staatlichen Institutionen besetzen, identifiziert werden. Dieses besteht
idealiter aus drei bis fünf Personen, die „mit einem gestaffelten System verbunden (sind), von dem die ihnen unmittelbar zugeordnete Ebene („Vertraute“) von besonderer Bedeutung ist“ (Raschke 2001: 25f.).
2.5 Wer wählt eine Partei?
Bei den Wählern einer Partei lässt sich grob zwischen zwei Gruppen unterscheiden: den Stammwählern und den Wechselwählern. Für beide Begriffe
existieren in der Politikwissenschaft keine eindeutigen (Stammwähler) beziehungsweise mehrdeutige Definitionen (Wechselwähler), was auch auf die wenig vorhandene Literatur zum Thema zurückzuführen ist. Einigkeit herrscht darin, dass sich der Stammwähler im Gegensatz zum Wechselwähler durch eine
relativ starke Loyalität gegenüber seiner Partei beim Wahlakt auszeichnet. Der
makrosoziologische Ansatz der „Columbia-School“ proklamiert eine enge Bin-
Politische Parteien als fragmentierte Organisationen im Wandel
27
dung zwischen der Mitgliedschaft in sozialen Großgruppen und der Parteiloyalität: Bestimmte soziale Gruppen fühlen sich durch eine politische Partei repräsentiert und orientieren sich daran beim Aufbau von Loyalitäten. Durch die
Mitgliedschaft in sozialen Milieus erfolgt eine Anlehnung des Individuums an
politische Konfliktlinien, in dessen Gefolge sich langfristige Loyalitäten der
einzelnen Milieus zu einer politischen Partei ergeben.
Nach dem sozialpsychologischen Konzept der Parteiidentifikation hat der
Stammwähler eine stabile, positive psychische Beziehung zu seiner Partei,
die mit einem hohen Grad an Parteiidentifikation gekennzeichnet werden
kann und bei Wahlen in der Stimmabgabe zugunsten seiner Partei ihren Ausdruck findet. Parteiidentifikation ist also eine längerfristige, gefühlsmäßige
Bindung des Individuums an eine bestimmte Partei. Sie konturiert in einem
Individuum Kontinuität und Konsistenz politischer Einstellungen und Verhaltensweisen. Je stärker die Einstellungen und Werthaltungen des Individuums subjektiv mit den von ihm seiner Partei zugeschriebenen Positionen,
Konzepten und Argumenten korrelieren, desto höher ist seine Parteiidentifikation. Im stärksten Fall liegt Deckungsgleichheit vor: der Wähler übernimmt
die Positionen und Argumente der Partei und entwickelt so ein zwischen ihm
und der Partei konsistentes und kohärentes Einstellungssystem. Parteiidentifikation bewirkt somit eine Reduktion politischer Komplexität und eine symbolische Orientierung in der komplexen politischen Struktur: „Für den einzelnen Wähler wirkt die Identifikation mit einer politischen Partei, die einen
Bezugspunkt für sein politisches Denken, Fühlen und Handeln liefert, nicht
nur als ein Mittel zur Senkung von Informationskosten, sondern auch als eine
Art Leuchtfeuer auf politischer See“ (Falter 1977: 478). Die Identifikation
mit und Loyalität gegenüber einer politischen Partei kann also als „simplified
decisions and information shortcuts“ (Norris 1997: 77) betrachtet werden.
Abhängig ist die Identifikation vom Grad des Vertrauens in die Partei, das
heißt Parteiidentifikation ist auch als Vertrauensvorschuss zu verstehen, eine
Art Kapital der Parteien, das ihre politische Handlungsfreiheit erhöht, da nicht
jede Fehlleistung vom Wähler mit Sanktionen belegt wird. Allerdings ist das
Vertrauen dauerhaften Erwartungsenttäuschungen gegenüber nicht resistent.
Auch können externe Einflüsse Parteiidentifikation unterminieren und Loyalitätsentzüge bewirken oder Umorientierungen stimulieren. Die Basis für Parteiidentifikation entfällt, wenn die präferierte Partei in der subjektiven Bewertung
des Wählers nicht besser abschneidet als andere Parteien (Alt 1984: 310f.).
Folge einer Unzufriedenheit mit oder Entfremdung gegenüber seiner Stammpartei ist die Wahl einer anderen Partei oder das Fernbleiben von der Wahlurne,
er wird somit zum Wechsel- oder Nichtwähler. An die Stelle von Parteiidentifikation können dem sozialpsychologischen Modell zufolge dann beim Wahlverhalten die Issue- oder Kandidatenorientierung treten.
Rational-Choice Ansätze weisen zu Recht darauf hin, dass die Wahlentscheidung des rationalen Wählers sich am perzipierten oder antizipierten Er-
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gebnis der Politik bestimmter Parteien oder Kandidaten orientiert. Dem Aspekt der zugeschriebenen Problemlösungskompetenz von Parteien und Kandidaten kommt demnach eine besondere Bedeutung zu, zumal bei sinkender
Parteiidentifikation. Der typische Wechselwähler verfügt über ein relativ geringes Maß an Parteiidentifikation, die Wahlentscheidung wird stets zur Disposition gestellt. Kandidaten- und Issue-Orientierung spielen eine größere
Rolle als beim Stammwähler. Er ist bereit, seine einmal getroffene Wahlentscheidung stets zu revidieren. Einhellig festgestellt wird jedoch, dass es in
den letzten 15 Jahren aufgrund sozialstruktureller und medialer Wandlungsprozesse in westlichen Demokratien zu einem deutlichen Anstieg der Zahl
der Wechselwähler und zu einem erheblichen Rückgang von Stammwählern
einer Partei gekommen ist (siehe beispielhaft Katz/Mair 2009: 758). Die Parteiidentifikation ist in nahezu allen etablierten Demokratien erkennbar deutlich zurückgegangen und nicht wenige Wähler betrachten politische Parteien
nicht mehr als Repräsentanten ihrer Meiningen, Interessen und Werte (siehe
z.B. Siavelis 2006; Katz/Mair 2009).
3. Wandel und Erfolgsbedingungen von Parteien
Die Fragen, warum und mit welchen Mitteln politische Parteien ihre Organisationsstruktur, ihre programmatische Ausrichtung oder ihre Strategien verändern, um weiterhin als relevanter Akteur im Parteienwettbewerb zu gelten,
sind Gegenstand zahlreicher Untersuchungen. Hervorzuheben sind dabei im
Wesentlichen zwei sich eher ergänzende, denn widersprechende Ansätze: der
aggregierte entwicklungsgeschichtlich-parteiensystematische Ansatz (siehe
beispielhaft Kirchheimer 1965; Panebianco 1988; Katz/Mair 1995 bzw.
2009; Jun 2004) und der individuell-konzeptionelle, organisationstheoretische Ansatz (Kitschelt 1994; Harmel/Janda 1994; Harmel et al. 1995; Harmel
2002; Wiesendahl in diesem Band). Während der erste Ansatz Parteihandeln
in den Gesamtkontext der Entwicklung sozialer und politischer Systeme
stellt, hebt letzterer primär auf die Autonomie von Parteien als Organisationen ab. Von einem Wandel wird dann gesprochen, wenn das öffentliche Erscheinungsbild einer politischen Partei erkennbar verändert worden ist, sichtbar etwa an programmatischen Entwürfen, politischen Zielen, organisatorischen Strukturen oder Kommunikationsstrategien. Für den Wandel werden
entweder parteiinterne oder -externe Erwägungen und Argumente in den Mittelpunkt der Suche nach Gründen des Parteienwandels gestellt, wobei externe
Einflüsse häufig als Katalysator für Parteienwandel wirken (vgl. Lawson/Poguntke 2004). Unter externen Ursachen werden solche subsumiert, die
außerhalb der Parteien, also in deren Umwelten zu finden sind; als interne
gelten Veränderungen innerhalb der Parteien selbst, wie der Wechsel der Par-
Politische Parteien als fragmentierte Organisationen im Wandel
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teiführung oder eine Verschiebung der innerparteilichen Mehrheitsverhältnisse zugunsten einer parteiinternen Koalition (sogenannte dominante Koalition). Zumindest drei zentrale Ursachen für Parteienwandel haben sich als besonders bedeutsam erwiesen: der Wechsel der Parteiführung, der Wechsel der
dominanten Koalition innerhalb einer Partei oder externe Stimuli in Form von
Veränderungen der Umwelten von Parteien (siehe Harmel/Tan 2003; siehe
auch Stroh in diesem Band). Parteiinterne Akteure können Initiatoren von
Wandlungsprozessen sein, ohne dass Umwelteinflüsse unmittelbar ihr Handeln
leiten. Veränderungen der Umwelten wirken sich dagegen auf Parteien nur aus,
wenn sie von innerparteilichen Gruppierungen oder der Parteiführung rezipiert,
aufgenommen und verarbeitet werden. Die parteiinternen Akteure fungieren in
diesem Fall als Gestalter des primär von Umwelteinflüssen ausgehenden Wandels. Die Wahrscheinlichkeit eines Parteienwandels ist dann am höchsten,
wenn externe Ursachen zusammenfallen mit internen Wandlungsprozessen. In
den meisten Fällen ist der Parteienwandel zurückzuführen auf die interne Rezeption und Bearbeitung der Veränderungen der Umwelten.
Abbildung 1: Strategiefähigkeit politischer Parteien
Programmatische Orientierung
Inhaltliches
Profil
Identität
Strategiefähigkeit
Strategisches
Zentrum
Organisation
Kommunikation
Quelle: in Anlehnung an Raschke (2001).
Image
30
Uwe Jun
Aufgrund der Parteienkonkurrenz und der öffentlichen Rechenschaftspflicht
ihres Handelns kommen politische Parteien nicht umhin, zentralen Veränderungen ihrer Umwelten aufgeschlossen gegenüber zu sein und als lernende
Organisationen Beweglichkeit und Veränderungswillen zu demonstrieren,
um nicht erheblichen Legitimationsverlust zu erleiden oder im Konkurrenzkampf deutlich an Boden zu verlieren. Insbesondere langfristigen Trends
können sich Parteien nicht entziehen, wenn sie auf dem Wählermarkt oder als
Politikgestalter erfolgreich agieren wollen.
Voraussetzung von intentionalen Wandlungsprozessen politischer Parteien ist ihre Fähigkeit, Strategien zu entwickeln und zu implementieren. Strategien sind mittel- oder langfristig angelegte, situationsübergreifende Regelsysteme oder Kalküle, bei denen eine zweckrationale Beziehung zwischen Zielen und Mitteln angenommen wird und deren Zugrundelegung auf einer Erfolgsorientierung basiert (zum Strategiebegriff Raschke/Tils 2007: 127ff.).
Mit der Entwicklung von Strategien und ihrer Implementierung versuchen
politische Parteien, Wandlungsprozessen in ihren Umwelten erfolgreich zu
begegnen und ihre komplexen Beziehungen zu ihren Umwelten im Hinblick
auf ihre Zielverwirklichung zu steuern. Sie sind auch als Management von
Ungewissheiten zu charakterisieren, da die Organisationsumwelten von Parteien für diese prinzipiell durch Unsicherheit gekennzeichnet sind. Politische
Parteien können nur dann als strategiefähig gelten, wenn sie ein strategisches
Zentrum aufbauen, da sie als Gesamtorganisationen aufgrund der fragmentierten Organisationsstrukturen ansonsten kaum steuerungsfähig sind und
strategisch betrachtet in einzelne Strategieelemente zerfallen. Ein solches informelles strategisches Zentrum besteht idealiter aus drei bis fünf individuellen Akteuren, die aus strategisch relevanten Positionen in Regierung, Parteioder Fraktionsführung heraus agieren. Dieses strategische Zentrum ist eingebunden in ein System von Beratern und umgeben von den Spitzengremien
der Partei. Sie beraten, diskutieren und beschließen die Reaktionen der Partei
auf Umweltveränderungen, legen gemeinsam Strategien fest, aus denen sich
der jeweilige politische Standort der Partei im Parteienwettbewerb und die
Ziele näher bestimmen lassen. Jedoch agiert das strategische Zentrum nicht
im luftleeren Raum. Strategiefähigkeit wurzelt in der Partei als Gesamtorganisation, wenn sie auch in ihrer letztlichen Ausprägung sehr häufig ein Produkt von Parteieliten ist. Diese bestimmen zunächst aufgrund ihrer formalen
Position innerhalb der Partei und als Hauptverantwortungsträger gegenüber
den Medien und gegenüber der Wählerschaft das Handeln der Partei. Durch
die Medialisierung und Professionalisierung von Politik wachsen ihnen aufgrund der äußerlich sichtbaren Vertretungsmacht nach außen, aber auch nach
innen, die sie gegenüber der Gesamtorganisation eingenommen haben,
Machtressourcen zu. Schließlich erbringen sie gegenüber der (Medien-)Öffentlichkeit eine Orientierungsfunktion mit unverkennbaren Wirkungen auf
das Außenbild der Partei und organisieren in öffentlichen Institutionen und
Politische Parteien als fragmentierte Organisationen im Wandel
31
den Geschäftsstellen das alltägliche Politikgeschäft oberhalb der lokalen
Ebene. Die Partei als Gesamtorganisation kann daher die jeweiligen Entscheidungen des strategischen Zentrums nur unter Inkaufnahme der Reduktion von Erfolgschancen im Parteienwettbewerb in Frage stellen, da von politischen Parteien ein recht hohes Maß an Kohärenz des Auftretens erwartet
wird, wie zahlreiche Beispiele von Misserfolgen bei Wahlen von in sich uneinigen Parteien aufzeigen. Bislang haben Wähler und Öffentlichkeiten
höchst selten öffentlich ausgetragene innerparteiliche Kontroversen belohnt.
Die Parteiorganisation sollte also gegenüber dem strategischen Zentrum ihre
vorhandenen Blockier- und Kontrollmöglichkeiten mit Bedacht und Vorsicht
nutzen, um nicht Erfolgsaussichten zu gefährden.
Wiederum gilt auch für Parteiführungen, dass Entscheidungen nur dann
auf Dauer tragfähig sind und Wahlerfolge versprechen oder Gestaltungsansprüche durchsetzbar werden, wenn bei dem Prozess dahin sowohl Effizienzkriterien beachtet wie bestimmte Grundsätze innerparteilicher Willensbildungsprozesse nicht ständig verletzt werden. Zur Strategiefähigkeit gehört es
also auch, innerparteiliche Verfahren zu wählen, die sicher stellen, dass die
Inhalte und Ziele zumindest nicht auf aktiven Widerstand bei Mitgliedern
und Sympathisanten stoßen. Reaktionen, Strategien und Wandlungsprozesse
können die Identität der Partei, die Wahrnehmung von Mitgliedern und Sympathisanten nicht unbeachtet lassen, weil sich die Partei ansonsten ihr Fundament unter den Füßen wegzöge und an inner- wie außerparteilicher Legitimität deutlich verlöre. Die Vernachlässigung der Werte, Ideen und Ressourcen der Parteibasis führt langfristig zu Entfremdung und gesellschaftlicher
Entleerung der Partei, was zumeist negative Konsequenzen auf Wahlergebnisse und Legitimation des Parteihandelns hat (siehe Poguntke 2006: 402;
Mair 2008).
Des Weiteren sollte bei sich wandelnden Wählerschaften hin zu mehr situativ entscheidenden Wechselwählern und angesichts der Großorganisation
mit Skepsis betrachtenden jüngeren Generationen für potenzielle Wähler und
Mitglieder der Nutzen ihres Handelns erkennbar sein. Dieser Nutzen kann affektiv oder rational begründet sein. Da bei potenziellen Mitgliedern eine instrumentelle Sichtweise auf die Zugehörigkeit zu einer Partei überwiegt, ist
es nicht von der Hand zu weisen, dass persönliche Vorteile offenkundig gemacht werden sollten. Nach dem Zerfall der sozial-moralischen Milieus ist
ein Beitritt zu einer Partei aus traditioneller Verbundenheit eine Rarität; ähnliches lässt sich über die Wahlentscheidung des Individuums bei jüngeren
Generationen sagen.
Daraus folgt, dass politische Parteien zur erfolgreichen Mitgliedergewinnung ihr Anreiz- und Gratifikationssystem überdenken müssen, hin zu nutzenorientierter Partizipation und weg von den auf kollektiven Identitäten beruhenden Organisationstraditionen und -ritualen. Die zumeist temporäre,
kontextabhängige und auf punktuellen Anlässen beruhende Herangehenswei-
32
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se jüngerer Generationen an Politik ist mit „Vereinsmeierei“ und Gremiensitzungen nach festgefügten Normen und Ritualen kaum vereinbar. Kurzfristige, punktuelle und erlebnisorientierte politische Handlungen, die direkt erfahrbar sind, werden von diesen Bevölkerungsgruppen mehr nachgefragt.
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