Zeit für ein neues Marketing

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als aktuelle Ergänzung zur Printausgabe | | |
inhalt
1-2012
3 N
ews: Frühe Nutzenbewertung Zytiga •
Marketingbudgets • OTC-Marken • In aller
Kürze
© Foltolia
5 I nterview: Unternehmensberater Andreas
Guhl über praktische und strategische
Probleme der Nutzendossier-Erstellung
10 Titel: Vom klassischen Marketingansatz
zum evidenzbasierten Marketing
Zeit für ein neues Marketing
Neue Herausforderungen für das Pharmamarketing 15 Kundenorientierung: Patientenansätze
für die Pharmaindustrie
19 Social CRM: Wie verändert sich das
Customer Relationship Management?
24Recht: Werbung mit Flyern auf
Arzneimittelverpackungen
26Kolumne: Brand Bias bei der OTC-Marke
Seite 10
Editorial
↘
Vorschau
Vom Eminenz- zum Evidenzmarketing
Im Verlauf der letzten Jahrzehnte war Marketing stark durch die Berufung auf Meinungsbildner, gewissermaßen auf Eminenzen ihres Faches, sowie durch Hinweise auf gewisse
Zusatznutzen geprägt. Ein Marketing, dass nicht gerade zum positiven Image der Branche
beigetragen hat. Folgt Marketing der Entwicklung in der Medizinwissenschaft, so wird
seine Zukunft zunehmend evidenzbasiert sein, denn die Ausrichtung des Marketing folgt
der wissenschaftlichen Entwicklung mit einer gewissen Zwangsläufigkeit. Unsere Titelgeschichte zeigt Ihnen, wie sich dementsprechend das Geschäftsmodell der Pharmabranche
wandeln muss.
Die Zahl der Unternehmen, die vor der Aufgabe stehen, ein Nutzendossier zu erstellen,
steigt nach einem Jahr Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) kontinuierlich an.
Eine Aufgabe, die es in sich hat, wie unser Interviewpartner Andreas Guhl weiß. Im Interview
erläutert der Pharmamarketingexperte, welche praktischen und strategischen Implikationen sich für die Unternehmen ergeben. Eine nicht zu unterschätzende Herausforderung.
pharma
marketing
journal
Februar 2012
Im Februar-Heft lesen Sie unter anderem:
Titel: E-Patient – Das Wissen der Patienten stammt zunehmend aus dem Internet. Aber wer ist der E-Patient,
wie und wo informiert er sich?
Interview: Dr. Rainer Hess, unparteiischer Vorsitzender
des Gemeinsamen Bundesausschusses (GB-A), über ein
Jahr frühe Nutzenbewertung
Closed-Loop-Marketing: Ein System zur intelligenten
Gestaltung des Beziehungsmanagements
Steigen Sie ein in das neue „pharma marketing e-journal“ und
verschaffen Sie sich einen Überblick über die Chancen und Risiken
dieses spannenden Markts.
Zielgruppen: Neue Konzepte sind notwendig, um die
Bereitschaft von Frauen und Männern zu erhöhen,
mehr Geld für ihre Gesundheit auszugeben.
Ihr
Peter Hanser
verantwortlicher Redakteur
E-Mail: [email protected]
Recht: Bestechlichkeit von Ärzten
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die Februar-Ausgabe bequem per E-Mail
Impressum
2
↘
Stabile Budgets
Markt &
Marketing
↘
Erste frühe Nutzenbewertung eines Onkologikums
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
(IQWiG) hat seine Nutzenbewertung für Zytiga (Abirateronacetat) von
Janssen im Rahmen des Arzneimittelmarkt-Neuordnungs-Gesetz (AMNOG) vorgelegt. Das IQWiG zieht in seinem Gutachten das Fazit, dass es
Hinweise auf einen beträchtlichen Zusatznutzen von Zytiga für solche
Patienten gibt, für die eine erneute Therapie mit Docetaxel nicht infrage
kommt. Dieses Medikament ist in Kombination mit Prednison oder Prednisolon zugelassen bei Patienten mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakarzinom (mCRPC) nach Versagen einer Docetaxel-haltigen Positiv bewertet: Auch die zweite frühe Nutzenbewertung des IQWiG fiel gut aus.
Chemotherapie. Dies betrifft circa 75 Prozent der schätzungsweise 7 000
Patienten mit mCRPC in Deutschland. Der Zusatznutzen wird für die Endpunkte Mortalität und
Morbidität bestätigt. Der Zusatznutzen der Therapie mit Zytiga für Patienten, die für eine weitere Chemotherapie infrage kämen, wird vom IQWiG als „nicht belegt“ eingestuft. Abweichend
von der IQWiG-Bewertung ist Janssen der Meinung, dass auch bei solchen Patienten, die formal
für eine erneute Therapie mit Docetaxel geeignet sind, ein beträchtlicher Zusatznutzen von Zytiga vorhanden ist. Diese Ansicht unterstützen auch Experten. Janssen wird wie vom Verfahren
vorgesehen bis zum 23. Januar 2012 gegenüber dem Gemeinsamen-Bundesausschuss (G-BA)
eine Stellungnahme zu der Nutzenbewertung des IQWiG abgeben und anschließend konstruktiv am weiteren Bewertungsprozess mitarbeiten. Stellungnahmen anderer Absender sind bis zu
diesem Termin ebenfalls möglich. www.janssen-cilag.de
3
Die Marketingbudgets im
Healthcare-Markt bleiben im
Jahr 2012 stabil. 66 Prozent der
von der Werbeagentur Wefra
befragten Pharma-Marketingentscheider der Rx- und
OTC-Segmente gehen davon
aus, dass die Budgets gleich
Mangelware: Smartbleiben. Zurückhaltend zeigt
phone- und Tablet-PCsich die Branche im Hinblick
Applikationen sind in der
auf Kommunikationskanäle wie Pharma­branche noch
nicht angekommen.
Online und Social Media. Der
Fokus der Aktivitäten liegt nach
wie vor auf dem Außendienst und der klassischen Werbung respektive PR. Was aufhorchen lässt: Keinem der
befragten Unternehmen stehen im kommenden Jahr
mehr Mittel als 2011 zur Verfügung und das, obwohl
die Herausforderungen als durchaus ambitioniert wahrgenommen werden. Fast alle Marketing-Entscheider
(94 Prozent) erwarten einen höheren Wettbewerbsdruck
und 89 Prozent gehen von einem zunehmenden Preisdruck auf einzelne Präparate aus. Doch was trägt zu
dieser Markthaltung bei? 60 Prozent der Pharma-Marketing-Experten erwarten eine stärkere Einflussnahme
von Politik und Kassen auf die Wettbewerbsspielregeln.
Damit rückt die Kosteneffektivität einzelner Produkte in
den Mittelpunkt und das kann teuer werden – vor allem
für die Unternehmen.
www.wefra.de
↘
In aller Kürze
Markt &
Marketing
Kosten: Durch gezielte Reduktion der gewachsenen
Komplexität im deutschen Gesundheitssystem kann
der Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV) von 15,5 auf mindestens 14,2 Prozent gesenkt
werden und können 13 Milliarden Euro eingespart
werden. Eine Studie von A.T. Kearney zeigt erstmals
auf, dass die Verwaltungskosten im öffentlichen deutschen Gesundheitssystem im Jahr 2010 tatsächlich 40,4
Milliarden Euro betragen haben.
↘
Aspirin ist das bekannteste
OTC-Medikament
Fragt man die Deutschen, welche Medikamente sie kennen,
wird Aspirin mit deutlichem Abstand am häufigsten genannt.
Im Westen kommt mehr als jeder Vierte (25,2 Prozent) un- Top-Marke: Jeder vierte Bundesbürger
gestützt, also ohne einen Markennamen vorzugeben, auf kennt die Bayermarke Aspirin.
das Produkt. Im Osten sind es 18,8 Prozent. Das ist ein Ergebnis der West-Ost-Markenstudie
(WOM 2011) von MDR-Werbung und dem Institut für angewandte Marketing- und Kommunikationsforschung (IMK). Mit erheblichem Abstand folgen dann Ratiopharm (8,1 Prozent West,
7,2 Prozent Ost) und Paracetamol (6,8 Prozent West, 5,0 Prozent Ost).
Die Ergebnisse zeigen, dass kaum Unterschiede in Markenbekanntheit zwischen Ost und West
festzustellen sind. Erst ab dem vierten Platz sind geringe Abweichungen abzulesen. So spielt
Thomapyrin im Osten keine Rolle. Dagegen landet Dolormin nur zwischen Rügen und Rennsteig
unter den Top Ten. „Die Ostprodukte im OTC-Segment, wie Bromhexin Tropfen – ein Hustenmittel von Berlin Chemie – oder Imidin – ein Schnupfenspray von Pharma Wernigerode – sind
nicht im Gedächtnis der Verbraucher verankert und können bei einer Befragung nicht spontan
genannt werden. Das belegt eindrucksvoll, was mit einer Marke passiert, wenn sie nicht für sich
wirbt“, warnt Niels N. von Haken, Geschäftsführer der MDR-Werbung. Dabei spielt die regionale
Herkunft bei der Kaufentscheidung im Osten eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Für die WOM 2011 haben die MDR-Werbung und IMK 2 000 Menschen repräsentativ befragt.
www.mdr-werbung.de
4
www.atkearney.com
Hausapotheke: Während in jungen Singlehaushalten
das Wort „Hausapotheke“ eher fremd ist und Medikamente eher in der Wohnung verteilt sind, so sind in
Haushalten mit Kindern wohlgeordnete und gepflegte
Hausapotheken schon eher die Regel als die Ausnahme.
Nur am Rande interessieren sich die Haushaltsmitglieder für die „Apotheke an der Wand“ wie die Marktforscher von TNS Infratest herausfanden.
www.tns-infratest.com
Personalien: Dr. Andreas Kiefer (50) ist neuer Vorsitzender des Deutschen Arzneiprüfungsinstituts e.V. (DAPI).
Das DAPI befasst sich mit der pharmakoökonomischen
und -epidemiologischen Prüfung und Bewertung von
Arzneimitteln sowie allgemeinen Fragen der Arzneimittelversorgung. Zum Stellvertretenden Vorsitzenden
wurde Dr. Peter Froese gewählt.
www.dapi.de
Interview
»Kostentreiber sind in erster
Linie die Personalkosten«
Autor: Peter Hanser
Kontinuierlich steigt die Zahl der beim G-BA eingereichten Nutzendossiers. Über die strategischen und
praktischen Probleme bei der Dossiererstellung
sprach pharma marketing journal mit dem Londoner
Berater Andreas Guhl.
5
Interview
Herr Guhl, Dossiers sind in der Pharmabranche
nichts Neues. Unternehmen erstellen parallel eine
ganze Reihe von Dossiers. Was unterscheidet ein
Nutzendossier von den bisher erstellten Dossiers?
ANDREAS GUHL: Das bekannteste Dossier ist das
sogenannte „Value Dossier“. Ein Value Dossier begleitet ein Produkt während seines gesamten Life-Cycles.
Dort werden sämtliche Daten (unter Umständen auch
zu den Mitbewerbern) erfasst, die für die Erstattungsfähigkeit von Interesse sind. Üblicherweise fokussiert
man dabei auf die fünf großen europäischen Märkte,
USA und Japan. Mit dem vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) geforderten Nutzendossier kommt
jedoch eine neue Qualität hinzu. Das Unternehmen
muss einen Zusatznutzen gegenüber einer Vergleichstherapie nachweisen, die vom G-BA festgelegt wird
und möglicherweise nur in Deutschland als adäquate
Vergleichstherapie angesehen wird. Wie man am
Beispiel Ticagrelor gesehen hat, können vom IQWiG
dabei auch Subpopulationen auf einen Zusatznutzen
untersucht werden, wobei dann im Extremfall jede ihre
eigene spezifische Vergleichstherapie erhält. Das kann
natürlich dazu führen, dass bei der Dossiereinreichung
keine entsprechenden Daten vorhanden sind und diese
in klinischen Studien erst noch erhoben werden müssen.
Erschwerend kommt dazu, dass die Informationen rund
um das AMNOG nicht erschöpfend genug in englischer Sprache zur Verfügung stehen, was die interne
Unternehmenskommunikation noch weiter erschwert.
Für jemanden wie mich, der die meiste Zeit im Ausland
verbringt, ist es manchmal schon erstaunlich zu sehen,
was dort an falschen Informationen oder Halbwahrheiten zum AMNOG kursiert.
Welches Ziel verfolgt das Nutzendossier?
GUHL: Die Nutzendossiers sind eindeutig darauf
ausgerichtet, dem Gesundheitssystem in Deutschland Geld zu sparen. Das zeigt sich alleine daran,
dass die Vergleichstherapie mehr oder weniger
festgelegt wird und beispielsweise gesundheitsökonomische Daten eine eher untergeordnete Rolle
spielen. In anderen Ländern wie UK werden gesundheitsökonomische Daten zu einem Produkt als
ebenso relevant angesehen wie die klinische Evidenz.
Welche formalen Anforderungen werden vom G-BA
an das Nutzendossier gestellt?
GUHL: Die formalen Anforderungen sind sehr hoch
und im internationalen Vergleich mit die anspruchsvollsten. Das Dossier besteht aus fünf Modulen deren
Inhalte und Struktur vom G-BA klar vorgegeben sind.
Allerdings sind meiner Meinung nach die Fristen viel
zu kurz. Für ein Produkt, welches aus dem Bestandsmarkt aufgerufen wird, ist eine Dossiererstellung in
nur drei Monaten, wie vom G-BA gefordert, kaum
zu bewältigen. Die Erstellung eines Value Dossiers
erfordert mindestens einen Zeitraum von sechs bis
neun Monaten. Muss noch eine systematische Lite-
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raturrecherche durchgeführt werden verlängert sich
dieser Zeitraum entsprechend.
Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Faktor ist die
Tatsache, dass das Nutzendossier nur in deutscher
Sprache eingereicht werden darf. In anderen europäischen Ländern wie den Niederlanden oder Skandinavien kann auch in Englisch eingereicht werden.
Gerade für internationale Unternehmen liegt damit
die größte Arbeitsbelastung bei der deutschen Filiale.
Drei Monate nach Einreichung des Dossiers wird die
Bewertung durch das IQWiG auf der Webseite des
G-BA veröffentlicht. Ausgenommen ist Modul 5, da
dieses die vertraulichen Informationen enthält. Ich
denke, diese klaren Vorgaben unterstützen die Unternehmen auch in der Erstellung der Dossiers, gerade
in einem Land, wo man mit dieser Art von Dossiers
kaum oder nur wenig Erfahrung hat.
Kann der Bewertungsprozess schon an der
Nichterfüllung formaler Kriterien scheitern?
GUHL: Ja, das kann in der Tat passieren. Unternehmen
können gleich zu Beginn der Einreichung in mehrere
Fettnäpfchen treten. Zum Beispiel ist ein Abweichen
von der vorgegeben Dossierstruktur nicht möglich.
Auch sollten sich Unternehmen über die Konsequenzen
im Klaren sein, dem G-BA Informationen vorzuenthalten. Das kann natürlich auch unwissentlich passieren.
Das IQWiG führt seine eigenen Literaturrecherchen
durch und wenn dabei eine wichtige publizierte Studie
Interview
zum Produkt entdeckt wird, die nicht im Dossier berücksichtigt wurde, kann das zu einer Abweisung des
Nutzendossiers wegen Unvollständigkeit führen. Der
G-BA führt auf Wunsch eine Vollständigkeitsprüfung
des Dossiers durch, falls dies spätestens zwei Wochen
vor Deadline eingereicht wird. Eine Checkliste zur
Vollständigkeitsprüfung kann man sich auch von der
Webseite des G-BA herunterladen.
Erhalten Unternehmen nach einer Abweisung eine
zweite Chance?
GUHL: Ja, die gibt es, allerdings mit erheblicher zeit-
Unabhängige Prüfinstanz: Das Kölner Institut für Qualität und
Wirtschaftlichkeit in der Gesundheitswirtschaft untersucht, welchen
Nutzen und Schaden medizinische Maßnahmen für Patienten
haben können.
»Es ist manchmal schon erstaunlich zu sehen, was im Ausland an
falschen Informationen oder Halbwahrheiten zum AMNOG kursiert.«
licher Verzögerung, je nachdem, wie schwerwiegend
die Abweichungen waren.
Welche Implikationen ergeben sich aus den formalen
Anforderungen an die Unternehmen?
GUHL: Das ist eine gute Frage, denn die Implikationen können sehr facettenreich und schwierig in einer
einzigen Antwort abzubilden sein. Sicherlich hängt es
davon ab, ob das Dossier für eine Neueinführung erstellt wird oder für ein Bestandsmarktprodukt, welches
weitaus umfangreicher ist. Durch die Vielschichtigkeit
eines Nutzendossiers müssen unterschiedliche Kompetenzen von der Medizin über die Zulassung bis hin
zur Rechtsabteilung innerhalb eines Unternehmens
gebündelt und diese dann teilweise unter extrem hohem Zeitdruck auf die Erstellung von Nutzendossiers
fokussiert werden. Dabei darf das Alltagsgeschäft auch
nicht zu kurz kommen. Dies erfordert in erster Linie
ein hohes Maß an Projektmanagement. Die meisten
großen Unternehmen haben diese Kompetenz frühzeitig
aufgebaut und teilweise neue Abteilungen gegründet,
die genau für diese Koordination verantwortlich sind.
Bei den mittleren und kleineren Unternehmen dagegen
sieht es ein wenig anders aus. Die müssen sich oftmals
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diese Kompetenz von extern einkaufen, ein zusätzlicher
Kostenfaktor, der nicht unbedingt im Budget vorgesehen war. Ein weiteres Phänomen ist die Tatsache, dass
es im Ausland mittlerweile eine Knappheit an deutschen
Muttersprachlern im Bereich Market-Access gibt. Nicht
nur Unternehmensberatungen suchen händeringend
nach Mitarbeitern – auch internationale Unternehmen,
die eine Schnittstelle hinsichtlich AMNOG zwischen der
deutschen Filiale und dem Headquarter eingerichtet
haben, haben Schwierigkeiten, diese Positionen zu
besetzen.
Der G-BA bietet auch eine Beratung zur Erstellung der
Nutzendossiers an. Ist es sinnvoll, diese zu nutzen?
GUHL: Der G-BA bietet nicht nur eine Beratung zum
Dossier per se an sondern beispielsweise auch zur
möglichen Vergleichstherapie. Allerdings muss der
Terminus „Beratung“ relativiert werden. Man darf
sich das nicht als eine Diskussion am runden Tisch
mit Fachexperten des G-BA vorstellen – eine Vorstellung die gerade international noch in vielen Köpfen
vorherrscht. Die Fragen des Unternehmens gehen an
einen Unterausschuss des G-BA, der sich damit befasst
und seine Einschätzung in Form eines Protokolls dem
Interview
Unternehmen zur Verfügung stellt. Das Prozedere ist
identisch mit der Beratung des National Institute of
Health and Clinical Excellence (NICE) in England und
Wales. Ich denke, die Unternehmen sollten von dem
Service Gebrauch machen, insbesondere, um frühzeitig
herauszufinden, welche Therapie vom G-BA in der
späteren Bewertung als mögliche Vergleichstherapie
herangezogen wird. Ist die Vergleichstherapie bereits
generisch, kann man sich an drei Fingern abzählen,
worauf die späteren Preisverhandlungen mit dem GKV
Spitzenverband hinauslaufen werden.
Der G-BA berät Unternehmen auch zum Design von
Phase-III-Studien. Dadurch, dass die Firmen schriftlich
ein offizielles Protokoll zur Verfügung gestellt bekommen, kann das die interne Kommunikation unheimlich
erleichtern. Meiner Meinung nach ersetzt jedoch
die Beratung nicht unbedingt profunde qualitative
Marktforschung im Bereich Payer Research. Die Kritik
an der Beratung durch den G-BA ist die mangelnde
Transparenz, denn die Unternehmen wissen nicht „wer“
ihre Fragen beantwortet hat, geschweige denn, ob es
sich um einen Experten aus dem Fachgebiet handelt.
Hierzu habe ich mit „Payer Chat“ ein innovatives Tool
entwickelt, welches genau dieses Problem angeht und
auch in englischer Sprache zur Verfügung steht.
Entstehen für diese Beratung Kosten?
GUHL: Die Beratung ist gebührenpflichtig. Die Höhe
richtet sich dabei nach der Komplexität der Fragestel-
»Unternehmen können gleich zu Beginn der Einreichung des Nutzendossiers in mehrere Fettnäpfchen treten.«
lungen und ist in drei Kategorien eingestuft, wobei
Kategorie 1 mit 2 000 Euro zu Buche schlägt, Kategorie 2 mit 7 000 Euro und Kategorie 3 mit 10 000
Euro. Sollte der G-BA der Meinung sein, dass die
Fragestellung sehr komplex war, kann sich die Gebühr
sogar verdoppeln. Bei einfachen Fragestellungen gibt
es aber auch Abschläge. Unternehmen müssen vorab
einen Vorschuss von 5 000 Euro leisten, bevor der GBA seine Arbeit aufnimmt.
Welche Inhalte sollten in dieser Beratung ange­
sprochen werden?
GUHL: Die entscheidende Frage ist die nach der
Vergleichstherapie – auch für mögliche Subpopulationen. Gibt es keine, so sollte sicherlich die Frage des
indirekten Vergleichs angesprochen werden. Bei einer
frühen Beratung, das heißt vor dem Start der Phase-IIIStudien, steht sicherlich die adäquate Vergleichstherapie
im Vordergrund, aber auch Punkte wie Studiendesign,
primäre und sekundäre klinische Endpunkte sowie
mögliche Subpopulationen.
Wie verbindlich ist die Beratung durch den G-BA?
GUHL: Die Beratung ist nicht rechtsverbindlich. Das
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ist jedoch europaweit bei allen G-BA-ähnlichen Institutionen der Fall.
Wenn der G-BA in der Beratung eine Vergleichstherapie empfiehlt, kann dann möglicherweise eine
andere Vergleichstherapie im Bewertungsverfahren
herangezogen werden?
GUHL: Theoretisch wäre das möglich. Deshalb sollte
sich ein Unternehmen durch qualitative Marktforschung absichern.
Ist das schon vorgekommen? Welche Konsequenzen
hatte dies für die Unternehmen?
GUHL: Meines Wissens noch nicht. Die Konsequenzen
wären unter Umständen fatal. Stellen Sie sich vor, ein
Unternehmen baut ein komplettes Phase-III-Studiendesign auf Basis der Beratung durch den G-BA auf
und stellt später fest, dass die Daten wertlos sind, weil
zwischenzeitlich ein anderes Produkt als Vergleichstherapie herangezogen wird. Der G-BA ist jedoch nicht
völlig rigide, was die Vergleichstherapie angeht. In
mindestens zwei Fällen wurde die Vergleichstherapie
revidiert, nachdem dem G-BA neue Informationen zu
den Produkten zur Verfügung gestellt wurden.
Interview
Gibt es auch Software-Unterstützung für die Erstellung
von Nutzendossiers?
GUHL: Es gibt keine spezifische Software für die Erstellung des Nutzendossiers in Deutschland, jedoch
Software, die im Rahmen der Erstellung von Value
Dossiers genutzt wird, und auch bei der Erstellung von
Nutzendossiers herangezogen werden kann. Für die
Literaturrecherche kann zum Beispiel ein Programm
wie „RefMan“ unterstützend eingesetzt werden oder
Software für die Editierung des Dossiers, wie sie auch
für Zulassungsdossiers benutzt wird.
Um die interne Kommunikation während der Erstellung eines Nutzendossiers zu erleichtern kann,
Intranet-basierte Software wie „Sharepoint“ hilfreich
sein. Die an der Dossiererstellung beteiligten Personen können sich damit in Echtzeit über den Fortschritt
der Dossiererstellung informieren, Dokumente und
Projektpläne können dort hinterlegt oder interne
Termine für Telefonkonferenzen vereinbart werden.
Diese Kommunikationsplattform funktioniert ganz
ähnlich wie Facebook, es fehlt jedoch der „Like“Button. Das Endprodukt ist das elektronische und
leicht navigierbare Nutzendossier, das sogenannte
e-AMNOG-Dossier.
Welche Umfänge kann ein solches Nutzendossier
erreichen? Und mit welchen Kosten ist zu rechnen?
GUHL: Die Umfänge der Dossiers sind sehr unterschiedlich und momentan haben wir es ja nur mit Dos-
siers für Neueinführungen zu tun. Die Nutzendossiers
aus dem Bestandsmarkt werden sicherlich weitaus
umfangreicher. Dadurch, dass die Informationen in
Modul 5 vertraulich sind, sind Informationen über den
kompletten Umfang nicht öffentlich zugänglich. Die
Firmen, mit denen ich gesprochen habe, nannten eine
Größenordnung von 3 000 bis hin zu 15 000 Seiten. Hier
muss jedoch angemerkt werden, dass dieses Volumen
nicht komplett neu erstellt werden muss, sondern das
meiste aus den Zulassungsunterlagen übernommen
werden kann.
Die Kosten für die Erstellung eines Nutzendossiers
hängen insbesondere davon ab, welcher Anteil der
Arbeiten im Unternehmen selbst erstellt werden
kann, und was noch extern vergeben werden muss.
Die Preisspanne liegt zwischen 100 000 und 300 000
Euro, wobei ein forschendes Unternehmen für ein
Bestandsmarktprodukt im Diabetes-Bereich die internen und externen Kosten mit knapp 600 000 Euro
angesetzt hat.
Welches sind die Kostentreiber bei der Nutzendossiererstellung?
GUHL: Die Kostentreiber sind in erster Linie die Personalkosten. Auch wenn ein Unternehmen in der Lage ist,
das meiste intern durchzuführen, so ist die Erstellung
eines Nutzendossiers eine interdisziplinäre Herausforderung mit hohem Personalaufwand. Manche Firmen
führen vor der Erstellung des Nutzendossiers und/
9
oder kurz vor Einreichung des Dossiers zusätzliche
Advisory Boards mit externen Experten durch. Dabei
fokussiert sich die Diskussion insbesondere auf die
Argumentation zur Vergleichstherapie und der Argumentierung hinsichtlich des möglichen Zusatznutzens.
Solche Maßnahmen sind weitere Kostentreiber, können
jedoch im Endergebnis viel Geld sparen.
Ist denn wenigstens eine Zweitverwertung der Nutzendossiers möglich?
GUHL: Diese Frage kommt insbesondere von Unternehmen, die bereits am Nutzendossier aus dem
Bestandsmarkt arbeiten. „Was, wenn wir gar nicht
‚dran‘ kommen?“. Nutzendossiers können auf vielfältige Weise verwendet werden. Die klinische Evidenz ist
international und kann in anderen Ländern für Health
Technology Assessments (HTA) herangezogen werden
beziehungsweise auch für nationale Erstattungsdossiers. Aus den zusammengetragenen Informationen
im Nutzendossiers können Schulungsunterlagen oder
Aktualisierungen von Schulungsunterlagen für den
Außendienst oder, falls vorhanden, für den gesundheitspolitischen Außendienst erstellt werden. Ebenso
können die Informationen aus dem Nutzendossier als
Basis für die Verhandlungen von Direktverträgen mit
Krankenkassen herangezogen werden. Der Aufwand
für die Erstellung eines Dossiers ist nicht komplett
umsonst, auch wenn kein Aufruf durch den G-BA
erfolgt. ←
© Foltolia
Titelstory
Zeit für ein
neues Marketing
Autor: Klaus-Jürgen Preuß
Der Pharmamarkt hat sich in den letzten
Jahren grundlegend gewandelt. Mit einem „klassischen“ Marketingansatz wird
man den zukünftig geltenden Regeln
nicht mehr gerecht werden. Nur durch
ein paralleles Redesign des Marketings
im Sinne der evidenzbasierten Medizin
wird man erfolgreich bestehen können.
10
Titelstory
Die Vergangenheit gehörte den Blockbustern. Heute
sterben sie, ähnlich wie die Dinosaurier, langsam aus.
Die Zukunft gehört den sogenannten „Nichebustern“,
effektiven Orphan Drugs, „Super Orphan Drugs“
und einer zunehmend individualisierten Medizin in
Diagnostik und Therapie.
Gemein ist allen diesen Ansätzen, dass es sich um hoch
spezifische Diagnose- oder Therapieansätze handelt,
die sich auf abgegrenzte Patientenpopulationen konzentrieren. Das Marketing muss sich künftig auf kleine
Zielgruppen und Spezialpopulationen ausrichten.
Innerhalb des Marketingmix hat das Preis- und Erstattungsmanagement inzwischen in seiner Bedeutung
alle anderen Elemente auf die Plätze verwiesen. Im
alten Paradigma waren die wesentlichen Entscheider
der Arzt und der Apotheker. Viele kleine Einzelentscheider prägten unser Gesundheitswesen in den
vergangenen Jahrzehnten. Hierzu benötigte man eine
wenig differenzierte Massenkommunikation und große
Außendienste, um die einfachen Botschaften an diese
zersplitterte Zielgruppe effektiv heranzutragen. Der
Marketingmix bestand im Grunde aus nur wenigen
Elementen.
Parallel hat sich die Kostenträgerlandschaft neu organisiert. Von mehr als eintausend Kassen in den achtziger Jahren werden bis Mitte dieses Jahres lediglich
145 übriggeblieben sein. In wenigen Jahren werden
es nicht einmal mehr einhundert sein. Die entscheidenden Mechanismen und relevanten Prozesse folgen
heute dem Business-to-Business(B2B)-Konzept. Die
Verhandlungen und Gespräche zwischen den Transaktionspartnern werden weniger, dafür komplexer und
intensiver. Neue Stakeholder dominieren die relevanten Entscheidungsmechanismen und Prozesse. Die
Fokussierung auf ein evidenzbasiertes Marketing wird
bei der Neuorientierung im Zentrum stehen. Diese
Entwicklung folgt mit einer gewissen Zwanghaftigkeit
– aber auch Logik – der Entwicklung der medizinischen
Wissenschaft in den letzten zwei Jahrzehnten.
Mit der Einführung des evidenzbasierten Marketings
wird ein großer Schritt in Richtung von mehr Transparenz und Objektivität getan. Parallel zur Objektivierung
der Ergebnisse in der Medizin und Behandlung über die
Schritte der Trias nach Donabedian (Struktur-, Prozessund Ergebnisqualität) wird auch das Marketing sich
entsprechend anpassen müssen. Marketingkommunikation nach den Prinzipien der evidenzbasierten Medizin ist ein Paradigmenwandel. Es kommt also wieder
mehr auf die Inhalte und auch die geeignete Form der
Übermittlung von zunehmend komplexen Inhalten an.
Hierzu stehen dem evidenzbasierten Marketing eine
Reihe von spezifischen Instrumenten wie Caremaps,
das EBM-Dossier (über evidenzbasierte Medizin), der
HTA(Health-Technology-Assessment)-Bericht (zur
Medizintechnik-Folgenabschätzung), Metaanalysen,
Leitliniensynopsen und gesundheitsökonomische
Modellierungen zur Verfügung.
11
↘
Handbuch Market-Access
Eine ausführliche Darstellung der Veränderungen in der Markt- und
Unternehmenssteuerung
der Pharmabranche finden Sie in dem „Handbuch Market Access“.
Darüber hinaus bietet
das Werk einen grundlegenden Überblick über
die Gestaltungsmöglichkeiten eines erfolgreichen und umfassenden
Market-Access. In neun
Kapiteln setzen sich Autoren aus Praxis und
Wissenschaft von verschiedenen Standpunkten
her mit dem Thema auseinander. So wird der
gesamte Lebenszyklus eines Produkts von den
ersten Stufen seiner prä-klinischen Entwicklung
bis hin zur Konsumption durch den Endverbraucher ganzheitlich aus der Perspektive des MarketAccess dargestellt. Ein Buch für alle Beteiligten
im Gesundheitssystem.
www.pharma-marketing.de/shop
Titelstory
Neue und andere Entscheidungsstrukturen
rshift
Entscheide
Kostenträger
Ärzte
KVen
G-BA
IQWiG
Apotheker
1980
1990
2000
Patienten
2012
Eine monodimensionale Entscheiderstruktur wird
durch multidimensionale Entscheidungsprozesse
abgelöst.
Das evidenzbasierte Marketing bewegt sich viel stärker
an der Kernleistung des Produktes. Das vorrangige
Ziel ist nicht mehr, multiplen kaum belegbaren Zusatznutzen zu generieren und zu kommunizieren. Die
wirklichen Stärken des Produktes stehen im Fokus
der Aktivitäten des evidenzbasierten Marketiers. Die
Herausarbeitung der besseren und möglichst kosteneffizienten Versorgung durch ein Arzneimittel, ein
Medizinprodukt oder eine medizinische Dienstleistung
ist die eigentliche Kernaufgabe. Die scharfe Profilierung
am bestehenden Therapiestandard, das Delta in der
CER-Perspektive zum etablierten „Goldstandard“, das
Abschneiden bei den relevanten Outcomeparametern
oder das qualitative Delta in der Verträglichkeit in einem Head-to-Head-Vergleich stellen die Essenz des
evidenzbasierten Marketings dar.
Auch der Kosten-Nutzen-Betrachtung wird in diesem
Ansatz eine hohe Bedeutung zugemessen, denn in
Zeiten beschränkter Ressourcen ist es eine ethische
Verpflichtung, die vorhandenen limitierten Ressourcen
möglichst nutzenstiftend einzusetzen. Alle Ansätze der
Gesundheitsökonomie von der Cost-of-Illness-Studie
bis hin zu guten Quality-of-Life-Studien werden hier
ihren Platz finden.
Grundsätzlich wird damit das Marketing mehr auf
Fakten und Daten basiert. Das schnelle „Claimen“
von schwer greifbaren Produktbenefits verfängt bei
professionellen Businesskunden nicht mehr. Relevante Outcomes und Endpunkte müssen durch die
Produkt- wie die gesamte Versorgungsleistung nachhaltig erreicht und belegt werden, um diese Kunden
zu überzeugen.
Auch das Visualisieren von selektiven Ergebnissen aus
Einzelstudien in Gesprächsfoldern ist kein akzeptierter
Lösungsweg mehr. Dieser „Scientific Fake“ wird durch
die qualifizierten Experten der anderen Seite schnell
entlarvt werden und das Verspielen von Credibility
und Good Will durch derartige Ansätze ist bei einem
B-to-B-Modell beinahe tödlich. Wenn man hin und
wieder einmal einen Arzt oder auch eine Praxisgemeinschaft verliert, nun denn, aber ein ganzes Ärztenetz
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oder eine bundesweite Klinikkette oder eine große
Versorgerkasse?
Damit ist klar: Zukünftig zählt Qualität und nicht mehr
Quantität. Bei den B-to-B-Rezeptoren gibt es nicht –
wie in der Konsumgüterindustrie – ein Jahresgespräch,
aber zukünftig wohl kaum zehn und mehr Calls pro
Kalenderjahr, um seine Geschichte zu erzählen. Auch
die professionelle Ausschreibung durch die Businesskunden wird stark zunehmen, und dann muss man
mit qualifizierten Daten und Fakten punkten, sonst
bleiben nur der Preis und der Rabatt auf diesen als
Argumente.
Mit dem Wandel des Geschäftsmodells, einerseits
weg von den einzelnen Ärzten und Apothekern hin
zu den Einkäufern von aggregierten horizontalen Versorgerketten, vertikalen IV-Modellen oder regionalen
Versorgungsverbünden und andererseits weg von den
Blockbustern hin zu den Nichebustern und Orphan
Drugs, werden die Produkt- und Marketingmanager
zunehmend ein evidenzbasiertes Marketingmix einsetzen, denn die gut ausgebildeten Gesprächspartner
auf der anderen Seite werden sich nicht mehr mit den
eher schlichten Botschaften und Argumenten der
Vergangenheit begnügen.
Allerdings wird sich die Verbreitung der neuen EBMInstrumente nicht schlagartig vollziehen, sondern eher
evolutionär. Mit der Geschwindigkeit des Entstehens
Titelstory
Neugewichtung im Marketingmix
Gewichtung im Marketingmix
1985 – 2000
Gewichtung im Marketingmix
2000 – 2020
Product
Place
Product
Place
Promotion
Price
Promotion
Price
Public Relation
Public Relation
Healthcare-Politics
Healthcare-Politics
von aggregierten Leistungsverbünden und Ketten
auf allen Stufen der medizinischen Wertekette steigt
auch die Nachfrage nach EBM-Instrumenten und
-Argumenten. Für die nächsten Jahre werden wir noch
in einer Parallelwelt leben. Innovative Unternehmen,
die die Zeichen der Zeit zu deuten wissen, werden
sich frühzeitig den Chancen und Möglichkeiten des
evidenzbasierten Marketings zuwenden. Andere,
eher traditionell ausgerichtete Firmen mit einem
entsprechenden Produktangebot, werden hingegen
noch viele Jahre an dem bestehenden „klassischen“
Marketingmodell festhalten.
Grundsätzlich wird das neue Marketing differenzierter
und komplexer. Es müssen parallel Kompetenzen und
Ressourcen für ein professionelles B-to-B-Marketing
aufgebaut, ein effektives Ausschreibungs- und Vertragsmanagement organisiert, das Stakeholdermarketing für die neuen Entscheider und Regulatoren
professionalisiert, die medizinischen Meinungsbildner
und Fachgesellschaften mit einem entsprechenden
medical Marketing bedient und die Endkunden in einem
glaubwürdigen D-to-C-Ansatz angesprochen werden.
Mit dieser Vielzahl der neuen Aufgaben und steigenden Komplexität ist eine Evolution des Marketings
unabdingbar. Dennoch wird man auch das „klassische“
Marketing nicht einfach einstellen können. Es wird
darauf ankommen, die Transition vom „klassischen“
zum new Marketing mit Augenmaß zu managen.
Mit der Ausrichtung auf ein strikt evidenzbasiertes
Marketing und der Fokussierung auf die Businesskunden, also auf ein vorwiegendes B2B-Marketing,
wird sich die Kosten-Nutzen-Relation wieder in die
gesellschaftlich gewünschten beziehungsweise sozial
akzeptierten Relationen verschieben. Für ein evidenzbasiertes Marketing an eine begrenzte Anzahl von
Entscheidern und Endkunden werden weit weniger
Marketingmittel benötigt als für die flächendeckende
Abdeckung von vielzahligen Einzelkunden (Ärzten und
Apothekern). Die Zahl der relevanten Zielgruppen
reduziert sich zukünftig von mehreren Zehntausend
auf wenige Hundert.
13
In einem viel beachteten Buch haben Porter und
Olmsted Teisberg (Redefining Health Care, Creating
Value-Based Competition on Results, 2006) aufgezeigt,
was die Industrie verändern muss, um die Probleme
im Gesundheitswesen zu lösen. Der Fokus muss auf
einen Wettbewerb um die Ergebnisse der qualitativ
besten und ökonomisch tragbaren Versorgung gelegt
werden. Dabei geht es nicht mehr um einzelne Arzneimittel oder Medizinprodukte, sondern um komplette
Versorgungsabschnitte oder gar um den gesamten
Versorgungszyklus.
Durch besseres Verständnis des Carecycles und durch
Economies of Scale sowie einen qualitätsorientierten
Versorgungsansatz können zukünftig Versorgungs-
Der evidenzbasierte Marketingmix
Produkt
Place
Promotion
Price
integrale
Versandhandel
EBM-Dossier
Verträge
Systemlösung
Internet
HC-Signalling
Capitation
Literaturreview
Risk-Sharing
Hard- und Software Direct to Patient
Carekonzepte
DMP & BMP
Casemanagement
CER-Zusatznutzen
Versorgungsrelevanz
IV-Modelle
Healthcaremapping
Caremaps
Leitliniensynopse
P4P & P4C
EBM-Claims-Check
Mehrwertansatz
CME
HEO-Modell
Healthcarecoaching
Willingness to pay
Titelstory
leistungen preisgünstiger erbracht werden. Ihre in
dem Buch dargestellte Hypothese geht davon aus,
dass eine hohe Qualität der Versorgung letztendlich
preiswerter ist als ein schlechtes Qualitätsniveau der
Versorgung. Die weltweit anerkannten Autoren gehen
darüber hinaus davon aus, dass der Wettbewerb im
Gesundheitssystem zukünftig überwiegend regional
und nur in ausgesuchten Feldern national ausgerichtet
sein wird.
Das von Porter und Olmsted Teisberg geforderte
Redesign der Prozesse bei der Erbringung von Gesundheitsleistungen gilt auch für das Marketing. Mit
einem traditionellen Marketingansatz wird man den
zukünftig geltenden Regeln nicht mehr gerecht werden. Nur durch ein paralleles Redesign des Marketings
Komplexität im Marketing
Marketing
„Klassisches“
B2PMarketing
2010
Direct-to-Consumer-
Neues
Stakeholder-
Direktvertrags-
Marketing
B2B-
marketing
marketing
Marketing
evidenzbasiertes Marketing
↘
Die zehn Gesetze des evidenzbasierten Marketings
– im Sinne der evidenzbasierten Medizin – wird man
erfolgreich bestehen können.
Einschneidende Schlussfolgerungen lassen sich aus
den in den vorangegangenen Abschnitten dargelegten
Szenarien ohne große Phantasie ziehen. Ein Mikrokosmos von tausenden einzelnen Leistungserbringern
wird durch professionelle und aggregierte Dienstleistungsstrukturen abgelöst. Der Standardisierung und
Konfektionierung der medizinischen Dienstleistung,
statt einer heterogenen Überindividualisierung des
Leistungsgeschehens, gehört die Zukunft. Qualitätsmanagement, Qualitätssicherung und Benchmarking
der eigenen Leistung werden zum Regelfall. Nur für
qualitativ bessere Leistungen und Produkte wird zukünftig noch eine bessere Vergütung möglich sein.
Man muss sie allerdings schlüssig und nachhaltig –
möglichst evidenzbasiert – belegen können.
Mit der sich langsam durchsetzenden Erkenntnis,
dass ein evidenzbasiertes Marketing auch viele neue
Chancen bietet, werden sich vor allem forschende und
innovative Unternehmen diesem Konzept zuwenden.
14
Vielleicht kommt es in den nächsten Jahren sogar
zu einem entsprechend ausgerichteten Qualitätsmanagement im Marketing. Dann wird es auch eine
erste Leitlinie zum evidenzbasierten Marketing geben.
Fortschrittliche Unternehmen werden diese Leitlinie als
konstitutiv für ihr Marketing ansehen und auf ihre Einhaltung hinwirken. Parallel wird sich eine Zertifizierung
des Marketings durchsetzen, welche die Kompetenz
und Qualifikation des Marketings nach den Methoden
der evidenzbasierten Medizin testiert. Damit wird ein
evidenzbasiertes Marketing eher zur Pflicht- als zur
Wahlleistung für die Unternehmen werden.
Bezüglich des gewählten Akronyms EBM für evidenzbasiertes Marketing lässt sich hieraus auch eine andere
Interpretation ableiten, EBM: Ein Besseres Marketing
für die Pharmabranche. ←
Dr. Klaus-Jürgen Preuß
ist Arzt und geschäftsführender Gesellschafter der EPC Healthcare
GmbH und verfügt über langjährige Erfahrung in Pharmabranche
und Medizintechnikindustrie.
Kontakt: [email protected]
Kundenorientierung
© Foltolia
Der Patient im Fokus
Stand in den vergangenen Jahrzehnten der Arzt im Fokus der kommerziellen
Aktivitäten der Pharmaindustrie, so richtet sich ihr Augenmerk immer mehr auf
die umfassende Betreuung der Patienten. Aber außer der Einsicht, dass diese Verschiebung neue Geschäftsmodelle ermöglicht, bietet die Industrie bislang wenig
konkrete Lösungen für die Umsetzung.
Autor: Karsten Sternberg
15
Aber warum soll oder gar muss denn der Patient in dem komplexen Zusammenspiel von Verschreibern, Erstattern und dispensierenden Apothekern überhaupt
berücksichtigt werden? Schließlich ist er ja nur der „Konsument“. Auf diese
Frage gibt es verschiedene Antworten:
Erstens: Der traditionelle Marketing- und Sales-Ansatz stumpft zunehmend ab.
Seit Jahrzehnten sind sich die Marketing- und Vertriebskonzepte für patent-
Kundenorientierung
geschützte Medikamente der meisten Hersteller
sehr ähnlich. Der gesamte Marketingmix mit allen
Facetten rund um Meinungsbildner, Spezialisten und
Allgemeinmediziner wird virtuos bei jedem Launch
repliziert und die Vertriebsaktivitäten rund um A-,
B- und C-Segmente appliziert. Jahrelang waren große
Außendienstlinien maßgeblich für den Umsatzerfolg
der Produkte. Aber Rabattverträge mit den Krankenkassen, notwendige Kosten-Nutzen-Analysen von
neutralen Instituten, gesetzlich limitierte Arztbesuche
und reduzierter Einfluss der Außendienstlinien bei
Ärzten haben das Marktumfeld verändert.
Ein neuer Ansatzpunkt ist die Fokussierung auf den
Patienten. Den Herstellern, die dies bereits praktizieren, fehlen hierfür jedoch die maßgeschneiderten
und umfassenden Marketingkonzepte. In Ermangelung alternativer Ansätze begnügen sie sich mit
sporadischen oder Standardprogrammen, die oft
nicht die gewünschte Wirkung entfalten und kaum
nachhaltig sind.
Zweitens: Die Patienten haben sich verändert.
Sie sind – vor allem Dank des Internets – viel aufgeklärter als früher und daher auch immer selbstbewusster. Während viele der älteren Generation die
verschriebene Arznei in der Regel widerspruchslos
und im vollen Vertrauen auf ihren Arzt eingenommen haben, so fragt die jüngere Generation häufig
kritisch nach und diskutiert Therapie und Medikation
mit dem Arzt. Dies gilt – berechtigterweise – umso
mehr, je schwerwiegender die Erkrankung ist. Gerade
viele chronisch Kranke sind in medizinischer Hinsicht
sehr mündig geworden und wissen bestens Bescheid
um therapeutische Alternativen. Hinzu kommen gut
aufgestellte und informierte Patientenorganisationen,
die vor allem chronisch Kranke mit umfangreichen
Informationen versorgen.
Drittens: Die Industrie hat einen weiteren wesentlichen Grund für die Orientierung in Richtung Patienten erkannt: das Thema Adhärenz.
Zahlreiche Untersuchungen auf Ebene der Patienten
ergeben mittlerweile alarmierende Einblicke in das
Einnahmeverhalten. Ging man bislang davon aus,
dass chronisch kranke Patienten wenigstens den
Großteil ihrer Medikamente regelmäßig wie verordnet
einnehmen, der Arzt bei Nebenwirkungen die Dosierung neu einstellt und die Nicht-Einnahme eher die
Ausnahme war, so zeigen patientenbasierte Studien
inzwischen ein komplett anderes Bild.
Innerhalb der ersten zwölf Monate sind je nach in
der Grafik aufgezeigter Indikation lediglich zwischen 47 und 70 Prozent der Patienten adhärent,
und selbst bei AIDS nehmen annähernd 20 Prozent
ihre Medikation nicht oder zumindest nicht wie
verordnet. Das beobachtete Einnahmeverhalten hat
drastische Folgen. Zunächst für den Patienten selbst,
da Falscheinnahme, Unterbrechungen oder gar der
16
Abbruch der Einnahme den Therapieerfolg deutlich
reduziert. Unterschiedliche Studien zeigen aber auch,
dass durch „Non-Adherence“ – wie zu erwarten war
– die Hospitalisierungkosten deutlich steigen.
Für die Pharmaindustrie ergeben sich aus dieser
Erkenntnis zwei wesentliche Konsequenzen. Erstens:
Ein geringerer Therapieerfolg für den Patienten oder
schlimmstenfalls erhöhte Nebenwirkungsmeldungen
aufgrund fehlender Adhärenz können die Zulassung
des Präparates gefährden.
Zweitens: Zielt der bisherige Marketingansatz darauf
ab, den Arzt zu überzeugen, das beste Medikament
für den Patienten zu vertreiben, so konterkariert
der Patient diese Aufwendungen durch sein eigenes
Fehlverhalten, durch fehlende Adhärenz. Besonders
offensichtlich ist dies bei chronischen Erkrankungen,
bei denen die Medikation langfristig dem Patienten
helfen sollte und Jahrestherapiekosten hoch sind. All
die in einem Jahr abgesprungenen Patienten müssen,
wirtschaftlich betrachtet, wieder zurückgewonnen
werden, um Absatz und Umsatz zu halten.
Beides führt dazu, dass immer mehr Pharmaunternehmen den Patienten in ihre Marketingaktivitäten
involvieren wollen. So findet sich beispielsweise folgendes Zitat im Jahresbericht 2010 der Novartis AG:
„Prior to the launch of Gilenya, we talked with patients, physicians and payers about possible hurdles to
access to treatment. We wanted to design a program
that would address their needs.“
Kundenorientierung
Unterschiedliches Einnahmeverhalten
Gefährdeter Therapieerfolg: Innerhalb der ersten zwölf Monate sind
je nach Indikation lediglich zwischen 47 und 70 Prozent der Patienten adhärent.
Wie können diese Patientenansätze seitens der Pharmaindustrie aussehen? Hier gibt es einige Hürden
und Unsicherheiten zu überwinden, die bis dato dazu
beitragen, dass sich die Industrie eher in Zurückhaltung geübt hat:
•Die gesamte Marketing- und Vertriebsorganisation
sowie das Instrumentarium wurden darauf fokussiert, optimal die Ärzteschaft zu informieren. Daher
gibt es weder die Instrumente, noch die Kultur, mit
Patienten zu arbeiten. Allenfalls Patientenorganisationen wurden in der Vergangenheit sporadisch
involviert.
•Eine gewisse Unsicherheit bei jeglicher Art der
Patientenaktivität resultiert aus dem rechtlichen
Kontext. Unter welchen Voraussetzungen darf
mit dem Patienten gearbeitet werden? Wie sehen
Datenschutzbestimmungen dazu aus? Ergänzend
dazu: das Damoklesschwert des Heilmittelwerbegesetzes.
•Die Beziehung zwischen Arzt und Patient sollte
ungestört bleiben.
Für alle diese Punkte gibt es nachhaltige Lösungen.
Sicherlich ist die kulturelle Umstellung der eigenen
Organisation ein großes und auch langfristiges
Vorhaben. Daher bedienen sich mittlerweile viele
Pharmakonzerne des Outsourcings und wenden
sich an professionelle Dienstleister, die sich auf patientenzentrierte Services spezialisiert haben. Dazu
bietet der Dienstleistungspartner maßgeschneiderte
Lösungsmöglichkeiten und Konzepte an, die an das
Produkt, die Zielgruppe und den jeweiligen geografischen Markt angepasst sind und gleichzeitig
den Außendienst des Herstellers sowie den Arzt
integrieren.
Dies mag sich zunächst kompliziert anhören, ist es
aber nicht. Denn in aller Regel trägt der Außendienst
die patientenzentrierten Programme an den Arzt
heran und bekommt damit sogar ein neues Tool für
die Interaktion mit dem Arzt an die Hand.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen des Pharmamarktes sind stets zu beachten, stellen jedoch meist
17
keine Hürde dar. Grundsätzlich muss der Patient
jedem Service, dem man ihm nahebringen will,
zustimmen – eine Patientenzustimmung, so wie
die Industrie sie von klinischen Studien her kennt.
Nur wenn ein Patient aktiv zustimmt, darf er über
Services betreut werden.
Welche Services der Patient erhalten kann, ist in
Europa von Land zu Land im Detail unterschiedlich.
Grundsätzlich darf die Applikation des Medikaments
am Patienten zu Hause nicht von der Krankenschwester vorgenommen werden – mit Ausnahme
in Großbritannien. Jede Form von Aufklärung zur
Krankheit, der Wichtigkeit der regelmäßigen Medikamenteneinnahme, die Erinnerung zur Einnahme
oder die Erklärung, wie Autoinjektoren benutzt werden, ist hier möglich. Psychosoziale Unterstützung
hilft chronisch Kranken und erhöht deren Einsicht
zur Adhärenz.
Diese Programme unterstützen letztlich die Therapie
des Arztes, der, wenn er vom Nutzen überzeugt ist,
sie auch aktiv seinen Patienten anbietet. In einigen
europäischen Ländern sind solche Programme bereits im Einsatz.
In Finnland unterstützen Krankenschwestern in
Kliniken die frühzeitige Diagnose von AlzheimerPatienten. Zu diesem Zweck schulen diese Schwestern im Auftrag eines Pharmaunternehmens das
Klinikpersonal, worauf bei einer Diagnose zu achten
ist und wie die Patienten bereits in sehr frühem
Kundenorientierung
Stadium identifiziert werden können. Patientenfragebögen ergänzen das Programm. Mithilfe dieses
Ansatzes konnten 2010 rund 2 500 Klinikmitarbeiter
in 40 Kliniken geschult werden. Das Feedback der
Mitarbeiter war sehr positiv.
Ebenfalls in Skandinavien setzten Kliniken Programme auf, um die Qualität eines TNF-Alpha-Hemmers
zu erhöhen und gleichzeitig die Infusionszeiten zu
reduzieren. Dazu nahmen in Schweden 45 Kliniken
an einem von der Industrie finanzierten Programm
teil, welches die Prozessqualität erhöhte, von der
wiederum der Patient profitiert.
In Deutschland gibt es Programme, bei denen Krankenschwestern Multiple-Sklerose-Patienten betreuen. Sobald der Patient zugestimmt hat, erfolgt die
persönliche Betreuung zunächst durch den Besuch
einer ausgebildeten Fachkraft. Persönliche Besuche
wechseln sich ab mit Anrufen eines medizinischen
Servicecenters; der Patient hat auch die Möglichkeit,
das Servicecenter selbst anzurufen. Inhalte der Gespräche sind Fragen rund um das Präparat, Antworten
im Zusammenhang mit der Krankheit zu geben und
auf die Wichtigkeit der regelmäßigen Einnahme zu
verweisen.
Gemeinsam ist diesen Beispielen, dass sie darauf
abzielen, den Erfolg der Therapie zu erhöhen, was
dem Patienten zugutekommt. Daher finden diese
Programme auch eine breite Unterstützung der
involvierten Health-Care-Professionals.
Die Steigerung der Adhärenz der beschriebenen
Programme ist durchaus beeindruckend. So beschreiben Beteiligte in einigen Fällen eine Steigerung
der Adhärenz von 60 auf bis zu 90 Prozent für in
die Programme eingeschlossene Patienten. Dabei
stehen der damit verbundenen Umsatzsteigerung
überschaubare Kosten für das Programm gegenüber,
die insgesamt somit zu einem erheblichen Return of
Investment (ROI) der Maßnahme führen.
Zusätzlich führt das Design der Maßnahme zu einer
recht zuverlässigen ökonomischen Steuerungsmöglichkeit. So ist beispielsweise eine individuelle
Betreuung der Patienten durch Krankenschwestern
bei teuren Biotech-Produkten sinnvoll, während bei
Produkten mit vergleichsweise geringen Jahrestherapiekosten die Maßnahme weniger über den persönlichen Kontakt, sondern mehr über allgemeine
Kommunikationskanäle wie SMS-Reminder, Outbound-Call-Center oder auch Remote-rep-Konzepte
konzipiert werden kann, um den ökonomischen
Erfolg zu sichern.
Bei den patientenorientierten Dienstleistungen gibt
es im Wesentlichen drei unterschiedliche Ansatzpunkte:
•Beim Arzt oder in der Klinik durch operative Hilfestellung in der Diagnose beziehungsweise auch
im Prozessmanagement.
•Beim Apotheker; hier kann durch Apothekenschu-
18
lungen Aufklärungsarbeit für den Patienten erfolgen, um diesen immer wieder an die Notwendigkeit
der Adhärenz zu erinnern.
•Der direkteste Ansatzpunkt ist beim Patienten
selbst, was dessen persönliches Einverständnis
voraussetzt und über den behandelnden Arzt zu
lancieren ist.
Das Feedback von involvierten Ärzten zeigt sehr
deutlich, dass sich ein gut aufgesetztes Patientenprogramm auch positiv auf das Verordnungsverhalten
auswirkt. Dies überrascht wenig, denn der Arzt partizipiert auch nur dann im Programm, wenn er von
dessen Ziel und Durchführung überzeugt ist. Sofern
diese Voraussetzung erfüllt ist, differenziert sich das
Pharmaunternehmen von seinem Wettbewerb in der
Wahrnehmung des Arztes.
Nicht zu unterschätzen ist der gesundheitsökonomische Aspekt. Gute Adhärenz reduziert die Hospitalisierungskosten und erhöht gleichzeitig den Therapieerfolg. Beide Argumente können dazu beitragen,
die Verhandlungsposition des Pharmaunternehmens
gegenüber Behörden und auch Krankenkassen zu
stärken. ←
Autor
Karsten Sternberg ist Vice President Global Business Development beim Outsoursing-Dienstleister Pharmexx.
Kontakt: [email protected]
ng
Neuerscheinu
Januar 2011
Handbuch Market-Access
Marktzulassung ohne Nebenwirkung
Das
Thema Market-Access hat insbesondere in Folge des drastischen
Wandels der gesetzlichen Rahmenbedingungen einen erheblichen Bedeutungszuwachs erfahren. Ziel des Buches ist es, einen ersten Beitrag zu den Gestaltungsmöglichkeiten eines erfolgreichen und umfassenden Market-Access zu leisten.
E
rfahrene Autoren stellen praxisnah anhand vieler konkreter Beispiele
den gesamten Produktlebenszyklus eines Arzneimittels von der präklinischen Entwicklung bis zur Kosumption durch den Endverbraucher aus der Perspektive des Market-Access dar.
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Handbuch Market-Access
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19
Social CRM
Der öffentliche Dialog
mit der Zielgruppe
Die sozialen Medien machen vor der Pharmabranche nicht halt. Allerdings besteht die Gefahr, in den
Unternehmen Social-Media-Silos zu etablieren. Dabei bieten sie die Gelegenheit, die Bedürfnisse der
verschiedenen Zielgruppen zu erforschen und auf
diese einzugehen.
Autor: Dominique Löpfe
Zur unumkehrbaren Tatsache ist längst der Trend
geworden: Social-Media-Plattformen haben sich
durchgesetzt und fest im Alltag von Abermillionen
Menschen etabliert. Und noch immer können Facebook, Twitter und Co. mit immer neuen Nutzer­
rekorden aufwarten. Unter diesen Millionen Nutzern
befinden sich selbstverständlich auch viele Ärzte,
Apotheker und Patienten. Entsprechend interessant
ist es für Pharmaunternehmen, die Kommunikation
20
in den sozialen Medien zu verfolgen oder sich an ihr
zu beteiligen – im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten und unter Sicherstellung der ComplianceAnforderungen.
Seit jeher ist die Interaktion mit dem Kunden eine
der zentralen Aufgaben eines Customer-RelationshipManagement-Systems. Und weil modernes Customer
Relationship Management (CRM) sich nicht mehr
nur auf die klassischen Kommunikationskanäle wie
Social CRM
Telefon, Brief und E-Mail beschränken kann, schlägt
derzeit die Stunde einer neuen CRM-Disziplin: die des
Social CRM.
Für manche Anbieter von CRM-Systemen ist Social
CRM lediglich eine neue unternehmensinterne Kommunikationsform – das Social Networking findet
intern statt und es sind die eigenen Mitarbeiter, die
sich mittels der CRM-Applikation austauschen. Der
wahren Bedeutung der Social Media werden solche
Systeme natürlich nicht gerecht.
Die große Stärke von Systemen und Modulen für
Social CRM ist es gerade, dass sie im Idealfall eng mit
der operativen CRM-Lösung eines Pharmaunternehmens verzahnt sind: Social Media werden integraler
Bestandteil des CRM-Systems, und alle möglichen
Zielgruppen-Kontaktkanäle werden tatsächlich im selben System abgebildet. Nur so kann ein CRM-System
seine Aufgabe, für Transparenz in der Zielgruppenkommunikation zu sorgen und das Organisationswissen zu
erhalten, wirklich erfüllen. Alle Kontaktvorgänge – ob
per Brief, E-Mail, Telefon oder aus dem Social-MediaDialog – sind im selben CRM-System dokumentiert.
Unbestreitbar ist Social-Media-Monitoring, das Beobachten der Meinungsbilder und Themen im Web, eine
wichtige Aufgabe für alle Life-Sciences-Unternehmen.
Wenn sich über medizinische Produkte ein Dialog auf
Social-Media-Plattformen, in Blogs oder Foren ent-
Informationen auf einen Blick
Identifizieren – analysieren – reagieren: Das Monitoring von Social
Media, Blogs und Foren dient sowohl der Konkurrenzbeobachtung
als auch gerade relevanter Pharmathemen im Web.
faltet, ist es wichtig, die Meinungen der beteiligten
Ärzte, Apotheker und Patienten zu verfolgen und zu
analysieren. Entsprechend groß ist die Zahl der Tools,
die speziell für das Social-Media-Monitoring angeboten
werden. Solch eine softwaregestützte und weitgehend
automatisierte Social-Media-Beobachtung liefert zweifellos wichtige Erkenntnisse über Key Opinion Leader,
medizinische Fachkräfte und Stakeholder, die mit
herkömmlichen Methoden der Marktforschung sehr
viel teurer bezahlt werden müssten.
Solche Tools zum reinen Social-Media-Monitoring
haben aber einen ganz entscheidenden Nachteil: sie
ignorieren die dialogische Form, die Social Media
zwangsläufig mit sich bringen. Social Media dienen
21
der Kommunikation, und damit sind sie eben nicht
ein bloßes Meinungsbarometer, sondern auch ein
wichtiger Kanal der Kundenkommunikation. Was
nutzt es einem Pharmaunternehmen, wenn sich auf
einer Social-Media-Plattform, in einem Forum oder
in einem Blog immer mehr Nutzer kritisch über ein
bestimmtes Medikament äußern, der Hersteller dies
wahrnimmt, aber nicht auf eben dieser Plattform auch
auf die Kritik antwortet?
Es gilt, Social Media als weiteren möglichen Kanal der
Kundenkommunikation ernst zu nehmen. Genau dies
macht die Stärke guter Social-CRM-Lösungen aus: sie
helfen nicht nur, die für ein Unternehmen wichtigen
Konversationen zu identifizieren und zu analysieren,
sie können auch automatisch die entsprechenden Unternehmensprozesse auslösen – und nachvollziehbar
dokumentieren. Eine gute Social-CRM-Lösung kann
zum Beispiel das Service-Management von Pharmaunternehmen verbessern, indem es die relevanten Mitarbeiter auf Social-Media-Beiträge aufmerksam macht,
bei denen es wichtig sein kann, direkt und zeitnah
darauf zu antworten.
Welche Rolle Social CRM zukünftig in der pharmazeutischen Industrie spielen wird, hat das Marktforschungsunternehmen Makam Market Research aus Wien im
Auftrag der Update Software AG kürzlich untersucht.
Die herstellerneutrale Studie „Deep Insight: CRMTrends in der Life-Sciences-Industrie 2011 – Wie neue
Social CRM
Rahmenbedingungen CRM-Prozesse und -Zielgruppen
revolutionieren“ kommt zu dem Ergebnis, dass sich die
Rahmenbedingungen für das Customer Relationship
Management grundlegend wandeln werden. Denn
Pharmaunternehmen agieren in einem Umfeld der
besonderen Art: sie sind nicht nur strengen gesetzlichen
Regularien unterworfen, sondern unter den Anbietern
herrscht auch großer Konkurrenzdruck, der sich durch
die Globalisierung weiter verstärkt.
Darum ist die Pharmabranche aufgefordert, ihre
Vertriebsprozesse zu straffen und die strategischen
Herausforderungen anzunehmen, die neue Zielgruppen und Kommunikationskanäle an sie stellen – mithilfe neuer Technologien wie Social CRM. Außerdem
erfordert die verstärkte Fokussierung auf Patienten,
Krankenkassen und Einkaufsverbünde eine optimierte Dokumentation von Kontakten, eine verbesserte
Wahrnehmung von Beziehungen zwischen den Protagonisten im Gesundheitssystem und nicht zuletzt
eine erweiterte Form der Ansprache – etwa durch die
aktive Nutzung der Social Media.
Doch nicht nur Pharmaunternehmen können von den
Möglichkeiten profitieren, die ihnen die Social Media
bieten. Für ihre Zielgruppen bedeutet der Siegeszug
der sozialen Medien eine neue kommunikative Macht.
Ihre Meinungsäußerungen haben ein potenziell viel
größeres Gewicht als früher – sie sind öffentlich und
prinzipiell für jeden zugänglich, der sich darum bemüht.
Eine wichtige Aufgabe der Social-Media-Analyse ist
es darum, möglichst automatisiert die Relevanz der
einzelnen Äußerungen bestimmen zu können – ansonsten kann die Beschäftigung mit den Social Media
leicht zu einem sehr ärgerlichen Zeitfresser werden. Ein
gutes Social-CRM-Modul beherrscht den Dreiklang: es
identifiziert die relevanten Diskussionen im Social Web,
analysiert sie und leitet die richtige Reaktion darauf ein.
Vielleicht bedarf nicht jede Beschwerde einer öffentlichen Antwort, aber die Meinungsführer innerhalb der
eigenen Branche sollte jedes Pharmaunternehmen in
den Social Media identifizieren können.
Es schadet gar nichts, hier mit offenem Visier aufzutreten, im Gegenteil. Wenn das Life-Sciences-Unternehmen selbst beispielsweise zum Twitter-Follower
eines solchen Meinungsführers wird, demonstriert
das ein legitimes Interesse an dessen Meinung. Und
die Glaubwürdigkeit eines Unternehmens, das sich
offen dem Dialog mit seiner Zielgruppe stellt, kann
nur wachsen.
Manche Branchen sind bei der Beschäftigung mit
Social Media und mit Social CRM schon weiter als
andere. Insbesondere die pharmazeutische Industrie,
die bisher aufgrund der Werberestriktionen für verschreibungspflichtige Arzneimittel keine Möglichkeit
zum direkten Kundenkontakt hatte, erschließt sich über
die Social-Media-Plattformen einen Kanal, auf dem sie
ihren Kunden direkt zuhören kann. Nicht zuletzt die
22
Analyse von Meinungsbildern macht Social Media für
die Pharmabranche attraktiv – zudem ist diese Analyse
oft kostengünstiger als klassische Marktforschung.
Die Diskussionen im Web zu ignorieren, wäre in der
Life-Sciences-Branche fahrlässig. Zumal das Monitoring von Social Media, Blogs und Foren durchaus
auch der Konkurrenzbeobachtung dient. Eine gute
Social-CRM-Lösung kann helfen, sämtliche Themen
zu identifizieren, die in der pharmazeutischen Branche
gerade relevant sind und im Web besonders intensiv
diskutiert werden.
Bei den Kommunikationsvorgängen in den Social Media
gilt es natürlich, auch alle Compliance-Anforderungen
strikt einzuhalten – gerade im Kontext verschreibungspflichtiger Medikamente. Zwar sind Social Media ihrer
Natur nach dialogisch, und oft leben Firmen-Accounts
davon, dass sich eine größere Zahl an Mitarbeitern am
Informationsaustausch beteiligt und beispielsweise
twittert.
Es gibt aber für Pharmahersteller doch einen einfachen Weg, unbeabsichtigte Compliance-Verstöße
zu verhindern: indem Social-Media-Kommunikation
durch geeignete Tools kanalisiert und überwacht
wird. Dann fungiert die Social-Media-Lösung, die das
Unternehmen einsetzt, als eine Art Firewall für ausgehende Nachrichten. In einem Wörterbuch kann ein
Pharmaunternehmen einfach Wörter mit bestimmten
Bedeutungen und Definitionen hinterlegen und deren
Social CRM
Verwendung in den Social Media durch die eigenen
Mitarbeiter automatisiert blockieren. So sorgt das
Unternehmen dafür, dass Mitarbeiter keine Dinge in
den Social Media posten, die sie nicht sollten, und
dass auch in allen Tweets die besonders strengen
Compliance-Richtlinien für Pharmaunternehmen eingehalten werden.
↘
Sieben Schritte
zum Social CRM
1.Legen Sie sich eine Strategie
zurecht
2. Definieren Sie Ihre Ziele
Das durch Social Media
alles völlig anders werde, scheinen viele Unternehmen zu glauben – und schaffen kurzerhand die
Stelle eines dedizierten Social-Media-Beauftragten. So
löblich ein solches Social-Media-Engagement auch ist,
letztlich greift es doch zu kurz. Denn in Wirklichkeit sind
nahezu alle Mitarbeiter im Unternehmen, die bisher
schon in einer Beziehung zu Ärzten und Institutionen
standen, auch von der Kommunikation betroffen, die in
den Social Media stattfindet. Was bleibt beispielsweise
dem Social-Media-Beauftragten, der üblicherweise
aus dem Marketing stammt, anderes übrig, als die
MedWiss-Anfrage, die er im Web entdeckt hat und
3.Stellen Sie sicher, dass diese
Ziele auch umsetzbar sind
4.Bestimmen Sie Verantwortliche
für die Umsetzung
5. Legen Sie Richtlinien fest
die er nicht beantworten kann und darf, dann doch an
einen Mitarbeiter aus der medizinischen Fachabteilung
weiterzuleiten?
Der vielleicht größte Fehler, den Pharmaunternehmen
in Sachen Social Media machen können, ist, das Thema
isoliert zu betrachten und eine Art Social-Media-Silo
aufzubauen, personell und in ihren Prozessen. Denn
vor allem eröffnen die Social Media einen weiteren
Kommunikationskanal – über die bestehenden hinaus.
Genauso wie das CRM-System bisher schon E-Mails an
die für die Beantwortung geeigneten Mitarbeiter weitergeleitet hat, muss ein Social-CRM-Modul auch mit
Fragen verfahren, die es in den Social Media entdeckt.
Zielgruppenkommunikation ist eine Aufgabe, die das
ganze Unternehmen durchdringen sollte – genauso
wie die Philosophie der Kundenorientierung. Es ist die
große Chance, welche die Social Media eröffnen: sie
geben der pharmazeutischen Industrie eine herausragende Gelegenheit in aller Öffentlichkeit zu zeigen, wie
ernst es ihnen damit ist, auf ihre Patienten, Ärzte und
Vertriebspartner zu hören und auf ihre Bedürfnisse
einzugehen. Wer Social CRM lebt, ist näher an seiner
Zielgruppe. ←
6. Nutzen Sie die Informationen
7.Kontrollieren und adaptieren
Sie Ihre Zielsetzungen
23
Dominique Löpfe
ist Produktmanager Cosmic des CRM-Software-Spezialisten
Update Software AG.
Kontakt: [email protected]
Recht
Werbeflyer auf der Verpackung
Das Oberlandesgericht (OLG) München hat entschieden, dass ein Werbeflyer,
durch den ein Arzneimittel beworben wird, auf der Verpackung eines anderen
Arzneimittels angebracht werden darf. Zumindest dann, wenn der Flyer ohne
nennenswerten Kraftaufwand von der Verpackung gelöst werden kann.
Autor: Simon Menke
Bei dem beklagten Pharmaunternehmen handelte
es sich um ein pharmazeutisches Unternehmen, das
ein rezeptfreies, apothekenpflichtiges Präparat zur
Behandlung rheumatischer Erkrankungen vertreibt.
Auf der Längsseite der Verpackung dieses Präparats
hatte es mithilfe von Klebepunkten einen Flyer befestigt, in dem für ein anderes Präparat des Beklagten
geworben wurde. Hiergegen wandte sich der Kläger,
ein Verein zur Selbstkontrolle der pharmazeutischen
Industrie.
Nach der Auffassung des Klägers hat der Beklagte
durch das Anbringen des Werbeflyers unter anderem gegen die Vorgaben aus § 10 Abs.1 Satz 5 Arzneimittelgesetz (AMG) verstoßen. Die Regelung in
§ 10 AMG beinhaltet einzelne Pflichtangaben, die
auf den Behältnissen beziehungsweise äußeren Um-
hüllungen von Arzneimitteln wiederzugeben sind.
Zu diesen Pflichtangaben gehören unter anderem
der Name sowie die Anschrift des pharmazeutischen
Unternehmens und die Zulassungsnummer des
Präparats.
§ 10 Abs.1 Satz 5 des Arzneimittelgesetzes sieht
vor, dass weitere Angaben als die gesetzlich vorgeschriebenen unter anderem nur dann zulässig sind,
wenn sie „mit der Anwendung des Arzneimittels im
Zusammenhang stehen und für die gesundheitliche
Aufklärung der Patienten wichtig sind“.
Die in dem Werbeflyer des Beklagten wiedergegebenen Angaben zum beworbenen Produkt seien der
Ansicht des Klägers nach gerade nicht wichtig für die
Aufklärung der Patienten, da sie ein ganz anderes
Präparat betreffen.
24
Recht
Nachdem in der ersten Instanz das Landgericht (LG)
der Klage stattgegeben hatte, wurde diese nun vom
OLG München abgewiesen. Nach der Auffassung
des OLG München ist die Vorschrift in § 10 AMG in
dem vorliegenden Fall gar nicht anwendbar, da der
Werbeflyer nicht Bestandteil der Verpackung des
Rheumapräparats sei (Urteil vom 05.05.2011, Az. 6
U 3795/10).
Dies begründete das Oberlandesgericht damit, dass
der Werbeflyer von dem Verbraucher durch einen
zumutbaren Kraftaufwand von der Verpackung gelöst
werden konnte und deswegen nur vorübergehend auf
dieser angebracht worden sei. Trotz der Fixierung des
Flyers auf der Verpackung erkenne der von diesem
angesprochene Verbraucher, dass es sich bei der
Verpackung und der Werbung um unterschiedliche
Gegenstände handle. Für diesen entstehe nicht der
Eindruck, dass der Flyer Bestandteil des Rheumapräparats ist. Dies sei auch trotz des Umstands,
dass der Flyer und die Verpackung eine ähnliche
Aufmachung aufwiesen, der Fall. Es sei schließlich
von der Beklagten auch gewollt, dass der Erwerber
des Rheumamittels den Flyer als Werbung für ein
anderes Präparat erkennt.
Für eine Anwendbarkeit der Regelung in § 10 Abs. 5
AMG spreche auch nicht der dieser zugrunde liegende
Gedanke, dass die Verbraucher nicht durch andere
Informationen als die vorgeschriebenen Pflichtangaben verunsichert oder verwirrt werden sollen. Dieser
Vorbehalt gelte nämlich nur für Angaben, die auf der
Verpackung selbst wiedergegeben sind.
Diese Entscheidung ist von erheblicher Relevanz
für Pharmaunternehmen. Dies liegt daran, dass sie
insbesondere dann, wenn Werbeflyer auf Verpackungen von Arzneimitteln, die einen großen Verbreitungsgrad aufweisen, angebracht werden, einen
beachtlichen potenziellen Abnehmerkreis wirksam
bewerben können. Auch wenn das OLG München
in seiner Begründung ausführt, dass die Erwerber
des Präparats zwischen der Verpackung an sich und
dem Werbeflyer genau unterscheiden würden, wird
eine Vielzahl der Erwerber den Flyer trotzdem zur
Sicherheit zumindest oberflächlich durchlesen. In
diesem könnten nämlich vielleicht doch wichtige
Informationen zu dem erworbenen Präparat wiedergegeben sein.
Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Vorgehens des
Erwerbers könnte im Übrigen noch dadurch erhöht
werden, dass für den Flyer eine Aufmachung gewählt
wird, die der der Verpackung ähnelt. Dies hat zu Recht
auch der Verein zur Selbstkontrolle der pharmazeutischen Industrie in dem beschriebenen Rechtsstreit
vorgetragen. Die Wirksamkeit der Werbung könnte
außerdem unter Umständen noch vergrößert werden, wenn in dieser Präparate beworben werden,
die als Ergänzung zu dem erworbenen Arzneimittel
eingenommen werden können.
25
Bei Werbung mittels auf der Verpackung von Arznei­
mitteln angebrachten Flyern müssen Pharmaunternehmen unbedingt darauf achten, dass diese ohne
einen nennenswerten Kraftaufwand von der Verpackung gelöst werden können.
Darüber hinaus sind die Flyer derart anzubringen,
dass keinerlei auf der Verpackung wiedergegebene
Pflichtangaben von diesen verdeckt werden. Wollen die
Pharmaunternehmen sich rechtlich weiter absichern,
sollte der Werbeflyer nicht die identische Aufmachung
wie die Verpackung aufweisen. Auch wenn es nach der
Ansicht des OLG München für die rechtliche Bewertung auf die Aufmachung des Flyers nicht (entscheidend) ankommt, könnte der Bundesgerichtshof (BGH)
dies in einer abschließenden Entscheidung noch anders
sehen. Diesbezüglich ist jedoch anzumerken, dass das
OLG München in dem vorliegenden Fall die Revision
zum BGH nicht zugelassen hat, so dass dieser sich
mit den in diesem Beitrag erörterten Rechtsfragen
wohl nicht zeitnah beschäftigen wird.
Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, dass der
Werbeflyer den gesetzlichen Vorgaben zu entsprechen hat. ←
Dr. Simon Menke
ist Rechtsanwalt bei der Kanzlei Dr. Bahr in Hamburg.
Kontakt: [email protected]
Kolumne
Brand Bias bei der OTC-Marke
Die Selbstmedikationsindustrie kann noch deutlich Markenpotenziale heben.
Viele sprechen über die OTC-Marke. So hat die Zeitschrift „Der erfolgreiche Apotheker“ den Award „TopMarke 2011“ an 15 OTC-Marken verliehen. Ich hatte
den Jury-Vorsitz übernommen und zwangsläufig viel
intensiver als sonst mit Produktmanagern, Marketingund Vertriebsleitern gesprochen oder Selbstauskünfte
studiert. Mein bleibender Eindruck: Die Branche hat
gravierende Probleme. Es waren Produktverantwortliche von einem gestützten Bekanntheitsgrad von 100
Prozent überzeugt. So nannte nicht nur einer als seine
Markenbesonderheit die generische Substanz. Nicht
wenige waren sicher, dass Produkt und Marke praktisch
identische Konzepte seien. Nun darf man das nicht pars
pro toto nehmen. Doch meine Beobachtung ist: Es
sind zu viele Verantwortliche und es ist zu viel falsch.
Zwei Begriffe stehen scheinbar gegeneinander: Da ist
zunächst die Marktleistung. Sie bündelt alle verkaufsaktiven physischen, informatorischen, logistischen und
weiteren Elemente der Nachfrage in ein Angebot. Der
Einzelkunde ordnet diese Einzelelemente nach seiner
Relevanz und entscheidet dann über die Gesamtleistung. In ihr ist das Produkt nur ein Teilelement.
Dagegen steht die Marke. Sie kann als Summe aller
Vorstellungen verstanden werden, die ein Markenname
oder ein Markenzeichen bei Kunden hervorruft oder
hervorrufen soll, um das Präparat von anderen zu unterscheiden. Die Vorstellungen werden durch Namen,
Begriffe, Zeichen, Logos, Symbole oder Kombinationen dieser zur Identifikation und Orientierungshilfe
bei der Auswahl von Produkten geschaffen. Was eine
Marke ausmacht, ist stark von subjektiven Eindrücken
geprägt und spielt sich vor allem in den Köpfen und
Vorstellungen der Kunden ab.
Marktleistung ist also eine „technische“ Marketing­
betrachtung, Marke ist eine Sozialtechnik, die vornehmlich durch Kommunikation und Verhalten gestaltet
wird. Marktleistung ist ein induktiver Ansatz, Marke ein
deduktiver. Die Marke basiert auf einer vom Kunden
eingeforderten Marktleistung und komplexitätsreduzierender Kommunikation. Sie ist damit Element im
Customer-Centricity-Konzept.
Eine OTC-Marke muss unter anderem wirtschaftliche
Bedeutung haben, ein eindeutiges Vorstellungsbild
erzeugen und dadurch die notwendige Information re-
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duzieren, starken Nutzen signalisieren, ideellen Nutzen
aufzeigen, Unverzichtbarkeit implizit kommunizieren,
Einmaligkeit und Differenzierung zu Wettbewerbern
darstellen, eine schnelle Geschichte erzählen und
sich so erzählbar machen. Zudem sollte sie wenige
Aussagen/Indikationen umfassen und sich eher eng
eingrenzen, als Produkt stetig auf der Höhe der Zeit
sein und sich erneuern, beeindruckende zusätzliche
Marktleistungen anbieten, in Kontinuität und nicht
zwingend in Lautstärke kommunizieren sowie der
Fantasie mehr Raum geben als der reinen Information
Warum sind diese Dinge zu wenig bekannt oder nicht
angewandt? Es ist die Selbstüberschätzung – wissenschaftlich Overconvidence Bias. Es ist der Unterschied,
was wir wirklich wissen und was wir zu wissen glauben.
OTC-Marke mit Overconvidence besitzt nach meiner
Einschätzung eine Evidenz von 30 Prozent. Jetzt hat
das Topmanagement die Aufgabe, die darin liegenden
Markenwertschöpfungspotenziale durch Teaching,
Training und Coaching schnellstmöglich zu heben.
Die sinnvollste Maßnahme gegen den Brand Bias. ←
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