www.edidact.de/Suche/index.htm?category=102578&q=S MICHAEL KLÖCKER | UDO TWORUSCHKA (HG.) HANDBUCH DER RELIGIONEN SC H AU Kirchen und andere Glaubensgemeinschaften in Deutschland und im deutschsprachigen Raum Ausgabe: 47 Thema: IV | Islam VO R Titel: Muslimische Wohltätigkeit (28 S.) Produkthinweis Der vorliegende Beitrag ist Teil des Standardwerkes »Handbuch der Religionen« der Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG*. * Ausgaben 1997 bis 2015 erschienen bei OLZOG Verlag GmbH, München Das »Handbuch der Religionen« ist ein in Anspruch und Umfang einzigartiges, wissen‐ schaftlich fundiertes Nachschlagewerk über orthodoxe, römisch-katholische und reformatorische Kirche/n, weitere transkonfessionelle Bewegungen, ökumenische Bestrebungen, Christliche Glaubensgemeinschaften außerhalb der Großkirchen, Judentum, Islam, aus dem Islam hervorgegangene Gemeinschaften (z.B. Ahmadiyya, Aleviten), weitere kleinere Religionen (z.B. Yezidi, Mandäer), Buddhismus, asiatische bzw. von Asien ausgehende Gruppen, neue Bewegungen (z.B. Fiat Lux, Scientology u.a.), Sikhismus, Jainismus, ethnische Religionen (z.B. Neugermanische Gruppierungen, Wicca u.a.) sowie über Ethik und das Verhältnis von Religion/en zu Kunst, Politik, Medien oder Psychologie. Erarbeitet von einem Team kompetenter Experten aus namhaften Herausgebern, Fachgebietsleitern und mittlerweile über 200 Autoren bietet es Ihnen wissenschaftlich fundiertes Orientierungswissen über Geschichte, religiöse Kernaussagen und Autoritäten, Organisationen und Verbreitung, Glaubenspraxis, das Verhältnis zum Staat und zu anderen Religionen sowie kontinuierliche Informationen zu neuen Entwicklungen, wichtigen Persönlichkeiten, Literatur und Kontaktadressen. Informationen zum Bezug der mehrbändigen Gesamtausgabe finden Sie hier. (Diesen) Beitrag als Download bestellen Klicken Sie auf die Schaltfläche Dokument bestellen am oberen Seitenrand. 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Zu den klassischen Institutionen islamischer Wohltätigkeit gehören auch die sogenannten frommen Stiftungen (awq f, Singular: waqf ). In religiösen Schriften werden zahlreiche weitere Begriffe für Spenden und andere gute Taten gebraucht: z. B. al-iḥṣān (das Erweisen einer Wohltat), al-ʽamal al-ḫair (das wohltätige Handeln), al-birr (die Güte, die fromme Gabe), al-inf q (die Geldspende) und al-kaff ra (die Ausgleichszahlung für eine Sünde). ā ā VO R iā ā ī ā In diesem Beitrag stelle ich zunächst wichtige Formen islamischer Wohltätigkeit vor und beschreibe ihre gegenwärtige Bedeutung und Umsetzung unter Muslimen im deutschsprachigen Raum. Danach benenne ich charakteristische Merkmale islamischer Hilfsorganisationen und gebe einige Beispiele solcher Organisationen an.2 ā Zak t als religiös verpflichtende Sozialabgabe In Koran und Sunna (Prophetentradition) finden sich zahlreiche Aufforderungen zum Almosen-Geben und zum Helfen Bedürftiger. Da die zakāt (ṣadaqa) häufig zusammen mit dem Gebet genannt wird, gilt sie als eine der „fünf Säulen des Islam“ und somit als eine religiöse Pflicht.3 Die Begriffe zak t (Plural: zakaw t) und ṣadaqa (Plural: ṣadaq t) werden im Koran und in der Hadith-Literatur noch überwiegend synonym verwendet.4 Die heute in der wissenschaftlichen Literatur und in religionsrechtlichen Schriften übliche Abgrenzung beider Begriffe in zakāt als obligatorische Armenabgabe und ṣadaqa als freiwillige Wohltätigkeit erfolgte erst im Zuge der Systematisierung des islamischen Rechts und wird auch heute im Alltagssprachgebrauch nicht immer konsequent aufrechterhalten. ā ā Klöcker/Tworuschka: Handbuch der Religionen 47. EL 2016 ā 1 Religion, Handbuch, Nachschlagewerk, Hintergrundwissen, Religionsforschung, Christentum, Islam u.v.m. (c) Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG Seite 1 eDidact - Handbuch der Religionen IV - 3.16 Muslimische Wohltätigkeit Nach islamischer Tradition sind Muslime, die über ein Mindestvermögen (niṣ b) von mehr als 85g Gold oder 595g Silber (ca. 3.200 Euro bzw. 300 Euro, Stand: 30.4.2015) verfügen, verpflichtet, darauf 2,5 % als zakāt zu spenden. Neben Gold und Silber wurden nach der Überlieferung vom Propheten Münzen, verborgene Schätze, Nutztiere (Kamele, Schafe, Rinder) sowie Ernteerträge (Weizen, Gerste, Datteln, Trauben) als weitere zakāt-pflichtige Güter und Einkommensarten benannt. Die Mehrheit der Gelehrten spricht sich heute dafür aus, auf jede Art von Kapitalvermögen, Wertpapiere, Immobilien und Handelswaren zakāt zu erheben.5 SC H AU ā Zusätzlich zu diesem jährlich zu zahlenden Betrag der zakāt auf das Vermögen (auch: zak t al-m l) sind alle Muslime zur Zahlung der „zakāt des Fastenbrechens“ (zak t al-fiṭr bzw. ṣadaqa al-fiṭr) verpflichtet. Die fiṭr-Abgabe wird im Ramadan geleistet und soll dazu dienen, Bedürftigen die Teilhabe und Freude am Festessen am Ende des Fastenmonats zu ermöglichen. Die Spende umfasst in etwa eine Tagesration an Nahrung. R ā ā VO ā Die zakāt (al-māl) wird oft als „Almosensteuer“ bezeichnet. Diese Übersetzung ist jedoch irreführend, da zakāt im islamischen Verständnis weniger ein Almosen ist als ein Anspruch der Bedürftigen auf die Teilhabe am Wohlstand der Bessergestellten. Das Spenden der zakāt gilt als religiöse Pflicht und gottesdienstliche Handlung (ʽib da), die Missachtung dieser Pflicht als eine schwere Sünde. Im religiösen Sinne dient die zakāt primär dem Seelenheil des Gebers und erst sekundär dem Bedürftigen: Indem der Geber einen Teil seines Vermögens an Bedürftige gibt, wird der Rest rein und rechtmäßig.6 Der legitime Empfänger hingegen hat Anspruch (ḥaqq) auf die zakāt. Daher ist der zakātEmpfänger dem Geber gegenüber auch nicht zu einer materiellen oder immateriellen Gegenleistung verpflichtet. Um etwaigen Abhängigkeitsverhältnissen vorzubeugen und zakāt-Empfänger nicht zu beschämen, wird das anonyme Spenden empfohlen. ā In ihrer sozialen Dimension fördert die zakāt Solidarität zwischen den Mitgliedern lokaler Gemeinschaften und stärkt den Zusammenhalt der weltweiten islamischen Gemeinschaft (umma). Indem sie eine gewisse Umverteilung von den besser gestellten Gesellschaftsschichten hin zur armen Bevölkerung fördert, wirkt sie gesellschaftsstabilisierend. Die ökonomische Bedeutung der zakāt für die Armutsbekämpfung ist aber als eher gering einzuschätzen.7 Die Bezeichnung der zakāt als „Almosensteuer“ ist auch deshalb missverständlich, weil sie von den meisten muslimischen Herrschern und Staaten 2 Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG, 95326 Kulmbach Religion, Handbuch, Nachschlagewerk, Hintergrundwissen, Religionsforschung, Christentum, Islam u.v.m. (c) Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG Seite 2 eDidact - Handbuch der Religionen IV - 3.16 Muslimische Wohltätigkeit nicht systematisch als Steuer eingetrieben wurde und das Geben der zakāt in der Geschichte und Gegenwart überwiegend jedem Muslim selbst überlassen blieb.8 Auch gegenwärtig wird die zakāt nur in wenigen muslimischen Ländern staatlich eingezogen (Saudi Arabien, Pakistan, Sudan u. a.). R VO Ṣadaqa als freiwillige Spende SC H AU Nichtsdestotrotz erfährt die zakāt zusammen mit anderen Elementen eines islamischen Finanz- und Sozialsystems in der islamischen Welt derzeit eine Wiederbelebung. Traditionell sammeln Moscheen und andere religiöse Einrichtungen die zakāt und andere religiöse Spenden.9 Seit den 1980er-Jahren haben sich zudem islamische Banken und NGOs, die die zakāt entgegennehmen, etabliert. Die im Koran am häufigsten gebrauchte Bezeichnung für wohltätige Gaben ist ṣadaqa.10 In klassischen Rechtswerken bezeichnete ṣadaqa alle Hilfeleistungen.11 Daher wird ṣadaqa z. T. als Oberbegriff – Wohltätigkeit – verwendet, der alle anderen Spendenformen einschließt. Zum Teil wird der Begriff aber auch in bewusster Abgrenzung zu zakāt gebraucht: Nach dem heutigen Verständnis islamischer Theologen und Rechtsgelehrter gelten klare Regelungen hinsichtlich des Umfangs, der Geber und Empfänger der als verpflichtend erachteten zakāt. Ṣadaqa gilt dagegen als eine freiwillige Spende, die in Bezug auf Spendenzeitpunkt, Zweck, Form und Umfang frei wählbar ist. Mit Verweis auf eine Prophetentradition wird ṣadaqa nicht nur als materielle Spende verstanden, sondern umfasst verschiedenste immaterielle Gaben: Selbst ein Lächeln oder ein tröstendes Wort kann ṣadaqa sein.12 In Koran und Sunna finden sich Hinweise dazu, wie wohltätige Gaben verteilt werden sollten: Den „nahen Armen“ (Verwandte, Nachbarn, Bedürftige im direkten sozialen Umfeld) sollte vor „fernen Armen“ (Fremde, Bedürftige in fernen Ländern) der Vorzug gegeben werden. Der Gebende soll diskret und bescheiden handeln und außer Gottes Wohlgefallen keine Gegengabe für seine Tat erwarten. Bei der freiwilligen ṣadaqa gilt der Akt des Spendens an sich schon als gottgefällige Tat (qurba) und ist mit der Hoffnung auf eine Belohnung im Jenseits verbunden. Für jede Spende wird dem Gläubigen ein vielfacher Lohn im Paradies versprochen, sofern er beim Spenden die richtige Absicht (n ya) hatte. Ṣadaqa-Spenden sollen Krankheiten und Unglück abhalten. Abgesehen von ī Klöcker/Tworuschka: Handbuch der Religionen 47. EL 2016 3 Religion, Handbuch, Nachschlagewerk, Hintergrundwissen, Religionsforschung, Christentum, Islam u.v.m. (c) Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG Seite 3 eDidact - Handbuch der Religionen IV - 3.16 Muslimische Wohltätigkeit ihrer religiösen Bedeutung fördert ṣadaqa – wie die zakāt – Solidarität innerhalb einer Gemeinschaft und bietet den Mitgliedern eine gewisse soziale Sicherheit. āī VO R SC H AU Eine besondere Form der freiwilligen Gabe ist die ṣadaqağ r ya. Sie bezeichnet eine „fortdauernde Spende“, eine Spende also, die eine langfristige Wirkung hat und deren Belohnung von Gott daher gleichfalls fortwirkt. Der Begriff wird häufig auf fromme Stiftungen bezogen. Ein klassisches Beispiel für die ṣadaqağārīya ist auch das Vermitteln von Wissen durch das Schreiben und Verbreiten von Büchern. Die im deutschsprachigen Raum um Spenden werbenden Hilfsorganisationen wie „Muslime Helfen“ oder „Rahma Austria“ (rahma: Barmherzigkeit) bieten in der Kategorie der ṣadaqağārīya etwa Brunnenbauprojekte sowie das Stiften von Olivenbäumen für arme Landwirte als Einkommen generierende Maßnahme an. In der modernen Diskussion werden hierzu auch Blut- und Organspenden, Engagement im Umwelt- und Naturschutz, das Ehrenamt im weitesten Sinne und vieles mehr gezählt.13 Waqf – eine ewige Spende ā Bei der frommen Stiftung (waqf, Plural: awq f ) werden die Stiftungsgüter dem regulären Wirtschaftskreislauf entzogen, indem der Stifter sie mit dem Stiftungsakt auf Gott überträgt. Ein gemeinnütziger Zweck wird festgeschrieben und die Stiftungsgüter gelten als für alle Zeiten unveräußerlich. Ein waqf kann im engeren Sinne der Finanzierung islamischer Bildung oder der Verbreitung des Islam und im weiteren Sinne dem Gemeinwohl dienen, umfasst also potenziell sehr viele Bereiche. Im Koran werden die Begriffe ṣadaqağā rīya und waqf nicht erwähnt. Mit Verweis auf Prophetenüberlieferungen verorten islamische Gelehrte den Ursprung des traditionellen islamischen Stiftungswesens dennoch zu Lebzeiten des Propheten. Urkundlich belegte Stiftungen stammen allerdings erst aus dem 8. Jahrhundert. Zu dieser Zeit herrschte unter den islamischen Gelehrten noch Uneinigkeit über die Zulässigkeit der awqāf. Umstritten war etwa, dass mit dem Gründen einer Stiftung die Erbfolgebestimmungen des Koran umgangen werden konnten.14 Schließlich setzte sich aber die Auffassung durch, dass der Stiftungsakt eine fromme Tat ist, durch die Gläubige Gott näherkommen.15 Herrscher und die gesellschaftliche Elite gründeten spätestens ab dem 9. Jahrhundert Stiftungen zur Finanzierung öffentlicher Einrichtungen wie z. B. Moscheen und Schulen, Brunnen und öffentliche Bäder, Suppenküchen und Ställe, 4 Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG, 95326 Kulmbach Religion, Handbuch, Nachschlagewerk, Hintergrundwissen, Religionsforschung, Christentum, Islam u.v.m. (c) Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG Seite 4