Unterwegs zu einer nachhaltigen Industriepolitik

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Unterwegs zu
einer nachhaltigen
Industriepolitik
Diskussionspapier
2 | Unterwegs zu einer nachhaltigen Industriepolitik Diskussionspapier
Vorwort
IndustriALL Global Union vertritt weltweit 50 Millionen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den
Rohstoffe gewinnenden, in den produzierenden und
verarbeitenden Industrien. Die künftige Nachhaltigkeit
dieser Industrien und unseres Planeten hängt von den
strategischen Entscheidungen der Regierungen ab. Bei
der diesbezüglichen Kooperation mit Regierungen und
Unternehmen zur Berücksichtigung der gewerkschaftlichen
Ziele Arbeitsplatzschaffung, Anerkennung der
Menschenrechte und Umweltschutz haben die
Gewerkschaften eine zentrale Rolle zu spielen. Aus diesem
Grund nimmt IndustriALL ein ehrgeiziges Programm zur
Zusammenarbeit mit ihren Mitgliedsgewerkschaften in
Angriff, um eine nachhaltige Industriepolitik zu entwickeln
und umzusetzen.
Ziel dieses Dokuments ist die Eröffnung einer Diskussion
zum Thema Nachhaltigkeit, indem die Hintergründe einiger
der dabei zu berücksichtigenden Schlüsselfragen beleuchtet
werden. IndustriALL-Tagungen auf globaler, regionaler
sowie branchen- und länderspezifischer Ebene werden den
Mitgliedsgewerkschaften die Möglichkeit eröffnen, sich über
die Prioritäten für alle Sektoren und Regionen sowie ihre
Umsetzung zu verständigen.
Gemeinsam können wir einen Unterschied machen.
Jyrki Raina
Generalsekretär
Veröffentlicht von IndustriALL Global Union, April 2013
Titelfoto: Pumpstation zur Befüllung von Tankschiffen im Hafen von Genua, Italien Fotograf: M. Crozet, IAO-Foto-Datenbank.
Das Dokument sowie weitere Informationen können von folgender Webseite heruntergeladen werden: www.industriall-union.org
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Was ist nachhaltige
Industriepolitik?
anzubieten. Zu oft versuchen die Träger privater
Interessen aktiv, die Suche nach Lösungen oder deren
Umsetzung zu verhindern.
Nachhaltigkeit wird definiert als die Befriedigung
der Bedürfnisse der aktuellen Generation ohne
Gefährdung der Fähigkeit künftiger Generationen,
deren Bedürfnisse zu befriedigen. Dies setzt eine auf
soliden Grundlagen basierende und dank einer guten
weltweiten Regierungsführung aufrechterhaltene
gesunde Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft voraus.
Global agierende Unternehmen wollen die Kontrolle
über Ressourcen, Produktion, Konsum und
Investitionen möglichst privatisieren, die Kosten und
Risiken ihrer Aktivitäten jedoch vergesellschaften. Ihr
Fokus liegt auf der Maximierung kurzfristiger Profite,
wohl wissend, dass eine solche Strategie gerade nicht
nachhaltig ist.
Industriepolitik ist ein Plan zur Förderung der
gewünschten Art von industrieller Entwicklung
und Wachstum. Sie sollte sich strategisch mit
bestimmten Industrien und Sektoren befassen,
aber auch allgemeinere Bedürfnisse wie Verkehrsund Kommunikationsinfrastruktur, Bildung und
Ausbildung, Forschung und Energie berücksichtigen.
Eine nachhaltige Industriepolitik muss eine gesunde
Wirtschaft und qualitativ hochwertige Beschäftigung
(menschenwürdige, sichere Arbeit mit einem
existenzsichernden Lohn) schaffen und gleichzeitig die
negativen Auswirkungen auf die Umwelt minimieren,
sowie das Wohl der Gesellschaft insgesamt verfolgen.
Beim Streben nach immer höheren schnellen
Gewinnen ist es rentabler geworden, mit
Finanzinstrumenten zu jonglieren als tatsächlich
realwirtschaftlich tätig zu werden und zu produzieren.
Die Aufkäufe von Unternehmen durch Private-EquityFunds versprechen Anlegern phänomenale Erträge
durch grösstmöglichen Kapitalabzug aus Unternehmen
und deren Überfrachtung mit Schulden auf Kosten
langfristig produktiver Investitionen und auf Kosten von
Arbeitsplätzen und Beschäftigungssicherheit.
Bei einer nachhaltigen Industriepolitik geht es nicht
um die Schaffung von Bedingungen, unter denen
Unternehmen zulasten von Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern, Gesellschaft und Umwelt florieren,
sondern um die Festlegung eines Rahmens, in dem
Unternehmen tätig sein können, um einen nachhaltigen
Beitrag für die Gesellschaft zu leisten.
Warum brauchen wir sie?
Dreifachkrise
Sie hat eine ökologische, eine ökonomische und eine
soziale Dimension.
Der Klimawandel ist eine reale und ernsthafte
Gefahr. Der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on
Climate Change – IPCC) schätzt, dass bis 2015/2018
entschlossene Massnahmen ergriffen werden müssen,
um die durchschnittliche Erderwärmung auf unter 2°C
über dem Niveau vor dem Beginn der Industrialisierung
zu begrenzen (wobei selbst eine solche Erwärmung
noch gravierende Folgen haben wird). Wenn die Welt
bis 2020 zuwartet, wird die Einhaltung des 2°-Ziels
Technologien erfordern, die derzeit noch nicht
entwickelt oder erprobt sind.
Je länger die notwendigen Massnahmen aufgeschoben
werden, desto wahrscheinlicher werden soziale
Normen und Menschenrechte im Rahmen einer
„Torschlusspanik“ zur Rettung unseres Planeten
geopfert werden.
Die Kreisläufe der Natur werden mit unverminderter
Geschwindigkeit weiter geschädigt, und die
Unternehmen selbst haben kaum Lösungen
Die Wirtschaftskrise ist das Ergebnis einer Politik,
die ungezügelte Finanzspekulationen und kurzfristige
Profite zulasten produktiver Investitionen in die
Realwirtschaft gefördert hat. In den am schwersten
getroffenen Ländern zahlen die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer den Preis mit massiven
Arbeitsplatzverlusten und steigender Arbeitslosigkeit.
Die Bürgerinnen und Bürger haben die die Zeche
gezahlt, als Steuergelder verwendet worden sind,
um die Banken zu retten, deren Aktivitäten die Krise
verursacht hatten, und sie zahlen weiter, weil die
Regierungen die durch die Rettungsmassnahmen
verursachten Defizite als Rechtfertigung für
Sparmassnahmen benutzen.
Die Umwelt- und Wirtschaftskrise hat zu einer
dritten, der sozialen Krise geführt. Die sich
immer weiter öffnende Schere bei Reichtum und
Einkommen, der beschränkte Bildungszugang, die
sich verschlechternde Gesundheit der Bevölkerung
(einschliesslich Gesundheit bei der Arbeit) und
die Angriffe auf die Gesundheitsversorgung, die
explosionsartige Zunahme prekärer Arbeit und
schwindende Chancen insbesondere für junge
Menschen und traditionell benachteiligte Gruppen
sind allesamt auf das Versagen beim Aufbau einer
nachhaltigen Gesellschaft zurückzuführen.
Unterbietungswettbewerb /
„Race to the bottom“
Das Kapital ist nicht mehr an nationale Grenzen
gebunden. Unternehmen aller Grössen und Branchen
sind über als globale Wertschöpfungsketten
bezeichnete weltweite Netzwerke miteinander
verbunden. Deren Entwicklung wird von multinationalen
Unternehmen durch die teilweise oder vollständige
Ver- und Auslagerung der Produktionsprozesse
vorangetrieben.
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Die Länder stehen im Wettbewerb um die globalen
Wertschöpfungsketten, oft durch eine eng gefasste
Spezialisierung auf arbeitsintensive Produktionsschritte
mit geringen Qualifikationsanforderungen. Statt eine
nachhaltige Industriepolitik zu verfolgen, setzen
viele Regierungen auf Exportverarbeitungszonen,
um Auslandsinvestitionen anzuziehen. Dank
Steuererleichterungen und anderer Anreize fliesst
der durch Produktion und Arbeitskräfte generierte
Reichtum direkt in die Kassen der multinationalen
Unternehmen am oberen Ende der Kette statt in die
Hände der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder
in die Entwicklung der lokalen Industrie.
Dies führt zu einem weltweiten Wettbewerb, die Löhne
zu senken („race to the bottom“). Die Zulieferer weiter
unten in der Kette sind jeweils vom Preis abhängig,
den die Käufer über ihnen zu bezahlen bereit sind; das
wirkt sich negativ auf die Möglichkeit der Sozialpartner
aus, über Löhne und Arbeitszeiten zu verhandeln, und
verschärft die Risiken beim Arbeitsschutz. Regierungen
lassen es zu, dass multinationale Unternehmen die
Bedingungen diktieren, unter denen die Beschäftigten
in ihren Ländern arbeiten, indem sie Löhne und
Preise durchsetzen, die nicht den tatsächlichen
Arbeitskosten entsprechen, von ihnen jedoch aufgrund
ihrer vorherrschenden Stellung innerhalb der Kette
durchgesetzt werden können.
Wir erleben eine Erosion der historischen
Verbindung zwischen Löhnen und Produktivität.
Dies zeigt sich unter anderem am Niedergang
von Tarifverhandlungen als Mechanismus für die
gerechte Verteilung der Gewinne und Vorteile aus
Produktivitätssteigerungen. Bei ihrem Streben nach
der Maximierung kurzfristiger Profite zielen die
Unternehmen auf Produktivitätssteigerungen über
höhere Arbeitsbelastung statt über Innovation ab.
Die Risiken und unnötig komplizierten
Wertschöpfungsketten der heutigen multinationalen
Unternehmen untergraben die Einhaltung der
Menschenrechte. Die Prinzipien für Unternehmen
und Menschenrechte der Vereinten Nationen stellen
klar, dass Unternehmen für die Vorgänge in ihren
Wertschöpfungsketten verantwortlich sind, aber
aufgrund ihrer Grösse und Komplexität können sie gar
nicht wissen, was dort wirklich geschieht.
Wie sieht sie aus?
Gerechtigkeit fördern
Soziale Nachhaltigkeit beginnt mit fairer Behandlung,
Gerechtigkeit, Gleichbehandlung, Respekt vor
Menschenrechten, menschlichen Kulturen und
Gemeinschaften. Die Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte der Vereinten Nationen sowie die
Arbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation
führen viele diese Werte näher aus.
Nachhaltigkeit muss den Hebel bei der Ungleichheit
ansetzen, und zwar nicht durch einen Wettlauf um
die tiefsten Löhne, sondern durch die Förderung von
Kollektivverhandlungen, um dafür zu sorgen, dass
Produktivitätsverbesserungen denen zugute kommen,
die dazu beitragen. Dadurch steigen die Löhne, und
es wird ein Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen
Stabilität geleistet, die Ungleichheit verringert und
die Nachfrage nach industriellen Produktionsgütern
angekurbelt.
Entscheidend ist, dass eine nachhaltige Industriepolitik
auch den Aufbau wirksamer Arbeitsbeziehungen
umfasst, um die unterschiedlichen Interessen von
Arbeitnehmern und Kapital in Einklang zu bringen.
Technologie nutzen
Eine nachhaltige Industriepolitik schliesst die
Entwicklung von Strategien zur Förderung grüner
Technologien ein, die sich mit Problemen wie
dem Klimawandel befassen und gleichzeitig
menschenwürdige Arbeitsplätze in grosser Zahl
schaffen. Die technologische Entwicklung sollte
den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zugute
kommen und ihre Arbeit leichter machen, was zu
erhöhter Produktivität führt. Sie sollte nicht dazu
missbraucht werden, die Arbeit auf begrenzte,
repetitive Tätigkeiten zu reduzieren. Dadurch wird sie
unbefriedigend, die Qualifikation der Arbeitnehmer wird
reduziert, und Krankheiten und Unfälle häufen sich,
oder Arbeitsplätze werden abgebaut.
Arbeitsstandards fortentwickeln
Eine nachhaltige Industriepolitik bedeutet auch
die wirksame Umsetzung von Arbeitsnormen. Dies
umfasst die Förderung von Kollektivverhandlungen,
Mittel für die Arbeitsaufsicht, die Förderung des
Dialogs zwischen Industrie und Gewerkschaften sowie
Arbeitsgesetze, die prekäre Arbeit einschränken. Alle
internationalen Entwicklungseinrichtungen müssen
Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen als
stärkende Rechte fördern, damit die Gewinne den
Arbeitnehmern zugute kommen.
Eine nachhaltige Industriepolitik muss ferner durch
eine Sozialpolitik gestützt werden, die die Themen
Arbeitslosigkeit, Rente und Gesundheitsversorgung
behandelt und zu der die Industrie beitragen muss.
Aufbau einer nachhaltigen Industrie
in einer globalisierten Welt
Die Teilnahme an globalen Wertschöpfungsketten muss
sich um Beschäftigung und deren Qualität drehen und
darf sich nicht allein auf die Erzielung höherer Gewinne
für multinationale Unternehmen beschränken. Die
Regierungen müssen eine Industriepolitik verfolgen, die
zu einer gerechteren Weitergabe der Vorteile aus der
Zugehörigkeit zu globalen Wertschöpfungsketten an
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Arbeitnehmer und Gesellschaft sowie zu Investitionen
in Forschung und Entwicklung und in Qualifikationen
führt. Anstelle des Abschottungsansatzes der
Exportverarbeitungszonen brauchen wir integrierte
Strategien zur industriellen Entwicklung mit Bezug zur
nachhaltigen Entwicklung lokaler Industrien.
Die staatliche Politik sollte auf einen Aufstieg in
den Wertschöpfungsketten abzielen, um stärker
vom erzielten Mehrwert zu profitieren, was die
Position lokaler Unternehmen stärkt und zu höheren
Löhnen, besseren Arbeitsbedingungen und höheren
Qualifikationen führt. Diese Vorteile fallen jedoch
nicht vom Himmel. Kollektivverhandlungen müssen
gefördert werden, damit auch die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer von einer stärkeren Beteiligung an
globalen Wertschöpfungsketten profitieren.
Gerechter Wandel
Im Wissen, dass unsere aktuellen Systeme versagen,
strebt die Arbeitnehmerbewegung den Aufbau
einer besseren und gerechteren Gesellschaft an. In
diesem Zusammenhang wird es zwangsläufig eine
Übergangszeit geben, um von unserer aktuellen
Ausgangsposition an das angestrebte Ziel zu gelangen.
Dabei wird es nicht genügen, viele neue grüne
Arbeitsplätze zu schaffen. Bei diesem Wandel müssen
die Bedürfnisse der heutigen Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer in den heutigen Industrien sowie das
Potenzial zur Schaffung neuer, grüner Arbeitsplätze
auf unserem Weg in eine nachhaltige Zukunft
berücksichtigt werden. Dieses Vorgehen bezeichnen
wir als «gerechten Wandel»: Ein vollständiges
Paket aus einer nachhaltigen Industriepolitik und
Sozialprogrammen, dank derer die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer vom Wandel profitieren, anstatt
seine Kosten zu tragen.
Wie kann sie
umgesetzt werden?
Rolle der Regierungen stärken
Der freie Markt kann keine nachhaltige Entwicklung aus
sich heraus generieren. Es gibt keinen „automatischen“
Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und
besserem Lebensstandard repektive Lebensqualität.
Das Pro-Kopf-BIP kann zunehmen, während sich die
Ungleichheit verschärft und die Umwelt zerstört wird.
Staatliche Interventionen sind nötig, um die Verteilung
der Gewinne aus wirtschaftlicher Tätigkeit wieder ins
Lot zu bringen.
Als einzige Instanzen, die sich der Gier der
Unternehmen entgegenstellen können, müssen die
Regierungen eine Politik verfolgen, die tatsächlich
das Gemeinwohl ins Zentrum rückt und durch
einen starken sowie vollziehbaren gesetzlichen und
ordnungspolitischen Rahmen gestützt wird.
Der Aufstieg der Ideologie des freien Marktes
hat jedoch die industriepolitische Gestaltung der
Regierungen in den Hintergrund gedrängt. Staatliche
Eingriffe zur Lenkung der industriellen Entwicklung
werden als Protektionismus und unzulässige
Beschränkung der Kapitalflüsse denunziert.
Handelsregeln und Vereinbarungen beschneiden
die Möglichkeiten der Regierungen, Umwelt- und
Sozialschutzvorschriften im Interesse ihrer Bürgerinnen
und Bürger zu erlassen. Mit Bestimmungen über die
Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und
Staaten in internationalen Handelsabkommen können
Unternehmen Regierungen vor Gericht bringen, wenn
Gesetze mit den Investitionszielen der Unternehmen in
Konflikt geraten.
Das Gleichgewicht der Kräfte muss wieder
hergestellt werden, um unabhängig von
multinationalen Unternehmen und wieder auf der
Grundlage demokratisch gewählter Regierungen
die Bedingungen der industriellen Entwicklung
zu regeln. Die Industriepolitik muss wiederbelebt
werden, um Marktversagen durch staatliche Eingriffe
auszugleichen.
Politikfelder integrieren
Die Entwicklung einer nachhaltigen Industriepolitik
erfordert einen integrierten Ansatz, bei dem eine
politische Kohärenz zwischen den verschiedenen
Regierungsstellen einschliesslich Arbeits-,
Umwelt-, Industrie-, Handels-, Forschungs- und
Energieministerien sichergestellt ist. Parallel dazu
braucht es politische Kohärenz unter und in den
globalen Institutionen wie WTO, IWF, Weltbank, IAO,
UNO und OECD, damit Regierungen insbesondere
bezüglich Arbeitsmarktderegulierung keine
widersprüchlichen Signale erhalten.
Die Gewerkschaften müssen an der Festlegung der
Industriepolitik beteiligt werden und gleichberechtigt
mit der Industrie am Verhandlungstisch sitzen. Der
Umbau der Industrie kann nicht ohne aktive Beteiligung
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erfolgen.
Ziele festlegen
Eine nachhaltige Industriepolitik braucht Ziele in
Bereichen wie Beschäftigung, Forschung und
Entwicklung, Energieeffizienz, CO2-Emissionen,
Verminderung von Ungleichheiten, Beachtung
von Arbeitsnormen, aktive Arbeitsmarktpolitik mit
Fokus auf Arbeitsplatzschaffung, Umschulung und
Wiedereinstellung entlassener Arbeitnehmer sowie
Qualifikationsentwicklung bei jungen Menschen.
Sie sollte durch die Erarbeitung qualitativer und
quantitativer Indikatoren geleitet sein, die unter
Beteiligung der Sozialpartner, d.h. Unternehmen und
Gewerkschaften, gemessen und analysiert werden.
6 | Unterwegs zu einer nachhaltigen Industriepolitik Diskussionspapier
Wer bezahlt?
Was kann IndustriALL tun?
Finanzmittel für eine nachhaltige
Industriepolitik
IndustriALL hat als Vertreterin von 50 Millionen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Energie
produzierenden und Energie verbrauchenden
Industrien eine entscheidende Rolle bei der Förderung
nachhaltiger Industriepolitik zu spielen. Die Branchen,
in denen IndustriALL-Mitglieder arbeiten, schaffen
Mehrwert durch die Verarbeitung von natürlichen
Rohstoffen zu Produkten sowie durch Fertigungs- und
Veredelungsprozesse. Die Art und Weise, wie dies
geschieht, kann erhebliche positive oder negative
Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit haben.
Die weltweiten Unternehmensgewinne haben
Rekordwerte erreicht. Die Aktionärsdividenden
sind zulasten von Investitionen, Arbeitsplätzen und
Sozialschutz gestiegen. Statt Gewinne in Forschung
und Entwicklung sowie Innovationen zu investieren,
fliessen sie der Spekulation und dem Gewinnstreben
zu. Die Aktionäre werden durch die “Finanzialisierung“
von Unternehmensinvestitionen zur Erzielung
maximaler kurzfristiger finanzieller Renditen privilegiert.
Staatliches Handeln ist gefragt, um die Unternehmen
dazu zu bringen, wieder in die Entwicklung zu
investieren. Ebenso müssen Unternehmen vor
destruktiven Ausverkäufen an Private Equity Funds
geschützt werden. Die Regierungen müssen ein
ordnungspolitisches Umfeld (wieder)herstellen, das
produktive Investitionen fördert. Gesetzesänderungen,
die dem Ausverkauf an Private Equity Funds Tür und
Tor geöffnet haben, sind rückgängig zu machen.
Investitionen in Venture-Capital-Fonds, die sich auf
eine längerfristige Entwicklung konzentrieren und somit
zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen können,
sollten den Vorzug erhalten.
Externe Kosten sollten internalisiert werden, damit
nicht die Gesellschaft, sondern die Unternehmen
für die tatsächlichen Kosten ihrer Tätigkeit
aufkommen müssen. Die Regierungen sollten
Lenkungsmechanismen für nachhaltiges Handeln
einrichten, beispielsweise durch Anreize und über das
öffentliche Beschaffungswesen.
Aufgrund der Ausnutzung von Steuerschlupflöchern
und Steuerparadiesen durch Unternehmen gehen
den Staaten grosse Teile der ihnen zustehenden
Steuereinnahmen verloren, die zur Unterstützung
der lokalen Industrie und der von dieser benötigten
öffentlichen Infrastruktur verwendet werden könnten.
Zum Schliessen dieser Schlupflöcher sind Regelungen
erforderlich, ebenso wie Massnahmen globaler
Institutionen, um hinterzogene Steuern aufzuspüren.
Der Finanzsektor muss in den Dienst der Realwirtschaft
gestellt werden. Eine nachhaltige Industriepolitik muss
den Zugang zu einer privaten Finanzierung für den
Übergang zu einer nachhaltigen Produktion als Teil der
Neuregulierung des Finanzsektors verbessern.
Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer
hätte den Vorteil, die Auswüchse des Finanzsektors
einzudämmen, die Währungsstabilität zu unterstützen
und viel Geld zu generieren, das für die Bewältigung
des Klimawandels und weitere globale Themen
verwendet werden könnte.
Alle Industriezweige und Regionen besitzen ihre
eigenen besonderen Herausforderungen und Probleme
mit jeweils erheblichen Unterschieden. Nachhaltigkeit
ist nur erreichbar, wenn all diese Herausforderungen
und Probleme auf konsensorientierte und integrative
Weise angepackt werden. Hier muss der Versuch
gemacht werden, die ökologischen, ökonomischen
und sozialen Imperative der Nachhaltigkeit in ein
Gleichgewicht zu bringen.
Der IndustriALL-Aktionsplan ruft zu einer starken
Industriepolitik auf, die den Produktionssektor
als wichtige Triebkraft des Wachstums für die
nationalen Volkswirtschaften anerkennt. Die Anzahl
gut bezahlter, sicherer Industriearbeitsplätze, die
traditionell den sozialen Fortschritt bestimmt haben,
nimmt jedoch ab, was teilweise auf den globalen
Lohnsenkungswettbewerb und die Zunahme prekärer
Formen von Beschäftigung zurückzuführen ist. Viele
Länder verfügen immer noch über keine nennenswerte
Industriepolitik geschweige denn über eine, die das
Thema Nachhaltigkeit berücksichtigt.
IndustriALL hat gemäss dem Aktionsplan eine
Verantwortung für:
Die Förderung einer starken Industriepolitik, die
den Produktionssektor als wichtige Triebkraft des
Wachstums für die nationalen Volkswirtschaften
anerkennt
Die Förderung von Investitionen in Forschung
und Entwicklung sowie Ausbildung und
Qualifikationen zur Sicherstellung einer
nachhaltigen Industrieproduktion und langfristiger
Beschäftigungsaussichten
Die Unterstützung des Qualifikations- und
Technologietransfers in die Entwicklungsländer
für eine beschleunigte Industrialisierung und
die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze bei
gleichzeitigem Schutz der Umwelt
Die Entwicklung einer produktiven Energiepolitik,
die Sicherheit und Nachhaltigkeit als Grundlagen
der weltweiten industriellen Produktion verankert
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Die Unterstützung eines gerechten, ehrgeizigen
und verbindlichen weltweiten Abkommens über
den Klimawandel, das die gesellschaftlichen
Folgen berücksichtigt, die Schaffung grüner
Arbeitsplätze fördert und die Grundsätze
eines gerechten Übergangs umfasst, um
sicherzustellen, dass der Wandel zu einer CO2armen Gesellschaft gerecht erfolgt
Das Erstreben einer Gewerkschaftsbeteiligung
an sämtlichen Aspekten der Entwicklung und
Umsetzung der Industriepolitik
Den Kampf zugunsten eines neuen globalen
Wirtschafts- und Sozialmodells, das die ungleiche
Verteilung von Chancen und Reichtum innerhalb
der und zwischen den Ländern anpackt
Die Vertretung der Industriearbeitnehmer in den
weltweiten Institutionen einschliesslich IAO,
OECD, WTO, internationalen Finanzinstitutionen
und G20 zur Förderung von nachhaltiger
Entwicklung, sozialer und wirtschaftlicher
Gerechtigkeit sowie demokratischer globaler
Regierungsführung
Die Zusammenarbeit mit anderen globalen
Gewerkschaftsverbänden, um die Regierungen
und internationalen Finanzinstitutionen
zur Ergreifung konkreter Massnahmen für
den Kampf gegen Armut, Arbeitslosigkeit,
Chancenungleichheit und soziale Ungerechtigkeit
zu drängen
Die nachdrückliche Forderung, dass Handel auf
den Grundsätzen von Fairness und Gerechtigkeit
basieren muss, um den Lebensstandard durch
die Stützung des Beschäftigungswachstums,
die Verbesserung des sozialen Schutzes
und die Beachtung der grundlegenden
Arbeitnehmerrechte, Umweltnormen,
Menschenrechte und Demokratie zu verbessern
Die Ergreifung von Massnahmen, damit
die Kernarbeitsnormen der IAO in alle
Handelsabkommen und Mechanismen der
internationalen Finanzinstitutionen aufgenommen
werden
Solidarisches Handeln unter den
Mitgliedsgewerkschaften im Kampf gegen die
negativen Auswirkungen von Marktöffnungen
auf Beschäftigung und Arbeitnehmerrechte in
Handelsabkommen,
Das Insistieren auf einer Regulierung für die
globalen Finanzmärkte, um zu verhindern,
dass Finanzspekulationen die Realwirtschaft
erneut in eine Katastrophe stürzen, und um
Steuerparadiese zu bekämpfen, sowie
Den Aufruf zur Einführung eines Systems für eine
internationale Finanztransaktionssteuer.
Weiteres Vorgehen
Die Gründerorganisationen von IndustriALL, die alle
auf eine lange Tradition in ihrer Arbeit für nachhaltige
Entwicklung zurückblicken können, haben bereits
viel geleistet. Diese Vorarbeiten haben den Raum
geschaffen, in dem sich die Mitgliedsgewerkschaften
von IndustriALL für ein gerechtes, ehrgeiziges
und verbindliches globales Abkommen über die
Treibhausgase einsetzen können.
IndustriALL muss sich nun dringend mit den Themen
Rohstoffgewinnung, Verarbeitung, Produktion und
Energie unter dem Fokus der Nachhaltigkeit befassen,
um eine kohärente und nachhaltige Industriepolitik
auf internationaler Ebene zu entwickeln und ihren
Mitgliedsgewerkschaften bei deren Arbeit auf
nationaler und regionaler Ebene zu helfen.
Dafür entwickelt IndustriALL einen Rahmen für
eine nachhaltige Industriepolitik, der von den
Mitgliedsgewerkschaften unterstützt und als Grundlage
für die Beeinflussung von Regierungen, globalen
Institutionen und multinationalen Unternehmen
auf breiter Front gefördert werden soll. Dies wird
auch die Nutzung unserer Bündnisse mit anderen
Arbeitnehmerverbänden und sozialen Bewegungen im
weiteren Sinne umfassen.
Alle Mitgliedsgewerkschaften sind aufgerufen, sich an
der Ausgestaltung des Ansatzes von IndustriALL im
Bereich der nachhaltigen Industriepolitik zu beteiligen,
um die Neuausrichtung der Weltwirtschaft auf eine
nachhaltige Entwicklung maximal zu beeinflussen.
Druck 2013
Zentrale
Regionalbüros
IndustriALL Global Union
Afrika
GUS
54 bis, route des Acacias,
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