Magnetische Flüssigkeiten kontrollieren Ferrofluide – ihre Grundlagen und Anwendungen S TEFAN O DENBACH Magnetische Flüssigkeiten entwickeln sich rund 30 Jahre nach ihrer Erfindung zu einem dynamischen Forschungsgebiet. Hier sucht man nach Möglichkeiten, sowohl die physikalischen Eigenschaften als auch das Strömungsverhalten zu kontrollieren. Ferrofluide sind jedoch nicht nur Gegenstand der Grundlagenforschung, sondern werden bereits vielfältig eingesetzt. agnetische Flüssigkeiten oder Ferrofluide sind Suspensionen von Teilchen aus ferromagnetischen Substanzen mit mittleren Durchmessern um 10 nm, die in einer Trägerflüssigkeit schwimmen. Sie vereinen normale rheologische Eigenschaften mit starken magnetischen Kraftwirkungen, die sich bereits in schwachen Magnetfeldern bemerkbar machen. Das Forschungsfeld magnetische Flüssigkeiten befindet sich zur Zeit in einem dynamischen Entwicklungsprozess. Neue theoretische Ansätze auf makro- und mikroskopischer Skala wie auch neue experimentelle Erkenntnisse führen zu einem zunehmenden Verständnis der Eigenschaften und des Verhaltens dieser auch technisch interessanten Materialien. Im Rahmen des neu eingerichteten Schwerpunktes „Ferrofluide“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft sollen in diesem Zusammenhang insbesondere die Fragen der magnetoviskosen Eigenschaften und des biomedizinischen Einsatzes im Vordergrund stehen. Um die magnetische Kontrolle von Flüssigkeiten zu einem interessanten Gegenstand sowohl für die strömungsmechanische Grundlagenforschung als auch für technische Anwendungen zu machen, müssen mit relativ schwachen Feldern in der Größenordnung von 50 mT Volumenkräfte auf die Flüssigkeiten ausgeübt werden können, die we- M Abb. 1. Schematische Darstellung magnetischer Teilchen mit Oberflächenbeschichtung. Die Hüllmoleküle sind grün dargestellt (Durchmesser des magnetischen Kerns (grau) etwa 10 nm). 122 | Physik in unserer Zeit | 32. Jahrgang 2001 Nr. 3 | sentliche Veränderungen des Flüssigkeitsverhaltens bewirken. Felder dieser Größenordnung können mit herkömmlichen Permanentmagneten und kleinen Spulenanordnungen im Labormaßstab leicht erzeugt werden und sind daher sowohl hinsichtlich ihrer Stärke als auch ihrer Richtung relativ einfach variierbar. Dies erlaubt es zum Beispiel, den Kraftterm der hydrodynamischen Grundgleichungen um einen kontrollierbaren magnetischen Anteil zu erweitern und damit eine Vielzahl neuer Effekte zu ermöglichen. Betrachtet man allerdings die üblichen magnetischen Materialien, so stellt man fest, dass die bekannten Ferromagnete ihre interessanten magnetischen Eigenschaften bei Temperaturen weit unter ihrem Schmelzpunkt verlieren. Bei paramagnetischen Salzlösungen ist die magnetische Kraftdichte, die ein laborüblicher Feldgradient auf ein solches Fluid ausüben kann, bei den genannten Feldstärken um etwa vier Größenordnungen kleiner als die Kraftdichte im Schwerefeld der Erde. Die entsprechenden magnetischen Effekte sind dementsprechend vernachlässigbar gering. Um dennoch fluide Medien, die bei geringer magnetischer Feldstärke starke Reaktionen zeigen, zu erhalten, entwickelte Steve Papel [1] Anfang der sechziger Jahre stabile Suspensionen magnetischer Partikel in geeigneten Trägerflüssigkeiten. Derartige Suspensionen können makroskopisch wie homogene Flüssigkeiten behandelt werden und sind durch Magnetfelder leicht beeinflussbar. Struktur und Stabilität von Ferrofluiden Für praktische Anwendungen müssen solche Suspensionen, zum einen stabil sein gegenüber einer Sedimentation der Partikel im Schwerefeld und zum anderen gegenüber einer Entmischung in starken magnetischen Feldgradienten. Ferner darf die magnetische Dipol-Dipol-Wechselwirkung nicht zu einer Agglomeration (Verklumpung) der Partikel führen. Über einfache Energieargumente kann man zeigen, dass für Partikel mit 10 nm Durchmesser die thermische Energie groß genug ist, um die entsprechenden destabilisierenden Vorgänge zu unterbinden (siehe „Stabilität der Suspensionen“, S. 123). A N G E WA N DT E PH YS I K ABB. 2 | ABB. 3 W EC H S E LW I R KU N G S P OT E N T I A L Die Magnetisierung eines kommerziellen Ferrofluids als Funktion der magnetischen Feldstärke. sterische Abstoßung 40 200 Gesamtpotential 20 – 20 M/A · cm–1 0 magnetische Anziehung – 40 Van-der-Waals-Wechselwirkung – 60 F E R RO F LU I D E M AG N E T I S I E R U N G S KU RV E 250 60 Energie/kt | | 150 100 50 0 0,2 0,4 0,6 0,8 1 r /2 s · d –1 0 Das Wechselwirkungspotential zwischen zwei magnetischen Partikeln in einem Ferrofluid wird von magnetischer und Van-der-Waals-Wechselwirkung bestimmt. Die notwendige abstoßende Wechselwirkung wird über die sterische Abstoßung der Moleküle der Oberflächenbeschichtung erreicht. Die Abstandskoordinate r ist in reduzierten Einheiten der Hüllstärke s und des Partikeldurchmessers d gegeben. Allerdings würde die Van-der-Waals-Wechselwirkung, die bei Kontakt der Partikel divergiert, zum Verklumpen der Partikel führen. Ein Kontakt der Teilchen muss demzufolge verhindert werden. Dies erreicht man, indem man die Teilchen mit einer Beschichtung aus langkettigen Molekülen versieht (Abbildung 1). Verringert sich der Abstand zweier Teilchen um weniger als die doppelte Hüllstärke, so erzeugen die an die Oberfläche gebundenen Moleküle eine abstoßende Wechselwirkung, die einen Kontakt der magnetischen Partikel verhindert. In Abbildung 2 ist die Kombination der anziehenden und abstoßenden Wechselwirkungen zwischen zwei magnetischen Partikeln dargestellt. Die Energiebarriere von rund 30 kT (mit der Boltzmann-Konstante k und der absoluten Temperatur T ), die durch eine 2 nm starke Beschichtung der Teilchen erzeugt wird, garantiert eine zuverlässige Stabilisierung der Suspension. Moderne kommerzielle Ferrofluide enthalten Magnetit (Fe3O4)-Partikel in Trägerflüssigkeiten wie Wasser, Kerosin oder Öl. Das Material der Oberflächenbeschichtung muss an die Trägerflüssigkeit angepasst werden. Entscheidend ist hierbei, dass die dielektrischen Eigenschaften von Beschichtungsmolekülen und Trägerflüssigkeiten aneinander angeglichen sind, um eine Van-der-Waals-Wechselwirkung zwischen den Hüllmolekülen zu vermeiden. Die Konzentration des magnetischen Materials liegt üblicherweise zwischen 7 vol.% und 10 vol.%. In experimentellen Fluiden werden auch Mischferrite und Kobalt aufgrund ihrer interessanten magnetischen Eigenschaften eingesetzt. Magnetische Eigenschaften Die Besonderheit der Ferrofluide besteht darin, dass man sie mit moderaten Magnetfeldern wesentlich beeinflussen kann. Die magnetischen Eigenschaften werden vor allem da- 300 600 900 1200 H/A · cm–1 durch definiert, dass die Partikel als thermisch angeregte magnetische Dipole angesehen werden können. Die Suspension verhält sich daher makroskopisch paramagnetisch. Abbildung 3 zeigt eine typische Magnetisierungskurve eines Ferrofluids mit 7,2 vol.% magnetischer Teilchen aus Magnetit. Nimmt man idealerweise an, dass die Teilchen nicht miteinander wechselwirken, so ergibt sich für relativ kleine Felder, dass die Kraft, die ein magnetischer Feldgradient auf ein Volumenelement ausübt, proportional zur Magnetisierung der Flüssigkeit ist Fmag = µ0 M ∇H ∆V = µ0 χ H ∇H ∆V (1) Da die Anfangssuszeptibilität χ in Ferrofluiden aufgrund des hohen magnetischen Moments der Partikel von der S TA B I L I T Ä T D E R S U S PE N S I O N | Exemplarisch soll die Abschätzung der maximal erlaubten Teilchengröße für die Sedimentation im Schwerefeld dargestellt werden. Um diese zu verhindern, muss die potentielle Energie eines Teilchens Egrav = ∆ρghπd 3/6 größer sein als seine thermische Energie kT, wobei ∆ρ den Dichteunterschied zwischen dem Teilchen und der Trägerflüssigkeit, g die Erdbeschleunigung, h die typische Höhe des Fluidvolumens und d den Durchmesser des Partikels sowie k die Boltzmann-Konstante und die absolute Temperatur bezeichnen: ∆ρgh π d 3 < kt. 6 Daraus erhält man für die maximale Teilchengröße d<3 6kt π∆ρgh Nimmt man eine typische Höhe des Probenvolumens von 10 cm und einen Dichteunterschied von 4 · 103 kg/m3 an, sollten die Teilchen bei Raumtemperatur demzufolge kleiner als ca. 12 nm sein, damit die thermische Energie ihre Sedimentation verhindern kann. Nr. 3 32. Jahrgang 2001 | | Physik in unserer Zeit | 123 Feldspule Spulenkern Aufnahmebereich 5 cm Schale mit Ferrofluid Abb. 4 Die Wirkung eines magnetischen Feldes auf ein Ferrofluid mit freier Oberfläche. Die magnetische Kraft vermag das Fluid entgegen der Schwerkraft aus dem Behälter zu ziehen. Größenordnung 1 ist, kann noch mit einem Magnetfeld von H = 20 kA/m mit einem Gradienten von 7 · 105 A/m2 eine Kraftdichte von 14 kN/m3 auf das Fluid ausgeübt werden. Dies ist vergleichbar mit der Kraftdichte im Schwerefeld, die für ein typisches Ferrofluid rund 13 kN/m3 beträgt. Zum Vergleich ist die Anfangssuszeptibilität und damit auch die erreichbare magnetische Kraftdichte in einer paramagnetischen Salzlösung etwa tausendfach kleiner und damit gegenüber der Schwerkraft vernachlässigbar. Magnetoviskose Effekte Mit laborüblichen Magnetfeldern lassen sich Ferrofluide also magnetisch beeinflussen und ihre Eigenschaften und die Strömung kontrollieren (Abbildung 4). Hierbei stellt die Ver- ABB. 5 | ROTAT I O N S V I S KOS I T Ä T H Drehrichtung V magnetisches Moment Vortizität magnetisches Drehmoment H V Die Entstehung der Rotationsviskosität. 124 | Physik in unserer Zeit magnetisches Drehmoment | 32. Jahrgang 2001 Nr. 3 | magnetisches Moment Drehrichtung änderung ihrer Viskosität einen der wohl interessantesten Aspekte dar. Betrachtet man eine magnetische Flüssigkeit unter Einfluss einer Scherströmung, erzeugen die Geschwindigkeitsunterschiede in der Flüssigkeit über die viskose Reibung ein mechanisches Drehmoment, das die Teilchen in Rotation versetzt. Lässt man ein magnetisches Feld auf die Flüssigkeit wirken, richten sich die magnetischen Teilchen parallel zum Feld aus. Ist das Feld kolinear zu der durch die Strömung gegebenen Rotationsachse der Teilchen, richten sich diese zwar aus, rotieren aber einfach um die Feldrichtung, ohne dass das Feld einen Einfluss auf die Rotation hat (Abbildung 5a). Stehen Feldrichtung und strömungsbedingte Rotationsachse hingegen senkrecht zueinander, dreht das mechanische Drehmoment das magnetische Moment des Teilchens aus der Feldrichtung heraus (Abbildung 5b). Dies wiederum führt zu einem magnetischen Drehmoment, das die Ausrichtung des Teilchens wieder herzustellen versucht. Da das magnetische Drehmoment dem mechanischen entgegengesetzt ist, führt es zu einer Behinderung der freien Rotation der Teilchen und damit zu einer Erhöhung der Viskosität der Flüssigkeit. Verwendet man anstelle eines statischen Feldes ein magnetisches Wechselfeld, kann durch geeignete Wahl der Frequenz ein Antrieb der magnetischen Teilchen erzeugt werden. Dann bewirken die vom Feld rotierten Teilchen eine viskose Mitnahme der umgebenden Flüssigkeit – sie treiben die Flüssigkeit an, und demzufolge sinkt die Viskosität [3, 4]. Die als Rotationsviskosität bezeichnete Viskositätserhöhung wurde 1969 in einer verdünnten Suspension von Kobaltteilchen entdeckt [5] und drei Jahre später [6] quantitativ erklärt. Untersucht man den Effekt jedoch in kommerziellen Ferrofluiden mit Magnetitteilchen [7–10], ergeben sich wesentliche Diskrepanzen zur Theorie. Zuerst muss beachtet werden, dass bei Magnetitteilchen mit einem Durchmesser von 10 nm keine feste Kopplung zwischen den Teilchen und ihrem magnetischen Moment besteht (siehe „Magnetisch harte und weiche Teilchen“, S. 127). Demzufolge sollten nur die wenigen, in einem kommerziellen Ferrofluid enthaltenen großen Partikel zur Rotationsviskosität beitragen. Misst man die Änderung der Viskosität in einem solchen Fluid als Funktion der Magnetfeldstärke, stellen sich jedoch Effekte ein, die wesentlich größer sind, als nach der Theorie zu erwarten wäre. Zudem zeigt sich eine starke Abhängigkeit der Viskositätserhöhung von der Scherrate (Abbildung 6) [9]. Um diese zu erklären, haben wir angenommen, dass kleine Agglomerate von Teilchen, im Allgemeinen Dimere, die während des Herstellungsprozesses entstehen [11], unter Einwirkung äußerer Felder Ketten bilden. Solche Ketten haben einen starken Einfluss auf die Viskosität der Flüssigkeit [12]. Die in Abbildung 6 gezeigte Scherverdünnung ließe sich dadurch erklären, dass die Ketten bei Erhöhung der Scherrate zerbrechen. Dass diese Agglomerate wirklich entscheidenden Einfluss auf die magnetoviskosen Effekte haben, konnten wir erst kürzlich durch Messungen an Flüs- A N G E WA N DT E PH YS I K ABB. 7 sigkeiten mit unterschiedlichem Agglomeratgehalt [10] nachweisen. Die magnetisch induzierte Bildung von Ketten von Teilchen oder Agglomeraten in einem Ferrofluid bedingt auch die Möglichkeit, viskoelastische Effekte durch Magnetfelder zu erzeugen und zu steuern [13]. Durch eine Optimierung könnten Ferrofluide daher ein interessantes Material für Anwendungen im Dämpfungsbereich (beispielsweise Stoßdämpfer) abgeben. Hierbei würden sie nicht die Sedimentationsprobleme der bekannten magnetorheologischen Flüssigkeiten aufweisen. In dem kürzlich gestarteten Schwerpunktprogramm der DFG sollen die magnetoviskosen Effekte in Ferrofluiden weiter studiert werden [14]. | Neben der Veränderung der Eigenschaften ist die Strömungskontrolle eine der interessanten Möglichkeiten von großer Bedeutung. Exemplarisch soll hier demonstriert werden, dass ein Ferrofluidstrahl, der in ein homogenes Magnetfeld eintritt, seinen Durchmesser verringert. Zahlreiche weitere Beispiele finden sich etwa in [17]. Die magnetische Kraft geht, wie erwähnt, als zusätzlicher Term in die hydrodynamischen Grundgleichungen ein. Will man das Verhalten eines Ferrofluidstrahls im Magnetfeld untersuchen (Abbildung 7), bietet sich eine Beschreibung über die Energieerhaltung mit Hilfe der Bernoulli-Gleichung an. Diese ist für den magnetischen Fall gegeben durch [17] Einschnürung eines freien Ferrofluidstrahls durch ein homogenes Magnetfeld. Feldspule H2 Ferrofluid a1 a1 (2) (1) H stetig ist, kann die Feldstärke in Punkt (2) gleich dem angelegten Feld gesetzt werden. Damit erhält man 2µ0 MH2 ρ (3) und über das Geschwindigkeitsverhältnis (v2/v1)2 = (a1/a2)4, das aus der Kontinuitätsgleichung folgt, einen Ausdruck für das Durchmesserverhältnis im Strahl 1 a1 2µ0 MH2 4 = 1 + 2 ρ v a2 1 (4) Hier bezeichnen p den hydrostatischen Druck, v die Strömungsgeschwindigkeit und ρ die Dichte der Flüssigkeit. Wählt man die in Abbildung 7 gezeigten Punkte (1) und (2) längs einer Stromlinie des horizontal gerichteten Strahls, ist die Höhe h und damit die potenzielle Energie beider Punkte gleich, und auch der Druck ist identisch und gleich dem Außendruck. Da die Tangentialkomponente von Für ein kommerzielles Ferrofluid, das mit einer Geschwindigkeit von 10 cm/s in ein Feld H = 20 kA/m eintritt, bedeutet dies eine Querschnittsreduktion um einen Faktor von etwa 3. Kompliziertere Strömungsvorgänge treten auf, wenn man den thermischen Transport in einem Ferrofluid betrachtet. Im Gegensatz zu normalen Flüssigkeiten kann die thermische Konvektion in Ferrofluiden durch magnetische Felder kontrolliert werden. Der Ursprung der so genannten thermomagnetischen Konvektion lässt sich verstehen, wenn man eine Schicht eines Ferrofluids unter Einfluss eines Temperaturgradienten ∇T und eines magnetischen Feldgradienten ∇H parallel zu ∇T betrachtet (Abbildung 8). Die Magnetisierung des Ferrofluids ist temperaturabhängig. Daher verursacht der Temperaturgradient einen ihm entgegen gerichteten Magnetisierungsgradienten in der Flüssigkeit. Betrachtet man jetzt ein zufällig aus Bereichen ABB. 6 ABB. 8 ρ 2 v + ρ gh – µ0 MH = const. mit 2 1 H M = ∫ MdH H 0 p+ | (2) V I S KOS I T Ä T Viskositätsänderung/% 60 | T H E R M O M AG N E T I S C H E KO N V E K T I O N 40 γ 20 M -∆M ∇T s–1 << Abb. 6. Viskosität eines Ferrofluids als Funktion der Feldstärke und der Scherrate γ. Fres heiß 15 16 18 21 34 37 M ∇M < Abb. 8. Der Ursprung der thermomagnetischen Konvektion unter dem Einfluss eines Temperatur- und eines Magnetfeldgradienten. ∇H 0 0 1 2 3 4 H/kA · m–1 5 6 F E R RO F LU I D E STRAHLEINSCHNÜRUNG Strömungsrichtung v22 – v12 = Magnetische Kontrolle von Strömungen | 7 kalt Nr. 3 32. Jahrgang 2001 | | Physik in unserer Zeit | 125 ABB. 9 | S T R Ö M U N G S PRO F I L Rm > R*m Temperatur— unterschiede 0,1 K Ein gemessenes Temperaturprofil der thermomagnetischen Konvektion in einer zylindrischen Schicht mit dem zugehörigen Strömungsprofil. 0 10 20 30 40 azimutale Position hoher Magnetisierung in Bereiche niedriger Magnetisierung verschobenes Volumenelement der Flüssigkeit, erfährt dieses im Feldgradienten eine Kraft in Richtung von ∇H und damit in Richtung der ursprünglichen Verschiebung. Das Argument führt auch im Falle einer Verschiebung in entgegengesetzter Richtung zu einer resultierenden Kraft in Richtung der Verschiebung. Die hier auftretenden magnetischen Kräfte haben also einen destabilisierenden Charakter, da sie zufällige Störungen des Gleichgewichtszustandes verstärken können. Der Destabilisierung wirken die thermische Leitfähigkeit und die viskose Reibung in der Flüssigkeit entgegen, so dass thermomagnetische Konvektion erst auftreten kann, wenn die destabilisierenden Wirkungen die stabilisierenden Effekte überwiegen. Das Verhalten eines solchen Systems lässt sich, analog zur normalen Strömungslehre, mit einem dimensionslosen Parameter, der magnetischen Rayleigh-Zahl [18, 19], beschreiben. Thermomagnetische Konvektion setzt ein, wenn die magnetische Rayleigh-Zahl, die durch Änderung des Magnetfeldes variiert werden kann, einen kritischen Wert, der von der Geometrie des Systems abhängt, überschreitet. ABB. 10 | ANWENDUNGEN Membran Normaldruck Vakuum Ferrofluid Ferrofluid rotierende Achse Tauchspule Permanentmagnet Magnet Links: Dichtung einer Drehdurchführung mit Ferrofluiden. Rechts: Lautsprecherkühlung mit magnetischen Flüssigkeiten. 126 | Physik in unserer Zeit | 32. Jahrgang 2001 Nr. 3 | Das Phänomen der thermomagnetischen Konvektion wurde experimentell unter Bedingungen stark reduzierter Schwerkraft in einer zylindrischen Flüssigkeitsschicht untersucht [20], wobei eine hervorragende Übereinstimmung mit theoretischen Vorhersagen [19,21] gefunden wurde. Insbesondere ließ sich in den Experimenten die Möglichkeit der Kontrolle des thermischen Transports über Magnetfelder nachweisen. Abbildung 9 zeigt ein Temperaturprofil, das bei diesen Experimenten längs des azimutalen Umfangs der Flüssigkeitsschicht gemessen wurde. Da Ferrofluide optischen Messungen aufgrund ihrer starken Absorption nicht zugänglich sind, müssen die gesuchten Informationen über das Strömungsprofil aus den Messungen des Temperaturprofils abgeleitet werden. Der Einsatz in Abbildung 9 zeigt das zum Temperaturprofil korrespondierende Strömungsprofil aus axialen Rollen, deren Durchmesser der Dicke der Flüssigkeitsschicht entspricht, was in Übereinstimmung mit der Theorie ist. Experimente zur Untersuchung komplexerer Strömungen bei stärkeren treibenden magnetischen Kräften [22] sind auf der internationalen Raumstation geplant [23]. Dort tritt unter nahezu Schwerelosigkeit keine normale thermische Konvektion auf. Die Kopplung beider Effekte führt zu äußerst komplexen Strömungsstrukturen [18], was den Vergleich mit theoretischen Arbeiten erschwert und eine getrennte Betrachtung der thermomagnetischen Konvektion unmöglich macht. Anwendungen in Technik und Medizin Die diskutierten Möglichkeiten zur Kontrolle von Eigenschaften und Strömungen in Ferrofluiden durch Magnetfelder erlauben die Entwicklung von Anwendungen in unterschiedlichsten Gebieten. Um einen kleinen Eindruck vom Potenzial dieses Materials hinsichtlich seiner technischen Verwendung zu geben, sollen hier nur einige Beispiele angeführt werden. Einen umfangreichen Überblick bietet beispielsweise die Zusammenstellung in [24]. Die wohl bekanntesten Anwendungen stammen aus dem technischen Bereich. Ursprünglich konzipiert wurden Ferrofluide zur reibungsarmen Abdichtung rotierender Wellen. Hierbei umgibt man die Welle – die aus einem hochpermeablen Material gefertigt sein sollte – mit einem Permanentmagneten (Abbildung 10a). In den schmalen Spalt zwischen Welle und Magnet wird ein Tropfen Ferrofluid gefüllt. Die im Spalt herrschenden, starken magnetischen Kräfte reichen aus, um das Fluid bei Druckdifferenzen von rund 1 bar festzuhalten und die Welle abzudichten. Der Vorteil dieses Verfahrens gegenüber herkömmlichen Dichtungen wie Simmer-Ringen liegt in der geringen Reibung und der niedrigen Verschleißempfindlichkeit. Standardmäßig werden Ferrofluide beispielsweise bei der Dichtung von Röntgen-Drehanoden eingesetzt. Die bezüglich der verkauften Flüssigkeitsmenge bedeutsamste Anwendung ist die Kühlung von Lautsprechern (Abbildung 10b). Bei Lautsprechern hoher Leistung oder A N G E WA N DT E PH YS I K extrem kleiner Bauform stellt sich das Problem, die in der Tauchspule produzierte Ohmsche Wärme an die Struktur weiterzuleiten und von dort an geeignete Kühlvorrichtungen zu übertragen. Die Wärmeübertragung über Luft ist gegenüber der Übertragung durch ein flüssiges Medium deutlich unterlegen. Bei einer Kühlflüssigkeit stellt sich aber das Problem, dass diese innerhalb des Lautsprechers im Spalt zwischen der Tauchspule und dem Permanentmagneten gehalten werden muss. Bei einem Ferrofluid ist dies problemlos möglich, da das starke Feld des Permanentmagneten eine Kraft auf das Fluid ausübt, die hinreichend groß ist, um es auch bei großen Amplituden der Spule dort festzuhalten. Die Vorteile von Ferrofluiden bei der Lösung von Wärmeübertragungsproblemen kommen aber nicht nur bei einer passiven Verbesserung der Wärmeleitung durch den Einsatz einer magnetisch fixierten Flüssigkeit zum Tragen. Betrachtet man beispielsweise Transformatoren, so treten hier Temperatur- und Magnetfeldgradienten auf, die genutzt werden könnten, um die Flüssigkeit über die diskutierte thermomagnetische Konvektion in Bewegung zu versetzen. Damit ließe sich die Kühlflüssigkeit ohne mechanisch bewegte Teile umpumpen. Neben diesen Einsatzmöglichkeiten bieten sich Ferrofluide auch zunehmend im biomedizinischen Bereich an. Ein herausragendes Beispiel stellt die magnetische Hyperthermie zur Krebsbekämpfung dar [25]. Hierbei werden die Oberflächen der Teilchen mit Substanzen versehen, die für eine Anlagerung im Tumorgewebe sorgen. Wird der Patient nun einem magnetischen Wechselfeld ausgesetzt, erfolgt eine dauernde Ummagnetisierung der Partikel. Die damit verbundene Energiedissipation führt zur Erwärmung des Tumorgewebes und damit zu einer Vorschädigung, die den Einfluss von Strahlen- oder Chemotherapie deutlich verstärkt. Damit kann die Intensität der letztgenannten Methoden reduziert werden, was wiederum zu einer Verringerung der Nebenwirkungen führt. Entsprechende Untersuchungen lassen hoffen, dass derartige Verfahren in absehbarer Zeit in klinischen Tests erprobt werden können. Zusammenfassung Strömung und Eigenschaften von Suspensionen kleiner magnetischer Teilchen, so genannten Ferrofluiden, lassen sich durch laborübliche Magnetfelder wesentlich beeinflussen. Dies ergibt neue Möglichkeiten in der Grundlagenforschung und erlaubt die Entwicklung interessanter technischer Anwendungen. So werden Ferrofluide beispielsweise im Dämpfungs- und Dichtungsbereich, in jüngerer Zeit auch im biomedizinischen Bereich eingesetzt. Literatur [1] S.S. Papel, U.S. Patent No. 3 215 572, 1965. [2] E. Kneller, Ferromagnetismus, Springer Verlag, 1. Auflage, Berlin 1962. [3] M. Shliomis, K. I. Morozov, Phys. Fluids 1994, 6, 2855. [4] J. C. Bacri, R. Perzynski, Phys. Rev. Lett. 1995, 75, 2128. [5] J. P. McTague, J. Chem. Phys. 1969, 51, 133. M AG N E T I S C H H A R T E U N D W E I C H E T E I LC H E N Eine entscheidende Frage für das Auftreten der Rotationsviskosität ist die Art der Relaxation der Magnetisierung in einem Ferrofluid. Prinzipiell sind zwei Relaxationsarten möglich. Einerseits kann man annehmen, dass das magnetische Moment fest mit dem Teilchen verbunden ist. In diesem Fall erfolgt die Relaxation durch eine Drehung des gesamten Teilchens in der Trägerflüssigkeit. Man spricht von magnetisch harten Teilchen und von Brownscher Relaxation [15]. Andererseits kann das Moment spontan im Teilchen umklappen, wenn die thermische Energie höher als die Anisotropieenergie des Teilchens ist. Bei der so genannten Néelschen Relaxation [16] magnetisch weicher Teilchen erfolgt die Relaxation ohne Drehung | F E R RO F LU I D E | der Partikel. In einem realen Ferrofluid erfolgt die Relaxation nach dem Prozess, dessen charakteristische Zeit kürzer ist. Beide Zeiten variieren mit der Größe der Partikel, wobei die Brownsche Relaxationszeit linear mit dem Teilchenvolumen V wächst, während die Relaxationszeit des Néel-Prozesses exponentiell in V ansteigt. Es gibt daher eine kritische Größe der Teilchen, oberhalb derer die Partikel nach dem Brownschen Prozess relaxieren, also magnetisch hart sind. Nur solche Teilchen tragen zur Rotationsviskosität bei. Für Magnetit liegt der kritische Durchmesser bei ca. 13 nm, während Kobaltpartikel aufgrund der höheren Kristallanisotropie bereits ab 8 nm magnetisch hart sind. [6] M. Shliomis, Sov. Phys. JETP 1972, 34, 1291. [7] O. Ambacher, S. Odenbach, K. Stierstadt, Z. Phys. B . Condensed Matter 1992, 86, 29. [8] S. Odenbach, H. Gilly, JMMM 1996, 123. [9] S. Odenbach, H. Störk JMMM 1998, 183, 188. [10] S. Odenbach, K. Raj, Magnetohydrodynamics, im Druck. [11] K. O'Grady, H. K. Stewardson, R. W. Chantrell et al., IEEE Trans. Magn. 1986, 22, 1134. [12] A. Satoh et al. J. Coll. Int. Sci. 1998, 203, 233. 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Studium der Physik in Köln und München, Promotion 1993, anschließend Post-doc am Institut für Materialwissenschaften Universität Wuppertal, seit 1996 Leiter der Abteilung „magnetische Flüssigkeiten“ am ZARM. Anschrift: Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation, ZARM, Universität Bremen, Am Fallturm, 28359 Bremen, [email protected] Nr. 3 32. Jahrgang 2001 | | Physik in unserer Zeit | 127