KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Psychodynamische Therapie von sozialen Angststörungen Prof. Dr. med. Peter Joraschky Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden Oktober 2013 www.psychosomatik-ukd.de Seite 1 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK 1. Soziale Angststörung – Phobie oder Persönlichkeitsstörung 2. Entstehungsmodelle der Sozialen Phobie 3. Selbstkonzepte und ihre Veränderung 4. Wirksamkeit stationärer Psychotherapie 5. Scham 6. Psychodynamik 7. Therapie www.psychosomatik-ukd.de Seite 2 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK www.psychosomatik-ukd.de Seite 3 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK www.psychosomatik-ukd.de Seite 4 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK 1. Soziale Angststörung – Phobie oder Persönlichkeitsstörung Überlappung von vermeidendselbstunsicherer Persönlichkeitsstörung mit der Sozialen Phobie www.psychosomatik-ukd.de Seite 5 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Diagnostische Kriterien der Sozialen Phobie nach ICD-10 A: deutliche Furcht und/oder Vermeidung im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, sich peinlich oder erniedrigend zu verhalten Auftreten der Ängste in sozialen Situationen, wie Essen und Sprechen in der Öffentlichkeit, Hinzukommen oder Teilnahme an kleinen Gruppen B: mind. zwei Angstsymptome in gefürchteten Situationen, mind. einmal seit Auftreten der Störung sowie zusätzl. mind. eines der gen. Symptome: Erröten / Zittern, Angst zu Erbrechen, Miktions- o. Defäktionsdrang bzw. Angst davor C: deutliche emotionale Belastung durch Angst o. Vermeidungsverhalten, insofern dieses als übertrieben beurteilt und unvernünftig wird www.psychosomatik-ukd.de Seite 6 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Die Soziale Phobie • Lebenszeitprävalenz zwischen 12% und 14% (Stein, 2006) • Erkrankung tritt oft relativ früh im Leben auf, erste Symptome nach Longitudinalstudien bereits im Kindes- bzw. Jugendalter • zumeist chronischer Verlauf der Erkrankung • später Weg in die psychotherapeutische Behandlung • hohe Komorbidität mit affektiven Störungen, Abhängigkeitserkrankungen erschwerter Behandlungsverlauf • schwerere Beeinträchtigungen in allen Lebensbereichen, höhere Depressivität und Komorbidität, weniger erfolgreiche Behandlungen als bei anderen Psychotherapiepatienten (Pöhlmann 2009) www.psychosomatik-ukd.de Seite 7 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Typische Situationen, die sozialphobische Angst auslösen Leistungssituationen* • • • • • Öffentliches Reden Vor anderen Essen Vor anderen Trinken Vor anderen Schreiben Betreten eines Raumes, in dem bereits andere sitzen • (mündliche) Prüfungen Interaktionssituationen • Konversation am Telefon • Unterhaltung mit Fremden • Besuch einer Konferenz, Feier, Versammlung • Kontakt mit dem anderen Geschlecht • Kontakt mit Autoritätspersonen • Reklamation in Geschäften *Leistung (engl. performance): Handlungen, die im weiteren Sinn einer Beobachtung und Bewertung durch andere Personen unterliegen www.psychosomatik-ukd.de Seite 8 Social Anxiety Liebowitz SocialLiebow Anxietyitz Scale (LSAS 1999)Scale LSAS (1999) W elches Ausmaß an Angst/Unbehagen lösen die folgenden Situationen bei Ihnen aus? P = Aktiv W ie sehr versuchen Sie diese Situationen zu vermeiden? S = Z wischenmenschl. KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Angst/F urcht Vermeidungs verhalten 0 = keine 0 = nie 1.T elefonieren in der Ö ffentlichkeit P 2. T eilnahmen an einer Aktivität in kleiner G ruppe P 3. In der Ö ffentlichkeit essen P 4. In der Ö ffentlichkeit trinken P 5. Mit einem Vorgesetzten/Autoritätsperson sprechen S 6. Vor Publikum auftreten, handeln, sprechen P 7. Z u einem F est/Party gehen 8. Bei der Arbeit beobachtet zu werden S P 9. Beim Schreiben beobachtet zu werden P 10. Mit jemanden telefonieren, den man kaum kennt S O O O O O O O O O O 11. Mit jemanden sprechen, den man kaum kennt S O O O O O O O O O O 12. Mit F remden zusammentreffen S O O O O O O O O O O 13. Benützen einer öffentl. T oilette P O O O O O O O O O O 14. Einen Raum betreten, in dem andere bereits sitzen P O O O O O O O O O O 15. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen S O O O O O O O O O O 16. O hne Vorbereitung auf einer Veranstaltg. sprechen P O O O O O O O O O O 17. An einem T est teilnehmen P O O O O O O O O O O 18. G egenüber jemandem, den man kaum kennt, seine fehl. Z ustimmung oder Anerkennung äuß ern S O O O O O O O O O O 19. Jemandem, den man wenig kennt, direkt in die Augen schauen S O O O O O O O O O O 20. Vor einer G ruppe einen vorbereiteten mündl. Bericht geben P O O O O O O O O O O 21. Eine Liebes- oder Intimbeziehg. aufnehmen P O O O O O O O O O O 22. W aren in einem G eschäft umtauschen S O O O O O O O O O O 23. Ein F est/Party geben S O O O O O O O O O O S O O O O O O O O O O www.psychosomatik-ukd.de 24. Dem hohen Druck eines Verkäufers widerstehen (0%) 1= gering 1 = gelegentlich (1% - 33 %) 2 = mäß ig 2 = häuig (34% - 67%) 3 = stark 3 = (fast) immer (68% -100 %) Seite 9 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Vermeidend-selbstunsichere Persönlichkeitsstörung Soziale Phobie • tiefgreifendes Muster sozialer Gehemmtheit, Insuffizienzgefühlen und Überempfindlichkeit gegenüber negativer Beurteilung A. Dauerhaft übertriebene Angst vor einer/ mehreren sozialen bzw. Leistungssituationen und Befürchtung, dass Verhalten oder Angstsymptome demütigend/peinlich sind • Beginn: frühes Erwachsenenalter • manifestiert sich in verschiedenen Situationen • mindestens vier Kriterien: – Vermeidung enger zwischenmenschlicher Kontakte aus Angst vor Kritik, Missbilligung – Widerwillen gegenüber unsicheren sozialen Beziehungen – Zurückhaltung in intimen Beziehungen aus Angst, beschämt oder lächerlich gemacht zu werden. www.psychosomatik-ukd.de B. Konfrontation ruft fast immer Angst hervor C. Erleben der Angst als übertrieben D. Vermeidung oder intensive Angst E. Beeinträchtigung der Lebensführung, schulische/berufliche Funktionsfähigkeit oder soziale Aktivitäten/Beziehungen Diese Kriterien führten in empirischen Untersuchungen zu starken Überlappungen. Seite 10 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Vermeidend-selbstunsichere Persönlichkeitsstörung Soziale Phobie • Beschäftigung mit Kritik oder Ablehnung in sozialen Situationen F. < 18 Jahre: Dauer mindestens 6 Monate • Hemmung in neuen zwischenmenschlichen Situationen • Selbstbewertung als gesellschaftlich unbeholfen, unattraktiv oder unterlegen • Scheu gegenüber persönlichen Risiken, weil sich dies als beschämend erweisen könnte G. Keine Substanzwirkung/organische Ursache/andere psychische Störung H. organische Erkrankung/andere psychische Störung oder Zusammenhang mit Angst • Generalisiert: in den meisten sozialen Situationen Diese Kriterien führten in empirischen Untersuchungen zu starken Überlappungen. www.psychosomatik-ukd.de Seite 11 Das Kontinuitätsmodell der Sozialen Phobie KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Diagnostische Schwelle Häufigkeit nicht generalisiert generalisiert Selbstunsichere Persönlichkeitsstörung Schweregrad Normalbereich Soziale Phobie Schüchternheit Subklinische soziale Ängste www.psychosomatik-ukd.de Seite 12 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Generalisierte Sozialphobie www.psychosomatik-ukd.de 70 – 90 % Vermeidende Persönlichkeitsstörung Seite 13 Komorbidität mit anderen psychischen Störungen (NCS-Studie; Magee et al., 1996) % KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK 90 81 80 70 60 50 37,6 37,2 40 30 23,9 23,3 20 14,6 15,8 13,3 10,9 14,8 10,9 10 5,3 tk om or bi di tä t ei t es am G Dr og en ab iss br hä ng i au gk ch ei t og en m Dr ho la b Al ko ho lm iss br hä ng i au gk ch g at m au Al ko Be isc he te er al isi en er G la st un ru tö st s An g ch e zif is www.psychosomatik-ukd.de Po st tr ra p Ag o ng Ph ob ie n ho bi e ng Pa n iks tö ru m hy Dy st Sp e M aj o re De pr es sio n ie 0 Seite 14 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Chronifizierungs-Merkmale (nach Lieb und Müller 2002, Hazen und Stein 1995) • Selten verheiratet • Selten Partner • Leben häufig bei den Eltern • Keine sexuellen Erfahrungen (bis zu 60 Prozent) • Interpersonelle Schwierigkeiten • Berufliche Entwicklung beeinträchtigt • Sozioökonomischer Status gering www.psychosomatik-ukd.de Seite 15 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Ätiologie www.psychosomatik-ukd.de Seite 16 Auslösende Faktoren Kritische Lebensereignisse Erhöhte soziale Anforderungen SozialeUND Traumata KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE PSYCHOSOMATIK Psychologische Vulnerabilitäten Grundüberzeugungen Kompetenzdefizite Bindungsstil Perfektionismus Biologische Vulnerabilitäten Amygdala-Dysfunktion Neurotransmitter behavioral inhibition preparedness SOZIALE PHOBIE Aufrechterhaltende Faktoren Kognitive Verzerrungen Erhöhte Selbstaufmerksamkeit Sicherheitsverhalten Vermeidungsverhalten www.psychosomatik-ukd.de Vulnerabilitätsmodell Seite 17 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Verhaltensgehemmtheit – behavioural inhibition (nach Kagan et al. 1984) Kinder ab dem Alter von 2 Jahren zeigen in 10 bis 15 % stark gehemmtes Verhalten in sozialen und nicht sozialen neuartigen unbekannten Situationen verbunden mit autonomer Aktivierung (hohe Herzrate, Pupillenerweiterung, erhöhte Muskelspannung, erhöhte Noradrenalin- und Speichelkortisolwerte) genetisch bedingt (50 % nach Smoller et al. 2001) www.psychosomatik-ukd.de Seite 18 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Schüchternheit im Erwachsenenalter (Asendorpf 1989) diffuses Gefühl von Befangenheit Hemmung spontanen sozialen Verhaltens Ängste, von anderen negativ bewertet zu werden Unterschätzung der eigenen sozialen Kompetenz Zuschreibung sozialer Missgeschicke auf die eigene Unfähigkeit statt auf das Verhalten anderer oder situativer Umstände www.psychosomatik-ukd.de Seite 19 Entwicklung von Schüchternheit, Internalisierungsproblemen und sozialem Rückzug (nach Asendorpf, 1999) Umweltrisiken Genetische Risiken Neuropsychologische Risiken Insensitive Mutter Niedrige Reisschwelle Geringe Anpassungsfähigkeit Inadäquater Erziehungsstil Typ C Bindung Schüchternheit in unbekannten Situationen Schüchternheit in neuer Kindergartengruppe Nichtbeachtung durch Gleichaltrige Sozialer Rückzug Ablehnung durch Gleichaltrige ab 2. Klasse Sozialer Rückzug und Internalisierungsprobleme KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Potentielle Kindheitsbelastungsfaktoren bei Sozialer Phobie (nach Chartier, Walker u. Stein 2001; statistisch signifikant P < 0.05 gegenüber der Kontrollgruppe) signifikant häufiger bei Sozialphobie als bei Phobien und Depressionen * • • • • • • • • • • Straffälligkeit Inanspruchnahme der Jugendfürsorge Wegrennverhalten von zu Hause * Mangel einer engen Beziehung mit einem Erwachsenen * elterliche psychiatrische Erkrankung * mehr als drei Umzüge in der Kindheit schwerer körperlicher Missbrauch * schwerer sexueller Missbrauch Schulversagen * spezielle Erziehungsprobleme * www.psychosomatik-ukd.de Seite 21 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Elterlicher Erziehungsstil: Ignorieren vs. Überfürsorge (Lieb et al. 2000) • Die Eltern können ihre eigenen Gefühle sozialer Bedrohtheit an das Kind weitergeben, dem Kind eine grundlegende Überbewertung feindlicher Umweltsignale vermitteln. Dabei können sie sich auch überprotektiv verhalten. • Direktes kontrollierendes, feindliches oder abweisendes Verhalten gegenüber dem Kind, z. B. Überkontrolle der kindlichen biologischen Rhythmen (Schlaf, Ernährung, Ausscheidung u. a.) www.psychosomatik-ukd.de Seite 22 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK 3. Selbstkonzepte und ihre Veränderung www.psychosomatik-ukd.de Seite 23 Selbstkonzept KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Aktiviertes Selbstkonzept Selbstkonzept Intrapersonale Prozesse www.psychosomatik-ukd.de Interpersonale Prozesse Seite 24 aktiviertes Selbstkonzept KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK intrapersonale Prozesse interpersonale Prozesse • Selbst-relevante Informationsverarbeitung • Soziale Wahrnehmung • Emotionsregulation • Gestaltung sozialer Interaktionen mit anderen • Motivationale Prozesse www.psychosomatik-ukd.de • Sozialer Vergleich Seite 25 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Das Selbstkonzept von Sozialphobikern KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Selbstdiskrepanztheorie (Straumann & Higgins, 1987) • Selbstrepräsentiationen: Ist-Selbst, Ideal-Selbst und Soll-Selbst • Ideal-Selbst und Soll-Selbst sind Standards für die Regulation des Ist-Selbsts. • Deutliche Diskrepanzen zwischen dem Ist-Selbst und den Standards führen zu emotionalem Stress und Versuchen, die Diskrepanz zu reduzieren. • Das Soll-Selbst enthält das Selbst, das das Individuum glaubt, dass andere von ihm erwarten, das es ist. www.psychosomatik-ukd.de Seite 27 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Klarheit des Selbstkonzepts (Campbell, 1990; Wilson & Rapee, 2006) • Die Klarheit des Selbstkonzepts ist ein struktureller Aspekt des Selbstkonzepts, der beinhaltet, wie klar und eindeutig Elemente des Selbstkonzepts definiert sind, wie widerspruchsfrei sie sind und wie stabil über die Zeit (Cambell, 1990; Campbell & Lavallee, 1993; Campbell et al., 1996) • Klarheit des Selbstkonzepts korreliert positiv mit Selbstwert und positivem Affekt und negativ mit Neurotizismus und negativen Affekt www.psychosomatik-ukd.de Seite 28 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK • Schüchternheit und Sozialphobie: „chronische Selbstzweifel“ (Arkin, 1987) „instabile Selbstschemata“ (Clark & Wells, 1995) • Personen, die bzgl. Ihres Selbstkonzepts unsicher sind, werden stärker von anderen beeinflusst • Negative Bewertungen durch andere haben stärkere Auswirkungen • Sozialphobie: Negative Interaktionen werden als Beleg für negative Selbstanteile interpretiert • Angst vor Bewertung durch andere www.psychosomatik-ukd.de Seite 29 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK 4. Wirksamkeit stationärer Psychotherapie www.psychosomatik-ukd.de Seite 30 Stichprobe AN – EN (N = 75) n % Geschlecht w m 56 19 74.7 25.3 Familienstand verheiratet ledig getrennt / geschieden verwitwet 22 45 7 1 29.4 60.0 9.3 1.3 fester Partner kein Partner wechselnde Partner 41 30 2 54.6 40.0 Alter 18 – 61 33.0 11.7 LSAS 52 – 140 86.3 22.2 Nicht generalisiert Generalisierte SP 15 60 20.0 80.0 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Häufigkeit und Komorbidität in der Psychosomatik Häufigkeit der sozialen Phobie 22% Klinisches Interview (DIAX) Häufigkeit der sozialen Phobie 7% Klinische Diagnosen Anzahl der Diagnosen (DIAX): – Sozialphobiker 3.2 – Andere 2.6 www.psychosomatik-ukd.de Seite 32 Psychosomatik Patienten Depressivität (BDI) 30 27 25 21 21 19 20 17 15 15 12 9 10 5 0 Aufnahme nach 4 Wo andere Patienten Entlassung Sozialphobiker 1 Jahr nach EN KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Selbstkonzept Sozialphobie Agoraphobie FSKN – Leistung - Selbstwert 100 Leist: Leistungsfähigkeit Problem: Problembewältigung Verhalten: Verhaltens- & Entscheidungssicherheit SWS: Selbstwertschätzung E - G: Empfindlichkeit / Gestimmtheit 90 80 70 60 50 25 40 23 24 16 18 20 5 6 0 Leist Problem 7 22 17 9 10 28 24 30 15 6 Agoraphobie komorbid Soziale Phobie Verhalten SWS E-G KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Erste Ergebnisse zum Langzeiterfolg psychosomatischer Psychotherapie www.psychosomatik-ukd.de Seite 37 50 45 Summenwert (LSAS) 40 35 30 25 20 15 10 5 0 Aufnahme Entlassung LSAS Angst 1-Kat 5-Kat LSAS Vermeidung KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Soziale Ängste im Langzeitverlauf 62.5% erfüllen 5 Jahre nach Entlassung immer noch die Kriterien der Sozialen Phobie (SKID) lt. LSAS cut-off-Werten weisen 29,2 % eine nicht generalisierte SP 16,7 % eine mäßig generalisierte SP 12,5 % eine deutlich generalisierte SP 8,3 % eine schwer generalisierte SP auf www.psychosomatik-ukd.de Seite 39 Frankfurter Selbstkonzept-Skala Selbstkonzept (Deusinger, 1986) (a priori definierte Grenzen) negativ neutral positiv FSAL Leistungsfähigkeit 1 30 40 60 10 30 40 60 6 18 24 36 10 30 40 60 6 18 24 36 12 36 48 72 6 18 24 36 6 18 24 36 6 18 24 6 18 24 FSAP Problembewältigung FSVE Verhaltens- u. Entscheidungssicherheit FSSW Selbstwertschätzung FSEG Empfindlichkeit und Gestimmtheit FSST Standfestigkeit FSKU Soziale Kontakt u. Umgangsfähigkeit FSWA Wertschätzung durch andere FSIA Irritierbarkeit durch andere 36 FSGA Gefühle und Beziehungen zu anderen Soziale Phobie (nPRÄ=54) Agoraphobie (nPRÄ=35) komorbide Soziale Phobie mit Agoraphobie (n=30) Normstichprobe 17-77 J. nach Deusinger, 1986 (n=540) 36 Frankfurter Selbstkonzept-Skala Selbstkonzept (Deusinger, 1986) (a priori definierte Grenzen) negativ neutral positiv FSAL Leistungsfähigkeit 10 30 40 60 10 30 40 60 6 18 24 36 10 30 40 60 6 18 24 36 1 36 48 72 6 18 24 36 6 18 24 36 6 18 24 36 6 18 24 36 FSAP Problembewältigung FSVE Verhaltens- u. Entscheidungssicherheit FSSW Selbstwertschätzung FSEG Empfindlichkeit und Gestimmtheit FSST Standfestigkeit FSKU Soziale Kontakt u. Umgangsfähigkeit FSWA Wertschätzung durch andere FSIA Irritierbarkeit durch andere FSGA Gefühle und Beziehungen zu anderen PRÄ Soziale Phobie POST PRÄ POST PRÄ komorbide Soziale Phobie mit Agoraphobie POST Agoraphobie Normstichprobe nach Deusinger (1986) Interpersonale Problembelastung bei SP zu Therapiebeginn Interpersonale Problembelastung bei SP zu Therapiebeginn PA zu dominant 25 NO zu aufdringlich 20 BC zu streitsüchtig 15 SozPhob 10 AgoPhob 5 LM zu fürsorglich 0 DE zu abweisend komorb. SozPhob & AgoPhob Norm-SP (Brähler et al., 1998) JK zu ausnutzbar FG zu introvertiert HI zu selbstunsicher zu autokratisch PA 30 25 zu expressiv NO 20 zu streitsüchtig BC 15 10 5 zu fürsorglich LM 0 zu ausnutzbar JK zu abweisend DE zu introvertiert FG zu selbstunsicher HI SozPhob Prä AgoPhob Prä SozPhob Post AgoPhob Post komorb. SozPhob & AgoPhob Prä Norm-SP (Brähler, 1998) komorb. SozPhob & AgoPhob Post KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Befinden und Lebenszufriedenheit zu 5-Kat 46,6 % schätzen ihr Befinden als schlecht ein therapiebedingende Beschwerden sind bei 46.3 % deutlich gebessert, 46,3 % wenig gebessert bzw. unverändert sowie 7.4 % verschlechtert 76, 2 % ambulante Weiterbehandlung auf Empfehlung, in 42,9 % Verzögerungen durch fehlende Behandlungsplätze bzw. Therapeuten beanspruchte PT-Angebote im Kat-zeitraum: Tiefenpsycholog. Behandlung 41, 8 %, Analyse 9,1 %, Verhaltenstherapie 32, 7 %, Gruppentherapie 9,1 %, Selbsthilfegruppe 12,7 %, erneuter stationärer Aufenthalt 21, 8 % www.psychosomatik-ukd.de Seite 44 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK 5. Scham www.psychosomatik-ukd.de Seite 45 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Friedrich Nietzsche: „Einem Menschen, der Tiefe in der Scham hat, begegnen auch seine Schicksale und zarten Entscheidungen auf Wegen, zu denen wenige je gelangen und um deren Vorhandensein seine Nächsten und Vertrautesten nicht wissen dürfen: Seine Lebensgefahr verbirgt sich ihrem Auge und eben seine wiedereroberte Lebens-Sicherheit. Ein solch Verborgener, der aus Instinkt das Reden zum Schweigen und Verschweigen braucht und unerschöpflich ist in der Ausflucht von Mitteilung, will es und fördert es, dass eine Maske von ihm an seiner statt in den Herzen und Köpfen seiner Freunde herumwandelt; und gesetzt, er will es nicht, so werden ihm eines Tages die Augen darüber aufgehen, das es trotzdem eine Maske von ihm gibt – und dass es gut so ist.“ www.psychosomatik-ukd.de Seite 46 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Sechs Formen der Scham (S. Marks 2007) 1. Schamgefühle, die dadurch ausgelöst werden, dass man den herrschenden Erwartungen und Normen nicht entspricht. Dies kann sich auf den eigenen Körper beziehen (etwa wenn man sich für sein Aussehen schämt) oder auf persönliche Eigenschaften oder Fähigkeiten (etwa wenn man sich dafür schämt, Analphabet zu sein). Diese Form von Scham bezeichnet Marks als Anpassungs-Scham; sie bezieht sich auf die eigene Person. www.psychosomatik-ukd.de Seite 47 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Sechs Formen der Scham (S. Marks 2007) 2. Im Unterschied dazu bezieht sich Gruppen-Scham auf andere Personen, etwa wenn man sich für ein psychisch krankes Familienmitglied schämt. 3. Auch die mitgefühlte oder empathische Scham bezieht sich auf andere Personen: Wir fühlen mit, wenn wir Zeuge der Beschämung eines Mitmenschen sind. www.psychosomatik-ukd.de Seite 48 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Sechs Formen der Scham (S. Marks 2007) 4. Eine weitere Ausprägung ist die Schamhaftigkeit oder Intimitäts-Scham. Sie hat die Aufgabe, die eigene Privatsphäre gegenüber anderen zu schützen (z. B. indem wir persönliche Gefühle nicht in der Öffentlichkeit hinausposaunen). 5. Wenn die Privatsphäre in traumatischer Weise durch andere Menschen verletzt wurde (etwa durch Missbrauch oder Vergewaltigung), bleibt bei den Opfern charakteristischerweise traumatische Scham zurück. www.psychosomatik-ukd.de Seite 49 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Sechs Formen der Scham (S. Marks 2007) 6. Diese Schamgefühle sind verschieden von den Gefühlen eines Täters, der sich für sein Handeln schämt; diese nennt Marks Gewissens-Scham. www.psychosomatik-ukd.de Seite 50 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Die zentrale Bedeutung der Scham für die Psychodynamik sozialer Ängste (G. O. Gabbard) 1. Scham ist ein Verhalten in hohem Maße motivierender Affekt. Jeder Mensch unternimmt viel, um nicht beschämt zu werden. 2. Scham ist ein selbstreflexiver Affekt, der die Inkongruenz zwischen Realität und Ideal des Selbst markiert. „Beschämung verwandelt Unterschiede in Wertmängel“ (G. Neckel 1989) 3. Scham ist ein eminent sozialer Affekt. Schon die Vorstellung von Scham ist kaum möglich, ohne die gleichzeitige Vorstellung eines sozialen Gegenübers. G. H. Seidler: „Der Blick des Anderen“ (als Titel seiner Monographie über die Scham 1995/2001). Schuld kann man ganz für sich empfinden. www.psychosomatik-ukd.de nach S. O. Hoffmann Seite 51 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Die zentrale Bedeutung der Scham für die Psychodynamik sozialer Ängste (G. O. Gabbard) 4. Scham bedingt wesentlich ein körperliches Gefühl des Entblößtseins, des Bloßgelegtseins, dem idealen anderen nicht genügen zu können. Dazu: Die Schamlosigkeit des Exhibitionisten stellte das dynamische Gegenteil dar – als Abwehr betrachtet, pervertiert er die eigene Angst (unvollkommen zu sein) in die Angst der Beobachterin. So verschafft die Angst der anderen Lust. nach S. O. Hoffmann www.psychosomatik-ukd.de Seite 52 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Schamvulnerabilität Äußeres Auge Inneres Auge Soll-Selbst Ideal-Selbst Inkongruenz Inkongruenz Real-Selbst www.psychosomatik-ukd.de Seite 53 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK 6. Psychodynamik www.psychosomatik-ukd.de Seite 54 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Triangulierungskonflikte • Der Triangulierungskonflikt ist eine Weiterentwicklung des Autonomiekonfliktes im 3. Lebensjahr. • Verschiedene, alternative Zweierbeziehungen werden zur gleichen Zeit erlebt. Dadurch entsteht der Loyalitätskonflikt zwischen Zweierbeziehungen, z. B. zwischen Beziehungen zur Mutter und zum Vater. • Innerhalb der Zweierbeziehung betrachtet, ist es ein Konflikt zwischen Abwendung und Festhalten. • Das Scheitern der Triangulierung führt zur Fixierung von Loyalitätskonflikten, zu Ausschließungsgefühlen. www.psychosomatik-ukd.de Seite 55 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Psychodynamik und Pathogenese sozialer Ängste Die defizitäre Konzeption des eigenen Selbst www.psychosomatik-ukd.de Seite 56 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Die narzisstische Dynamik I: Die defizitäre Konzeption des eigenen Selbst Fast durchgängig haben Menschen mit sozialen Ängsten eine defizitäre Selbstsicht. Sie geht häufig mit der Gewissheit einher, für die soziale Umwelt eine Zumutung („indiskutabel“, „das Letzte“) darzustellen. Zwei Ursachen (aus einer Reihe von möglichen): – Kompromisslösung zwischen real abwertender (biographischer) Umgebung und Selbstwahrnehmung durch Unterwerfung, Diskrepanz der Selbstkongruenz – Selbstentwertungen durch ein rigides Über-Ich werden projiziert auf Entwertungen von außen. Wechselspiel des „inneren“ und „äußeren“ Auges. www.psychosomatik-ukd.de Seite 57 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Psychodynamik und Pathogenese sozialer Ängste Die kompensatorisch überhöhte Selbstsicht www.psychosomatik-ukd.de Seite 58 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Die Narzisstische Dynamik II: Die kompensatorisch überhöhte Selbstsicht • Eine Veränderung des Selbst im Sinne einer Überhöhung dürfte in der Mehrzahl der Fälle einen kompensatorischen Vorgang zur Abwehr unerträglicher Gefühle von Kleinheit und Minderwertigkeit darstellen. • Die Veränderung des Selbst im Sinne eines Größenselbst ist dem Betroffenen in der Regel unbewusst. Beispiel: Perfektion der Leistung, begeisternde Präsentation • Die angestrebte Perfektion der Leistung soll Sicherheit bringen, bewirkt aber verstärkte Unsicherheit. www.psychosomatik-ukd.de Seite 59 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Psychodynamik und Pathogenese sozialer Ängste Die Schicksale des Bindungsverhaltens (Attachementtheorie von Bowlby) nach S. O. Hoffmann www.psychosomatik-ukd.de Seite 60 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK 8. Therapie „Errötend folgt er ihren Spuren...“ KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Spezifische Elemente der ZBKT-Therapie für Patienten mit einer Sozialen Phobie Element 1: Sprich früh in der Behandlung (oder schon in der Diagnostik) den Affekt der Scham an und weise ihm eine für die Störung entscheidende Bedeutung zu. Element 2: Konfrontiere den Patienten mit seinen unrealistisch überhöhten Ansprüchen an sich selbst. Prinzip 3: Vermittle schonend aber beständig dem Patienten die Zuschreibung (Projektion) von eigenen Ansprüchen und eigener Abwertung an die anderen. nach S. O. Hoffmann www.psychosomatik-ukd.de Seite 62 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Spezifische Elemente der ZBKT-Therapie für Patienten mit einer Sozialen Phobie Element 4: Fordere den Patienten zu einem aktiven Aufsuchen der ihn schreckenden Situationen auf und ermuntere ihn, sich diese genau anzusehen. Element 5: Vergiss nicht, dass viele Menschen mit sozialen Ängsten aufgrund ihrer oft langen Krankheitserfahrung in ihren sozialen Fertigkeiten tatsächlich defizitär sind. Supportive Maßnahmen („Soziales Lernen“) haben hier einen besonderen Stellenwert. Von besonderer Bedeutung erscheint die Etablierung des „Inneren Dialogs“. Element 6: Achte in Deiner Gegenübertragung in besonderer Weise darauf, ob Du den Patienten respektierst. Erst dann bist Du für ihn bei der Revision seines gestörten Selbstbildes hilfreich. nach S. O. Hoffmann www.psychosomatik-ukd.de Seite 63 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Einbeziehung übender Elemente und Symptomexposition • Schulenübergreifende Einigkeit über Notwendigkeit von Exposition und Konfrontation (Hoffmann 2002, 2003, 2008; Leichsenring et.al. 2008; Clark & Wells 1995) • Rollenspiele in der Gruppentherapie • „Hausaufgaben“ www.psychosomatik-ukd.de Seite 64 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Therapeutische Haltung • Aktiv, strukturierend, motivierend • Therapeut als Modell im Umgang mit eigenen Schwächen (vgl. Hoffmann 2002, 2003, 2008) • Zurückweisung von (Selbst-) Abwertungen und (Selbst-) Entwertungen (vgl. Hoffmann 2002) • Fokus auf positive Veränderungen, Ressourcen • Therapeut erklärt, informiert • Hinweis auf Vermeidung und deren Folgen www.psychosomatik-ukd.de Seite 65 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Mögliche Schwierigkeiten • Bisherige Erfahrungen mit stationären Patienten: • Vermeidung von Exposition, Rollenspielen, Hausaufgaben • Transfer in den Alltag • Schweigen • Harmonisierende, regressive Gruppennormen • Zu hohes Erregungs-und Angstlevel www.psychosomatik-ukd.de Seite 66 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Danke für Ihre Aufmerksamkeit Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik Prof. Dr. med. Peter Joraschky peter.joraschky@ uniklinikum-dresden.de www.psychosomatik-ukd.de Seite 67 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK ANHANG Verhaltenstherapeutische Ansätze bei sozialen Ängsten Assertiveness-Training (De Muynck u. Ullrich 1976) Training sozialer Kompetenz (Hinsch u. Pfingsten 1983) Kognitive Verhaltenstherapie (Heimberg, Hope et al. 2000, Clark u. Wells 1995, Stangier et al. 2003, Fydrich 2003) Kombiniertes Vorgehen kognitiv-ressourcenorientiert (Willutzki et al. 2003) Ziele der kognitiven Verhaltenstherapie Bearbeitung der negativen Erwartungen hinsichtlich der Interaktion mit anderen Menschen ungünstigen Interpretation der eigenen Person ungünstigen Verhaltensweisen (Soziale Performanz) Kognitionen von Patienten mit Sozialer Phobie (nach Clark und Wells, 1995) Übertrieben hohe Standards für das Auftreten in sozialen Situationen Konditionale (d.h. in sozialen Situationen auftretende) Überzeugungen über ungünstige oder gar „katastrophale“ Konsequenzen des eigenen Verhaltens oder der Erscheinung Unkonditionale (d.h. eher dauerhaft vorhandene) negative und abwertende Überzeugungen über die eigene Person Das kognitive Modell von Clark und Wells (1995) Situation z.B. in Vorbereitung auf ein Meeting Frühe Erfahrung z.B. von Lehrer vor Klasse wegen stockendem Vortrag abgewertet worden Gedanken z.B. „Ich werde bei meinem Beitrag stammeln, meine Kollegen werden das bemerken und denken, ich bin ein Trottel. Ich werde in letzter Konsequenz meinen Job aufgeben müssen.“ Selbstfokussierung der Aufmerksamkeit/Kognitive Repräsentation des Selbst z.B. Vorstellung, vorne zu stehen, wie ein Kasper zu wirken, bleich, mit herabtropfenden Schweißperlen, mit unkoordinierter Bewegungen, wie ein Betrunkener zu lallen; Kollegen flüstern sich zu: „Wie armselig und jämmerlich“ Sicherheitsverhalten Angstsymptome Vorher z.B. sich ein detailliertes Konzept ausarbeiten, einen Tranquilizer nehmen. Während des Vortrags z.B. sich den nächsten Satz zurechtlegen, Pausen vermeiden, regelmäßig aus Glas Wasser trinken, sich die Stirn mit einem Taschentuch abwischen z.B. Herzklopfen, Mundtrockenheit, Schwitzen, Kurzatmigkeit, Kopfleere Metaanalyse zur Wirksamkeit von psychologischen Behandlungsansätzen bei Sozialen Phobien (Effektstärken mit Anzahl der zugrunde liegenden Studien in Klammern) Gould et al., 1997 Ruhmland & Margraf (2001) Cohen‘s d1 ES2 Kognitive Umstrukturierung + Exposition: 0.80 (8) 1.07 (17) Exposition alleine: 0.89 (9) 1.76 (7) Kognitive Umstrukturierung alleine: 0.60 (4) 1.13 (3) Soziale Kompetenztrainings: 0.60 (3) 0.85 (2) Entspannungstraining 0.44 (2) Wartelisten-Kontrollbedingung 0.03 (5) Kognitive Verhaltenstherapie insgesamt: 1 Kontrollierte Effektstärken, 2 Prä-Post-Effektstärken 0.74 (27) (keine Angabe) Psychopharmakologische Behandlungsansätze bei Sozialen Phobien: Ergebnisse der Metaanalyse von Gould et al. (1997) (Effektstärken mit Anzahl der zugrunde liegenden Studien in Klammern) Cohen‘s d Irreversible Monoaminoxidase-Hemmer (z.B. Phenelzin) 0.64 (5) Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (Paroxetin, Fluvoxamin, Sertralin) 1.89 (2) Benzodiazepine (Clonazepam, Alprazolam) 0.72 (2) Buspiron -0.08 (1) Betablocker (Atenolol) -0.50 (3) Reversible Monoaminoxidase-Hemmer (Moclobemid, Brofaromin) (keine Angaben) Psychopharmakologische Behandlungsansätze insgesamt: 0.62 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Psychoanalytisch-interaktionelle Methode (Heigl-Evers& Ott 1998, Streeck 2007) • Behandlung struktureller Störungen • Antwortender Modus vs. Deutung – Therapeut ist nicht neutraler Beobachter, sondern gibt selektiv eigenes Erleben und Handlungsimpulse zu erkennen sofern entwicklungsförderlich – Kaum Interpretationen, Deutungen oder Aufforderung zur Selbstreflexion – Ähnlich einem Alltagskontakt www.psychosomatik-ukd.de Seite 75 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK PIM und Prinzip Antwort • Aufmerksamkeit der Patienten auf das Gegenüber gelenkt und auf das was „zwischen“ ihm und anderen passiert • Nicht „warum“ verhalte ich mich auf eine bestimmte Weise, sondern Fokussierung darauf, „wie“ sich mein Verhalten und das meines Gegenübers wechselseitig bedingen • Beachtung individueller Toleranzgrenzen www.psychosomatik-ukd.de Seite 76 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK PIM und soziale Ängste • Fokus auf Beziehungen • Einbeziehung der in der Gruppe entstehenden und sich entwickelnden Beziehungen • Antiregressiv • Besserer Transfer in den Alltag • Interventionen ausgerichtet auf Förderung von Ich-Funktionen • Ich-Stärkung im Sinne einer Ressourcenorientierung (vgl. Willutzki et.al., 2004) www.psychosomatik-ukd.de Seite 77 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Komplexe soziale Fähigkeiten Implizites Beziehungswissen darüber, wie wir den Kontakt mit anderen gestalten – Komplexität vs. Vereinfachung – Aneignung komplexer Fähigkeiten vs. Kategorien sozial „richtigen“ Verhaltens www.psychosomatik-ukd.de Seite 78 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Stichprobe und Instrumente KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Einschlusskriterien DIAX : Diagnose Soziale Phobie positiv negativ Liebowitz-Skala (LSAS) kein Einschluss Score < 51 kein Einschluss www.psychosomatik-ukd.de Score >=51 mittelschwere Soziale Phobie Seite 80 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Instrumente o Liebowitz Soziale Angst Skala (LSAS, Stangier & Heidenreich, in Druck) o Social Phobia Scale (SPS, Stangier et al., 1999) o Social Interaction Anxiety Scale (SIAS, Stangier et al., 1999) o Frankfurter Selbstkonzeptskalen (FSKN, Deusinger, 1986) o Beck-Depressions-Inventar (Hautzinger et al., 1991), www.psychosomatik-ukd.de Seite 81 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Leistungskonzepte Allgemeine Selbstwertschätzung Psychosoziale Selbstaspekte FSKN - Inhaltsbereiche www.psychosomatik-ukd.de Seite 82 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Leistungskonzepte Korrelation mit LSAS 1. FSAL Leistungsfähigkeit - .34 ** „Ich bin bestimmt so leistungsfähig und intelligent wie andere“ 2. FSAP Problembewältigung - .37 ** „Ich kann mit meinen persönlichen Problemen gut fertig werden“ 3. FSVE Verhaltens- & Entscheidungssicherheit „Ich kann mich in den meisten Fällen schnell und sicher entscheiden“ www.psychosomatik-ukd.de - .27 * Seite 83 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Allgemeine Selbstwertschätzung Korrelation mit LSAS - .29 ** - .23 * 4. FSSW Selbstwertschätzung „Ich bin zufrieden mit mir“ 5. FSEG Empfindlichkeit & Gestimmtheit „Ich kann Anschuldigungen ertragen, ohne gleich aus der Haut zu fahren“ www.psychosomatik-ukd.de Seite 84 Korrelation mit LSAS - .52 ** 6. FSST Standfestigkeit „Ich vertrete meine Meinung auch konsequent in der Gruppe, die nicht mit mir übereinstimmt“ - .33 ** 7. FSKU Soziale Kontakt- & Umgangsfähigkeit „Ich habe eine gute Art, mit anderen umzugehen“ - .25 * - .40 ** - .27 * 8. FSWA Wertschätzung durch andere „Ich habe oft das Gefühl, dass Fremde mich kritisch betrachten“ 9. FSIA Irritierbarkeit durch andere „Es macht mir Angst, wenn sich jemand aktiv um mich bemüht“ 10. FSGA Gefühle und Beziehungen zu anderen „Ich kann anderen in der Regel vertrauen“ Psychosoziale Selbstaspekte KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Veränderung des Selbstkonzepts FSKN – Leistung: Veränderung in Abhängigkeit von Depressivität Leist: Leistungsfähigkeit Problem: Problembewältigung Verhalten: Verhaltens- & Entscheidungssicherheit 45 40 35 29 30 27 24 25 20 18 17 15 14 15 12 11 10 8 5 5 5 0 Leist Problem Verhalten BDI BDI BDI BDI > < > < 18 18 18 18 AN AN EN EN FSKN – Psychosoziale Selbstaspekte 100 STF: Standfestigkeit K – UF: Kontakt- & Umgangsfähigkeit WSA: Wertschätzung durch andere IRA: Irritierbarkeit durch andere GBA: Gefühle und Beziehungen zu anderen 90 80 70 60 40 50 38 27 40 33 31 30 15 18 20 10 9 8 11 18 10 0 22 17 14 Agoraphobie komorbid STF K- UF WSA Soziale Phobie IRA GBA KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Soziale Phobie als Ausdruck einer defizitären Selbstwertorganisation mit dem zentralen Affekt der Scham (S. Döbbel, K. Pöhlmann) www.psychosomatik-ukd.de Seite 89 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Wunsch im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen Antizipation von Ablehnung, Abwertung wie bspw. erlebt durch missbilligende elterliche Figuren in frühen Entwicklungsperioden Verhinderung der Demütigung durch Flucht vor bzw. Vermeidung von bewertender Situationen Entwicklung einer defizitären Selbstsicht Gewissheit eine Zumutung für die Umwelt darzustellen Schamgefühle bedingen die Aufrechterhaltung des Vermeidungsverhaltens, Schuldgefühle infolge des unbewussten Wunsches nach Aufmerksamkeit www.psychosomatik-ukd.de Seite 90 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Vergleich des Ausmaßes von Scham, Schuld und emotionsrelevanten Attributionsmustern bei Therapiebeginn Sozialphobiker zeigen bei Aufnahme ein signifikant stärkeres Ausmaß an Schamempfindungen, Neigungen zur Externalisierung von Verantwortung sowie ein geringeres Ausmaß an Stolz auf das eigene Selbst bzw. das eigene Verhalten als Psychosomatikpatienten ohne soziale Ängste. Sozialphobiker sind zudem zu Therapiebeginn signifikant depressiver (27.40 ± 11.82 vs. 22.24 ± 10.15, t = -3.36***) und psychisch belasteter (1.70 ± 0.77 vs. 1.19 ± 0.62, t = -5.23***) als Psychosomatikpatienten ohne soziale Ängste. www.psychosomatik-ukd.de Seite 91 Scham Schuld Externalisierung Distanzierung Selbststolz Verhaltensstolz 0,00 0,50 1,00 1,50 2,00 2,50 3,00 3,50 4,00 mit Sozialer Phobie (mSP) ohne Soziale Phobie (oSP) 4,50 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Veränderung des Ausmaßes von Scham, Schuld und emotionsrelevanten Attributionsmustern im Therapieverlauf signifikante Veränderungen in den emotionalen Neigungen hin zu einer Zunahme externalisierender und distanzierender Attributionsmuster, einer Zunahme des Stolzes auf das gesamte Selbst und das eigene Verhalten Reduktion von Depressivität und Symptombelastung bei beiden Patienten mit und ohne SP Neigung zu schambezogenen und selbstabwertenden Emotionen (mangelnder Selbststolz), Tendenz zur Externalisierung von Verantwortung sowie höhere Symptombelastung (1.17 ± 0.82 vs. 0.76 ± 0.62, t = -3.74***) und Depressivität (18.68 ± 14.31 vs. 13.59 ± 11.75, t = -2.82**) auch nach Therapieende bei SP wesentlich ausgeprägter als bei Psychosomatikpatienten ohne soziale Ängste www.psychosomatik-ukd.de Seite 93 Aufnahme Entlassung Soziale Phobie mSP oSP mSP Scham 3.28 ± 0.68 2.92 ± 0.72 3.16 ± 0.71 2.87 ± 0.75 3.84 11.43*** Schuld 3.90 ± 0.46 3.88 ± 0.47 3.91 ± 0.52 3.88 ± 0.45 0.07 0.12 Externalisierung 2.36 ± 0.54 2.21 ± 0.43 2.46 ± 0.51 2.32 ± 0.43 11.62*** 6.20* Distanzierung 2.53 ± 0.68 2.67 ± 0.54 2.77 ± 0.71 2.86 ± 0.59 27.99*** 2.21 Selbststolz 3.01 ± 0.82 3.37 ± 0.72 3.25 ± 0.84 3.54 ± 0.80 15.14*** 10.54*** Verhaltensstolz 3.33 ± 0.66 3.61 ± 0.72 3.55 ± 0.70 3.72 ± 0.72 15.12*** 5.59* Depressivität oSP Therapie F mit Sign. p F mit Sign. p 27.40 ± 11.82 22.24 ± 10.15 18.68 ± 14.31 13.59 ± 11.75 128.34*** Psych. Belastung 1.70 ± 0.77 1.19 ± 0.62 1.17 ± 0.82 0.76 ± 0.62 144.36*** 11.84*** 26.26*** Varianzanalyse mit Messwiederholung auf den Faktoren Therapiezeit (AN/EN) und Gruppe (Psychosomatikpatienten mit vs. ohne Soziale Phobie), * = p < .05 signifikant, ** = p < .01 sehr signifikant, *** = p < .001 höchst signifikant KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Die Scham wird operationalisiert durch eine negative Selbstbewertung und Tendenz zur Flucht (Michal et al., 2006), wie sie auch für das Störungsbild der Sozialen Phobie als wesentlich erachtet werden. Die Ergebnisse spiegeln die Bedeutung schambezogener und selbstabwertender Emotionen bei Sozialer Phobie wider und zeigen auf, dass diese im Rahmen einer teilstationären/ stationären Psychotherapie nur unzureichend bearbeitet werden können. Es sollten daher in der Diagnostik der Sozialen Phobie emotions-bezogene Neigungen stärker berücksichtigt und neue Perspektiven für psychotherapeutische Interventionen eröffnet werden. www.psychosomatik-ukd.de Seite 95 KLINIK UND POLIKLINIK FÜR PSYCHOTHERAPIE UND PSYCHOSOMATIK Emotionale und körperliche Symptome bei sozialer Phobie Emotionale Symptome Körperliche Symptome • soziale Angst • Erröten, Zittern, Schwitzen • Scham • trockener Mund, Stottern • Unsicherheit, Verlegenheit • erhöhtes autonomes • Sorgen („Angst vor der Angst“) • Depression www.psychosomatik-ukd.de Erregungsniveau • Herzrasen Seite 96 Typische Kognitionen von Personen mit Sozialer Phobie Schema 1) „Ich verhalte mich unakzeptabel (peinlich, blamabel)“ 2) „Dies führt zu Ablehnung, Abwertung, Zurückweisung“ Automatische Gedanken •„Mir wird nichts interessantes einfallen, und andere werden mich langweilig finden.“ Grundüberzeugungen und Selbstkonzept • konditionale Annahmen: „Wenn ich ängstlich erscheine, werden die anderen schlecht von mir denken.“ •„Ich werde erröten, und andere werden meine Verlegenheit bemerken.“ • unkonditionale Annahmen: „Ich bin uninteressant.“ •„Ich werde zittern und mein Getränk verschütten; die Leute werden mich anstarren und denken, ich bin psychisch krank.“ •„Was ich sage, klingt blödsinnig.“ • Perfektionismus bezüglich sozialer Standards: „Ich muss immer intelligent und witzig wirken.“