Formale Genetik III

Werbung
Formale Genetik III (empirische Genetik)
Besonderheiten von monogenen Erkrankungen
??
?
Lernziele – Kernpunkte zur Prüfung
Lernziele/Kernpunkte:
Die Besonderheiten der "monogenen" Erkrankungen (ausser
genomische Prägung, uniparentale Disomie und TriplettErkrankungen) sind bekannt und können anhand von Beispielen erläutert werden.
• Die Bedeutung der Besonderheiten der "monogenen" Erkrankungen (ausser genomische Prägung, uniparentale
Disomie und Triplett-Erkrankungen) für Stammbaumanalysen
und für die genetische Beratung sind bekannt.
•
Besonderheiten von "monogenen" Erkrankungen
• Stammbaumanalyse in Familien
• "monogene" Erbkrankheit wird vermutet
• Beobachtungen sprechen gegen einfachen
Erbgang nach Mendel
Mehr Informationen zu weiteren Familienmitgliedern
sammeln, verbesserte Diagnoseverfahren einsetzen
und molekulargenetische Ansätze anwenden!
Mögliche Erklärungen für Abweichungen von den Mendel‘schen Regeln
• genetische Heterogenität
• Neumutationen
• geschlechtsbegrenzte Vererbung
• Keimbahnmutation
• geschlechtsbeeinflusste Vererbung
• Keimzellmosaik
• inkomplette Penetranz
• genomische Prägung
• variable Expressivität
• uniparentale Disomie
• Manifestationsalter
• Triplett-Erkrankungen
• somatische Mutation
• Phänokopien
Genetische Heterogenität
Definition
Wenn einem einheitlich erscheinenden Phänotyp zwei oder mehr
Genotypen (Mutationen) zu Grunde liegen, sprechen wir von
genetischer Heterogenität.
(Harris, 1953 - Fraser, 1956)
Eine klinisch einheitlich erscheinende Erbkrankheit kann mehr als
eine Ursache haben!
Quelle: Buselmaier und Tariverdian HUMANGENETIK Springer Verlag
• allelische Heterogenität
mindestens 2 unterschiedliche Mutationen im gleichen Gen
Beispiel: Mukoviszidose (zystische Fibrose)
• nicht-allelische Heterogenität
(Locus-Heterogenität)
mindestens je 1 Mutation in zwei Genen
• allelische Heterogenität
Mukoviszidose (zystische Fibrose)
CFTR-Gen HSA 7q
CFTR (cystic fibrosis transmembrane conductance regulator) Gen
autosomal-rezessiv
5 % Träger-Häufigkeit
1:2000 Neugeborenen betroffen
weltweit sind mehr als 1000 Mutationen
im CFTR-Gen nachgewiesen worden
Chromosom
nicht erkrankt
nicht erkrankt
Gen
1. Mutation
2. Mutation
erkrankt
"Compound heterozygote"
• nicht-allelische Heterogenität
(Locus-Heterogenität)
mindestens je 1 Mutation in zwei Genen
Progressive Retinaatrophie (PRA)
Sibirischer Husky
X-chromosomal rezessiv
Entlebucher Sennenhund
autosomal-rezessiv
(mit später Manifestation)
Bullmastiff
autosomal-dominant
Unterschiedliche Erbgänge für eine Erbkrankheit weisen deutlich auf
genetische Heterogenität hin!
Bedeutung der genetischen Heterogenität
• direkte oder indirekte DNA-Tests (Gentests)
DNA-Test der PRA des Entlebucher Sennenhundes funktioniert
nicht in den Rassen Sibirischer Husky oder Bullmastiff.
• genetische Beratung (Risikoanalyse)
Beide Eltern leiden an einer rezessiv vererbten
Form von Taubheit!
Die Kinder sind alle normal hörend!
Der Vater und die Mutter sind homozygot für
Mutationen in zwei unterschiedlichen Genen.
Bessere klinische Diagnoseverfahren und neue DNAUntersuchungsmethoden werden dazu führen, dass
das Vorliegen von genetischer Heterogenität besser
erkannt werden kann.
Als Folge steigt die Anzahl von unterscheidbaren, genetischen
Erkrankungen stetig an.
Geschlechtsbegrenzte Vererbung
Definition
Erkrankungen oder Merkmale, die autosomal vererbt
werden, deren Expression sich aber nur in einem Geschlecht manifestiert.
• vererbte Form von Pubertas praecox (Mensch)
• Milchleistung beim Rind
Pubertas praecox (Mensch)
• genetisch bedingte Form der Pubertas praecox
• Vererbung: autosomal dominant
• Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale
im Knaben zu früh (schon mit 4 Jahren)
Aa
aa
Aa
aa
Aa aa aa
aa aa Aa Aa aa
aa
Aa
Aa
weibliche Träger
phänotypisch unauffällig
Geschlechtsbeeinflusste Vererbung
Definition
Erkrankungen oder Merkmale, die autosomal vererbt
werden, deren Expression sich aber in den beiden
Geschlechtern unterschiedlich präsentiert.
Hormoneller Status und spezielle Mechanismen der Genexpression
können als Ursache vermutet werden!
Hornbildung beim Schaf
H = Gen für Hornbildung, h = hornlos,
Genotyp
weiblich
männlich
HH
gehörnt
gehörnt
Hh
hornlos
gehörnt
hh
hornlos
hornlos
dominant oder rezessiv ?
Penetranz und Expressivität
(Manifestationshäufigkeit eines Allels)
Definition
Allele können in allen oder nur in einzelnen
Individuen zur Ausprägung kommen, je nachdem, ob ihre Penetranz vollständig oder inkomplett ist.
‘wenn sich ein Allel manifestiert, wie oft?’
Ein Genotyp zeigt unvollständige Penetranz, wenn weniger als 100%
der Indivduen mit diesem Genotyp den entsprechenden Phänotyp
zeigen.
Autosomal-dominanter Erbgang
P ist dominant über p
heterozygote Individuen (Pp) und homozygote Individuen (PP) erkranken.
100 Tiere mit Genotyp Pp untersucht:
95 % erkranken
5 % erkranken nicht
Erkrankung mit inkompletter Penetranz!
Mögliche Erklärung 5 % der Tiere haben kleinere Anfälligkeit
Autosomal dominanter Erbgang mit unvollständiger (inkompletter)
Penetranz!
Aa
aa
aa
Aa
Aa
Aa Aa
aa
aa
aa
aa
Aa
Aa
aa
z.B. A dominant über a
aa
aa
aa
aa
aa
Aa
aa
Aa
Aa
aa
aa
aa
Aa
aa
aa
aa
aa
aa
aa
Autosomal-dominanter Erbgang: nicht plausibel
Autosomal-dominanter Erbgang: inkomplette-Penetranz
3 Tiere mit dem Genotyp Aa von 14 Aa Tieren zeigen Phänotyp nicht!
Penetranz ca. 80 %
Polydaktylie (dominante Mutation)
Penetranz ca. 90 %
→ 10 % haben Genotyp Aa, zeigen aber den Phänotyp nicht.
variable Expressivität und Penetranz
(Manifestationsstärke)
Definition
Ein Genotyp zeigt variable Expressivität, wenn Individuen mit
diesem Genotyp sich unterscheiden in der Expression des Phänotyps, der diesem Genotyp entspricht.
Allele können mehr oder weniger stark zur Ausprägung
kommen.
‘wenn sich ein Allel manifestiert, wie stark?’
Mensch:
Polydaktylie
es können zusätzliche Finger oder Zehen an beiden
Händen oder Füssen auftreten oder nur ein einzelner
zusätzlicher Finger
Penetranz und Expressivität können sowohl von
anderen genetischen Faktoren, als auch von der
Umwelt beeinflusst werden.
genetische Faktoren:
andere Gene: Epistase, Polygenie
Umwelt:
• Umwelteinflüsse (=Peristase)
• Messgenauigkeit
Manifestationsalter
Wann kann eine Erbkrankheit klinisch diagnostiziert werden?
• "pränatal letal"
• pränatal
• bei der Geburt
• im Jugendalter
• im Erwachsenenalter
• spät im Erwachsenenalter
• post mortem
Bedeutung Manisfestationsalter
• wann kann klinische Diagnose sicher gestellt werden?
• Problem für die Humanmedizin und Tierzucht
Z.B. spätes Manifestationsalter der PRA
beim Entlebucher Sennenhund: 3-7 Jahre
Hunde sind längst in der Zucht!
Somatische Mutationen/somatisches Mosaik
Definition
Eine post-zygotische Mutation.
Zygote
Keimbahnzellen
3. Generation
somatische Zellen
somatische Zellen
2. Generation
somatische Zellen
1. Generation
Zygote
Keimbahnzellen
Zygote
Keimbahnzellen
Somatische Mutation wird nicht weitervererbt!
Zygote
somatisches Mosaik
Zygote
somatisches Mosaik
Zygote
somatisches Mosaik
Je nachdem, in welchem Stadium die
somatische Mutation auftritt, sind mehr
oder weniger Zellen eines Individuums
betroffen.
Bedeutung des somatischen Mosaiks
• eventuell sind nur Teil des Körpers oder Teil eines
Organs betroffen.
• Variabilität in der Symptomenstärke.
• klinische Diagnose und/oder molekulare Diagnose
kann schwierig sein.
Neumutation (de novo Mutation)
Keine Hinweise für die Erkrankung in der Familie!
de novo Mutation:
Eine genetische Mutation, die weder Mutter noch Vater trägt und auch nicht weiter gibt.
Mutationen in der Keimbahn
Definition
Eine Mutation während der Keimzellentwicklung.
Keimbahnzellen
Zygote
somatische Zellen
Zygote
3. Generation
somatische Zellen
2. Generation
somatische Zellen
1. Generation
Keimbahnzellen
Keimbahnzellen
Mutation der Keimbahn hat keinen Einfluss auf Individuum der 2.
Generation, wird aber an nächste Generation weitergegeben!
Keimzellmosaik
Definition
Mutation während der Keimzellenentwicklung.
Zygote
Mann
Keimbahnzellen
Frau
somatische Zellen
unterschiedliche Eizellen
mit oder ohne Mutation
somatische Zellen
1. Generation
2. Generation
Zygote
Keimbahnzellen
Bedeutung Keimzellmosaik
vor allem für die genetische Beratung
• Mutation ist in somatischen Zellen nicht nachweisbar
• erhöhtes Wiederholungsrisiko bei scheinbarer Neumutation
Genomische Prägung - Genomic imprinting
Definition
Expression eines Merkmals wird, abhängig von der
elterlichen Herkunft des Allels, bestimmt.
Quelle: King, Cummings und Spencer GENETIK Pearson Studium Verlag
Uniparentale Disomie
Definition
Uniparentale Disomie bedeutet, dass ein Individuum
beide Exemplare (Allele) eines Chromosoms, oder Teile
davon, von nur einem Elternteil geerbt hat.
“Triplett-Erkrankungen“
Instabile Trinukleotid-Wiederholungen (Repeats)
Bei starker Expandierung eines Trinukleotid-Repeats (z.B. CGG beim fragilen X),
d.h. anstelle von 50 Repeats sind über 200 Repeats vorhanden, kann
es zu einer Inaktivierung eines Gens und zum Ausbruch der Erkrankung kommen.
Phänokopie
Definition
Mimikry (Nachahmung) eines genetischen Defekts durch
einen Umwelteinfluss.
Goldschmidt, 1935
Phocomelie
Phänokopie
vererbt
Thalidomid-Embryopathie
(Contergan)
α-Mannosidosis in Rindern
- eine lysosomale Speicherkrankheit
• Enzymdefekt durch Mutation im α-Mannosidase-Gen
• autosomal-rezessiv vererbt
Darling pea (Swainsona spp.)
Australien
• produziert ein Alkaloid (trihydroxiliertes Indolizidin)
• bindet an α-Mannosidase-Enzym und blockiert seine Wirkung
Bedeutung von Phänokopien:
Können Vererbungsmuster verfälschen und Stammbaumanalysen erschweren.
Können genetische Beratung erschweren.
z.B. Taubheit
Viele Fälle von sporadisch auftretender kongenitaler Taubheit
beruhen auf Phänokopien.
Zusammenfassung
Die Besonderheiten von "monogenen" Erbkrankheiten, die wir
empirisch beobachten, können viele, aber nicht alle, Abweichungen
von den Mendel‘schen Gesetzmässigkeiten erklären.
Ausblick nächste Lektionseinheit
Wo steckt die Erbinformation in der Zelle und wie wird sie
weitergegeben?
Chromosomen
Herunterladen