Angststörungen Lydia Dachs Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters & Ausbildungsinstitut für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie am Klinikum der Universität zu Köln www.akip.de Übersicht • • • • • • • • • Symptome Klassifikation Epidemiologie Verlauf Komorbidität Ätiologie Diagnostik Interventionen Effizienz Symptome Aus: Morschitzky (1999), Wenn Jugendliche ängstlich sind, Wien: öbv. Symptome Alter Relevante Kompetenzen für die Entstehung von Angst Angst als passagere Entwicklungsphase vor: Frühes Säuglingsalter (0-6 Monate) Sensorische Fertigkeiten Spätes Säuglingsalter (6-12 Monate) Bewusstsein des Unterschiedes zwischen sich selbst und anderen; Erkennen eine eigene Person zu sein Vorstellungsfähigkeit; Nicht zwischen Phantasie und Realität unterscheiden können Starken sensorischen Stimuli; lauten Geräuschen Fremden Personen; Trennung Kleinkindalter (2-4 Jahre) Frühe Kindheit (5-7 Jahre) Fähigkeit, in konkreten logischen Begriffen zu denken Mittlere Kindheit (8-11 Jahre) Selbstwert abhängig von akademischen und sportlichen Leistungen Zukünftige Gefahren antizipieren; Selbstwert abhängig von sozialen Beziehungen Adoleszenz (12-18 Jahre) Angststörung Phantasiegestalten; Trennungsangst potenziellen Einbrecher; Spezifische Dunkelheit Phobien Naturgewalten (z.B. Feuer, Gewitter) Verletzungen, Tieren Schlechten Leistungen Spezifische Phobien Ablehnung Soziale Phobie Panikstörung Agoraphobie Modifiziert nach Schneider (2004), Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen, Göttingen: Hogrefe. Leistungsangst Symptome Behandlungsbedürftige Ängste: • • • • • Nicht passager Untypisch für die Entwicklungsphase Mangelnde Bewältigung Starke und anhaltende Beeinträchtigung Sekundäre Folgen Symptome F93 Emotionale Störungen des Kindesalters F93.0 F93.1 F93.2 F93.8 Emotionale Störung mit Trennungsangst Phobische Störung des Kindesalters Störung mit sozialer Ängstlichkeit Generalisierte Angststörung des Kindesalters F40 Phobische Störungen F40.0 F40.00 F40.01 Agoraphobie Agoraphobie ohne Panikstörung Agoraphobie mit Panikstörung F40.1 F40.2 Soziale Phobien Spezifische Phobien F41 Andere Angststörungen F41.0 F41.1 F41.2 Panikstörung Generalisierte Angststörung Angst und depressive Störung, gemischt Symptome Phobische Störung des Kindesalters (F93.1): • (Multiple) alterstypisch angstbesetzte Situationen/Objekte • Beginn in entwicklungsangemessener Altersstufe • Anhaltend, wiederkehrend, abnorm gesteigert • Ausgeprägte Vermeidung, u.U. Panik • Psychosoziale Beeinträchtigung • Operante Anteile (negative und positive Verstärker) Epidemiologie Federer et al. (2000) Steinhausen et al. Essau et al. (1998) (1998) Wittchen et al. (1998) Alter (Jahre) 8 7-16 12-17 Stichprobengröße 826 1964 1035 Prävalenzzeitraum 6 Monate 6 Monate 1 Jahr 1 Jahr Angststörungen 9,5 11,4 11,3 9,3 Trennungsangst 2,8 0,8 - - Spezifische Phobie 5,2 5,8 2,7 1,8 Soziale Phobie 0,4 4,7 1,4 2,6 Gen. Angststörung 1,4 0,6 0,2 0,5 Schneider (2004), Angststörungen. In: Eggers, Fegert & Resch (Hrsg.). Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, S. 473-495). Berlin: Springer. Epidemiologie Zusammenfassung: • Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter • Spezifische Phobien treten am häufigsten auf • Mit dem Alter Abnahme an Trennungsängsten und Zunahme an sozialen Ängsten (und Agoraphobie) • Insg. generalisierte Angststörung seltener • Mädchen häufiger und schwerer betroffen als Jungen Schneider (2004), Angststörungen. In: Eggers, Fegert & Resch (Hrsg.). Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, S. 473-495). Berlin: Springer. Verlauf • Klinisch relevante Ängste verlieren sich nicht • Vielmehr verlagern sich über den Entwicklungsverlauf die Schwerpunkte der Ängste • Eine Angststörung im Kindesalter erhöht das Risiko für eine Angst- oder depressive Störung im Erwachsenenalter Schneider (2004), Angststörungen. In: Eggers, Fegert & Resch (Hrsg.). Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, S. 473-495). Berlin: Springer. Petermann & Essau (2008), Spezifische Phobien. In: Petermann (Hrsg.). Lehrbuch der Klinischen Kinderpsychologie, S. 327-342). Göttingen: Hogrefe. Komorbidität • Bei ca. 50% aller Angststörungen ist mindestens eine weitere psychische Störung vorhanden (Depression, expansive Störung) • Hohe Komorbidität innerhalb der Angststörungen (Trennungsangst + spezifische oder soziale Phobie) Schlup & Schneider (2009), Spezifische Phobien. In: Schneider & Margraf (Hrsg.). Lehrbuch der Verhaltenstherapie, S. 504-529. Berlin: Springer. Schneider (2004), Angststörungen. In: Eggers, Fegert & Resch (Hrsg.). Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, S. 473-495). Berlin: Springer. Ätiologie BiologischeFaktoren: Faktoren: Biologische GenetischeDisposition Disposition ••Genetische GeschlechtsspezifischeEinflüsse Einflüsse ••Geschlechtsspezifische PhysiologischePrädisposition Prädispositionzur zur ••Physiologische Verhaltenshemmung Verhaltenshemmung PhysiologischesErregungsniveau Erregungsniveau ••Physiologisches Preparedness(Seligman) (Seligman) ••Preparedness Risiko-Kind: Risiko-Kind: Temperament ••Temperament KognitiveFaktoren Faktorenund und ••Kognitive Informationsverarbeitung Informationsverarbeitung Defizite ••Defizite Angststörung Angststörung Eltern: Eltern: UnsichereBindung Bindungbei beiunaufmerksamer unaufmerksamer ••Unsichere Bezugsperson Bezugsperson Interaktions-und undErziehungsverhalten Erziehungsverhalten ••InteraktionsEinstellungen,kognitiver kognitiverStil, Stil,Instruktionen Instruktionen ••Einstellungen, PsychischeStörungen Störungen(Angst, (Angst,Depression) Depression) ••Psychische PsychosozialerStress Stress Psychosozialer Lernprozesse: Lernprozesse: KlassischesKonditionieren Konditionieren ••Klassisches OperantesKonditionieren Konditionieren ••Operantes Modellernen ••Modellernen Diagnostik: Exploration • Ist die Angst des Kindes nicht altersgemäß oder übermäßig stark ausgeprägt? • Tritt die Angst in ganz bestimmten Situationen auf (Beispiele)? • Wie äußern sich verschiedene Personen zu dem Problem (divergente Kind- und Elterneinschätzung) • Was ist die vordergründige Störung des Kindes? Liegen weitere, komorbide Störungen vor, die einer Behandlung bedürfen? • Welche Bedingungen halten die Störung aufrecht? Diagnostik: Ablauf AllgemeinesScreening: Screening: Allgemeines •AllgemeinesExplorationsschema Explorationsschema––EAZ EAZ •Allgemeines •Elternfragebogenüber überdas dasVerhalten Verhaltenvon von •Elternfragebogen Kindernund undJugendlichen Jugendlichen––CBCL CBCL Kindern •Fragebogenfür fürJugendliche Jugendliche––YSR YSR •Fragebogen •Fragebogenfür fürLehrer Lehrer--TRF TRF •Fragebogen Organische Organische Differenzialdiagnose Differenzialdiagnose Bei Hinweis auf komorbide Störung StörungsspezifischeDiagnostik: Diagnostik: Störungsspezifische •SBB-und undFBB-Angst FBB-Angst •SBB•PHOKI •PHOKI •SPAIK •SPAIK •DAIund undAFS AFS •DAI •AKVund undPAS PAS •AKV •Angst-Thermometer •Angst-Thermometer Diagnostikkomorbider komorbiderStörungen Störungen Diagnostik •SBB-und undFBB-Depression FBB-Depression •SBB•DIKJ •DIKJ •Leistungsdiagnostik(orientierende) (orientierende) •Leistungsdiagnostik Diagnostik Thomas, soziale Phobie, 16 Jahre Diagnostik Intervention GrundGrundannahmen/ annahmen/ Schemata Schemata Situation Situation Graduierung Graduierung Kompetenzen Kompetenzen Kompetenzsteigerung Kompetenzsteigerung Kognitionen Kognitionen KognitiveInterventionen Interventionen Kognitive Angst++physiologische physiologische Angst Reaktion Reaktion Reizkonfrontationund und Reizkonfrontation Entspannung Entspannung ÄngstlichesVerhalten/ Verhalten/ Ängstliches Vermeindung Vermeindung Reizkonfrontation,Modelle, Modelle, Reizkonfrontation, Bewältigung Bewältigung Konsequenzen Konsequenzen OperanteVerfahren Verfahren Operante Suhr-Dachs & Döpfner (2005), Leistungsängste. Göttingen: Hogrefe. Relativer Therapieanteil Intervention Kinderinterventionen Elterninterventionen Vorschulalter Schulalter Adoleszenz/ Jugendalter Schneider (2004), Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen, Göttingen: Hogrefe. Intervention Alter Mögliche Angststörung Psychotherapeutische Arbeit mit den Eltern Psychotherapeutische Arbeit mit dem Kind 2-5 Jahre Trennungsangst Spezifische Phobien Psychoedukatiobn Erstellen einer Angst-Hierarchie Konfrontationsrational erklären Operante Techniken Gestufte Konfrontation Aufbau von Sicherheitssignalen 6-11 Jahre Trennungsangst Spezifische Phobien Soziale Phobie Generalisierte Angststörung Zwangsstörung Psychoedukation Vermittlung des spezifischen Therapiereationals Operante Techniken Psychoedukation Einfache Erklärungsmodelle Erstellen einer Angst-Hierarchie Gestufte Konfrontation Einfache kognitive Techniken Entspannungstraining Rollenspiele 12-18 Jahre Trennungsangst Spezifische Phobien Soziale Phobie Generalisierte Angststörung Panikstörung/Agoraphobie Zwangsstörung Psychoedukation Vermittlung des spezifischen Therapierationals Psychoedukation Kognitiv-verhaltenstherapeutisches Erklärungsmodell Graduierte Konfrontation Sokratischer Dialog Entspannungstraining Rollenspiele Modifiziert nach Schneider (2004), Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen, Göttingen: Hogrefe. Intervention: Manualisierte Behandlung Elemente: - Psychoedukation und kognitive Umstrukturierung - Selbstkontrolltechniken - Exposition - Verstärkungs- und Modellernen - Kompetenztraining - Entspannungstraining - Flankierende elternzentrierte Maßnahmen Programme: - FRIENDS/Coping Koala – FREUNDE (Essau & Conradt, 2003) - GO (Junge et al., 2002) - Behandlung der sozialen Phobie bei Kindern und Jugendlichen (Joormann & Unnewehr, 2002) - Gruppentraining für ängstliche und sozial unsichere Kinder und ihre Eltern (Maur-Lambert, 2003) - Mutig werden mit Til Tiger (Ahrens-Eiper & Leplow, 2009) - THAZ-Leistungsängste (Suhr-Dachs & Döpfner, 2005) Intervention: Psychoedukation Boie (2001), Kirsten Boie erzählt vom Angsthaben, Oetinger: Hamburg Interventionen: Psychoedukation Aus: Morschitzky (1999), Wenn Jugendliche ängstlich sind, Wien: öbv. Intervention: Psychoedukation Joormann, J.; Unnewehr, S. (2002). Behandlung der sozialen Phobie bei Kindern und Jugendlichen. Göttingen: Hogrefe. Intervention: Reizkonfrontationsverfahren • Exposition (Habituation) • Systematische Desensibilisierung (Gegenkonditionieren) • Angst-Management (Coping) Intervention: Exposition Angst-Thermometer 100 90 80 70 60 50 40 30 - brechen zu müssen, krank zu werden - Leistungen in der Schule nicht halten zu können - von Gedanken nicht wegzukommen - zusammenzubrechen, wenn ich Flackern vor den Augen habe - schlechte Noten zu schreiben - etwas zu leisten (Arbeiten zu schreiben) - in Streite verwickelt zu sein - allgemein vor negativen Sachen - dass irgendwann eine körperliche Beschwerde länger anhält als sonst - etwas essen zu müssen, wovon ich nicht genau weiß, ob es wirklich gut ist - dass ich über meine Ängste nicht hinwegkomme - dass meine schulischen Leistungen unter meinen Beschwerden leiden 20 10 Name: 0 Datum: Intervention: Exposition Joormann, J.; Unnewehr, S. (2002). Behandlung der sozialen Phobie bei Kindern und Jugendlichen, Göttingen: Hogrefe. Intervention: Exposition Angststärke bei Konfrontation Erwartung: Stetiger Angstanstieg Spontane Angstabnahme durch „Gewöhnung“ 3. 2. 1. Zeit Suhr-Dachs & Döpfner (2005), Leistungsängste, Göttingen: Hogrefe. Intervention: Exposition Kognitive Interventionen Altersentsprechende Modifikation der negativen Selbstund Situationsbewertungen: • Vermittlung des kognitiven Behandlungsrationals • Gedankenprotokolle zur Selbstbeobachtung • Kognitive Umstrukturierung: - Selbstinstruktionen („Angst-Killer“) - Sokratischer Dialog (Umattribuieren, Entkatastrophisieren, Realitätsprüfung) - Kognitive Probe - Verhaltensexperimente - Problemlösetraining Kognitive Interventionen Suhr-Dachs & Döpfner (2005), Leistungsängste, Göttingen: Hogrefe. Kognitive Interventionen Suhr-Dachs & Döpfner (2005), Leistungsängste, Göttingen: Hogrefe. Kognitive Interventionen Suhr-Dachs & Döpfner (2005), Leistungsängste, Göttingen: Hogrefe. Kognitive Interventionen Joormann, J.; Unnewehr, S. (2002). Behandlung der sozialen Phobie bei Kindern und Jugendlichen, Göttingen: Hogrefe. Kognitive Interventionen Joormann, J.; Unnewehr, S. (2002). Behandlung der sozialen Phobie bei Kindern und Jugendlichen, Göttingen: Hogrefe. Verhaltensbezogene Interventionen Aufbau von Fertigkeiten, z.B: • • • • Problemlösetraining Konfliktbewältigungstraining Kommunikationstraining Trainingsprogramme in Bezug auf relevante Defizite (soziale, schulische, lebenspraktische) Verhaltensbezogene Interventionen Suhr-Dachs & Döpfner (2005), Leistungsängste, Göttingen: Hogrefe. Elternzentrierte Interventionen • Psychoedukation (Störungskonzept) • Modifikation dysfunktionaler Kognitionen (Bewertungen? Erwartungen?) • Modifikation dysfunktionaler Reaktionen (Modelle? Verstärkerlernen? Strafen/Kontrolle? Verwöhnung? Laissez-faire?) • Eigene Ängste und deren Bewältigung? • Kotherapeutische Einbindung in die Behandlung Flankierende Interventionen • Entspannungsverfahren • Coping-Modelle (symbolisch, teilnehmend) • Schulzentrierte Interventionen (Diagnostik, Beratung, Kotherapie, Umplatzierung) • Pharmakotherapie • (Teil-)stationäre Behandlung (Chronifizierung, Interaktionsprobleme, logistische Probleme, familiäre Belastungen) Danke für Ihre Aufmerksamkeit