Algebra I 4.1 c Rudolf Scharlau, 2002 – 2012 � 201 Elementare Körpertheorie In diesem Abschnitt werden zunächst die Charakteristik und der Primkörper eines Körpers definiert. Dann werden die Ausführungen von Abschnitt 3.4 über Erweiterungen von Ringen um einige Punkte ergänzt, die spezifisch für Körpererweiterungen sind. Insbesondere sind hier der Gradsatz und die Transitivität der Eigenschaft algebraisch” für Erweiterungen zu nennen. ” Die beiden ersten Definitionen und Bemerkungen dieses Abschnittes stehen im unmittelbaren Zusammenhang zueinander. Definition und Bemerkung 4.1.1 Es sei K ein Körper und iK : Z −→ K, n �→ n.1K der kanonische Ringhomomorphismus von Z nach K. Die Charakteristik char K ist das nicht-negative Erzeugende der Kerns von iK . Diese Zahl ist gleich Null oder eine Primzahl. Bemerkung und Definition 4.1.2 Jeder Körper K enthält einen kleinsten Teilkörper Kprim , den sog. Primkörper von K. Man kann ihn wie folgt explizit beschreiben, wobei p := char K die Charakteristik von K ist. a) Im Fall p = 0 ist Kprim := {iK (n)iK (m)−1 | n ∈ Z, m ∈ N}, und dieser Körper ist isomorph zum Körper Q der rationalen Zahlen. b) Im Fall p > 0 ist Kprim := Bild iK = {0, 1K , · · · , (p − 1).1K }, und dieser Körper ist isomorph zu Fp = Z/pZ. Im Fall der Charakteristik 0 wird man i. A. eine ganze Zahl n mit ihrem Bild in K identifizieren, also Z als Teilring des Körpers K auffassen und oft auch n · m−1 n als Bruch m schreiben. Dann sieht Kprim auch genauso“ aus wie Q. Auch im ” Fall char K > 0 kann man entsprechend Fp als Teilmenge von K auffassen, denn es gibt nur einen Isomorphismus Fp −→ Kprim . Wir erinnern daran, dass eine Körpererweiterung eines Körpers K ein (notwendig injektiver) Homomorphismus i : K → L ist, wobei L wieder ein Körper ist. Wenn i sich aus dem Kontext ergibt oder keine Rolle spielt, schreiben wir hierfür kurz L : K. Wir haben in Abschnitt 3.4 bereits ausführlich genutzt, dass jeder solche Erweiterungskörper“ auch als Vektorraum über K aufgefasst werden kann. Seine ” Dimension bekommt jetzt einen eigenen Namen: Definition 4.1.3 Unter dem Grad einer Körpererweiterung L : K, bezeichnet mit [L : K], versteht man die Dimension von L als K-Vektorraum: [L : K] = dimK L Man spricht von einer endlichen Körpererweiterung, falls ihr Grad endlich ist. Algebra I c Rudolf Scharlau, 2002 – 2012 � 202 Wir schließen nun an Satz 3.4.12 an, in dem das Minimalpolynom pα eines Elements α eine Erweiterung von K definiert wurde und Erweiterungen eines Körpers, die von einem Element erzeugt werden, beschrieben wurden. Der Begriff algebraisch“ wurde damals bereits beiläufig erwähnt und wird hier nun ” offiziell definiert. Definition und Satz 4.1.4 Es sei K ein Körper. a) Ein Element α eines Erweiterungskörpers L von K heißt algebraisch über K, falls sein Minimalpolynom pα �= 0 ist. In diesem Fall ist K[α] : K eine endliche Körpererweiterung vom Grad [K[α] : K] = grad pα . Anderenfalls heißt α transzendent über K. b) Eine Körpererweiterung L : K heißt algebraisch, falls alle Elemente α ∈ L algebraisch über K sind. Beweis: Für den Grad siehe Satz 3.4.12 b). Da K[α] ⊆ L auf jeden Fall nullteilerfrei ist, ist wieder nach 3.4.12 b) auch K[X]/(pα ) nullteilerfrei, das Ideal (pα ) also ein Primideal in K[X], also pα ein Primelement und damit ein irreduzibles Polynom. Nach 3.4.6 c) ist also K[α] ∼ � = K[X]/(pα ) sogar ein Körper. Ein anderer Beweis (mehr lineare Algebra, weniger Polynome) wird in den Übungen behandelt. Unter einer algebraischen Zahl“ (ohne weiteren Zusatz) versteht man eine kom” plexe Zahl, die algebraisch über Q ist. Der Grad einer algebraischen Zahl α ist definitionsgemäß der Grad ihres Minimalpolynoms, also der Grad von Q[α] über Q. Komplexe Zahlen, die nach obiger Definition transzendent über Q sind, heißen einfach nur transzendente Zahlen”. ” Ein Element α eines Erweiterungskörper ist genau dann algebraisch über K, wenn K[α] endlich-dimensional über K ist. Wenn L : K eine endliche Körpererweiterung ist, so gilt das für jedes α ∈ L, denn K[α] ⊆ L. Somit haben wir folgende Bemerkung eingesehen: Bemerkung 4.1.5 Jede endliche Körpererweiterung ist algebraisch. Die Umkehrung der Bemerkung 4.1.5 gilt nicht, wie wir unten in Beispiel 4.1.11 noch ausführen werden. Die Eigenschaft, eine Erweiterung zu sein”, ist in folgendem Sinn transitiv: Wenn ” L : K und K : F zwei ( übereinanderliegende“ oder aufeinanderfolgende“) Er” ” weiterungen sind, dann ist auch L eine Erweiterung von F . Hierbei spielt die Körpereigenschaft keine Rolle, F, K, L brauchen nur kommutative Ringe zu sein. Genauer ist folgendes gemeint: wenn die Erweiterung K : F durch einen injektiven Homorphismus i : F → K und L : K durch einen injektiven Homomorphismus j : K → L gegeben ist, dann ist j ◦i : F → L injektiv, und diese Erweiterung von F meinen wir mit L : F . c Rudolf Scharlau, 2002 – 2012 � Algebra I 203 Satz 4.1.6 (Gradsatz) Es seien L : K und K : F zwei übereinanderliegende Körpererweiterungen. Dann gilt [L : F ] = [L : K] · [K : F ]. Insbesondere ist L : F genau dann endlich, wenn L : K und K : F endlich sind. Im Beweis (Vorlesung) ist L ein beliebiger K-Vektorraum, der immer auch als F -Vektorraum aufgefasst werden kann. � √ √ Beispiele 4.1.7 a) Es sei F = Q, K = Q[ 2], L = K[ 2 + 2]. Dann ist [L : Q] = 4 = 2 · 2 = [L : K] · [K : Q]. √ √ √ √ b) Für L√:= √ Q[ √2, 3] := Q[ 2][ 3] (s.u.) ist [L : Q] = 4, eine Basis von L ist 1, 2, 3, 6. In Beispiel a) bestimmt man die einzelnen Grade über das Minimalpolynom, √ also mit Satz 4.1.4. Beispiel b) kann man mit dem gleichen K = Q[ 2] analog behandeln; siehe auch Bemerkung 4.1.10 unten. Bevor wir das nächste Lemma formulieren, erweitern wir noch die Notation für das Adjungieren von Elementen (siehe Lemma 3.2.3) in naheliegender Weise: Es sei R ein kommutativer Ring und α1 , α2 , . . . , αm Elemente eines kommutatven Erweiterungsringes. Dann setzen wir für m ≥ 2 induktiv R[α1 , . . . , αm ] := R[α1 , . . . αm−1 ][αm ]. Zum Beispiel ist etwas konkreter für m = 2 � � � R[α, β] = rij αi β j | rij ∈ R, fast alle rij = 0 . i,j∈N0 Lemma 4.1.8 Es sei L : K eine Körpererweiterung und α1 , α2 , . . . , αm ∈ L algebraisch über K. Dann ist der Ring K[α1 , . . . , αm ] endlich-dimensional über K und ein Körper. Beweis: Wir wenden Induktion über die Anzahl m der Elemente an. Für m = 1 steht die Behauptung in Satz 4.1.4. Für m ≥ 2 ist K � := K[α1 , . . . αm−1 ] nach Induktionsannahme eine endliche Körpererweiterung. Weiter ist αm algebraisch über K, erst recht über K � , und deshalb wieder nach 4.1.4 K[α1 , . . . , αm ] = K � [αm ] ein Körper und K � [αm ] : K � eine endliche Erweiterung. Nach dem Gradsatz 4.1.6 ist auch K � [αm ] : K endlich. � Wir werden jetzt zeigen, dass nicht nur die Eigenschaft endlich“, sondern auch ” die Eigenschaft algebraisch“ für Körpererweiterungen transitiv ist. ” Satz 4.1.9 Es seien L : K und K : F zwei übereinanderliegende algebraische Erweiterungen. Dann ist auch L : F algebraisch. Algebra I c Rudolf Scharlau, 2002 – 2012 � 204 Beweis: Für β ∈ L seien α0 , α1 , α2 , · · · ∈ K die Koeffizienten des Minimalpolynoms von β über K. Dann ist K � := K[α0 , α1 , α2 , . . . , ] nach 4.1.8 b) eine endliche Erweiterung von K, weiter ist K � [β] eine endliche Erweiterung von K � . Nach 4.1.6 ist also K � [β] : K eine endliche Erweiterung und somit jedes Element von K � [β], insbesondere β selbst, algebraisch über K. � Oft (z.B. im Beispiel 4.1.7 b)) wird eine Erweiterungskörper aus zwei Teilkörpern eines großen“ Körpers, etwa der komplexen Zahlen, zusammengesetzt. Dieses ” führt auf folgende Definition und Bemerkung. Definition und Bemerkung 4.1.10 (Kompositum) a) Es sei R ein kommutativer Ring und R1 , R2 ⊆ R Teilringe. Dann ist die Menge aller Summen (beliebiger Länge) von Produkten xy, x ∈ R1 , y ∈ R2 ein Teilring von R. Dieses ist offenbar der kleinste Teilring von R, der R1 und R2 enthält; er heißt das Kompositum von R1 und R2 . � ⊇ K eine Körpererweiterung und L1 ⊆ K, � L2 ⊆ K � Teilkörper von b) Es sei K � die beide K enthalten und endlich über K sind. Dann ist das KompoK, situm L1 L2 eine endliche Körpererweiterung von K; es ist [L1 L2 : K] ≤ [L1 : K] · [L2 : K]. c) In der Sitation von b) heißen L1 und L2 linear disjunkt über K, wenn [L1 L2 : K] = [L1 : K] · [L2 : K] ist. Dieses gilt insbesondere dann, wenn [L1 : K] und [L2 : K] teilerfremd sind. √ √ Zwei verschiedene quadratische Erweiterungen Q[ a] und√ Q[ b] von Q sind im√ mer linear disjunkt. Die beiden Körper Q[ 3 2] und Q[ζ3 3 2] vom Grad 3, wo√ bei ζ3 = −1+2 −3 eine primitive dritte Einheitswurzel ist, sind nicht linear dis√ junkt, dennn ihr Kompositum ist gleich Q[ζ3 , 3 2] und hat folglich (nach Teil c)) den Grad 6 über Q. (Es handelt sich um den Zerfällungskörper“ des Polynoms ” X 3 − 2.) Bemerkung 4.1.11 Die Umkehrung der Bemerkung 4.1.5 gilt nicht, wie folgende allgemeine Konstruktion zeigt: Es sei K0 ⊂ K1 ⊂ · · · ⊂ Kn ⊂ Kn+1 ⊂ · · · eine unendliche Kette von Körpern, die alle Teilkörper eines sehr großen“ � Körpers ” � � K sind (etwa K0 = Q, K = C). Dann ist die Vereinigung K := n∈N0 Kn ein � wie man sich schnell überlegt. Wenn weiter jedes Kn+1 endlich Teilkörper von K, über Kn ist, so ist K algebraisch über K0 . Denn jedes β ∈ K liegt in Kn für ein passendes n = n(β), und Kn ist endlich über K0 . Andererseits ist offenbar K nicht endlich über K0 , denn [Kn : K0 ] ≤ [K : K0 ], und [Kn : K0 ] strebt gegen unendlich für n → ∞.