Psychotherapie der Suchterkrankungen PD Dr. med. Monika Ridinger Forel Klinik, Ellikon a.d. Thur Universität Regensburg Inhalt • Woran orientiert sich die Therapie der Suchterkrankung? – Ätiologie, Betroffene, Ziele • Allgemeine Grundsätze therapeutischer Interventionen • Ausgewählte psychotherapeutische Interventionen – Motivationale Intervention – Rückfallprävention – Verhaltenstherapie Komplexe Störung Sucht • Behandlung orientiert sich an der Ätiologie • Behandlung = Komplexes Zusammenspiel aus Medikation (Bio-), Psycho- und Soziotherapie Probierkonsum Substanzwirkung Konditionierung, Belohnungsaktivierung EXIT Persönlichkeit Ereignisse Kultur, Umwelt z.B. Familie, Peer-Gruppe, Verfügbarkeit Tabak G E N E T I K Alkohol Illegale Drogen Konsum Regelmässiger Konsum Abhängigkeit EXIT EXIT EXIT Betroffene • • • • • Craving Entzugssyndrom Toleranzentwicklung Kontrollverlust Vernachlässigung von Verpflichtungen, Vergnügen • Konsum trotz „Schaden“ Ziele in der Suchtbehandlung (nach Schwoon 1992) Selbsthilfe Bearbeitung von Rückfällen Akzeptanz des Abstinenzziels Akzeptanz des Hilfebedarfs Einsicht in die Grunderkrankung Ermöglichung längerer Abstinenz Verhinderung sozialer Desintegration Sicherung des sozialen Überlebens Verhinderung schwerer Folgeschäden Sicherung des Überlebens Sicherung des Überlebens Lesch 1985: Innerhalb eines Katamnesezeitraumes von 4 Jahren waren 25% der behandelten Alkoholabhängigen verstorben! Ursachen: 1/3 Unfälle 1/3 Suizid 1/3 Folgeerkrankungen Interventionsformen • Schadensminimierung und Abstinenz orientiert an Motivation und Zustand Interventionen Psychotherapie - Kurzintervention - Verhaltenstherapie - Pharmakotherapie (z.B. - Systemische Therapie Anti-Craving) -Tiefenpsychologische - Motivationale Verfahren Interventionen (MI) -Interpersonelle Therapie - Rückfallprävention -Kontrollierter Konsum -Non-verbale Verfahren, -Sozio-/Milieutherapie z.B. Gestaltung, Entspannung, (Arbeit, Wohnen, etc.) Achsamkeit, SBT Interventionsformen • Schadensminimierung und Abstinenz orientiert an Motivation und Zustand Interventionen Psychotherapie - Kurzintervention - Verhaltenstherapie - Pharmakotherapie (z.B. - Systemische Therapie Anti-Craving) -Tiefenpsychologische - Motivationale Verfahren Interventionen (MI) -Interpersonelle Therapie - Rückfallprävention -Kontrollierter Konsum -Non-verbale Verfahren, -Sozio-/Milieutherapie z.B. Gestaltung, Entspannung, (Arbeit, Wohnen, etc.) Achsamkeit, SBT Effekte nach stationären Entwöhnungsbehandlungen Küfner, Feuerlein, 1989 Zemlin et al., 1999 Behandlung 4 - 6 Monate (21 Kliniken) 6 Monate Nachuntersuchung 6 Monate 12 Monate Anzahl Patienten 1410 3060 Abstinenzrate 67% 60% (Mann, 2002) Effekte nach stationärer Kurzzeittherapie Veltrup, 1995 Dauer Behandlung Stetter, Böning et Mann, al., 2001 1997 Olbrich, 2001 6 Wo. 3 Wo. 6 Wo. 3 Wo. Nachuntersuchung 8 Mo. 8 Mo. 12 Mo. 6 Mo. Patienten 196 529 151 102 Abstinenz erreichte Pat. 58% 52% 45% 58% Abstinenz alle Pat. 38% 46% 36% 48% Ausgewählte Psychotherapeutische Interventionen Motivationale Interventionen „Rad der Veränderung“ (Prochaska & DiClemente) „Ich muss mit dem Konsum aufhören – es fällt so schwer!“ „Es hat ja doch alles keinen Sinn!“ „Ich enttäusche mich und die Anderen!“ Handlungsphase Abstinenz Rückfall Einsichtsphase Vorahnungsphase „Ich könnte/habe ein Problem mit dem Suchtmittel!“ „Die Anderen haben ein Problem mit dem Suchtmittel – ich nicht!“ Therapeutische Interventionen in den Phasen • Vorahnungsphase häufig Hausarzt – Betroffenheit erzeugen: Kurzintervention • Einsichtsphase HA, Suchtberatung, Suchtklinik – Betroffenheit aufrecht erhalten: Ambivalenz auflösen – Angehörige einbeziehen • Handlungsphase Suchtberatung, Klinik, Bezugspersonen – Entscheidung, Selbstwirksamkeit fördern • Abstinenzphase Klinik, Bezugspersonen, HA – Copingstrategien anpassen, soziales Netz aufrecht erhalten • Rückfallphase Suchtberatung, HA, Bezugspersonen – Rückfallschock vermeiden Vorahnungsphase • Betroffenheit erzeugen: Zusammenhänge zwischen körperlichen, psychischen, sozialen Bedingungen und Suchtmittelkonsum herstellen • Möglichkeitenraum erweitern: Adressen vermitteln (Suchtberatung, Selbsthilfe) • Veränderungshindernisse abbauen • Selbstwirksamkeitserwartung fördern • Klare Haltung und Ziele präsentieren (Desintegration Integration (= Sicherheit) Therapeutische Interventionen in den Phasen • Vorahnungsphase häufig Hausarzt – Betroffenheit erzeugen: Kurzintervention • Einsichtsphase HA, Suchtberatung, Suchtklinik – Betroffenheit aufrecht erhalten: Ambivalenz auflösen – Angehörige einbeziehen • Handlungsphase Suchtberatung, Klinik, Bezugspersonen – Entscheidung, Selbstwirksamkeit fördern • Abstinenzphase Klinik, Bezugspersonen, HA – Copingstrategien anpassen, soziales Netz aufrecht erhalten • Rückfallphase Suchtberatung, HA, Bezugspersonen – Rückfallschock vermeiden Motivationale Intervention in der Einsichtsphase • Aufzeigen von Widersprüchen/Ambivalenz durch „Vierfeldertafel“ Wenn ich weiter konsumiere, dann... POSITIV NEGATIV ...kann ich mich besser entspannen ...fühle ich mich großartig ...setze ich meine Ehe aufs Spiel ...ruiniere ich meine Gesundheit Wenn ich nicht mehr konsumiere, dann... POSITIV NEGATIV ...habe ich mehr Zeit für Freunde, Familie ...kann ich nicht so gut entspannen ...fühle ich mich wertlos Motivationale Intervention in der Einsichtsphase II • Auseinandersetzung mit der abhängigen Realität z.B. Konsumtagebuch negative Folgen des Konsums beschreiben erwartete/erwünschte Wirkung des Suchtmittels Risikosituationen alternative Verhaltensweisen Motivationale Intervention in der Einsichtsphase III • Förderung des Entscheidungsprozesses positive Bewertung von abstinenten Veränderungen Fragen stellen, die Entscheidung fördern - Sind die Gefahren ernsthaft, wenn sie ihr Konsumverhalten nicht ändern? - Gibt es für sie Risiken, wenn sie ihr Konsumverhalten ändern? - Gibt es Hoffnung, das Problem zu lösen? - Haben sie genügend Zeit? Therapeutische Interventionen in den Phasen • Vorahnungsphase häufig Hausarzt – Betroffenheit erzeugen: Kurzintervention • Einsichtsphase HA, Suchtberatung, Suchtklinik – Betroffenheit aufrecht erhalten: Ambivalenz auflösen – Angehörige einbeziehen • Handlungsphase Suchtberatung, Klinik, Bezugspersonen – Entscheidung, Selbstwirksamkeit fördern • Abstinenzphase Klinik, Bezugspersonen, HA – Copingstrategien anpassen, soziales Netz aufrecht erhalten • Rückfallphase Suchtberatung, HA, Bezugspersonen – Rückfallschock vermeiden Motivationale Intervention in der Handlungs-/Abstinenzphase • Entzugs-/Entwöhnungsbehandlung – klare Absprachen treffen Festigung und Aufrechterhaltung der Abstinenz – Gründe für Abstinenz – Gesundheitssparkasse – konsumfreie Freizeitinteressen – Umgang mit Rückfall Therapeutische Interventionen in den Phasen • Vorahnungsphase häufig Hausarzt – Betroffenheit erzeugen: Kurzintervention • Einsichtsphase HA, Suchtberatung, Suchtklinik – Betroffenheit aufrecht erhalten: Ambivalenz auflösen – Angehörige einbeziehen • Handlungsphase Suchtberatung, Klinik, Bezugspersonen – Entscheidung, Selbstwirksamkeit fördern • Abstinenzphase Klinik, Bezugspersonen, HA – Copingstrategien anpassen, soziales Netz aufrecht erhalten • Rückfallphase Suchtberatung, HA, Bezugspersonen – Rückfallschock vermeiden Verhaltenstherapie in der Suchtbehandlung Allgemeine Behandlungsprinzipien der VT • Integrativer Ansatz • Diagnostisch-therapeutischer Prozess • Veränderungsmanagement • Selbstmanagement • Empiriegeleitetes Vorgehen Verhaltenstherapeutische Interventionen I • Diagnostik – Zuweisungsdiagnostik – Veränderungsmotivation – Verhaltensanalyse • Erkennen von unangemessenen Verhaltensweisen • Erarbeitung und Einübung von Lösungen und alternativen Handlungsmustern – Plananalyse • Erkennen von Plänen, die unbewusst das Verhalten steuern Verhaltenstherapeutische Interventionen II • Stimuluskontrolle – Beseitigung/ Vermeidung von Situationen, die eine Rückfallgefahr darstellen – zu Beginn einer Behandlung, bei Krisen, erhöhter Rückfallgefahr – gleichzeitiger Aufbau von Alternativen • Psychoedukation • Kommunikationstraining • Erweiterung der Coping-Strategien/ Problemlösefertigkeiten • Auflösung dysfunktionaler Muster Rahmen Verhaltenstherapeutischer Interventionen • Bezugsgruppe – Bearbeitung der Themen in einer sozialen Bezugsgruppe • Einzeltherapie – Durchführung von Verhaltens- und Plananalysen und daraus abgeleiteten Interventionen – Bearbeitung von „heiklen“ Themen – Regelung weiterer Interventionen Behandlungskonzept Grundprinzipien der Selbstmanagement-Therapie nach Kanfer (1996) • Autonomie und Selbstregulation = langfristiges Therapieziel • Aktivität und Eigeninitiative • Wertepluralismus • Transparenz und Mitbestimmung • Prinzip der minimalen therapeutischen Intervention • Flexibilität und Dynamik • Therapeutischer Optimismus Therapieziele Therapieplanung Unerwünschter und erwünschter Zustand Definition von unerwünschtem und erwünschtem Zustand Ziel- und Werteklärung nach Kanfer et al. (1996) – Produktionsphase (Finden von Zielen und Werten) – Auswertungsphase (Prüfung auf Funktionalität & Relevanz) – Integrationsphase (Praktische Umsetzung) Therapeut-PatientBeziehung • Einschätzung folgender Dimensionen (n. Schulte, 1996) 1. 2. 3. 4. 5. 6. Wertschätzung des Therapeuten Kompetenz Empathie Vertrauen Konsens Therapeutenrolle Therapeutische Gemeinschaft Rahmenbedingung: Arbeiten im Multiprofessionellen Team Therapeutische Intervention und gegenseitige Unterstützung Fertigkeiten und Kognitionen werden Umstrukturiert Wichtige und in den Wirkfaktoren: eigenen Alltag Selbstmanagement, transferiert Realistische Einschätzung von Ressourcen und Defiziten durch Feedback „der Patient ist sein eigener Therapeut“ Interventionsformen • Schadensminimierung und Abstinenz orientiert an Motivation und Zustand Interventionen Psychotherapie - Kurzintervention - Verhaltenstherapie - Pharmakotherapie (z.B. - Systemische Therapie Anti-Craving) -Tiefenpsychologische - Motivationale Verfahren Interventionen (MI) -Interpersonelle Therapie - Rückfallprävention -Kontrollierter Konsum -Non-verbale Verfahren, -Sozio-/Milieutherapie z.B. Gestaltung, Entspannung, (Arbeit, Wohnen, etc.) Achsamkeit, SBT Rückfallprävention Inhalt • Warum Rückfallprävention? • Definition • Rückfallentwicklung - Risikosituationen - „harmlose“ Entscheidungen - das Suchtgedächtnis rostet nicht - Rückfallschock • Rückfallprävention Kumulative Rückfallraten nach stationärer Behandlung (Körkel & Lauer, 1995) Entwöhnung Rückfall Süss, 1988 Roghmann, 1991 Küfner, 1988 Fichter & Frick, 1992 Scheller, 1995 Abstinenz 36% Katamnese 64% 50% 6 Monate 50% 54% 18 Monate 46% 60% 4 Jahre 40% 76% 6 Monate 24% 10 Jahre Entgiftung Veltrup, 1995 84% 16% 12 Monate Alkoholabhängigkeit • 25% mind. 1 x „Entgiftung“ (Wienberg, 1992) • < 5% Entwöhnungsbehandlung • 84-100% Rückfall innerhalb 12 Monate (Veltrup et al., 1995; Chapman et al., 1988; John, 1985) Definition • Ein Rückfall ist das bewusste Einnehmen von Alkohol oder Medikamenten mit Suchtpotenzial in jeglicher Form nach einer Zeit der Abstinenz • Unterschied in Schwere und Verlauf Ausrutscher (slip) <5 SD (ca. 10g C2 = 0,25l Bier = 0,1l Wein) relapse • Abstinenz entwickelt sich wie das Umstellen vom Rechts- auf den Linksverkehr Rückfallentwicklung Risikosituationen Risikosituationen Soziale Verführung unangenehme Gefühle Ärger- und Konfliktsituationen Risikosituationen Soziale Verführung unangenehme Gefühle Ärger- und Konfliktsituationen angenehme Situationen Geselligkeit körperliche Beschwerden Versuch, kontrolliert zu trinken plötzliches Verlangen „harmlose“ Entscheidungen „harmlose“ Entscheidungen Wachsamkeit lässt nach - Unaufmerksamkeit - Selbstüberschätzung - Bequemlichkeit - Selbsthilfegruppe - Alkohol im Haus - Eis mit Rum-Aroma, Braten in Burgundersoße - Unangenehmes (wie früher) vor sich herzuschieben - Konflikte nicht adäquat austragen - Trinkkumpanen aufsuchen das Suchtgedächtnis rostet nicht Suchtgedächtnis - Verlangen Rückfallgedanken Suchtgedächtnis - Wahrnehmung auf Suchtmittel fixiert - Handlungsspielraum und Problemlösefähigkeiten - Stimmung und körperlicher Zustand Verlangen - Drang - Entzugserscheinungen - angenehme Gefühle (wie „berauscht“) Rückfall Abstinenzzuversicht Versagensangst „Willensschwäche“ Rückfallgedanken Verlangen Rückfallschock 2. Phase des Rückfallverlaufes Stimmung ist verdorben; Schuldgefühle, Panik „Jetzt ist sowieso alles egal, jetzt geht alles wieder von vorn los. Da kann ich auch gleich weitertrinken.“ Enttäuschung und Verzweiflung von Angehörigen „Ich werde es wohl nie schaffen, abstinent zu bleiben!“ weitere Abnahme der Abstinenzzuversicht 2. Phase des Rückfalls Rückfallprävention • frühzeitiges Erkennen und Akzeptieren von Risikosituationen • Einsatz geeigneter Abstinenzgedanken und Expositionsübungen • Ablehnungstraining • Bewältigung des Rückfallschocks Erkennen von Risikosituationen Ein Leben ohne Risiko, Krisen, Enttäuschungen oder Rückschläge gibt es nicht! Welche Situationsmerkmale kamen zusammen? Welche scheinbar harmlosen Entscheidungen gingen voraus? Welche Rückfallgedanken haben sich aufgedrängt? Welcher Art war das Verlangen nach Suchtmittel? Abstinenzgedanken/ Expositionsübungen Gezielte Abstinenzgedanken auf Kärtchen notieren und auswendig lernen! „Wenn ich jetzt wieder trinke, verliere ich meinen Arbeitsplatz. Wenn ich abstinent bleibe, kann ich stolz auf mich sein.“ Expositionsübungen frühere Trinkkneipen/Trinkkumpanen aufsuchen mit dem Lieblingsgetränk allein im Zimmer sein Abstinenzzuversicht Ablehnungstraining „Komm schon, ein Glas wird dich schon nicht umbringen“ „Das Medikament wird ihnen gut tun“ Sympathien nicht verlieren wollen eigenes Verlangen nur schwer überwinden können Rollenspiel - Ablehnen einüben - geeignete Gründe finden - gut überlegen, wen man über die Abhängigkeit informiert Bewältigung des Rückfallschocks > 50% mind. 1 Rückfall innerhalb von 4 Jahren nach Therapie ca. 40% beschränken ihren Rückfall auf 3 Tage Notfallplan 1. Trinksituation sofort verlassen 2. Jemanden von der Selbsthilfegruppe anrufen 3. Keine Ursachenforschung 4. Notfalls sofort Entgiftungsbehandlung einleiten Zusammenfassung • Therapeutische Interventionen in der Sucht sind komplex und orientieren sich am Bio-PsychoSozialen Modell Verzahnung von Pharmako-, Psycho- uns Soziotherapie • Veränderungen verlaufen in Phasen und benötigen Motivation und Durchhaltevermögen MI, VT, Rückfallprävention in verschiedenen Settings • Psychotherapeutische Interventionen werden im Einzel- und Gruppensetting angeboten • Eine „Beste Therapie“ existiert nicht, am günstigsten ist das individualisierte Vorgehen nach evidenten Methoden