Psychoonkologie Humangenetische Beratung Tutorium: Medizinische Psychologie SS 05 Der Begriff Psychoonkologie Disziplin, die medizinisches, psychologisches, psychosomatisches und sozialwissenschaftliches Wissen zum Gesamtverständnis und zur Linderung des Krankheitsgeschehens bei Krebs anwendet. Seit ca. 25 Jahren gibt es in Deutschland psychoonkologische Aktivitäten seit 1988 ist die Psychoonkologie als offizielle Arbeitsgemeinschaft (PSO) in der Deutschen Krebsgesellschaft vertreten. 1 Psychoonkologie Sie beschäftigt sich mit der Bedeutung psychosozialer Faktoren in der Entwicklung und dem Verlauf von Krebserkrankungen Und mit den Prozessen der Krankheitsverarbeitung. Die Praxisfelder der Psychoonkologie: • Prävention • Akutbehandlung • Nachsorge Der überwiegende Teil der pschoonkologischen Aktivität liegt in der Akutbehandlung und in der Nachsorge. 2 Forschungsthemen • • • • • • subjektive Krankheitstheorien psychologische Belastungen im Verlauf der Erkrankung & Behandlung Prozesse der Krankheitsverarbeitung soziale Unterstützung Lebensqualität Wirkfaktoren psychoonkologischer Interventionen 3 Subjektive Krankheitstheorien Subjektive Krankheitstheorien werden nach Filipp et al. (1987) „als individuelle Wissens-und Überzeugungssysteme aufgefaßt, in denen krankheitsbezogenen Vorstellungen, Assoziationen, Sinndeutungen, Ursachenzuschreibungen und Verlaufserwartungen, organisiert sind“. Quelle ist nach Murray (1990) allgemeiner Pool von Krankheitsinformationen, die in der jeweiligen Kultur zugänglich ist, Kommunikation mit anderen Personen und persönlicher Krankheitserfahrung. => Unterschiede in der Krankheitstheorie bedeuten auch Unterschiede im Bewältigungsverhalten sowie in der Compliance des Patienten 4 Psychosoziale Belastungen Krebspatienten sind im Verlauf ihrer Erkrankung mit einer Vielzahl unterschiedlicher Belastungen und veränderten Lebenssituationen bzw. Perspektiven konfrontiert • körperliche Probleme • Schmerzen • Funktionseinschränkungen • familiäre und soziale Probleme bedingt durch die Erkrankung und Behandlung • emotionales und psychosomatische Belastungsreaktionen (Ängste, depressive Verstimmung, Schlafstörungen, sozialer Rückzug, veränderte Körperwahrnehmung etc) 5 Psychosoziale Belastungen • Beeinträchtigung der Lebensqualität (durch ungünstige Prognose, Metastasen, OP, Chemo/Strahlentherapie) • veränderte Rolle in Familie/Beruf/Alltag • psychische Komplikationen Die häufigsten begleitenden Störungsbilder sind: • Anpassungsstörungen • Angststörungen • Depressionen Frühe Behandlung psychischer Komplikationen kann der Beeinträchtigung des Befindens und der Lebensqualität positiv entgegenwirken. 6 Psychische Komplikationen 1. Anpassungsstörung Zustände subjektiven Leidens, die soziale Funktionen und Leistungen behindern. Auftreten: • während der Anpassungsphase nach einer entscheidenden Lebensveränderung • nach belastenden Lebensereignissen • nach schwerer körperlicher Erkrankungen Prävalenz: zwischen 2% und 52% (in verschiedenen Studien) Symptome: depressive Stimmung, Angst, Besorgnis, Gefühl nicht zurecht zu kommen, nicht vorausplanen zu können, Einschränkungen bei der Bewältigung alltäglicher Aufgaben 7 Psychische Komplikationen 2. Angsterkrankungen • Angststörungen als Reaktion auf die Krebserkrankung und Behandlung zu nennen seltener spez. Phobien wie z.B. Spritzenphobie. • Verschlechterung von Panikstörungen/chronische Angsterkrankungen, die bereits vor Krebsdiagnose bestanden Prävalenz; 8% und 20% in den verschiedenen Studien 8 Psychische Komplikationen 3. Depression Auftreten: häufigste psychische Komplikation bei Tumorpatienten bei 10 bis 20% der Patienten im Verlauf der Krebserkrankung Symptome: Gefühl von Wertlosigkeit, Schuldgefühle, Hoffnungslosigkeit, Suizidgedanken, Energieverlust, Schlafstörungen, Lustlosigkeit Suizidgedanken relativ häufig bei schwer und terminal Erkrankten, die gleichzeitig unter starken Schmerzen leiden 9 Psychosoziale Belastungen treten ebenfalls auf bei: • Angehörigen/Partner Beziehungs-und Kommunikationsprobleme Probleme in der sexuellen Beziehung, pessimistischeres Denken des Partners • Ärzte/Pflegepersonal Arbeitsumfang, Konfrontation mit Sterben und Tod Informationsmangel, Konflikte im kollegialen Bereich Belastungen durch Defizite in der Ausbildung 10 Krebserkrankung – phasenhafter Verlauf Schockphase ersten 2-3 Wochen nach Diagnosemitteilung Diagnosemitteilung => „potentielles Desaster“ „potentielle Traumatisierung“ • „existentielle Verunsicherung“ • fast alles ist in Frage gestellt, Werte verändert sich • Tunnelblick • Wahrnehmungsveränderung/- verzerrung • Facetten psychischer Abwehrmechanismen: Angst, Verleugnung, Projektion, Verdrängung, Entsetzen, Ärger, Vertrauensverlust, Ohnmacht etc. • Erhöhtes Frage- und Informationsbedürfnis 11 Schockphase - Interventionsformen Erstbehandlung als Krisenintervention Ziel: Information –Verhinderung einer (Re) Traumatisierung, Aktivierung des Patienten vom Betroffenen in die Rolle des Mitbehandlers, Aufbau eines wiederabrufbaren Kontaktes zum Erstbehandler Setting: viel Zeit – geschulter Arzt oder Therapeut – Zuhören, Nachfragen, Kommunikationskompetenz 12 Schockphase – Interventionsformen Fehlwahrnehmungen und Wahrnehmungsverzerrungen, Erregungen, verschiedene emotionale Reaktionsmuster treten auf (Rückzug, Wut, Trauer etc.) treten auf. Deshalb progressive Diagnosevermittlung und Erreichbarkeit einer Behandlung wichtig!! Kontakt: Erfragen der Gefühle, Aussprechen von „nicht ausgesprochenen“ Fragen zur Diagnose, soziales Umfeld, besondere Ansprechbarkeit des Erstbehandlers ist in den ersten 2-4 Wochen erforderlich. 13 Krebserkrankung – phasenhafter Verlauf Frühphase: Dauer 2 -12 Monate und länger Erstbehandlungsphase: Operation, Chemotherapie,Bestrahlung etc. • wiederholtes Frage- und Informationsbedürfnis – • Wahrnehmungsverzerrung • Fragen und Ängste zu Wirkung, Chancen Verlauf, Nebenwirkungen der Erstbehandlung • Informationsbedürfnis zur Indikationstellung, Wirkung und Nebenwirkung der geplanten und laufenden Therapien 14 Frühphase: individueller Kontrollstil: Wahrnehmungsverzerrung, wechselnde psychische Reaktionsmuster, typische individuelle Verarbeitungsformen entstehen Achtung: Re-Traumatiserung in der gesamten Frühphase möglich Flucht vor dem eigenen Körper jedoch unmöglich! 15 Frühphase - Psychonkologische Behandlung Ziel: Stabilisierung • Haltung: „Entscheiden sie sich für das Leben“ • Stärkung von Selbstbild und Selbstvertrauen • Aktivierung von vorhandenen Problemlösefertigkeiten • persönlicher Erklärungsversuch des Betroffenen herausarbeiten • Aufbau eines individuellen Stabilisierung-und Selbstmanagemant planes • Stabilisierungstechniken einüben: Entspannung (z.B. AT), Visualisierung (z.B. innere Bilder, Tagtraum) • Begleitung in den Behandlungsphasen: Chemotherapie, OP (Chemotherapie und Strahlentherapie als Verbündete) •Informationen über Behandlung und Nebenwirkungen 16 Frühphase - Psychonkologische Behandlung • Umgang mit zwischenzeitlich immer wieder auftretenden Phasen von emotional wechselnden Reaktionen wie z.B. Angst, Rückzug, Nichterreichbarkeit Wichtig: verschieden Reaktionsmuster erkennen und den Patienten beruhigen, dass solche emotionalen Zustände normal sind. • Überprüfung und Einbeziehung seines sozialen Umfeldes • Informationen über sinnvolle Fachliteratur, Betroffenen-Literatur Selbsthilfegruppen • Überprüfung einer möglichen Entwicklung von z.B. Depression, Anpassungsstörung, Angsterkrankung 17 Frühphase - Psychonkologische Behandlung • Schuld: „es gibt keine Krebspersönlichkeit“ • Information über komplementäre alternative Behandlungsmethoden (CAM). In Deutschland nehmen bis zu 60% aller onkologischen Patienten im Verlauf ihrer Erkrankung Behandlungsmethoden ohne erwiesenen Nutzen (CAM) in Anspruch z.B. Mistelpärparate, Thymuspräparate, traditionelle chinesische Medizin, Emzympräparate usw. 18 Wirkphase - spez. Behandlungsphase Zeitraum: nach Abschluß der Erstbehandlung und vor dem Eintritt eines Rezidivs (Rückfall) • Herausarbeiten des phasenweise und situationsabhängig individuellen Verarbeitungsmusters des Patienten • Bearbeitung destruktiver Kognitionen; Schuldthematik- kog. Therapie • Einsatz von Entspannungs- und Visualisierungstechniken • Bearbeitung von Trauma- Schemata • Integration von ReHa Maßnahmen • Angstreduktion vor Nachsorge und Untersuchungsterminen • Erarbeitung eines individuellen Hilfsnetzes 19 Begleitungsphase - Nachsorge - Rezidiv Nachsorgezeit: wiederholte emotionale Reaktionen treten auf, Angsteinbrüche • Krisen in der Nachsorgezeit: Untersuchungstermine, Flash-Backs • Bearbeitung von Rezidivängsten • Informationen und Förderung von gesundem Lebensstil • Informationen und Einbeziehung wichtiger Bezugspersonen Rezidiv • wiederholte Stabilisierung • Ansprechen und Aufarbeiten von „nicht gestellten Fragen“ • Beratung der Bezugspersonen, Kontakt zum individuellen Helfernetzwerk (z:B. Vermittlung von kompetenten Schmerztherapieangeboten) 21 Krankheitsverarbeitung Phasen der Krankheitsverarbeitung nach Kübler-Ross (´69) 1.Ungewißheit: Betroffenen sind verunsichert und beunruhigt 2. Schock: führt dazu, dass Menschen nicht wahrnehmen was um sie passiert, Informationen werden nicht richtig aufgenommen, können nicht richtig verarbeitet werden 3. Verleugnung: wichtig in dieser Phase Patient nicht zur Auseinandersetzung zwingen sondern Phase als wichtiges Stadium der Verarbeitung zu akzeptieren 4. Zorn und Wut: Primär Ermutigung zur Wahrnehmung und Artikulation solcher negativen Gefühle 22 5. Depression : Gefühl der Sinnlosigkeit, zu nichts Lust, inneres Gefühl der Leere 6. Feilschen : „wenn schon ich, dann nicht ohne Gegenwehr“ Informationssuche 7. Akzeptieren : das Schicksal akzeptieren und versuchen das Beste daraus zu machen, Zeit ist kostbar, Lebensbilanz ziehen 23 Solange noch offene, nach außen getragenen Reaktionen des Kranken zu beobachten sind, ist das eher als ein positives Zeichen im Sinne der Krankheitsverarbeitung zu sehen (Weinen). Wenn Patienten sich sehr stark zurück ziehen und keine Gefühlsregungen mehr zeigen, dann sollten die Helfer im höchsten Maße alarmiert sein!! 24 Psychologische Angebote für Krebspatienten Ziel: direkte Beeinflussung von krankheits-oder behandlungsbedingten Symptomen und Verbesserung der Krankheitsbewältigung sowie der Lebensqualität Wichtige Zielvariablen psychoonkologischer Interventionen: • Verbesserung von krankheitsbedingten Symptomen (Schmerzen, Übelkeit,Schlafstörungen etc.) • Reduktion von Angst, Depression, Hoffnungs- und Hilflosigkeit • Hilfen bei Problemen des Körperbildes und der Sexualität • Verbesserung der Kommunikation zwischen Patient; Partner, Angehörigen • Verbesserung bzw. Erhalt der familiären und sozialen Integration • Verbesserung der Kooperation mit den Behandlern 25 Patientenbezogene psychoonkologische Angebote • Beratung/Information • supportive Einzelgespräche • Krisenintervention • symptomorientierte Behandlung (z.B. Entspannung) • kreative-therapeutische Angebote (z´.B. Musik und Kunsttherapie) • Sterbebegleitung • sozialrechtliche Beratung • Familiengespräche, Paargespräche (Angehörigenunterstützung) 26 Wirksamkeit psychoonkologischer Angebote •Positive Wirkung verhaltensmedizischer Interventionen auf die Lebensqualität ist durch internationale Interventionsstudien belegt. •Untersucht wurden Interventionen, zur Beeinflussung von Nebenwirkungen infolge medizinischer Behandlungsmaßnahmen oder Erkrankungssymptomen (u.a. Schmerz, Atemnot, Schlafstörungen) sowie emotionale Problemen (Angst, Depression) 27 Verhaltenstherapeutische Interventionen Die VT verfügt über eine Fülle von unterschiedlichen Interventionen, von denen hier eine kleine Auswahl getroffen wird, die speziell bei Krebserkrankungen häufig Verwendung finden: • Konfrontationsverfahren: Systematische Desensibilisierung 1. Entspannung 2. Erstellen einer individuellen Angsthierarchie 3. Darbietung des einzelnen Items unter Entspannung (in sensu oder in vivo) z.B. bei Ängsten vor Narkose, operativen Eingriffen, vor Chemo- und strahlentherapeutischen Behandlung • Aktivitätenaufbau: besonders bei depressiven Patienten 28 Verhaltenstherapeutische Interventionen • positive Verstärkung z.B. krebskrankes Kind, daß lernen soll sich während seines langen Klinikaufenthaltes auch alleine zu beschäftigen. Das selbstständige Aufbauen eines Spiels wird als erster Schritt vom Therapeuten belohnt. • Rollenspiele: hiermit soll die Kommunikation der Krebspatienten mit Angehörigen, Ärzten und Pflegepersonal gefördert werden. Es werden beispielsweise das Stellen von Fragen, das Formulieren eigener Bedürfnisse oder der Ausdruck von Gefühlen geübt. • Progressive Muskelrelaxation nach Jakobsen: die Patienten lernen zunächst verschiedene Spannungszustände der willkürlichen Muskulation wahrzunehmen und zu unterscheiden, um dann Entspannung selbst herbeizuführen. 29 Verhaltenstherapeutische Interventionen • Gedankenstop: der Patient lernt , einen störenden Gedanken durch ein lautes „Stopp“ eventuell verbunden mit einem Geräusch wie Händeklatschen oder Schlagen auf einen Tisch zu unterbrechen und im Anschluß eine festgelegte positive Selbstverbalisation einzusetzen. • Kognitive Umstrukturierung: dysfunktionale Gedanken hinterfragen und durch angemessene zu ersetzen (z.B. „die Übelkeit wird nie aufhören“; „ich bin ein Versager“; „unsere Freunde rufen nicht an, weil ich Krebs habe“ usw.). 30