Fraunhofer Institut für Zelltherapie und Immunologie Leipzig Genetische Grundlagen der Legasthenie Dipl. Psych. Arndt Wilcke, M.A. Definition der Legasthenie Legasthenie • ICD-10 F81.0 Lese- und Rechtschreibstörung • „umschriebene und bedeutsame Beeinträchtigung in der Entwicklung der Lesefertigkeiten, die nicht allein durch das Entwicklungsalter, Visusprobleme oder unangemessene Beschulung erklärbar ist“ • häufig Rechtschreibschwierigkeiten Prävalenz Prävalenz • 3% - 9% aller Schulkinder • Prävalenz ist abhängig von der Regularität der Sprache • Je regulärer die Sprache, desto geringer ist die Prävalenz Genetischer Einfluß auf die Krankheitsmanifestation Genetischer Anteil Umwelteinflüsse Genetische Disposition PKU Legasthenie PTBS PKU = Phenylketonurie; PTBS = Posttraumatische Belastungsstörung Ziel der Studie Ziel der Studie 1 • Replikation von Befunden für mögliche „Legasthenie-Gene“ auf Chromosom 6p22 • Chromosom 6p22 ist die am besten und häufigsten replizierte Region für Legasthenie • Wir untersuchten folgenden Gene: DCDC2, KIAA0319, TTRAP, THEM2 and MRS2L Ziel der Studie Ziel der Studie 2 • Untersuchung des „Sprachgens“ FOXP2 bezüglich seiner Rolle bei Legasthenie • Verwendung von fMRT zur Untersuchung der Rolle von FOXP2 in Leseprozesses Einschlußkriterien Einschlußkriterien • • • • IQ>80 in sprachfreiem Intelligenztest Kein ADS/ADHS Lese-Rechtschreibleistung PR<5% Keine Linkshändigkeit bei fMRTProbanden Psychologische Tests Verwendete Tests • Intelligenz-Test CFT-20 • Konzentrations-Test d2 • Lese-Rechtschreib-Test KNUSPEL-L Chromosomale Regionen der Legasthenie Chromosomale Regionen DYX8 DYX3 DYX5 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 19 20 21 22 X Y DYX6 DYX1 15 DYX2 16 17 18 11 12 13 14 Chromosomale Regionen Chromosomale Regionen • Chromosom 6p22 ist die am besten und häufigsten replizierte Region für Legasthenie • Replikation von Befunden ist ein zentraler Bestandteil genetischer Forschung Interessierende Region Ideogramm Gen-Sequenz Chromosom 6 DYX2 1 2 15 16 nature 3 4 5 6 17 18 19 20 7 8 9 10 11 12 13 14 21 22 X Y Genetische Grundlagen Genetische Grundlagen • Wir untersuchten SNPs auf den Genen DCDC2, KIAA0319, TTRAP, THEM2 und MRS2L • Was ist ein SNP? • SNP = Single Nucleotide Polymorphism Einführung: Genetische Grundlagen Genetische Grundlagen - SNPs Nucleus Zelle Chromosom Telomer p-arm Zentromer q-arm Telomer Basenpaare Doppelhelix www.accessexcellence.org Einführung: Genetische Grundlagen Genetische Grundlagen - SNPs Thymin Adenin Guanin Cytosin D Desoxyribose P Phosphat °°°ii Wasserstoffbrückenbindung Einführung: Genetische Grundlagen Single Nucleotide Polymorphisms - SNPs • Einzelbasenpolymorphismen: Variation in einem einzelnen Basenpaar einer bestimmten DNA-Position zwischen Individuen DNA Gen 15 Genetische Grundlagen: SNPs Genetische Grundlagen - SNPs • Was ist ein SNP ? = eine Punktmutation, die in mindestens 1% der Bevölkerung existiert - Unterschiedliche Basen können zu unterschiedlichen Genprodukten oder veränderter Genexpression führen - Somit können verschiedene SNP-Varianten Risiko- oder Protektivfaktoren darstellen Genetische Grundlagen: SNPs Genetische Grundlagen - SNPs • jeder SNP ist einem bestimmten Typ zugeordnet, z.B. C/T , d.h. an dieser Stelle im Genom steht entweder Cytosin (C) oder Thymin (T) • Menschen besitzen einen diploiden Chromosomensatz, d.h. jedes Chromosom ist 2x vorhanden, damit auch jedes Gen und jeder SNP (Allele) Genetische Grundlagen: Chromosomen Gen 1 Gen 1 Diploider Chromosomensatz © Applied Imaging, Sunderland, UK Genetische Grundlagen: SNPs Genetische Grundlagen - SNPs • Beide Allele sind entweder gleich (homozygot), d.h. beim C/T-Typ: C C C-C T T • oder T-T • oder unterschiedlich(heterozygot): T C C-T • Die Häufigkeit der jeweiligen Varianten in der Bevölkerung wird als „Frequenz“ bezeichnet. Genetische Grundlagen: SNPs Genetische Grundlagen - SNPs • Beispiel der Frequenzen eines SNPs (rs10535989) vom C/T-Typ • 67% der Bevölkerung besitzen C • 33% besitzen T T • 45% sind heterozygot C-T C C • 45% sind homozygot C-C C T • 10% sind homozygot T-T T Genetische Grundlagen: SNPs Genetic Basics - SNPs • Die Frequenzen sind rassespezifisch UND können krankheitsspezifisch sein. • Eine bestimmte SNP-Ausprägung (z.B. C-C) kann dabei das Erkrankungsrisiko erhöhen, während eine andere Ausprägung (z.B. T-T) protektiv wirkt. Methoden Methoden Prinzip der PCR Methoden: Single Base Extension SBE Methoden: Single Base Extension Bestimmung von SNPs • bekannte genetische Marker lassen sich mittels Massenspektrometrie (MALDI-TOF MS) effizient bestimmen (Braun et al., 1997; Kirsten et al., 2006; Kirsten et al., 2007) Variante 2 Intensität Variante 1 Relative Molekülmasse Autom. Probenaufbereitung Massenspektrometer Beispielergebnis 25 Ergebnisse für 6p22 Ergebnisse für 6p22 Ergebnisse Ergebnis I • bei den Genen KIAA0319, TTRAP, THEM2 und MRS2L zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Versuchsgruppe und Kontrollgruppe in den SNP-Frequenzen Ergebnisse Ergebnis II • deutliche Unterschiede zwischen VG und KG bei Gen DCDC2 • untersucht wurden drei SNPs (rs793862, rs807701, 807724) • UND eine Deletion • Wilcke, A., Weissfuss, J., Kirsten, H., Wolfram, G., Boltze, J., Ahnert, P. (2009).The role of DCDC2 in German Dyslexics, Annals of Dyslexia, 59(1), 111. Gen DCDC2 Struktur des Gens DCDC2 Bereich der Deletion rs807724 rs807701 rs793862 (2445bp) (A/G) (C/T) (A/G) DCXDomänen Ergebnisse Ergebnis II - SNPs rs793862 (A/G) rs807701 (C/T) rs807724 (G/A) VG/KG VG/KG VG/KG Minor Allel 0.28 / 0.27 0.36 / 0.32 0.22 / 0.24 Major Allel 0.72 / 0.73 0.64 / 0.68 0.78 / 0.76 Homozygot für Minor Allel 0.14 / 0.06 0.19 / 0.08 0.10 / 0.05 GRR: 2.2 GRR: 2.2 Heterozygot 0.28 / 0.42 0.33 / 0.47 Homozygot für Major Allel 0.58 / 0.52 0.47 / 0.45 GRR: Genetic Relative Risk 0.24 / 0.38 GRR: 0.6 0.66 / 0.57 Ergebnisse Ergebnis II - Deletion 2445 bp Deletion VG/KG Minor Allel (Deletion = D+) Major Allel (keine Deletion = D-) D+ / D+ 0.10 / 0.04 (p=0.038) 0.90 / 0.96 0.03 / 0.00 GRR: 18.7 D+ / D- 0.15 / 0.09 GRR: 2.1 D- / D- 0.82 / 0.91 GRR: 0.4 GRR: Genetic Relativ Risk Schlußfolgerung Schlußfolgerung • Das Gen DCDC2 spielt eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Legasthenie. • DCDC2 enthält SNPs und eine Deletion, die vermutlich mit Legasthenie in Verbindung stehen. • Wilcke, A., Weissfuss, J., Kirsten, H., Wolfram, G., Boltze, J., Ahnert, P. (2009).The role of DCDC2 in German Dyslexics, Annals of Dyslexia, 59(1), 1-11. Wie funktioniert es ? WARUM ? Wie funktioniert es ? Aufgabe von DCDC2 • Teil eines komplexen Systems zur Kontrolle der Wanderung von Neuronen während der Hirnentwicklung Wie funktioniert es ? Wirkungsmechanismus von DCDC2 • DCDC2 steht für Doublecortin Domain Containing 2 • Doublecortin ist ein Protein, das an der Wanderung der Nervenzellen bei der Embryonalentwicklung beteiligt ist • Doublecortin bündelt und stabilisiert die Mikrotubuli der Nervenzellen Wie funktioniert es ? Wirkungsmechanismus von DCDC2 Entstehende graue Substanz (Kortex) Entstehende weiße Substanz (Projektionsgebiet) Stamm-/ Vorläuferzell Reservoir im fötalen Gehirn (Subventrikulare Zone) Radiale Glia 4 Tage Neuronale Vorläufer How does it work ? Wirkungsmechanismus von DCDC2 Modified from Giraud & Ramus, 2012 FOXP2 - Bildgebung FOXP2 - Genetik und Bildgebung Bildquelle: www.rznh.de FOXP2 Das „Sprachgen“ FOXP2 • Bestimmte Mutationen im Gen führen zu spezifischen Sprachstörungen beim Menschen • FOXP2 beeinflußt den Gesang von Singvögeln • FOXP2 beeinflußt die Echoortung von Fledermäusen • Ausschaltung von bestimmten FOXP2Abschnitten führt zu Kommunikationproblemen bei Mäusen und Zebrafinken Ergebnisse Ergebnisse – FOXP2 rs936146 (C/G) VG/KG rs4727799 (G/A) VG/KG rs12533005 (C/G) VG/KG Homozygot für Minor Allel 0.13/0.23 0.13/0.16 0.16/0.20 Heterozygot 0.62/0.32 GRR 1.6 (p=0.069) 0.37/0.46 0.41/0.54 Homozygot für Major Allel 0.25/0.45 0.50/0.38 GRR 1.68 (p=0.077) 0.43/0.26 GRR 1.9 (p=0.025) GRR: Genetic Relative Risk VG: Versuchsgruppe KG: Kontrollgruppe Bildgebung fMRT • fMRT = funktionelle Magnetresonanztomographie • Modernes, risikofreies Verfahren, das es u.a. ermöglicht, Hirnaktivität sichtbar zu machen • Es zeigt, welche Teile des Gehirns zu einem bestimmten Zeitpunkt „benutzt“ werden Befunde zur Legasthenie (Ligges et al., 2007) Befunde zur Legasthenie (Ligges et al., 2007) Befunde zur Legasthenie fMRT-Befunde zu FOXP2 ● Träger der Risikovariante (SNP3 – G) des „Sprachgens“ FOXP2 weisen eine Minderaktivierung in einem sprachrelevanten Hirnareal auf Wilcke et al. (2011). Imaging genetics of FOXP2 in dyslexia. European Journal of Human genetics. Ausblick Ausblick • Arbeitshypothese: Legasthenie ist eine Störung der neuronalen Wanderung. • Die beteiligten Gene wirken sich auf die Hirnaktivität in sprachrelevanten Arealen aus. Ausblick Ausblick • Hauptziel: Entwicklung eines genetischen Screening-Tests zur Frühdiagnose der Legasthenie www.legascreen.de