Zahnbehandlungsangst - Teil 2 1. Angst, Furcht und Phobie

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Zahnbehandlungsangst - Teil 2
1. Angst, Furcht und Phobie
Angst
Angst ist ein unangenehmes Gefühl, das mit bestimmten kognitiven und körperlichen Begleiterscheinungen
einhergeht: Zu den kognitiven Erscheinungen zählen die Erwartung einer Gefahr, Erkenntnis des
Ausgeliefertseins oder Desorientierung, zu den körperlichen Erscheinungen Schwitzen, Zittern,
Pulsbeschleunigung, Mundtrockenheit oder Harndrang. Angst scheint ein evolutionär sinnvolles Gefühl zu
sein, das auftritt, wenn bestimmte Hinweisreize eine Gefahr signalisieren und das zum Angriff oder zur
Flucht anspornt oder zumindest ein Totstellen nahelegt.
Sinnvoll ist die Unterscheidung zwischen einer eher habituellen, persönlichkeitsbedingten Ängstlichkeit und
der situativen Angst; entsprechend wird in einem der bekanntesten Messinstrumente für Angst, dem
State-Trait-Fragebogen für Angst, zwischen Ängstlichkeit (trait) und situativer Angst (state) unterschieden.
Personen mit einer hohen Ängstlichkeit neigen in vielen Situationen dazu, Angstzustände zu entwickeln. Sie
bewerten neutrale Hinweisreize häufiger und schneller als bedrohlich im Vergleich zu Personen mit einer
geringen Ängstlichkeit.
Angst kann nicht nur mehr oder weniger intensiv sein, sondern auch mehr oder weniger spezifisch. Im
pathologischen Bereich gibt es die "generalisierte Angststörung", also die Neigung, in sehr vielen Situationen
mit starken Angstsymptomen zu reagieren. Demgegenüber sind die Ängste der meisten Menschen eher
spezifisch, d.h. es werden nur wenige Generalisierungen von einem Situationsbereich (z.B. Begegnung mit
bissigen Hunden) auf den anderen (z.B. Begegnung mit Tieren unterschiedlicher Art) vorgenommen. Im
Falle der ZBA würde das bedeuten, dass z.B. negative Erfahrungen mit Ärzten anderer Fachgruppen auch auf
den zahnärztlichen Bereich generalisiert werden.
Die Fähigkeit, Ängste empfinden zu können, ist zwar dispositionell angelegt, für deren Ausprägung sind
jedoch bestimmte Lernerfahrungen notwendig, die durch Konditionierung (z.B. eigene Schmerzerfahrung im
Kontakt mit bestimmten Objekten oder Personen), durch die Beobachtung elterlicher "Modelle" oder auch
nur durch gefühlsbetonte Schilderungen anderer Menschen zustande kommen. Bei der Konditionierung wird
ein ursprünglicher neutraler Reiz (z.B. Anblick einer Spritze, eines Zahnarztstuhles, eines Geräusches oder
Geruches, Anwesenheit einer bestimmten Person wie dem Zahnarzt oder einer Helferin) durch die zeitliche
und örtliche Nähe mit einem unangenehmen Gefühl (z.B. Schmerz und andere körperliche
Missempfindungen) assoziiert, so dass künftig allein die gedankliche Vorstellung solcher Gegenstände oder
Personen ausreichen kann, um Ängste auszulösen.
Obwohl die Fähigkeit, Angst und Schmerz zu empfinden, bei allen Menschen angelegt ist und nicht wenig
zur menschlichen Evolution beigetragen haben dürfte, sind die unterschiedlichen Ausdrucksformen für Angst
und Schmerz zum Teil kulturell überformt. Man "lernt" in der jeweiligen Kultur, wie man mit Angst und
Schmerz umgehen sollte und in welcher Art man beides sozial angemessen zum Ausdruck bringen sollte.
Insofern ist auch die ZBA zum Teil kulturspezifisch.
Furcht
Während Angst einen Zustand beschreibt, dessen Herkunft nicht immer erklärbar ist, bezieht sich Furcht
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immer auf ein Objekt, eine Person oder eine Situation (wir haben Furcht vor etwas Bestimmten). Furcht
bezeichnet also die Ausrichtung der Angst, wobei das Furchtempfinden in der Qualität und der Intensität dem
der Angst gleichen kann.
Furcht tritt jedoch schon im Vorfeld der Begegnung mit Angst auslösenden Reizen auf, im Falle der ZBA
also schon bei der Entscheidung für einen Zahnarztbesuch, bei der Terminvereinbarung, beim Erscheinen in
der Praxis und beim Warten auf die eigentliche Behandlungssituation. Kognitiv wird das Furchtempfinden
ausgelöst oder moduliert durch die Erwartung einer kommenden unangenehmen Situation. Dabei werden
verschiedene Hinweisreize dahingehend interpretiert, wieweit die eigene Erwartung zutreffend ist. Besonders
dann, wenn noch keine einschlägigen Erfahrungen vorliegen (wie bei Kindern), wird die Wahrscheinlichkeit
einer unangenehmen Situation häufig überschätzt oder auch unterschätzt.
Phobie
Eine Phobie bezeichnet die Neigung, einer als angstvoll erlebten oder auch nur angstvoll vorgestellten
Situation auszuweichen. Menschen mit einer Zahnbehandlungsphobie schieben einen Zahnarztbesuch so
lange wie möglich heraus, halten sich nicht an einen vereinbarten Termin bzw. kehren auf dem Weg zum
Zahnarzt wieder um. Viele Phobiker erscheinen also gar nicht erst in der Zahnarztpraxis, wo sie
möglicherweise eine positive, von ihren Erwartungen abweichende Erfahrung machen könnten. Stattdessen
wirkt die Erfahrung, einer schmerzhaften Situation entgangen zu sein, positiv verstärkend für das künftige
Vermeidungsverhalten. Je länger sie einen Zahnarztbesuch vermeiden, desto wahrscheinlicher wird eine
Verschlechterung ihres Mund- und Zahn-Gesundheitsstatus. Wenn sie nicht nur den Schmerz, sondern
womöglich auch eine Kritik des Zahnarztes fürchten, die ihr Selbstwertgefühl beeinträchtigen könnte, kann
sich die Phobie noch weiter verstärken. Je nach Schweregrad einer Phobie setzt das Vermeidungsverhalten
möglicherweise schon bei der gedanklichen Vorstellung einer Zahnbehandlung ein. Entsprechende Gedanken
werden verdrängt, Hinweisreize werden übersehen oder ignoriert, Recalls werden "vergessen". Bei einem
mittleren Schweregrad setzt das Vermeidungsverhalten vielleicht erst auf dem Weg zum Zahnarzt ein. Jöhren
at al. führen das Vermeidungsverhalten der Phobiker vor allem auf ein geringes Kontrollerleben bzw. auf ein
unzureichend erfülltes Kontrollbedürfnis zurück, wobei sie auch der Frage nachgehen, inwieweit auch ein
erhöhtes Erregungsniveau ("Schreckhaftigkeit") zum Vermeidungsvermeidungsverhalten beitragen kann.
Dass katastrophierende Gedanken einen Anteil haben, wurde bereits in früheren Untersuchungen festgestellt.
Aus diesem Kreislauf kann oft nur die Verhaltenstherapie (siehe unten) heraushelfen, welche schrittweise
eine örtliche und zeitliche Annäherung an die "gefahrvolle" Situation des Zahnarztbesuchs ermöglicht.
Allerdings ist Verhaltenstherapie umso wirksamer, je spezifischer eine Phobie ist. Umgekehrt wird ihre
Wirkung eingeschränkt, je höher die Komorbidität ist bzw. je mehr Phobien in anderen Bereichen vorhanden
sind.
Häufig wird die sog. Spritzenphobie mit der Zahnbehandlungsangst bzw. -phobie in Verbindung gebracht.
Dazu ist erstens zu bemerken, dass Menschen mit einer ausgeprägten Phobie in einem Bereich zumeist auch
Phobien in anderen Bereichen haben. Begünstigend für eine Zahnbehandlungsphobie kann beispielsweise das
gleichzeitige Vorhandensein einer Sozialphobie sein, - der Befürchtung, in der Öffentlichkeit oder durch eine
Autoritätsperson (negativ) bewertet zu werden.
Zweitens scheint die Spritzenphobie (Trypanophobie) nicht spezifisch für ZBA zu sein, also ein eigenes
Phänomen darzustellen, das vor allem im Alter zwischen vier und elf Jahren besonders häufig zu beobachten
ist. Mit der Spritzenphobie konfundiert ist oft auch die Angst, sich mit fremdem Blut infizieren zu können.
Auch diese Variante ist nicht unbedingt typisch für eine Dentalphobie.
Davon zu unterscheiden ist der Anblick der Spritze, der bei ängstlichen, aber nicht unbedingt phobischen
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Menschen, einen Auslösereiz - neben anderen Reizen - für Angstgefühle darstellen kann. Unter denjenigen,
die generell Injektionen fürchten, bilden die Furcht vor dem Einstichschmerz und die Furcht vor körperlicher
Verletzung, die häufigsten Befürchtungen, während die Furcht, sich anstecken zu können, oder vor
Nebenwirkungen von Lokalanästhetika seltener vorkommen.
Die Komorbidität von hoch ängstlichen Patienten scheint aber nicht nur auf eine generell erhöhte
Ängstlichkeit bzw. auf gleichzeitig vorhandene andere Phobien beschränkt, sondern hat auch somatische oder
zumindest psychosomatische Korrelate: So berichten Wogelius et al. beispielsweise über Ohrprobleme und
Asthma bei hoch ängstlichen Kindern.
Angst und Schmerz
Die Erwartung von Schmerz ist bei hoch ängstlichen Patienten höher als bei niedrig ängstlichen Patienten.
Bereits in der älteren Arbeit von Kent konnte gezeigt werden, dass hoch ängstliche Patienten den tatsächlich
erlebten Schmerz offenbar nachträglich aufwerten und eine entsprechende Erwartungshaltung an den
nächsten Zahnarztbesuch entwickeln. Neuere Studien bestätigen die höhere Schmerzerwartung bei hoch
ängstlichen Patienten. Außerdem kann vermutet werden, dass in der Erinnerung nicht so sehr der erlebte
Schmerz, sondern die Art und Weise, wie der Zahnarzt darauf reagiert hat die entscheidende Rolle für die
Schmerzerwartung spielt. Dies scheint sich in nachträglichen Interviews zu bestätigen: Das Verhalten des
Zahnarztes und der Helferinnen hatte demnach das Angst- und Schmerzerleben wesentlich mit beeinflusst.
Prof. Dr. H.-W. Hoefert
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