Anorexia nervosa

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Dipl.-Psych. O. Bohlen · SEGEBERGER KLINIKEN GRUPPE
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Vorlesung
Psychosomatik
C A U Kiel
Dipl.-Psych. O. Bohlen
1. Leitender Psychologe
SEGEBERGER
KLINIKEN GmbH
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Essstörungen
Klassifikation, Epidemiologie:
Welche Formen der Essstörung können voneinander unterschieden werden
und wie häufig treten diese auf?
Differentialdiagnose:
Essstörungen und andere körperliche /psychische Erkrankungen mit
Veränderungen des Ess- und Gewichtverhaltens
Ätiologie:
Entstehungsbedingungen und aufrechterhaltende Faktoren von Essstörungen
Interventionen:
Besonderheiten im Umgang mit Anorexie-/Bulimie-Patientinnen
Praktische (verhaltenstherapeutisch orientierte) Interventionsmöglichkeiten und
Behandlungsleitlinien
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• Fütterstörung im frühen Kindesalter (ICD 10 F98.2):
Nahrungsverweigerung, evtl. Rumination
• Pica im Kindesalter (ICD 10 F98.3): Verzehr nicht essbarer
Substanzen
• Anorexia nervosa (ICD 10 F50.0)
atypische Anorexia nervosa (ICD 10 F50.1)
• Bulimia nervosa (ICD 10 F50.2)
atypische Bulimia nervosa (ICD 10 F50.3)
Zusammen größter
Anteil an Essstörungen
in internistischen oder
allgemeinmedizinischen
Praxen
• Essattacken bei sonstigen psychischen Störungen (ICD 10 F50.4)
-> DSM IV: „Binge-Eating-Störung“: Wiederholte Episoden von
Heißhungeranfällen ohne regelmäßige kompensatorische
Verhaltensweisen, daher i.d.R. Entwicklung von Übergewicht
• Erbrechen bei sonstigen psychischen Störungen (ICD 10 F50.5)
• Adipositas (ICD 10 E 66): Umstrittener Krankheitswert (->
Folgestörungen)
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Epidemiologie, Verlauf, Prognose
• Die empirischen Ergebnisse zur Epidemiologie der Anorexia nervosa (AN) und
Bulimia nervosa (BN) schwanken in Abhängigkeit von der untersuchten
Stichprobe und den angewendeten Diagnosekriterien erheblich.
• Einigkeit besteht hinsichtlich der Tatsache, dass beiden Störungen die
geschlechtsspezifische Verteilung gemein ist (90 - 95% Frauen).
Am stärksten betroffen sind Frauen zwischen 15 und 30 Jahren.
Bulimie tritt ungefähr dreimal häufiger als Anorexie auf.
• Der Verlauf ist subchronisch bis chronisch, hinsichtlich der Prognose ist bei
der Anorexie (im Gegensatz zur Bulimie) vor allem an die hohe Mortalität zu
denken (Angaben in der Literatur zwischen 5 % und 15 %).
• Die Anorexia nervosa wird vom Allgemeinmediziner in etwa 45 % der Fälle,
die Bulimia nervosa in nur 12 % der Fälle entdeckt. (De Zwaan M, Schüssler
P, 2000)
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Prävalenz von Essstörungsmerkmalen in der EDSP-Studie
(„Early Developemental Stages of Psychopathology“, 1994-1999)
(N=3021, Alter 14-24):
Männer
Frauen
45,3%
Große andauernde
Sorgen über Gewicht
und Essen
24,7%
31,6%
Ernsthafte Diät mit
erheblichem Gewichtsverlust
21,7%
21,6%
Zu dünn/niedriger BMI
0,9%
6.1%
Große Angst vor Zunahme
5.1%
Essstörung (AN/BN)
28,6%
0,8%
„Spitze des Eisberges“
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Differentialdiagnose
Anorexia Nervosa
Diagnostische Kriterien (307.1; F50.01) nach DSM-IV
A. Weigerung, das Minimum des für das Alter und Körpergröße normalen
Körpergewichts zu halten (z.B. Gewichtsverlust führt dauerhaft zu einem
Körpergewicht von weniger als 85% des zu erwartenden Gewichts; oder das Ausbleiben
einer während der Wachstumsperiode zu erwartenden Gewichtszunahme führt zu einem
Körpergewicht von weniger als 85% des zu erwartenden Gewichts).
B. Ausgeprägte Ängste vor einer Gewichtszunahme oder davor, dick zu
werden, trotz bestehenden Untergewichts.
C. Störung in der Wahrnehmung der eigenen Figur und des Körpergewichts
oder der Figur auf die Selbstbewertung, oder Leugnen des Schweregrades
des gegenwärtigen geringen Körpergewichts.
D. Bei postmenarchalen Frauen das Vorliegen einer Amenorrhoe von
mindestens drei aufeinanderfolgenden Menstruationszyklen (Amenorrhoe wird
auch dann angenommen, wenn bei einer Frau die Periode nur nach Verabreichung von
Hormonen, z.B. Östrogen, eintritt).
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Bestimme den Typus
Restriktiver Typus:
Während der aktuellen Episode der
Anorexia Nervosa hat die Person keine
regelmäßigen „Fressanfälle“ gehabt oder
hat kein „Purging“-Verhalten (das heißt
z.B. selbstinduziertes Erbrechen oder
Missbrauch von Laxantien, Diuretika oder
Klistieren) gezeigt.
„Binge-Eating/Purging“-Typus:
Während der aktuellen Episode der
Anorexia Nervosa hat die Person
regelmäßig „Fressanfälle“ gehabt und hat
„Purging“-Verhalten (das heißt z.B.
selbstinduziertes Erbrechen oder
Missbrauch von Laxantien, Diuretika oder
Klistieren) gezeigt.
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Bulimia Nervosa
Diagnostische Kriterien (307.5.1; F50.2) nach DSM-IV
A. Wiederholte Episoden von „Fressattacken“. Eine „Fressattacke“-Episode ist
gekennzeichnet durch beide der folgenden Merkmale:
(1) Verzehr einer Nahrungsmenge in einem bestimmten Zeitraum (z.B. innerhalb eines Zeitraumes
von 2 Stunden), wobei diese Nahrungsmenge erheblich größer ist, als die Menge, die die
meisten Menschen in einem vergleichbaren Zeitraum und unter vergleichbaren Bedingungen
essen würden.
(2) Das Gefühl, während der Episode die Kontrolle über das Essverhalten zu verlieren (z.B. das
Gefühl, weder mit dem Essen aufhören zu können, noch Kontrolle über Art und Menge der
Nahrung zu haben).
B. Wiederholte Anwendung von unangemessenen, einer Gewichtszunahme
gegensteuernden Maßnahmen, wie z.B. selbstinduziertes Erbrechen, Missbrauch von Laxantien,
Diuretika, Klistieren oder anderen Arzneimitteln, Fasten oder übermäßige körperliche Betätigung.
C. Die „Fressattacken“ und das unangemessene Kompensationsverhalten kommen
drei Monate lang im Durchschnitt mindestens zweimal pro Woche vor.
D. Figur und Körpergewicht haben einen übermäßigen Einfluss auf die
Selbstbewertung.
E. Die Störung tritt nicht ausschließlich im Verlauf von Episoden einer Anorexia
Nervosa auf.
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Bestimme den Typus
„Purging“-Typus*:
Die Person induziert während der
aktuellen Episode der Bulimia Nervosa
regelmäßig Erbrechen oder missbraucht
Laxantien, Diuretika oder Klistiere.
„Nicht-Purging“-Typus:
Die Person hat während der aktuellen
Episode der Bulimia Nervosa andere
unangemessene, einer Gewichtszunahme
gegengesteuerte Maßnahmen gezeigt wie
beispielsweise Fasten oder übermäßige
körperliche Betätigung, hat aber nicht
regelmäßig Erbrechen induziert oder
Laxantien, Diuretika oder Klistiere
missbraucht.
*engl. to purge: säubern, läutern
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Zusammenfassung
Gemeinsamkeiten:
• Das Denken der Betroffenen kreist anhaltend um die Themen Essen und
Gewicht, welche häufig zum zentralen Inhalt im Leben der Patienten werden.
• Es besteht eine ausgeprägte, mitunter panische Angst vor Gewichtszunahme
und eine übermäßige Abhängigkeit der Selbstbewertung von Figur und
Gewicht.
Unterschiede:
• Die typische Anorexia nervosa geht immer mit Untergewicht einher (ICD 10:
≤ 17,5 kg/m²), während bulimische Patienten normal oder übergewichtig sein
können (DSM-IV schließt Untergewicht aus.)
• Bei der AN gibt es einen “restriktiven Typ” ohne Heißhungeranfälle oder
Erbrechen/Medikamentenmissbrauch, bei der BN hingegen stehen
Heißhungerattacken und der Kontrollverlust beim Essen immer im
Vordergrund (Erbrechen ist für die Diagnose nicht obligat.)
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Psychische Begleiterscheinungen bei Anorexia und Bulimia nervosa
Die psychischen Veränderungen gehen weit über das Essverhalten
hinaus und beziehen sich auf alle wichtigen Lebensbereiche:
Störungen des Körperbildes (body image)
Selbstwertprobleme (Insuffizienzgefühle, Schamgefühle und Ängste)
Psychosoziale und sexuelle Probleme
Psychischen Komorbiditäten (z.B. Depression, Angst- und
Zwangsstörungen, Suchtmittelabusus)
► Ausgeprägte Leistungsorientierung (häufig mit asketischen Idealen)
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Häufige körperlichen Auswirkungen von Anorexie und Bulimie
► Verzögerung von Wachstumsschritten und fehlende Entwicklung der
körperlichen Geschlechtsmerkmale in der Pubertät
► Amenorrhoe
► Zahnerkrankungen durch regelmäßiges Erbrechen
► Störungen im Elektrolyt- (Hypokaliämie) und Säure-Basen-Haushalt mit
resultierenden Herzrhythmusstörungen und Nierenschäden
► Starvationssyndrom (Hypothermie, Haarausfall, Ödeme, Lanugo-Behaarung,
Bradykardie, Hypotonie, Akrozyanose, verzögerte Magenentleerung,
Hypercholesterinämie)
► Knochenerkrankungen
Neuere Untersuchungsverfahren (MRT, PET) machen deutlich, dass sich
ausgeprägte morphologische und funktionelle Veränderungen im ZNS nicht
immer wie bislang angenommen mit Normalisierung des Essverhaltens und
Gewichtes vollständig zurück bilden (Köhle et al., 2003)
Kardiale Komplikationen bei psychogenen Essstörungen sind gefürchtet, weil
sie sehr plötzlich zu einer vitalen Bedrohung werden können. Herzrhythmusstörungen sind für die meisten plötzlichen Todesfälle verantwortlich
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Psychiatrische Differentialdiagnosen bei Anorexie und Bulimie
Nur eine sorgfältige Erhebung des psychopathologischen Befundes
und ausführliche Anamnese gewährleisten die richtige Einordnung
des Zustandsbildes!
Mögliche Grundstörungen und Komorbiditäten
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Depressive Syndrome (z. B. depressive Episode)
Anorektische oder bulimische Reaktionen im Rahmen von
Belastungs- und Anpassungstörungen, somatoformen Störungen
oder dissoziativen Störungen
Borderline-Persönlichkeitsstörungen
Zwangsstörungen
Schizophrene Psychosen oder andere wahnhafte Störungen
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Somatische Differentialdiagnosen bei Anorexie und Bulimie
Die Leitsymptome wie Appetitmangel, Gewichtsverlust oder Erbrechen
Erfordern den Ausschluss verschiedener körperlicher Erkrankungen:
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Malabsorptionssyndrome (z. B. Sprue)
Maldigestionssyndrome (z. B. chronische Pankreatitis)
Dysphagie (neuromuskulär oder mechanisch bedingt)
Funktionelle Störungen des Magen-Darm-Trakes
Gastritis
Ulcus ventriculi oder Ulcus duodeni
Maligne Erkrankungen (z.B. des Magen Darm Traktes)
Hepatitis
Diabetes mellilus
Colitis ulcerosa
Morbus Crohn
Hypophysenvorderlappeninsuffizienz (Morbus Simonds)
Hyper- oder Hypothyreose
Nebennierenrindeninsuffizienz (Morbus Addison)
Hyperparathyreodismus
Unerwünschte Wirkung von Medikamenten oder Drogen
Intrakranielle Raumforderungen
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Fallbeispiel
Besondere Schwierigkeiten in der Behandlungsplanung und -durchführung
können auftreten, wenn neben der Essstörung eine somatische Komorbidität
besteht, die mit der Grunderkrankung interagiert.
Eine 26-jährige dauerhaft anorektische Patientin litt parallel an einer chronisch
entzündlichen Darmerkrankung. In den Phasen akuter Schübe, welche u.a. mit
heftigen Diarrhoen und Schmerzen einhergingen, musste die Patientin aufgrund
von Nahrungsmittelintoleranzen eine spezielle Diät einhalten und war in ihrer
Nahrungsaufnahme insgesamt eingeschränkt. Aufgrund der Durchfälle kam es
zu zusätzlichem Gewichtsverlust.
Die vereinbarten Ziele hinsichtlich Essverhalten und Gewichtszunahme konnten
in diesen Zeiten nicht konsequent weiterverfolgt werden. Wechselwirkungen
zwischen den psychischen und körperlichen Störungsanteilen waren kaum
eindeutig zu bestimmen. Es erwies sich als schwierig eine therapeutische
Haltung zu gewinnen, die beiden Erkrankungen Rechnung trug.
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Ätiologische Modelle
Entstehung und Aufrechterhaltung von Essstörungen
• Es existierern große Unterschiede im individuellen funktionalen
Bedingungsmodell der jeweiligen Störung.
• Viele Faktoren, die an der Entwicklung beteiligt sind, sind weder
spezifisch noch unabdingbare Voraussetzung (bspw. Selbstwertproblematik oder pathologische Beziehungsmuster in der Familie).
• Die wenigsten Einflussgrößen sind als Kausalfaktoren empirisch
belegt (aber z.B. überzeugende Hinweise auf einen relevanten
genetischen Faktor; vgl. Schepank, 2003).
• Vorschnelle, stereotype Annahmen über die Hintergründe einer
Essstörungen behindern den hypothesengeleiteten Erkenntnisprozess
und bringen die Gefahr der Stigmatisierung von Patienten mit sich.
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Folgende Erklärungsansätze werden diskutiert:
• Soiokulturelle Faktoren
Schlankheitsideal (Medien) bei zunehmender Diskrepanz zur realen
Entwicklung des Gewichtes in der Allgemeinbevölkerung
• Individuelle Probleme und Konflikte in verschiedenen Lebensbereichen
Empfinden, den Erwartungen nicht gerecht werden zu können
Ärger oder Enttäuschung in der Partnerschaft, in der Schule oder im Beruf
Soziale Ängste oder Angst vor Sexualität
Grenzüberschreitungen im sozialen Umfeld, Traumata (z.B. Missbrauch)
Ablösungsproblematik (“Trennungsangst”)
• Familiäre Belastungsfaktoren
Elterliche Dominanz, Vereinnahmung, Leistungsorientierung, rigide
Regelsysteme, Vernachlässigung (nicht spezifisch, primäre oder reaktive
Verhaltensmuster nach Entstehung der Erkrankung?)
• Biologische Faktoren
Endokrinologische Auffäligkeiten (Serotoninmangel wie bei Depression)
Heriditäre Komponente (hohe Konkordanzrate bei eineiigen Zwillingen )
• Diätverhalten und Hungern
Set-Point-Theorie, Aufrechterhaltung der Störung durch ihre Eigendynamik
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„Nothing tastes as good as skinny feels“
(Kate Moss, ein „Supermodel“)
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Prädisponierende Faktoren
Vorgegebenes
Schlankheitsideal
Irrationale
Überzeugungen
Probleme im
Familiensystem
Lernerfahrung mit
Nahrungsaufnahme
KörperlicheFaktoren
Auslösende Faktoren
„Kritische Lebenssituation“ : z.B. Trennung, neue Leistungsanforderungen
Symptome der Essstörung
Zentriertheit auf Figur und Gewicht,
Abnehmen, Essanfälle, Kompensatorisches Verhalten
Körperliche Konsequenzen
-
Psychosoziale Konsequenzen
Neurotransmitterstörungen
metabolische, endokrine, gastrointestinale Störungen
Erniedrigung des Energiebedarfs
Pseudoatrophie des Gehirns
-
soziale Isolation
affektive Labilität
kognitive Beeinträchtigung
ständige Beschäftigung mit Nahrungsaufnahme
Aufrechterhaltende
Faktoren
Positive und negative Verstärkung
- Zurückgewinnen von Kontrolle und Autonomie
- Stabilisierung des Selbstwertgefühls
- Reduktion von Angst vor Gewichtszunahme
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Behandlungsleitlinien für Essstörungen
Ziele von Psychotherapie:
a.) die Wiederherstellung und das Halten eines für Alter und Größe
angemessenen Körpergewichts
b.) eine Normalisierung des Essverhaltens
c.) die Behandlung körperlicher Folgen von Essverhalten und
Untergewicht
d.) die Beeinflussung der dem Störungsbild zugrunde liegenden
Schwierigkeiten auf emotionaler, kognitiver und zwischenmenschlicher Ebene
e.) eine Förderung der sozialen Integration, die oft mit einem
„Nachholen“ verpasster Entwicklungsschritte verbunden ist.
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AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.)
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2. Therapie: Allgemeine Empfehlungen
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Besonderheiten im Umgang mit essgestörten Patienten und Patientinnen
• Eine besondere Schwierigkeit besteht darin, dass die Patienten sich auf die
begründete Anforderung, unter den zur Verfügung stehenden therapeutischen
Hilfestellungen eine sukzessive Reduktion störungsaufrechterhaltender
Verhaltenweisen bzw. eine definierte Gewichtszunahme zuzulassen, nicht
einlassen können
• Die Vermeidung einer Auseinandersetzung mit den notwendigen Schritten
mündet mitunter in der Tendenz des Patienten, dem Behandler „mangelndes
Verständnis“ oder gar Desinteresse an der Vielschichtigkeit seines Problems und
seiner Person vorzuwerfen, wenn entsprechende therapeutische Verträge mit
dem Betroffenen vereinbart werden sollen.
• Sowohl im verhaltenstherapeutischen Setting als auch modernen analytischen
Therapieführern folgend (vgl. Schors und Huber, 2004 ) sind das Essverhalten
strukturierende Elemente und die Thematisierung des Gewichtszuwachses
wichtige Behandlungsbestandteile in der Psychotherapie, ohne die eine
langfristige Besserung nicht erreicht werden kann.
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Fallbeispiel
Frau N wünschte sich, den Fokus der Gespräche trotz weiterhin bestehenden
Untergewichtes zunächst ausschließlich auf die über ihre Essproblematik
hinausgehenden intrapsychischen und interpersonellen Schwierigkeiten zu legen
und entschied sich gegen eine spezifische Weiterbehandlung:
„Diese Entscheidung fällt mir nicht leicht, da ich Sie als Therapeuten sehr
schätze… Ich merkte, dass Sie sich in mich und meine Krankheit
hineinversetzen können. Ich hatte endlich das Gefühl, als Person gesehen zu
werden… Da Sie aber den Entschluss fassten, eine Gewichtszunahme sei für
eine aktive Therapie weiter erforderlich, war ich ein wenig enttäuscht. Ich kann
ihre Entscheidung zwar nachvollziehen, aber…nicht „Ja“ zu etwas sagen, wo ich
„Nein“ fühle. Zunächst werde ich an einer Selbsthilfegruppe teilnehmen…würde
mich aber freuen, wenn bei mir der richtige Zeitpunkt eingetroffen ist, diese
Therapie bei Ihnen anzugehen.“
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Besonderheiten im Umgang mit essgestörten Patienten und Patientinnen…
• In vielen Fällen müssen Kompromisse erarbeitet werden. Hierbei ist es aber
besonders wichtig stets kritisch zu prüfen, ob diese tatsächlich mit den
erforderlichen Zielsetzungen vereinbar sind. Das kontinuierliche und unbeirrbare
Austarieren einzelner Schritte und die hiermit verbundenen Verhandlungen
stärken die therapeutische Allianz von Arzt und Patient; somit kann gerade das,
was die Geduld des Behandlers auf die Probe stellt, für den Patienten besonders
wertvoll sein.
• Die störungsimmanente Ambivalenz in Bezug auf notwendige
Veränderungsschritte (Verzicht auf Erbrechen, Gewichtszunahme usw.) und
damit einhergehende Enttäuschungen von Erwartungen können natürlich auch
Versagensgefühle oder gar eine Fall bezogene Resignation auf Seiten des
Arztes hervorrufen, der hoffte, eine hilfreiche Person für die Patientin sein zu
können und sich möglicherweise in seiner Behandlungskompetenz in Frage
gestellt fühlt.
Es ist von besonderer Bedeutung, die “individuelle Wirklichkeit” des Patienten
kennenzulernen und zu verstehen um ein Arbeitsbündnis herstellen zu können.
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GRUPPE
Erleben Dipl.-Psych.
des Patienten
Sichtweise
des Arztes
Der Blick in den Spiegel zeigt, dass die fraglichen
Körperpartien zu dick und daher unattraktiv sind,
das Gewicht noch zu hoch ist.
Der Anblick der Patientin deutet auf ihren
besorgniserregenden Zustand hin, wobei diese
offensichtlich das tatsächliche Bild aufgrund
ihrer Körperschemastörung verkennt.
Lässt die Anzeigenadel der Waage eine kurzfristige
Gewichtszunahme erkennen, bedeutete dies
Versagen und drohenden Verlust der
Selbstakzeptanz. Angst vor unaufhaltsamem
weiteren Anstieg des Körpergewichtes und „Fettwerden“ wird ausgelöst
Vorübergehende Gewichtsveränderungen sind
ausgleichbare Phänomene. Langfristig gehören
sie zu den verschiedenen Entwicklungsphasen
im Verlauf des Lebens dazu.
Das Überschreiten der selbstgesetzten aber als
„Gesetz“ empfundenen Gewichtsgrenze geht mit
Selbstvorwürfen und Selbstbestrafung einher.
Das Erreichen eines höheren Gewichtes bei einer
anorektischen Patientin weist auf den
Gesundungsprozess hin und stellt einen positiv
zu kommentierenden Behandlungserfolg dar.
Die Konfrontation mit Speisen aktualisiert den Kampf
mit Versuchung und Verzicht, mit der Angst vor
Kontrollverlust und das Ringen um
Selbstbehauptung. Der Alltag wird vom Thema
Essen beherrscht.
Die Nahrungsaufnahme sollte selbstverständlich in
die Abläufe des Alltages integriert sein und
kann darüber hinaus eine die Lebensqualität
verbessernde Genussquelle darstellen.
Fasten, Erbrechen, Medikamentengebrauch oder
Hyperaktivität sind „lebensnotwendige“
Maßnahmen zur Verhinderung oder
Kompensierung der aversiven Folgen von
Nahrungsaufnahme.
Die Fortsetzung des Problemverhaltens deutet auf
eine unzureichende Änderungsmotivation hin,
verhindert die lebensnotwendige Kalorienzufuhr
oder schädigt den Organismus und untergräbt
alle Bemühungen um eine Stabilisierung des
Zustandes.
Dipl.-Psych. O. Bohlen
· SEGEBERGER
KLINIKENfür
GRUPPE
Behandlungselemente
stationärer
Einrichtungen
Essstörungen
Problembereiche
Behandlungsbausteine
Gestörtes Essverhalten
und Ernährungsfehler
-Etablierung eines gesunden MahlzeitenRhythmus
-Stimuluskontrolltechniken
-Selbstbeobachtung (Essprotokolle)
-Exposition an vermiedene Speisen bzw. an
den Verzicht auf kompensatorisches
Verhalten
-Aufbau von alternativen
Bewältigungs-strategien (z.B.
Entspannungstechniken)
- Diätberatung und -schulung
Gewichtsverhalten
-Therapievertrag zur Gewichtszunahme
-Führen einer Gewichtskurve
-Kontrolle des Aktivitätsniveaus
-Phasen-Programme (Vereinbarung über
vorübergehende Einschränkung von Ausgang
und Besuchen, Mahlzeiten auf dem Zimmer,
Zwischenmahlzeiten, Gewichtskontrollen)
Körperliche Leistungsfähigkeit
-Sport- und Bewegungstherapie
Körperbild- und Körperschemastörung
-Körperorientierte Verfahren, Tanztherapie
-Videoexposition
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Problembereiche
Intrapsychische Konflikte
Behandlungsbausteine
-
Interaktionelle Defizite und Beziehungsschwierigkeiten (Familie, Partnerschaft,
Peer-Group)
-
Probleme in Schule, Ausbildung oder Beruf
(Sozialmedizinische Fragestellungen)
-
Psychische und somatische Komorbidität
-
Bearbeitung der Hintergründe des
Störungsbildes in der Einzel- und
Gruppenpsycho-therapie
Musik-, Kunst- und Gestaltungstherapie
Soziales Kompetenztraining
Verdichtetes soziales Lernen in der
therapeutischen Patientengemeinschaft
Einbezug des sozialen Umfeldes (z.B.
Familien- und Paargespräche)
Soziotherapeutische Unterstützung
Psychotherapeutische und medizinischpharmakologische Mitbehandlung
Evtl. somatische Konsile
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19,7%
36,8%
43,4%
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Erfahrungsbericht Patientin (stationäre Verhaltenstherapie)
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Fazit
• Patientinnen mit Essstörungen leben häufig in einer störungsimmanenten
Gedanken und Gefühlswelt, die von Außenstehenden schwer nachzuvollziehen ist.
Sich dieser individuellen Wirklichkeit anzunähern, stellt eine wichtige
Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung dar.
• Auf Seiten des Behandlers erfordert die Therapie von Anorexie und Bulimie ein
hohes Maß an Verhandlungsgeduld sowie Toleranz gegenüber Misserfolgen.
• An Essstörungen Erkrankte benötigen i.d.R. mehrere Anläufe im ambulanten und
stationären Setting, bevor ein stabiler Behandlungserfolg erreicht werden kann. Die
Anorexia nervosa gehört bis heute zu den psychischen Störungen mit den
höchsten Mortalitätsraten.
• Neben dem Ausschluss organischer Ursachen von Essstörungen sind
regelmäßige körperliche Untersuchungen zur Erkennung und Behandlung
somatischer Komplikationen erforderlich. Häufig ist auch eine
psychopharmakologische Mitbehandlung (z.B. Fluctin) komorbider affektiver
Störungen indiziert. Cave: Remergil (Mirtazapin) -> starke Gewichtszunahme in den meisten Fällen (!)
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• Die Symptomatik der Anorexie und Bulimie weist eine hohe Eigendynamik
auf. Die begleitete Konfrontation mit Angst auslösender Normalisierung der
Nahrungsaufnahme und Verzicht auf kompensatorisches Verhalten sind
notwendig, um Veränderungen des Zustandsbildes zu erreichen.
• Die Komplexität der Erkrankung erfordert bei Patienten mit Essstörungen
i.d.R. eine multidimensionale, interdisziplinäre Behandlung sowie eine
weiterreichende Kommunikation, z.B. zwischen Internist bzw. Allgemeinarzt
und Psychotherapeut.
• Bei schweren Verläufen mit somatischen Komplikationen kann ein
akutstationärer Aufenthalt in einer internistischen Krankenhausabteilung
erforderlich werden. Darüber hinaus stehen spezialisierte stationäre
Facheinrichtungen zur Verfügung (z.B. Psychosomatische Kliniken), welche
genutzt werden können, um multimodale Therapieprogramme im Sinne einer
integrierten Versorgung zur Anwendung zu bringen.
Dipl.-Psych. O. Bohlen · SEGEBERGER KLINIKEN GRUPPE
Ich wünsche Ihnen
noch eine gute Woche..!
Dipl.-Psych. Oliver Bohlen
Psychologischer Psychotherapeut
- Verhaltenstherapie 1. Leitender Psychologe
Klinik für Psychotherapeutische Medizin und Psychotherapie
SEGEBERGER KLINIKEN GMBH
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