Gesundheit in Deutschland, 2006 Krankheitslast 1.2.3.2 Angststörungen Frauen sind häufiger von Angststörungen betroffen als Männer Der Bundes-Gesundheitssurvey 1998 (BGS98) lieferte erstmals repräsentative Zahlen zur Verbreitung von Angststörungen in Deutschland. 14,2 Prozent der Befragten im Alter von 18 bis 65 Jahren hatten während des vorausgegangenen Jahres unter einer Angststörung gelitten. Dabei waren Frauen deutlich häufiger betroffen als Männer (siehe Abbildung 1.2.8). Es ergaben sich keine Hinweise darauf, dass Angststörungen in den neuen Bundesländern häufiger als in den alten Bundesländern sind [50] . Abbildung 1.2.8 Bereits manche Teenager leiden unter einer Angststörung. Angststörungen beginnen durchschnittlich im zweiten bis vierten Lebensjahrzehnt. Wie die Daten des BGS98 zeigen, treten nahezu 60 Prozent aller Angststörungen erstmals vor dem 21. Lebensjahr auf. Für die spezifischen Phobien ergab sich das niedrigste mittlere Ersterkrankungsalter, gefolgt von den sozialen Phobien. Deutlich später treten die Agoraphobie und die Panikstörung auf. Die generalisierten Angststörungen zeigen das höchste mittlere Ersterkrankungsalter (siehe Abbildung 1.2.9). Gesundheit in Deutschland, 2006 Krankheitslast Abbildung 1.2.9 Wie häufig Angststörungen bei den Patientinnen und Patienten in Allgemeinarztpraxen sind, ist nur wenig bekannt. Bei einer Studie der Weltgesundheitsorganisation [47] ergab sich in den beiden beteiligten deutschen Zentren (Berlin und Mainz), dass insbesondere Patientinnen und Patienten mit einer generalisierten Angststörung oft ihren Hausarzt aufsuchen. Bei mehr als sieben Prozent aller an einem bestimmten Stichtag in den Allgemeinarztpraxen beurteilten Patientinnen und Patienten fand sich eine generalisierte Angststörung. Nach den Depressionen war sie damit die zweithäufigste psychische Störung in Allgemeinarztpraxen überhaupt. Die Häufigkeit von Panikstörungen unter den Patientinnen und Patienten der Hausärzte lag in der Studie bei zwei Prozent. Auch eine aktuellere Untersuchung in deutschen Allgemeinarztpraxen (GAD-P-Studie) [63] bestätigte, dass die generalisierte Angststörung die häufigste Angsterkrankung im hausärztlichen Versorgungsbereich darstellt. An einem bestimmten Stichtag konnte sie bei 5,3 Prozent aller zufällig ausgewählten Allgemeinarztpatientinnen und patienten (Männer: 4,1 Prozent; Frauen: 6,2 Prozent) diagnostiziert werden. Bei einem Drittel dieser Patienten trat die Angststörung zusammen mit einer schwer verlaufenden Depression auf. Nur ein kleiner Teil der Angstpatientinnen und -patienten wird richtig behandelt. Zudem zeigte die GADP-Studie, dass Patientinnen und Patienten mit einer generalisierten Angststörung, ganz unabhängig von ihrem körperlichen Gesundheitszustand, mit durchschnittlich 11,2 Arztbesuchen in den vorausgegangenen zwölf Monaten als " high utilizer " des Gesundheitssystems anzusehen sind. Darüber hinaus wurden in der GAD-P-Studie erhebliche Versorgungsmängel aufgedeckt. Im Gegensatz zu depressiven Erkrankungen, die in 64,3 Prozent der Fälle erkannt wurden, stellten Hausärztinnen und Hausärzte nur bei 34,4 Prozent der Patientinnen und Patienten mit einer generalisierten Angststörung eine korrekte Diagnose. Korrespondierend mit der niedrigen Erkennungsrate erhielten weniger als zehn Prozent der Betroffenen eine angemessene Therapie oder eine Überweisung zum Facharzt. Differenzierte Daten zu anderen Angststörungen liegen bislang für Deutschland nicht vor. ►Umfassende Informationen zu Angststörungen finden sich in Themenheft 21 der Gesundheitsberichterstattung des Bundes [64] . Gesundheit in Deutschland, 2006 Krankheitslast Definition Während Angst eine natürliche Dimension des menschlichen Erlebens und für die Vermeidung von Gefahren sinnvoll ist, werden übermäßig lange oder unbegründete Angstzustände als Angststörungen bezeichnet. Dazu zählen die Panikstörung, die so genannte generalisierte Angststörung, die Agoraphobie (Platzangst), die soziale Phobie, die spezifische (isolierte) Phobie sowie sonstige phobische Störungen. Die Ursachen der Angststörungen sind bislang nur in Ansätzen geklärt. Wie bei den Depressionen werden psychosoziale, psychologische, genetische und neurobiologische Zusammenhänge vermutet. Allgemein geht man bei allen Angststörungen von einer Fehlsteuerung des an sich normalen Angst-Stress-(Kampf/Flucht-)Mechanismus aus. Typischerweise tritt bei Angststörungen ein Vermeidungsverhalten auf, das zur Verfestigung der Angstreaktionen und zu einem zunehmend schweren chronischen Krankheitsverlauf führen kann. Literatur 47 Üstün T, Satorius N (1995) Mental illness in General Health Care across the world. An international study. John Wiley & Sons, New York 50 Jacobi F, Hoyer J, Wittchen H (2004) Seelische Gesundheit in Ost und West: Analysen auf der Grundlage des Bundesgesundheitssurveys. Zeitschrift für Klinische Psychologie 33 (4): 251 bis 260 63 Wittchen H, Müller N, Pfister H et al. (2001) GAD-P-Studie. Bundesweite Studie "Generalisierte Angst und Depression im primärärztlichen Bereich". MMW Fortschr Med 119 (Sonderheft 1): 1 bis 49 64 Robert-Koch-Institut (Hrsg) (2004) Angststörungen. Gesundheitsberichterstattung des Bundes Themenheft 21 Tabellen mit den Werten aus den Abbildungen 1.2.8 und 1.2.9 Abbildung 1.2.8: 12-Monats-Prävalenz von Angststörungen (nach DMS-IV) bei Männern und Frauen; Angabe in gewichteten Prozent. Quelle: BGS98, Zusatzsurvey "Psychische Störungen", Max-Planck-Institut für Psychiatrie Art der Angststörung Männer (%) Frauen (%) Agoraphobie 1,0 3,1 Panikstörungen 1,7 3,0 Spezifische Phobien 4,5 10,8 Soziale Phobie 1,3 2,7 Generalisierte Angststörung 1,0 2,1 Angststörung NNB 1,9 4,9 irgendeine Angststörung* 9,0 19,5 *ohne Zwangsstörungen, Posttraumatische Belastungsstörung Gesundheit in Deutschland, 2006 Krankheitslast Abbildung 1.2.9: Durchschnittliches Alter bei Beginn von Angststörungen bei Männern und Frauen; Angabe in Jahren. Quelle: BGS98, Zusatzsurvey "Psychische Störungen", Max-Planck-Institut für Psychiatrie Art der Angststörung Männer Frauen Generalisierte Angststörung 39,3 33,6 Panikstörungen 35,2 29,2 Angststörung NNB 22,9 19,0 Agoraphobie 27,5 26,0 Soziale Phobie 19,4 22,7 Spezifische Phobien 19,4 14,9