Depression

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LWL-Kliniken Lippstadt und Warstein
Psychiatrie
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Psychotherapie
n
Psychosomatik
Depression
Eine Orientierungshilfe
für Betroffene
und Angehörige
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www.lwl-klinik-warstein.de
2 Inhalt
Inhalt
Einleitung / Kontakt
Charakteristika der Depression Symptomatik Erscheinungsformen Verlauf 3
4
4
6
8
Entstehungsmodelle 9
Biochemisches Modell 10
Verstärker-Verlust-Modell 10
Kognitives Modell 11
Kognitives Modell der erlernten Hilflosigkeit 12
Psychoanalytische Modelle 12
Behandlung Medikamentöse Therapie Psychotherapie Spezialtherapien
Soziotherapie
15
15
18
19
20
Therapiephasen 21
Umgang mit der Depression und depressiven Angehörigen –
goldene Regeln 22
Diese Broschüre wurde erstellt von Petra Hunold, Chefärztin der Abteilung
Depressionsbehandlung der LWL-Kliniken Warstein und Lippstadt.
Layout: Ulrich Fobbe, Eva Brinkmann, LWL-Klinik Warstein
Druck: Hubert Joest, Kopiercenter LWL-Klinik Warstein
© LWL-Kliniken Lippstadt und Warstein, 3. Auflage
Einleitung 3
Einleitung
Die Depression ist eine schwerwiegende und ernstzunehmende Erkrankung,
die den Betroffenen in seiner gesamten Vitalität, seinem Denken, Fühlen und
Handeln erfasst. Die Erkrankung stellt den Patienten und seine Angehörigen vor
schwer lösbare Probleme und Aufgaben, bei deren Bewältigung in der Regel eine
Unterstützung durch speziell ausgebildete Fachleute notwendig ist.
Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens an einer Depression zu erkranken,
wird mit Werten zwischen 0,6 und 24 % beziffert. Neuere Untersuchungen weisen
auf eine eher größere Häufigkeit der Erkrankung hin.
Schon bei Hippokrates (460 vor Christus auf der Insel Kos) werden depressive
Störungen beschrieben; die Krankheit ist wohl so alt wie die Menschheit selbst.
Das wissenschaftliche Interesse an ihrer Erforschung und der Entwicklung von
Therapiekonzepten hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen.
Kontakt
LWL-Klinik Lippstadt
Abteilung Depressionsbehandlung
Im Hofholz 6
59556 Lippstadt
LWL-Klinik Warstein
Abteilung Depressionsbehandlung
Franz-Hegemann-Str. 23
59581 Warstein
Telefon 02945 981-01
(Notfall- und Service-Hotline)
Telefon 0151-40637030
(für Aufnahme-Anfragen)
Telefon 02902 82-0
(Notfall- und Service-Hotline)
Telefon 0151-40637418
(für Aufnahme-Anfragen)
4
Charakteristika der Depression
Charakteristika der Depression
Symptomatik
Die Depression ist eine Erkrankung, die den Menschen in seiner Ganzheitlichkeit erfasst. Sie findet Ausdruck im Fühlen, Denken, sozialen Erleben, im Handeln,
der Körperwahrnehmung, körperlichen Funktionsstörungen u.v.a.m..
Psychische Symptome
Die psychischen Phänomene im engeren Sinn beziehen sich auf das Seelenleben direkt und sind Ausdruck eines reduzierten Lebensgefühls. Hier finden sich:
• depressive Herabgestimmtheit
•Interessenverlust
•Freudlosigkeit
• Traurigkeit bzw. Nicht-Traurig-Sein-Können
• Weinkrämpfe bzw. Nicht-Weinen-Können
• Gefühle von innerer Erstarrtheit
•Angstzustände
Kognitive (Denk- und Wahrnehmungszusammenhänge betreffende) Einschränkungen erscheinen in Form von:
• Insuffizienzerleben (Gefühl, nichts zu schaffen, wertlos zu sein)
•Hilflosigkeit
•Hoffnungslosigkeit
• Resignation und Verzweiflung
• Negativen Bewertungen des Selbst, der Umwelt und der Zukunft
•Schuldgefühlen
• Depressivem Wahn
Charakteristika der Depression 5
© Petra Bork_pixelio.de
Auf der intentionalen (absichtsvolles Handeln betreffenden) Ebene zeigt sich
die Depression vor allem in Form von:
•
•
•
•
•
•
Ruhe- und Todeswünschen
Zwangsgedanken
Gedankenkreisen
Leeregefühl im Kopf
Minderung der Kreativität
Rückzug
• Suizidgedanken und -absichten
•Grübeln
•Denkhemmung
• Verlust der Aufmerksamkeit
•Antriebslosigkeit
6
Charakteristika der Depression
Psychomotorische Phänomene bezeichnen Antriebsstörungen, entweder
in Form von Hemmung oder Agitiertheit (Getriebenheit).
Im Einzelnen finden sich:
• Bewegungsverlangsamung, schleppender Gang
• Verminderte Gestik und Mimik
• Gebundene Körperhaltung bis hin zur Starre (Stupor)
•Unruhe
• Innere Getriebenheit, Rastlosigkeit
• Leeres Hin- und Herlaufen
Phänomene im vegetativ-körperlichen Bereich weisen auf eine verminderte Lebensenergie des depressiv Erkrankten hin:
•
•
•
•
Kraft- und Schwunglosigkeit
Rasche Ermüdbarkeit
Kränkliches Aussehen
Leibgefühlsstörungen wie Kopfdruck, Engegefühle, diffus wandernder Schmerz, Spannungs- und Schweregefühle
• Organbezogene Beschwerden wie Herzschmerzen, Herzrasen,
Herzklopfen, Druckgefühl auf der Brust, Magen-Darm-Beschwerden, Störungen der Stuhlentleerung, Appetitstörungen, Verspannungen
• Störungen der Biorhythmik wie Ein- und Durchschlafstörungen,
Morgentief, Frigidität, Impotenz oder Zyklusstörungen
Erscheinungsformen
Je nach Art und Ausprägung der Symptomatik lassen sich verschiedene
Erscheinungsformen depressiven Erlebens beschreiben, denen allerdings
nicht allen Krankheitswert zukommt.
Jedem Menschen ist ein Gefühl von Schwere und Trübsinn bekannt, wie es
sich z.B. nach einem langen und anstrengenden, aber dennoch unbefriedigenden
Charakteristika der Depression 7
Tag einstellen kann. Die Stimmung ist bedrückt, der Handlungsablauf verlangsamt.
Meist klingen derartige Zustände rasch wieder ab.
Viele Menschen erleben kurzzeitige oder länger anhaltende depressive Reaktionen zum Beispiel bei Veränderung der Lebenssituation wie dem Auszug der Kinder,
nach Trennungen oder Verlusterlebnissen. Bei einer krankhaften Depression ebbt
die Symptomatik nicht wieder problemlos ab, scheint sich zu verselbständigen,
in keinem Verhältnis zur auslösenden Situation zu stehen. Die Bedrücktheit wirkt
unangemessen, grundlos.
Die depressive Persönlichkeitsstruktur beschreibt bestimmte Charaktermerkmale von Menschen, die oft später depressiv erkranken oder bereits erkrankt sind.
Diese Eigenschaften wurden 1961 von Tellenbach zusammenfassend beschrieben
und als „Typus melancholicus“ bezeichnet. Entscheidende Merkmale sind hier
die sogenannte Inkludenz
und Remanenz. Inkludenz
meint die Eingeschlossenheit
depressiver Persönlichkeiten
in eine innere Welt von Ordnung, Sauberkeit und Regelmäßigkeit. Ein Sich-Öffnen,
© Paulwip_pixelio.de
Loslassen, Verändern ist so
veranlagten Personen nur schwer möglich, so dass sie trotz äußerer Veränderungen
oder Entwicklungsanforderungen des Lebens an ihren alten Strukturen festhalten
und keine – einer veränderten Situation angemessene – Bewältigungsstrategien
erlernen, was schließlich in eine depressive Erkrankung münden kann.
Unter Remanenz versteht man das Zurückbleiben depressiv strukturierter
Menschen hinter ihren eigenen Normen, dem – meist völlig überhöhten – Leistungsanspruch an sich selbst. Diese Menschen haben die Tendenz, sich „die Latte
zu hoch zu hängen“, was zu dauerhafter Belastung und chronischem Erleben von
Misserfolg führt.
Die früher häufig angewandten Begriffe „endogene“ bzw. „reaktive“ Depression finden heute keinen Gebrauch mehr. Beide Bezeichnungen sind eng
mit Vorstellungen zur Depressionsentstehung verknüpft, die bei heutigem wis-
8
Charakteristika der Depression
senschaftlichen Kenntnisstand nicht aufrecht erhalten werden können. In dem
in Deutschland aktuell gebräuchlichen Diagnoseschlüssel werden sogenannte
„depressive Episoden“ beschrieben, die leicht, mittel oder schwer ausgeprägt sein
können. Dabei werden die vorbeschriebenen Symptome aufgeführt.
Der Schweregrad der Erkrankung wird anhand der Zahl und Kombination
der feststellbaren Symptome bestimmt. Diese müssen über einen Zeitraum von
mindestens zwei Wochen vorhanden sein. Über die Ursache der Depression macht
der gängige Diagnoseschlüssel keine Aussage. In einigen, oft besonders schweren
Fällen treten im Rahmen der Depression Wahnvorstellungen mit depressivem Inhalt
(z.B. Verarmungswahn) auf.
Viele Patienten erleben eine einzige depressive Episode in ihrem Leben. Es gibt
aber auch wiederholt auftretende depressive Erkrankungen (rezidivierende depressive Störung) sowie anhaltende depressive Verstimmungszustände, die subjektiv
äußerst unangenehm sein können, obwohl der Schweregrad einer depressiven
Episode nicht erreicht wird (Dysthymia). Darüber hinaus unterscheidet man Depressionen, die sich mit Zuständen krankhaft gehobener Stimmung abwechseln
(bipolare Störung) bzw. Erkrankungen, in deren Rahmen die Stimmung mit nicht
derart deutlichen Auslenkungen schwankt (Zyklothymie). Außerdem kennt man
Krankheitsbilder, bei denen neben einer krankhaft veränderten Stimmungslage
gleichzeitig auch Symptome einer Psychose bestehen (schizoaffektive Störung).
Verlauf
Wie bei allen anderen Erkrankungen ist auch der Verlauf einer Depression
nicht mit Sicherheit vorhersagbar. Prinzipiell ist jede denkbare auch eine mögliche
Verlaufsform.
Wichtig für den Patienten ist es, zu wissen, dass Depressionen sehr gut behandelbar und heilbar sind. Die Erkrankung hat eine günstige Prognose. Durch
die Therapie wird das Leiden verkürzt, einer Wiedererkrankung vorgebeugt. Im
Rahmen der Behandlung kommt es sehr oft zu einer sog. „undulierenden (wellenförmigen) Besserung“: Bei bestehenden Stimmungsschwankungen weist die
Gesamttendenz auf Besserung hin.
Entstehungsmodelle
9
Entstehungsmodelle
Vorbemerkung
Bis in die 1970er Jahre hinein gab es vor allem zwei unterschiedliche Lehrmeinungen zur Depressionsentstehung: einem biologisch-psychiatrisch orientierten
Modell stand ein eher psychologisch-psychotherapeutisches gegenüber.
Organisch orientierte Behandler hielten Depressionen für erbliche, „endogene“ Erkrankungen, deren Ursache im Körperlichen liege und die nur mit auf den
Körper zielenden Verfahren behandelt werden könnten.
Vornehmlich psychologisch denkende Therapeuten hingegen nahmen an, dass
Depressionen rein psychisch ausgelöst seien und als Reaktion auf Schwierigkeiten
in der Entwicklung bzw. belastende Lebensereignisse entstünden.
Heute weiß man, dass sowohl körperliche als auch seelische Faktoren in der
Krankheitsentstehung eine Rolle spielen. Dabei soll an dieser Stelle betont werden,
dass Depressionen explizit keine Erbkrankheiten im engeren Sinne sind. Erbliche
Faktoren sind vorhanden, spielen aber eine weit untergeordnete Rolle.
Obwohl also das Entstehungsgefüge für Depressionen komplex ist und nicht
eine Störung als alleinige Ursache angenommen werden kann, macht es Sinn, sich
für ein besseres Gesamtverständnis mit einzelnen Auslösemodellen zu beschäftigen. Einige werden im Folgenden kurz umrissen:
10Entstehungsmodelle
Biochemisches Modell
In der Depressionsforschung wurden zahlreiche körperliche Faktoren mit der
Verursachung der Erkrankung in Verbindung gebracht. Es gibt kaum ein Hormon
im Körper, das nicht irgendwann angeschuldet wurde, durch Mangel oder Überschuss Depressionen auszulösen. Praktisch alle diese Vermutungen konnten bisher
wissenschaftlich widerlegt werden. Aufgrund der Wirksamkeit und des Wirkmechanismus von Antidepressiva entdeckte man einen Zusammenhang zwischen dem
Entstehen der Depression und der relativen Menge von Botenstoffen im Gehirn:
Es handelt sich hierbei um Substanzen wie Adrenalin, Noradrenalin, Serotonin
u.a., die Informationen von Nervenzelle zu Nervenzelle vermitteln. Im Rahmen
von Depressionen ist das Verhältnis dieser Stoffe gestört in dem Sinne, dass einer
oder mehrere relativ zu wenig vorhanden ist/sind. Über welchen Mechanismus
nun diese Veränderungen die Stimmung beeinträchtigen, ist nicht geklärt. Man
vermutet, dass durch das verminderte Einwirken der Überträgersubstanzen auf
deren Bindungsstellen am Nervenende diese verändert und hierüber kaskadenartig Prozesse ausgelöst werden, die schließlich in den beschriebenen depressiven
Symptomen zur Äußerung kommen.
Verstärker-Verlust-Modell
Depressive Menschen hören Lob nicht oder kaum. Tadel dagegen nehmen
sie sich sehr und oft übermäßig zu Herzen. Auf diese Weise finden depressiv Er-
Rückzug/Antriebsminderung
Depressivität
Mangel an
positiven Verstärkern
Entstehungsmodelle
11
krankte wenig Motivation aktiv zu werden, haben sie doch die Erwartung, in der
Regel „wieder“ eine Negativerfahrung zu machen. Positive Verstärker wie Lob,
Anerkennung, Erfolg usw. treten nun aber mit der Abnahme von Aktivität und
Außenkontakten zunehmend seltener auf, so dass durch den depressiv bedingten
Rückzug die Erkrankung in einer Art Teufelskreis weiter verstärkt wird.
Kognitives Modell
(lat. cognoscere = ,erkennen‘, ,erfahren‘, ,kennenlernen‘)
Kognitive Modelle der Depressionsentstehung beschäftigen sich mit der Art zu
denken, zu urteilen, zu werten und den sich ergebenden Einstellungen, Meinungen, Absichten. Besonders bekannt ist das kognitive Modell von Aaron Temkin
Beck. Dieser nimmt an, dass Depressionen aufgrund fehlerhaft negativer Denkgewohnheiten entstehen. Durch negative Lebenserfahrungen entstünden unangemessene Grundannahmen wie z.B. „ich habe immer Pech“, „mit mir kann man’s
ja machen“ usw.. Diese würden in Stresssituationen betont wahrgenommen. Aus
den Annahmen folgten negative Urteile und entsprechend ungünstige Handlungsweisen. Es resultieren negative Erfahrungen, die die negativen Wahrnehmungen
zu bestätigen scheinen, so dass im Verlauf ein Teufelskreis entsteht, aus dem man
ohne äußere Unterstützung nur schwer entkommen kann.
Die meisten der Denkfehler sind derart eingeschliffen, dass sie sich der subjektiven Wahrnehmung geradezu entziehen, quasi „automatisch“ erfolgen. Erst in
der Rückschau und bei genauer Analyse der Situation fällt dem Betroffenen auf,
welche Denkvorgänge seinem (schlechten) Befinden zugrunde lagen.
Typische depressive Gedanken und Denkfehler:
➢ Übergeneralisierung (aus einem einzigen Ereignis werden allgemeine Gesetzmäßigkeiten formuliert)
➢ Personalisieren (insbesondere negative Ereignisse werden auf sich selbst
bezogen)
➢ Dichotomes Denken (Denken nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip)
➢ Maximieren / Minimieren (negative Erfahrungen werden übertrieben,
positive heruntergespielt)
12Entstehungsmodelle
➢Katastrophisieren
➢ Selektive Abstraktion (willkürlich herausgegriffene Details werden
überbewertet)
Typische negative Bewertungen:
➢ Negative kognitive Triade (das Selbst, die Umwelt und die Zukunft wer-
den negativ bewertet)
Therapeutisch werden mit den Patienten die „Denkfehler“ identifiziert und
durch einen Abgleich mit der Realität korrigiert.
Kognitives Modell der erlernten Hilflosigkeit
Der amerikanische Psychologe Martin Seligmann war maßgeblich an der
Entwicklung der Theorie von der „erlernten Hilflosigkeit“ beteiligt. Erlernte Hilflosigkeit entsteht, wenn Bedürfnisse trotz gegenteiliger Bemühungen nicht befriedigt werden (z.B. obwohl der Säugling schreit, erhält er keine Nahrung). Infolge
solcher Erfahrungen von Hilf- oder Machtlosigkeit wird der Versuch nicht mehr
unternommen, unangenehme Zustände abzustellen (wobei die individuelle kognitive Verarbeitung des Erlebten eine wesentliche Rolle spielt). Die resultierende
passiv-resignative Grundhaltung mündet schließlich in depressives Erleben.
Psychoanalytische Modelle
Abraham
Der deutsche Psychoanalytiker Karl Abraham (1877 – 1925) betonte im Zusammenhang mit Depressionen vor allem die bei den Patienten zu beobachtende
Aggressionshemmung und vermutete in dieser die Ursache für die Erkrankung.
Tatsächlich sind viele depressive Menschen nicht in der Lage, sich angemessen
aggressiv mit ihrer Umgebung auseinanderzusetzen. Diesem Umstand wird in unterschiedlichen Therapieansätzen Rechnung getragen, wenngleich die festgestellte
Gehemmtheit durchaus oft als Folge (nicht Ursache) der Erkrankung interpretiert
werden kann.
Entstehungsmodelle
13
Dominante Bezugsperson
Bekannt wurde die Theorie von der dominanten Bezugsperson insbesondere
durch Veröffentlichungen der amerikanischen Psychiater Silvano Arieti und Jules
Bemporad. Angenommen wird im Grunde eine von Kindesbeinen an bestehende
Ausrichtung des eigenen Lebens an den Realitäten der Anderen. Menschen, die
in der Kindheit nicht gelernt haben, auch eigene Wünsche in den Vordergrund zu
stellen, statt dessen ihr Handeln am tatsächlichen oder vermuteten Willen einer
anderen Person (der dominanten Bezugsperson) orientieren, können sehr lange unauffällig und glücklich
leben. Sie sind zufrieden, wenn „man“ mit
ihnen zufrieden ist. Die
ursprüngliche Bezugsperson wechselt dabei
fast regelhaft: Handelt
es sich zunächst z.B. um
die Mutter, kann in der
Folge eine Freundin, ein
Lehrer, der Chef, die Firma, der Beruf usw. die
dominante Position ein© Paul-Georg Meister_pixelio.de
nehmen. Wesentlich ist,
dass die Betroffenen ihr Leben nicht nach sich selbst und dem eigenen Erleben,
sondern der dominanten Bezugsperson ausrichten. Fällt diese nun weg, fehlt dem
Patienten jede Orientierung, zumal kein Zugang zum eigenen Erleben vorhanden
ist, eigene Präferenzen erst erspürt und erarbeitet werden müssen, bevor erlernt
werden kann, diese als Ziele zu verfolgen. Die dominante Bezugsperson ist darüber hinaus für die Selbstwertregulation von wesentlicher Bedeutung, resultiert
doch die innere Zufriedenheit aus dem Lob des Gegenübers. Auch unter diesem
Gesichtspunkt kann der Wegfall einer dominanten Bezugsperson Depressionen
auslösen.
In der Behandlung müssen diese Zusammenhänge transparent gemacht und
bearbeitet werden. Eine autonomere Lebensführung und Selbstwertregulation
sind die wesentlichen Ziele der therapeutischen Bemühungen.
14Entstehungsmodelle
Zusammenfassung
Um übersichtlich zu bleiben, wurden an dieser Stelle nur ausgewählte Überlegungen zur Entstehung von Depressionen dargestellt. Wichtig ist im Kopf zu
behalten, dass nicht eine der Theorien die Richtige ist. Elemente aller aufgeführten
Theorien finden sich bei jedem (Patienten) in unterschiedlich starker Ausprägung.
Die Depression selbst ist als multikausales Geschehen (komplexes Bedingungsgefüge) zu begreifen.
Man geht heute davon aus, dass Menschen mit einer bestimmten Neigung
depressiv zu reagieren (einer so genannten Praedisposition) später an Depressionen
erkranken können. Diese Praedisposition ist nicht vererbt, sondern biochemisch
und entwicklungsgeschichtlich bedingt. Zum Ausbruch kommt die Erkrankung bei
prädisponierten Menschen, wenn bedeutsamer Stress einwirkt:
Biochemische Disposition
(Balance der Botenstoffe)
Entwicklungsgeschichtliche
Disposition
(Typus Melancholicus, Verhalten, Kognitive Verarbeitung, Hilflosigkeit, Aggressionshemmung, dominante Bezugsperson)
Praedisposition
+
Einwirkung von Stressoren: Verlust, chronischer
Stress, Belastung am Arbeitsplatz, Trennung,
Berentung, Auszug der Kinder u.v.a.
Depression
Behandlung15
Behandlung
Vorbemerkung
Entsprechend der Vorstellung von der Entstehung einer Depression durch ein
multifaktorielles Geschehen greift die Behandlung idealerweise auch an verschiedenen Ansatzpunkten an. Dabei ist es notwendig, mit dem Patienten ein speziell
auf seine Situation zugeschnittenes Therapiekonzept mit individueller Schwerpunktsetzung zu erarbeiten.
Medikamentöse Therapie
Antidepressiva
Die Entwicklung von speziell gegen die Depression gerichteten Medikamenten
erfolgte in den 1960er Jahren. Ihre Entdeckung ist der zufälligen Beobachtung
zu verdanken, dass Patienten, die ein bestimmtes Blutdruckmittel (Reserpin®,
Wirkstoff: Briserin) einnahmen, häufig depressiv wurden. Folgerichtig wurden
Medikamente mit gegenteiliger Wirkung entwickelt und diese milderten tatsächlich depressive Symptome.
Grundsätzlich muss darauf hingewiesen werden, dass die Antidepressiva nicht
derart durchgreifend gegen Depressionen wirksam sind, wie viele Jahre angenommen wurde. Bei einigen Erkrankten sind sie durchaus verzichtbar. Umso wichtiger
erscheint ein sorgfältiger Umgang mit den Pharmaka, zumal sie zum Teil auch
beachtenswerte Nebenwirkungen hervorrufen können.
Im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte wurde eine große Zahl an Antidepressiva entwickelt. Die einzelnen Medikamente unterscheiden sich zum einen im
Botenstoff, den sie manipulieren, zum anderen durch den Mechanismus, mit dem
diese Wirkung erzielt wird. Gemeinsam ist allen, dass sie die Wirkintensität eines
oder mehrerer Neurotransmitter (Adrenalin, Noradrenalin, Serotonin) beeinflussen.
Antidepressiva heilen Depressionen nicht, sie können aber eine Verbesserung
von Stimmung und Antrieb verursachen, eine gewisse innere Stabilität verleihen,
die es dem Patienten ermöglicht, eine Psychotherapie besser oder überhaupt zu
nutzen.
16Behandlung
Wichtig ist zu wissen, dass
Antidepressiva nicht sofort wirken. Bis erste antidepressive
Effekte verspürt werden, können durchaus drei Wochen
vergehen. Anders als zum Beispiel bei Schmerzmitteln hilft es
auch nicht, an einem besonders
schlechten Tag besonders viel
von dem Antidepressivum zu
konsumieren. Bedeutsam ist es
hingegen, die vorgeschriebene
Dosis über einen längeren Zeitraum regelmäßig einzunehmen. Nur so ist ein Medikamenteneffekt zu erzielen.
Die Medikamentenwirkung tritt in einer immer gleichen zeitlichen Abfolge auf:
In der Anfangsphase machen viele Antidepressiva müde, was gut genutzt werden kann, um beispielsweise Schlafstörungen effektiv mitzubehandeln. Während
der zweiten Phase (etwa 1-2 Wochen nach Beginn der Einnahme) verursachen
einige Antidepressiva eine sog. Antriebssteigerung. Diese Phase wird oft als sehr
unangenehm empfunden und ist dadurch gefährlich, dass die Antriebssteigerung
(bei noch nicht erfolgter Stimmungsaufhellung) der Umsetzung suizidaler Impulse den Weg bahnen kann. Wesentlich ist es, diese Phase als solche zu erkennen
und zu interpretieren. Denn tritt die Antriebssteigerung auf, folgt mit ziemlicher
Sicherheit in der dritten Phase (2-3 Wochen nach Beginn der Einnahme) die Stimmungsaufhellung.
Einige der Medikamente können von Anfang an in der Zieldosis genommen
werden, andere müssen über mehrere Tage aufdosiert werden.
Je nach Medikament ist mit unterschiedlichen Nebenwirkungen zu rechnen,
diese sind zum Beispiel:
➢ Veränderung des Blutdrucks
➢ Veränderung der Herzfrequenz
➢ Veränderung der Reizleitung am Herzen (sogenannte QTc-Zeit Verlänge-
rung mit Gefahr einer Entwicklung von Herzrhythmusstörungen)
Behandlung17
➢Mundtrockenheit
➢Verdauungsstörungen
➢ Gewichtzunahme (seltener auch -abnahme)
➢Schwitzen
➢Übelkeit
➢Müdigkeit
➢ Schäden an Herz, Leber, Niere
➢ Senkung der Schwelle zur Auslösung von Krampfanfällen
Das Risiko des Auftretens möglicher Nebenwirkungen wird durch entsprechende Kontrolluntersuchungen (Laborwerte, EKG, EEG) minimiert.
Beruhigungsmittel
Als Beruhigungsmittel werden verschiedene Substanzklassen eingesetzt:
Tranquilizer
Tranquilizer dienen insbesondere der Beruhigung und Entspannung; zusätzlich
führen sie zur Muskelerschlaffung, lösen Angst und wirken krampflösend. Diese
Wirkstoffe gehören zur Gruppe der sogenannten Benzodiazepine. Abgesehen von
den sehr seltenen Fällen „paradoxer“ Reaktionen (der Patient wird unruhig statt
ruhig) treten die beschriebenen Wirkungen sehr zuverlässig ein. Die Medikamente
sind sehr gut verträglich und gut mit anderen Tabletten kombinierbar. Aufgrund
der außerordentlich hohen Gefahr einer Abhängigkeitsentwicklung muss mit
diesen Medikamenten aber sehr vorsichtig umgegangen werden. Ihr Einsatz ist
der kurzfristigen Krisenintervention vorbehalten.
Niederpotente Neuroleptika
Hierunter werden Medikamente verstanden, die schwerpunktmäßig aus der
Gruppe der Antipsychotika stammen. Aber die zur Schlafförderung verwandten
Substanzen haben dabei eine ganz im Vordergrund stehende beruhigende Wirkung und kaum Effekte auf psychotische Symptome. Die Wirkung tritt in der Regel
recht zuverlässig ein, wobei Nebenwirkungen relativ oft auftreten und sich besonders in Form von Bewegungsstörungen zeigen. Bis auf Melperon, Pipamperon und
18Behandlung
Promethazin sind die meisten der hier in Frage kommenden Medikamente nicht
als Beruhigungs- oder Schlafmittel im Rahmen von Depressionen zugelassen. Ihre
Verordnung erfolgt dann als so genannte „Off-label“-Gabe.
Andere
Hierhin gehören verschiedene traditionell eingesetzte Medikamente, z.B. auch
Phythotherapeutika wie Baldrian oder Johanniskraut.
Antipsychotika
Als Antipsychotika oder auch hochpotente Neuroleptika bezeichnet man Medikamente, die in erster Linie gegen Schizophrenien verwandt werden. Im Rahmen
der Depressionsbehandlung finden sie gelegentlich Einsatz zur
➢ Beseitigung depressiver Wahnvorstellungen
➢ Milderung von depressivem Gedankenkreisen
➢ Prophylaxe manischer (weniger depressiver) Krankheitsphasen.
Medikamente zur Phasenprophylaxe
Bei wiederkehrenden depressiven Phasen bzw. sog. „bipolaren“ (manisch-depressiven) Erkrankungen können bestimmte Medikamente das Wiederauftreten von Krankheitsphasen verzögern oder sogar verhindern. Hierher gehören
z.B. Valproinsäure, Lamotrigin, Lithium, verschiedene hochpotente Neuroleptika,
Carbamazepin.
Psychotherapie
Im Rahmen der Psychotherapie depressiver Erkrankungen erfolgt zunächst die
genaue Erhebung der Lebensgeschichte des Betroffenen. Auf diese Weise können
vor dem Lebenshintergrund des Patienten erste Hypothesen von den Ursachen,
die zur Krankheitsentstehung beigetragen haben, erarbeitet und entsprechende
Lösungswege entwickelt werden. Möglicherweise gelingt die Übertragung der
Situation des Betroffenen auf eines der beschriebenen Entstehungsmodelle. Entsprechend der gemeinsam entwickelten Schwerpunktsetzung erfolgt die Ausrichtung vor allem der Einzelgespräche.
Behandlung19
Spezialtherapien
Ein wesentlicher Pfeiler insbesondere der stationären Depressionsbehandlung sind spezielle, unterschiedlich orientierte Behandlungsverfahren:
•Ergotherapie (als „klassisches“ Angebot [Arbeit mit verschiedenen
Materialien], sowie z.B. als themenzentriertes Malen, Literaturzirkel,
berufsbezogene Unterstützung, Projektgruppe)
•Bewegungstherapie (Körperliche Aktivität ist stark antidepressiv wirksam. Im Rahmen der Bewegungs- und Sporttherapie sind verschiedene Ansätze empfohlen, z.B. Gymnastik, Feldenkrais, Pilates, Thai Chi, aber auch Mann-
schaftsspiele, populäre Sportarten, Tanzen usw.)
•Entspannungsverfahren (z.B. progressive Muskelrelaxation, autogenes
Training)
•Stressbewältigung
•Musiktherapie (als nonverbale Methode, Zugang zu sich und seinem
Gefühlsleben, der persönlichen Motivbildung, aber auch zum Körper, zur
bewussten Selbstwahrnehmung zu finden und mit den so gewonnenen
Erkenntnissen zu arbeiten)
• Akupunktur, Akupressur, Reiki
• Informations- und Trainingsgruppen (z.B. Genusstraining, soziales
Kompetenztraining, emotionales Kompetenztraining, Achtsamkeitsübungen, Depressionsinformationsgruppe, STEPPS)
•Depressionsbewältigungsgruppe
20Behandlung
Soziotherapie
Die Soziotherapie der Depression umfasst zunächst das Leben im Stationsalltag, den Umgang mit Mitpatienten, aber auch den – oftmals extrem hilfreichen
– Austausch mit diesen.
Speziell ausgebildete Sozialarbeiter unterstützen die Patienten bei der Regelung von Schwierigkeiten mit Behörden oder Ämtern, im Bereich beruflicher
Probleme oder auch der Wiedereingliederung in den Lebensalltag.
Therapiephasen
21
Therapiephasen
Die stationäre Behandlung der Depression
gliedert sich in drei Phasen:
➢ Aufnahmephase
Während der „Aufnahmephase“ (ca. 1 - 2 Wochen) gewöhnt der Patient sich in
den Stationsalltag ein. Er findet Ruhe und Abstand zum häuslichen Geschehen
und nimmt am „Basistherapieprogramm“ teil. In den Einzelgesprächen werden
erste Krankheitshypothesen gebildet und Therapieziele erarbeitet.
➢ Behandlungsphase
Die „Behandlungsphase“ (ca. 3 - 4 Wochen) nimmt den größten Teil der Therapie in Anspruch. Hier erfolgt die intensive Auseinandersetzung mit dem Krankheitsgeschehen. Die Patienten werden in für sie geeignete Gruppentherapien
eingebunden, ggf. findet eine medikamentöse Einstellung statt.
➢ Entlassungsphase
In der „Entlassungsphase“ (ca. 1 - 2 Wochen) erfolgt die Vorbereitung des
Patienten auf sein häusliches Umfeld. Ggf. wird die berufliche Perspektive
geklärt, eine Wiederkehr an den Arbeitsplatz vorbereitet. Unbedingt muss die
Notwendigkeit einer ambulanten Weiterbehandlung besprochen und diese
initiiert werden. Auch ist zu prüfen, inwiefern der Patient einer aufsuchenden
Nachbetreuung bedarf.
22 Umgang mit der Depression
Umgang mit der Depression
und depressiven Angehörigen –
goldene Regeln:
• Die Depression ist eine echte Krankheit! Sowohl der Patient als auch seine Angehörigen sollten Verständnis hierfür entwickeln.
• Jede Depression ist heilbar!
•
Weder der Patient noch seine Angehörigen sollten während der Erkran-
kung wichtige Entscheidungen treffen. Die Gefahr, dass nach Abklingen der Krankheitssymptome die Situation völlig anders eingeschätzt wird, ist hoch.
• Typisch für den Verlauf der Depression ist eine wellenförmige Rückbil-
dung der Symptome. Überforderungen während der ersten Besserungspha-
sen sollten vermieden werden.
• Gegen eine echte, schwere Depression helfen weder Kur noch Urlaub. Im
Gegenteil kommt es aufgrund der dort fehlenden äußeren Strukturvorgaben in der Regel zu einer Verschlechterung der Symptome.
• Für die Betroffenen ist es wichtig, Aktivitäten aufrecht zu erhalten. Dabei
sollten sowohl Unter- als auch Überforderungen vermieden werden. Folglich sollte die Umgebung den Patienten zum Handeln einladen, ohne ihn zu sehr einzuspannen.
•
Angehörige sollten den Patienten während der Therapie besuchen.
Der Betroffene fühlt sich dann nicht im Stich gelassen. Außerdem verfügen Angehörige oft über wichtige Informationen, die sie an die Behandler weiter geben können.
Umgang mit der Depression •
23
Angehörige sollten Geduld im Umgang mit dem Depressiven üben. Dabei
ist es wichtig, sich nicht selbst zu überfordern. Depressionen und depressive Stimmungen haben die Tendenz, auf das Umfeld abzufärben, sie stecken in diesem Sinne an. Wichtig für Angehörige ist es, die Grenzen der eigenen
Belastbarkeit zu erkennen und zu respektieren.
• Informationen über möglicherweise bedrohliche Vorhaben des Betroffenen, z.B. Suizidgedanken oder -absichten, sollten umgehend den Therapeuten mitgeteilt werden.
• Sowohl der Patient als auch seine Angehörigen müssen lernen, Hilfe
anzunehmen.
• Angehörige sollten nicht versuchen, unbedingt guter Dinge zu sein.
Wichtiger sind Echtheit, Zulassen von Ärger und eigenen Enttäuschungen, nicht aber deren Ausleben gegen den Patienten.
• Es ist günstig, den Tagesablauf gemeinsam mit dem Patienten zu
strukturieren und zu planen.
Notfälle
Beim Auftreten folgender Zustände / Symptome sollte unbedingt
sofort professionelle Hilfe eingeschaltet werden: Suizidalität, Wahn-
vorstellungen.
Wir hoffen, mit dieser kurzen Information zu Ihrer Orientierung
beigetragen zu haben und wünschen sowohl den Betroffenen als auch den Angehörigen GUTE BESSERUNG.
Die Teams der Abteilung Depressionsbehandlung
LWL-PsychiatrieVerbund Westfalen
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