Keimzellentwicklung im Zebrafisch - Max-Planck

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Raz, Erez | Keimzellentwicklung im Zebrafisch
Tätigkeitsbericht 2005
Entwicklungs- und Evolutionsbiologie/Genetik
Keimzellentwicklung im Zebrafisch
Raz, Erez
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Göttingen
Selbständige Nachwuchsgruppe - Keimzellentwicklung (MPG/Weizmann)
Korrespondierender Autor: Raz, Erez
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Tiere bestehen aus zwei Hauptzelltypen: somatischen Zellen, welche für die Entwicklung und das
Überleben eines Organismus verantwortlich sind, und Keimzellen, die sich zu Eizellen beziehungsweise Spermien differenzieren und die Entstehung eines neuen Organismus in der nächsten Generation
ermöglichen. Eine Nachwuchsgruppe am Göttinger MPI für biophysikalische Chemie studiert die
Entwicklung der Keimzellen im Zebrabärbling (Zebrafisch, Danio rerio), wobei die Wissenschaftler um Erez Raz insbesondere die molekularen Grundlagen der frühen Keimzellentwicklung und die
Interaktion zwischen somatischen Zellen und Keimzellen in diesem Zeitfenster der Entwicklung zu
verstehen suchen. Sie analysieren die Mechanismen, die bei der Auftrennung der Soma- und Keimzellenpopulation eine Rolle spielen, sowie die Mechanismen, welche für die Wanderung der Keimzellen
zu den sich entwickelnden Gonaden verantwortlich sind. Die Gonade ist das Organ, in dem sich die
Keimzellen zu Spermien oder Eizellen weiterentwickeln. Durch die Verwendung von Mutationen, die
die somatische Entwicklung beeinträchtigen, können die Wissenschaftler bestimmen, ob somatische
Zellen Signale absondern, die essenzielle oder unterstützende Funktionen in der Keimzellentwicklung
haben. Umgekehrt analysieren sie, wie sich die somatischen Zellen entwickeln, wenn die Keimzellentwicklung blockiert ist.
Abstract
Animals are made of two major cell types, somatic cells that are responsible for the development and
survival of the organism (e.g. muscle cells, cells in the nervous system etc.) and germ cells that are
responsible for the generation of a new organism in the next generation by forming sperm and eggs.
Scientists at the MPI in Göttingen are studying the development of germ cells in zebrafish, a vertebrate
model organism that offers numerous advantages for such studies. Importantly, zebrafish embryos develop outside the body of the mother and are translucent allowing us to easily observe the germ cells
within the live animal. Moreover, in studying the development of the cells we can use a large number
of genetic techniques such as reducing the level of specific proteins, expression of different genes in
different positions in the embryo etc. The research focus of our group is the understanding of the molecular basis for early germ cell development and behavior as well as studying the interaction between
somatic and germ cells. To this end we analyze the mechanisms that are responsible for the segregation of the somatic and germ cell populations and the mechanisms responsible for the migration of the
cells towards the gonad, the organ in which they generate sperm and eggs. Using mutations affecting
the development of somatic cells we can determine whether the somatic cells provide the germ cells
with signals important for their development and conversely, we analyze the development of somatic
cells in which germ cell development is blocked.
Beim Zebrafisch handelt es sich um ein Vertebratenmodell, das viele Vorteile und Möglichkeiten
bietet. Zebrafisch-Embryonen entwickeln sich außerhalb der Mutter und sind optisch transparent, was
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den Forschern erlaubt, die Keimzellen im lebenden Organismus zu beobachten. Zudem haben sie eine
große Anzahl genetischer Methoden zur Keimzellerforschung zur Verfügung, die es ermöglichen, zum
Beispiel spezifische Proteine zu reduzieren oder die Expression von Genen an spezifischen Stellen
innerhalb des Embryos zu induzieren.
Auftrennung Keimzellen – somatische Zellen
Wie in vielen anderen Organismen entwickeln sich die Keimzellen im Zebrafisch aus einer kleinen
embryonalen Zellpopulation, die spezifische RNA (Ribonukleinsäuren) und Proteine erbt, welche im
Ei der Mutter abgelagert wurden. Erez Raz und sein Team haben diesen Schritt der Keimzellentwicklung studiert und herausgefunden, dass der einfache Mechanismus in Wirklichkeit aus einer Vielzahl
molekularer Ereignisse besteht, die auf der Expression spezifischer RNAs und Proteine in den Keimzellen basieren. Sie konnten zum Beispiel zeigen, dass einige RNA-Moleküle am Anfang nicht ausschließlich in der Region lokalisiert sind, in welcher sich die Keimzellen spezifizieren (Abb. 1, linkes
Bild). Eine Kombination aus effizientem Abbau der RNA in somatischen Zellen sowie der Stabilisierung in den Keimzellen resultiert in einer spezifischen Expression dieser Moleküle in den Keimzellen.
(Abb. 1, mittleres und rechtes Bild). In ähnlicher Weise konnten die Göttinger zeigen, dass der Mechanismus der differentiellen Stabilität auch für Proteine zutrifft und somit die spezifische Expression von
Keimzellfaktoren garantiert wird.
Diese Erkenntnisse hatten wichtige praktische Implikationen in der Erforschung der Keimzellentwicklung. Die RNA- und Proteinregionen, die für die Keimzellen-spezifische Expression verantwortlich
sind, konnten charakterisiert und dazu verwendet werden, relevante Proteine spezifisch in den Keimzellen zu lokalisieren.
Abb. 1: Anpassung des Expressionsmusters von RNA, die Keimzellen-spezifisch wird. Ein Beispiel für eine RNA,
die in den Keimzellen und somatischen Zellen während der frühen Entwicklung (3 Stunden) detektiert wird, dann
aber sehr schnell in den somatischen Zellen abgebaut wird mit dem Ergebnis einer Keimzellen-spezifischen
Expression (4.5 und 24 Stunden).
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Die spezifische Expression eines fluoreszierenden Proteins in den Keimzellen ermöglicht es, dynamische Prozesse innerhalb der Keimzelle zu verfolgen (z. B. durch Beobachtung von zellulären
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Strukturen) sowie das Verhalten dieser Zellen (z. B. Zellmigration) innerhalb des intakten Embryos zu
betrachten (Abb. 2).
Keimzellmigration
Die Tatsache, dass Keimzellen sich sehr früh in der Embryogenese entwickeln, noch bevor somatisches Gewebe der Gonaden entstanden ist, stellt ein interessantes Phänomen dar. Um Spermien und
Eizellen zu produzieren, müssen sich die Keimzellen mit somatischem Gewebe verbinden, welches
sich erst später entwickelt und oft in großer Entfernung von den spezifizierten Keimzellen. Daher
müssen diese dorthin wandern, ein Prozess, der als allgemeines Modell für Zellmigration dienen kann
(z.B. in der Organogenese oder in Metastasierungsprozessen). Im Zebrabärbling migrieren die Keimzellen von vier Startpositionen zu einem spezifischen Ziel, der Region, wo sich die Gonaden entwickeln und wo später Spermien und Eizellen produziert werden (Abb. 1).
Abb. 2: Expression von Keimzell-spezifischen Proteinen. Ein Beispiel für die Expression von Fluoreszenzproteinen unter Verwendung von spezifischen RNA-Sequenzen, die zu einer spezifischen Expression innerhalb der
Keimzellen führen. Die Expression eines grün fluoreszierenden Proteins, welches an die Membran bindet, eines
blau fluoreszierenden Proteins, das im Nukleus lokalisiert ist und eines rot fluoreszierenden Proteins, das sich
spezifisch an Granulate um den Zellkern bindet, die spezifisch sind für Keimzellen in lebenden Zebrafisch-Embryonen.
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Das Studium des Prozesses der Zellmigration in mutanten Embryonen, in welchen die somatischen
Zellen sich nicht normal entwickeln, gab wichtige Hinweise auf die Mechanismen, mit denen die wandernden Zellen ihr Ziel erreichen. Eine wichtige Erkenntnis bestand darin, dass die somatischen Zellen
die wandernden Zellen mit Signalen zu verschiedenen Geweben hinführen. In Fällen, wo die somatischen Zellen sich nicht normal entwickelten, fehlten teilweise diese Signale. Dies führte dazu, dass
die Migration der Keimzellen abnormal verlief und sie plötzlich außerhalb ihrer normalen Positionen
lokalisiert waren (Abb. 3). Die Identität dieser Signale konnte durch einen systematischen Screen für
Proteine, deren Funktion essenziell ist für normale Keimzellmigration, aufgedeckt werden. In diesem
Screen haben die Forscher ein sekretiertes, 100 Aminosäuren langes Protein der Chemokine-Familie
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identifiziert – SDF1a und sein Rezeptor CXCR4b sind Moleküle, die eine entscheidende Rolle in der
zielgerichteten Migration der Keimzellen spielen. Für SDF-1- und CXCR4-Moleküle konnte gezeigt
werden, dass sie in einem weiten Spektrum von Zellmigrationsprozessen in der embryonalen Entwicklung und der Homöostase, z. B. Stammzellenmobilisation oder neuronale Zellmigration, involviert
sind, sowie in Krankheiten, z. B. Metastasen oder Entzündungen. Interessanterweise ist SDF-1a in
Geweben exprimiert, zu denen die Keimzellen wandern. Dies stimmt mit der Idee überein, dass dieses
Molekül als Anziehungssignal für die Keimzellen dient. Wenn man die Expression von SDF-1a in
den produzierenden somatischen Zellen reduziert oder CXCR4b in den Keimzellen, erhält man einen
starken Migrations-Defekt.
Abb. 3: Ein Beispiel für die Wichtigkeit von Signalen der somatischen Zellen für die normale Keimzellmigration.
In den Wildtyp-Embryonen erreichen die Keimzellen ihr Ziel (violette Zellen im linken Bild ). Im Vergleich dazu
führen abnormale Signale von somatischen Zellen zu einem Abweichen des normalen Migrationsmusters (violette Zellen im rechten Embryo, welche sich ektopisch im Schwanz und Kopf befinden).
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Dennoch, Keimzellen die das CXCR4b-Rezeptor-Signal nicht haben, behalten ihre Migrations-Eigenschaft, können jedoch nicht mehr zielgerichtet wandern und erreichen daher ihr Ziel nicht mehr (Abb.
4). Ein wichtiger Punkt: Raz und seine Mitarbeiter konnten zeigen, dass dieselben Moleküle, die die
Keimzellen im Zebrabärbling steuern, auch in den Keimzellen von höheren Organismen wie Mäusen
und Hühnern eine Rolle spielen.
Signale zwischen Keimzellen und somatischen Zellen
Die somatischen Zellen produzieren also Signale, die wichtig sind, damit die Keimzellen ihr Ziel erreichen: den Ort, wo sie dann Spermien (in Männchen) und Eier (in Weibchen) produzieren. Die Analyse
der frühen Stadien der Entwicklung dieser Zellen gab den Göttinger Wissenschaftlern die Möglichkeit,
auch die umgekehrte Frage zu stellen und zu bestimmen, ob die Keimzellen die somatischen Zellen in
deren Entwicklung beeinflussen. Sie haben herausgefunden, dass die Funktion eines Genprodukts, des
RNA-bindenden Proteins Dead end, essenziell für das Überleben der Keimzellen ist. Daher haben sie
die Funktion von Dead end in Embryonen eliminiert und so Embryonen generiert, die keine Keimzellen mehr besitzen. Wie erwartet haben sich die Embryonen ohne Keimzellen zu unfruchtbaren erwachsenen Fischen entwickelt.
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Abb. 4: Die Wichtigkeit des Chemokine-Signals für die zielgerichtete Keimzellen-Migration. Im Gegensatz zum
Wildtyp-Embryo, in welchem alle Keimzellen das Zielgewebe erreichen (weiße Zellen im linken Bild), sind die
Keimzellen, in denen die Funktion des Chemokine-Rezeptors CXCR4b inhibiert ist (weiße Zellen im rechten
Bild), im ganzen Embryo verstreut und erreichen ihr Zielgewebe nicht mehr.
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Überraschenderweise hatten all diese unfruchtbaren Fische ohne Keimzellen ein männliches Aussehen
(Abb. 5). Weitere Analysen haben gezeigt, dass die somatischen Zellen, die sich normalerweise mit
den Keimzellen assoziieren, in Abwesenheit von Keimzellen nicht mehr die Gonaden bilden. Durch
diese Ergebnisse kamen Raz und seine Mitarbeiter zu dem Schluss, dass die Keimzellen wichtig sind
für die somatische Entwicklung der Gonaden und dass dieses Organ essenziell für die Entwicklung zu
einem weiblichen Fisch ist. Dieses Resultat zeigt die Wichtigkeit der Keimzellen in der Geschlechtsdifferenzierung bei Fischen auf und kann praktische Konsequenzen für die Fisch-Ökologie haben, da
die Beeinflussung der Migration und das Überleben dieser Zellpopulation das Geschlechterverhältnis
verändert und somit einen drastischen Einfluss auf die Populationsgröße haben kann.
Abb. 5: Die Rolle der Keimzellen in der Geschlechterentwicklung. Wildtyp-Embryonen mit normalen Keimzellen
(roter Pfeil) entwickeln sich zu männlichen und weiblichen Zebrafischen. Im Gegensatz dazu entwickeln sich die
Embryonen, welche keine Keimzellen mehr besitzen, ausschließlich zu sterilen Fischen mit männlichem Erscheinungsbild (rechtes Bild).
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Zukunftspläne
Obwohl in den letzten Jahren viel über die Mechanismen der Auftrennung von Keimzellen und somatischen Zellen erforscht wurde, fehlt noch immer das molekulare Verständnis dieser Prozesse. Daher
konzentrieren sich die Göttinger Forscher auf die Identifizierung und Analyse weiterer Faktoren, die
eine Rolle in diesen Prozessen spielen. Zurzeit „screenen” sie auf Proteine und RNA-Moleküle, die
physisch mit bekannten Molekülen interagieren, außerdem führen sie einen Screen durch, um neue
Keimzell-exprimierte Gene zu finden. Zusätzlich versuchen die Nachwuchsforscher, den molekularen
Mechanismus zu verstehen, der das SDF-1a-Signal in eine zielorientierte Migration der Keimzellen
umwandelt. Sie konzentrieren sich dabei auf so genannte Second Messenger (Moleküle, die das Signal weiterleiten) sowie auf bekannte Regulatoren für Zellmorphologie, Verhalten und Migration, wie
beispielsweise Calcium-Ionen, Phospholipide und kleine GTPasen der Rho-Familie.
Die Göttinger hoffen, dass ihre Forschungsergebnisse zu einem detaillierten Verständnis dieser wichtigen Aspekte von zellulärem Verhalten in einem In-vivo-Modellsystem (im lebendigen Organismus)
führen.
Die molekularen Mechanismen, die Keimzellmigration und Entwicklung steuern, sind größtenteils
gleich bei den Keimzellen in verschiedenen Spezies sowie auch zwischen Keimzellen und anderen
Zellarten. Diese Tatsache macht das Zebrafisch-Keimzellenmodell zu einem sehr interessanten Forschungsfeld in der Zell- und Entwicklungsbiologie.
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