Kryokonservierung – Leben in der Kältestarre

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Kryokonservierung – Leben in der Kältestarre
Der Begriff Kryokonservierung (engl. Cryopreservation) setzt sich aus dem griechischen
Wortteil „kryos“ „Kälte“ und dem lateinischem Wort „conservare“ „Aufbewahren“
zusammen. Kryokonservierung beschreibt den Prozess des Abkühlens und Lagerns von
Zellen, Geweben und Organen bei sehr tiefen Temperaturen, um deren Lebensfähigkeit und
Funktionalität zu erhalten. Das Abkühlen von Zellen weit unter den Gefrierpunkt von Wasser
(-196 °C) und das Lagern bei diesen Temperaturen soll das Überleben nach dem Auftauen
gewährleisten. Die tief gefrorenen Zellen befinden sich in einer Art Kältestarre in der alle
Stoffwechselvorgänge zum Stillstand kommen. Nach dem derzeitigen Wissensstand geht man
davon aus, dass die konservierten Zellen und Gewebe unbegrenzt lange gelagert werden
können. Spricht man heute von der Kryokonservierung reproduktiver Zellen und Gewebe, ist
damit nicht nur der Vorgang des Einfrierens gemeint, sondern auch der Prozess der
Auftauens. Die Kryokonservierung ist nur dann erfolgreich, wenn nach dem Auftauen der
Zellen oder des Gewebes wieder lebensfähige Organismen entstehen.
Die Kryokonservierung von reproduktiven Zellen und Geweben nahm ihren Ursprung in der
landwirtschaftlichen Nutztierzucht. Eher zufällig entdeckten Polge und Kollegen (Polge et al.
1949) dass Geflügelspermien tiefe Temperaturen überlebten, wenn dem Einfriermedium
Glycerol zugesetzt wurde. Diese Entdeckung war der Beginn der Kryokonservierung in der
Nutztierzucht. In den Folgejahren wurden insbesondere Verfahren für die Kryokonservierung
von Rinderspermien vorangetrieben. Ende der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts
wurden weltweit mehr als 250.000.000 Spermien-Chargen von genetisch als besonders
wertvoll erachteten Bullen eingefroren. Mit diesen Spermien wurden mehr als 100.000.000
Kühe besamt (Thibier & Wagner 2002), um Nachkommen mit einer höheren Milchproduktion
zu erzeugen. Heute werden für Zuchtprogramme von Nutztieren überwiegend
kryokonservierte Spermien eingesetzt, die relativ unproblematisch weltweit versandt werden
können. Am Zielort können mit diesen Spermien weibliche Tiere besamt werden. Das erspart
den Zuchttieren den belastenden Transport.
Beinahe gleichzeitig zur Etablierung von Kryokonservierungsverfahren in der Nutztierzucht
erkannte
man
potentielle
Einsatzmöglichkeiten
dieser
Verfahren
für
die
Reproduktionsmedizin und entwickelte entsprechende Verfahren für menschliche Zellen und
Gewebe. Bereits in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurden erfolgreich
menschliche Spermien kryokonserviert. In der Reproduktionsmedizin wird die
Kryokonservierung vor allem bei der Behandlung unerwünschter Kinderlosigkeit eingesetzt.
Für Patienten, die sich einer Therapie unterziehen müssen die die Reproduktionsfähigkeit
beeinträchtigt oder zerstört, ermöglichen kryokonservierte Spermien, ovarielles Gewebe,
Embryonen oder Eizellen vor der Behandlung neue Hoffnung auf eigene Kinder nach der
Genesung. Besonders bemerkenswert ist hier eine Veröffentlichung von Donnez und
Kollegen (Donnez et al. 2011), in der von der ersten Geburt eines gesunden Kindes im Jahr
2004 nach Autotransplantation von kryokonserviertem ovariellem Gewebe berichtet wird. Die
Mutter litt sieben Jahre zuvor an einem Hodgkin-Lymphom und konnte sich nach ihrer
Genesung den Kinderwunsch erfüllen.
Die Nutzung der Kryokonservierung zur Ressourcensicherung von Versuchstieren begann in
den sechziger und siebziger Jahren des letzen Jahrhunderts. Für die Spezies Maus, das am
häufigsten eingesetzte Versuchstier, wurden entsprechende Methoden als erstes für
Embryonen entwickelt. Der Ablauf der Embryogewinnung, des Einfrierens und des Auftauens
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beruhen noch heute im Wesentlichen auf Arbeiten von Whittingham (Whittingham 1971) und
Wilmut (Wilmut 1972). Heute werden Eizellen, Embryonen, Spermien, ovarielles Gewebe
oder embryonale Stammzellen von verschiedenen Versuchstierarten kryokonserviert.
Die Kryokonservierung von Tiermodellen ist unter verschiedenen Aspekten sinnvoll: Sie
dient der Sicherung des genetischen Pools von Tiermodellen, sie ist ökonomisch sinnvoll und
leistet einen Beitrag zum Tierschutz.
Zur Sicherung des genetischen Pools seltener und wertvoller Tiermodelle ist die
Kryokonservierung eine sinnvolle Ergänzung zur Haltung lebender Tiere um dem Verlust
eines Tiermodells aufgrund von Infektionen, Umweltkatastrophen oder genetischer
Kontamination vorzubeugen, und kann sogar ein Ersatz zur vitalen Ressourcensicherung sein,
wenn ein Modell aktuell wissenschaftlich nicht benötigt wird.
Auch ökonomische Aspekte spielen bei der Kryokonservierung von Versuchstieren eine
wichtige Rolle. Die Möglichkeit, das Genom der Maus gezielt zu verändern hat zu einem
drastischen Anstieg von Tiermodellen geführt und die Tierhaltekapazitäten von
Versuchstierhaltungen sind dadurch häufig überlastet. Schätzungen gehen davon aus, dass in
den nächsten Jahren jährlich etwa 5.000 neue gentechnisch veränderte Stämme generiert
werden und damit die Zahl der Mausstämme bis zum Jahr 2030 auf etwa 3.000.000 ansteigen
wird (Mazur et al. 2008). Darüber hinaus fordert die neue europäische
Tierschutzgesetzgebung mehr Käfigplatz für das einzelne Tier was sich ebenfalls auf die
Haltungskapazitäten der Versuchstieranlagen auswirkt. Die Kryokonservierung von
Tiermodellen und der damit einhergehende Verzicht auf die Haltung lebender Tiere spart
Haltungskapazitäten und Haltungskosten.
Aus Sicht des Tierschutzes ist die Kryokonservierung sinnvoll, weil auf den Transport
lebender Tiere verzichtet werden. Der Versand kryokonservierter Embryonen und Gameten
vermeidet den Transportstress für die Tiere. Am Bestimmungsort wird das Gefriergut dann
aufgetaut, um eine neue Zuchtkolonie zu etablieren. Da auf die Haltung lebender Tiere
verzichtet werden kann, sobald von einem Tiermodell, für das aktuell kein wissenschaftlicher
Bedarf besteht, genügend Embryonen oder Gameten kryokonserviert sind, werden keine
Zuchtüberschüsse produziert, die euthanasiert werden müssten. Auch das ist im Sinne des
Tierschutzes.
Außer Kryokonservierungsverfahren für die Nutztierzucht, der Reproduktionsmedizin und für
die biomedizinische Forschung wurden Verfahren für weitere Säugerarten entwickelt.
Zoologische Gärten auf der ganzen Welt tauschen heute tief gefrorene Gameten aus, um die
genetische Heterogenität von Zootieren zu erhalten und damit den Fortbestand seltener
Tierarten zu sichern. In Australien wird versucht, Ovarien des stark gefährdeten Northern
Hairy-nose Wombats (Lasiorhinus krefftii), die im Straßenverkehr getötet wurden,
einzufrieren, um sie später auf eine weniger gefährdete, nah verwandte Art zu transplantieren
(gemeiner Wombat, Vombatus ursinus) (Wolvekamp et al., 2001).
Man kann davon ausgehen, dass die Kryokonservierung von Gameten in Zukunft eine noch
größere Rolle in Artenschutzprogrammen spielen wird.
Die Kryokonservierung bietet viele Möglichkeiten und Vorteile, in den unterschiedlichsten
Bereichen. Dennoch dürfen mögliche Gefahren nicht ganz vernachlässigt werden. So könnten
durch den Einfrier- und Auftauvorgang Zellen und Gewebe durch Eiskristalle mechanisch
geschädigt werden und einige der eingesetzten Gefrierschutzmittel sind toxisch. Kaum
untersucht sind bisher mögliche epigenetische Modifikationen durch die Kryokonservierung.
Epigenetische Modifikationen haben besonders beim Einsatz dieser Techniken in der
Reproduktionsmedizin eine hohe Relevanz.
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Trotz der umfangreichen Erkenntnisse die in den vergangenen Jahren zu physikalischen,
chemischen und physiologischen Abläufen in den Zellen während des Einfrierens und
Auftauens gewonnen wurden, bleiben auch für die kommenden Jahre noch viele Fragen zu
beantworten.
Literatur:
Donnez J, Silber S, Andersen CY, Demeestere I, Piver P, Meirow D, Pellicer A, Dolmans MM (2011)
Children born after autotransplantation of cryopreserved ovarian tissue. A review of 13 live births.
Ann Med 43: 437-450
Mazur P, Leibo SP, Seidel GE, Jr. (2008) Cryopreservation of the germplasm of animals used in
biological and medical research: importance, impact, status, and future directions. Biol Reprod 78: 212.
Thibier M Wagner H-G (2002) World statistics for artificial insemination in cattle. Livestock
Production Science 74: 203-212.
Wilmut I (1972) The low temperature preservation of mammalian embryos. J Reprod Fertil. 31: 513514.
Whittingham DG (1971) Survival of mouse embryos after freezing and thawing. Nature 233: 125-126.
Wolvekamp MC, Cleary ML, Cox SL, Shaw JM, Jenkin G, Trounson AO (2001) Follicular
development in cryopreserved Common Wombat ovarian tissue xenografted to Nude rats. Anim
Reprod Sci 65: 135-147.
Dr. M. Dorsch
Dr. Martina Dorsch
Medizinische Hochschule Hannover
Zentrales Tierlaboratorium und Institut für Versuchstierkunde, Carl-Neuberg-Strasse 1,
30625 Hannover; [email protected]
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