Genetische und Physiologische Grundlagen der Achromatopsie

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Genetische und
Physiologische Grundlagen
der Achromatopsie
Susanne Kohl
Molekulargenetisches Labor
Universitäts-Augenklinik Tübingen
1. Achromatopsie-Symposium
Maritim-Hotel Gelsenkirchen
21. April 2007
Überblick
† Grundlagen der Genetik
† Physiologie des Sehens
† Achromatopsie
„ Welche Ursachen kennen wir ?
Molekulargenetisches Labor der
Universitäts-Augenklinik
† Mindestens 170 erbliche Erkrankungen mit
Auswirkungen auf das Sehsystem
† Bis heute allein für die erblichen NetzhautErkrankungen 132 Gene identifiziert
Mit was arbeiten wir?
† DNA = Träger der Erbsubstanz
† Genom:
Gesamtheit der vererbbaren
Information einer Zelle
(ca. 25.000 Gene)
† Chromosom:
kurzer p-Arm,
langer q-Arm
Begriffe in der
Genetik
† Gen:
DNA-Abschnitt, der die
Grundinformationen für die
biologisch aktive Botenmolekül
enthält, die wiederum für ein
funktionelles Produkt (Protein) kodiert
† Gen-Locus:
physikalische Position eines Gens im Genom
bzw. auf dem Chromosom
† Allel:
Merkmalsausfertigung / Ausprägungsform
eines Gens (z.B. blonde oder braune Haare,
Gen-Defekt oder Wildtyp = gesund)
Gene – Allele
† 46 Chromosomen:
2 x 23 Paare = 2 x 22 = 44 Autosomen,
+2 = Geschlechts-Chromosomen
† Frau 46, XX / Mann 46, XY
† Daher hat jeder gesunde Mensch von allen
autosomalen Genen zwei Kopien = zwei Allele,
† eine vom Vater, und eine von der Mutter
† Ausnahme: X- und Y-Chromosom
X-chromosomale
(geschlechtsgebundene) Vererbung
† Nur männliche Betroffene
„
„
„
haben keine betroffenen
Kinder,
aber geben die Anlage an
alle ihre Töchter weiter
Männliche Nachkommen
haben kein Risiko die
Erkrankung zu ererben
† Weibliche (gesunde)
Überträgerinnen
„
„
haben ein 50% Risiko, die
Anlage an ihre Töchter zu
vererben
50% Risiko, dass ihre Söhne
Anlage ererben und
erkranken werden
Beispiel für X-chromosomale
(geschlechtsgebundene) Vererbung
Autosomal dominante Vererbung
† Geschlechtsunabhängig
† Betroffene in jeder
Generation
† Jeder Anlageträger
erkrankt
† 50% Risiko,
betroffene Kinder
zu bekommen für
jeden Anlageträger
Beispiel
für autosomal dominante Vererbung
Autosomal rezessive Vererbung
† Beide Eltern sind gesund,
aber Anlageträger
† Meist keine Betroffenen in
früheren Generationen
† Betroffene müssen je ein
defektes Allel von Vater
und Mutter ererben, d.h.
beide Kopien sind defekt
† 25% Risiko für weitere
betroffene Kinder
† 50% der Kinder sind
wieder Anlageträger, aber
gesund
† 25% der Kinder sind
keine Anlageträger
Autosomal rezessive Vererbung (2)
† Gesunde Anlageträger
haben nur minimal
erhöhtes Risiko für
betroffene Kinder
† Betroffener hat ebenfalls
nur minimal erhöhtes
Risiko, kranke Kinder zu
bekommen
† Ausnahme:
Konsanguinität =
Blutsverwandtschaft
bei Partnerwahl
Beispiele für
autosomal rezessive Vererbung
Vom Gen zum Protein
DNA
GAG
TAT CAT CAA CCT
ATG
GAG
TAT CAT CAA CCT
ATG
Besteht aus den vier
Basen A, G, C und T
Je 3 Basen kodieren für
eine Aminosäure
Protein
Besteht aus einzelnen
Bausteinen, den
20 verschiedene
Aminosäuren
Vom Gen zum Protein:
Mutation – Austausch einer Aminosäure
DNA
GAG
TAT CAT CAA CCT
ATG
Aminosäuren
Ein Basenaustausch = Mutation in der DNA
führt zu einer veränderten Aminosäure und
damit zu einem veränderten Proteins
GAG
TAT CAT CAA CCT
AAG
Vom Gen zum Protein:
Mutation – verkürztes Protein
DNA
GAG
TAT CAT CAA CCT
ATG
Aminosäuren
Mutation in der DNA führt zum
Abbruch der Proteinsynthese
und zu einem verkürzten Protein
GAG
TAA T CAT CAA CCTATG
STOP
Beispiel zwei verschiedener Mutationen
bei Patienten mit Achromatopsie
Wildtyp Sequenz
homozygot c.887C>T
Arginin-283-Tryptophan
Wildtyp Sequenz
heterozygot c.888G>A
Arginin-283-Glutamin
Auge – Netzhaut – Photorezeptoren
Das Photorezeptor-System
† Stäbchen
„ Sehen in der
Dämmerung /
Dunkelheit
Stäbchen
† Zapfen
„ Sehen bei hellen
Leuchtintensitäten
„ Farbensehen
Zapfen
Das Stäbchen-System
† Dämmerungssehen
und Sehen in der
Dunkelheit
† Maximale LichtSensitivität
† Dichte an
Stäbchen in
der mittleren
Peripherie
am Höchsten
Das Zapfen-System
† Tagessehen
† Farbensehen,
Sehschärfe und
höchste Auflösung
† Höchste Dichte im
Zentrum der Netzhaut
> Fovea = gelber Fleck:
Stelle des schärfsten Sehens
† Dichte der Zapfen nimmt zur
Peripherie hin ab
Das Farbensehen
† Drei verschiedene
Typen von ZapfenPhotorezeptoren:
„ S (shortwave = kurzwelligsensitiver)-Typ: „blau“
„ M (middlewave = mittelwelligsensitiver)-Typ: „grün“
„ L (longwave = langwelligsensitiver)-Typ: „rot“
Achromatopsie
† Synonyme:
„ Stäbchen-Monochromasie
„ Hemeralopie = Tagblindheit
„ Komplette Farbenblindheit
† Häufigkeit: 1 : 30.000
† Erbgang: autosomal rezessiv
Achromatopsie - Klinik
† Photophobie
(Blendempfindlichkeit)
† Nystagmus
(Augenpendeln /Augenzittern)
† Fehlendes Farbensehen
† Stark reduzierte Sehschärfe
0.1 - 0.2
† keine Zapfen-Antwort im ERG
(=Elektroretinogramm)
† Kongenital (angeboren bzw.
frühkindlich)
† Stationär
Differential-Diagnose:
Blauzapfen-Monochromasie
†
†
†
†
Stark reduzierte Sehschärfe (0.2-0.3)
Photophobie
Nystagmus (nicht immer)
Stark eingeschränkte
Farbwahrnehmung
† X-chromosomaler Erbgang
= nur männliche Betroffene
† Mutationen und
Rearrangements der
Rot-/Grün-Opsin-Gene auf
dem X-Chromosom
Die Physiologischen Grundlagen der
Achromatopsie
Phototransduktion = Sehkaskade
Phototransduktion - Sehkaskade
Licht
Photopigment
Transducin
Phosphodiesterase
[cGMP] sinkt
CNG-Kanal
schließt
Hyperpolarisation
Genetische Ursache der
Blauzapfen-Monochromasie
Photopigment für
Rot- bzw. GrünZapfen
Genetische Ursachen der Achromatopsie
Transducin – GNAT2-Gen
GNAT2-Gen
Transducin
Mutationen im GNAT2-Gen
(Transducin) auf Chromosom 1
† Fast alle Mutationen
erzeugen stark
verkürzte
Transducin-Proteine
† Wahrscheinlich gar kein
Transducin vorhanden !
† Komplette Achromatopsie (1 Ausnahme)
† Tiermodell in der Maus:
„ Zapfen sind vorhanden, aber leere Hüllen
„ Keine Degeneration
Genetische Ursachen der Achromatopsie
Phosphodiesterase – PDE6C-Gen
GNAT2
PDE6C
Phosphodiesterase
Mutationen im PDE6C-Gen
(Phosphodiesterase) auf Chromosom 10
† Alle bekannten Mutationen erzeugen
entweder
„ Stark verkürzte Phosphodiesterase-Proteine
oder
„ Treffen Aminosäuren, von denen man weiß,
dass sie essentiell wichtig für die Funktion sind
† Immer komplette Achromatopsie
† Tiermodell in der Maus:
„ Zapfen sind am Anfang vorhanden,
aber nicht funktionell
„ Und degenerieren später schnell
Genetische Ursachen der Achromatopsie
CNG-Kanal – CNGA3-Gen und CNGB3-Gen
CNGA3
CNGB3
CNG-Kanal
GNAT2
PDE6C
Der Zapfen-Photorezeptor
CNG-Kanal
† Tetramer aus CNGA3 (kanalbildende
Untereinheit) und CNGB3 (modulierende
Untereinheit) des CNG-Kanals
† hochkonservierte
Kanal
(6 TransmembranDomänen,
Pore und
cGMPBindestelle)
Mutationsspektrum in CNGA3
z Missense
z Nonsense
z Deletion
z Insertion
Mutationen im CNGA3-Gen auf
Chromosom 2
† Die meisten Mutationen AminosäureAustausche und
† treffen Aminosäuren, von denen man weiß,
dass sie essentiell wichtig für die Funktion sind
† Sehr konserviertes Protein (~90% identisch in
allen Tierarten)
† Meistens komplette Achromatopsie
† Manchmal inkomplette Achromatopsie
† Tiermodell in der Maus:
„ Ebenfalls: Zapfen sind anfangs vorhanden,
sind aber funktionslos
„ Und degenerieren dann schnell
Mutationsspektrum in CNGB3
Mutationen im CNGB3-Gen auf
Chromosom 8
† Die meisten Mutationen erzeugen
„ Stark verkürzte Kanal-Protein oder
„ Nur wenige Aminosäure-Austausch-Mutationen
† Meistens komplette Achromatopsie
† Besonderheit: Eine sehr häufige Mutation,
welche bei ca. 40% aller AchromatopsiePatienten für die Erkrankung verantwortlich
ist (c.1148delC)
† Natürliches Tiermodell in Hunden:
„ Vergleichbar mit PDE6C und CNGA3
Pingelapese blindness
† Entdeckung des ACHM3-Locus
anhand von Familien mit
Achromatopsie von der Südsee-Insel
Pingelap (Pingelapese Blindness)
† Hohe Inzidenz
(1:10)
durch Gendrift und
Inzest nach Typhoon im
17. Jahrhundert
† „Die Insel der Farbenblinden“
von Oliver Sachs
Zusammenfassung
† CNGB3 - Gen
„ auf Chromosom 8q21 = ACHM3-Locus
„ ca. 50% aller Achromatopsie-Patienten
„ 75% dieser Patienten tragen c.1148delC-Mutation
† CNGA3 - Gen
„ auf Chromosom 2q11 = ACHM2-Locus
„ ca. 25% aller Achromaten
† GNAT2 - Gen
„ auf Chromosom 1p13 = ACHM4-Locus
„ Nur in ~ 2 % aller Patienten mit Achromatopsie
† PDE6C - Gen
„ auf Chromosom 10q24
„ ~ 2 % aller Achromatopsie-Patienten
Weiterführende Untersuchungen
† Funktionelle Untersuchungen der
gefundenen Mutationen in den
einzelnen Proteinen, um das
Verständnis über die Funktionsweise
dieser Proteine zu verbessern
† Studieren der Tiermodelle, um die
Prozesse der Erkrankung zu verstehen
† (Gen-)Therapeutische Ansätze
Molekulargenetische Untersuchung
† EDTA-Blut vom Patienten (10ml),
und wenn möglich auch von den Eltern
† Zeitlich aufwendige Untersuchung:
~ 8 - 10 Wochen bis Befundbericht
† Abrechnung über GKV möglich,
nicht budget-belastend
(Überweisungsschein Muster 6)
† Abrechnung über PKV zunehmend schwierig!
Das Molekulargenetische Labor der
Universitäts-Augenklinik Tübingen
† Forschungslabor:
„ Optikus-Atrophie
„ Glaukom
„ Zapfen- und ZapfenStäbchen-Dystrophien
„ Achromatopsie
† Neue Krankheits-Gene
† Funktion der Proteine
† Krankheitsmechanismen
Das Molekulargenetische Labor der
Universitäts-Augenklinik Tübingen
† Service-Einheit:
„ RetDis-Datenbank
† Archivierung von DNA, RNA und
Zelllinien von Patienten
† ~ 16.000 Proben verknüpft mit
Patienten- bzw. Familienakten für
erbliche Augenerkrankungen
(Stammbäume, klinische Daten)
Das Molekulargenetische Labor der
Universitäts-Augenklinik Tübingen
† Service-Einheit:
„ DNA-Diagnostik
†
†
†
†
†
†
Autosomal dominante Retinitis pigmentosa
Autosomal dominante Optikus-Atrophie
Lebers hereditäre Optikus-Neuropathie
Kongenitales Glaukom
X-chromosomale Blauzapfen-Monochromasie
Autosomal rezessive Achromatopsie
Das Molekulargenetische Labor der
Universitäts-Augenklinik Tübingen
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