M E D I Z I N AKTUELL Manfred Fichter1, 2 Norbert Quadflieg1 Ulrich Cuntz 2 Prävalenz körperlicher und seelischer Erkrankungen Daten einer repräsentativen Stichprobe obdachloser Männer ZUSAMMENFASSUNG In der Studie wurde die wahre Prävalenz ausgewählter körperlicher und psychischer Erkrankungen bei einer repräsentativen Stichprobe Obdachloser erfasst. Ausgehend von einer Vorstudie wurde in dem Hauptprojekt entsprechend der gefundenen Verteilung eine Zufallsstichprobe von 301 wohnungslosen Männern festgelegt. 265 Obdachlose wurden befragt und körperlich untersucht. 73,4 Prozent der Männer hatten zum Untersuchungszeitpunkt mindestens eine psychiatrische Erkrankung (Lebenszeit-Prävalenz: 93,2 Prozent). 58,4 Prozent wiesen eine Alkoholabhängigkeit auf (Lebenszeit-Prävalenz: 72,7 Prozent). Bei Alkoholabusus fand sich gehäuft feinschlägiger Ruhetremor, gastroösophageale Refluxerkrankung, Leberschaden, Herzgeräusche, zerebrale Krampfanfälle, chronisch obstruktive Lungenerkrankungen, Hauterkrankungen und ein schlechter Zahnstatus. Hypertonus wurde bei 24,3 Prozent der Wohnungslosen festgestellt und war bei 89 Prozent derzeit unbehandelt. Die Prävalenzraten von Hepatitisantikörpern waren im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung hoch. Die hohe Rate psychischer und körperlicher Erkrankungen und die sehr geringe Behandlungsfrequenz zeigen, dass eine Verbesserung der ärztlichen Versorgung in gezielten niederschwelligen Angeboten dringend erforderlich ist. Schlüsselwörter: Morbidität, Wohnungslosigkeit, Alkoholismus, Public Health, Epidemiologie Prevalence of Physical and Mental Disorders in Homeless Men in Germany The aim of this study was to assess the true prevalence of selected physical and mental disorders in a sample of homeless men representative for a German city. Starting from a pre-sampling survey, in the main study 301 homeless men were randomly sampled on the basis of the allocation of the homeless men. 73.4 per cent of the homeless men assessed were suffering from at least one mental disorder at the time of assessment (lifetime 93.2 per cent). 58.4 per cent showed an alcohol dependence (lifetime 72.7 per cent). Fine passive tremor, gastro-esophageal reflux, disorders of the liver, cardiac murmur, cerebral convulsions, chronic obstructive lung diseases, skin diseases and a poor condition of teeth were significantly more frequent in alcohol dependent homeless men as compared to non-alcoholic homeless men. 24.3 per cent of the homeless men showed hypertension which in 89 per cent of them was untreated. Prevalence rates of hepatitis antibodies were high. The high prevalence of mental and physical disorders and the very low rates of treatment point to the necessity of improving medical/psychiatric care for homeless individuals. More and improved “low threshold” and “outreach” programs are needed. Key words: Morbidity, homelessness, alcohol dependence, public health, epidemiology S eit den 80er-Jahren ist Obdachlosigkeit in westlichen Industrieländern ein gesundheitspolitisches Problem. Zu seiner Entstehung trugen verschiedene Faktoren bei, wie zum Beispiel forcierte Deinstitutionalisierung psychisch Kranker bei einem Mangel an flankierenden Diensten, hohe Arbeitslosenraten mit entsprechend verminderten Aussichten auf regelmäßige Arbeit, Verknappung billiger Wohnungen (3). Besonders in Nordamerika wurden zahlreiche Untersuchungen veröffentlicht, die eine erhöhte Morbidität und Mortalität bei Obdachlosen aufzeigten (22). Ergebnisse aus Nordamerika sind allerdings nicht unbesehen auf deutsche Verhältnisse übertragbar, zumal der Anteil Drogenabhängiger dort höher ist. Auch in Deutschland wurden einige Untersuchungen zur körperlichen beziehungsweise psychiatrischen Morbidität durchgeführt, die jedoch meist auf Selbstauskünften von Bewohnern von Übernachtungsheimen basieren und somit von begrenzter Repräsentativität sind (4, 5, 16, 21, 24). Ziel unserer Untersuchung war die zuverlässige Erfassung ausgewählter psychischer und körperlicher Krankheitsbilder bei einer für eine deutsche Großstadt repräsentativen Stichprobe, die somit keinen stichprobenverzerrenden Einflüssen (wie zum Beispiel InanspruchnahmeStichproben) unterliegt. Dies erfor1 Psychiatrische Klinik und Poliklinik (ärztlicher Direktor: Prof. Dr. med. Hans-Jürgen Möller) der Ludwig-Maximilians-Universität, München 2 Psychosomatische Klinik Roseneck (ärztlicher Direktor: Prof. Dr. med. Manfred Fichter), Prien A-1148 Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 17, 28. April 2000 SUMMARY dert eine klare Definition von Wohnungslosigkeit, eine Auswahl reliabler Instrumente und die Durchführung einer epidemiologischen Untersuchung durch qualifizierte Untersucher mit hoher Beteiligungsquote. Vorerhebung zur Festlegung der Grundgesamtheit Der Terminus obdachlos wird hier synonym mit dem Terminus wohnungslos verwendet, bringt aber zum Ausdruck, dass vielen Wohnungslosen mehr fehlt als eine Wohnung. Wohnungslos wurde in unserer Studie wie folgt definiert: Ein Wohnungsloser verfügte in den 30 Tagen, die der Untersuchung vorausgingen, über keine eigene Wohnung (Wohnungsloskriterium und Zeitkriterium), musste M E D I Z I N AKTUELL sich überwiegend in München aufgehalten haben (Ortskriterium) und er musste männlichen Geschlechts sein (parallel wurden auch wohnungslose Frauen untersucht). Falls die Person bei Freunden oder Verwandten wohnte, durfte dies nicht kontinuierlich sein und die Person musste ihren Schlafplatz in den vorausgegangenen 30 Tagen mindestens dreimal gewechselt haben oder die Person verbrachte die ganze Zeit im Freien oder sie wohnte in einem Übernachtungsheim zum Schlafen vorgesehenen Orten übernachteten und in den 30 Tagen, die der Untersuchung vorausgingen weder vom Bettensektor noch vom Mahlzeiten- und Beratungssektor Gebrauch machten („Outdoor“-Sektor). Im Rahmen der Vorerhebung wurden nach Ausschluss von Doppelerfassung auf der Basis der obigen Definition 1 022 alleinstehende wohnungslose Männer in München erfasst. Davon gehörten 281 Personen (27,5 Prozent) dem Bettensektor, 654 (64 Prozent) Tabelle 1 Grundgesamtheit und Stichprobe der Hauptuntersuchung als Grundlage der Gewichtung Sektor Grundgesamtheit n = 1 022 n in der Grundgesamt (n-Grund) Stichprobe n = 265 Gewichtungsn in der faktor Stichprobe n-Grund/ (n-Stich) n-Stich Bettensektor 281 158 1,78 Mahlzeiten-/Beratungs-Sektor 654 95 6,88 „Outdoor“-Sektor 87 12 7,25 Beispiel zur Gewichtung: 10 Männer mit Schizophrenie verteilten sich auf die Sektoren wie folgt: 5 im Bettensektor, 2 im Mahlzeiten-/Beratungssektor und 3 im „Outdoor“-Sektor. Multipliziert man jede Person mit einer Schizophrenie mit dem Gewichtungsfaktor des zugehörigen Sektors, ergeben sich die Schätzungen der Prävalenzraten in der Grundgesamtheit nach Sektoren und insgesamt: 5 x 1,78 = 8,90; 2 x 6,88 = 13,76; 3 x 7,25 = 21,75; n = 44,41 schizophrene Männer in Grundgesamtheit. Die gewichtete Prävalenz für Schizophrenie beträgt demnach 44,41 x 100 / 1 022 = 4,4 Prozent (ungewichtet würde die Prävalenz 3,8 Prozent betragen). (Heim an der Pilgersheimer Straße), wo die Bettenvergabe täglich neu erfolgte, oder die Person verbrachte die Nächte an Orten, die nicht für Nächtigung vorgesehen sind (Park, Straße, Eisenbahnwagen, verfallene Häuser). Die Stichprobenziehung ist im Detail andernorts beschrieben (8), sodass sie hier verkürzt dargestellt wird. In einer Vorerhebung war es das Ziel, Umfang und Verteilung der Grundgesamtheit der Wohnungslosen in München zu erfassen. Dazu wurden drei hierarchisch definierte Sektoren festgelegt: Männer, die in den 30 Tagen vor der Untersuchung mindestens eine Nacht in einem Übernachtungsheim schliefen (Bettensektor); Personen, die einmal oder mehrfach Gebrauch von so genannten „Suppenschulen“ machten oder soziale Beratungsdienste aufsuchten (Mahlzeiten- und Beratungssektor); Wohnungslose, die auf der Straße, in Parks oder anderen nicht dem Mahlzeiten- und Beratungssektor und 87 Personen (8,5 Prozent) dem „Outdoor“-Sektor an. Diese 1 022 Personen stellen die Grundgesamtheit dar. Stichprobe der Hauptuntersuchung Die Auswahl der Zielperson für das Interview der Haupterhebung erfolgte zufällig und in zwei Schritten: Jedes Mal, wenn einer unserer Projektärzte einen Ort, in dem sich Wohnungslose nach den Recherchen der Vorerhebung aufhielten, aufsuchte (zum Beispiel Teestube) wurde die Anzahl der Gruppen (zum Beispiel Personen an einem Tisch), in denen sich Wohnungslose aufhielten, festgestellt und eine Gruppe zufällig ausgewählt. Aus dieser Gruppe wurde im zweiten Schritt erneut nach einem Zu- fallsverfahren die Zielperson ermittelt, welche dann angesprochen und um die Teilnahme am Interview gebeten wurde. 265 von 301 auf diese Weise zufällig ausgewählten wohnungslosen Männern (88 Prozent) nahmen an der Untersuchung teil. Aus Gründen der Untersuchungspraktikabilität war es nicht möglich, dass die Teilnehmer an der Hauptuntersuchung sich in gleichen Prozentsätzen auf die drei genannten Sektoren verteilten, wie dies die Vorerhebung erforderte; im Freien lebende Obdachlose waren unterrepräsentiert. Bei diesen war aber die höchste Morbidität zu erwarten, was sich in unseren Ergebnissen auch bestätigte. Deshalb wurden die Ergebnisse hinsichtlich der Sektoren mit Hilfe des Computer-Programms SUDAAN entsprechend gewichtet. Von den in der Hauptuntersuchung befragten Männern gehörten 158 (59,6 Prozent) dem Bettensektor, 95 (35,8 Prozent) dem Mahlzeiten- und Beratungssektor und 12 (4,5 Prozent) dem „Outdoor“-Sektor an. Dies ergab einen Gewichtsfaktor für eine Person des Bettensektors von 281:158 = 1,78, für Personen des Mahlzeiten-/BeratungsSektors von 654:95 = 6,88 und des „Outdoor“-Sektors von 87:12 = 7,25. Dies bedeutet, dass jeder zufällig ausgewählte befragte Proband des Bettensektors 1,78 Personen der Grundgesamtheit von 1 022 Männern repräsentiert. Analog repräsentiert jeder zufällig ausgewählte Proband des Mahlzeiten- und Beratungssektors 6,88 Personen der Grundgesamtheit und jeder zufällig ausgewählte Proband des „Outdoor“-Sektors 7,25 Personen der Grundgesamtheit. Die Berechnung der Prävalenzraten erfolgt, indem jede Person der Stichprobe, die ein Merkmal (zum Beispiel Schizophrenie) aufweist, mit dem ihrer Sektorzugehörigkeit entsprechenden Gewichtungsfaktor multipliziert wird, diese gewichteten Fallzahlen addiert werden (Zähler der Division) und diese Summe durch die Grundgesamtheit von 1 022 (Nenner) geteilt wird (Tabelle 1). Alle im Folgenden in Text und Tabellen berichteten Prozentzahlen sind gewichtete Zahlen. Die Gewichtung ist bedeutsam, da durch sie die Repräsentativität der Stichprobe für die Grundgesamtheit wiederher- Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 17, 28. April 2000 A-1149 M E D I Z I N AKTUELL gestellt wird. Der Gewichtung fiel somit die Aufgabe zu, etwaige Verzerrungen der Prävalenzraten durch die Unterschiede in der Anzahl der Personen in den Sektoren zu korrigieren, um so eine Aussage über die Grundgesamtheit aller Obdachlosen (nach der verwendeten Definition) zu erlauben. Die Untersuchung und Befragung eines Probanden dauerte durchschnittlich zweieinhalb Stunden. Untersuchungen erfolgten von September 1994 bis November 1996. 246 der 265 befragten Männer nahmen auch an der ärztlichen Untersuchung teil. Jahren und die Dauer der Obdachlosigkeit betrug 8 ⫾ 0,7 Jahre. Tabelle 2 stellt die Häufigkeit der Hauptgruppen psychischer Erkrankungen nach dem „Diagnostischen und Statistischen Manual psychischer Ergebnisse Erkrankungen DSM-IV“ (American Das Alter der wohnungslosen Psychiatric Association, 1994) (1) für Männer betrug im Mittel 44,7 ⫾ 0,7 den Status zum Zeitpunkt der UnterJahre (gewichtetes Mittel und Stan- suchung (Ein-Monats-Prävalenz) und dardfehler). Im Vergleich zur deut- kumulativ für den Verlauf des Lebens schen Bevölkerung waren Unverhei- (Lebenszeit-Prävalenz) dar. Die Präratete (53,4 Prozent) und Geschiede- valenzraten psychischer Erkrankunne (35,1 Prozent) deutlich überreprä- gen waren im Vergleich zur Allgemeinsentiert. Auch hatten die wohnungs- bevölkerung sehr hoch. 73,4 Prozent losen Männer der Stichprobe eine hatten zur Zeit der Untersuchung vergleichsweise geringe Schulausbil- (derzeit) und 93,2 Prozent im Verlauf dung; neun Prozent hatten keinen des Lebens die Kriterien für mindequalifizierenden Schulabschluss und stens eine psychiatrische Diagnose Erfassungsinstrumente 52 Prozent hatten Volks-/Hauptschul- (Persönlichkeitsstörungen ausgenomDie derzeitige (Punkt-) Präva- abschluss. Das Alter bei der ersten men) erfüllt. Die Kriterien einer lenz (ein Monat) und die kumulati- Wohnungslosigkeit lag bei 35,3 ⫾ 0,8 Alkoholabhängigkeit erfüllten zum ve lebenszeitliche Prävalenz Untersuchungszeitpunkt 58,4 Tabelle 2 psychischer Erkrankungen Prozent und im Verlauf des Wahre Prävalenz psychischer Erkrankungen bei einer repräsentati- Lebens 72,7 Prozent. Die wurden mit Hilfe des „Structured Clinical Interview for zweithäufigste diagnostische ven Stichprobe DSM-IV Diagnosis“ (SCIDHauptgruppierung waren afProzentanteil (gewichtet) Achse I) erfasst und diagnofektive Störungen (16,3 Prostiziert (9). Die körperlichen zent bei Untersuchung und Psychische Erkrankung derzeit im Verlauf Untersuchungen, Anamne32,8 Prozent während des ge(1 Monat) des Lebens seerhebungen, Blutdrucksamten Lebens). Auch Angstmessungen (Quecksilbererkrankungen und SchizoPsychotische Erkrankung 6,6 9,8 Manometer) und Blutentphrenien waren vergleichs– Schizophrenie 3,6 4,4 nahmen wurden von Ärzten weise häufig. durchgeführt. LaborunterTabelle 3 gibt eine ÜberAffektive Störungen 16,3 32,8 suchungen der Blutproben sicht über jene Symptome – Major Depression 6,2 22,1 erfolgten in einem qualitätsund Erkrankungen, die sta– Bipolare Störung I 1,5 4,8 kontrollierten Großlabor. tistisch signifikant häufiger – Bipolare Störung II 0,2 0,2 Die Projektärzte erfassten bei Wohnungslosen mit der – Dysthyme Störung 0,9 – Eigen- und FamilienanDSM-IV-Diagnose „AlkoholKognitive Beeinträchtigung amnese, Medikation, Inanabhängigkeit“ vorkamen, MMSE 18–23 mäßig 8,5 – spruchnahme medizinischer als bei jenen, die weder AlMMSE 0–17 schwer 1,4 – Dienste und die Anamnekoholmissbrauch noch -abse erfolgter Operationen, hängigkeit aufwiesen. Für Angsterkrankung 11,6 15,9 Frakturen, Amputationen. Leberschaden, feinschlägiUntersucht wurde der Legen Ruhetremor, ÖsophagiStörungen im Zusammenberstatus, Herz-Kreislauf, tis und gehäufte zerebrale hang mit psychotropen Puls und Blutdruck, DurchAnfälle entspricht das ErSubstanzen 63,0 79,6 blutung und Gefäßstatus; gebnis den Erwartungen. In– Alkoholabhängigkeit 58,4 72,7 durchgeführt wurde Ausfolge einer Vernachlässigung – Drogenabhängigkeit 4,4 14,0 kultation und Perkussion der Hygiene hatten alko– Mutter hatte von Herz und Lunge sowie holabhängige Wohnungslose Alkoholprobleme – 14,3 – Vater hatte eine neurologische Untersuauch einen schlechteren Alkoholprobleme – 29,7 chung einschließlich der Zahnstatus und vermehrt Hirnnerven, Prüfung auf Hauterkrankungen. AuffälMindestens eine DSM-IV Ataxie, Tremor, Reflexstalig ist das Ergebnis eines psychische Erkrankung tus, Muskeltonus (Atrophibei alkoholabhängigen Woh(Achse I) 73,4 93,2 en, Paresen, Kraft), Bewenungslosen erhöhten Auftregungskoordination sowie tens von chronisch obstruk– nicht erfasst der Zahnstatus. Die quantitiven Lungenerkrankungen. tative Erfassung kognitiver Beeinträchtigung erfolgte mit der Mini Mental State Examination (11). A-1150 Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 17, 28. April 2000 M E D I Z I N AKTUELL Tabelle 3 Folge- und Begleiterkrankungen bei 246 wohnungslosen Männern mit Alkoholabhängigkeit (Alkoholismus ja) beziehungsweise ohne Alkoholabhängigkeit oder -missbrauch Gesamtd) Alkoholismus derzeit Befund (1 Monat) n = 246 (%) derzeit (1 Monat) Im Verlauf des Lebens n = 134 Ja (%) n = 106 Nein (%) Chi2Test df = 1 n = 180 Ja (%) n = 50 Nein (%) Chi2Test df = 1 Tremorb) 22,4 30,2 10,9 8,5*2 25,5 5,8 8,8*2 Ösophagitisa) 13,1 18,2 2,9 12,0*2 15,9 3,6 7,4*2 V.a. alkoholischen Leberschadena) b) c) – GOT u. GPT > 30 – GOT > 26; GPT > 24 15,4 19,1 24,8 31,2 0,0 0,0 20,9*2 29,0*2 20,5 25,4 0,0 0,0 16,8*2 21,0*2 Leber vergrößertb) 48,9 65,2 19,3 41,7*2 59,1 8,1 31,2*2 Hinweis auf Leberzirrhoseb) 34,9 52,6 7,2 47,3*2 44,7 2,4 31,6*2 Hohe Gamma-GT (> 55)c) 24,9 35,2 11,3 25,1*2 df = 2 29,8 5,9 17,7*2 df = 2 Herzgeräuscheb) 18,8 26,9 5,9 13,6*2 21,9 9,4 ns 2,8 4,9 4,2 5,9 0,0 3,4 ns 3,6 5,3 0,0 0,0 9,4*2 df = 4 Rauchena) 93,1 96,1 87,2 3,9*1 94,7 85,8 ns Blutbild: Hohe MCV (> 98)c) 35,1 42,5 21,8 7,7*1 df = 2 41,8 11,0 13,4*2 Chronisch obstruktive Lungenerkrankungena) 16,0 22,2 5,1 21,5*2 df = 3 20,0 4,6 17,1*2 df = 3 Hauterkrankungb) 24,9 30,4 16,6 4,5*1 28,4 12,7 4,2*1 1–12 fehlende Zähneb) oben unten 12,7 10,2 18,0 14,3 4,7 4,1 7,1*2 4,7*1 15,8 12,8 2,6 1,3 8,7*1 8,7*1 20,0 14,7 29,2 17,8*2 df = 7 16,5 35,9 ns Zerebrale Krampfanfällea) – behandelt früher oder derzeit – unbehandelt früher oder derzeit Zahnstatus vollständigc) keine fehlenden Zähne a) anamnestisch erfragt, nicht gemessen; b) körperliche Untersuchung; c) Laborwerte, gemessen; d) Spalte umfasst alle untersuchten Männer einschließlich jener 6 mit Alkoholabusus; *1 p < 0,05; *2 p < 0,01; ns = nicht signifikant; V.a., Verdacht auf; GOT, Glutamatoxalacetat-Transaminase; GPT, Glutamatpyruvat-Transaminase; Gamma-GT, Gamma-Glutamyltransferase; MCV, mittleres korpuskuläres Erythrozytenvolumen; df, degree of freedom (= Freiheitsgrade). Die Prozentangaben sind gewichtet. Untersuchte Variablen, die nicht in Tabelle 3 aufgeführt sind, zeigten kein statistisch gehäuftes Auftreten bei Alkoholabhängigen. Weitere körperliche Erkrankungen bei wohnungslosen Männern sind in Tabelle 4 dargestellt. Für einige der Erkrankungen, wie zum Beispiel Polyneuropathie, sind die Möglichkeiten der Feststellung einer rein körperlichen Untersuchung ohne weiteres Instrumentarium begrenzt, sodass die berichteten Werte eher Unterschätzungen darstellen dürften. Bei 7,7 Prozent war ein zerebrales Anfallsleiden zu eruieren. Bei 64 Prozent dieser Anfallskranken erfolgte zum Zeitraum der Untersuchung keine medikamentöse Behandlung der Krampfanfälle. Ein Hypertonus (systolische Werte > 160 mm Hg und/ Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 17, 28. April 2000 A-1151 M E D I Z I N AKTUELL Tabelle 4 Tabelle 5 Weitere körperliche Erkrankungen Operationen, Frakturen, Amputationen und Zahnstatus Erkrankung Prozent (gewichtet) Sensibilitätsstörungena) b) 15,8 ASR nicht auslösbarb) 1,9 Polyneuropathiea) b) 1,2 Zerebrales Anfallsleidena)b) – jetzt und früher behandelt – nur jetzt behandelt – nur früher behandelt – weder jetzt noch früher behandelt 7,7 1,0 0,8 1,0 4,9 Ösophagitisa) 13,1 Herzgeräuscheb) 18,8 Hypertonus syst. > 160 und/oder diast. > – derzeit behandelt – jetzt und früher behandelt – weder früher noch jetzt behandelt 95c) 24,3 0,6 2,1 21,7 Keine Hypertonie gemessen – Behandlunga) früher – Behandlunga) jetzt und früher – keine Behandlunga) 75,7 0,6 1,0 74,1 Hinweise auf koronare Herzkrankheit davon: – KHK/keine Behandlung – KHK/derzeit behandelt – KHK/früher behandelt – KHK/jetzt und früher behandelt 10,2 8,1 0,9 1,0 0,2 Arterielle Verschlusskrankheitb) Rauchena) 6,0 Erkrankung Operationena) b) Kolon: – Ileus – Appendix – sonstige Gallenoperation Hernie Prozent (gewichtet) 0,8 13,6 3,1 1,4 13,6d) Magenoperation Ulkus Perforation sonstige 4,0 2,7 0,8 arterielle Verschlusskrankheit – nur untere Extremität – Abdomen/Thorax – Hals/Kopf – untere und obere Extremität. 4,7 0,2 0,4 0,2 Amputationen Fuß (Teil ohne Zehen) Fuß (ganz) Unter-/Oberschenkel/Arm Finger Hand mindestens 1 Amputation 2,5 0,8 0,0 4,0 1,7 8,0 Frakturen obere Extremität untere Extremität Wirbelsäule Kopf sonstige mindestens 1 Fraktur 36,5 40,9 1,0 7,7 18,3 67,4 Zahnstatus fehlende Zähne in Ober- und Unterkiefer Gebiss sanierungsbedürftigb) Oberkiefer Unterkiefer Oberkiefer Teilprotheseb) Unterkiefer Oberkiefer Vollprotheseb Unterkiefer Oberkiefer Fehlende Zähnec) bis 4 Unterkiefer bis 8 Oberkiefer Unterkiefer bis 12 Oberkiefer Unterkiefer über 12 Oberkiefer Unterkiefer zahnlos Oberkiefer Unterkiefer gänzlich zahnlos 51,2 66,7 64,3 7,6 4,0 6,1 2,7 34,5 31,4 15,0 14,2 12,7 10,2 2,7 2,7 6,7 3,8 4,0 93,1 Untergewicht (BMI < 19) 4,5 Übergewicht (BMI > 30) 9,1 a) anamnestisch erfragt; b) in körperlicher Untersuchung festgestellt; c) Laborwerte, gemessen oder diastolische Werte > 95 mm Hg) fand sich bei 24,3 Prozent der Untersuchten. 89 Prozent der Hypertoniker wurden weder früher noch zum Zeitpunkt der Untersuchung aufgrund des Hypertonus behandelt! 10,2 Prozent zeigten Hinweise auf eine koronare Herzerkrankung. Auch hier war der überwiegende Teil (79 Prozent) der von KHK Betroffenen zum Zeitpunkt der Untersuchung medikamentös unbehandelt. Die untersuchten Obdachlosen weisen relativ viele Operationen, Amputationen und Frakturen auf (Tabelle 5). 67,4 Prozent der Untersuchten hatten mindestens eine Fraktur erlebt; 4 Prozent wiesen eine FingeramputaA-1152 Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 17, 28. April 2000 a) anamnestisch erfragt; b) körperliche Untersuchung; c) Labor, Messung/Zählung; d) davon Leistenhernie 7,3 Prozent M E D I Z I N AKTUELL tion und 3,3 Prozent wiesen eine Fuß- oder Zehenamputation auf. Aus Tabelle 6 geht die Häufigkeit bestimmter Infektionserkrankungen hervor. Im Rahmen der Feldstudie wurde eine serologische Hepatitis-Diagnostik angewandt. Die Ergebnisse können im Einzelnen den Tabellen 3 und 6 entnommen werden. Eine Erhöhung von Transaminasen und g-Glutamyl-Transferase (gGT) war im Wesentlichen bei Patienten mit gleichzeitigem Alkoholmissbrauch und mit Alkoholabhängigkeit zu beobachten. Nur bei einem einzigen Patienten fand sich die Laborkonstellation einer chronisch aktiven Hepatitis B. Obwohl die serologischen Parameter nur bei einem Teil der Stichprobe durchgeführt wurden, ergibt sich genügend Sicherheit für die Feststellung, dass die Auslenkung der Transaminasen nicht auf die klassischen Hepatitiserreger zurückzuführen ist. ne Reihe körperlicher Symptome und Erkrankungen Infektionskrankheiten (Tremor, Ösophagitis, Leberschaden mit erhöhten TransErkrankung Prozent aminasen und gGT, zerebra(gewichtet) le Krampfanfälle, Mykosen und Zahnschäden) traten bei 7,8 Tuberkulosea) Alkoholabhängigen gehäuft ohne Behandlung 4,2 behandelt 3,6 auf. Fast alle Obdachlosen mit erhöhten Leberwerten Sexuell transmittierbare Erkrankung hatten auch gleichzeitig Al3,4 derzeita) koholprobleme. Die PrävaHIV-positiv oder AIDS4) 0 lenz des wirklichen Hypertonus lag für die WohnungsSchwere chronische Infektea) b) 4,9 losen (24,3 Prozent) etwas höher als in der Bevölkerung Anzahl von Infektionen letzte 6 Monateb) (18,4 Prozent) (6). In der Fra1 35,4 mingham Heart Studie nahm 2 4,9 die Prävalenz von Hyperto3 2,9 nus in der Bevölkerung dank 4 1,6 besserer Prävention und ✞5 3,0 Therapie von 1950 bis 1989 sogar von 18,5 Prozent auf 9,2 Schweregrad des schwersten Infektes Prozent ab (17). Hypertone leicht/nicht bettlägerig 85,4 Wohnungslose in München schwer/nicht bettlägerig 9,4 waren allerdings in einem sehr schwer/bettlägerig 5,2 sehr hohen Prozentsatz (89 Leber (Hepatitis u. a.) Prozent) unbehandelt! Ein Hepatitis (GOT > 26 und GPT > 24) 22,4 ähnliches Ergebnis ergab sich Z. n. Hepatitis B (HBsAg –; Anti HBc +) 11,6 bei Münchner Wohnungslo0,6 HBsAg positiv1) sen für zerebrale AnfallsleiAnti-HBc positiv 14,5 den: Die Prävalenz war hier Anti-HAV positiv 48,3 mit 7,7 Prozent hoch. 64 Pro0,0 Anti-HCV positiv2) zent der Betroffenen waren 3) Anti-HBs positiv 14,0 unbehandelt. Ein ähnliches Bild deutlich unzureichender Resümee n = 212 soweit nicht anders vermerkt; a) anamnestisch erfragt; Behandlung ergab sich auch b) körperliche Untersuchung; c) Labor, Messung/Zählung, 1) 2) 3) 4) abweichend vom Rest (n = 212) basieren Ergebnisse Die Repräsentativität für koronare Herzerkrandieser Variablen auf n = 208, n = 102, n = 46 (2), n = 105 (3) unterder Stichprobe ist gerade bei kungen und den Zahnstatus. suchten Probanden, n = 207 (4); GOT, GlutamatoxalacetatUntersuchungen zu WohBemerkenswert ist der hohe Transaminase; GPT, Glutamatpyruvat-Transaminase nungslosen ganz besonders Anteil an Rauchern von über wichtig, damit die Ergebnisse 90 Prozent. für die Planung entsprechender Prä- fassung körperlicher Symptome und In unserer Stichprobe fand sich ventions- und Interventionsprogram- Erkrankungen wurden, wo immer bei 208 serologisch untersuchten obme sinnvoll generalisiert werden kön- möglich und praktikabel, replizierbare dachlosen Männern kein einziger Fall nen (23). In der vorliegenden Studie Messungen (zum Beispiel Blutdruck, mit positiven serologischen Befunden wurden Obdachlose sowohl aus Über- Laborparameter) vorgenommen be- hinsichtlich HIV 1 oder HIV 2 (EIA). nachtungsheimen, als auch aus „Sup- ziehungsweise in standardisiert vorge- Aus nordamerikanischen Großstädpenküchen“ und von der Straße (Sek- gebener Weise befragt und untersucht. ten waren Raten zwischen sechs und toren) in jener Häufigkeit einbezogen, Als Ergebnis fanden sich sehr hohe acht Prozent HIV-positiver Befunde wie es ihrer Verteilung in der Stadt Raten für die wahre Prävalenz psychi- bei Obdachlosen berichtet worden. München im Untersuchungszeitraum scher Erkrankungen bei Wohnungs- Der Unterschied erklärt sich zum Teil entsprach. Damit sind die Ergebnisse losen (7). Insbesondere Alkoholab- dadurch, dass der Anteil von Drogenfür alle Obdachlosen in der Stadt Mün- hängigkeit fand sich wie in anderen abhängigen, die sich durch unsaubere chen zur Zeit der Untersuchung reprä- deutschen Studien (20) häufig. Komor- Spritzen und Injektionsnadeln infiziesentativ. Auch wurden für die Erfas- bid mit der Diagnose Alkoholabhän- ren können, in der Münchner Stichsung psychischer Erkrankungen struk- gigkeit fanden sich relativ häufig auch probe niedriger als in den USA ist. turierte beziehungsweise standardi- andere psychische Erkrankungen (af- Für Obdachlose in San Francisco wursierte Erhebungsinstrumente einge- fektive Störungen, Angststörungen, de auch eine relativ hohe Prävalenz setzt (SKID und MMSE). Für die Er- psychotische Erkrankungen). Auch ei- von Tuberkulose-Infektionen berichTabelle 6 Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 17, 28. April 2000 A-1153 M E D I Z I N AKTUELL tet (25). In unserer Untersuchung fehlten Mittel und Wege, die Häufigkeit von Tuberkulose bei Wohnungslosen genauer mittels Thorax-Röntgenaufnahmen und Labortests zu untersuchen, sodass die in Tabelle 5 genannte Prävalenz (7,8 Prozent) eine Unterschätzung darstellen dürfte. Nach den Ergebnissen unserer Hepatitisdiagnostik wies etwa die Hälfte der Obdachlosen (48,3 Prozent) Antikörper gegen Hepatitis A als Hinweis auf eine durchgemachte Infektion auf. In der Gesamtbevölkerung steigt die Durchseuchung mit Hepatitis A von vier Prozent bei jungen Erwachsenen auf 40 Prozent bei über 50-Jährigen (2). Die bei Obdachlosen vorliegende Durchseuchungsrate liegt mutmaßlich bedingt durch die schlechten hygienischen Lebensverhältnisse der Obdachlosen etwas höher als in der Gesamtbevölkerung (orale Infektionen). Hepatitis-B-Viren werden über Sexualkontakt, über Blut und Blutprodukte und perinatal übertragen. Die Prävalenz von Antikörpern gegen HBc war mit 14,5 Prozent höher als aufgrund epidemiologischer Daten in Deutschland zu erwarten wäre (15). Allerdings finden sich in anderen Hochrisikogruppen auch höhere Raten: Bei Strafgefangenen liegen diese bei 19 Prozent (18), bei HIV-infizierten Patienten bei 33 Prozent (19), bei Drogenabhängigen bei 48 Prozent (13). Dennoch wird deutlich, dass bei den Obdachlosen ein hohes Infektionsrisiko vorliegt und andererseits die medizinische Versorgung und die Impfraten sehr niedrig sind. Bei künftigen Impfprogrammen sollten diese Endemiegruppen besonders beachtet werden. Das HepatitisC-Virus war bei Obdachlosen unserer Stichprobe nicht verbreitet; bei 40 Bestimmungen erfolgte kein einziger Anti-HCV-Nachweis. Wohnungslose haben eine hohe Mortalitätsrate unter anderem durch Erfrierungen und Unterkühlung, Thromboembolie, Nierenerkrankungen, Lebererkrankungen und Verletzungen (12). Eine Verbesserung der allgemeinärztlichen/internistischen, zahnärztlichen und psychiatrischen Versorgung für Obdachlose ist dringend geboten. Diese medizinischen Versorgungsangebote sollen deshalb niederschwellig sein, weil viele Betroffe- ne aufgrund psychischer Erkrankungen zu einem Arztbesuch erst motiviert werden müssen oder nicht in der Lage sind, hier für sich selbst zu sorgen. Fortschrittliche Initiativen sind mancherorts dazu übergegangen, Obdachlose dort, wo sie sich aufhalten, aktiv aufzusuchen und ihnen eine medizinische Primärversorgung im wahren Sinne des Wortes nahezubringen („Obdachlosenmobil“). Eine weitere Möglichkeit eines niederschwelligen Behandlungsangebots stellt die Einrichtung einer Arztpraxis in größeren Übernachtungsheimen und Heimen zur Resozialisierung Obdachloser dar. Durch niederschwellige medizinische Versorgungsangebote kann eine weitere Chronifizierung, die Entwicklung von Folgeerkrankungen und unnötige Komplikationen verhindern. Die derzeitige medizinische und psychiatrische Versorgung Obdachloser scheint nicht nur ineffizient, sondern auch kostspielig zu sein. Viele Obdachlose kommen erst dann zum Arzt, wenn sie als Notfall in eine Intensivstation eingeliefert wurden (22). Circa die Hälfte der stationären Aufnahmen von Obdachlosen erfolgen im Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankung. Obdachlose weisen im Bevölkerungsvergleich längere stationäre Aufenthalte auf. Prävention und frühzeitigere Interventionen könnten kostengünstiger und effizienter sein. Nachdem bei Wohnungslosen in Deutschland AlDanksagung Diese Untersuchung wurde im Bayerischen Forschungsverbund Public Health – Öffentliche Gesundheit – durchgeführt. Sie wurde vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie BMBF gefördert. Wir danken den Sozialarbeitern und „Streetworkern“ und allen Personen, die sich engagieren, die Lebensbedingungen und den Gesundheitszustand Obdachloser in München zu verbessern, für ihre Unterstützung. Ohne diese Unterstützung wäre die vorliegende Untersuchung nicht möglich gewesen. Wir bedanken uns auch bei Anna Gnutzmann, Susanne Hartmann, Dr. Christa Heinrichs, Dr. Astrid Maser, Stefan Reichard, Dr. Gerd Reifferscheid und Dr. Johannes Wittmann für die Durchführung der Interviews. A-1154 Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 17, 28. April 2000 koholabhängigkeit sehr weit und deutlich mehr als in den meisten anderen westlichen Industrieländern verbreitet ist (10, 14), bedarf es dringender Maßnahmen, um Hilfen bei der Reduzierung des Alkoholmissbrauchs zu geben. Dies könnte geschehen erstens durch eine Aktivierung bestehender Selbsthilfeorganisationen für Wohnungslose, zweitens durch systematische Motivationsarbeit bei abhängigen Wohnungslosen, eine ambulante beziehungsweise stationäre Entwöhnungsbehandlung zu beginnen, drittens durch den Aufbau spezieller ambulanter Gruppentherapien für abhängige Wohnungslose und viertens durch Schulungsmaßnahmen durch Ärzte für die in Teestuben und Heimen tätigen Sozialpädagogen und Krankenschwestern über Diagnostik und Therapie der bei Obdachlosen häufigen psychischen Erkrankungen, Suchterkrankungen und körperlichen Erkrankungen – soweit dies für nichtärztliche Berufsgruppen sinnvoll ist. In den zahlreichen neu gewachsenen Heimen für Obdachlose muss eine innere Struktur noch entwickelt werden, welche wirkungsvoll dazu beiträgt, (ehemals) Wohnungslosen einer schnellen Diagnostik und Therapie für körperliche beziehungsweise psychische Erkrankungen zuzuführen. Dort besteht auch Bedarf an Ärzten, die dort Konsile und psychiatrische Supervisionen durchführen. Zitierweise dieses Beitrags: Dt Ärztebl 2000; 97: A-1148–1154 [Heft 17] Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist. Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Manfred Fichter Psychiatrische Klinik und Poliklinik der Ludwig-Maximilians-Universität Nußbaumstraße 7 80336 München Medizinisch-Psychosomatische Klinik Roseneck Am Roseneck 6 83209 Prien E-Mail: [email protected]