Frühe Kindheitstraumata, sex. Missbrauch, Vernachlässigung

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SS 2014 - Vorlesungsreihe Basiswissen Kinder- und
Jugendpsychiatrie, Entwicklungspsychopathologie
Frühe Kindheitstraumata, sex. Missbrauch,
Vernachlässigung, Misshandlung und ihre Folgen
17. Juli 2014
Prof. Jörg M. Fegert
Gliederung
Was ist ein Trauma?
PTSD / PTBS
Störung der Emotionsregulation in der
Entwicklung
Traumafolgen
Formen und Häufigkeiten der
Kindesmisshandlung
Runder Tisch sexueller Missbrauch und
UBSKM
Bundeskinderschutzgesetz
Rechtlicher Rahmen in der Medizin
Öffentliche Debatte durch realitätsnahe Fallschilderung und
Kritik am Handeln der Akteure und an der Effizienz der Hilfen
insbesondere SPFH
Aber : unpraktikable Lösungsvorschläge z.B. Handlungspflicht
für Ärzte
Was ist ein Trauma?
Traumatisches Lebensereignis
Extreme physiologische
Erregung
Flucht
Freeze
Fight
Traumasymptome
| 4
Traumafolgestörungen
Psychotrauma
Akute
Belastungsreaktion
Anpassungsstörungen
Posttraumatische
Belastungsstörung
Komplexe Störungen
Traumatypen nach Terr (1991)
Typ - I - Trauma
•
•
Einzelnes, unerwartetes
•
traumatisches Erlebnis von kurzer
Dauer
z.B. Verkehrsunfälle, Opfer/Zeuge •
von Gewalttaten, Vergewaltigung
im Erwachsenenalter,
Naturkatastrophen
•
Serie miteinander verknüpfter Ereignisse
oder lang andauernde, sich
wiederholende traumatische Erlebnisse
z.B. körperliche sexuelle
Misshandlungen in der Kindheit,
überdauernde zwischenmenschliche
Gewalterfahrungen
Symptome:
• nur diffuse Wiedererinnerungen,
meist klare, sehr lebendige
konfluierende Erinnerungen,
Wiedererinnerungen
Schilderung typischer Abläufe,
Vollbild der PTSD
starke Dissoziationstendenz,
Symptome:
•
Typ - II - Trauma
Bindungsstörungen
eher gute Behandlungsprognose
•
•
schwerer zu behandeln
erhöhte Entwicklungsrisiken
Gliederung
Was ist ein Trauma?
PTSD / PTBS
Störung der Emotionsregulation in der
Entwicklung
Traumafolgen
Formen und Häufigkeiten der
Kindesmisshandlung
Runder Tisch sexueller Missbrauch und
UBSKM
Bundeskinderschutzgesetz
Rechtlicher Rahmen in der Medizin
Diagnosekriterien PTSD (ICD-10)
A. Die Betroffenen sind einem kurz oder lang dauernden Ereignis
oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder
mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt, das nahezu bei
jedem tief greifende Verzweiflung auslösen würde.
B.
Anhaltende Erinnerungen oder Wiedererleben der
Belastung durch aufdringliche Nachhallerinnerungen
(Flashbacks), lebendige Erinnerungen, sich wiederholende Träume
oder durch innere Bedrängnis in Situationen, die der Belastung ähneln
oder mit ihr in Zusammenhang stehen.
C.
Umstände, die der Belastung ähneln oder mit ihr im Zusammenhang
stehen, werden tatsächlich oder möglichst vermieden. Dieses
Verhalten bestand nicht vor dem belastenden Erlebnis.
ICD 10 Kriterien PTSD
D. Entweder 1. oder 2.
Teilweise oder vollständige Unfähigkeit, einige
wichtige Aspekte der Belastung zu erinnern.
2. Anhaltende Symptome einer erhöhten
psychischen Sensitivität und Erregung (nicht
1.
vorhanden vor der Belastung) mit zwei der folgenden Merkmale:
a.
b.
c.
d.
e.
Ein- und Durchschlafstörungen
Reizbarkeit oder Wutausbrüche
Konzentrationsschwierigkeiten
Hypervigilanz
erhöhte Schreckhaftigkeit
E. Die Kriterien B, C und D. treten innerhalb von sechs Monaten nach
dem Belastungsereignis oder nach Ende einer Belastungsperiode
auf. (In einigen speziellen Fällen kann ein späterer Beginn
berücksichtigt werden, dies sollte aber gesondert angegeben
werden).
Gliederung
Was ist ein Trauma?
PTSD / PTBS
Störung der Emotionsregulation in der
Entwicklung
Traumafolgen
Formen und Häufigkeiten der
Kindesmisshandlung
Runder Tisch sexueller Missbrauch und
UBSKM
Bundeskinderschutzgesetz
Rechtlicher Rahmen in der Medizin
Schmid, Fegert, Petermann 2010
Schmid, Petermann, Fegert 2013
Dissoziative und Somatoforme
Störungen
TraumaEntwicklungsheterotopie
Bipolare
Störungen im
Kindesalter
Substanz
missbrauch
Affektive Störungen
Störung des
Sozialverhaltens
Emotionale
Störungen
Störungen der
Persönlichkeits
-entwicklung
Selbstverletzung
Suizidalität
ADHS
Oppositionelles
Verhalten
Bindungsstörungen
Regulationsstörungen
Geburt
Vorschulalter
 Traumafolgestörungen + biologische Faktoren
Schulalter
Pubertät
Adoleszenz
Misshandelte Kinder sehen Wut,
wo andere Furcht sehen
Graphic by: Seth Pollak , courtesy PNAS Pollak
Emotion Regulation
Neural Circuits
Executive Control
Emotional
Regulation
Motivation
15
Cummings JL. Frontal-subcortical circuits and human behavior. Arch Neurol. 1993;50(8):873-880.
Diagnostische Kriterien der Disruptive Mood
Dysregulation Disorder (DMDD)
• A) Schwere wiederkehrende Wutausbrüche, die sich verbal
(z.B. Beschimpfungen) und/oder im Verhalten (z.B. physische
Gewalt gegen Menschen oder Dinge) manifestieren, die in der
Intensität oder Dauer der Situation oder Provokation deutlich
unangemessen sind.
• B) Die Wutausbrüche sind nicht konsistent mit dem
Entwicklungsniveau.
• C) Die Wutausbrüche kommen im Durchschnitt dreimal oder
häufiger in einer Woche vor.
• D) Die Stimmung zwischen den Wutausbrüchen ist dauerhaft
gereizt oder wütend während der meisten Zeit des Tages, fast
jeden Tag und dies ist durch andere beobachtbar (z.B. Eltern,
Lehrer, Gleichaltrige).
Gliederung
Was ist ein Trauma?
PTSD / PTBS
Störung der Emotionsregulation in der
Entwicklung
Traumafolgen
Formen und Häufigkeiten der
Kindesmisshandlung
Runder Tisch sexueller Missbrauch und
UBSKM
Bundeskinderschutzgesetz
Rechtlicher Rahmen in der Medizin
Folgen frühkindlicher Traumatisierung
Psychopathologische Auffälligkeiten: affektive und
Angststörungen, Dissoziation, Aufmerksamkeitsstör.,
Persönlichkeitsstörungen Substanzmissbrauch (z.B.
Famularo et al. 1996; Finkelhor et al. 2007; Cicchetti & Toth 1995;
Zanarini, 2006)
Aggressives und delinquentes Verhalten (z.B. Cicchetti
et al. 1995; Jaffee et al. 2004; Lansford et al. 2007; Smith et
al. 2005)
Störungen der Bindungsfähigkeit: Entwicklung eines
unsicheren Bindungsverhaltens (z.B. Kim & Cicchetti 2004)
Kognitive Verzerrungen: Wahrnehmung geprägt durch
Misstrauen, Ärger und Feindseligkeit (z.B. Dodge et al.
1990)
Affektive Dysregulation: Störungen in der Kontrolle von
Emotionen, Impulsivität und Ärger (z.B. Paivio & Laurent
2001)
Risikofaktoren für die Entwicklung
Ferguson et al. (1996a und b)
Neuseeländische Geburtskohorte
17,3 % Mädchen 3,4% Jungen bis 16. LJ
missbraucht
mit Penetration 5,6 % vs. 1,4 %
OR 3,6 (5,4) für Depression
OR 2,7 (6,6) für Alkoholabhängigkeit und
anderer Substanzabusus
OR 5 Suizidversuche
OR 3 Angsterkrankungen
OR 12 Verhaltensauffälligkeiten
allgemein
zeitgleiche DSM IV Diag.
Relativer Effekt von Typen der Misshandlung
Teicher 2006 AmJPsychiatry
Mehrfache Misshandlungen
Die Misshandlungssituationen treten selten völlig isoliert
auf, es werden kaum reine Unterformen der
Misshandlung in Populationen gefunden (z.B. Barnett,
et al., 1993).
Unterschiedliche Formen von Misshandlung treten
gleichzeitig oder auch zeitlich gestaffelt auf (Finkelhor,
Ormrod, Turner, & Holt, 2009)
Nicht selten sind sie mit anderen Entwicklungsrisiken
kombiniert (Ziegenhain & Fegert 2007)
Belastung und Traumatisierung nach Misshandlung
• Sensitivierung der hormonellen und neuronalen
Stressreaktion
• Orientierung auf Bedrohungsreize
• Verkümmerung der Regulation von Emotionen
• Unsicher/Vermeidende Bindung
• Dosiseffekt: Erhöhte Wahrscheinlichkeit für verschiedene
psychische Störungen und Delinquenz
• Möglicherweise Interaktion mit genetischer Ausstattung
Traumafolgestörungen
KindheitsTraumata
akute
Belastungsstörung
PTBS
Bindungsstörungen
Normale
Entwicklung
(Resilienz)
Depression
Suizidalität
+ Risikoverhalten
Substanzmissbrauch
Körperl. Erkrankungen
Fergusson et al. 1996, J Am Acad Child Adolesc Psychiatry.35:1365-74
Felitti et al. 1998, Am J Prev Med. 14:245-258
Houck et al. 2010, J Ped. Psychol, 35:473-483
Irish, Kobayashi & Delahanty 2010, J Ped Psychol 35:450-461
Oswald, Heil, & Goldbeck, J Ped Psychol. 2010, 35:462-72
Pears & Capaldi 2001, Child Abuse and Neglect 25:1439-61
u.v.m.
(Adipositas, Herz-Kreislauf,…)
Transgenerationale
Weitergabe (Opfer => Täter)
Jährliche gesamtwirtschaftliche
Traumafolgekosten - Kosten
•
Tangible Kosten der Traumatisierung:
Gesundheitskosten, Kosten der Kinder- und Jugendhilfe,
Ausbildungsförderung, Wertschöpfungsverlust etc.:
335.421€
•
Bei 1,6 Mio. Betroffenen: 6.708€ Traumafolgekosten pro Fall
und Jahr
Jährliche Kosten für die deutsche Gesellschaft
durch Folgen von Kindesmisshandlung/missbrauch und Vernachlässigung
11 Mrd. €
oder
134,54€ trägt jeder Bundesbürger jährlich.
Transdisziplinärer Traumaforschungsschwerpunkt Ulm
Gliederung
Was ist ein Trauma?
PTSD / PTBS
Störung der Emotionsregulation in der
Entwicklung
Traumafolgen
Formen und Häufigkeiten der
Kindesmisshandlung
Runder Tisch sexueller Missbrauch und
UBSKM
Bundeskinderschutzgesetz
Rechtlicher Rahmen in der Medizin
Prävalenz von Misshandlungen in Kindheit und
Jugend
Häuser, Schmutzer, Brähler & Glaesmer, 20111:
Umfrage in einer repräsentativen Stichprobe der
deutschen Bevölkerung
Auswertbare Daten von 2504 Personen (≥ 14 Jahre)
Demographische Angaben
Standardisierter Fragebogen (Childhood Trauma
Questionnaire)
______________________________________________________________________
Häuser W, Schmutzer G, Brähler E, Glaesmer H: Maltreatment in childhood and
adolescence - results from a survey of a representative sample of the German population.
Deutsches Ärzteblatt 2011; 108(17): 287–94.
1
Prävalenz von Misshandlungen in Kindheit und
Jugend
Häufigkeit von Missbrauch und Vernachlässigung in
Kindheit und Jugend
(N=2504; Mehrfachnennungen möglich)
60,0%
49,5%
50,0%
48,4%
40,0%
30,0%
20,0%
15,0%
12,6%
12,0%
10,0%
gu
ng
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uc
h
sb
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uc
h
0,0%
Prävalenz von Misshandlungen in Kindheit und
Jugend
Schwere Formen von Missbrauch und Vernachlässigung in
Kindheit und Jugend
(N=2504; Mehrfachnennungen möglich):
12,0%
10,8%
10,0%
8,0%
6,6%
6,0%
4,0%
2,8%
1,9%
1,6%
2,0%
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0,0%
Gliederung
Was ist ein Trauma?
PTSD / PTBS
Störung der Emotionsregulation in der
Entwicklung
Traumafolgen
Formen und Häufigkeiten der
Kindesmisshandlung
Runder Tisch sexueller Missbrauch und
UBSKM
Bundeskinderschutzgesetz
Rechtlicher Rahmen in der Medizin
Missbrauchsskandal 2010
Runder Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch in
Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten
und öffentlichen Einrichtungen und im familiären
Bereich“
Ergebnisse der politischen und wissenschaftlichen
Auseinandersetzung mit der Problematik „Sexueller
Kindesmissbrauch“
Homepage der UBSKM
Funktionsweise eines
Critical Incident Reporting Systems
vertraulich,
geschützt
öffentliche
Standards
Berichte über Ereignisse
Umsetzung der
Veränderungsvorschläge
öffentlich
Anonymität und/oder
vertraulich,
evtl. Immunität
Analysen durch
Experten
Ergebnisse der Analyse,
Veränderungsvorschläge
aus: Fegert, et al. 2010, S.138
geheim,
vertraulich
Vorliegende Daten der UBSKM bis 31. Oktober 2011
Datenbasis des Endberichts der wissenschaftlichen Begleitforschung:
•
Telefonische Anlaufstelle der UBSKM
– über 20.000 Telefonanrufe
– daraus gewonnene verwertbare Datensätze N= 5.179
•
Briefe und E-Mails an die UBSKM
– rund 3.000 Briefe und E-Mails
– daraus gewonnene verwertbare Datensätze N=1.575
•
Gesamtstichprobe
– verwertbare Datensätze N=6.754
Angaben zu Geschlecht und Alter
Alter (Angaben von N=4.015 Personen)
– Durchschnittsalter: 46 Jahre
– Altersspanne: sechs bis 89 Jahre
Geschlecht (Angaben von N=6.017 Personen)
– 66% (N=3.951) Frauen
– 34% (N=2.054) Männer
Kampagnenwebsite:
www.sprechen-hilft.de
43
Wirkung von Kampagne und Abschlussbericht auf
das Anruferaufkommen
Anzahl Anrufe pro Tag seit Beginn der TAL:
350
300
250
200
150
100
50
0
Kampagnenstart
21.09.2010
Präsentation des
Abschlussberichts
24.05.2011
Angaben zum Missbrauchsgeschehen*
• Art des Missbrauchs (Angaben von N=4.298 Personen)
- 96% mit Körperkontakt
• Zeitpunkt des Missbrauchsgeschehens
(Angaben von N=4.608 Personen)
–90% (N=4.133) Missbrauch in der Vergangenheit
• Häufigkeit des Missbrauchsgeschehens (Angaben von
N=3.159 Personen)
–89% mehrfacher und wiederkehrender Missbrauch
• Geschlecht der Täter/innen (Angaben von N=3.730 Personen)
– 88% (N=3.272) männliche Täter
– 6% (N=229) weibliche Täterinnen
– 6% (N=229) mehrere Täter/innen verschiedenen Geschlechts
_______________________________________________________________________________
* nach
Angaben von Betroffenen und Kontaktpersonen in Telefongesprächen und Briefen/E-Mails
Auswirkungen des Missbrauchs
•
Betroffene berichten unter anderem von bei
ihnen gestellten Diagnosen psychischer Erkrankungen
als Auswirkung von Missbrauch (N=2.208 Angaben):
– Posttraumatische Belastungsstörung (19,2%, N=425)
– Angst-/Panikstörung (19,2%, N=425)
– Persönlichkeitsstörungen (16,3%, N=361)
– Depression (14,3%, N=315)
– Depression mit Suizidalität (7,1%, N=156)
– Essstörung (13,4%, N=296)
– Alkoholabhängigkeit (2,3%, N=51)
– Medikamenten-/Drogenabusus (0,8%, N=18)
– Sonstiges (7,3%, N=161)
Auswirkungen des Missbrauchs
Betroffene berichten unter anderem von folgenden
Auswirkungen auf ihr Leben und ihre Lebensgestaltung
(N=3.938 Angaben):
– Körperliche Folgen (43,1%, N=837)
– Beziehungs-/ Partnerschaftsprobleme (41,6%, N=808)
– Leistungsbeeinträchtigung (30,0%, N=582)
– Flashbacks, Intrusionen, Alpträume (29,9%, N=568)
– Probleme mit Körperlichkeit und Sexualität (17,3%,
N=337)
– Selbstwertproblematik (17,1%, 332)
– Minderung der Lebensqualität (13,2%, N=256)
– Orientierungs-/Hilflosigkeit (7,4%, N=144)
– Externalisierendes Verhalten (4,1%, N=79)
„Ich quäle mich durchs Leben.“
Hinderliche Aspekte bei der Verarbeitung des
Erlebten
negative Reaktionen auf Hilfegesuche:
Demütigungen, Drohungen, Schuldzuweisungen,
Stigmatisierung, Strafe
gesellschaftlicher Umgang mit dem Thema und
(gesetzliche) Rahmenbedingungen
keine bzw. keine hilfreiche Unterstützung durch andere
spezifische belastende Gefühle der Betroffenen
zusätzliche belastende Umstände
weiterhin Kontakt zum Täter/zur Täterin
religiöse Vorstellungen/ scheinbar kirchliche Vorgaben
„Ich wurde so schlecht behandelt, dabei bin doch nicht ich der
Täter.“
„Warum schauen die Leute alle weg?“
„Ich renne seit Jahrzehnten gegen Mauern. Als Betroffenem werden
einem nur Steine in den Weg gelegt."
Hilfreiche Aspekte bei der Verarbeitung des Erlebten
Professionelle Hilfe, Beratung, Therapie
Unterstützung durch die Familie
Unterstützung durch das engere soziale Umfeld
(öffentliche) Anerkennung des erlebten Unrechts
darüber sprechen
Glaube und Religion
Selbstschutz: Abgrenzung und Verdrängung
Berufliche, sportliche und kreative Tätigkeiten
„Für mich waren Menschen hilfreich, die sich einmischen.“
„Das erste Mal nach soviel Jahren sprechen zu können, hat
mir gut getan.“
"Die öffentliche Diskussion um den Missbrauch ist hilfreich
und sollte aufrechterhalten werden."
Meta-Analysen
Traumatherapie für Kinder und Jugendliche
Autoren
Primärstudien
Trask et al. 2011
Agress Viol Behav
16:6-19
35 psychosoz.
PTSD Sympt.
Interventionsstudien, Extern. Sympt.
Opfer sex.
Intern. Sympt.
Missbrauchs
0.50
0.80
Kowalik et al.
2011 J Behav Ther
8 RCTs CBT for
pediatric PTSD
CBCL global
0.33
CBCL INT
0.31
CBCL EXT
0.19
PTSD Sympt.
0.68
Exp Psychiatry
42:405-413
Rolfsnes & Idsoe 19 schulbasierte
2011 J Traum Stress Interventionsstudien
24:155-165
(16 CBT)
Outcome
ES
Gliederung
Was ist ein Trauma?
PTSD / PTBS
Störung der Emotionsregulation in der
Entwicklung
Traumafolgen
Formen und Häufigkeiten der
Kindesmisshandlung
Runder Tisch sexueller Missbrauch und
UBSKM
Bundeskinderschutzgesetz
Rechtlicher Rahmen in der Medizin
Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG)
Gesetz zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern
und Jugendlichen
Ziele:
-
Frühe Hilfen und verlässliche Netzwerke schon für
werdende Eltern
-
Nachhaltige Stärkung des Einsatzes von
Familienhebammen und der Netzwerke "Frühe Hilfen"
-
Ausschluss einschlägig Vorbestrafter von Tätigkeiten in
der Kinder- und Jugendhilfe
-
Verhinderung des "Jugendamts-Hopping"
-
Befugnisnorm für Berufsgeheimnisträger zur
Informationsweitergabe an das Jugendamt
-
Regelung zum Hausbesuch
zahlreiche Änderungen im SGB VIII
Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG)
Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG)
§ 1 Kinderschutz und staatliche Mitverantwortung
§ 2 Information der Eltern über Unterstützungsangebote in
Fragen der Kindesentwicklung
§ 3 Rahmenbedingungen für verbindliche
Netzwerkstrukturen im Kinderschutz
§ 4 Beratung und Übermittlung von Informationen durch
Geheimnisträger bei Kindeswohlgefährdung
Änderungen in Vorschriften des SGB VIII, SGB IX,
Schwangerschaftskonfliktgesetz
Umgang mit der ärztlichen Schweigepflicht
§ 203 StGB Verletzung von Privatgeheimnissen
(1) Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen
Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder
Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als
1. Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker oder Angehörigen eines anderen
Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der
Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert,
2. Berufspsychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher
Abschlussprüfung,
3. Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Verteidiger in einem gesetzlich
geordneten Verfahren, Wirtschaftsprüfer, vereidigtem Buchprüfer,
Steuerberater, Steuerbevollmächtigten oder Organ oder Mitglied eines
Organs einer Rechtsanwalts-, Patentanwalts-, Wirtschaftsprüfungs-,
Buchprüfungs- oder Steuerberatungsgesellschaft,
4. Ehe-, Familien-, Erziehungs- oder Jugendberater sowie Berater für
Suchtfragen in einer Beratungsstelle, die von einer Behörde oder
Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts anerkannt ist,
4a.Mitglied oder Beauftragten einer anerkannten Beratungsstelle nach den
§§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes,
5. staatlich anerkanntem Sozialarbeiter oder staatlich anerkanntem
Sozialpädagogen oder
6. Angehörigen eines Unternehmens der privaten Kranken-, Unfall- oder
Lebensversicherung oder einer privatärztlichen, steuerberaterlichen oder
anwaltlichen Verrechnungsstelle
anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, wird mit
Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt ein fremdes Geheimnis,
namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis
oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als
1. Amtsträger,
2. für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten,
3. Person, die Aufgaben oder Befugnisse nach dem
Personalvertretungsrecht wahrnimmt,
4. Mitglied eines für ein Gesetzgebungsorgan des Bundes oder eines
Landes tätigen Untersuchungsausschusses, sonstigen Ausschusses
oder Rates, das nicht selbst Mitglied des Gesetzgebungsorgans ist, oder
als Hilfskraft eines solchen Ausschusses oder Rates,
5. öffentlich bestelltem Sachverständigen, der auf die gewissenhafte
Erfüllung seiner Obliegenheiten auf Grund eines Gesetzes förmlich
verpflichtet worden ist, oder
6. Person, die auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer
Geheimhaltungspflicht bei der Durchführung wissenschaftlicher
Forschungsvorhaben auf Grund eines Gesetzes förmlich verpflichtet
worden ist,
Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz
(KKG): § 4 Beratung und Übermittlung von Informationen
durch Geheimnisträger bei Kindeswohlgefährdung
(1)Werden
1. Ärztinnen oder Ärzten, Hebammen oder Entbindungspflegern
oder Angehörigen eines anderen Heilberufes, der für die
Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine
staatlich geregelte Ausbildung erfordert,
2. Berufspsychologinnen oder -psychologen mit staatlich anerkannter
wissenschaftlicher Abschlussprüfung,
3. Ehe-, Familien-, Erziehungs- oder Jugendberaterinnen oder -beratern sowie
4. Beraterinnen oder Beratern für Suchtfragen in einer Beratungsstelle, die von
einer Behörde oder Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts
anerkannt ist,
5. Mitgliedern oder Beauftragten einer anerkannten Beratungsstelle nach den
§§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes,
6. staatlich anerkannten Sozialarbeiterinnen oder -arbeitern oder staatlich
anerkannten Sozialpädagoginnen oder -pädagogen oder
7. Lehrerinnen oder Lehrern an öffentlichen und an staatlich anerkannten privaten
Schulen
Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz
(KKG): § 4 Beratung und Übermittlung von Informationen
durch Geheimnisträger bei Kindeswohlgefährdung
… in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gewichtige
Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder
eines Jugendlichen bekannt, so sollen sie mit dem Kind oder
Jugendlichen und den Personensorgeberechtigten die
Situation erörtern und, soweit erforderlich, bei den
Personensorgeberechtigten auf die Inanspruchnahme von
Hilfen hinwirken, soweit hierdurch der wirksame Schutz des
Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird.
Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz
(KKG): § 4 Beratung und Übermittlung von Informationen
durch Geheimnisträger bei Kindeswohlgefährdung
(2) Die Personen nach Absatz 1 haben zur Einschätzung der
Kindeswohlgefährdung gegenüber dem Träger der öffentlichen
Jugendhilfe Anspruch auf Beratung durch eine insoweit
erfahrene Fachkraft. Sie sind zu diesem Zweck befugt, dieser
Person die dafür erforderlichen Daten zu übermitteln; vor
einer Übermittlung der Daten sind diese zu
pseudonymisieren.
Befugnisnorm in Bezug auf die Schweigepflicht im
Kinderschutzgesetz BaWü und ab 2012 Befugnisnorm im
Bundeskinderschutzgesetz (§ 4 KKG)
Abgestuftes Vorgehen im Rahmen der Güterabwägung
Bei Anhaltspunkten für Kindeswohlgefährdung:
Stufe 3
IseF
Stufe 2
Stufe 1
Prüfung der eigenen
fachlichen Mittel zur
Gefährdungsabschätzung
und Gefährdungsabwehr
Hinwirken auf die aktive
Inanspruchnahme von
Hilfen durch die
Personensorgeberechtigten
Mitteilung an das Jugendamt
(Befugnis) wenn:
Tätigwerden dringend
erforderlich ist
Personensorgeberechtigte
nicht bereit oder nicht in
der Lage sind, an
Gefährdungseinschätzung
oder Abwendung der
Gefährdung mitzuwirken
Wenn Tätigwerden des JA zur Gefahrenabwendung erforderlich
Beratungsbedarf in der Medizin
Individueller, fallbezogener Beratungsbedarf in der Medizin,
insbesondere im Krankenhaus, entsteht häufig in den
Abendstunden oder am Wochenende.
Diensthabende Ärztinnen und Ärzte müssen in Rücksprache mit
dem zuständigen Oberarzt, oft ohne erreichbaren Sozialdienst
im Krankenhaus, über Fragen wie
Inobhutnahme,
Einschaltung des Jugendamts, damit
verbundener Bruch der Schweigepflicht
Entlassung nach Hause
entscheiden.
Die Rechtsgrundlagen sind ihnen dabei oft nicht bekannt
und Informationen dazu auch nicht zugänglich.
Institutioneller Beratungsbedarf wird oft noch gar nicht erkannt
und nicht nachgefragt
Die Stichprobe einer Ulmer Befragung
Bundesland
Stadt
Facharzt
Häufigkeit Prozent
Ulm
Kinderheilkunde
12
30,77
Ulm
Allgemeinmedizin
27
69,23
Ulm
Ulm Gesamt
39
100,00
Neu Ulm
Kinderheilkunde
3
15,79
Neu Ulm
Allgemeinmedizin
16
84,21
Neu Ulm
Neu Ulm Gesamt
19
100
Gesamt
58
100
Wissen Sie wie die Schweigepflicht für Sie als Arzt im
Bereich Kinderschutz geregelt ist?
Häufigkeit
Prozent
ja
22
37,9
nein
31
53,4
verweigert
5
8,6
gesamt
58
100,0
Wie ist die Schweigepflicht momentan in diesem Bereich
für Sie als Arzt konkret geregelt?
−Zitat: „Weiß nicht. Ich rede mit Jugendschutz Menschen
über alles was mir am Herzen liegt. Ich fühle mich da nicht
unsicher.“
−Zitat: „Die Schweigepflicht ist immer gleich geregelt.“
Nachfrage: „Wie denn konkret?“ Antwort: „Das weiß ich
nicht. Das entscheide ich dann für mich."
Gliederung
Was ist ein Trauma?
PTSD / PTBS
Störung der Emotionsregulation in der
Entwicklung
Traumafolgen
Formen und Häufigkeiten der
Kindesmisshandlung
Runder Tisch sexueller Missbrauch und
UBSKM
Bundeskinderschutzgesetz
Rechtlicher Rahmen in der Medizin
Aus den Empfehlungen des Runden Tisches
Seite 32:
„Diagnostik
und Intervention bei
sexuellem Missbrauch,
Vernachlässigung und
Kindesmisshandlung sollten im
Gesundheitswesen dokumentier- und
abrechenbar sein.“
ICD-10 GM Kodierung (DIMDI)
T74.-
Missbrauch von Personen
Kodiere zunächst die akute Verletzung, falls
möglich
T74.0
Vernachlässigen oder Im-Stich-Lassen
T74.1
Körperlicher Missbrauch
Ehegattenmisshandlung o.n.A.
Kindesmisshandlung o.n.A.
T74.2
Sexueller Missbrauch
T74.3
Psychischer Missbrauch
T74.8
Sonstige Formen des Missbrauchs von Personen
Mischformen
T74.9
Missbrauch von Personen, nicht näher
bezeichnet
Schäden durch Missbrauch:
- eines Erwachsenen o.n.A.
- eines Kindes o.n.A.
Achtung offizielle Klassifikation: Anwenden im Krankenhaus
war bis 2012 verboten! seit 2013 möglich!
Schweizer Gesundheitswesen definiert Abklärungsleistung
inkl. Vernetzung: „Zusammenarbeit mit externen Stellen…“
OPS 2013 :
1-945 Diagnostik bei
Verdacht auf
Gefährdung von
Kindeswohl und
Kindergesundheit
§ 294 a SGB V
Mitteilung von Krankheitsursachen und drittverursachten
Gesundheitsschäden
(1)...liegen Hinweise auf drittverursachte Gesundheitsschäden vor, sind die
an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und
Einrichtungen sowie die Krankenhäuser nach § 108 verpflichtet, die
erforderlichen Daten, einschließlich der Angaben über Ursachen und den
möglichen Verursacher, den Krankenkassen mitzuteilen. Für die
Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen, die nach § 116 des Zehnten
Buches auf die Krankenkassen übergehen, übermitteln die Kassenärztlichen
Vereinigungen den Krankenkassen die erforderlichen Angaben
versichertenbezogen.
(2) Liegen Anhaltspunkte für ein Vorliegen der Voraussetzungen des § 52 Abs. 2
vor, sind die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und
Einrichtungen sowie die Krankenhäuser nach § 108 verpflichtet, den
Krankenkassen die erforderlichen Daten mitzuteilen. Die Versicherten sind über
den Grund der Meldung nach Satz 1 und die gemeldeten Daten zu informieren.
Com.Can
Interdisziplinäres Kompetenzzentrum
• Praxisforschung
• Aus-, Fort- und Weiterbildungszentrum
• Prävention und Intervention bei Vernachlässigung,
Misshandlung und sexuellem Missbrauch
• Frühe Hilfen
Runder Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“ 2010-2011
Bedarf einer flächendeckenden Qualifizierung von medizinischem und
pädagogischem Personal (Dissemination)
Etablierung präventiver Strukturen
Erkennen von sexuellem Missbrauch
Umgang mit Verdachtsfällen
Unterstützung von Betroffenen
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Com.can ULM
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie /
Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm
Steinhövelstraße 5
89075 Ulm
www.uniklinik-ulm.de/kjpp
Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. Jörg M. Fegert
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