Traumafolgestörungen Fachgespräch „Traumaambulanzen im neuen SER“ Berlin, 16.02.2015 Prof. J. M. Fegert, Ulm Offenlegung möglicher Interessenkonflikte In den letzten 5 Jahren hatte der Autor (Arbeitsgruppenleiter) – Forschungsförderung von EU, DFG, BMG, BMBF, BMFSFJ, BMAS, Ländersozialministerien, Landesstiftung BaWü, Päpstliche Universität Gregoriana, Caritas, CJD – Reisebeihilfen, Vortragshonorare, Veranstaltungsund Ausbildungs-Sponsoring von DFG, AACAP, NIMH/NIH, EU, Goethe Institut, Pro Helvetia, Shire, Fachverbände und Universitäten sowie Ministerien – Keine industriegesponserten Vortragsreihen, kein „speakers bureau“ – Klinische Prüfungen und Beratertätigkeit für Servier, BMBF, Lundbeck – Mindestens jährliche Erklärung zu gegenüber der DGKJP und Komissionsmitgliedschaft conflicts of AACAP interest wegen – Kein Aktienbesitz , keine Beteiligungen an Pharmafirmen, Mehrheitseigner 3Li Proportionale Verteilung der Geldgeber DRITTMITTELEINNAHMEN KJPP ULM 2013 NACH GELDGEBER Länderministerien 7% Industrie 1% Stiftungen 21% EU 15% Bundesmittel + DFG 56% Gliederung • Ausgangspunkt Begleitforschung UBSKM • Was ist ein psychisches Trauma und wie entstehen psychische Traumafolgen? - Diagnosekriterien - Traumatypologie (Typ-I- und Typ-II-Traumata) - Zusammenhang zwischen potentiell traumatischen Situationen und Intensität von Symptomen • Traumafolgestörungen • Chronische Folgen/dauerhafte Beschädigung? - Neurobiologie von Trauma • Traumafolgekosten • Interventionen und Therapie (Beispiele aus dem Kindes- und Jugendalter - Frühintervention - Psychotherapie • Fazit Ausgangspunkt Begleitforschung UBSKM Funktionsweise eines Critical Incident Reporting Systems vertraulich, geschützt öffentliche Standards Berichte über Ereignisse Umsetzung der Veränderungsvorschläge Anonymität und/oder vertraulich, evtl. Immunität Analysen durch Experten Ergebnisse der Analyse, Veränderungsvorschläge öffentlich aus: Fegert, et al. 2010, S.138 geheim, vertraulich Kampagne „Sprechen hilft“ Wirkung von Kampagne und Abschlussbericht auf das Anruferaufkommen Anzahl Anrufe pro Tag seit Beginn der TAL: 200 180 160 140 120 100 80 60 40 20 0 Kampagnenstart 21.09.2010 Präsentation des Abschlussberichts 24.05.2011 Abschlussbericht der UBSKM (24.05.2011) Das Team der wissenschaftlichen Begleitforschung Dr. Lilith König Thekla Schneider Prof. Dr. Jörg Fegert Miriam Rassenhofer Dr. Nina Spröber Alexander Seitz „Schwere“ der Missbrauchsfälle im Vergleich hell = kurzfristiger/ “leichter“ Missbrauch 88,7 % 90,3 %90,3 % 61,0 % 52,3 % 47,7 % 39,0 % 39,0 % 50,3 %49,7 % 49,7 % 11,3 % dunkel = fortgesetzter “schwerer“ Missbrauch Angaben zum Missbrauchsgeschehen* Art des Missbrauchs (Angaben von N=4.298 Personen) - 96% mit Körperkontakt Zeitpunkt des Missbrauchsgeschehens (Angaben von N=4.608 Personen) –90% (N=4.133) Missbrauch in der Vergangenheit Häufigkeit des Missbrauchsgeschehens (Angaben von N=3.159 Personen) –89% mehrfacher und wiederkehrender Missbrauch Geschlecht der Täter/innen (Angaben von N=3.730 Personen) – 88% (N=3.272) männliche Täter – 6% (N=229) weibliche Täterinnen – 6% (N=229) mehrere Täter/innen verschiedenen Geschlechts _______________________________________________________________________________ * nach Angaben von Betroffenen und Kontaktpersonen in Telefongesprächen und Briefen/E-Mails Kontext des Missbrauchsgeschehens (N = 3.712)* 2500 2102 2000 1640 1500 gesamt Frauen 1087 1000 Männer 666 500 390 413 311 212 205 99 124 84 0 Institution Familie Umfeld Fremdtäter/innen _____________________________________________ * nach Angaben von Betroffenen und Kontaktpersonen in Telefongesprächen und Briefen/E-Mails Schwere Langzeitfolgen werden berichtet „Ich quäle mich durchs Leben.“ „Ich bin wie eine Marionette der Angst.“ "Sie können ein verlorenes Leben nicht bezahlen - Eine Entschädigungszahlung ist eine Geste zur Anerkennung des Leides." Auswirkungen des Missbrauchs Betroffene berichten unter anderem von bei ihnen gestellten Diagnosen psychischer Erkrankungen als Auswirkung von Missbrauch (N=2.208 Angaben): – Posttraumatische Belastungsstörung (19,2%, N=425) – Angst-/Panikstörung (19,2%, N=425) – Persönlichkeitsstörungen (16,3%, N=361) – Depression (14,3%, N=315) – Depression mit Suizidalität (7,1%, N=156) – Essstörung (13,4%, N=296) – Alkoholabhängigkeit (2,3%, N=51) – Medikamenten-/Drogenabusus (0,8%, N=18) – Sonstiges (7,3%, N=161) Auswirkungen des Missbrauchs Betroffene berichten unter anderem von folgenden Auswirkungen auf ihr Leben und ihre Lebensgestaltung (N=3.938 Angaben): – Körperliche Folgen (43,1%, N=837) – Beziehungs-/ Partnerschaftsprobleme (41,6%, N=808) – Leistungsbeeinträchtigung (30,0%, N=582) – Flashbacks, Intrusionen, Alpträume (29,9%, N=568) – Probleme mit Körperlichkeit und Sexualität (17,3%, N=337) – Selbstwertproblematik (17,1%, 332) – Minderung der Lebensqualität (13,2%, N=256) – Orientierungs-/Hilflosigkeit (7,4%, N=144) – Externalisierendes Verhalten (4,1%, N=79) „Ich quäle mich durchs Leben.“ Ergebnisse des UBSKM-Datensatzes 2010-2011 Von Betroffenen berichtete Folgen des Missbrauchs: Psychosoziale Schwierigkeiten 1000 873 900 843 800 700 626 568 600 500 400 300 334 356 269 204 200 100 0 97 Hinderliche Aspekte bei der Verarbeitung des Erlebten negative Reaktionen auf Hilfegesuche: Demütigungen, Drohungen, Schuldzuweisungen, Stigmatisierung, Strafe gesellschaftlicher Umgang mit dem Thema und (gesetzliche) Rahmenbedingungen keine bzw. keine hilfreiche Unterstützung durch andere spezifische belastende Gefühle der Betroffenen zusätzliche belastende Umstände weiterhin Kontakt zum Täter/zur Täterin religiöse Vorstellungen/kirchliche Vorgaben „Ich wurde so schlecht behandelt, dabei bin doch nicht ich der Täter.“ „Warum schauen die Leute alle weg?“ „Ich renne seit Jahrzehnten gegen Mauern. Als Betroffenem werden einem nur Steine in den Weg gelegt." Hilfreiche Aspekte bei der Verarbeitung des Erlebten Professionelle Hilfe Unterstützung durch die Familie Unterstützung durch das engere soziale Umfeld (öffentliche) Anerkennung des erlebten Unrechts darüber sprechen Glaube und Religion Selbstschutz: Abgrenzung und Verdrängung Berufliche, sportliche und kreative Tätigkeiten „Für mich waren Menschen hilfreich, die sich einmischen.“ „Das erste Mal nach soviel Jahren sprechen zu können, hat mir gut getan.“ "Die öffentliche Diskussion um den Missbrauch ist hilfreich und sollte aufrechterhalten werden." OEG • Das Vorgehen wird von den Betroffenen als sehr bürokratisch, kompliziert und meist langwierig geschildert • Die Notwendigkeit, immer wieder den Anspruch auf Entschädigungszahlungen überprüfen zu lassen und sich jedes Mal neu zu den eigenen traumatischen Erlebnissen äußern zu müssen, wird als massive Belastung und Retraumatisierung wahrgenommen • Kausalität • Sehr oft wird gefordert, dass Gutachter und Richter im Umgang mit Opfern sensibler sein müssten und eine besondere Schulung benötigen • Kritisiert wird auch, dass Zahlungen an die Verpflichtung zu bestimmten Therapien geknüpft seien Zitate von Betroffenen Mit dem Antragsverfahren, den bürokratischen Auflagen, Widersprüchen usw. erleben Opfer manchmal eine Odyssee, die ihre Kräfte übersteigt.“ „Die Hürden für Zahlungen nach OEG sind zu hoch, die Verfahren dauern zu lang, eine Reform ist dringend nötig.“ "Wenn man ein OEG-Verfahren anstrebt, wird man so behandelt, als wenn man die Unwahrheit sagt. Ich werde als Lügnerin dargestellt." „Das OEG muss anders greifen: Es darf nicht so lange dauern; nicht darauf aufbauen, dass Taten bewiesen werden müssen; Amtsärzte und Personen, die die Glaubwürdigkeitsbegutachtungen durchführen, müssen einfühlsamer und sensibler sein.“ „Anspruchsgewährung sollte auch ohne strafrechtliche Verfolgung erfolgen und das Verfahren muss einfacher gemacht werden.“ Zentrale Fragen: Was ist ein psychisches Trauma? Warum reagieren Menschen so unterschiedlich auf kriminologisch vergleichbare Missbrauchstaten? Bewertungskatalog, Anhaltspunkte möglich? Welche Bedeutung hat frühzeitige Intervention? Tragen soziale Versorgungsansprüche zur Chronifizierung bei? Grundsätzliche Entschädigung für erlittenes Leid oder Nachteilsausgleich bei Teilhabebeeinträchtigung? Anhaltspunkte für die Bestimmung des GDS bei psychischen Traumata Kausalität vs. Plausibilität Braucht es für Missbrauchsbetroffene ein spezifisches Vorgehen? Gibt es Empirie die das unterstützen würde? Was ist ein psychisches Trauma? Wie entstehen psychische Traumafolgen? Traumatisches Lebensereignis Extreme physiologische Erregung Flucht Freeze Traumasymptome Angriff Reaktionen auf traumatischen Stress LeDoux, Scientific American, 1994 Bei einer Traumatisierung laufen parallel zwei unterschiedliche physiologische Prozesse ab • Übererregungs-Kontinuum • • • • Fight oder Flight Alarmszustand Wachsamkeit Angst/Schrecken Adrenalin System wird aktiviert – Erregung Serotonerge System verändert sich – Impulsivität, Affektivität, Aggressivität Freeze – ohnmächtige / passive Reaktion • Gefühlslosigkeit / Nachgiebigkeit • Dissoziation • Opioid System wird Aktiviert Euphorie, Betäubung • Veränderung der Sinnes-,,Körperwahrnehmung (Ort, Zeit, etc.) • Physiologisch • Blutdruck (Pulsrate ) • Atmung • Muskeltonus • Schmerzwahrnehmung Dissoziatives-Kontinuum Physiologisch • Pulsrate Blutdruck • Atmung • Muskeltonus • Schmerzwahrnehmung Akute psychische Reaktionen auf traumatischen Stress • Akute Belastungsreaktion („Psychischer Schock“) – außergewöhnliche psychische oder physische Belastung – Beginn innerhalb von Minuten, meist innerhalb von Stunden/2-3 Tagen abklingend, nicht länger als 4 Wochen – initial „Betäubung“: Bewusstseinseinengung, reduzierte Aufmerksamkeit, Unfähigkeit zur Reizverarbeitung, Desorientiertheit – dann soz. Rückzug (z.T. Regungslosigkeit) oder Unruhe/Agitiertheit (bis hin zu Flucht, Umherirren) – meist vegetative Paniksymptome (Herzrasen, Schwitzen, Erröten) – z.T. Erinnerungslücken • Akute Belastungssymptome sind eine normale Reaktion! Resilienz und Traumafolgestörungen Psychotrauma akute Belastungsreaktion Resilienz Anpassungsstörungen Posttraumatische Belastungsstörung Komplexe Störungen Diagnosekriterien PTSD (ICD-10) A. Die Betroffenen sind einem kurz oder lang dauernden Ereignis oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt, das nahezu bei jedem tief greifende Verzweiflung auslösen würde. B. Anhaltende Erinnerungen oder Wiedererleben der Belastung durch aufdringliche Nachhallerinnerungen (Flashbacks), lebendige Erinnerungen, sich wiederholende Träume oder durch innere Bedrängnis in Situationen, die der Belastung ähneln oder mit ihr in Zusammenhang stehen. C. Umstände, die der Belastung ähneln oder mit ihr im Zusammenhang stehen, werden tatsächlich oder möglichst vermieden. Dieses Verhalten bestand nicht vor dem belastenden Erlebnis. DSM-5 Traumaerleben (auch indirekt): – Wiedererleben – Vermeidung von Traumastimuli – Negative Veränderung der Kognitionen/ Stimmung – Veränderungen von Arousal und Reaktivität – Mit/ohne Dissoziation (specifier) – DD: akute Stress-reaktion: 3 Tage bis 1 Monat PTBS in D Repräsentative Stichprobe: n=2426 (14-93 Jahre, mittleres Alter: 49,6, SD: 17,9) Min. ein traumatisches Ereignis: 28% der Frauen und 21% der Männer Ein-Monatprävalenz Vollbild der PTBS: 2,3% (w: 2,5%, m: 2,1%) Maercker et al., 2008 Komorbiditäten Psychische Erkrankungen – Affektive Symptomatik – Angststörungen – Somatisierungsstörungen – BPS – Abhängigkeitserkrankungen – Psychosen – Dissoziative Identitätsstörungen Somatische Störungen – kardiovaskuläre, pulmonale und rheumatische Erkrankungen Gesteigerte Mortalität Frommberger et al., 2014 Unterschiedliche Traumafolgen Gibt es einen Zusammenhang zwischen Art der Tat bzw. des Traumas und der Symptomatik? Sind Menschen verschieden? Resilienz? Spontanheilung? Bedeutung des Alters zum Zeitpunkt der Belastung? Kombinierte Belastungen? Sequentielle Belastungen und Kausalität Plausibilität als mögliches Kriterium? Traumatypologie nach L. Terr (1991) Typ – I - Trauma • Einzelnes, unerwartetes, traumatisches Erlebnis von kurzer Dauer. • z.B. Verkehrsunfälle, Opfer/Zeuge von Gewalttaten, Naturkatastrophen. • Öffentlich, besprechbar Symptome: • Meist klare sehr lebendige Wiedererinnerungen Vollbild der PTSD • Hauptemotion = Angst • Eher gute Behandlungsprognose Typ – II - Trauma • Serie miteinander verknüpfter Ereignisse oder lang andauernde, sich wiederholende traumatische Erlebnisse. • Körperliche sexuelle Misshandlungen in der Kindheit, überdauernde zwischenmenschliche Gewalterfahrungen. • Nicht öffentlich Symptome: • Nur diffuse Wiedererinnerungen, starke Dissoziationstendenz, Bindungsstörungen Hohe Komorbidität, komplexe PTSD • Sekundäremotionen (z.B. Scham, Ekel) • Schwerer zu behandeln Bedeutung von Freeze/ Dissoziation • Das Phänomen der Dissoziation kann man schon bei jüngeren traumatisierten Kindern beobachten (Summit 1983). • Dissoziatives Erleben ist der wichtigste Prädiktor dafür, ob eine PTSD oder komplexe PTSD entsteht (Shalev et al. 1996, 2002, Brewitt et al. 2000). • Dissoziationsneigung geht mit Selbstverletzung und Suizidversuchen einher (Zlotnik et al. 1996, van der Kolk et al. 1996). • Sequentielle Traumatisierung: 10% nach der ersten Traumatisierung bereits chronische Dissoziationsneigung - 50% bei wiederholten Traumata (Overkamp 2002, Macfie et al. 2001). Dissoziative Prozesse Fiedler (2002) Gedächtnis / Erinnerung Implizit/prozedural Emotionen Unbewusst Handlungsroutinen Priming Effekte Einzelne Bilder Dissoziation Kein Körpergefühl Thalamus, Amygdala, Sensorischer Cortex D I S S O Z I A T I O N Explizit/deklerativ Kognitionen Bewusst Semantisch Episodisch Autobiographisch Körpergefühl Präfrontaler Cortex, Hippocampus, Temporallappen Risikofaktoren der PTBS nach Trauma Typ I bei Kindern und Jugendlichen Übersicht bei Tuulikki Kultalahti und Rosner 2008 Prätraumatische Merkmale: Alter (wiedersprüchlich) Geschlecht (Mädchen höheres Risiko), Ethnizität am wichtigsten: vorausgehende psychische Belastung und Auffälligkeit, Zurechtkommen in der Schule vor dem Ereignis, frühere Traumatisierung kein Einfluß: SÖS und Familienstruktur protektiv: Intelligenz Peritraumatische Merkmale: Lebensgefahr, Verlust von Angehörigen oder Kameraden Verletzung emotionale Reaktion und Belastung Stressorschwere bei Eltern Posttraumatische Merkmale Bewältigungsstrategien (kognitive und verhaltensbezogene Strategien) Landolt 2004 insbesondere Schuldkognitionen Komorbidität Elternbezogene Merkmale Rolle der Eltern um so bedeutender. je jünger das Kind (Yule 1992) Soziale Unterstützung in der Schule (Broberg et al. 2005) Weitere posttraumatische belastende Lebensereignisse Welche traumatischen Situationen führen in der Regel zu intensiven Symptomen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. Dauern sehr lange Wiederholen sich häufig Rituellen Charakter Schwere körperliche Verletzungen Zwischenmenschliche Gewalt Sind schwer nachzuvollziehen Täter ist eine Bezugsperson Täter wird vom Opfer gemocht Opfer fühlt sich mitschuldig Persönlichkeit ist noch nicht gefestigt Beinhalten sadistische Folter Beinhalten sexuelle Gewalt Mehrere Täter Starke Dissoziationen Kein unmittelbarer Beistand nach der Tat – Bindung! Niemand hat darüber mit dem Opfer gesprochen/ nicht geglaubt Ferguson et al. (1996a und b) Neuseeländische Geburtskohorte • 17,3 % Mädchen 3,4% Jungen bis 16. LJ missbraucht • mit Penetration 5,6 % vs. 1,4 % • OR 3,6 (5,4) für Depression • OR 2,7 (6,6) für Alkoholabhängigkeit und anderer Substanzabusus • OR 5 Suizidversuche • OR 3 Angsterkrankungen • OR 12 Verhaltensauffälligkeiten allgemein zeitgleiche DSM IV Diag. Relativer Effekt von Typen der Misshandlung Teicher 2006 AmJPsychiatry Traumafolgestörungen KindheitsTraumata akute Belastungsstörung PTBS Bindungsstörungen Normale Entwicklung (Resilienz) Depression Suizidalität + Risikoverhalten Substanzmissbrauch Körperl. Erkrankungen Fergusson et al. 1996, J Am Acad Child Adolesc Psychiatry.35:1365-74 Felitti et al. 1998, Am J Prev Med. 14:245-258 Houck et al. 2010, J Ped. Psychol, 35:473-483 Irish, Kobayashi & Delahanty 2010, J Ped Psychol 35:450-461 Oswald, Heil, & Goldbeck, J Ped Psychol. 2010, 35:462-72 Pears & Capaldi 2001, Child Abuse and Neglect 25:1439-61 u.v.m. (Adipositas, Herz-Kreislauf,…) Transgenerationale Weitergabe (Opfer => Täter) Entwicklungsneurobiologisches Modell der Traumatisierung (De Bellis 2001, Developm Psychopathol 13:539-64) Mehrfache Misshandlungen Die Misshandlungssituationen treten selten völlig isoliert auf, es werden kaum reine Unterformen der Misshandlung in Populationen gefunden (z.B. Barnett, et al., 1993). Unterschiedliche Formen von Misshandlung treten gleichzeitig oder auch zeitlich gestaffelt auf (Finkelhor, Ormrod, Turner, & Holt, 2009) Nicht selten sind sie mit anderen Entwicklungsrisiken kombiniert (Ziegenhain & Fegert 2007) Kausalität: Missbrauch häufig kombiniert mit anderen Risikofaktoren für die Entwicklung Systematische entwicklungsbezogene Belastungsanamnese Belastung nach ACE - Kindheitstraumata • Sensitivierung der hormonellen und neuronalen Stressreaktion • Orientierung auf Bedrohungsreize • Verkümmerung der Regulation von Emotionen • Unsicher/Vermeidende Bindung • Dosiseffekt: Erhöhte Wahrscheinlichkeit für verschiedene psychische Störungen und Delinquenz • Genetik und Epigenetik Aber…. Heterogene Gruppe (z.B. Herbert et al., 2006): – N = 123, Alter: 7 – 13 Jahre – 4 Cluster: Anxiety constellation group, severe distress group, victims of less severe sexual abuse, resilient children Coping Strategien! Heterogene Gruppe (z.B. Herbert et al., 2006): – N = 123, Alter: 7 – 13 Jahre – 4 Cluster: Anxiety constellation group, severe distress group, victims of less severe sexual abuse, resilient children weniger Vermeidungsstrategien Schmid, Fegert, Petermann 2010 Schmid, Petermann, Fegert 2013 Dissoziative und Somatoforme Störungen TraumaEntwicklungsheterotopie Bipolare Störungen im Kindesalter Substanz missbrauch Affektive Störungen Störung des Sozialverhaltens Emotionale Störungen Störungen der Persönlichkeits -entwicklung Selbstverletzung Suizidalität ADHS Oppositionelles Verhalten Bindungsstörungen Regulationsstörungen Geburt Vorschulalter Traumafolgestörungen + biologische Faktoren Schulalter Pubertät Adoleszenz Modell zu den Folgen sexuellen Missbrauchs (Trickett, Noll & Putman, 2011) Psychologischer Unterstützung Distress Familie/ Peers Kompetenzen: Art des Missbrauchs: Kognitiv Sozial Selbstwert Kontrolle Täter, Dauer, Häufigkeit, Gewalt/ Drohungen, Beginn Psychopathologie: Physiologischer Distress Trauma Reaktion Pubertätsentwicklung Moderator/ Mediator Depression Ängste Dissoziation Hypersexualität Folgen Modell der chronischen Posttraumatischen Belastungsstörung Charakteristika des Traumas Ausgangslage des Individuums Kognitive Verarbeitung während des Traumas Charakteristika des Traumagedächtnis Interpretation des Traumas und seiner Konsequenzen Auslöser Gegenwärtige Bedrohung Intrusionen Erregung Starke Emotionen Ehlers & Clark, 1999 Dysfunktionales Verhalten / kognitive Strategien Achtung bei der Gleichsetzung Missbrauch: dauerhafte Beschädigung Neurobiologie als Fatum? Neurobiologische Erklärungsansätze oder biologistische Neuromythologie? Kritik an neurobiologischer Traumaforschung • Häufig nur Messung von Aktivierungsunterschieden • Häufig bei Erwachsenen • Häufig nach Singletrauma • Eigentlicher Gegenstand der Dysregulation: Netzwerkkonnektivität • Statistische Unterschiede klingen wie definitive anatomische oder physiologische Schädigungen • Gehirn hat aber hohe Plastizität und Entwicklungspotential: „Psychobiologie der Hoffnung“ (De Bellis 2001, Seite 556), vergleiche auch „natürliches Experiment“ Rumänienkinder: geringeres Volumen der weißen Substanz im Ausgangsbefund bestätigt sich nach 5 – 7 Jahren bei Heimkindern, ist bei Kindern in Pflegefamilien verschwunden (Sheridan et al. 2012) HPA-Achse CRF aus Hypothalamus ausgeschüttet → Hypophyse: ACTH → NNR: Glucocorticoide Hippocampus und PFC: inhibieren HPA Aktivität Amygdala erhöhte CRF Ausschüttung PTBS: Dysregulation der HPA Achse Hypocortisolismus: gesteigerte Sensitivität f. negatives Feedback Bailey et al., 2013; Sherin & Nemerof f, 2011 Epigenetik: FKBP5 FK506 binding protein 5 (FKBP5): funktionelle Regulation des Glucocorticoid Rezeptor Komplexes In Feedback Schleife: FKBP5 transkribiert bei Glucocorticoid Rezeptor Aktivierung: Vermindert dann Liganden-Bindung Risiko für PTSD höher bei Träger von Risikoallelen Durch exzessive Cortisol Ausschüttung: epigenetische Änderungen in FKBP5: Demethylierung in risk Allel Trägern Klengel et al., 2013 Noradrenerges System Einfluss auf Angstreaktion Einfluss auf Amygdala NA Ausschüttung: Flashbacks induziert B. chron. Stress NET ↓: NA in synpt. Spalt↑ PTSD Symptome: Hyperarousal Gesteigerter Startle Reflex Gesteigerte Encodierung v. Angst Gesteigerte Hf nach Trauma: Prädiktor f. PTSD Entwicklung Bailey et al., 2013; Sherin & Nemeroff, 2011 Zusammenspiel Glucocorticoide: NA • NA: fördert die Speicherung von AngstErinnerungen • Glucocorticoide blockieren den Zugriff auf das emotionale Gedächtnis • Hippocampus für deklaratives Gedächntis und Kontext Konditionierung verantwortlich: wenn Funktion geschwächt: Generalisierung Hypocortisolismus + gesteigerte noradrenerge Aktivität + Hippocampus Defizite: traumatische Erinnerungen „eingegraben“ und keine inhibitorische Kontrolle über Gedächntisinhalte, bzw. Generalisierung: PTSD Sherin & Nemeroff, 2011 Serotonerges System Ansprechen der Amygdala auf Bedrohung und Angstreaktion: serotonerge Neurotransmission Schnittstellen mit CRF und NA 5-HT Agonisten können bei PTSD Patienten Flashbacks auslösen 5-HT1b Rezeptor Dichte mit PTSD Symptomatik assoziiert Bailey et al., 2013 Strukturelle und funktionelle Gehirnveränderungen • Strukturelle und funktionelle Gehirnveränderungen: • Hippocampus: Volumenreduktion (Dendritenverlust: Gukokortikoide) • Amygdala: Hyperresponsivität • mPFC: Volumenverringerung (verantwortlich f. Inhibition, Hyporesponisivität b. PTSD f. Trigger) • dACC: Hyperresponsivität • Weitere Veränderungen: • OFC • DLPFC • Corpus callosum • Cerebellum Sherin & Nemeroff, 2011; Hart & Rubia, 2012, Pechtel & Pizzagalli, 2011; Pitman et al., 2012 Misshandlung/ Missbrauch im Kindesalter: fMRT • Kortikale Dicke↓ - CTQ Total score • v.a. linke Hemisphäre: • lateraler somatosensorischer Cortex • ACC (u.a. Emotionsregulation) • Precuneus (u.a. Selbstwahrnehmung) • Gyrus parahippocampalis (u.a. Gedächtnis: Encodierung) Heim et al., 2013 Misshandlung/ Missbrauch im Kindesalter: fMRT CTQ: sexual abuse score - Kortikale Dicke↓ Somatosensorischer Cortex (l): Klitoris und umgebende genitale Bereiche Gyrus parahippocampalis Heim et al., 2013 Misshandlung/ Missbrauch im Kindesalter: fMRT Emotionale Misshandlung Kortikale Dicke↓: Precuneus (l, r) PCC und ACC(l) Somatosensorischer Cortex (Gesicht) Regionen in Verbindung mit: Selbstreflexion Selbstwahrnehmung Heim et al., 2013 Misshandlung/ Missbrauch im Kindesalter: fMRT Beginn der Misshandlung Kortikale Dicke↓: Temporaler Pol (l) Linker parietaler Pol (l) Linker frontaler Pol (l, r) ACC Mit autobiographischem Gedächtnis in Zusammenhang: ev. früher Missbrauch: weniger Erinnerungen ? Heim et al., 2013 Misshandlung/ Missbrauch im Kindesalter: fMRT Bestimmte Hirnregionen: hohe Zahl an Glukokortikoid Rezeptoren und längere postnatale Reifungsprozesse (PFC od. Hippocampus): anfällig f. Veränderungen durch frühkindliche Traumata: vulnerable Phasen Analyse von 12 Datensätzen (n= 331 mit Misshandlungen und 362 HC): Defizite in der grauen Substanz: ventrolateral, prefrontal, limbisch, temporal: f. spät entwickele Funktionen: Affekt und kognitive Kontrolle, Selbstregulation, sozio-emotionaler Verhaltensweisen Lim et al., Am J Psychiatry, 2014; Pechtel & Pizzagalli, 2011 Genderaspekte Imbalance bezüglich PTBS-Diagnosen zwischen Frauen und Männern Frauen häufiger von PTBS betroffen Genderspezifisches Risiko für bestimmte Traumatypen kann Imbalance nur partiell erklären Forschung hinsichtlich des Einflusses von Gender auf Epidemiologie, Therapie und Verlauf fehlt Gender der Therapeuten und Gender Patient x Gender Therapeut Interaktion bisher wenig untersucht Untersuchung von genderspezifischen Barrieren hinsichtlich der Offenbarungsrate und Behandlungszufriedenheit etc. Die Bedeutung frühkindlicher Traumatisierung in der Anamnese der Eltern Transgenerationale Weitergabe von Belastungen? Elternschaft geht für Betroffene mit eigenen adversen Kindheitserfahrungen mit besonderen Herausforderungen einher, da Modelle gelungener Elternschaft fehlen • Eltern mit eigenen adversen Kindheitserfahrungen • haben ein erhöhtes Risiko ihren eigenen Kindern gegenüber wenig feinfühliges, bis feindseliges Verhalten zu zeigen [32 – 35] • fehlen häufig Rollenmodelle für sensitives Parenting • haben ein erhöhtes Risiko ihre eigenen Kinder zu vernachlässigen/misshandeln [36] [32] Caspi et al, 2002; [33] Widom, 1989; [34] Madigan, Bakermans-Kranenburg, van IJzendoorn, Moran, Pederson & Benoit, 2006; [35] Möhler, Biringen & Poustka, 2007; [36] Kaufmann & Ziegler, 1989 Transgenerationale Weitergabe von Belastungen „Transgenerational cycle of maltreatment“ Eltern mit eigenen Misshandlungserfahrungen haben ein erhöhtes Risiko, dass ihre Kinder ebenfalls betroffen sind Transmissionsraten: ~7-20% (z.B. [37, 38]) „Transmissiongap“ Protektive Faktoren Risikofaktoren • • • • • Elternschaft <21 Psychische Erkrankung der Eltern Gewalt in der Partnerschaft Finanzielle Probleme Biologisches „Trauma‐Gedächtnis“? • • • • • • Bindungsqualität Soziale Unterstützung Finanzielle Stabilität Stabile, fürsorgliche Bezugsperson Erziehungskompetenz Biologische Faktoren? z.B. Dixon et al., 2008; Pears & Capaldi, 2001 [37] Dixon et al., 2009; [38] Berlin et al., 2011 Modell Pears & Capaldi 2001 Frühe Elternschaft Elterliche Misshandlungsvorgeschichte Elterliche Psychopathologie Elterliches inkonsequentes Erziehungsverhalten SÖS Elterliche Misshandlung der Kinder Frühe EntwicklungsProbleme Transgenerationale Weitergabe von Belastungen Mechanismen und Zusammenspiel von Risiko- und protektiven Faktoren bei der Weitergabe von Belastungen noch weitgehend unklar Armut, soziales Netz, Familie, Jugendhilfe Psychologische 1. (Traumatischer) Stress 2. Bindung Faktoren Sozialer Kontext Biologische Faktoren 1. Physiologisches Stresssystem 2. Physiologisches Bindungssystem • Epigenetik als möglicher Mechanismus transgenerationaler Weitergabe auf biologischer Ebene Deutsche Traumafolgekostenstudie gefördert vom BMFSFJ Jährliche gesamtwirtschaftliche Traumafolgekosten Habetha,S.,* Bleich, S., Sievers C.**, Marschall, U.**, Weidenhammer, J.*, Fegert, J. M. * Institut für Gesundheits-System-Forschung Kiel **Barmer GEK • Bedingt durch die Datenlage der zusammenzuführenden Datensätze sind die Kosten pro Jahr auf die Altersgruppe der 15bis 64-jährigen im Jahr 2009 eingegrenzt. • Von 53,9 Mio. Einwohnern waren 2009 14,5% von schwerer bis extremer Kindesmisshandlung/-missbrauch, Vernachlässigung betroffen, davon waren ca. 21% nach verschiedenen Langzeitsudien zu Belastungen und Resilienz oder nach einer Studie der deutschen Kinderschutzzentren von einer Entwicklungsstörung oder Behinderung betroffen: 1,6 Mio. Personen zwischen 15 und 64 Jahren „verursachen“ kontinuierlich Traumafolgekosten Jährliche gesamtwirtschaftliche Traumafolgekosten - Kosten • Tangible Kosten der Traumatisierung: Gesundheitskosten, Kosten der Kinder- und Jugendhilfe, Ausbildungsförderung, Wertschöpfungsverlust etc.: 335.421€ • Bei 1,6 Mio. Betroffenen: 6.708€ Traumafolgekosten pro Fall und Jahr Jährliche Kosten für die deutsche Gesellschaft durch Folgen von Kindesmisshandlung/missbrauch und Vernachlässigung 11 Mrd. € oder 134,54€ trägt jeder Bundesbürger jährlich. Internationaler Vergleich • Drei Studien aus Australien, Kanada und den USA werden zum Vergleich herangezogen • Die Ergebnisse der Kosten pro Kopf werden auf die deutsche Bevölkerungszahl umgerechnet, um eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu erzielen pro-Kopf Jahreskosten [€] Jahreskosten gesamt [€] umgerechnet für BRD umgerechnet für BRD Australien 136,97 11,2 Mrd. Kanada 352,75 28,9 Mrd. USA 20,60 1,7 Mrd. BRD 134,54 11,0 Mrd. • Laut Bevölkerungsumfragen 17,8% (Australien) bzw. 15,9% (BRD) Prävalenz ➙ gute Vergleichbarkeit Burden of disease Gut gemeint ist nicht gut gemacht INTERVENTIONEN müssen evaluiert werden Sexuell missbrauchte Kinder erhalten keine spezifischen Hilfen Mikado Teilprojekt BMFSFJ Besserer und schnellerer Zugang zu hilfreichen Interventionen: Vorbilder Internationale Modelle können als Vorbild dienen Norwegen (NKSTVS) USA (NCTSN): BEST „Bringing Evidence Supported Treatments to South Carolina“ (Saunders et al. 2011) Implementierung und Evaluation einer bedarfsgerechten, gemeindenahen Hilfeprozess-Koordination für Kinder und Jugendliche nach Missbrauch, Misshandlung oder Vernachlässigung Teilprojekt 1 (Prof. Dr. L. Goldbeck, Ulm): Verkürzung des Intervalls unbehandelter Traumafolgestörungen mittels Implementierung einer strukturierten, gemeindenahen Hilfeprozesskoordination („CaseManagement“) Teilprojekt 2 (Prof. Dr. J. M. Fegert, Ulm):Untersuchung von spezifischen Risiko- und Resilienzfaktoren Teilprojekt 3 (Prof. Dr. R. Rosner, Eichstätt):Verbesserung der Versorgung von Risikopopulationen (z.B. Migrantenfamilien) Kontakt: E-Mail: [email protected] Homepage: www.canmanage.de CANMANAGE: Subtypen CAN (N=251) 0 10 20 30 Prozent 40 50 körperliche Misshandlung 72% häusliche Gewalt 64,5% (n=162) Vernachlässigung 61,8% (n=155) 60 70 80 (n=181) Emotionale Misshandlung 49,8% (n=125) sexueller Missbrauch 35,9% (n=90) n=218 (87%) multiple Typen von Misshandlung!!! Psychische Gesundheit nach Misshandlung, Missbrauch und Vernachlässigung (N=251) 35,5% (N=89) Psychische Störungen (ICD-10) after CAN (n=162) Prozent 0 5 10 15 PTBS 20 25 30 35 36,4% (n=59) ADHS (+SSV) 26,5% (n=43) Störung des Sozialverhaltens 24,5% (n=40) Enuresis/Enkopresis 23,5% (n=38) Angststörungen 21,6% (n=35) Emotionale Störungen 13,0% (n=21) Anpassungsstörungen 6,2% (n=10) andere 8,6% (n=14) (64,6%) n=73 (45%) multiple Störungen! 40 Review zu Resilienz nach sexuellem Kindesmissbrauch Systematisches Review mit 37 primär Studien 10% bis 53% der Teilnehmer wurden als resilient eingestuft Protektive Faktoren auf: - Individueller Ebene - Familienebene - Gemeindeeben Domhardt, M., Münzer, A., Fegert, J.M. & Goldbeck, L. (2015). Resilience of Survivors of Child Sexual Abuse: A Systematic Review of the Literature. Trauma, Violence, & Abuse (in press) Review zu Resilienz nach sexuellem Kindesmissbrauch Unterstützung außerhalb der Familie • Bildung • Interpersonelle und emotionale Kompetenz • Optimismus • Bindung • Externe Attribution der Verantwortung Familiäre Unterstützung Domhardt, M., Münzer, A., Fegert, J.M. & Goldbeck, L. (2015). Resilience of Survivors of Child Sexual Abuse: A Systematic Review of the Literature. Trauma, Violence, & Abuse (in press) Grundsätze der Psychotherapie traumatisierter Patienten (nach Butollo 1998) INTEGRATION Annahme des Traumas, der Veränderung KONFRONTATION Erlebnisaktivierung: kognitive Verarbeitung und emotionale Bewältigung SICHERHEIT, STABILISIERUNG Symptomerkennung, Ressourcenaktivierung, Stressbewältigung, Vermeidungsverhalten reduzieren AWMF LL Bei Patienten mit Traumata in der Kindheit wiederum scheinen SSRIs – anders als bei Patienten mit Traumata im Erwachsenenalter - hingegen zur einer mäßigen Symptomerleichterung zu führen und werden deshalb auch empfohlen Primat des Kinderschutzes Eine Retraumatisierung muss ausgeschlossen werden! • anhaltende Misshandlung, Vernachlässigung oder sex. Missbrauch • vermeidbare Exposition mit Schlüsselreizen (z.B. Bedrohungen durch den Täter) Problembereiche: Loyalitätskonflikt & Umgangsrecht Sicherheit vor Psychotherapie! Primat der Stabilität Umfeld und Lebenssituation müssen stabil sein • Keine andauernden Beziehungswechsel, keine Unsicherheiten in grundlegender Lebensgestaltung (Wohnen,..), • Erst nach erfolgtem Bindungsaufbau, Eingewöhnung an Lebenssituation und Umgangsbesuche,.. (nicht „schnell noch zur Vorbereitung..“) Kind oder Jugendlicher muss ausreichend stabil sein • Keine akute Suizidalität, kein ausgeprägter Substanzkonsum,.. Stabilität vor Psychotherapie! TF-KVT: Ziele der Therapie Der Trauma-Verhaltenstherapeut hilft dem Patienten dabei • traumatische Erinnerungen mit weniger Angst zu erleben, • irrtümliche und belastende Gedanken zu verändern (wie z.B. die Überschätzung aktueller oder künftiger Gefahren, Schuld), • Stress zu bewältigen. TF-KVT: Grundzüge •Komponenten-basiert •anpassbar und flexibel •therapeutische Beziehung ist zentral •Selbstwirksamkeit wird betont • familienorientiert •kindzentrierte Elternsitzungen parallel zu Kindersitzungen durch gleichen Therapeuten •Achtung für kulturelle Werte TF-KVT: Komponenten Wöchentlich eine Doppelstunde unter Einbezug einer nicht misshandelnden, vertrauensvollen Bezugsperson Komponenten: 1. Psychoedukation & Elternfertigkeiten 2. Entspannung 3. Ausdruck und Modulation von Affekten 4. Kognitive Verarbeitung und Bewältigung 5. Trauma Narrativ 6. Kognitive Verarbeitung und Bewältigung II 7. In vivo Bewältigung von traumatischen Erinnerungen 8. Gemeinsame Eltern-Kind Sitzungen 9. Förderung künftiger Sicherheit und Entwicklung Color your body Erstellen des Trauma-Narrativs Überschrift 1. Kapitel: Steckbrief des Kindes 2. Kapitel: „Vorher“, wie war die Beziehung zum Täter, bevor das Trauma begann; oder wie das Leben vor dem traumatischen Ereignis verlief 3. Kapitel: Traumabezogenes Narrativ: „erzählen was passiert ist“ Erstellen des Trauma-Narrativs In folgenden Sitzungen die Erzählung des Kindes erneut durchgehen und schrittweise ergänzen: Details anreichern, konkretisieren traumabezogene Gedanken und Gefühle integrieren das Kind desensibilisieren über das Geschehene zu reden „hot spots“ oder „schlimmste Momente“ identifizieren Belastung vor, während und nachher einschätzen Erstellen des Trauma-Narrativs 4. Kapitel: worst memory – was das Kind niemandem erzählen wollte, die schlimmste Erinnerung 5. Kapitel: „Was ist nun anders und was habe ich gelernt?“ Was würdest Du anderen Kindern sagen oder raten, die das Gleiche erlebt haben? Wie hast Du Dich verändert, seit x passiert ist, seit Du die Behandlung begonnen hast? „…Jetzt gibt es bei uns keine Gewalt mehr ... Ich habe noch ein bisschen Angst, dass es wieder passiert. Aber gegen die Angst helfen mir die Entspannungsübungen, und dass ich an etwas Schönes denke oder daran, dass uns die Polizei hilft. … Ich wünsche mir, dass ich auch mal Polizist werde und dass ich nicht so Alkohol trinke wie mein Vater und nicht rauche. „ EMDR Eye Movement Desensitization and Reprocessing (nach Francine Shapiro) „Eine EMDR-Sitzung ist vergleichbar mit einer Zugreise: Die Patientinnen und Patienten fahren noch einmal an dem Geschehen vorbei – aber aus sicherer Distanz und in Begleitung ihrer Therapeutinnen bzw. Therapeuten. Im weiteren Verlauf der Sitzung verblasst die belastende Erinnerung Stück für Stück und die Symptome des Traumas werden aufgelöst.“ (www.emdria.de) EMDR • Bei bilateraler alternierender Stimulierung: • Amygdala Aktivierung erhöht • DLPFC Aktivierung herabgesetzt Herkt et al., 2014 Psychopharmakotherapie: Erwachsene Frühintervention – Keine gesicherte Wirksamkeit. Keine Benzodiazepine Vollbild – TCA: Amitryptilin, Imipramin – MAO Hemmer – Phenelzin, Moclobemid – SSRI – Paroxetin, Sertralin, Fluoxetin – SNRI: Venlafaxin – Mirtazapin – Stimmungsstabilisatoren: Carbamazepin, Lamotrigin Frommberger et al., 2014 Review von MetaAnalysen und Leitlinien: Für Erwachsene SSRIs als first line Stein et al., 2009 Psychopharm. Strategien zur PTBS Behandlung ADs: – SSRIs: Keines das anderen überlegen ist – Mirtazapin, Trazodon und Venlafaxin: kleinere Studien mit positiven Ergebnissen – Buspiron: nicht signifikante Besserung im Vgl. mit Pbo: Wirkung auf Intrusionen und autonome Hyperaktivität Kapfhammer, 2014 Psychopharm. Strategien zur PTBS Behandlung: Empfehlungen SSRI: first line SSNRI, Mirtazapin, Trazodon: second line APs od. Phasenprophylaktika. Add-on Benzodiazepine wenn überhaupt dann nur kurz Längerfristige Therapie. 6-12 Monate Kapfhammer, 2014 com.can • Praxisforschung • Aus-, Fort- und Weiterbildungszentrum • Prävention und Intervention bei Vernachlässigung, Misshandlung und sexuellem Missbrauch Transdisziplinäre Traumaforschung in Ulm Fazit • Nach sexuellem Missbrauch können unterschiedliche Traumafolgestörungen eintreten. Es gibt aber auch Verläufe, wo Betroffene ohne diagnostizierbare Probleme weiterleben können (Resilienz). • Bei manchen Betroffenen zeigen sich im Laufe der Entwicklung und zu ganz unterschiedlichen Zeiten (z.B. Entwicklungsschwellen wie Pubertät) Folgen, die die Betroffenen in Verbindung mit Missbrauch bringen. • Im 3., 4. und 5. Lebensjahrzehnt scheint die Mitteilungsbereitschaft über erlebten Missbrauch am höchsten zu sein. • Soziales Entschädigungsrecht muss Akutfälle (Frühintervention) von Zuständen mit Spätfolgen unterscheiden. Fazit Kausalität, problematisches Konstrukt, da Missbrauch gerade in der Familie oder vor einer Fremdunterbringung häufig mit anderen Formen der Misshandlung und Vernachlässigung vergesellschaftet ist Bei Spätfolgen ist Kausalität oft schwierig zu bewerten. Unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten: • strenge Subtraktion wie im Zivilrecht oder • Plausibilität wie bei anerkannten Berufskrankheiten Fazit Intervention und Therapie Im Kindes- und Jugendalter ist Frühintervention und evidenzbasierte Therapie erfolgversprechend. Solche Angebote stehen flächendeckend nicht zur Verfügung. Chronische Langzeitfolgen zeigen sich in ganz unterschiedlichen Lebens-, Arbeits- und Gesundheitskontexten. Das Gesundheitswesen muss traumasensibler werden. Problematik: Zusammenhang Chronifizierung des Störungsbildes und Anspruchsbegründung. Kein geeignetes Verfahren bei Spätfolgen bei Typ-II-Traumata Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit „Es gibt keine großen Entdeckungen und Fortschritte, solange es noch ein unglückliches Kind auf Erden gibt.“ Albert Einstein * 1889 Ulm Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie / Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm Steinhövelstraße 5 89075 Ulm www.uniklinik-ulm.de/kjpp Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. Jörg M. Fegert