Kinder- und Jugendpsychiatrie 1) KJP-Diagnostik/Familiendiagnostik 2)ADHD 3) Suchtentstehung 4) Selbstverletzendes Verhalten & Suizidalität KJP & (Familien-)Diagnostik Von Familienproblemen, ADHD, Zigaretten, Rauschtrinken, Joints, Scherben und Rasiermessern…… Dr. med. Dieter Stösser KJP arbeitet mit Familien → Diagnostik (eines Kindes) ist daher immer auch Familiendiagnostik Kinder- und Jugendpsychiatrie ist also eigentlich Familienpsychiatrie In der KJP hat man es mit sehr individuellen familiären Systemen zu tun! Abteilung Psychiatrie- und Psychotherapie im Kindesund Jugendalter Tübingen 2 1 Familiäre Konstellationen Entwicklung 1996 - 2008 Definitionsversuche Familie Genetik – Blutsverwandschaft Verwandtschaft – wo Grenze ziehen? Herkunftsfamilie – Aktualfamilie Patchworkfamilie Sozialisation - Lebensgemeinschaft Adoption Kuckuckskinder 3 Familien heute 4 Definition Familie Familie = Gruppe von Personen, die ihren Lebensalltag teilen und deren intime Beziehungen und Interaktionen eine wichtige Funktion im Hinblick auf die individuelle Entwicklung zukommt. 5 6 1 Herkunft von Eigenschaften, Fähigkeiten, Problemen & Störungen Herkunft von Eigenschaften, Fähigkeiten, Problemen & Störungen Einflussgröße Gene – Vererbung: Eigenschaften, Aussehen, Temperament, Persönlichkeit?, Talent, Intelligenz … Einflussgröße Sozialisation: = alles was im Laufe des Lebens wirkt, insbesondere familiäre Einflüsse. Verhaltensstörungen oder emotionale Störungen entstehen im familiären Rahmen Gene sind zwar nicht statisch, aber (bisher) praktisch unveränderbar; die Genexpression ist nicht gezielt beinflussbar Der Mensch in seinen sozialen Systemen (Sozialisation, „das gelebte Leben“) ist also Hauptfokus für Interventionen, weil dynamisch und beeinflussbar! → Diagnostik bezieht sich sehr auf die Biografie und die Einflüsse des Lebens, weil dort evtl. die entscheidenden Ressourcen für Änderungen zu aktivieren sind. 7 Innerfamiliäre Ursachenklärung… 8 Herkunft von Eigenschaften, Fähigkeiten, Problemen & Störungen Störungen betreffen in der Regel die Familie insgesamt bzw. auch Bereiche außerhalb der Familie (Schule, Freundeskreis etc.) → gegenseitige Wechselwirkungen Die gelebten - oder auch fehlenden Beziehungen in der Familie haben riesige Bedeutung, Kraft & Macht: Chance und Risiko von intensiven familiären Beziehungen! 9 Familiendiagnostik 10 Familiendiagnostik Anamnese („Krankengeschichte“), also Biografie (z.B. Genogrammarbeit) Zugang im Gespräch – „joining“ – Beziehungsaufbau Auftragsklärung: Wer hat ein Problem, wann & mit wem? Wer will was? Wer arbeitet mit? Diagnostikmaterialien Anamnesebogen Fragebögen Selbst- und Fremdbeurteilungsbögen Tests (Intelligenz, Aufmerksamkeit, Persönlichkeit etc.) Satzergänzungen, Zeichnungen etc. Projektive Zugänge (Geschichten erzählen, SceenoTest, Rorschach-Tafeln etc.) 11 12 2 Welche psychischen Auffälligkeiten gibt es im Jugendalter? Zugang zu Familien Defizitorientierung – Ressourcenorientierung: Oder: was ist das Problem/der Konflikt? Wie & wann ist es entstanden? →Defizitorientiert - Aufmerksamkeitsprobleme / hyperkinetisches Verhalten (ADS) Wer hat ein Problem und mit wem & wann? (in welchen Situationen?, Ausnahmen davon?) Wie soll es werden und wer kann was dazu beitragen? → Ressourcenorientiert Kurz: wo kommst du her? Oder: Wo willst du hin? 13 - Störung des Sozialverhaltens - Selbstverletzungen, Suizidalität - Sucht-/Drogenprobleme (Nikotin, Alkohol, Cannabis, XTC etc.) - Angststörungen - Depressionen / emotionale Störungen - Essstörungen (Übergewicht, Anorexie, Bulimie) - Psychotische Störungen / Schizophrenie - psychosomatische Störungen - Persönlichkeitsstörungen - Einnässen/Einkoten - Pubertätskrisen (Autonomieprobleme, Ablöseprobleme, soziale Integrationsprobleme) - Autismus Auftreten & outfit im Alterskontext ADHD – ADS - ADHS Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom – ADS Attention deficit hyperactivity disorder – ADHD Attention deficit disorder - ADD AufmerksamkeitsdefizitHyperaktivitätsstörung - ADHS Hyperkinetisches Syndrom – HKS 15 16 Risikoeinschätzung Risikofaktoren 14 ADHD – ADS - ADHS ADHD = Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitäts-Defizit (ADS, HKS, ADHS, „Zappelphilipp-Syndrom“) 3 Leitsymptome: Aufmerksamkeitsstörung, Hyperaktivität, Impulsivität Komorbiditäten: Störung des Sozialverhaltens depressiv-emotionale Störung Entwicklungsstörungen/Teilleistungsstörung (LRS = Lese-Rechtschreibstörung, Dyskalkulie = Rechenschwäche Angststörung Tic´s Häufigkeit: Schon früher bekannt gewesen (s. Heinrich Hoffmann: Zappelphilipp) Ca. 3 % der Grundschulkinder gelten als auffällig bzgl. hyperkinetischer Störungen bzw. ausgeprägten Aufmerksamkeitsproblemen 17 sehr unterschiedliche Daten, je nach Schulart, Erhebungsart, Ort, Wahrnehmungsschwelle, Ideologie. Scheinbare oder reale Zunahme? Jedenfalls deutlich mehr Diagnosestellungen und medikamentöse Behandlungen in den letzten Jahren, v.a. in den USA. Teilweise zu vorschnelle Diagnosestellung ohne ausreichende Diagnostik! („Modediagnose“) 18 3 ADHD – ADS - ADHS ADHD – ADS - ADHS Entstehung/Ursachen/Theorien: Es werden eine Vielzahl an Ursachen diskutiert: Risiken aus Schwangerschaft und Geburt Erbliche Grundlage / genetische Prädisposition / Veranlagung „Minimale Hirnfunktionsstörung“ (MCD), InformationsFilterschwäche, Teilleistungsstörung, Wahrnehmungsdefizit Dopaminmangel-Hypothese (fronto-striatales System) familiäre Milieueinflüße, (menschliche) Umwelteinflüße, broken home, Sozialisation. „Phosphattheorie“, Ernährungseinflüsse Allergietheorie (allergische Reaktionen beteiligt?) „Erziehungsfehler“, elterliche Überforderung, Vernachlässigung. Einflüsse durch die Medien, PC, TV, Hektik der Gesellschaft. ⇒ Also letztendlich multifaktorielle Verursachung, keine eindeutige einzelne Ursache! Diagnostik: Genaue Exploration der Eltern und Gespräch mit dem Kind, Anamnese (u.a. Beginn wann? Kriterium: in den ersten 5 Lebensjahren!) Verhaltensbeschreibung durch Eltern und Lehrer (Kindergartenbericht, Schulbericht, Zeugnisse). Mehrere Beobachter und Situationen beachten! Situationsabhängigkeit! Standardisierte Fragebogen (z.B. Connersbögen, FBB-HKS, SBB-HKS) Körperliche Untersuchungen (Sehtest, Hörtest, evtl. Blutwerte) Intelligenztestung (z.B. HAWIK) Spezifische Konzentrationstest (d2, CPT, KITAP etc.) Evtl. Ausschluß einer Teilleistungsschwäche wie Legasthenie (LeseRechtschreibschwäche), Rechenschwäche ⇒ Insgesamt zeitintensive Abklärung, bis eine zuverlässige Diagnose steht!! Problem in der (kinderärztlichen) Praxis: Zeitmangel und mangelnde spezifische Kompetenz! 19 20 ADHD & Co ADHD – ADS - ADHS Multimodale Therapie: Beratung der Eltern & Elterntraining: Medikamente: Stimulanzien (first line): klare Strukturen und Tagesabläufe / Hausaufgabenbetreuung / Ganztagesbetreuung / Soziale Integration, Lob & Wertschätzung für positives Verhalten etc. Kognitive Verhaltenstherapie Soziales Kompetenztraining, Aufmerksamkeitstraining, Strategietraining Familientherapie Schulische Interventionen & Beratung der Lehrer Körpertherapie, Ergotherapie, Entspannungstechniken, Reittherapie, Sporttherapie etc. Medikation Methylphenidat (Amphetaminderivat = Stimulans): Ritalin®, Concerta®, Medikinet®, Equasym® – hilft bei gesicherter Diagnose bei ca. 70 % v.a. in Verbindung mit Psychotherapie . Sehr starke Zunahme der Anwendung von Methylphenidat und sehr emotional, polarisiert geführte Diskussion in Fachkreisen, in der Pädagogik und in der Gesellschaft. („Speed für Hyperkinetiker“, „Medikamentenkeule“, „Ruhigstellung mit Droge“ „ Ruhe auf Rezept“ etc.) Atomoxetin (Strattera®): chemisch aus der Gruppe der Antidepressiva (Wirkung über andere Neurotransmitter, v.a. Noradrenalin) Seltener: Neuroleptika mit eher „bremsender“ Wirkung (Sedierung) Antidepressiva (bei depressiver Komorbidität, Zwängen) 21 22 ADHD – ADS - ADHS ADHD – ADS - ADHS ⇒ Problem: großer Bedarf an Therapie, zu wenig Therapeuten, lange Wartezeiten, Zeit- und Kostenintensität, langfristige Behandlung und Lernprozesse. 23 Verlauf und Prognose: „Verwachsen“ im Laufe des Alters (nach der Pubertät) nicht unbedingt zu erwarten, sondern Risiko von zusätzlichen Störungen, Problemen oder Fortbestehen (ca. ¾ der Fälle) der Symptome. Auswirkungen auf Beruf und Ausbildung, Lebensgestaltung, eigenes Familienleben, soziale Situation. erhöhtes Risiko für Überforderungssituationen, Frusterfahrungen, Mißerfolge, dissoziale Entwicklungen, Aggressivität, kriminelle Tendenzen, Suchtentwicklung (adäquate Behandlung schützt vor Sucht!), Depressionen. V.a. bei niedriger Intelligenz, niedrigem sozioökonomischem Status erhöhtes Risiko! 24 4 ADHD & Co als Risikofaktor für Suchtentwicklung ADHD – ADS - ADHS ⇒ Rechtzeitige und konsequente Behandlung wichtig und sinnvoll, auch im Sinne gesellschaftlicher Erwägungen (Vermeidung von Folgeproblemen, Kriminalität, Drogenproblemen etc.) ADHD (& Komorbiditäten) sind Risikofaktoren für riskanten Suchtmittelgebrauch und Suchtentwicklung Medikation bei ADHD mit Stimulans, d.h. Amphetamin (Wirkstoff Methylphenidat: Ritalin®, Medikinet®, Concerta®) = Suchtgefährdung???? 25 26 Reduzierter Drogenmissbrauch bei AD(H)SPatienten mit Stimulantientherapie Suchtentwicklung Einstiegsdrogen - Relatives Risiko ADHS ohne Therapie vs. Kontrolle 8 n = 212 männliche Patienten > 15 Jahre; Nachbeobachtung 4 Jahre ADHS mit Stimulanzientherapie vs. Kontrolle 7 6 5 4 3 2 1 0 Gesamt Alkohol Marihuana Halluzi- Kokain/ nogene Stimu- Biedermann et al., Pediatrics 1999; 104(2): 1-5 Tabak lantien 27 28 Suchtentwicklung Einstiegsdrogen Suchtmittelkonsum und Suchtentwicklung „Einstiegsdrogen“ = Zigaretten & Alkohol Ø Erstkonsum: 13 Jahre Risikofaktoren für Probierverhalten & riskanten Konsum Alkohol wird früher und heftiger konsumiert Cannabis/THC (Marihuana, Haschisch, per Joint & Bong): häufigste illegale Droge Erstkontakt Ø ca. 15 - 16 Jahre Mythos Wasserpfeife (Shisha) als gesunde Variante Was sind denn „Einstiegsdrogen“? 29 30 5 Risikofaktoren für (frühes) riskantes Probierverhalten und Konsum Wer hat ein Problem? Sensation seeking Gruppendruck – peers Aufmerksamkeitsstörung – Hyperaktivitätsstörung Störung des Sozialverhaltens Teilleistungsstörungen (Lese-Rechtschreibschwäche, Rechenschwäche) Belastungen und Probleme in der Familie (broken home, finanzielle Probleme etc.) & Schule (negative Ergebnisse etc.) Suchtverhalten in der Familie – ungünstige Modelle 31 32 Alkohol Alkohol Sixpacks an der Tanke, „Vorglühen“ vor der Disco, Selbstmixen (Wodka + x) Alcopops (vor Jahren aktuell) & Verkaufstrategien (Mixgetränke) fördern Einstieg Kampfsaufen/Rauschtrinken am WE („binge drinking“ Def: > 5 Getränke an 1 Anlass) → Zunehmend Mädchen beteiligt Abhängigkeitsrisiko bzw. Dauerkonsum relativ gering, d.h. kontrollierter „Genuß“ oder Konsum viel häufiger als bei Nikotin eingehalten 33 34 35 36 Schwäbisches Tagblatt 20.4.2009 6 Alkohol Alkohol Rauschtrinken, Binge drinking (engl.:„Gelage“) & Komasaufen: kennen ca. 20 % der 12-17 jh. Jgdl. Aktuell sehr „in Mode“! → starke Zunahme der Intoxikationen bei Jgdl. (Notfälle in Kliniken!) Rauscherfahrung: ca. 35 % der Jgdl. Typische WE- und Party- Konsummuster, Konsum meist im sozialen Rahmen/in der Clique mit Gruppeninternen „Regeln“ Einstiegsalter tendenziell niedriger Suchtentwicklung meist über Jahre, Verlauf kann sehr schwanken Therapeutische Hilfe oft erst nach Jahren/Jahrzehnten! Gesellschaftliche Akzeptanz sehr hoch, im Alltag integriert Eltern häufig Modell für Trinken Wettstreit der Gesundheitspolitik (Prävention) mit der Wirtschaft (Kaufanreiz: Mixgetränke) & Handel; aber auch Doppelmoral: Steuereinnahmen immens! 37 38 Rauchen Zigaretten, Shishas & Joints Nikotin - Zigaretten Probieralter zunehmend jünger, Jungs früher als Mädchen Konsumhäufigkeit: Geschlechter gleichen sich an Schüler: ca. 80 % haben schon mal geraucht, ca. 45 % in den letzten 30 Tagen Regelmäßiges Rauchen/süchtiges Rauchen (> 10 Zig/d) Gesamtgesellschaft: ca. 35 % Raucher → fast 50 % aller „Probierer“ werden Raucher („süchtig“)!!!! 39 40 Nikotin - Zigaretten Wasserpfeife - Shisha Sehr hohes Risiko der Abhängigkeit!!! (Abhängigkeitspotential ähnlich wie bei Heroin!) Nikotin fördert Entstehung weiterer Süchte! Preispolitik hat wesentlichen Einfluss auf Konsum Starke Beeinflussung durch Modelle („Vorbilder“): Eltern, peers, Pop-Stars, Schauspieler, Sportler… und Rahmenbedingungen (örtliche Rauchverbote) 41 Mythos: weniger schädlich durch Wasserfilterung → tatsächlich ähnliche Schädlichkeit; nur manche Substanzen verringert Kühler Rauch + Fruchtaromen fördern tiefes Inhalieren → mehr Nikotin im Blut → Suchtgefahr ↑ 42 7 Cannabis - THC Cannabis - THC Wirkstoff ∆- 9-Tetra-Hydro-Cannabinol Formen: Haschisch, Marihuana Konsum: Rauchen als Joint oder mit Wasserpfeife (Bong) Mythos: Natürlichkeit, gesund & unschädlich → teils ganz eigene Szene und Abgrenzung von anderen Substanzen! Häufigkeit: ca. 30 % der 18-59 jährigen kennen Cannabis (mind. 1 x) Bei den Jgdl./Adoleszenten: ca. 40- 45 %, in den letzten 12 Monaten ca. 20 % Häufigste illegale Droge Risikokonsumenten ca. 10 %, d.h. sehr hoher Konsum bzw. deutliche Schädigung → Zunahme von (schwer) Abhängigen. (Entzugssyndrome, auch körperlich!) 43 44 Cannabis – erwünschte Wirkungen Entspannung, Lockerung Vergessen von Problemen, Ablenkung Bessere Kommunikation, Öffnung, Kreativität ↑ Cool-sein in peer-group, sozialer Anschluss, Abgrenzung von anderen Jgdl. & den Eltern Bewußtseinserweiterung Schlafförderung, chill-out Selbstbelohnung, „Genuss“ 45 46 Cannabis – THC Risiko – negative Auswirkungen Krankheit Denkstörungen, Konzentration ↓, Motivation↓, Apathie, Erregbarkeit↑ Leistungsabfall in Schule und Beruf Reduktion der Interessen Gewöhnung, Abhängigkeitsentwicklung Eingrenzung der sozialen Kontakte (Kiffer unter sich) Gefahr der Kriminalisierung und so Kontakt zu anderen Drogen/Drogenszene Angstzustände, Verfolgungsgedanken, Psychotische Symptome, Halluzinationen, Triggern einer Psychose Körperliche Folgen → wie bei Zigaretten 47 Areas of the brain affected by drug abuse 48 8 Prävention & Behandlungsansätze „Trends & bad news “ „Spice“: Liquid Ecstasy, „Liquid X“, „Soap“: GHB = Gamma-hydroxybuttersäure Mischung asiatischer Gewürze. Spice wird geraucht wie Cannabis, erzeugt ähnliche Rauschzustände; beigemischte chemische Cannabinoide als „Wirkstoff“; Verkauf seit 2009 nicht mehr legal (vorher frei verkäuflich im Internet, Head-Shops). - i.v.-Anästhetikum, in letzten Jahren als Partydroge „erfolgreich“. - Verwendung als K.o.-Tropfen (Raub, Vergewaltigung etc.) - Wirkung ähnelt Benzodiazepin bzw. Alkohol. Lebensbedrohliche Vergiftungsfälle, Todesfälle. „Tilly“ (Tilidin): Schmerzmittel, Opioid: Glücksgefühle, erotisiernde Wirkung. Deosprays, Feuerzeuggas (Butangas): Schnüffelstoffe erzeugen Rauschzustände; Todesfälle! („sudden sniffing death“) Im Vordergrund stehen präventive Ansätze in den Familien („starke Eltern, starke Kinder“) und in den Schulen Gesundheitspolitik („legalize it“ ?? Verbote?? Kontrolle??) Für Jugendliche (noch) wenig spezifische therapeutische Angebote bei bestehender Sucht (Cannabissprechstunde, Therapieprogramm CANDIS bei THC-Abusus; HaLT bei Alkoholproblemen) Problem: geringes Problembewußtsein und selten Behandlungsmotivation bei Jgdl.!! 49 50 PC–Spiel-Sucht Online Spiele-Sucht Take home message Massivly-Multiplayer-Online-Role-Playing-Game (MMOG´s oder MMORPG´s) z.B. World of Warcraft, Counterstrike, Battlefield 1942 Jederzeit zugänglich (24 h/Tag), online / offline Spiel in Gruppen (Gilden) Hoher Zeitaufwand für Erfolg („Fulltime job“), Trainingseffekt → Zunahme an Macht im Spiel Hohe Kosten, z.B. monatliche Gebühren Sozialkontakte kaum mehr möglich Schulmotivation & Leistungen ↓ Stress in Familie, Konflikte mit Eltern Suchtcharakter! „Einstiegsdrogen“ sind Nikotin und Alkohol Nikotin hat sehr hohes Abhängigkeitsrisiko Nikotin: größter Gesundheitsschaden in der Bevölkerung Wasserpfeife nicht gesünder Cannabis: Zunahme des Konsums, der Schäden & Probleme Andere Suchtformen: PC-Sucht (Spiele, internet-Surfen, MMOPG) zunehmend! 51 52 2) Selbst verletzendes und selbst schädigendes Verhalten bei Jugendlichen Übersicht selbst schädigende & verletzende Handlungen Riskante Verhaltensweisen Piercing, Tätowierungen, Branding Kratzen, Ritzen Schneiden (oberflächlich, nicht suizidal) Kopf anschlagen, Schmerzen zufügen Abschnüren Suizidversuche (Pulsadern, Erhängen, Sprung aus Höhe, Medikamente, Insulin… 53 54 9 Formen von Selbstverletzungen Selbstschädigendes Verhalten Riskante und selbstschädigende Verhaltensweisen: Bewegungsarmut, gefährlicher Sport, Genußmittel/ Suchtmittel (Rauchen, Alkohol, Drogen), Sex (keiner, zu viel, mit der falschen Person), (Geld)Spiele, körperliche Arbeit, eintönige Arbeit, zu viel Arbeit, keine Arbeit, Straßenverkehr, falsche Ernährung, Übergewicht, Mängelernährung, einseitige Ernährung, Kriminalität, Kinder bekommen, etc. etc. → „eigentlich fast alles, was man so tun kann?“, „das Schädlichste am Leben ist das Leben selbst“ Zwicken, Kratzen, Ritzen, Scheiden („Schnibbeln“), Stechen, Klemmen, Beißen, Offenhalten bzw. Aufkratzen von Wunden (auch Pickeln, Mückenstichen o.ä.) Ausreißen von Haaren (Trichotillomanie) Verbrennungen, Verätzungen mit Säuren oder Laugen, Verbrühungen Heftiges Schlagen von Kopf oder anderen Körperteilen an Wände etc., Peitschen Abschnürungen, um Durchblutungsstörungen hervorzurufen Schlucken von giftigen Substanzen 55 56 Piercing, Tätowierungen, Branding Selbstschädigung Selbstschädigung & Suizidalität: keine Diagnose oder spezifische Krankheit, sondern Verhalten/Verhaltensmuster (bzw. Gedanken) Vorkommen bei verschiedenen psychischen KH (oder auch ohne „KH“) Fliessender Übergang zwischen den Formen Zeitfaktor: einmalig, situativ, phasenweise, regelmäßig, ständig („chronisch“) Sind das auch Verhaltensweisen, die für eine psychiatrische Störung sprechen….???? 57 Piercing, Tätowierungen, (Branding) 58 Tätowierungen Motivation: Cool sein, Provokation Aufmerksamkeit erregen (Außenwirkung) Körper gestalten, Selbst-bestimmung (Binnenwirkung) Abgrenzung von anderen, z.B. Eltern Zugehörigkeit zu peer-group Identifikation mit Idolen (Schmerz-)Grenzen überschreiten 59 60 10 Piercing Branding 61 62 Ritzen Schneiden Häufigkeit Selbstverletzungen Schätzungen (Deutschland): offene Selbstverletzungen: Gesamtbevölkerung 0,6 bis 0,75 Prozent 15-30-jährige: ca. 2 Prozent. Die Selbstverletzung ist kein Phänomen einer bestimmten Gesellschaftsschicht. Überwiegend Frauen sehr häufig Zusammenhang mit Essstörungen (Bulimie & Anorexie) oder Persönlichkeitsstörungen (instabile Persönlichkeit, Borderline). 63 64 Körperstellen für Schnittverletzungen Satz einer Jugendlichen Zu den „bevorzugten“ Körperteilen für Schnittverletzungen gehören (in dieser Reihenfolge): Arme, vor allem Unterarme und Handgelenke Beine, vor allem Oberschenkel Bauch Kopf / Gesicht Brust Genitalbereich 65 …. Es muß schon weh tun und Blut muß fließen……. 66 11 Kratzen, Ritzen Schneiden Entstehung Selbstverletzungen Aus Tagebuch: Montag, …… Es geht mir heute mal wieder ziemlich schlecht.... - Ich kann nicht genau sagen warum es so ist.... - bin einfach sehr sensibel und springe auf alles und jeden sofort an.... - und dann wieder dieser jämmerliche Schmerz in mir, der mich quält, mich einfach nicht zur Ruhe kommen lässt.... - habe derzeit ein unheimliches Verlangen nach menschlicher Nähe, Wärme.... ich bin so unheimlich eifersüchtig.... - da ich es nicht zeigen kann/darf , wütet es in mir und bricht mich, Stück für Stück.... - vernichtet alle Kraft - jede Zuversicht.... Ich wünschte ich könnte mich in diesen Situationen jemandem mitteilen... - aber .... - sie würden es nicht verstehen... - wie auch - oft verstehe ich mich ja selbst nicht einmal.... in diesem Moment hatte ich bereits aufgegeben zu kämpfen... - mich dagegen zu wehren.... - es war nicht mehr aufzuhalten - nicht mehr zu verhindern.... - nein - mein Entschluss zu cutten stand doch fest.... Vernachlässigung, Deprivation in der Kindheit Bindungsstörung in früher Kindheit, instabile Lebensverhältnisse Misshandlung, Sexueller Missbrauch, Traumata Innerpsychische Faktoren Erkrankungen wie Depression, Borderline, Persönlichkeitsstörung, Psychose 67 68 Funktion Funktion Funktion: Intrapsychische Funktion Selbstfürsorge Selbstkontrolle Selbstbestrafung Selbststimulation Interpsychische Funktion Hilfsappell Kontrolle, Autonomie und Aggression umgeleitete (fremd-)aggressive Akte Erregungsabfuhr ungerichteter oder blockierter innerer Erregung → Bewältigungsversuch der Konflikte & der subjektiven Ohnmacht Flucht aus Überforderung → Kontrolle & Autonomie erreicht Hilfen & Aufmerksamkeit werden mobilisiert Ausdruck des Wunsches zu (über-)leben! 69 70 Umgang mit selbst schädigendem Verhalten Suizidalität Hintergründe & Auslöser Gratwanderung zwischen angebrachter, ernst nehmender („sinnvoller“) Zuwendung (z.B. Wundversorgung, Gesprächsangebot etc.) und Vermeidung von schädlichen Belohnungen für das selbst verletzende Verhalten durch Zuwendung für dasselbe. Selbstmordversuch = Suizidversuch = Parasuizid (Synonyme) V.a. bei „chronischem“, immer wieder vorkommendem selbst verletzendem Verhalten spielen die eigenen Kränkungen und Wut (der Therapeuten/Helfer) eine große Rolle. 71 Verlust eines Liebesobjektes: Elternteil, Liebesbeziehung (real oder erträumt), Tier, Freundschaft Überforderung, Gefühl der Ohnmacht & Unfähigkeit Gefühl des ungeliebt-Seins, Selbstablehnung durch Ablehnung von außen (strenges Über-ich) Aufopferung für andere Hilfeschrei Todes-/Wunschphantasien nach Ruhe, Frieden, Geborgenheit, Harmonie 72 12 Suizidalität Hintergründe & Auslöser Suizidalität Anzeichen Akute oder längerfristige Belastungen: familiärer oder schulischer Stress, Abwertungen, Mobbing, Liebeskummer, sexuelle Probleme, körperliche oder sexuelle Misshandlungen, körperliche Erkrankungen etc. Psychische Störungen/ Erkrankungen: Depressive Syndrome, Psychose, Eßstörungen (Bulimie, Anorexie), Persönlichkeitsstörungen(emotional instabil, narzißtisch), dissoziale Entwicklung, Drogen Präsuizidales Syndrom (n. Ringel) Einengung in allen Lebensbereichen und der Gedanken, Rückzug, destruktive (gehemmte) Aggressivität und Autoaggressivität, Todesund Suizidphantasien (Gedanken, Pläne) Speziell bei Jugendlichen: Leistungsabbau in der Schule, Aufgabe von Hobbys, lebensmüde Äußerungen, Einsamkeit (-gefühl), psychosomatische/ vegetative Änderungen, Weglauftendenzen, Hinweise in Tagebuchaufzeichnungen, Abschiedsbrief 73 74 Suizidversuche Methoden Suizidalität in Kindheit & Jugend „weiche Methoden“ Tabletten (v.a. bekanntermaßen eher ungefährliche Medis, Schmerzmittel, „Beruhigungs- und Schlafmittel“), Pulsadern am Handgelenk („Schnippeln“), unklare Flüssigkeiten verschlucken…. Vor dem 8.-10. Lebensjahr so gut wie nie (eher Unfälle, riskantes Verhalten) In der Pubertät Auseinandersetzung mit der Endlichkeit des Lebens, dem Tod → Suizidalität im engeren Sinne möglich Altersgruppe 15-19 Jahre, je 100 000: - ca. 130 (Jungen) – 380 (Mädchen) Suizidversuche - ca. 3 (Mädchen)- 9 (Jungen) Suizide „harte Methoden“ Erhängen, Schusswaffen, Sprung aus großer Höhe, Zug Nach Unfällen ist Suizid häufigste Todesursache bei jungen Menschen bis 25 Jahre 75 Suizide - Häufigkeit 76 Suizide - Häufigkeit Suizide - absolute Zahlen nach Alter 77 Suizide pro Todesfälle und Alter 78 13 Suizidalität Management Suizidalität Management Suizidalität bedeutet Notfallsituation! Mögliche Behandlungsformen: Ambulante Krisenintervention Stationäre Krisenintervention Internetangebote (Hilfe per chat & mail, z.B. Youth-life-line.de Ambulante therapeutische Angebote Kinder- und Jugendpsychiatrie (24-hRufbereitschaft, evtl. stationäre Krisenintervention) 79 80 Suizidalität Management Suizidalität Management - Allgemeines Offenes Ansprechen der Suizidalität → schafft Vertrauen (Verständnis), dient der diagnostischen Einschätzung und wirkt therapeutisch-entlastend. Offenes, neugierig neutrales Erfragen der Beweggründe. Ansprechen des Themas löst die Suizidalität nicht aus! Kein Moralisieren, Belehren oder Bagatellisieren! Durchsprechen der Folgen des Suizids (z.B. für Freunde, die Familie) Offenes Besprechen von Alternativen 81 Einbeziehung von haltgebenden Personen (peers, Familienmitglieder, evtl. rein gedanklich) Fokussierung auf die Ressourcen, die guten Zeiten, die frühren erfolgreichen Lösungen Zugrundeliegende psychiatrische Störung oder Begleitumstände berücksichtigen (Schlafmangel, Psychose → Medikation) Antisuizidpakt verhandeln– kurzfristige Absprachen und Versprechen per Handschlag Im Kontakt bleiben, sich als Ansprechperson anbieten, Tel.-Nr. geben, kurzfristig neuen Termin festlegen …. 82 Take home message Schneiden & Ritzen nicht automatisch suizidal Suizide: häufige Todesursache bei jungen Menschen! Suizidalität ansprechen ist sinnvoll und löst Suizidversuche nicht aus, sondern kann sie verhindern helfen Krisenintervention ambulant oder stationär möglich → Ziel: verbindliche, einhaltbare Absprachen! 83 Danke für die Aufmerksamkeit!! 84 14