Übersicht • Schizophrenie und Gehirnstruktur • • • • Christian Gaser Klinik für Psychiatrie • Einführung Schizophrenie Verfahren zur Morphometrie Einzelsymptome Sub-Syndrome Follow-up Studien Krankheitspezifische Effekte Cover Nature Reviews Neuroscience Juni 2004 Allgemeine Kriterien der Schizophrenie nach ICD-10 (F 20.X) Was ist Schizophrenie ? • grundlegende Störung des Realitätsbezuges • Beinträchtigung zahlreicher psychischer Funktionen wie Denken, Wahrnehmung, Affektivität, Ich-Erleben Psychotische Episode über mindestens 1 Monat (während der meisten Zeit) mit folgenden Voraussetzungen: Griesinger (1845): Einheitspsychose • unterschiedliche Symptome durch verschiedene Stadien der Einheitspsychose verursacht Mindestens eines der folgenden Merkmale: Kraepelin (1893): Dementia praecox (Abgrenzung zu affektiven Störungen): ungünstiger, progredienter Verlauf, früher Beginn (20-30 Jahre) • intellektuelle Beeinträchtigung • Wahn, Halluzinationen • psychomotorische Auffälligkeiten • affektive Abstumpfung • Antriebsminderung • soziale Isolierung a. paranoid Untertypen • hebephren kataton Bleuler (1911): Definition der Schizophrenie • Schizo [griechisch], spalt..., gespalten • Phrenos [griechisch] der Geist, das Bewusstsein Allgemeine Kriterien der Schizophrenie nach ICD-10 (F 20.X) b. c. d. Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung, Gedankenentzug oder Gedankenausbreitung Kontrollwahn, Beeinflussungswahn, Gefühl des Gemachten, deutlich bezogen auf Körper- oder Gliederbewegungungen oder bestimmte Gedanken, Tätigkeiten oder Empfindungen; Wahnwahrnehmung kommentierende oder dialogische Stimmen, die über die Patienten reden oder andere Stimmen, die aus bestimmten Körperteilen kommen anhaltender kulturell unangemessener, bizarrer Wahn, wie der, das Wetter kontrollieren zu können oder mit Außerirdischen in Verbindung zu stehen Schizophrenie - Subtypen nach ICD-10 Oder mindestens zwei der folgenden Merkmale: a. b. c. d. Anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität, täglich während mindestens eines Monats, begleitet von flüchtigen oder undeutlich ausgebildeten Wahngedanken ohne Beteiligung oder begleitet von langanhaltenden überwertigen Ideen Neologismen, Gedankenabreißen oder Einschiebungen in den Gedankenfluß, Gedankenfluß, was zu Zerfahrenheit oder Danebenreden führt Katatone Symptome wie Erregung, Haltungsstereotypien, oder wächserne Biegsamkeit (Flexibilitas (Flexibilitas cerea), cerea), Negativismus, Negativismus, Mutismus und Stupor Negative Symptome wie auffällige Apathie, Sprachverarmung, verflachte oder inadäquate Affekte. • paranoide Schizophrenie (F 20.0) • hebephrene Schizophrenie (F 20.1) • katatone Schizophrenie (F 20.2) • undifferenzierte Schizophrenie (F 20.3) • postschizophrene Depression (F 20.4) • schizophrenes Residuum (F 20.5) • Schizophrenia simplex (F 20.6) • sonstige Schizophrenie (F 20.8) • nicht näher bezeichnete Schizophrenie (F 20.9) Es muß sichergestellt sein, daß diese Symptome nicht durch eine Depression oder eine neuroleptische Medikation verursacht werden. 1 Einteilung der Symptomatik E. Bleuler Weitere Symptomeinteilungen K. Schneider Grundsymptome (immer) Symptome I. Ranges (Kardinalsymptome zur Diagnose) Störung der Affektivität (v.a. Ambivalenz) - Wahnwahrnehmung - Autismus - Dialogisierende akustische Halluzinationen - formale Denkstörungen, Zerfahrenheit - Gedankenlautwerden, Gedankenentzug, Gedankeneingebung, Gedankenausbreitung - Antriebsstörungen - Beeinflussungserlebnisse mit dem Charakter des Gemachten Akzessorische Symptome - (gelegentlich) - Symptome II. Ranges Wahnideen - Wahneinfall Halluzinationen - Sonstige Halluzinationen katatone Symptome - Affektveränderungen Auffälligkeiten von Sprache und Schrift - Ratlosigkeit - depressive Verstimmung - erlebte Gefühlsverarmung Unterteilung in positive und negative Symptomatik (Andreasen) • Positiv (im akuten Stadium): produktiv-psychotisch - Halluzinationen, Wahn, Ich-Störungen, formale Denkstörungen • Negativ (im chronischen Verlauf): Minussymptome - „sechs A“ A“ : Affektverflachung, Alogie, Alogie, Apathie/Abulie, Anhedonie, Anhedonie, Aufmerksamkeitsstörung, Asozialität 3-Faktor-Modell 3-Faktor-Modell (Liddle (Liddle)) • Halluzinationen-Wahn • Desorganisation • negative Symptomatik (formale Denkstörungen) Unterteilung für Diagnose und Medikation von Bedeutung Komorbidität nach Gunderson Verlauf bis zur ersten schizophrenen Episode Psychosen Schizophrenie SpektrumStörungen Prodromalphase schizotypisch paranoid zyklothym depressiv Alter 24,2 Zeitdauer PersönlichkeitsStörungen Psychotische Vorphase affektive Störung schizoid narzißtisch dissozial 29,0 4,8 Jahre 2 Monate 30,1 30,3 1,1 Jahre Borderline Auftreten soz. soz. Defizite GewohnheitsStörungen zwanghaft-reflektiv zwanghaft-rigide vermeidend hilflos histrionisch-expressiv impulsiv abhängig suchend Normalität erstes Anzeichen einer psychischen Störung (unspezifisches / negatives Symptom) erstes Maximum positives der Symptom Positivsymptomatik positive Symptome negative und unspezifische Symptome Ersthospitalisierung (nach Häfner et al., 1995, Mannheimer ABC-Studie, n=232) Ätiologie und Pathogenese Genetik - Dysbindin-Gen auf Chromoson 6 -> Synapsenbildung Synapsenbildung,, Signalvermittlung Gen für Bildung von Neuregulin auf Chromoson 8 -> Übertragung an glutamerge Synapsen Genetische Prädisposition Lebenszeitrisiko an Schizophrenie zu erkranken: Prä- oder Perinatale Hirnschädigung - geringes Geburtsgewicht Mangelernährung der Schwangeren Geburtskomplikationen Virusinfektionen (saisonale Schwankungen) toxische Einflüsse, z.B. Drogen Neurochemie - Überaktivität dopaminerger Strukturen (Dopaminhypothese (Dopaminhypothese)) Unterfunktion von Glutamat am NMDA-Rezeptor (Glutamathypothese) Vulnerabilitäts-Stress-Modell (Two-Hit) - Gottesman (1991) Verkettung von konstitutionellen („ („Anlagen Anlagen““ ) mit umwelt- und milieubedingten („Umwelt Umwelt““) Faktoren 2 Veränderungen im Gehirn Verarbeitung von Umweltinformationen durch das Gehirn Umweltinformation Krapelin / Bleuler - vermuteten alterierte Hirnstruktur • • • Primär motorisches Areal Primär sensorische Areale Motorik Erfassen von Information Psychiatrie v.a. in Nordamerika Schizophrenie und manische Depressionen als "funktionelle Psychose" im Gegensatz zur "organischen Psychose" z.B. bei Demenz Krankheit des Geistes vs vs.. Krankheit des Gehirns (Störung der Software vs vs.. Hardware) Ursache v.a. durch fehlende Methoden zum Widerlegen dieser Hypothese Input Output Thalamus Basalganglien Informationsverarbeitung, Koordinierung von Bewegungsabläufen Bewertung von Eindrücken Neuropathologie - Anzahl (=) und Größe ⇓ der Neurone Dichte Dic hte der Neurone ⇓, Glia ⇓ und Pyramidenzellen ⇑ kortikale Dicke ⇓ Gate - Supplementäres motorisches Areal kognitive Prozesse Hinweise auf Hirnentwicklungsstörung - motorische Antwort (Dorsolateraler Dorsolateraler)) Präfrontaler Kortex gestörte neuronale Migration im 2. Trisemester der Schwangerschaft programmierter Zelltod (Apoptose (Apoptose)) im späteren Verlauf Motorik Regelkreis Cerebellum adaptive Kontrolle Anatomie (MRT) vs Funktion (fMRT/PET) Läsionstudien: Phineas Gage Phineas Gage Unfall 1848 zwar Genesung nach 2 Monaten, aber danach Persönlichkeitsänderungen Tod 1851 - - Rekonstruktion der Verletzung Verletzung des Frontallappens • Damasio et al. 1994 Bildgebung Auffälligkeiten Kontrollproband Pneumo-Enzephalographie (um 1930) ComputerTomographie (1976) MagnetresonanzTomographie (1984) • • • • • Schizophrener Patient Meta-Analyse über 58 Studien mit 1558 Patienten (Wright et al. 2000) Gesamthirnvolumen vermindert (98 %) Seitenventrikelvolumen vergrößert (126 %) Graue Substanzvolumen vermindert (95 %) Amygdala-Hippokampus-Komplex vermindert (94 %) Gyrus parahippokampalis vermindert (93 %) 3 Differentialdiagnostik Regionenorientierte Morphometrie primäre Hirnerkrankungen 5 - 8 % (z.B. Tumor) • • • • • • Epilepsien zerebrale Traumata zerebrovaskuläre Erkrankungen Alzheimersche Erkrankung demyelinisierende Erkrankungen, z.B. Multiple Sklerose Enzephalitis oder andere Infektionen des ZNS Semiautomatisch: Semiautomatisch: Kantendetektion mit Hilfe eines Gradientenfilters (Sobelfilter) Sobelfilter) sekundäre Hirnerkrankungen ca. ca. 3 % (z.B. Drogen) • • • • • Metabolische und Autoimmunerkrankungen Hyperthyreoidismus B-12-Mangel systemischer Lupus erythematodes drogen- und pharmakainduzierte Psychosen Nachteile: Nachteile: Manuell: Manuell: Umfahren einer Region • intensiver Zeitaufwand • starke Benutzerabhängigkeit • • Klassischer Volumetrie-Ansatz auf limitierte Anzahl kontrastreich dargestellter Regionen begrenzt Partialvolumeneffekte Voxelbasierte Morphometrie Segmentierung Partitionierung des Bildes in graue und weiße Substanz und CSF Beispielergebnis für Ventrikelvolumen: Ventrikelvolumen: • Patienten: Patienten: MW 70.4 ml; SD 7.2 ml • Kontrollen: Kontrollen: MW 60.7 ml; SD 4.3 ml p<0.001 T1 grau weiß CSF Nutzung von Umfahren einer Region in jedem einzelnen Gehirn Schätzung graue Substanz p=0.95 • Ergebnis p=0.05 • • p=0.95 p=0.05 graue Substanz weiße Substanz p=0.95 Helligkeitsinformation a priori Information a priori Information (Wahrscheinlichkeitskarten (Wahrscheinlichkeitskarten)) Was bieten diese neuen Verfahren? Segmentierung CSF Helligkeitsinformation p=0.90 keine a priori definierten Regionen notwendig vollautomat. Analyse über das gesamte Gehirn benutzerunabhängig Fokale Erklärungsansätze Alterationen multipler Areale Komplexität der Schizophrenie Spezifisches Muster abnormaler Struktur und/oder Funktion Dissoziation zwischen Hirnregionen Kognitive Dysmetrie (Andreasen et al., 1998) Fronto-temporale Diskonnektivität (Woodruff et al., 1997) 4 85 schizophrene Patienten vs. 75 Kontrollen Meta-Analyse von VBM-Studien Regional Deficits in Brain Volume in Schizophrenia Schizophrenia:: A Meta-Analysis of Voxel-Based Morphometry Studies R. Honea Honea,, T.J. Crow Crow,, D. Passingham Passingham,, C.E. Mackay Am J Psychiatry 2005; 162:2233-2245 L L R Einschlußkriterien:: Einschlußkriterien • Artikel bis Mai 2004 L • Vergleich von Patienten mit Schizophrenie (chronisch oder ersterkrankt) mit Kontrollprobanden • Voxel-basierter Morphometrie (VBM) P<0.001 R R Maximum intensity projection („Glasgehirn“) Orthogonale Schnitte (Talairach: -10mm -10mm 2mm) ⇒15 Studien: 390 Patienten mit Schizophrenie, 364 Kontrollprobanden Gaser et al. Neuroimage 1999 Meta-Analyse: Übersicht Verteilung / prozentuale Überlappung • 2 Regionen in >50% der Studien gefunden (links GTM/GTS) • in 64% der Studien mit chron chron.. Patienten Veränderungen im linken GFM, aber nicht bei Ersterkrankten • in 27% der Studien mit chron chron.. Patienten Veränderungen im rechten aCG aCG,, aber in allen 3 Studien mit Ersterkrankten Veränderungen im Temporallappen: STG Veränderungen im medialen Temporallappen 5 Häufigste Symptome bei Schizophrenie Weiterentwicklung einfacher Gruppenvergleiche • • Symptom Genetik Symptomatik • Einzelsymptome Sub-Syndrome • • Heritabilität Krankheitseffekte Molekulargenetik Heterogenität der schizophrenen Patienten Klinisch • • • Erkrankungsbeginn Outcome Medikation Longitudinal • Follow-up Studien Häufigkeit % Mangelnde Einsicht 97 Akustische Halluzinationen 74 Beziehungsideen 70 Mißtrauen 66 Abgeschwächter Affekt 66 Befehlende und kommentierende Stimmen 65 Wahnstimmung 64 Verfolgunsgwahn 64 Gedankenbeeinflussung 52 Gedankenlautwerden 50 WHO 1973 Akustische Halluzinationen und Alterationen SAPS Items Rating: Rating: 0..5 85 schizophrene Patienten P<0.001 Heschl‘ Heschl‘scher Gyrus (BA 41) L Gyrus supramarginalis inferior (BA 40) R Gyrus frontalis inferior/medial (BA45/46) R L Gaser et al al.. Cereb Cortex 2003 Akustische Verarbeitung Akustische Halluzinationen und Alterationen Primär akustischer Kortex (BA 41) Sekundärer /Assoziationsakust. Kortex (BA 42/22) Kurzzeitspeicher für akust. Information (BA 40) Broca-Areal (BA 44/45) Funktionell (fMRI) Dierks et al., Neuron 1999 R L Strukturell (DBM) R L 6 Der dimensionale Ansatz nach Liddle Weiterentwicklung einfacher Gruppenvergleiche Genetik Symptomatik • • • Einzelsymptome Sub-Syndrome • • Heritabilität Krankheitseffekte Molekulargenetik Heterogenität der schizophrenen Patienten Läsionsort linker dorsaler präfrontaler Kortex medialer Temporallappen rechter ventraler präfrontaler Kortex Syndrom psychomotorische Verarmung Realitätsverzerrung Desorganisation Symptome Sprachverarmung Affektverflachung Apathie Wahn Halluzinationen formale Denkstörungen Ablenkbarkeit inadäquater Affekt Klinisch • • • Erkrankungsbeginn Outcome Medikation Longitudinal • Follow-up Studien Faktorenanalyse SANS/SAPS 30 Items SAPS Faktorladungen Faktorenanalyse: 90 Patienten vs. 110 Kontrollen 20 Items SANS Faktorladungen paranoid 3 Faktoren erklären 38% der Varianz von 50 Items paranoid negativ negativ desorganisiert desorganisiert Vergleich mit eigenen Ergebnissen Faktorenanalyse: 90 Patienten vs. 110 Kontrollen paranoid negativ desorganisiert Meta-Analyse Eigene Ergebnisse (90 Patienten vs vs.. 110 Kontrollen) 7 Weiterentwicklung einfacher Gruppenvergleiche Genetik Symptomatik • • • Heritabilität Krankheitseffekte Molekulargenetik • Follow-up Studien • Einzelsymptome Sub-Syndrome • Longitudinale Messungen mit DBM t=0 Δ t = 7 Mon. Mon. Differenz Jacobideterminante (DBM) Heterogenität der schizophrenen Patienten Klinisch • • • Erkrankungsbeginn Outcome Medikation Longitudinal Ausschnitt Verlauf bis zur ersten schizophrenen Episode Psychotische Vorphase Prodromalphase Alter 24,2 Zeitdauer 29,0 4,8 Jahre 30,1 30,3 1,1 Jahre positive Symptome negative und unspezifische Symptome erstes Maximum positives der Symptom Positivsymptomatik Ersthospitalisierung (nach Häfner et al., 1995, Mannheimer ABC-Studie, n=232) Weiterentwicklung einfacher Gruppenvergleiche Genetik Symptomatik • • • Heritabilität Krankheitseffekte Molekulargenetik • Follow-up Studien • Einzelsymptome Sub-Syndrome Erste Ergebnisse bei Hochrisiko-Patienten 2 Monate Auftreten soz. soz. Defizite erstes Anzeichen einer psychischen Störung (unspezifisches / negatives Symptom) Schizophrener Patient (25 Jahre, männlich) • 4 Patienten mit psychoseferner Symptomatik 1 Patient mit psychosenaher Symptomatik Trennung genetischer und nichtgenetischer Faktoren Cannon et al. 2002, PNAS: • Vergleich zwischen monozygoten (MZ, genetisch identischen) Zwillingen diskordant für Schizophrenie • Vergleich zwischen monozygoten und dizygoten Zwillingen diskordant für Schizophrenie Heterogenität der schizophrenen Patienten Klinisch • • • Erkrankungsbeginn Outcome Medikation Longitudinal 8 Fazit • neue, automatische Methoden verfügbar mit zahleichen Vorteilen • Heterogenität der Schizophrenie spiegelt sich in Diversität der Morphometrieergebnisse wieder • Einzelsymptome und Sub-Syndrome zeigen spezifische Muster • Nachweis sowohl genetischer als auch krankheitspezifischer Veränderungen 9