W I S S E N S C H A F T PP Internet-Recherche Somatoforme Störungen Über somatoforme Störungen ist im Internet nicht so viel zu finden wie zu anderen psychischen Störungen mit ähnlich hoher Prävalenz. A uch wenn die Gruppe der somatoformen Störungen erst in den letzten Jahrzehnten in große Diagnosesysteme ICD und DSM aufgenommen wurde, so werden die assoziierten Symptome schon lange beschrieben. Die Einführung der Kategorie der somatoformen Störungen in die Klassifikationssysteme ist eng mit der Abschaffung der stärker theoriegebundenen Kategorien der Neurosen und der Hysterie verbunden. 1980 wurden somatoforme Störungen in das Klassifikationssystem DSM-III einbezogen, 1991 in die ICD-10-SGB-V eingeführt. Im deutschsprachigen Raum wurde das Krankheitsbild häufiger auch als „allgemeines psychosomatisches Syndrom“ bezeichnet. Traditionelle, heute zum Teil ebenfalls noch anzutreffende Bezeichnungen sind: psychogene Störung, funktionelle Störung, vegetative Dystonie, allgemeines psychosomatisches Syndrom, Konversionsstörung und Briquet-Syndrom. Die ICD-10-SGB-V unterscheidet bei der Störungsgruppe der somatoformen Störungen (F45): > Somatisierungsstörung: Vorliegen von mindestens 14 Symptomen aus mindestens zwei Bereichen (gastrointestinal, kardiovaskulär, urogenital, Haut und Schmerz), für die keine körperliche Ursache gefunden werden kann seit mindestens zwei Jahren. > Indifferenzierte Somatisierungsstörung: weniger als 14 multiple körperliche Symptome, für die keine körperliche Ursache gefunden werden kann seit mindestens sechs Monaten. > Hypochondrische Störung: Überzeugung des Patienten, dass wenigstens eine ernsthafte körperliche Krankheit als Ursache für Symptome vorhanden ist, auch wenn wiederholte Untersuchungen keine ausreichende körperliche Erklärung erbracht haben. PP Heft 4 April 2004 Deutsches Ärzteblatt > Somatoforme autonome Funktionsstörung: Vegetative Symptome stehen im Vordergrund. > Anhaltende somatoforme Schmerzstörung: Schmerzsymptome stehen im Vordergrund. Eine ausführliche Beschreibung der Gruppe der somatoformen Störungen bietet die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften an (1, 2). Ein Auszug aus dem ICD-10-SGB-V-Kapitel F45 „Somatoforme Störungen“ kann unter (3) abgerufen werden, das entsprechende DSM-IV-Kapitel unter (4). Forschergruppen in Deutschland, die sich mit dem Thema der somatoformen Störungen beschäftigen, befinden sich in www.uni-duesseldorf.de/www/awmf/ll/ psytm001.htm Mainz: Prof. Wolfgang Hiller, Abteilung Klinische Psychologie, Schwerpunkte Diagnostik und Therapie (5),in Marburg: Prof.Winfried Rief,Arbeitsgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie, Schwerpunkte Diagnostik und Grundlagenforschung (6), in Bonn: Prof. Oskar Berndt Scholz, Abteilung Klinische und Angewandte Psychologie, Schwerpunkt Psychophysiologische Grundlagen (7), und in Prien: Klinik Roseneck, Leitender Psychologe Dr. Jörg Heuser, Schwerpunkt Diagnostik und Therapie (8). Wissenschaftliche Online-Ressourcen gibt es auch zur Epidemiologie, zum Beispiel der Beitrag „Somatoforme Störungen bei Jugendlichen in Deutschland“ von einer Forschergruppe aus Internet-Adressen 1 Leitlinien Somatoforme Störungen der AWMF www.uni-duesseldorf.de/www/awmf/ll/psytm001.htm 2 Leitlinien Somatoforme Störungen im Kindes- und Jugendalter der AWMF www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/ll/kjpp-010.htm 3 Somatoforme Störungen: ICD-10 icd.web.med.uni-muenchen.de/ALL/F40-F48.html 4 Somatoform Disorders DSM-IV behavenet.com/capsules/disorders/somatoformdis.htm 5 Abteilung Klinische Psychologie, Universität Mainz psycho.sowi.uni-mainz.de/abteil/kl 6 Arbeitsgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie, Universität Marburg staff-www.uni-marburg.de/~riefw/index.html 7 Abteilung Klinische und Angewandte Psychologie, Universität Bonn www.psychologie.uni-bonn.de/ kap/index.htm 8 Klinik Roseneck, Prien www.klinik-roseneck.de 9 Hessel et al.: Somatoforme Beschwerden bei Jugendlichen in Deutschland www.uni-leipzig.de/~medpsy/pdf/somat_youth.pdf 10 Prof. Wolfgang Hiller: Skript „Somatoforme Störungen“ psycho.sowi.uni-mainz.de/abteil/kl/ downloads/script_sfd.pdf 11 Karl C. Mayer: Somatoforme Störungen www.neuro24.de/somatoforme__st_rungen.htm 12 Ott et al.: Somatoform disorders and implicit memory bias www.user.gwdg.de/~bbandel/ gjp-poster-ott.htm 12 Informationen von Dr. Hans Morschitzky www.members.aon.at/morschitzky/buch_somatoforme_stoerungen/bu_soma.htm 13 www.members.aon.at/morschitzky/hypochondrie/hypocho.htm 14 www.panikattacken.at/somatoforme_stoerungen/somstoer.htm 15 Erfahrungsbericht einer Betroffenen mit hypochondrischer Störung www.astrid-kruegerpanik.de/schwerp/somat.htm 16 Informationen von Dr. Winfried Häuser home.t-online.de/home/w.haeuser/somato.htm 17 Medicine worldwide: Hypochondrische Störung www.medicine-worldwide.de/krankheiten/ psychische_krankheiten/hypochondrie.html 18 Medicine worldwide: Somatoforme Schmerzstörung www.medicine-worldwide.de/krankheiten/schmerz/somatoforme_schmerzstoerung.html 171 PP W I S S E N S C H A F T Leipzig (9), zu ihrer Diagnostik (10) und Ätiologie (11) sowie zu spezifischen Befunden aus wissenschaftlichen Studien, zum Beispiel „Somatoform disorders and implicit memory bias“ (12). Dr. Hans Morschitzky, Autor des Buches „Somatoforme Störungen“, wendet sich nicht nur an ein Fachpublikum, sondern auch an Betroffene und Angehörige. Auf seiner Homepage bietet er das Vorwort seines Buches (13) und einen Abschnitt aus dem Kapitel „Hypochondrische Störung“ (14) online an. Er stellt ein Interview zur Verfügung, in dem er leicht verständlich Fragen zu somatoformen Störungen zusammenfasst (15). Darüber hinaus findet sich im Internet auch ein Erfahrungsbericht einer Betroffenen mit einer hypochondrischen Referiert Störung (16), der von Morschitzky kommentiert wird. Dr. med. Winfried Häuser informiert unter der Überschrift „Somatoforme Störungen – ich fühle mich krank, und die Ärzte finden nichts“ (17) für Laien verständlich über Ursachen, Diagnostik und Therapie dieser Störungsgruppe. Speziell zu zwei Unterformen der somatoformen Störung, der hypochondrischen Störung sowie der somatoformen Schmerzstörung, findet der Betroffene im Gesundheitsportal Medicine worldwide Aufklärung (18, 19). Internetangebote, die über somatoforme Störungsbilder informieren, sind trotz hoher Prävalenz (12-MonatsPrävalenz: elf Prozent, Wittchen et al., 1999) deutlich seltener zu finden als Webseiten zu psychischen Störungen Kognitive Therapie bei Chronischen Depressionen Lernziel: Neue Identität entwickeln A ls chronisch wird eine Depression definiert, wenn sie länger als zwei Jahre andauert. Nicht chronische Depressionen treten eher in Schüben auf und haben einen kürzeren Verlauf. Nach Ansicht der Autoren weist eine chronische Depression im Vergleich zu einer nicht chronischen ganz besondere Spezifika auf, an denen sich auch die Behandlung durch Kognitive Therapie ausrichten muss. Charakteristisch ist zum Beispiel eine ausgeprägte Hoffnungsund Hilflosigkeit. Die Betroffenen fühlen sich außerstande, ihre Zukunft zu beeinflussen, aktiv ihre momentane Lage zu ändern und Freundschaften aufzubauen. Infolgedessen leiden sie oft an Einsamkeit und sind selbstmordgefährdet. „In der Therapie zeigen sie sich wenig interessiert daran, auf Entdeckungsreise zu gehen, alternative Erklärungen zu suchen, ihre Hausaufgaben auszuführen und erlernte Techniken anzuwenden“, sagen die Autoren. Sie raten Therapeuten dazu, sich nicht allzu optimistisch und überschwänglich zu geben, sondern eine verhaltene, aber hoffnungsvolle Grundhaltung einzunehmen. Besonders ausgeprägt bei chronisch Depressiven ist außerdem der Hang zum Perfektionismus und ein „Al PP Heft 4 April 2004 Deutsches Ärzteblatt les-oder-nichts-Denken“. Sie wollen nicht nur selbst perfekt sein, sondern erwarten dies auch vom Therapeuten. Um frühen Enttäuschungen vorzubeugen, sollten Therapeuten sich um rasche Anfangserfolge, zum Beispiel um Symptomreduktion, bemühen. Zudem sollten sie Selbstwirksamkeit und Motivation der Patienten stärken. Darüber hinaus haben chronisch Depressive schon früh negative Denkschemata und ein destruktives Weltbild erworben. Werden diese Schemata aktiviert, reagieren die Betroffenen oft übersensibel und unangemessen. Therapeuten sollten zusammen mit den Patienten die destruktiven Denkschemata prüfen und hinterfragen, ob sie nützlich sind, und sie anschließend durch realistische ersetzen. Umstrukturierung, Imaginationstechniken und Pro-Contra-Übungen können diesen Prozess unterstützen. Vielen Betroffenen mangelt es zudem an sozialen Kompetenzen und einem stabilen Selbstwertgefühl. Sie halten sich für nicht liebenswürdig, inkompetent und haben kein soziales Netzwerk. In diesem Fall kann ein Training sozialer Fertigkeiten einiges bewirken. Der Therapeut kann dabei als Rollenmodell für interpersonelle Beziehun- mit ähnlich hoher Verbreitung, wie zum Beispiel affektive Störungen. Literatur Morschitzky H: Somatoforme Störungen. Diagnostik, Konzepte und Therapie bei Körpersymptomen ohne Organbefund. Wien: Springer 2000. Rief W und Hiller W: Somatoforme Störungen – Körperliche Symptome ohne organische Ursachen.Bern:Huber 1992. Rief W und Hiller W: Somatisierungsstörung und Hypochondrie, Fortschritte der Psychotherapie, Band 1. Göttingen: Hogrefe 1998. Wittchen H-U, Müller N, Pfister H, Winter S, Schmidtkunz B: Affektive, somatoforme und Angststörungen in Deutschland – Erste Ergebnisse des bundesweiten Zusatzsurveys „Psychische Störungen“. Gesundheitswesen 1999; 61; Sonderheft 2: 216–222. Dipl.-Psych. Christiane Eichenberg, Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie, Universität zu Köln, Höninger Weg 115, 50969 Köln, christiane@ rz-online.de, www.christianeeichenberg.de gen fungieren, indem er aufmerksam und respektvoll gegenüber dem Patienten ist. Der Aufbau eines vertrauensvollen Arbeitsbündnisses ist hierbei von großer Bedeutung. Chronisch Depressive drücken sich darüber hinaus oft sehr abstrakt und unpersönlich aus. Der Therapeut muss diese Patienten dabei unterstützen, ihre Probleme und Wünsche konkret zu benennen. Selbstbeobachtung des Patienten und der Erwerb von Problemlösestrategien kann hierbei hilfreich sein. Manche Betroffenen haben die Depression bereits in ihr Selbstbild integriert und eine „depressive Identität“ entwickelt, die für sie bestimmte Funktionen erfüllt. Es fällt ihnen schwer, sich davon zu lösen. „Therapeuten sollten ihre Patienten dazu ermutigen, ihre Gedanken und Gefühle für wahr und relevant zu halten“, raten die Autoren. Erst dann würden die Patienten zugänglich werden und könnten ihre Widerstände gegen Veränderungen aufgeben. Im weiteren Verlauf lernen die Patienten dann, sich als Person von ihrer Krankheit zu unterscheiden und eine neue ms Identität zu entwickeln. Riso L, Newman C: Cognitive Therapy for Chronic Depression. Journal of Clinical Psychology 2003; 59: 817–831. Lawrence P. Riso, Department of Psychology, Georgia State University, 1182 Urban Life Building, Atlanta, GA 30303, E-Mail: [email protected] 172