3.7 Horizontale Produktdifferenzierung In den vorangegangenen Abschnitten sind wir davon ausgegangen, daß die einzelnen Unternehmen ein bestimmtes Gut produzieren und absetzen, dessen Charkteristika für sie jedoch außerhalb ihrer Kontrollmöglichkeiten liegt. Dies ist für einige Fragestellungen offenbar wenig ergiebig. Eine Differenzierung eines Gutes kann aus Sicht eines Konsumenten in dem Standort des Verkaufsstandortes liegen. Dieser kann jedoch vom Unternehmen gewählt werden. Viele Werbemaßnahmen zielen gerade darauf ab, das eigene Gut von dem der anderen Konkurrenten abzusetzen. Produktqualität ist ein weiteres Charakteristikum eines Gutes, die unter der Kontrolle eines Unternehmens ist. In der Tat stellen diese und andere Produktdifferenzierungsmöglichkeiten neben dem Preis wichtige Wettbewerbsinstrumente dar. Es ist naheliegend, daß diese Instrumente zusammen mit der Preispolitik eingesetzt werden können, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Alle Möglichkeiten der Produktdifferenzierung sind in aller Regel mit Investitionen verbunden, die weit irreversibler sind als eine Preisentscheidung. Daher ist es naheliegend, daß entsprechende Untersuchungen wieder in einem zweistufigen Kontext modelliert werden. Dabei entscheiden die Unternehmen in einer ersten Stufe zunächst über die Produktdifferenzierungsinstrumente (simultan) und danach entscheiden sie in einer zweiten Stufe über die Preise (simultan). Dies wäre jedenfalls eine adäquate Modellierung, wenn keines der beiden Unternehmen bei der Wahl der Produktdifferenzierungsinstrumente einen zeitlichen Vorsprung hat. Natürlich könnte man einen solchen Vorteil auch dadurch abbilden, daß ein Unternehmen als erstes seine Produktentscheidung trifft und erst danach potentielle Konkurrenten. Dadurch ließe sich, ähnlich wie über die Kapazitäten im Dixit-Modell, wiederum unter gewissen Umständen Eintritt verhindern oder ein Vorteil im Markt erzielen. Wir werden in diesem Abschnitt diesen Möglichkeiten nicht nachgehen. Um einen ersten Einblick in die Literatur zur Produktdifferenzierung zu erhalten, werden wir von einer Situation ausgehen, in der keines der beiden modellierten Unternehmen einen solchen zeitlichen Vorteil hat. Es hat sich im Kontext der Literatur eingebürgert, "horizontale" und "vertikale" Produktdifferenzierung zu unterscheiden. Diese Unterscheidung ist an der Wahrnehmung der Konsumenten in bezug auf die Produktcharakteristika orientiert. Darüber hinaus bezieht sich diese Einordnung auf eine eindimensionale Charakterisierung eines Gutes. Beispielsweise ist eine solche Dimension die Qualität eines Gutes. Produktdifferenzierung gemäß Qualität 2 (Zuverlässigkeit, Funktionalität usw.) ist zudem ein Beispiel für vertikale Produktdifferenzierung. Sie ist dadurch charakterisiert, daß alle Konsumenten bessere Qualität vorziehen. Typischerweise wird Qualität durch einen Index abgebildet, der in einem Intervall [a, b] liegt. Ein höherer Index steht für höhere Qualität. Alle Konsumenten präferieren höheren Index. Allgemein umfaßt "horizontale" Produktdifferenzierung die Restklasse. Sie liegt also dann vor, wenn nicht alle Konsumenten dieselben Charakteristikwerte präferieren. Beispielsweise kann dies der Standort eines Einzelhandelsgeschäfts sein. Verschiedene Konsumenten präferieren aufgrund ihrer Wohnstandorte verschiedene Standorte von Einzelhandelsgeschäften. Ein anderes Beispiel sind Abflugzeiten auf einer bestimmten Strecke. Viele Werbemaßnahmen sind darauf ausgerichtet, bestimmte Käuferschichten mit bestimmten Vorlieben anzusprechen. Allgemein sind also Fragen des Produktdesigns zusammen mit dem über Werbemaßnahmen erreichbaren Produktimage in die Kategorie horizontale Produktdifferenzierung einzuordnen. Modellmäßig wird eine solche Produktdifferenzierung typischerweise wieder durch einen Produktindex abgebildet, der in einem Intervall [a, b] liegt. Manche Konsumenten werden nun einen höheren Index präferieren, andere einen niedrigeren. Es ist zwar möglich, die eindimensionalen Indices in bestimmten Fällen auf mehrere Dimensionen auszudehnen; dies werden wir hier jedoch nicht verfolgen. Im folgenden werden wir die Einflüsse von Produktdifferenzierung auf die Preisgestaltung in einem einfachen horizontalen Produktdifferenzierungsmodell erläutern. Im folgenden Abschnitt folgt eine Charakterisierung dieser Einflüsse bei vertikaler Produktdifferenzierung. Modelliert werden auf der Konsumentenseite in aller Regel diskrete Entscheidungen. Ein Konsument kauft im Markt eine Einheit eines Gutes oder gar nichts. Betrachten wir zunächst die Entscheidung eines Konsumenten, der darüber entscheidet, ob das Produkt eines von 2 Unternehmen gekauft werden soll. Dazu sei mit αi der Charakteristikwert des Unternehmens i im Charakteristikraum [a, b] bezeichnet. Ferner sei pi der Preis, den dieses Unternehmen für eine Einheit seines Gutes verlangt. Gemeinsam fast aller Modellierungen bei Produktdifferenzierungsmodellen ist eine quasilineare Spezifikation der Präferenzen. Wenn der Konsument eine Einheit des Gutes von Unternehmen i kauft, ist sein Nutzen v (α i , ε ) − pi , 3 wobei ε für ein charakteristisches Merkmal des Konsumenten steht. Die Modelle unterscheiden sich durch die Spezifikation der Teilnutzenfunktion v. Im Kontext der horizontalen Produktdifferenzierung wurde häufig folgende Spezifikation gewählt: v (α i , ε ) = A − B ( ε − α i ) 2 Hier ist der Konsument dadurch charakterisiert, daß er den Produktdifferenzierungsindex ε in [a, b] als ideal für sich ansieht. Jede Abweichung führt zu Nutzenminderungen. Ist im übrigen m das zur Verfügung stehende Einkommen und setzt man A = m + C, so kann man den Gesamtnutzen eines Kaufs einer Einheit vom Produkt des Unternehmens i auch wie folgt schreiben: C − B( ε − α i ) 2 + m − pi Der Term m - pi gibt den Konsum eines Numerairegutes an, die verbleibenden Terme den Nutzen aus dem Konsum des Gutes des Unternehmens i. In dieser Form kann man vielleicht am einfachsten sehen, daß die Präferenzen quasilinear sind. Für das Weitere werden wir bei der ersten Schreibweise für v bleiben. Die Nutzenfunktion läßt sich leicht graphisch veranschaulichen: Nutzen v(αi,ε) αi ε Nun ist die Entscheidung, ob ein Konsument bei dem Unternehmen 1 oder 2 kauft, einfach abzubilden. Er kauft bei Unternehmen 1, wenn A − B( ε − α 1 ) 2 − p1 > A − B( ε − α 2 ) 2 − p2 , was äquivalent zu p2 − p1 > B(α 2 − α 1 )(2 ε − α 1 − α 2 ) 4 ist. Wir werden für das folgende annehmen, daß A so hoch ist, daß ein Konsument auf jeden Fall bei einem der beiden Unternehmen kauft. Der Fall, bei dem es sich für den Konsumenten nicht lohnt, eines der beiden Produkte zu erwerben, wird dadurch ausgeschlossen. Für die hier betrachteten Fragen ist dies jedoch nicht ausschlaggebend, vereinfacht aber die Darstellung. Mit der obigen Ungleichung haben wir das Kaufverhalten eines Konsumenten abgebildet. Wir werden nun alle Konsumenten betrachten und untersuchen, wieviele Konsumenten bei dem einen bzw. bei dem anderen Unternehmen kaufen. Dazu gehen wir davon aus, daß die ideale Produktcharakteristik der Konsumenten, ε, auf dem Intervall [a, b] gleichverteilt ist. Betrachten wir zunächst den Konsumenten, der bzgl. der beiden Angebote indifferent ist. Er ist in dem Modell dadurch gekennzeichnet, daß die obige Ungleichung eine Gleichung wird. Daraus läßt sich der Wert ε bestimmen, der diesen Konsument charakterisiert: ε* = p2 − p1 α + α2 + 1 2 B (α 2 − α 1 ) 2 Bezüglich der Produktwahl der beiden Unternehmen stehen sowohl die Möglichkeit α1 < α2 als auch die Möglichkeit α1 ≥ α2 offen. Wir gehen von der ersten Möglichkeit aus. Die andere führt angesichts der Symmetrie des Modells zu keinen anderen Ergebnissen. Daraus wird klar, daß die Konsumenten mit einem höheren als dem eben berechneten kritischen ε* bei dem zweiten Unternehmen kaufen und diejenigen mit einem niedrigeren ε bei dem Unternehmen 1 kaufen. Damit ist aber klar, wer bei wem kauft. Da es wegen der Gleichverteilungsannahme von jedem Konsumententyp ε gleich viele ("einen") gibt, werden ε* - a Konsumenten bei dem Unternehmen 1 kaufen und b - ε* Konsumenten bei dem Unternehmen 2. Die Nachfrage für das Unternehmen 1 lautet also x1 ( p1 , p2 , α 1 , α 2 ) = p2 − p1 α + α2 + 1 −a 2 B (α 2 − α 1 ) 2 und die für das Unternehmen 2 x 2 ( p1 , p2 , α 1 , α 2 ) = b − p2 − p1 α + α2 − 1 . 2 B (α 2 − α 1 ) 2 Nachdem wir für dieses Modell nun die Nachfragefunktionen hergeleitet haben, können wir uns fragen, welches Ergebnis der Preiswettbewerb bei fest gewählten Produktindices αi hat. 5 Dazu ist es hilfreich, die Notation zu vereinfachen. Zunächst setzen wir a = 0. Außerdem ist es hilfreich, den Produktindex der beiden Unternehmen von "ihrem" Ende des Charakteristikraums zu messen. Der so gemessene Produktindex des ersten Unternehmens sei α, der für das zweite Unternehmen sei β. Der Zusammenhang zu der bisherigen Notation ist durch α = α1 β = b − α2 gegeben. In dieser neuen Notation ist die Nachfrage der beiden Unternehmen x1 ( p1 , p2 , α , β) = p2 − p1 b−α −β +α+ 2 B(b − α − β) 2 x 2 ( p1 , p2 , α, β) = p1 − p2 b−α−β +β+ . 2 B(b − α − β) 2 Der Einfachheit halber werden wir die Produktionskosten vernachlässigen. Der Gewinn läßt sich daher als pi xi schreiben. Berechnet man das Nash-Gleichgewicht für das Preisspiel bei gegebenen α und β, so erhält man p1 (α , β) = B(b − α − β) (3b + α − β) 3 p2 ( α , β) = B(b − α − β) (3b + β − α ) . 3 setzt man in die Gewinnfunktion ein, so erhält man π 1 ( α , β) = B (b − α − β)(3b + α − β) 2 18 π 2 ( α , β) = B (b − α − β)(3b + β − α) 2 . 18 Daraus läßt sich schon ablesen, daß die Unternehmen ihren Produktindex nie so wählen werden, daß b = α + β gilt. Dann ist der Preis und der Gewinn nämlich Null. Dieser Fall tritt ein, wenn beide Unternehmen denselben Produktindex, also dasselbe Produkt, wählen. Schon hier wird klar, daß eine Produktdifferenzierung den Preisdruck dämpft und deshalb angestrebt 6 werden wird. Dies sieht man besonders klar, wenn man die für die Herleitung der obigen Resultate günstige Notationsänderung teilweise rückgängig macht. Dann kann man z.B. den Preis für das erste Unternehmen wie folgt schreiben: p1 (α , β) = B (α 2 − α 1 ) (3b + α − β) 3 Der Preis ist also umso niedriger, je näher die beiden Produktvarianten aneinander gewählt werden. Nachdem nun für alle Möglichkeiten einer Wahl von α und β ein Preisgleichgewicht bestimmt ist (m.a.W. für jedes Teilspiel ein Preisgleichgewicht bestimmt ist), können wir uns der Frage zuwenden, welche Produktwahl von den beiden Unternehmen getroffen werden wird. Dies ist in diesem Modell recht einfach. Wir kennen ja schon die Abhängigkeit der Gewinne von α und β. Um beispielsweise die Entscheidung des ersten Unternehmens zu untersuchen reicht es, zu analysieren, wie sich der Gewinn ändert, wenn α geändert wird. Betrachten wir also ∂π 1 B (α , β) = − [(b + 3α + β)(3b − α − β)] < 0 . 18 ∂α Daraus folgt unmittelbar, daß α bei dem niedrigst möglichen Wert, also 0, gewählt wird. Völlig analog ergibt sich für das zweite Unternehmen, daß es im Gleichgewicht ebenfalls β = 0 wählt. Im TSP-Gleichgewicht dieses Spiels wird also ein Unternehmen die linke Grenze des Charakteristikraumes a = 0 als Produktvariante wählen und das andere die rechte Grenze b. Das Endresultat ist hier also maximale Produktdifferenzierung. Beide Unternehmen werden den Markt zu gleichen Teilen bedienen. Der Preis wird umso höher liegen, je größer die Möglichkeiten zur Produktdifferenzierung sind (d.h. je größer b ist) und je sensitiver die Konsumenten auf Abweichungen von ihrer idealen Variante reagieren (d.h. je größer B ist). Die zentralen Teile dieses Ergebnisses sind sehr intuitiv. Sie stehen jedoch in starkem Kontrast zu den frühen Modellierungsversuchen von Hotelling. Das eben skizzierte Modell ist sehr ähnlich zu dem Hotelling-Modell, das beispielsweise in der ökonomischen Theorie der Politik auch eine bedeutende Rolle gespielt hat. Grob läßt sich sagen, daß das ursprüngliche Hotelling-Modell dem obigen entspricht, wenn die Preise als gegeben und für beide Unternehmen gleich angenommen werden. Unter diesen Voraussetzungen resultiert jedoch 7 das vollkommen gegenteilige Resultat: minimale Differenzierung. Es ist im Grunde erst durch die Möglichkeiten des Konzeptes der TSP-Gleichgewichte möglich geworden, die Analyse der Preisgestaltung sinnvoll einzubeziehen. Diese führt aber offenbar dazu, daß sich das ursprüngliche Resultat in sein Gegenteil verkehrt. Die Botschaft des obigen Modells ist demnach die folgende: Produktdifferenzierung hilft, den Preisdruck zu mindern. Sie ist besonders dann besonders erfolgreich, wenn genügend Raum für Differenzierungsmöglichkeiten vorliegt und wenn die Konsumenten hinreichend wählerisch sind oder durch Werbung gemacht werden können. Hier wurde angenommen, daß die Vorlieben der Konsumenten gleichverteilt sind. In vielen Zusammenhängen ist es vielleicht sinnvoller, anzunehmen, daß viele Konsumenten durchschnittliche Vorlieben haben und wenige Konsumenten "extreme" Vorlieben haben. In einem solchen Kontext muß das obige Modell nicht wörtlich genommen werden. Eine maximale Differenzierung muß dann nicht auftreten. Die zentrale Botschaft bleibt jedoch erhalten. Modellierung mit mehreren Differenzierungsdimensionen haben im übrigen gezeigt, daß es typischerweise ein Charakteristikum eines TSP-Gleichgewichts ist, in nur einer Dimension eine weitgehende Differenzierung zu wählen, während in den anderen Dimensionen eine Imitation der Konkurrenten sinnvoll ist. Eine entsprechende Analyse ist zwar nicht schwerer als die oben genutzte, sie würde jedoch den hier vorgegebenen Rahmen sprengen. Diese Resultate versöhnen wieder mit dem ursprünglichen Anliegen von Hotelling, Gründe dafür herauszuarbeiten, warum in vielen Fällen sehr ähnliche Güter angeboten werden. Schließlich soll noch auf einige technischen Punkte eingegangen werden. Für Modellierungen, die wie das hier vorgestellte Modell sehr nahe an den Vorgaben des Hotelling-Modells bleiben, sind die oben spezifizierten Präferenzen nicht willkürlich. Sobald man andere Spezifikationen wählt, stößt man auf große Schwierigkeiten. Sie sind alle darin begründet, daß für manche Ent-scheidungen für α und β keine Preisgleichgewichte existieren. Damit ist dann aber auch das Konzept eines TSP-Gleichgewichts hinfällig. Allerdings muß erwähnt werden, daß die Hotell-ing'sche Modellierung nicht unbedingt die natürlichste ist. In dem Buch von Anderson et al. wird eine Vielzahl von Modellierungsmöglichkeiten aufgezeigt. Anderson, S. et al. (1992): Discrete Choice Theory of Product Differentiation, MIT-Press Martin, S. (1993): Advanced Industrial Economics, Blackwell, Kap. 10 8 Tirole, J. (1988): The Theory of Industrial Organization, MIT-Press, Kap. 7.1