Prof. Dr. Peter Bofinger Professor für Volkswirtschaftslehre im

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Sendung vom 28.05.1998
Prof. Dr. Peter Bofinger
Professor für Volkswirtschaftslehre
im Gespräch mit Klaus-Joachim Jenssen
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Ich begrüße Sie bei Alpha-Forum, verehrte Zuschauer, unser Gast ist heute
Professor Peter Bofinger, Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre,
Geld und internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität
Würzburg. Er ist dies schon seit 1992 - eine schon relativ lange Zeit, wenn
man bedenkt, daß Professor Bofinger erst 43 Jahre alt ist. Er ist am 18.
September 1954 in Pforzheim geboren. Sie waren dann im Saarland zum
Studieren - warum eigentlich ausgerechnet im Saarland?
Ja, das war eigentlich Zufall. Ich wollte ursprünglich in Mannheim studieren,
aber in dem Jahr, in dem ich in Mannheim mein Studium beginnen wollte,
wurde dort der Numerus Clausus neu eingeführt. Und alle, die nicht bei der
Bundeswehr waren, kamen einfach nicht zum Zug. So bin ich in
Saarbrücken gelandet.
Sie sind aber zweifellos nicht Ghostwriter von Oscar Lafontaine.
Nein, das bin ich nicht, aber er ist ein guter Bekannter von mir.
Neigen Sie in der Wirtschaftspolitik eher zur Richtung der
Sozialdemokraten, oder würden Sie deren Wirtschaftspolitik nicht
unterschreiben wollen?
Ja, das ist eine schwierige Frage. Meine Spezialität ist ja die
Währungspolitik, in anderen Fragen der Wirtschaftspolitik tendiere ich eher
zu einer mittleren Linie. Ich denke, daß vieles, was die CDU macht, sehr
vernünftig ist, ich denke, daß auch einiges, was die SPD macht, vernünftig
ist. Aber ich habe mich bisher parteipolitisch noch nicht festgelegt.
Das Geld, die Geldpolitik und speziell das europäische Währungssystem
beschäftigt Sie ja bereits seit Ihrer Studienzeit in Saarbrücken. Was
fasziniert Sie eigentlich an dieser Thematik?
Ich denke, daß es deshalb eine spannende Thematik ist, weil sehr viel
passiert: Es ist ein Gebiet, in dem sich eigentlich ständig die Daten ändern,
in dem ständig neue Ereignisse eintreten und in dem vieles in Bewegung
ist. Als ich mich damit zum ersten Mal befaßt habe, das war Mitte der
siebziger Jahre, hätte ich gar nicht gedacht, wie faszinierend und spannend
diese Thematik ist. Aber Sie haben Saarbrücken ja schon angesprochen:
Ich hatte damals in Saarbrücken die Möglichkeit, mit einem Professor
zusammenarbeiten, der eine faszinierende Art hatte und dessen
Hauptgebiet genau die Fragen der Währungspolitik und der
Währungstheorie waren. Dieser Professor hat mich eigentlich für das
Thema begeistert. Ich muß sagen, daß ich bis heute nicht bereut habe,
mich darauf eingelassen zu haben.
Sie sind dort richtiggehend infiziert worden. Vielleicht war das auch die
Internationalität von Saarbrücken, die das befördert hat, denn Frankreich ist
doch ziemlich nahe.
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Das kann man sagen. Dieses deutsch-französische Zusammenleben, das
in Saarbrücken ja sehr deutlich ausgeprägt ist, hat mich sicher auch
inspiriert, und es war damals die Fakultät in Saarbrücken ein sehr lebhafter
Platz, an dem viele qualifizierte Ökonomen gearbeitet haben. Ich denke, es
war sehr gut, daß ich dort studieren konnte.
Sie sind ja mitten im Wirtschaftswunder geboren, zu einer Zeit, in der
Ludwig Erhard Wirtschaftsminister gewesen ist und zusammen mit
Finanzminister Schäffer der D-Mark Weltgeltung verschafft hat. Damals hat
der Dollar 4,20 DM gekostet, wenn ich mich richtig erinnere, das britische
Pfund am Anfang sogar 16 DM und später dann 13 bis 14 DM. Die
Währungen waren noch an das Gold gebunden, es gab überhaupt feste
Wechselkurse. Die italienische Lira gehörte zu den stabilsten Währungen
der Welt. Das war also eine völlig andere Zeit. 1954 war die D-Mark gerade
einmal sechs Jahre alt. Bedauern Sie gar nicht, daß die D-Mark mit 50
Jahren buchstäblich zum alten Eisen geworfen wird?
Man sieht das ja oft falsch, wenn man sagt, die D-Mark wird verkauft oder
sie wird beerdigt oder begraben - es gab da im ZDF diese Sendung
”Mordfall D-Mark”. Ich denke, das ist eine falsche Sicht. Denn worum es
wirklich geht, ist ja, daß diese Währungsordnung, die sich in Deutschland
gerade in der Phase des Wirtschaftswunders bewährt hat, auf Europa
ausgedehnt wird. Es geht ja darum, daß die Prinzipien, die wir für richtig
befunden und die sich bei uns bewährt haben, auch von den anderen
Ländern übernommen werden, und daß diese Länder erkannt haben, daß
dies eine Art ist, wie man eine Geldpolitik gestalten kann, die erfolgreich ist
und auch Wachstum sichert. Und das wird jetzt europaweit gemacht.
Deswegen ist es eigentlich kein Abschied oder kein In-Ruhestand-Gehen
der D-Mark, sondern man könnte sagen, daß das, was wir als deutsche
Währungsordnung haben, nun europäische Aufgaben wahrnimmt.
Die D-Mark wird also sozusagen nur in Euro umbenannt?
Sozusagen. Und hat jetzt einfach ein größeres Aufgabengebiet.
Nun gibt es ja 154 Professoren, die nach wie vor heftigst gegen den Euro
eintreten. Das sind Wirtschaftsprofessoren - und die sollten wohl genug
über die ganzen Hintergründe wissen. Auf der anderen Seite haben Sie 54
Professoren pro Euro aktivieren können. Es ist schon auffällig, daß da zwei
so leidenschaftliche Schulen aufeinanderprallen. Sind Sie ein
EuRomantiker?
Wissen Sie, das mit dem Euro ist vielleicht so ähnlich, wie wenn man ein
Arzneimittel beurteilt: Nehmen Sie das Beispiel Aspirin, das ist ein gutes
Mittel gegen Kopfschmerzen. Es hat aber auch Risiken und
Nebenwirkungen. Und die Frage ist jetzt, wenn Sie es beurteilen:
Konzentrieren Sie sich auf die Wirkungen, die mit großer Wahrscheinlichkeit
eintreffen, oder nehmen Sie den Beipackzettel und lesen Sie das, was unter
Risiken und Nebenwirkungen steht? Das heißt, Sie sagen, es gibt
Magenblutung und was sonst noch alles an Schrecklichem bei Aspirin
auftreten kann. Ich habe ein wenig den Eindruck, daß in der Diskussion um
den Euro, auch wie sie teilweise von meinen Kollegen geführt wird,
eigentlich fast nur die Risiken und Nebenwirkungen gelesen und in der
Öffentlichkeit verbreitet werden, dagegen aber nicht gesagt wird, wofür
dieses Ding eigentlich nützlich ist. Dadurch bekommt die Diskussion auch
eine erhebliche Schieflage. Das heißt, meine Kollegen haben nicht unrecht so wie eben ein Arzt, der seinem Patienten sagt, wenn du Aspirin nimmst,
dann kannst du Magenblutung bekommen. Aber es ist nicht besonders
wahrscheinlich und auch nicht die Hauptwirkung, die dieses Medikament
hat.
Sie sind ja vom ”Spiegel” buchstäblich als Euro-”fighter” und von der ”Zeit”
als Häretiker bezeichnet worden. Auf solche merkwürdigen Beinamen habe
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ich soeben angespielt mit dem Wort EuRomantiker. Auf der anderen Seite
habe ich mir einmal Ihre Thesen in den verschiedenen Veröffentlichungen
genauer angesehen: Ich habe den Eindruck, daß Sie gar nicht so
vorbehaltlos für den Euro sind. Sie sagen, wir müssen die MaastrichtKriterien noch einmal überdenken, wir müssen den Vertrag auch
fortschreiben, wir müssen da noch einiges ergänzen. Sie sind also nicht
bedingungslos auf der Seite derer, die diesen Vertrag damals gemacht
haben.
Nein, nein. Ich denke, daß man durch die etwas panikartige Diskussion, die
man in Deutschland führt, den Blick dafür verliert, was man an vernünftigen
Regelungen noch im Rahmen des Vertrages von Maastricht machen
könnte. Eine Idee, für die ich seit einiger Zeit werbe, ist, daß man ähnlich
dem Stabilitäts- und Wachstumspakt einen Pakt schafft, der die Länder
verpflichtet, ihre Staatsverschuldung nicht nur kurzfristig, sondern
überwiegend langfristig zu machen. Das ist ja eine ganz wichtige
Maßnahme, um die europäische Geldpolitik vor der Fiskalpolitik zu
schützen. Ich habe noch weitere Ideen entwickelt, die ebenfalls in der
Diskussion nur sehr schwer zu vermitteln sind: daß man z. B. in der
Bankenaufsicht die Staatsschulden ähnlich behandeln sollte wie die
privaten Schulden, d. h., daß die Banken verpflichtet werden,
Vorkehrungen zu treffen, daß sie dann, wenn sie einen hohen Bestand an
Staatskrediten haben, entsprechend Eigenkapital zur Verfügung stellen
oder ihre Kredite diversifizieren. Das wäre auch eine ganz wichtige
Maßnahme aus meiner Sicht, daß man von privater Seite aus Grenzen für
die Staatsverschuldung aufbauen würde. Aber es ist sehr schwierig, das in
der Diskussion in Deutschland zu vermitteln, weil man einfach ganz extrem
auf die sechzig Prozent- oder auf die drei Prozent-Marke fixiert ist und man
dabei einfach aus den Augen verliert, was man eigentlich an vernünftigen
Dingen noch tun könnte.
Nun ist in der Diskussion über die elf Teilnehmerstaaten deutlich geworden,
daß man bei zwei Teilnehmerstaaten doch ziemliche Bauchschmerzen
bekommen kann: Italiener und Belgier haben eben doppelt so hohe
Staatsschulden, wie sie eigentlich haben sollten. Ich habe nachgelesen,
daß Belgien jährlich zwei Prozent Überschuß - und das 10 Jahre lang erwirtschaften müßte, dann wäre das Land aus dem Gröbsten heraus,
ohne daß es schon auf plus minus null wäre. Letztes Jahr aber wies Belgien
ein Defizit von 2,1 Prozent auf - gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Bei
Italien lauten die Zahlen: 3,1 Prozent Überschuß bis ins Jahr 2007, um die
Schulden abzubauen. Das Defizit aber beträgt 2,5 Prozent, und seit 1993
hat Italien nur 2,5 Prozent Schuldenabbau geschafft, sagen die Statistiker und dabei sind schon einige Sondermaßnahmen mit berücksichtigt, die
man nicht jedes Jahr ergreifen kann. Man kann nicht andauernd staatliche
Firmen privatisieren, denn irgendwann gibt es keine staatlichen Firmen
mehr. Ist diese Gegenüberstellung, die ich aus den Zahlen herausgearbeitet
habe, nicht doch ein alarmierendes Zeichen?
Es ist so, daß der Schuldenstand nur einer von fünf Indikatoren ist. Wir
haben in diesem Fall vier Indikatoren, die sehr ordentlich aussehen. Gerade
bei der Inflationsrate, die ja für die Sparer und für die Bevölkerung das
Wichtigste ist, haben alle Länder ganz hervorragende Ergebnisse. Das
sollte man vielleicht zuerst einmal sehen, denn man übersieht - um noch
einmal auf das Thema Risiken und Nebenwirkungen zurückzukommen die großen Stabilitätserfolge, die alle Länder erzielt haben und die noch vor
einigen Jahren niemand für wahrscheinlich gehalten hätte. Das wird fast
übersehen, indem man direkt auf den einzelnen Indikator springt, der nicht
so gut aussieht. Aber auch da muß man sich die Sache genau ansehen.
Warum hat Italien seinen Schuldenstand nicht zurückgeschraubt? Das ist
eine Frage, die man sich stellen muß: Woran liegt das eigentlich? Haben
die Italiener das Geld mit vollen Händen aus dem Fenster geworfen, oder
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Bofinger:
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Bofinger:
wo kommt dieses Problem her? Man kann zunächst einmal sehen, daß die
Ausgabenquote im italienischen Haushalt zurückgegangen ist: Der Anteil
der Staatsausgaben am Bruttosozialprodukt ist in den letzten Jahren
deutlich zurückgegangen - so wie in keinem anderen Land. Warum ist dann
der Schuldenstand nicht auch zurückgegangen? Man muß dabei sehen,
daß diese Schuldenstandsgröße ja ein Quotient ist, bei dem im Zähler der
Schuldenstand steht und im Nenner das nominelle Sozialprodukt. Und
dabei muß man berücksichtigen, daß Italien in den letzten Jahren eine sehr
schwache Entwicklung des realen Wachstums hatte und auch keine sehr
starken Preissteigerungsraten. Das heißt, dieser Nenner hat sich nicht
dynamisch entwickelt, und das liegt daran, daß Italien
Stabilitätsbemühungen unternommen hat. Wenn Sie die Inflationsrate
senken, dann hat das zunächst den Effekt, daß Sie ein schwaches
Wachstum haben, weil Sie bremsen - und die Inflationsrate sinkt dann
natürlich auch. Das heißt, der Nenner dieser Quote hat sich für den
Schuldenstand ungünstig entwickelt. Der Zähler aber wird auch sehr stark
von den Zinsen bestimmt, und die Zinsen waren in Italien in den letzten
Jahren extrem hoch. Auch das ist wiederum ein Reflex der
Konsolidierungsbemühungen: Wenn Sie von einer hohen auf eine niedrige
Inflationsrate kommen wollen, dann müssen Sie die Zinsen erhöhen. Das
heißt, Italien hätte eigentlich gar keine andere Entwicklung haben können.
Aus meiner Sicht ist diese Schuldenquote ein Spätindikator, der auf
Konsolidierungserfolge relativ spät und erst allmählich reagiert. Ich finde das
überhaupt nicht überraschend. Ich weiß nicht, ob es der Schuldenquote
wirklich geholfen hätte, wenn Italien eine noch stärkere Rückführung der
Defizite versucht hätte, denn ein noch niedrigeres Defizit hätte noch weniger
reales Wachstum bedeutet. Das heißt, der Nenner wäre wieder
entsprechend kleiner gewesen.
Dann wären auch die Bremsspuren zu stark für die italienische Wirtschaft
gewesen.
Genau. Deswegen meine ich, daß man das ein wenig differenzierter sehen
muß. Wir haben ja so ein bißchen das Problem in unseren Diskussionen,
daß Italien immer alles Schlechte in der Wirtschaftspolitik unterstellt wird,
indem man sagt, Italien habe eigentlich nichts anderes im Kopf, als Inflation
zu betreiben. Ich dagegen meine, Italien hat große Sparanstrengungen
unternommen. Es ist nicht realistisch zu erwarten, daß man diese Quoten
so schnell reduzieren kann.
Sie haben ja in einem Gutachten mit dem Titel ”Stabilitätskultur in Europa",
das die Sparkassen bei Ihnen bestellt haben und das vermutlich bald auch
als Buch erhältlich ist, kürzlich ausführlich dargestellt, daß die
Staatsschulden eigentlich gar nicht so sehr das Problem sein können: Sie
seien gar nicht so gefährlich für die Geldwertstabilität, weil immer dann,
wenn sich der Staat das Geld nicht bei der eigenen Notenbank holen kann,
sprich ”auf Teufel komm’ raus” Geld drucken kann, sondern sich dieses
Geld auf dem Kapitalmarkt holen muß, dies dann praktisch keine
Auswirkungen auf die Inflation habe. Können Sie uns das ein wenig näher
erläutern, weil das ja für den Normalbürger nicht so ganz einsichtig ist. Man
meint ja immer, dieser Vorgang ergäbe eine besonders hohe Inflationsrate.
Auf der anderen Seite ist es schon auffällig: Wir haben zur Zeit hohe
Staatsschulden und gleichzeitig eine extrem niedrige Inflationsrate.
Wir haben ja, was auch die Bundesbank beklagt, einen Anstieg des
Staatsschuldenstandes in ganz Europa in den letzten Jahren gehabt, und
trotzdem haben wir jetzt in Europa die niedrigsten Inflationsraten, die wir je
hatten. Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß es in der ganzen
Nachkriegszeit irgendwann einmal eine Phase gegeben hat, in der alle
Länder in Europa gemeinsam eine so niedrige Inflationsrate gehabt hätten.
Das zeigt also zunächst einmal, daß die hohe Staatsverschuldung
Jessen:
Bofinger:
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überhaupt keinen Druck auf die Inflationsrate ausübt. Wir haben auch das
Beispiel Belgien, das in diesem Fall immer wieder zitiert werden muß.
Belgien wird wegen seines hohen Schuldenstands kritisiert. Aber man kann
auf der anderen Seite sehen, daß Belgien seit über elf Jahren einen absolut
festen Wechselkurs gegenüber der D-Mark hatte. Das heißt, es gibt in
diesem Fall überhaupt keine Spannungen in den Wechselkursen. Und
Belgien hatte zudem auch noch eine niedrige Inflationsrate. Was wir bei der
Staatsverschuldung immer im Kopf haben - daß sie nämlich
inflationstreibend ist -, sind die Erfahrungen vieler Hyper-Inflationen, bei
denen es in der Tat so gewesen ist, daß die hohe Staatsverschuldung die
Inflation ausgelöst hat. Nur, diese Bedingungen der Hyper-Inflation ergaben
sich immer nur in Zeiten, in denen sich der Staat direkt bei der Notenpresse
verschulden konnte. Aber diese Gefahr haben die Autoren des MaastrichtVertrags gesehen, und deswegen wird ganz ausdrücklich diese Art des
Schuldenmachens untersagt. Das heißt, dieser direkte Inflationskanal, der
wirklich extrem gefährlich ist, besteht unter Maastricht-Bedingungen gar
nicht.
Nun eine Lernfrage, die ich im Vorfeld nicht recherchiert habe: War es nur
Deutschland, das das bisher ausgeschlossen hat, oder gab es das in
anderen Ländern auch schon?
In anderen europäischen Ländern gab es Regelungen dieser Art bisher
nicht, das heißt, wir haben da tatsächlich etwas eingeführt in Europa, das
disziplinierend wirkt. Auch da wird ja oft nur die negative Seite gesehen,
indem man sagt, die Staaten können uferlos Schulden machen. Wir haben
durch den Vertrag von Maastricht mehr Fiskaldisziplin geschaffen, indem
wir jetzt dieses Verbot einer Finanzierung bei der Notenbank haben. Wichtig
in Richtung der Fiskaldisziplin ist auch, daß die Staaten nunmehr ihre
Schulden nicht mehr über die Inflation entwerten können: Wenn sie eine
nationale Währung haben, dann machen sie eine hohe Staatsverschuldung
- und wenn ihnen diese über den Kopf wächst, dann machen sie ein wenig
Inflation und die Schulden sind entwertet. Diese Option haben aber alle
europäischen Länder aufgegeben, denn sie haben ja nunmehr keine
nationale Notenbank mehr, der sie sagen könnten, nun macht ein wenig
Inflation. Ein dritter Punkt, der auch oft übersehen wird, ist der, daß wir keine
Kapitalverkehrskontrollen mehr haben. Die Kapitalverkehrskontrollen waren
auch ein Instrument, das die Staaten in der Vergangenheit benutzt haben,
um die Bevölkerung zu zwingen, ihr Geld beim eigenen Staat anzulegen.
Wenn z. B. ein Staat sehr hohe Schulden macht wie Italien in den siebziger
und achtziger Jahren und gleichzeitig seinen Bürgern verbietet, ihr Geld im
Ausland anzulegen, was sollten die Leute denn dann anderes tun, als
inländische Staatsanleihen zu kaufen? Auch das ist durch den Vertrag von
Maastricht nun ausgeschlossen, es gibt keine Kapitalverkehrskontrollen
mehr. Und das heißt auch, daß für die öffentlichen Haushalte nun ein klarer
Wettbewerb auf internationalen Kapitalmärkten gegeben ist, der sie
ebenfalls zu mehr Fiskaldisziplin zwingt.
Das legt ja fast den Schluß nahe, daß von den Maastricht-Kriterien einige
aus Ihrem Blickwinkel unwichtig und andere sehr wichtig sind: Das heißt,
Inflation, niedrige Zinsen sind sehr wichtig, während Staatsverschuldung
eher nicht so wichtig zu sein scheint.
Ich denke schon, daß man sich bemühen muß, die Neuverschuldung in
Grenzen zu halten. Wichtig ist eine nachhaltige und mittelfristige
Zurückhaltung bei den Defiziten der Haushalte, das steht außer Zweifel. Ein
problematischer Punkt ist die Höhe des Schuldenstands. Es wird ja immer
von der Nachhaltigkeit gesprochen, und wie wichtig sie sei. Wenn Sie sich
einmal das wissenschaftliche Schrifttum ansehen, dann werden Sie
feststellen, es gibt in der ganzen ökonomischen Literatur keine Definition
von Nachhaltigkeit. Das ist also einfach ein Leerwort, das wir in der
Jessen:
Bofinger:
Jessen:
Bofinger:
Jessen:
aktuellen Diskussion verwenden. Wir wissen aber aufgrund von
ökonomischen Theoremen nicht, ob 60 Prozent, ob 100 Prozent oder
vielleicht sogar nur 10 Prozent richtig ist. Das ist sicher etwas, worüber man
ihn den nächsten Jahren intensiver nachdenken muß: Was ist eigentlich die
richtige Schuldenquote? Es könnte ja sein, das man z. B. ein Land wie
Italien in eine Finanzierungsstruktur hineinzwingt, die für das Land gar nicht
gut ist. Man muß ja schließlich ganz klar sehen, daß dieser Wert von 60
Prozent nicht wissenschaftlich hergeleitet ist, das war lediglich der
Durchschnitt aus dem Jahr 1990. Man hat gesagt, den nehmen wir - und
der soll nun für alle gut sein. Ob das so ist oder nicht, das weiß man nicht.
Ich meine, man sollte einmal eine fundierte Diskussion über die gesamte
öffentliche Schuldensituation führen, wozu nach meiner Ansicht auch
gehören müßte, daß man sich nicht nur auf den Schuldenstand
konzentriert, sondern auch danach fragt, was eigentlich die
Sachvermögens-Aktiva des Staates sind: Inwieweit ist da ein ständiges
Versilbern möglich, oder gibt es Grenzen? Wichtig ist sicher auch, und das
hat die Bundesbank angemahnt, was es noch an nicht-bilanzierten
Verpflichtungen gibt: Das wären z. B. die ganzen Pensionsverpflichtungen,
die man damit auch einmal in den Blick bekommt. Ein weiterer wichtiger
Punkt ist, nach der Fristigkeit der Staatsverschuldung zu fragen. Ich denke,
daß eine langfristige Staatsverschuldung geldpolitisch sehr viel weniger
bedenklich ist als eine kurzfristige. Denn wenn alle Länder sehr kurzfristig
verschuldet sind, dann werden sie immer geneigt sein, Druck auf die
Notenbanken auszuüben, die kurzfristigen Zinsen niedrig zu halten. Denn
ein Anstieg der kurzfristigen Zinsen heißt ja, daß der Schuldendienst massiv
ansteigt.
Es ist ohnehin die Frage, ob man nicht als vernünftiger Finanzminister die
neu aufgelegten Anleihen wirklich auf die 20 Jahre abstellen sollte.
Ich denke, daß das sicherlich eine Tendenz ist, die von vielen Ländern
genützt wird. Gerade Italien ist nun dabei, die Fristenstruktur seiner
Verschuldung zu verbessern. Italien war traditionell immer sehr kurzfristig in
seiner Verschuldung, aber jetzt bei diesen extrem niedrigen, historisch
niedrigen Zinsen ist es für Italien sicher eine sinnvolle Lösung, einen
möglichst großen Anteil der Verschuldung auf die niedrigen Zinsen
abzustellen. Damit ist natürlich auch die Nachhaltigkeit der Defizite
gesichert, denn wenn man das alles kurzfristig macht, besteht natürlich die
Gefahr, daß mit den Zinsen auch das Defizit wieder steigt.
Man müßte wohl ohnehin die Staatsverschuldung, Sie haben das vorhin
schon angedeutet, an etwas anderem messen als nur am
Bruttoinlandsprodukt. Wenn ich daran denke, wieviele Rohstoffe - oder
eben auch gar keine, je nachdem - in einem Land vorhanden sind, oder
wieviel Bildungspotential oder geistiges Potential oder wieviel Industrie
vielleicht aufgebaut werden könnte mit dem Geld, das man da eventuell mit
einer riesigen Zukunftsperspektive aufnimmt - das alles läßt sich ja nur sehr
schwer messen. Das ist vermutlich das, was Sie eben ausdrücken wollten.
Wir stehen hier wirklich noch an einem Anfang. Unser Denken hat sich so
sehr auf diese beiden willkürlich herausgegriffenen Zahlen verengt, daß dies
wachstumspolitisch nicht sinnvoll sein kann. Ich denke, daß wir hier als
Ökonomen noch einen erheblichen Beitrag leisten müssen: wir müssen
einen breiteren Analyserahmen zur Verfügung stellen als wir ihn derzeit
haben.
Es ist mir bei der Lektüre Ihres Buches aufgefallen, daß es ohnehin große
Lücken in der volkswirtschaftlichen Diskussion oder Forschung gibt. Denn
auch die Entstehung von Inflation, so wie Sie sie in diesem Buch
beschrieben haben, kenne ich so jedenfalls noch nicht: Sie sagen ganz
deutlich, der erste ganz große Inflationsschub entstand 1973/74 mit der
Ölkrise, der zweite mit der zweiten Ölkrise 1980/81. Parallel dazu gab es
Bofinger:
Jessen:
Bofinger:
den fatalen Drang von Gewerkschaftern oder auch von nicht organisierten
Arbeitnehmern, sich das Geld, das man soeben für die OPEC-Staaten
ausgegeben hat, vom Arbeitgeber zurückzuholen. Es ist natürlich so, daß
man die D-Mark nicht zweimal ausgeben kann, das mußten wir
schmerzhaft lernen. Das heißt, in Ihrem Buch kann man Dinge lesen, die
noch gar nicht richtig andiskutiert worden sind in den letzten 20 Jahren.
Mir ging es in diesem Buch genau darum, das Phänomen zu ergründen,
warum in Italien in den siebziger und achtziger Jahren die Inflation so hoch
gewesen ist - wobei man ja dazu sagen muß, daß in Italien in den fünfziger
und sechziger Jahren die Inflationsrate ähnlich hoch war wie bei uns. Die
Unterschiede traten also erst in der Phase der siebziger und achtziger Jahre
auf, während man davor eigentlich für ganz Europa sagen konnte, daß die
Inflationsraten relativ eng beieinander lagen - so wie sie das heute auch
wieder tun. Die Rate lag damals auf einem etwas höheren Niveau, aber es
gab keine gravierenden Unterschiede. Das Interessante ist die Frage,
warum das später so stark auseinander gelaufen ist. Viele meiner Kollegen,
aber auch die öffentliche Diskussion sagte, daß die Italiener einfach mehr
Inflation haben wollen. Salopp ausgedrückt könnte man sagen: So wie die
Deutschen ihre Knödel lieben, so lieben sie auch die Geldwertstabilität, und
die Italiener lieben eher Pizza, Rotwein und die Inflation. Ich empfand das
eigentlich immer als eine sehr unbefriedigende Erklärung. Auch das
Argument, die Deutschen hätten eine so starke Aversion gegen die
Inflation, weil sie zwei Geldentwertungen erlebt haben, finde ich nicht sehr
überzeugend. Denn wenn ich meine Studenten frage, wann denn das
gewesen sei, dann wissen die meisten es gar nicht mehr. Ich habe den
Eindruck, daß die Erinnerung an die Inflation auch nicht mehr so präsent ist
in der Öffentlichkeit. Deswegen habe ich mir im Rahmen dieses Buches
überlegt, woher es eigentlich kommt, daß einige Länder eine höhere
Inflationsrate haben als andere Länder. Ich denke, daß dafür zwei Dinge
wichtig waren. Das eine ist sicher das Verhalten der Gewerkschaften, also
überhaupt die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Wir
kamen zu dem Ergebnis: Wenn ein relativ aggressives Verhalten zwischen
diesen beiden Seiten des Tarifvertrages vorhanden ist, dann wirkt das
inflationsfördernd. Wobei wir aber auch festgestellt haben, daß das sehr
stark auf die Zeit der siebziger Jahre bezogen war. Es war damals eine Zeit
der leergefegten Arbeitsmärkte, in der auch die Verhandlungsmacht der
Gewerkschaften sehr groß war. Man kann nun für alle Länder feststellen,
daß in den neunziger Jahren die Streikaktivität sehr deutlich
zurückgegangen ist, daß sich also auch in Ländern wie Italien, Portugal
oder Spanien, in denen in den siebziger Jahren extrem aggressive
Verteilungskämpfe stattgefunden haben, die Situation doch erheblich
beruhigt hat. Das kann man natürlich auch gut erklären, denn wir haben
heute den massiven Druck durch die Globalisierung, der von außen einwirkt
und der natürlich auch die Kartelle der nationalen Gewerkschaften
untergräbt. Ich muß als italienischer Unternehmer nicht mehr die
Arbeitsleistungen quasi von italienischen Gewerkschaften beziehen,
sondern ich kann, wenn mir das zu teuer ist, sie eben aus Ungarn oder aus
Tschechien oder von woher auch immer beziehen. Das heißt, diese
Machtposition der Gewerkschaften ist im Ganzen geschwächt worden.
Deswegen meine ich, daß wir auf absehbare Zeit derartige
Verteilungskämpfe nicht mehr bekommen werden, und deswegen ist auch
eine sehr gute Chance gegeben, daß der Euro eine stabile Währung wird.
Sie schreiben, daß in diesen Jahren die Fiskalpolitik auch keine große Rolle
gespielt hat. Die Staaten haben dies de facto nicht so sehr beeinflussen
können, sondern es lag damals vor allem an einem mangelnden sozialen
Konsens - oder am etwas besseren Konsens bei denen, die mit niedrigeren
Inflationsraten zu Rande kamen.
Ich denke, daß da nicht nur der soziale Konsens, sondern ganz eindeutig
Jessen:
Bofinger:
Jessen:
die Geldpolitik eine Rolle gespielt hat. Man kann ziemlich gut sehen, daß die
Geldpolitik entscheidend dafür war, ob manche Länder eine relativ niedrige
Inflationsrate hatten - man muß dabei auch sehen, daß selbst wir in
Deutschland eine Inflationsrate von 7 Prozent hatten und daß das sogar
relativ gut gewesen ist, denn andere Länder wie Italien hatten eine
Inflationsrate von bis zu 20 Prozent. Das ist ja auch logisch, denn das ist es
eben, was Geldpolitik bewirken kann: Geldwertstabilität oder Inflation, je
nachdem, wie sie ausgestaltet ist. Für uns war es dann zentral danach zu
fragen, warum denn in den einzelnen Ländern die Geldpolitik anders
gewesen ist. Dabei kommt man dann auf ein Phänomen, das nun nicht
besonders neu ist: Die Geldpolitik war in den Ländern stabilitätsorientiert, in
denen die Geldpolitik unabhängig war, und sie ging dort eher in Richtung
Inflation, wo sie politisch abhängig gewesen war. Das führte uns eigentlich
auf den zentralen Punkt in der ganzen Geschichte, indem wir sagten, ob es
Inflation gibt oder nicht, hängt davon ab, welchen Zeithorizont die Akteure
haben. Das ist also keine Frage der Vorliebe für Inflation oder Stabilität,
sondern das ist eine Frage des Zeithorizonts. Wir kamen zu folgendem
Ergebnis: Wenn die Akteure lange Zeithorizonte haben, dann bekommt
man eher Geldwertstabilität, wenn die Akteure eher kurze Zeithorizonte
haben, dann bekommt man eher Inflation. Denn so wirkt ja auch
inflatorische Politik: Wenn Sie mit Inflation operieren, dann heißt das, daß
Sie kurzfristig ein Strohfeuer entzünden - Sie können kurzfristig
Beschäftigungseffekte erzielen, aber man weiß, und das wissen eigentlich
alle, daß diese Effekte relativ schnell verpuffen, und danach haben Sie Ihr
altes Beschäftigungsproblem und dazu noch ein Inflationsproblem. Das
heißt, wenn jemand mit Inflation operiert, dann muß das jemand sein, der
einen kurzfristigen Zeithorizont besitzt. Wir haben dann versucht, das durch
die instabilen politischen Verhältnisse in Italien, gerade in den siebziger und
auch in den achtziger Jahren, zu erklären. Das heißt, wir hatten
Regierungen mit einer sehr kurzen Lebenszeit, und natürlich ist so eine
Regierung geneigt, wenn es um das Überleben geht, auch einmal kurzfristig
Inflation zu machen. Wenn es dann auch noch eine politisch abhängig
Notenbank gibt, dann kann man sie dazu benutzen. Wir sehen eben jetzt
die große Veränderung darin, daß die Geldpolitik in Europa durch die
europäische Zentralbank politisch unabhängig sein wird. Das heißt, selbst
wenn in Italien, was ja nicht mehr so ganz der Fall ist, wieder politisch
instabilere Verhältnisse einsetzen sollten, dann kann die italienische
Regierung nicht mehr zur Notenbank gehen und sagen: ”Mach ein wenig
Inflation für uns, damit wir die nächste Wahl gewinnen". Das Wichtige ist
also, daß durch die europäische Zentralbank in ganz Europa ein langer
Zeithorizont in den geldpolitischen Entscheidungsprozessen eingetreten ist.
Bedeutet das eigentlich letzten Endes den Tod der Inflation aus Ihrer Sicht?
Keynes ist also kein Thema mehr?
Man soll natürlich immer, gerade wenn man für Geldpolitik zuständig ist,
unter jedem Kieselstein nachsehen, ob es da nicht doch noch Inflation
geben könnte. Ich meine, es wäre wahrscheinlich falsch, nun eine völlige
Entwarnung zu geben. Man muß vielleicht immer noch damit rechnen, daß
wir eventuell Rohstoff-Preisschocks erleben können, durch die es vielleicht
auch einmal wieder zu mehr Inflation kommen kann. Aber das Umfeld für
Inflation ist in den nächsten Jahren eigentlich so, daß man nicht mit
inflationären Gefährdungen rechnen muß. Bei der jetzigen Inflationsrate in
Deutschland muß man ja berücksichtigen, daß dabei 0,75 Prozent rein
statistischer Art sind, das hat die Bundesbank soeben ermittelt. Wenn Sie
noch ein wenig den Druck berücksichtigen, den die Asienkrise bewirkt, dann
würde ich sagen, daß wir eher ein deflationäres als ein inflationäres Risiko
haben.
Dieses Thema wollte ich mit Ihnen auch gerne besprechen. Ich habe das
neulich einmal mit Professor Donges diskutiert, hier bei Alpha-Forum. Er ist
Bofinger:
Jessen:
Bofinger:
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Bofinger:
der Meinung, daß wir gar nicht dazu neigen. Ich habe doch das starke
Gefühl, daß wir dazu neigen, denn wir haben ja eine Komponente, die die
Inflation hoch hält. Das ist die, wie ich glaube, unvernünftige
Verhaltensweise des Staates, also genauer gesagt der
Gebietskörperschaften, der Gemeinden und der Länder: Da werden
Steuern neu erhoben, Gebühren in extremer Weise angehoben, teilweise
weit über die Kosten hinaus. Das heißt, hier ist ein Inflationsfaktor
vorhanden, der, wie ich als Laie meine, sogar für zwei Prozent gut wäre. In
Wirklichkeit haben wir in allen anderen Bereichen Tendenzen einer
Preissenkung: Das wäre ja fast schon eine Deflation.
Es ist schwierig, dies nun genau zu quantifizieren. Ich denke, wir sind kurz
davor, in den Bereich der Preissenkung zu kommen. Klar, die statistischen
Meßprobleme sind erheblich, und Sie sprachen von den administrierten
Preisen. Ich denke, es ist relativ eindeutig, daß wir jetzt durch die AsienKrise eine Senkung der Lohnkosten in diesen Ländern bekommen haben und diese Länder stehen ja auch im internationalen Wettbewerb. Das übt
natürlich einen Lohnsenkungsdruck auch auf alle anderen Regionen aus.
Das betrifft China und auch die GUS-Länder, die ja alle in ihren Lohnkosten
plötzlich deutlich höher liegen als die asiatischen Länder. Natürlich wirkt
dieser Lohnkostendruck auch auf Deutschland zurück. Von daher ist meiner
Ansicht nach eher das Risiko einer deflationären statt einer inflationären
Richtung vorhanden. Auch die europäische Währungsunion ist etwas, das
eher zu einem Lohndruck nach unten führen wird, denn natürlich wird nun
transparenter, wie ich meine Lohnpolitik führe. In der Vergangenheit war es
ja immer so, daß wir nationale Lohnabschlüsse hatten und es dabei nie so
ganz klar gewesen ist, was das nun für die internationale
Wettbewerbsfähigkeit bedeutet, weil da immer noch die Änderungen im
Wechselkurs mit berücksichtigt werden mußten. Wir haben aber nun die
Erfahrung, daß zwischen den Ländern, bei denen die Wechselkurse schon
fest waren, z. B. zwischen Deutschland und den Niederlanden oder auch
zwischen Deutschland und Frankreich, folgendes passierte: Sowohl in
Frankreich wie auch in den Niederlanden kann man beobachten, daß die
Gewerkschaften in den letzten Jahren bestrebt waren, sich deutlich
unterhalb der deutschen Zuwachsraten zu bewegen. Das heißt, dort wo das
Spielfeld klar abgegrenzt war, gab es eher einen Prozeß des Angleichens
nach unten als ein Angleichen nach oben. Von daher halte ich die Aussage
von manchen Euro-Kritikern, daß wir eine Angleichung an das deutsche
Lohnniveau bekommen würden, für falsch, denn dies ist die völlig falsche
Tendenz. Ich denke, es wird eher umgekehrt sein: Wenn wir
Angleichungsprozesse bekommen, dann bekommen wir eher
Angleichungsprozesse nach unten.
Aber es wird sich schon auch irgendwie ausgleichen. Denn sonst würden ja
den ärmeren Ländern oder den Ländern mit einem niedrigeren
Lebensstandard alle Leute davonlaufen.
Natürlich haben wir erhebliche Produktivitätsunterschiede in Europa und in
der Welt. Deutschland ist ein Land, das sehr produktiv ist und effizient
produziert. Wir sind daher mit den Menschen, die derzeit beschäftigt sind,
auch bei diesem Lohnniveau international wettbewerbsfähig. Das können
wir an der hohen Exportentwicklung sehen. Diejenigen, die beschäftigt sind,
sind bei diesen Löhnen so produktiv, daß man die Waren gut verkaufen
kann.
Das wird ja wohl auch in der ganzen Diskussion etwas überzeichnet.
Immerhin kann Bayer oder BASF hier auf sehr stattliche Fabriken
zurückgreifen und verkauft, wie wir wissen, mit glänzenden Gewinnen ins
Ausland.
Es gibt sicher keinen Grund, hier in Panik zu verfallen. Natürlich muß man
sehen, daß diese Gewinne mit den Beschäftigten gemacht werden, die wir
Jessen:
Bofinger:
Jessen:
Bofinger:
Jessen:
heute haben. Um profitabel zu sein, mußten die Unternehmen in den letzten
Jahren doch viele Arbeitskräfte freisetzen. Das waren eben Arbeitskräfte,
die bei diesem Lohnniveau nicht mehr international konkurrenzfähig
gewesen waren. Ich denke, daß die Aufwertungen der Jahre 1992, 1993
und 1995 eine erhebliche Rolle gespielt haben. Diese Aufwertungen haben
unser Lohnkostenniveau merklich nach oben getrieben. Sie haben die
Unternehmen gezwungen, so lange zu rationalisieren, bis die Produktivität
wieder dem Lohnkostenniveau entsprochen hat. Diejenigen Arbeitnehmer,
die einen Arbeitsplatz haben, können bei diesem Lohnniveau vernünftige
Löhne erwirtschaften, aber schlecht ist es natürlich für diejenigen, die
entlassen wurden.
Es ist ja auch eine Ihrer Hauptthesen pro Euro, daß diese ganzen
Aufwertungseffekte herausfallen - man hat dann keinen Schock mehr zu
gewärtigen. Auf der anderen Seite sagt der bayerische
Landeszentralbankchef, daß diese Wechselkurse immer so eine Art
Warnfunktion eingenommen haben und letzten Endes eine Art
Kontrollinstanz waren: daß in dem einen Land etwas nicht so gut läuft und
die Währung deshalb schwächer wird, es dagegen in einem anderen Land
besser läuft und damit auch die Währung stärker wird.
Das stimmt aber eben nur teilweise. Das Problem dabei ist, daß wir sehr
häufig jetzt auch Phasen hatten, in denen diese Warnfunktion oder
Schiedsrichterfunktion völlig versagt hat. Das Beispiel dafür ist gerade
Frankreich oder Belgien. Diesen Ländern wurde 1992/93 von den
Devisenmärkten mit einem massiven Abwertungsdruck quasi die rote Karte
gezeigt, obwohl damals die fundamentalen Daten Frankreichs mindestens
genauso gut waren wie die fundamentalen Daten in Deutschland, und es
überhaupt keinen Grund gegeben hätte für eine solche Attacke. Diese
Attacke hat aber gerade für Frankreich erhebliche Probleme mit sich
gebracht. Frankreich mußte jetzt, um seinen Wechselkurs gegenüber der
D-Mark zu halten, die Zinsen merklich anheben. Das heißt, in Frankreich
wurde 1992/93 eine extrem restriktive Geldpolitik betrieben, weil diese rote
Karte gezeigt worden war. Das Ergebnis ist natürlich auch ein erheblicher
Anstieg der Arbeitslosigkeit in Frankreich gewesen.
Überhaupt kommt in Ihren Argumenten häufiger zu Tage, daß Sie es
allmählich als prekär ansehen, obwohl Sie Geldpolitiker sind, wenn wir
zuviel sparen. Wir rutschen in eine Situation hinein, die das Sparen nicht
mehr so ganz verträgt. Oder habe ich das falsch interpretiert?
Das haben Sie, glaube ich, etwas falsch gesehen. Ich meine, es ist gut zu
sparen, die Frage ist dabei aber immer, wo gespart wird. Zunächst einmal
ist es für die Unternehmen nie so besonders gut, wenn die privaten
Haushalte sehr viel sparen. Denn wenn die privaten Haushalte sehr viel
sparen, dann heißt das, daß das Geld nicht in Form von Erlösen bei den
Unternehmen landet. Das Geld landet statt dessen bei den Banken. Die
Banken müssen dieses Geld dann wieder in Unternehmenskapital
transformieren, und das ist eigentlich immer ungünstig. Gut ist es für eine
Volkswirtschaft, wenn die Unternehmen selbst sparen. Unser ganzes
Wirtschaftswunder in den fünfziger Jahren lebte davon, daß die privaten
Haushalte wenig gespart haben. Sie hatten einen hohen Nachholbedarf, es
gab die Freßwelle und alle möglichen anderen Wellen. Das heißt, alles, was
die Haushalte in den fünfziger Jahren an Einkommen bekamen, haben sie
direkt wieder ausgegeben. Das Geld landete bei den Unternehmen, und die
Unternehmen haben gespart. Die Unternehmen konnten erheblich
investieren und den Kapitalstock ausbauen. Das heißt also, das
Unternehmenssparen ist das, was volkswirtschaftlich gut ist. Das private
Sparen ist eher nachteiliger zu sehen, weil es die
Transformationsleistungen durch das Finanzsystem braucht.
Ich habe da nur aus einem ”Welt”-Interview zitiert. Da sagten Sie, daß das
Bofinger:
Jessen:
Bofinger:
Jessen:
Bofinger:
starke Festhalten an dieser Grenze von drei Prozent Defizit unsinnig sei,
weil die Gefahr bestünde, daß wir kaputt gespart werden würden.
Ja, das ist richtig, aber damit meinte ich natürlich die Fiskalpolitik und nicht
die Haushalte. Bei der Fiskalpolitik besteht immer das Problem, daß diese
Defizitwerte zwei Dinge spiegeln: zum einen das, was der Staat selbst an
Entscheidungen trifft – ob er also die Steuern erhöht oder nicht, ob er
bestimmte Ausgaben tätigt oder nicht. Und zum anderen spiegelt das Defizit
auch, wie sich die Konjunkturlage entwickelt. Wenn wir eine relativ
ungünstige Konjunktur haben, dann heißt das, das Defizit geht zunächst
einmal ganz von sich aus hoch, weil der Staat eben weniger Steuern
einnimmt und er höhere Ausgaben für die Arbeitslosigkeit hat. Wenn er jetzt
in der Situation einer ungünstigen Konjunktur partout versucht, ein
bestimmtes Defizitziel zu erreichen, dann verhindert er das, was wir als
einen automatischen Stabilisator des Budgets bezeichnen. Das heißt, dann
besteht die Gefahr, daß er die Situation verschärft, weil er jetzt in einer
Phase mit schlechter Konjunktur zusätzlich seine Ausgaben zurückführt und
damit zusätzlich die Konjunkturschwäche verstärkt. Deswegen haben viele
Ökonomen in der ganzen Diskussion der letzten Jahre gesagt, daß es nicht
sinnvoll ist, auf einen Defizitwert in absoluter Form zu zielen, sondern daß
es vernünftig wäre, Defizitwerte zu nehmen, die konjunkturbereinigt sind.
Man spricht dann auch von strukturellen Defiziten.
Wie sehen Sie denn die Rolle des Euro in den nächsten Jahren im
gesamten Weltsystem? Wird das eine sehr kräftige Währung werden? Viele
sind ja skeptisch und sagen, der Euro wird schwach, der Dollar wird ganz
stark. Die Amerikaner, das las ich zu meiner Verwunderung, glauben, der
Dollar sei so stark, daß der Euro sie gar nicht tangiert. Das wundert mich
ehrlich gesagt schon, ich sehe eher die Gefahr, daß der Dollar ins Rutschen
kommt.
Es ist so, daß wir uns als Ökonomen immer schwer tun, kurz- und
mittelfristige Wechselkursprognosen zu machen. Nur zur Erinnerung: Die DMark hat ja gegenüber dem Dollar Schwankungen aufgewiesen von 1,80
DM zum Beginn der achtziger Jahre über 3,47 DM im Jahr 1985 und dann
wieder niedriger bei 1,40 DM im Jahr 1987. Das heißt, es gibt enorme
Kapriolen an den Devisenmärkten. Das ist aus meiner Sicht auch der
Grund dafür, warum man diese Kapriolen in Europa ausschließen sollte.
Das heißt, wenn Sie mich jetzt fragen, wie sich der Euro-Dollarkurs
entwickeln wird, dann muß man sich einfach bewußt sein, welche
Eventualitäten entstehen können. Trotzdem kann man sich natürlich fragen,
was so die Fundamentalfaktoren für die beiden Währungen sind. Ich finde,
für den Euro spricht, daß das Euro-Land einen unglaublich hohen
Leistungsbilanz-Überschuß von über 100 Milliarden Dollar hat, während die
USA ein Leistungsbilanz-Defizit von 200 Milliarden Dollar haben. Von daher
sieht es eigentlich ganz gut aus für den Euro. Ich finde, es ist auch wichtig,
die allgemeine Einschätzung der internationalen Finanzmärkte zu
berücksichtigen. Sie bringen ja mit den sehr niedrigen Zinsen, die wir im
Augenblick haben, zum Ausdruck, daß sie den Euro als eine sehr stabile
Währung einschätzen.
Es sind ja immer noch über 70 Prozent der Bevölkerung dagegen. Es sind,
wie wir ja schon zu Beginn sagten, viele Ihrer Professorenkollegen
dagegen. Was sind denn kurzgefaßt noch einmal die Hauptthesen, die man
ihnen entgegenhalten muß. Der Euro ist gut, weil ...
Ich würde das so sehen: Schauen Sie sich einmal an, was die Bevölkerung
in der Form als Anleger macht. Da sind die Menschen dem Euro gegenüber
durchaus positiv eingestellt. Denn die Menschen sind bereit, ihr Geld
weiterhin bei uns in Deutschland anzulegen - ein Geld, das dann ab 1999
der Euro sein wird. Sie haben auch überhaupt keine Tendenzen zu einer
Flucht in Sachwerte. Das wäre auch ein Prozeß, den man befürchten
Jessen:
Bofinger:
Jessen:
Bofinger:
Jessen:
Bofinger:
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müßte, wenn es ein Mißtrauen in die Währung gäbe, denn die Zinsen sind
sehr niedrig. Das wäre also eigentlich die Idealkonstellation für eine Flucht in
Sachwerte. Aber das liegt bei uns nicht vor. Ich meine, daß die Bevölkerung
in ihrer Eigenschaft als Anleger von Geld eigentlich dem Euro gegenüber
sehr optimistisch eingestellt ist. Von daher sollte man diesen Umfragen gar
nicht so sehr viel Vertrauen entgegenbringen.
Und die Professoren haben sich dann geirrt mit ihren Argumenten – oder
sind das einfach nur notorische Schwarzseher?
Nein, es ist so, wie ich am Anfang gesagt habe. Sie schauen einfach nur
auf den Beipackzettel, was unter Risiken und Nebenwirkungen steht und
vergessen ganz die Hauptwirkung des Medikaments. Die Hauptwirkung ist,
daß wir Europa vor Aufwertungsschocks schützen und insgesamt eine sehr
stabile Währungsverfassung bekommen werden.
Was wird mit dem Yen passieren? Was wird mit dem Schweizer Franken
passieren? Das ist auch interessant – das werde ich z. B. immer wieder
gefragt.
Ich denke, der Schweizer Franken hat jetzt eine Obergrenze, eine
Schmerzgrenze erreicht. Die Schweiz ist ein Land, das von allen Ländern
im Westen die schlechteste Wachstumsentwicklung in den neunziger
Jahren hatte. Das heißt, die Schweiz leidet massiv unter diesem harten
Frankenkurs und ich denke, daß die Schweiz auch alles tun wird, um eine
weitere Aufwertung des Franken zu vermeiden.
Die Briten haben ja auch einen extrem hohen Pfundkurs. Das sind Dinge,
die sich auch sehr negativ auswirken können.
Ich würde sagen, daß der Glanz dieses ”Modells Blair” bald verblassen wird.
Es zeichnet sich schon jetzt ein massives Leistungsbilanz-Defizit, in
Großbritannien ab. Die Industrie hat Schwierigkeiten im Exportgeschäft, und
mit dem Kurs von 3,07 DM wird Großbritannien nicht mehr sehr lange
glücklich sein.
Das Fazit lautet also: für die Außenseiter außerhalb der Währungsunion
wird es sehr schwer werden – es sei denn, sie sind so groß wie die USA
und Japan, das sich hoffentlich wieder erholt.
Ich denke, die Außenseiter der Währungsunion werden sich wegen ihrer
Wechselkurse noch sehr viel mehr darum bemühen müssen, stabile
Verhältnisse einzuhalten, als das bisher der Fall gewesen ist.
Und unsere Finanzminister werden schauen müssen, daß sie alles richtig
austarieren und möglichst wenig Einfluß nehmen auf die europäische
Zentralbank.
So ist es.
Ja, meine Damen und Herren, das war Alpha-Forum. Wir sprachen mit
Herrn Professor Peter Bofinger, dem Lehrstuhlinhaber für
Volkswirtschaftslehre, Geld und internationale Wirtschaftsbeziehungen an
der Universität Würzburg.
© Bayerischer Rundfunk
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