XIII Der Spin

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XIII Der Spin
Wir sind bei unseren Überlegungen schon mehrmals auf den Spin des Elektrons
gestoßen. In diesem Kapitel wollen wir experimentelle Hinweise für die Existenz
des Spins besprechen und eine mathematische Beschreibungsweise entwickeln.
Ebenso wie das Pauliprinzip stellt der Spin ein Phänomen dar, das erst im Bereich
der Quantenmechanik auftritt und in der klassischen Physik kein Analogon hat.
Der Spin der Elementarteilchen wurde zuerst am Elektron entdeckt. Mehrere
Experimente, die mit den klassischen Mitteln nicht zu deuten waren, veranlaßten
1925 Goudsmit und Uhlenbeck zu der Hypothese:
Jedes Elektron hat einen intrinsischen Drehimpuls (Spin) der Größe 1/2 ,
der mit einem magnetischen Moment von einem Bohrschen Magneton
μ B = |e| /2mc verbunden ist.
S. A. Goudsmit
(1902–1978)
→ unten
G. E. Uhlenbeck
(1900–1988)
→ unten
Im folgenden gehen wir auf drei spezielle Experimente kurz ein.
S AMUEL A BRAHAM G OUDSMIT
Goudsmit, Samuel Abraham, Den Haag 11.7.1902, † Reno 4.12.1978; amerikanischer Physiker niederländischer Herkunft. Lehrte 1928–41 an der University of Michigan in Ann Arbor, gehörte 1941–46 dem
Massachusetts Institute of Technology in Cambridge an; seit 1948 am Brookhaven National Laboratory in
Upton (N. Y.) tätig. Hauptarbeitsgebiet ist die Struktur der Atomspektren. Zu ihrer Deutung führte er 1925
mit G. Uhlenbeck den Spin der Elektronen in die Quantentheorie ein; diese Konzeption erwies sich dann
als weit bedeutungsvoller, als ihre Entdecker es vorausgesehen hatten. 1944/45 war Goudsmit Leiter eines
Geheimunternehmens („Alsos“) zur Erkundung des deutschen Atomenergieprojektes.
G EORG E UGEN U HLENBECK
Uhlenbeck, Georg Eugen, Physiker, Batavia 6.12.1900, † Boulder 31.10.1988; Prof. in Utrecht und
Ann Arbor (Mich.), führte 1925 mit S. A. Goudsmit ( 11.7.1902) die Hypothese eines „Spins“, einer
Eigenrotation der Elektronen, ein. Uhlenbeck schrieb u. a. „Over statistische methoden in de theorie der
quanta“ (1927) und erhielt mit S. A. Goudsmit 1964 die Max-Planck-Medaille.
330
XIII Der Spin
66
Der Stern-Gerlach-Versuch
Im ersten Kapitel haben wir bereits den Stern-Gerlach-Versuch (1922) als Beispiel
für die Richtungsquantelung des Drehimpulses angeführt 1) .
Intensität
N
Atomstrahl
S
Schirm
Abb. 66.1 Schema des
Stern-Gerlach-Versuches.
In Abb. 66.1 ist das Prinzip des Versuchs gezeigt. Ein
Strahl von Wasserstoffatomen (im ursprünglichen Experiment wurden Silberatome benutzt) wird durch ein inhomogenes Magnetfeld geschickt. Die Atome befinden sich
im Grundzustand, die Elektronen sind im 1 s-Zustand, haben also keinen Bahndrehimpuls. Die Atome sollten also
auch kein magnetisches Moment aufweisen. Tatsächlich
findet eine Aufspaltung des Strahls in zwei Komponenten
statt, wie die in Kapitel I gegebene Intensitätsverteilung
zeigt. Diese Aufspaltung kann nur durch eine Kraft (vgl.
Klassische Elektrodynamik, Abschnitt 10)
F = −∇(−M
· B) = ∇(M
· B) = (M
· ∇)B
(66.1)
in einem inhomogenen
hervorgerufen werden, die auf ein magnetisches Moment M
Magnetfeld B wirkt. Die Aufspaltung erfordert deshalb die Annahme, daß ein
Elektron ein intrinsisches magnetisches Moment besitzt. Aus der Tatsache, daß der
Strahl in zwei gleichstark abgelenkte Komponenten aufspaltet, folgt außerdem, daß
die magnetischen Momente aller Elektronen dem Betrag nach gleich sind und daß
auch für sie nur zwei Einstellungsmöglichkeiten bestehen, nämlich parallel oder
antiparallel zum Magnetfeld.
Prinzipiell wäre es möglich, daß das magnetische Moment auch vom Atomkern
herrühren könnte. Es zeigt sich, daß die Momente der Nukleonen etwa im Verhältnis der Massen (mElektron : mProton ) kleiner sind als das Bohrsche Magneton.
Eine höhere Auflösung beim Stern-Gerlach-Versuch führt dann auch zu einer
Feinstruktur der beiden Linien, die von den magnetischen Momenten der Kerne
verursacht wird.
67
Dublettaufspaltung
Ein weiterer Beweis für die Existenz des Elektronenspins findet sich in der Multiplettstruktur der Atomspektren. Nehmen wir die Dublettaufspaltung des Natriums
als Beispiel. Das Natrium hat ein Leuchtelektron, dessen Übergänge vom ersten
angeregten Zustand in seinen Grundzustand (2p → 1s) zu zwei dicht beieinanderliegenden Spektrallinien von 5890 Å und 5896 Å führen. Das 2p-Niveau ist
zwar 3-fach entartet (m = 0, ±1), diese Entartung kann aber erst durch ein äußeres
1)
Dieser Versuch wurde im Physikalischen Institut der Universität Frankfurt a.M. durchgeführt. O.
Stern war damals Privatdozent von Prof. E. Madelung am Institut für Theoretische Physik und W.
Gerlach Dozent am Physikalischen Institut.
67 Dublettaufspaltung
331
Magnetfeld aufgehoben werden. Die Dublettaufspaltung zeigt sich aber bereits
ohne äußeres Magnetfeld und läßt sich durch die Annahme eines Elektronenspins
erklären und zwar so:
Die Bahnbewegungen der Elektronen führen zu einem
resultierenden Magnetfeld im Atom, in dem sich der Spin
des Elektrons einstellt. Aufgrund des Spins (Eigenrotation) besitzt das Elektron ein intrinsisches magnetisches
Moment, das sich im Magnetfeld der Bahnbewegung
orientiert. Durch die zwei möglichen Einstellungen des
Spins erhalten wir die Dublettaufspaltung. Die vom Spin
herrührende Aufspaltung der Spektrallinien wird in allen
Atomen beobachtet und trägt den Namen Multiplettstruktur.
Durch die Experimente läßt sich die Größe des magnetischen Momentes des Elektrons, das von der Bahnbewegung stammt, bestimmen. Es ist gleich einem Bohrschen
Magneton
| = μ B = |e| /2mc.
|M
2p
1s
Abb. 67.1 Dublettaufspaltung.
Sie rührt von der Orientierung
des magnetischen Moments
des Elektrons her, das dieses
auf Grund seiner Eigenrotation
(Spin) besitzt. Dieses magnetische Moment stellt sich im
Magnetfeld, das von der Bahnbewegung erzeugt wird, in zwei
energetisch verschiedenen
Lagen ein.
(67.1)
Klassisch ist nämlich das von der Bahnbewegung stammende magnetische Moment (vgl. Klassische Elektrodynamik, Abschnitt 10):
= 1 r × j(r ) dV = 1 r × I = q r × v = q L.
M
(67.2)
2c
2c
2c
2mc
Hier ist q die Ladung, v die Geschwindigkeit, m die Masse, j(r ) = qv(r )δ (r −r)
die Stromdichte und L der Drehimpuls des Teilchens.
Beim Bahndrehimpuls hatten wir bei der Quantisierung der z-Komponente die
Beziehung
ml = 0, ±1, . . . , ±l.
(67.3)
gefunden. Also gibt es gemäß obiger Gleichung für Mz = μ B ml genau 2l +1 Orientierungen des magnetischen Moments. Mit anderen Worten: Zu einem Drehimpuls
l gehören demnach 2l + 1 mögliche Einstellungen des magnetischen Momentes,
d. h. 2l + 1 Werte ml . Da beim Spinmoment immer nur zwei verschiedene Einstellungen auftreten, läßt das darauf schließen, daß die Komponente des Spins in
Feldrichtung nur ein halbes Plancksches Wirkungsquantum beträgt:
1
1
Sz = und Sz = − .
(67.4)
2
2
Da aus (2ls + 1) = 2 folgt ls = 1/2, sieht man, daß der Spin des Elektrons, d. h. der
Drehimpuls seiner Eigenrotation, 1/2 sein muß. Das erklärt dann zwangsläufig
sowohl den Stern-Gerlach-Versuch als auch die Dublettaufspaltung.
Man sagt, der Spin des Elektrons ist halbzahlig. Die Halbzahligkeit des Spins hat
noch einen weiteren Unterschied zwischen Spin und Bahndrehimpuls zur Folge.
Ein Bahndrehimpuls l hat ein maximales magnetisches Moment von l μ B , der
332
XIII Der Spin
Spin des Elektrons von der Größe 1/2 führt nun überraschenderweise ebenfalls
zum magnetischen Moment μ B . Man hätte 1/2 erwartet, doch die quantitativen
Analysen des Stern-Gerlach-Versuchs und der Dublettaufspaltung erfordern das.
Als Ausweg aus diesem Dilemma bietet sich an, einen neuen Faktor g einzuführen.
Für den Zusammenhang zwischen Drehimpuls und magnetischem Moment läßt
sich nämlich allgemein schreiben
= g(q/2mc)J ,
M
(67.5)
wobei J für Drehimpuls oder Spin steht. Die Zahl g wird
als gyromagnetischer Faktor bezeichnet. Für den BahnJ
L
drehimpuls ist g = 1; für den Spin muß offensichtlich
g = 2 sein. Man nennt das „anomalen g-Faktor“ des
l
M
Elektrons oder g-Faktor-Anomalie. Da die Elektronenla
M
dung negativ ist, ist der Drehimpuls dem magnetischen
s
M
Moment immer entgegengerichtet. Setzen sich BahndreAbb. 67.2 Vektoraddition
himpuls L und Spin S zu einem Gesamtdrehimpuls J zudes Bahn- und Spin-Drehsammen, so ist wegen des unterschiedlichen gyromagneimpulses und der entspretischen Faktors das resultierende (gesamte) magnetische
chenden magnetischen
nicht mehr parallel zum Gesamtdrehimpuls
Moment M
Momente.
(siehe Abb. 67.2). Das führt zu einer Präzession des
um den Gesamtgesamten magnetischen Momentes M
drehimpuls J . Deswegen bleibt im zeitlichen Mittel nur
J -Richtung übrig. Diesen Sachverhalt
die Komponente in werden wir später in Beispiel 71.2 genauer diskutieren.
Bei Atomkernen wird als Einheit des magnetischen Moments ein „Kernmagneton“
verwendet. Es unterscheidet sich vom Bohrschen Magneton dadurch, daß die Elektronenmasse im Nenner durch die Protonenmasse ersetzt wird. Die Kernmomente
sind deshalb um etwa drei Zehnerpotenzen kleiner als das Moment des Elektrons.
Die Wechselwirkung des Kernmoments mit der Elektronenbewegung führt zur
Hyperfeinstruktur der Spektren.
S
68
W. J. de Haas
(1878–1960)
→ S. 333
Der Einstein-de Haas-Versuch
Bei der Magnetisierung eines Eisenstabes ändern sich nicht nur die elementaren
magnetischen Momente, sondern auch die sie verursachenden elementaren Drehimpulse. Wegen der Drehimpulserhaltung muß der Eisenstab dann seinen makroskopischen Drehimpuls ändern. Aus Magnetisierung und Drehimpuls des Stabes
läßt sich dann das ihm entsprechende gyromagnetische Verhältnis bestimmen.
Aus dieser Grundidee heraus führten Einstein 1) und de Haas bereits 1915 ein
Experiment zur Bestimmung des gyromagnetischen Verhältnisses durch, das in
1)
Einstein gab die Anregung, de Haas führte das Experiment aus (Verhandl. Phys. Ges. 17 (1915)
151). Es ist bemerkenswert, daß die Idee zu einem Versuch dieser Art bereits 1907 von Richardson
diskutiert wurde (Phys. Rev. 26 (1908) 248).
68 Der Einstein-de Haas-Versuch
333
der Skizze veranschaulicht ist. Ein Eisenstab wird so aufgehängt, daß er sich in
einer Spule um seine Achse drehen kann. Aus der Torsion des zur Aufhängung
verwendeten Fadens läßt sich der Drehimpuls L bestimmen, den der Eisenstab als
Ganzes bei der Magnetisierung erhält. Nehmen wir an, daß zur Magnetisierung N
Elektronen mit der negativen Ladung q = −e und dem elementaren Drehimpuls j
beigetragen haben, so gilt
Nj +L = 0,
folglich L = −Nj,
und entsprechend für die Magnetisierung
Stab = N M
Elektron = +Ng q j = −g q L
M
2mc
2mc
μB
e L = +g L.
(68.2)
= +g
2mc
Durch die Messung der makroskopischen Größen L und
Stab läßt sich also das gyromagnetische Verhältnis g
M
für die elementaren magnetischen Momente und die sie
verursachenden Drehimpulse bestimmen. L wird durch
Stab
den Ausschlag des Zeigers (siehe Figur) bestimmt; M
kann durch Messung des Magnetfeldes des remanent magnetisierten Eisenstabes (nach vorheriger Eichung) bestimmt werden.
(68.1)
Lichtstrahl
Spiegel
Abb. 68.1 Prinzip der Versuchsanordnung zum Einstein-de HaasEffekt.
Als Ergebnis des Versuches wurde eine magnetisches Moment +2μ B gefunden,
also g = 2. Das Vorzeichen wird durch die negative Ladung der Elektronen
hervorgerufen. Die Größe von zwei Bohrschen Magnetonen schließt den Bahndrehimpuls als Ursache des Ferromagnetismus aus und verlangt für seine Erklärung
die Existenz des Elektronenspins.
W ONDER J OHANNES DE H AAS
de Haas, Wonder Johannes, niederländischer Physiker, Lisse bei Leiden 2.5.1878, † Bilthoven 26.4.1960;
war 1913–15 Mitarbeiter an der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt in Berlin. Mit A. Einstein wies
er 1915 den Einstein-de-Haas-Effekt nach, das Auftreten eines Drehmomentes bei Ummagnetisierung
eines Eisenstabes. Der Nachweis dieses Effektes galt als eine Bestätigung der Existenz Ampèrescher
Molekularströme. Nach Tätigkeit als Lehrer an einer höheren Schule in Deventer und als Konservator
der Texler-Stiftung in Haarlem war de Haas Prof. an der Technischen Universität in Delft, der Universität
Groningen und 1924–48 als Nachfolger von H. Kamerlingh Onnes gemeinsam mit W. H. Keesom Direktor
des Kältelaboratoriums in Leiden. Mit seinen Schülern führte er hier grundlegende Untersuchungen über
den Paramagnetismus bei sehr tiefen Temperaturen, über Superfluidität des Heliums und über Supraleitung
aus. Gleichzeitig mit W. F. Giauque und unabhängig von ihm benutzte de Haas 1927 das von P. Debye
1926 theoretisch angegebene Verfahren der adiabatischen Entmagnetisierung paramagnetischer Salze zur
Herstellung von Temperaturen weit unterhalb 1 K und entdeckte 1930 gemeinsam mit seinem Assistenten
J. van Alphen den nach beiden benannten Effekt, der für die Erkenntnis des Verhaltens der Elektronen in
Metallen von Bedeutung ist.
334
XIII Der Spin
Als weiteres Ergebnis dieses Experiments folgt noch, daß die Magnetisierung des
Eisenstabes keine elementaren Magnetpole im Atom zur Ursache hat, sondern
daß die magnetischen Momente durch mechanische Drehimpulse hervorgerufen
werden.
Wir merken noch an, daß die präzise Bestimmung des g-Faktors für das Elektron
aus dem Meßwert für die Dublettaufspaltung und auch aus dem in Beispiel 71.1
besprochenen Rabi-Versuch folgt.
69
Die mathematische Beschreibung des Spins
Da der Spin ein Drehimpuls ist, erfolgt seine mathematische Beschreibung analog
zu dem Formalismus, den wir bereits für den Bahndrehimpuls kennengelernt
haben. In der Vorlesung über Symmetrien 1) gehen wir ausführlich auf die allgemeine Drehimpulsalgebra ein; in diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit den
Besonderheiten, die aus der Halbzahligkeit des Spins sowie der Tatsache, daß sich
für ihn nur zwei Einstellmöglichkeiten ergeben, folgen.
Aus den Experimenten ergibt sich die Existenz eines Spinvektors S, der drei
Komponenten Sx , Sy , Sz hat, die nur den Betrag von 1/2 besitzen können. Für
die quantenmechanische Beschreibung ordnen wir den Spinkomponenten Operatoren Ŝx , Ŝy , Ŝz zu, die den gleichen Vertauschungsregeln wie die Operatoren des
Bahndrehimpulses gehorchen sollen, weil der Spin ein Drehimpuls sein soll:
Ŝx Ŝy − Ŝy Ŝx = iŜz ,
Ŝy Ŝz − Ŝz Ŝy = iŜx ,
(69.1)
Ŝz Ŝx − Ŝx Ŝz = iŜy ,
oder in Kurzform
Ŝi Ŝ j − Ŝ j Ŝi = iε i jk Ŝk .
Hier bedeutet ε i jk den vollständig antisymmetrischen Tensor
⎧
⎪
⎨ 1 für gerade Permutation von 1, 2, 3
ε i jk =
0 für 2 oder mehrere gleiche Indizes
⎪
⎩
−1 für ungerade Permutation von 1, 2, 3.
(69.2)
(69.3)
Mit Hilfe des ε i jk -Tensors kann z. B. das Kreuzprodukt zweier Vektoren A = {Ai }
und B = {Bi } als
(A × B)k = ∑ ε i jk Ai B j
(69.4)
i, j
geschrieben werden.
Darüber hinaus sollen die Ŝi hermitesche Operatoren sein, d. h. Ŝi = Ŝi† , um
sicherzustellen, daß die Erwartungswerte reell sind.
1)
siehe Walter Greiner, Berndt Müller: Quantenmechanik – Symmetrien, Verlag Harri Deutsch, 2005.
69 Die mathematische Beschreibung des Spins
335
Zur Darstellung der Operatoren werden die „Pauli-Matrizen“ σ̂ i verwendet. Um
den Faktor /2 aus den Gleichungen zu eliminieren, werden sie in der folgenden
Form definiert:
1
1
1
Ŝx = σ̂ x , Ŝy = σ̂ y , Ŝz = σ̂ z .
(69.5)
2
2
2
Damit nehmen die Vertauschungsregeln (69.1) die folgende Form an:
σ̂ x σ̂ y − σ̂ y σ̂ x = 2 iσ̂ z ,
σ̂ y σ̂ z − σ̂ z σ̂ y = 2 iσ̂ x ,
(69.6)
σ̂ z σ̂ x − σ̂ x σ̂ z = 2 iσ̂ y ,
oder in kompakter Schreibweise
σ̂ i σ̂ j − σ̂ j σ̂ i = 2 iε i jk σ̂ k .
(69.7)
Da die Spinkomponenten entsprechend ihren Einstellungsmöglichkeiten nur die
zwei Eigenwerte ±/2 haben, müssen die Spinmatrizen zweireihige Matrizen sein,
die – wie wir ja wissen – genau zwei Eigenwerte haben. Im folgenden greifen wir
uns die z-Richtung als „Quantisierungsrichtung“ heraus. Die z-Achse ist dann die
Achse, auf die wir die Orientierung des Spin beziehen. Mathematisch bedeutet das,
daß wir unsere Spinfunktionen in der Eigendarstellung der Matrix σ̂ z angeben.
Die Matrix σ̂ z ist in ihrer Eigendarstellung diagonal und hat die Eigenwerte ±1 als
Diagonalelemente:
1 0
1 0
2
σ̂ z =
und σ̂ z =
= 1̂.
(69.8)
0 −1
0 1
Für die Matrizen σ̂ x und σ̂ y gilt in ihrer Eigendarstellung das entsprechende. Da
die Einheitsmatrix bei einem Übergang von einer Darstellung in die andere sich
nicht ändert, gilt generell
σ̂ x2 = σ̂ y2 = σ̂ z2 = 1̂.
(69.9)
Um die Matrizen σ̂ x und σ̂ y in der Eigendarstellung von σ̂ z zu finden, gehen wir
von den Vertauschungsrelationen (69.6) aus. Durch Multiplikation der mittleren
Gleichung (69.6) von links bzw. von rechts mit σ̂ y und anschließende Addition der
beiden Gleichungen erhalten wir
2 i(σ̂ x σ̂ y + σ̂ y σ̂ x ) = (σ̂ y σ̂ z − σ̂ z σ̂ y )σ̂ y + σ̂ y (σ̂ y σ̂ z − σ̂ z σ̂ y )
= σ̂ y2 σ̂ z − σ̂ z σ̂ y2 = 0,
(69.10)
wenn wir Gleichung (69.9) verwenden. Das bedeutet, daß unabhängig von der
Darstellung gilt
σ̂ x σ̂ y + σ̂ y σ̂ x = 0
(69.11)
und Entsprechendes für die anderen Komponenten.
Die Pauli-Matrizen sind „antikommutativ“. Diese Beziehungen werden auch in der
Form geschrieben:
[σ̂ x , σ̂ y ]+ = [σ̂ y , σ̂ z ]+ = [σ̂ z , σ̂ x ]+ = 0.
(69.12)
336
XIII Der Spin
Die Relationen (69.9) und (69.12) können wieder in kompakter Form zusammengefaßt werden:
σ̂ i σ̂ j + σ̂ j σ̂ i = 2δ i j .
(69.13)
Um die explizite Form der Matrizen σ̂ x und σ̂ y zu berechnen, machen wir den
Ansatz
a11 a12
b11 b12
σ̂ x =
, σ̂ y =
.
(69.14)
a21 a22
b21 b22
Mit der Antivertauschungsrelation (69.12) für σ̂ x und σ̂ z ergibt sich
a11
−a11 a12
a12
=
−a21 −a22
−a21 a22
und somit a11 = a22 = 0, also
0 a12
σ̂ x =
.
a21 0
(69.15)
(69.16)
Weil die Matrizen hermitisch sein müssen, gilt σ̂ x = σ̂ †x = σ̃ˆ ∗x ,
a21 = a∗12 ,
und somit
σ̂ x =
0 a12
a∗12 0
(69.17)
2
|
|a
0
12
.
und σ̂ x2
|a12 |2
0
(69.18)
Da σ̂ x2 = 1̂ gelten muß, folgt
|a12 |2 = 1.
(69.19)
iα
Das Element der Matrix läßt sich also zweckmäßig in der Form e schreiben, wenn
α reell ist. Für die Matrix σ̂ y können wir eine analoge Rechnung durchführen, das
heißt, wir schreiben die beiden Matrizen in der Form
0
e iα
0
e iβ
σ̂ x =
σ̂
=
.
(69.20)
,
y
e− iα
e− iβ 0
Die Anwendung der Antikommutatorbeziehung (69.12) für σ̂ x und σ̂ y führt auf
i(α −β )
− i(α −β )
e
e
0
0
=−
(69.21)
0
e− i(α −β )
0
e i(α −β )
oder
e i(α −β ) = −e− i(α −β ) → e2 i(α −β ) = −1,
(69.22)
woraus
1
π
2
folgt. Wir können alle Relationen erfüllen, wenn wir nur die letzte Beziehung
erfüllen. Daher setzen wir fest:
1
α = 0, β = − π ,
(69.23)
2
α −β =
70 Wellenfunktionen mit Spin
337
und bekommen so für die Pauli-Matrizen in der σ̂ z -Darstellung
0 1
0 −i
1 0
σ̂ x =
, σ̂ y =
, σ̂ z =
.
1 0
i 0
0 −1
(69.24)
Zusammen mit der Einheitsmatrix bilden die Pauli-Matrizen vier linear unabhängige Matrizen, die als Basis im Raum der zweidimensionalen Matrizen benutzt
werden können (vgl. Sie dazu Aufgabe 72.1). Sie eignen sich deshalb allgemein
für die Beschreibung von physikalischen Größen, die nur zwei Zustände annehmen
können. So finden sich die Pauli-Matrizen wieder beim Formalismus des Isobarenspin oder kurz Isospin, mit dem die beiden Zustände „Proton“ und „Neutron“ eines
Nukleons beschrieben werden können. 1)
Der Gesamtbetrag des Spins ergibt sich aus
2
S2 = Ŝx2 + Ŝy2 + Ŝz2 = (σ̂ x2 + σ̂ y2 + σ̂ z2 ) = 3 2 1̂
1
=
2
1
+ 1 2 1̂
2
4
4
(69.25)
in völliger Analogie zum Formalismus beim Bahndrehimpuls. Aufgrund der Vertauschungsrelationen (69.1) folgt deshalb auch [Ŝ2 , Ŝi ]− = 0, d. h. jede einzelne
Spinkomponente ist mit dem Quadrat des Spins vertauschbar. Die Folgerungen im
Kapitel IV (Abschnitt: Drehimpulsoperatoren) können zu diesem Zweck Schritt für
Schritt wiederholt werden. Das folgt natürlich auch direkt aus den Gleichungen
(69.24) und (69.25), denn schließlich kommutiert die Einheitsmatrix mit jeder
anderen Matrix, also auch mit den Ŝi .
70
Wellenfunktionen mit Spin
Bei der Berücksichtigung des Spins ordnen wir dem Teilchen einen weiteren
Freiheitsgrad zu. Zur Beschreibung dieses Freiheitsgrades geben wir die Komponente des Spins in z-Richtung, Sz , an. Die Komponente Sz kann nur die beiden
Einstellungen ±/2 annehmen. Die Wellenfunktion hat damit die Form
ψ = ψ (r, Sz , t)
(70.1)
in der Koordinatendarstellung. Da für Sz nur die zwei Einstellungsmöglichkeiten
vorhanden sind, hat es sich als günstig erwiesen, Wellenfunktionen mit Spin als
zweikomponentige Spaltenvektoren (Spinoren) zu schreiben. Die beiden Komponenten sind
1
1
ψ 1 (r, t) = ψ (r, + , t), ψ 2 (r, t) = ψ (r, − , t),
(70.2)
2
2
1)
siehe Walter Greiner, Berndt Müller: Quantenmechanik – Symmetrien, Verlag Harri Deutsch, 2005,
Kapitel V.
338
XIII Der Spin
womit wir für die Gesamtwellenfunktion schreiben
ψ 1 (r, t)
Ψ =
= ψ 1 (r, t)χ+ + ψ 2 (r, t)χ−
ψ 2 (r, t)
(70.3)
1
0
= ψ 1 (r, t)
+ ψ 2 (r, t)
.
0
1
Die Einführung der Produktwellenfunktionen
1
0
ψ 1 (r, t)χ+ = ψ 1 (r, t)
und ψ 2 (r, t)χ− = ψ 2 (r, t)
0
1
(70.4)
erweist sich als recht zweckmäßig.
Die Funktionen χ± geben lediglich den Spinzustand „Spin auf“ oder „Spin ab“ an.
|ψ 1 |2 ist offensichtlich die Wahrscheinlichkeit, ein Elektron mit „Spin aufwärts“
am Orte r zur Zeit t zu finden. Entsprechend ist |ψ 2 (r, t)|2 die Wahrscheinlichkeit,
ein Elektron mit „Spin abwärts“ am Ort r zur Zeit t zu finden. Diese Betrachtung
legt nahe, daß die Gesamtwahrscheinlichkeit, das Elektron unabhängig von seiner
Spinrichtung zu finden, 1 sein muß, also
ψ1
2
2
∗ ∗
|ψ 1 (r, t)| + |ψ 2 (r, t)| dV = (ψ 1 ψ 2 )
dV
ψ2
(70.5)
=
Ψ † Ψ (r, t)dV = 1.
Die Spinorschreibweise erlaubt eine übersichtliche Formulierung der Wirkungsweise der als Pauli-Matrizen dargestellten Spinoperatoren. Eigenzustände des
Operators σ̂ z sind
1
0
ψ1
ψ1
ψ1
=
= (+1)
(70.6)
σ̂ z
0
0 −1
0
0
und
0
1
0
0
0
σ̂ z
=
= (−1)
.
(70.7)
ψ2
ψ2
ψ2
0 −1
Der beliebige Zweier-Spinor Ψ aus Gleichung (70.3) und speziell auch die Spinoˆ
ren ψ 1 (r, t)χ+ und ψ 2 (r, t)χ− sind auch Eigenfunktionen zu S2 . Mit (69.25) ergibt
sich sofort
Sˆ2 Ψ = 1 1 + 1 2 1̂Ψ = 1 1 + 1 2 1 0 ψ 1 = 3 2 Ψ .
0 1
ψ2
2 2
2 2
4
(70.8)
2
Der Eigenwert ist (3/4) , wie aufgrund von (69.25) auch nicht anders zu erwarten.
Die Spinfunktionen χ± sind Einheitsspinoren:
1
0
χ+ =
und χ− =
.
0
1
(70.9)
70 Wellenfunktionen mit Spin
Es gilt offensichtlich
ψ1
= ψ 1 χ+
0
339
und
0
ψ2
= ψ 2 χ− .
(70.10)
Die Einheitsspinoren sind, wie leicht zu sehen ist, Eigenfunktionen zum Spinoperator σ̂ z mit den Eigenwerten +1 bzw. −1:
σ̂ z χ+ = (+1)χ+
σ̂ z χ− = (−1)χ+ .
und
(70.11)
Einen beliebigen Spinoperator schreiben wir in der Form
S11 S12
.
Ŝ =
S21 S22
(70.12)
In der Matrizendarstellung folgt für die Wirkungsweise des Operators auf eine
Spinfunktion durch Matrix-Multiplikation
ϕ1
ψ1
Φ = ŜΨ , wobei Φ =
und Ψ =
.
(70.13)
ϕ2
ψ2
In ausgeschriebener Form lautet diese Beziehung
ϕ1
ψ1
S11 S12
S11 ψ 1 + S12 ψ 2
=
=
,
ϕ2
S21 S22
ψ2
S21 ψ 1 + S22 ψ 2
(70.14)
oder komponentenweise
ϕ 1 = S11 ψ 1 + S12 ψ 2 ,
(70.15)
ϕ 2 = S21 ψ 1 + S22 ψ 2 .
Den Mittelwert eines Operators hatten wir definiert als (siehe Gleichung (56.7) in
Kapitel XI)
Ŝ =
ψ ∗ Ŝψ dV.
(70.16)
Sind die Wellenfunktionen als Spinoren Ψ gegeben, so ist statt der konjugiert-komplexen Wellenfunktion ψ ∗ der adjungierte Spinor Ψ † einzusetzen (siehe (52.15) in
Kapitel XI), also
†
ψ1
†
Ψ =
= (ψ 1∗ ψ 2∗ ).
(70.17)
ψ2
Für den Mittelwert erhalten wir dann
Ŝ(t) =
Ŝ(r, t) dV =
Ψ † Ŝ(r, t)Ψ dV
(70.18)
mit
Ŝ(r, t) = Ψ +S(r, t)Ψ
S
S
ψ1
= (ψ 1∗ ψ 2∗ ) 11 12
S21 S22
ψ2
= ψ 1∗ S11 ψ 1 + ψ 1∗ S12 ψ 2 + ψ 2∗ S21 ψ 1 + ψ 2∗ S22 ψ 2 .
(70.19)
340
XIII Der Spin
Hierbei gibt Ŝ(r, t) den Mittelwert des Spinoperators gemittelt über die möglichen
Spineinstellungen am Ortr und zur Zeit t an. Dagegen ist Ŝ(t) der Mittelwert über
alle Spineinstellungen und alle Orte zur Zeit t.
Ein Blick auf die allgemeinen Gleichungen (52.28)–(52.30) läßt erkennen, daß
die hier erhaltenen Beziehungen (70.14) und (70.19) Spezialfälle des allgemeinen
Problems sind: Der Hilbert-Raum der Zweier-Spinoren ist nur zweidimensional!
Als Anwendung berechnen wir die Mittelwerte der Paulischen Matrizen über den
zwei möglichen Spinzuständen.
Für die x-Komponente gilt
σ̂ x (r, t) = Ψ σ̂ x Ψ =
†
=
(ψ 1∗
ψ 2∗ )
ψ 1∗ ψ 2
+
0 1
ψ1
1 0
ψ2
Entsprechend erhalten wir für die y- und z-Komponenten
0 −i
ψ1
∗ ∗
σ̂ y = (ψ 1 ψ 2 )
= − iψ 1∗ ψ 2 + iψ 2∗ ψ 1
i
0
ψ2
und
σ̂ z =
W. Pauli
(1900–1958)
→ unten
71
(ψ 1∗
ψ 2∗ )
(70.20)
ψ 2∗ ψ 1 .
ψ1
1
0
= ψ 1∗ ψ 1 − ψ 2∗ ψ 2 .
ψ2
0 −1
(70.21)
(70.22)
Die Pauli-Gleichung
Den Hamilton-Operator für die Bewegung eines Elektrons (Ladung e) im elektromagnetischen Feld hatten wir in Kapitel 9 für den Fall ohne Spin entwickelt. Er
lautete
1 ˆ e 2
Ĥ0 =
p − A + eφ .
(71.1)
2m
c
Dabei ist e die Ladung des Elektrons. Durch die Wechselwirkung des Spins mit
dem Magnetfeld erhält das Elektron eine zusätzliche potentielle Energie. Das
W OLFGANG PAULI
Pauli, Wolfgang, Physiker, Wien 25.4.1900, † Zürich 15.12.1958, Schüler A. Sommerfelds, schrieb schon
im fünften Semester eine Zusammenfassung der Relativitätstheorie für die Mathematische Enzyklopädie.
1921 erbrachte er in seiner Dissertation den Beweis, daß die bisherige Quantentheorie noch nicht richtig sein
konnte. Seine Diskussionen mit W. Heisenberg, M. Born und N. Bohr trugen wesentlich zur Ausbildung der
„Matrizenmechanik“ bei. Anfang 1926 wandte er die neue Theorie erfolgreich auf das Wasserstoffatom an.
Bereits 1924 hatte Pauli das Ausschließungsprinzip (Pauliprinzip) entdeckt, wofür er 1945 den Nobelpreis
erhielt. Im gleichen Jahr forderte er zur Erklärung der Hyperfeinstruktur die Existenz eines Kernspins. 1927
stellte er Feldgleichungen für das Elektron auf, die den Spin in nichtrelativistischer Form berücksichtigen;
in den folgenden Jahren leistete er mit Heisenberg erste Beiträge zur Quantenfeldtheorie.
71 Die Pauli-Gleichung
341
magnetische Moment ist
ˆ = g − |e| Sˆ = 2 − |e| Sˆ = −μ Bσˆ ,
M
2mc
2mc
mit μ B = +
(71.2)
|e| ,
2mc
und die potentielle Energie im Magnetfeld ist 1)
· B.
U = −M
Der Hamilton-Operator für ein Elektron mit Spin hat somit die Form
Ĥ = Ĥ0 + μ Bσˆ · B.
(71.3)
(71.4)
Es ist genau hier, an dieser Stelle, wo wir die früher diskutierte Information über
den g-Faktor des Elektrons (g = 2) verwerten und in die Theorie einbauen. Die
Schrödinger-Gleichung für ein Teilchen mit Spin heißt Pauli-Gleichung. Mit den
Hamilton-Operatoren (71.1) und (71.4) erhalten wir
1 ˆ e 2
∂Ψ
ˆ
p − A + eφ + μ Bσ · B Ψ = i
,
(71.5)
2m
c
∂t
wobei
ψ1
Ψ =
(71.6)
ψ2
die Spinorwellenfunktion ist. Wir nennen solche zweikomponentigen Wellenfunktionen einfach Spinoren; manchmal auch Zweier-Spinoren, ums sie von den in der
relativistischen Quantenmechanik auftretenden Vierer-Spinoren zu unterscheiden,
die in der relativistischen Quantentheorie vorkommen 2) und auf die wir in Kapitel
XIV zu sprechen kommen werden.
Die Pauli-Gleichung stellt demnach ein System von zwei gekoppelten Differentialgleichungen dar. Auf Grund der Gestalt der Paulischen Spinmatrizen sehen
wir leicht, daß das System (71.5) für σ̂ z entkoppelt und nur durch die σ̂ x und σ̂ y
gekoppelt wird.
1)
Siehe Walter Greiner: Klassische Elektrodynamik, Verlag Harri Deutsch, 2002, oder J. D. Jackson,
Klassische Elektrodynamik (De Gruyter, Berlin, 2002); J. D. Jackson, Classical Electrodynamics
(Wiley, New York, 1998).
2) Walter Greiner: Relativistische Quantenmechanik - Wellengleichungen, Verlag Harri Deutsch, 2006.
W OLFGANG PAULI (Fortsetzung)
Nach Aufenthalten in Göttingen, Kopenhagen und Hamburg ging Pauli 1928 als Ordinarius nach Zürich an
die ETH. 1930 stellte er die Neutrinohypothese auf, 1940–45 beschäftigte er sich in den USA besonders
mit der Mesonentheorie. 1946 kehre er nach Zürich zurück, wo er vor allem Quantenfeldtheorie und
Teilchenphysik betrieb. Seit 1953 führte er mit Heisenberg eine Diskussion über dessen einheitliche Theorie
der Materie („Weltformel“). Pauli hat die Physik seiner Zeit und ihren Denkstil entscheidend geprägt. Mit
seiner tiefschürfenden Analyse der erkenntnistheoretischen Voraussetzungen der Wissenschaft und seiner
Kritik jeder Unklarheit galt er als das „Gewissen der Physik“.
342
XIII Der Spin
Im folgenden berechnen wir die Stromdichte, die sich aus der Spinorgleichung (9)
ergibt. Wir schreiben Gleichung (71.5) in der Form
∂Ψ
= Ĥ0 Ψ + μ Bσˆ · BΨ .
i
(71.7)
∂t
Die zu Gleichung (71.7) adjungierte Gleichung lautet
∂Ψ †
(71.8)
− i
= Ψ † Ĥ0† + μ B (σˆ · BΨ )† = Ψ † Ĥ0† + μ B Ψ †σˆ · B,
∂t
da σˆ hermitesch und das Magnetfeld B eine reelle Größe ist. Hier wirkt jetzt
Ĥ0† = Ĥ0 (der Hamilton-Operator ist ebenfalls hermitesch) von rechts auf den
adjungierten Spinor Ψ † . Nun multiplizieren wir Gleichung (71.7) von links mit Ψ †
und Gleichung (71.8) von rechts mit Ψ . Die Subtraktion der beiden Gleichungen
ergibt
∂
i (Ψ † Ψ ) = Ψ † (Ĥ0 Ψ ) − (Ψ † Ĥ0† )Ψ ,
(71.9)
∂t
wobei wir daran denken müssen, daß im zweiten Summanden Ĥ0† von rechts auf
Ψ † wirkt. Setzen wir Ĥ0 ein, so bleiben nur die Anteile in der Differenz übrig, die
Ableitungsoperatoren enthalten. Es ist dann also
∂
2 † 2
Ψ ∇ Ψ − (∇2 Ψ † )Ψ
i (Ψ † Ψ ) = −
∂t
2m
ie
+
Ψ † (∇ · A + A · ∇)Ψ
(71.10)
2mc
+ (∇ · A + A · ∇)Ψ † Ψ .
Den ersten Term der rechten Seite wandeln
wir um in
Ψ † ∇2 Ψ − (∇2 Ψ † )Ψ = div Ψ †∇Ψ − (∇Ψ † )Ψ .
Für den zweiten Term gilt
Ψ † (∇ · A + A · ∇)Ψ + ∇ · A + A · ∇)Ψ † Ψ
= 2 Ψ † Ψ div A + 2 A · Ψ †∇Ψ + (∇Ψ † )Ψ
(71.11)
(71.12)
= 2 Ψ Ψ div A + 2 A · ∇(Ψ † Ψ )
= 2 div(A Ψ † Ψ ).
†
Hierbei müssen wir genau die Reihenfolge von Ψ † als erstem und Ψ als zweitem
Faktor beachten. Damit geht Gleichung (71.9) über in
∂
ie
2
i (Ψ † Ψ ) = −
div Ψ †∇Ψ − (∇Ψ † )Ψ +
div(A Ψ † Ψ ).
∂t
2m
mc
(71.13)
Dies ist eine Kontinuitätsgleichung der Form
∂w
+ div j = 0,
∂t
(71.14)
71 Die Pauli-Gleichung
343
wobei
w = Ψ †Ψ
(71.15)
die Wahrscheinlichkeitsdichte und
j = − i Ψ †∇Ψ − (∇Ψ † )Ψ − e A Ψ † Ψ
(71.16)
2m
mc
die Wahrscheinlichkeitsstromdichte (auch Teilchenstromdichte genannt) der Elektronen angibt.
Wir setzen jetzt die zweikomponentigen Wellenfunktionen
ψ1
Ψ =
und Ψ † = (ψ 1∗ ψ 2∗ )
ψ2
(71.17)
ein und erhalten
w = ψ 1∗ ψ 1 + ψ 2∗ ψ 2
(71.18)
sowie
j = i (ψ 1∇ψ 1∗ + ψ 2∇ψ 2∗ − ψ 1∗∇ψ 1 − ψ 2∗∇ψ 2 )
2m
−
e ∗
A(ψ 1 ψ 1 + ψ 2∗ ψ 2 )
mc
(71.19)
oder umgeordnet
j = i (ψ 1∇ψ 1∗ − ψ 1∗∇ψ 1 ) − e A ψ 1∗ ψ 1
2m
mc
(71.20)
i
e ∗
∗
+
A ψ2 ψ2.
(ψ 2∇ψ 2 − ψ 2∗∇ψ 2 ) −
2m
mc
Es zeigt sich, daß sich sowohl die Wahrscheinlichkeitsdichte als auch die Stromdichte additiv aus den Anteilen für die unterschiedlichen Spinrichtungen zusammensetzen. Die Multiplikation der Teilchenstromdichte j mit der Ladung e ergibt
die elektrische Stromdichte je .
Die Stromdichte je enthält den Spin nicht; es ist die Stromdichte, die von der
Bahnbewegung der Elektronen (verschiedenen Spins) hervorgerufen wird. Der
Spin eines Elektrons verursacht jedoch auch ein magnetisches Moment, das auch
durch einen entsprechenden Strom ausgedrückt werden kann. Diesen Teil der
Stromdichte nennen wir js , die Spinstromdichte. Er kann in einer Kontinuitätsgleichung, die die Ladungserhaltung bei Konvektionsströmen ausdrückt, nicht
auftauchen.
Zur Berechnung der Spinstromdichte js gehen wir von den Maxwellschen Gleichungen aus. Es gilt für die Rotation des B-Feldes 1)
4π ).
rot B =
(71.21)
( je + c rotM
c
1)
Siehe Walter Greiner: Klassische Elektrodynamik, Verlag Harri Deutsch, 2002, Abschnitt 13, oder
J. D. Jackson, Klassische Elektrodynamik (De Gruyter, Berlin, 2002); J. D. Jackson, Classical Electrodynamics (Wiley, New York, 1998).
344
XIII Der Spin
in der Zerlegung B = H + 4π M
haben wir in diesem Fall
Die Magnetisierung M
durch die mittlere Dichte des magnetischen Moments (die magnetische Dipoldich ersetzt. Wir meinen damit eine Mittelung über die Spinzustände, nicht etwa
te) M
über den Ort! Es ist
= −μ B Ψ †σˆ Ψ
M
4π je
c
4π
4π
4π (je + js ).
rot B = j =
je − cμ B rot Ψ †σˆ Ψ =
c
c
c
(71.22)
(r, t) und rot H =
und somit wegen B = H + 4π M
(71.23)
Der Beitrag
js = −cμ B rot Ψ †σˆ Ψ
(71.24)
stellt einen Strom dar, der von den magnetischen Momenten der Elektronen
herrührt und diesen äquivalent ist.
Präzession des Spins im homogenen Magnetfeld
Aufgabe 71.1
Problemstellung:
Bestimmen Sie die Präzession des Spins im homogenen Magnetfeld.
Lösung:
B
M
Bei der Bewegung eines geladenen Körpers im homogenen
Magnetfeld läuft das Teilchen mit der Frequenz ω = 2ω L =
−eB/mc um die Magnetfeldrichtung. Dies folgt aus der Balance
zwischen Lorentz-Kraft und Zentrifugalkraft:
−eBv/c = mrω 2 ,
Abb. 71.1 Teilchen mit Spin
im Magnetfeld.
(1)
also
ω = −eB/mc.
(2)
Dabei ist ω L = −eB/2mc die sogenannte Larmor-Frequenz. Hierbei ist e die (negative)
Ladung des Elektrons.
Die Spinfunktion eines Elektrons ist zur Zeit t = 0 durch
χ = a0 χ+ + b0 χ−
(3)
gegeben. Mit der Form a0 = e iγ cos(Θ /2) und b0 = e iδ sin(Θ /2) für die Konstanten ist die
Normierungsbedingung
|a0 |2 + |b0 |2 = 1
offensichtlich zu erfüllen.
(4)
71 Die Pauli-Gleichung
345
Es soll die Präzessionsfrequenz des Spins in dem Magnetfeld B = (0, 0, Bz ) berechnet
werden.
Wir nehmen an, daß das Elektron an einem bestimmten Ort festsitzt und nur den Spin als
einzigen Freiheitsgrad zur Verfügung hat. Aus dem Spinanteil der Pauli-Gleichung (71.5)
folgt dann
∂χ
e
= μ Bσˆ · Bχ = −
i
σ̂ z Bz χ
∂t
2mc
(5)
∂χ
= ω L σ̂ z χ .
i
∂t
Die Spinfunktion, als Spaltenvektor geschrieben, lautet:
1
0
a
χ = aχ+ + bχ− = a
+b
=
,
(6)
0
1
b
was in Gleichung (5) eingesetzt ergibt
ȧ
1 0
a
a
i
= ωL
= ωL
,
ḃ
0 −1
b
−b
(7)
und somit
ȧ = − iω L a,
ḃ = iω L b.
(8)
Die Integration ergibt
a = a0 e− iω L t ,
b = b0 e iω L t .
Die zeitabhängige Spinfunktion lautet dann
e− iω L t e iγ cos(Θ /2)
.
χ =
e iω L t e iδ sin(Θ /2)
(9)
(10)
Den Erwartungswert für den Spin erhalten wir durch
†ˆ
ˆ
S = σˆ = χ †σˆ χ =
(11)
χ σ x χ , χ †σˆ y χ , χ †σˆ z χ .
2
2
2
Die Paulischen Spinmatrizen aus Gleichung (69.24) und χ aus Gleichung (10) in (11)
eingesetzt, führt zu
ˆ
(12)
cos(2ω Lt + δ − γ ) sin Θ , sin(2ω L t + δ − γ ) sin Θ , cos Θ .
S =
2
Die Spinkomponente in Feldrichtung sz bleibt erhalten; der Spin präzediert um die z-Achse,
und zwar mit der doppelten Larmor-Frequenz 2ω L . Dies ist die Folge des gyromagnetischen
Faktors 2 für den Spin. Im Gegensatz hierzu präzediert der Mittelwert des Bahndrehimpulses
lediglich mit der Frequenz ω L um die z-Achse (siehe Beispiel 71.2, Gleichung (15) ff.).
Aufgabe 71.1
Der Rabi-Versuch (Spinresonanz)
Beispiel 71.1
Zur Messung der magnetischen Kernmomente wurde von Rabi eine Methode der Spinreso- I. I. Rabi
nanz entwickelt. Das Schema des Versuchs ist in der Skizze gegeben. Beim Eintritt in ein (1898–1988)
inhomogenes Magnetfeld 1 werden die Teilchen je nach ihrer Spineinstellung abgelenkt, so → S. 346
daß die Blende A nur von Teilchen einer festen Spinrichtung passiert wird. Das homogene
Feld 2 hat auf die Ablenkung keinen Einfluß. Anschließend tritt das Teilchen in das Feld 3,
346
XIII Der Spin
Beispiel 71.1
das einen zu Feld 1 umgekehrten Feldgradienten hat, ein. Das Feld 3 macht die ursprüngliche
Ablenkung wieder rückgängig, so daß die Teilchen den Detektor erreichen.
Abb. 71.2 Anordnung des RabiVersuchs: Die Magnetfelder 1 und 3
haben starke, entgegengesetzte
Gradienten, während das Feld des
Magneten 2 homogen ist.
1
2
3
S
S
S
Bz
B0
dB
dz
Detektor
dB
dz
N
A
N
N
Wird dem homogenen Feld 2 ein Wechselfeld überlagert, das zum Umklappen des Spins
führt, dann werden die Teilchen im Feld 3 in die falsche Richtung abgelenkt und treffen
nicht auf den Detektor. Aus der Frequenz des Wechselfeldes (Resonanzfrequenz), die zu
einem Minimum der Strahlintensität am Detektor führt, läßt sich das magnetische Moment
der Teilchen berechnen.
Wir wollen nun das Verhalten eines Teilchen mit Spin ±/2 in einem homogenen Magnetfeld Bz , dem ein schwaches Wechselfeld überlagert ist, mathematisch durchleuchten. Das
Magnetfeld soll die Gestalt haben:
B = (B0 cos ω 0t, B0 sin ω 0t, Bz ).
(1)
Für die Spinfunktion setzen wir ein
χ (t) = a(t)e− iω̃ t χ+ + b(t)e iω̃ t χ− ,
(2)
wobei ω̃ = −μ Bz / die Larmor-Frequenz für die Präzession des Spins um das homogene
Feld angibt. Der Faktor μ gibt für das Teilchen die Beziehung zwischen magnetischem
Moment und Spin
= σ μ .
M
(3)
an.
Wir gehen vom spinabhängigen Teil der Pauli-Gleichung aus
i
∂χ
∂t
χ = −μ B · σˆ χ .
= −B · M
(4)
I SIDOR I SAAC R ABI
Rabi, Isidor Isaac, amerikanischer Physiker, Rymanow (Galizien) 29.7.1898, † New York 11.01.1988;
seit 1929 Prof. an der Columbia-Universität in New York. Durch zweckmäßige Abänderung der von O.
Stern entwickelten Molekularstrahlmethode gelang es Rabi 1933/34, den Kernspin des Natriums nachzuweisen und magnetische Kernmomente und die Hyperfeinstruktur von Spektrallinien zu bestimmen;
Rabi entwickelte die Resonanzmethode zur Feststellung magnetischer Eigenschaften des Atomkerns. 1944
erhielt er den Nobelpreis für Physik. Während des zweiten Weltkrieges war Rabi an der Entwicklung der
Funkmeßverfahren beteiligt.
71 Die Pauli-Gleichung
347
Beispiel 71.1 Einsetzen der Gleichungen (1) und (2) in (4) ergibt
∂ a(t) e− iω̃ t
i
∂t b(t) e+ iω̃ t
a(t) e− iω̃ t
= −μ (B0 cos ω 0 t σ̂ x + B0 sin ω 0t σ̂ y + Bz σ̂ z )
.
b(t) e+ iω̃ t
Wir setzen die Paulischen Spinmatrizen ein und differenzieren:
a e− iω̃ t
ȧ e− iω̃ t
+ ω̃
i
ḃ e+ iω̃ t
−b e+ iω̃ t
b e+ iω̃ t
−b e+ iω̃ t
− iμ B0 sin ω 0 t
= −μ B0 cos ω 0t
a e− iω̃ t
a e− iω̃ t
a e− iω̃ t
− μ Bz
.
−b e+ iω̃ t
(5)
(6)
Die letzten Glieder beider Seiten heben sich gegeneinander auf, weil ω̃ = −μ Bz . Mit der
Definition ω̃ = −μ B0 läßt sich dann für die beiden Komponenten des Spinors χ schreiben
ȧ = − i ω̃ b e+ i(2ω̃ −ω 0 )t ,
− i(2ω̃ −ω 0 )t
ḃ = − i ω̃ a e
(7)
(8)
.
Die beiden Gleichungen lassen sich durch Differenzieren der ersten und Ersetzen von b und
ḃ entkoppeln:
ä − i(2ω̃ − ω 0 )ȧ + ω̃ 2 a = 0.
(9)
Zur Lösung dieser homogenen Differentialgleichung machen wir den Ansatz a ∝ e iω t und
erhalten eine charakteristische Gleichung für ω mit den Lösungen
ω0
± (ω̃ − ω 0 /2)2 + ω̃ 2
ω 1,2 = ω̃ −
(10)
2
oder
ω 1,2 = Ω ± δ ,
Ω = ω̃ −
ω0
δ = (ω̃ − ω 0 /2)2 + ω̃ 2 .
2
,
(11)
Die allgemeine Lösung für den Koeffizienten a ist damit gegeben durch
a(t) = a1 e i(Ω +δ )t + a2 e i(Ω −δ )t .
(12)
Wir wollen die Anfangsbedingungen so wählen, daß das Teilchen für t = 0 im Spinzustand
χ+ ist, d. h. |a(t = 0)|2 = 1 und b(t = 0) = 0. Aus Gleichung (12) ergibt sich damit
a1 + a2 = 1.
(13)
Mit den Gleichungen (12) und (7) ergibt sich der Koeffizient b:
b(t) =
−e−2 iΩ t
ω̃ [a1 (Ω + δ )e i(Ω +δ )t + a2 (Ω − δ )e i(Ω −δ )t ].
(14)
Aus der Anfangsbedingung können wir jetzt die Koeffizienten a1 und a2 berechnen. Aus
b(t = 0) = 0 folgt
a1 (Ω + δ ) + a2 (Ω − δ ) = 0.
(15)
348
XIII Der Spin
Mit Gleichung (13) folgt dann leicht
Ω
Ω
1
1
1−
1+
a1 =
, a2 =
.
2
δ
2
δ
Die beiden Amplituden a(t) und b(t) sind dann gegeben durch
Ω
a(t) = cos δ t − i sin δ t e iΩ t ,
δ
b(t) = − i
ω̃ δ
(16)
(17)
sin δ te− iΩ t .
Von der Aufstellung der Spinfunktion in Gleichung (2) her sehen wir, daß die Größe |b(t)|2
die Wahrscheinlichkeit angibt, nach der Zeit t das Teilchen im Zustand χ− anzutreffen:
|b(t)|2 = (ω̃ 2 /δ 2 ) sin2 δ t.
(18)
Nun sei t0 die Zeit, die das Teilchen braucht, um das Wechselfeld zu durchlaufen. Die
experimentellen Daten sollen so eingestellt werden, daß nach dieser Zeit sich die größtmögliche Zahl der Teilchen im Zustand χ− befindet. Zu dieser Zeit soll das Maximum der
Umklappwahrscheinlichkeit |b(t)|2 erreicht sein. Aus
sin δ t cos δ t = 0.
(19)
Da die sin2 δ t-Kurve in Gleichung (18) ihre Maxima an den gleichen Stellen wie die
Sinusfunktion Extrema hat, ist das gesuchte Maximum durch die Nullstelle des Kosinus
gegeben.
Für die Zeit t0 gilt deshalb
Beispiel 71.1
π
π
oder t0 = .
(20)
2 (ω̃ − ω 0 /2)2 + ω̃ 2
Die Zeit t0 wird durch die Geschwindigkeit der Teilchen und die Abmessung des Wechselfeldbereichs gegeben. Gleichung (20) enthält außerdem noch die Daten der Magnetfelder
und das unbekannte magnetische Moment μ , das daraus bestimmt werden kann.
δ t0 =
2
Der einfache Zeeman-Effekt
Beispiel 71.2
P. Zeeman Als ein weiteres Beispiel für die Anwendung der Pauli-Gleichung betrachten wir die Auf(1865–1943) spaltung der Spektrallinien in einem schwachen Magnetfeld. Wir wollen hier den einfachen
→ unten Zeeman-Effekt behandeln, das heißt wir vernachlässigen die Spin-Bahn-Wechselwirkung.
Spin-Bahn-Wechselwirkung führt zur Feinstruktur der Spektren, einer weiteren Aufspaltung, die wir hier nicht berücksichtigen wollen. Wir werden sie in der relativistischen
Quantenmechanik (Band VI) besprechen, wo sie zwanglos aus der Dirac-Gleichung folgt.
P IETER Z EEMAN
Zeeman, Pieter, holländischer Physiker, Zonnemaire (bei Zierikzee) 25.5.1865, † Amsterdam 9.10.1943,
Prof. in Amsterdam, entdeckte und erforschte 1895 den Zeeman-Effekt, den zehn Jahre früher (1885/86)
bereits Charles Jean Baptiste Fievez (belgischer Ingenieur und Astronom, Brüssel 13.5.1844, † ebd.
2.2.1890) wahrgenommen hatte. Gemeinsam mit H. A. Lorentz, der auf elektronentheoretischer Grundlage
eine – inzwischen überholte – Erklärung des Zeeman-Effektes gab, erhielt Zeeman 1902 den Nobelpreis für
Physik.
71 Die Pauli-Gleichung
349
Beispiel 71.2 Das Magnetfeld soll homogen sein und nur eine z-Komponente haben:
B = (0, 0, B).
Es wird in diesem Fall durch ein Vektorpotential
A = − 1 By, 1 Bx, 0
2
2
(1)
(2)
ausgedrückt, wie wir durch die Beziehung
B = rot A.
(3)
leicht bestätigen können. Das Coulomb-Potential nennen wir φ .
Wir gehen wieder von der Pauli-Gleichung für ein Teilchen der Ladung e aus. Der HamiltonOperator lautet dann
1 ˆ e 2
e ˆ σ · B.
Ĥ =
p − A + eφ −
(4)
2m
c
2mc
Da das Magnetfeld schwach sein soll, vernachlässigen wir den Term mit A 2 und erhalten
mit div A = 0:
e ˆ
pˆ2
∂
e ˆ
−
A · p + eφ −
B · σ Ψ = i Ψ .
(5)
2m mc
2mc
∂t
Für den Term A · pˆ können wir den Drehimpulsoperator einführen. Unter Beachtung von
Gleichung (2) ergibt sich
A · pˆ = − B (y p̂x − x p̂y ) = i B y ∂ − x ∂ = B L̂z .
2
2
∂x
∂y
2
Mit Ĥ0 = pˆ2 /2m + eφ wird Gleichung (5) dann zu
∂
eB
(L̂z + σ̂ z )Ψ .
(6)
2mc
Da wir uns nur für die Energien stationärer Zustände interessieren, machen wir für die
Wellenfunktion den Ansatz
i
(7)
ψ (r, t) = ψ (r) exp − Et .
i
∂t
Ψ = Ĥ0 Ψ −
Damit wird Gleichung (6) zu der Eigenwertgleichung
Ĥ0 Ψ −
eB
(L̂z + σ̂ z )Ψ = E Ψ .
2mc
(8)
Mit der Larmor-Frequenz ω L = −eB/2mc und Übergang zur Spinorschreibweise folgt:
ψ1
ψ1
ψ1
1 0
Ĥ0
+ ω L L̂z + =E
.
ψ2
ψ2
ψ2
0 −1
Die beiden Spinorkomponenten sind entkoppelt (da σ̂ z diagonal ist) und es ergeben sich die
beiden Gleichungen
Ĥ0 ψ 1 + ω L (L̂z + )ψ 1 = E ψ 1 ,
Ĥ0 ψ 2 + ω L (L̂z − )ψ 2 = E ψ 2 .
(9)
350
XIII Der Spin
Beispiel 71.2
Bei fehlendem Magnetfeld hätten wir als Lösungen die Eigenzustände von Ĥ0 erhalten,
und zwar die gleichen Lösungen für beide Spinorkomponenten, wie ein Blick auf die
Gleichungen (9) zeigt:
ψ 1 = ψ 2 = ψ nlm = Rnl (r)Ylm (θ , φ ).
(10)
Weil die Wellenfunktion ψ nlm auch Eigenfunktion von L̂z ist,
L̂z ψ nlm = mψ nlm ,
(11)
ist ψ nlm auch Eigenfunktion der vollständigen Gleichungen (9). Die Wellenfunktionen
werden also in der von uns betrachteten Näherung (A2 = 0) nicht geändert.
Mit der Eigenwertgleichung für den Operator Ĥ0
0
Ĥ0 ψ nlm = Enl
ψ nlm
erhalten wir dann mit den Beziehungen (10) und (11) aus den Gleichungen (9) die beiden
Energieeigenwerte
0
= Enl
+ ω L (m + 1) für Ψ =
Enlm
und
0
Enlm
2p
ψ nlm
=
0
Enl
m
Spin
1
0
-1/1
0
-1
auf
auf
auf/ab
ab
ab
0
auf
0
ab
1s
Abb. 71.3 Aufspaltung der 1 sund 2 p-Niveaus im Magnetfeld
(Zeeman-Effekt).
+ ω L (m − 1) für Ψ =
0
ψ nlm
.
(12)
Durch das Magnetfeld wird die Energie von der Einstellung
der magnetischen Momente zur Feldrichtung abhängig. Die
bei fehlendem Magnetfeld entarteten Niveaus spalten auf. Die
zweifache Aufspaltung von s-Zuständen, die kein magnetisches
Bahnmoment haben, ist ein Beweis für die Existenz des Spins
(Stern-Gerlach-Versuch).
In der Skizze geben wir die Aufspaltung eines ψ 100 - und eines
ψ 21m -Zustandes an:
Der 2 p-Zustand spaltet also in fünf Niveaus auf, von denen
eines noch zweifach entartet ist.
Da die Wechselwirkung des Spins mit der bei einem Übergang
emittierten Lichtwelle klein ist, kann der Spin beim Übergang
nicht umklappen. Deshalb finden nur die in der Skizze eingetragenen Übergänge zwischen Zuständen mit gleicher Spinorientierung statt.
Allgemein gilt hierbei noch die Dipolauswahlregel Δm = ±1, 0, die aber in diesem Beispiel
nicht zum Tragen kommt.
Die Übergangsfrequenzen erhalten wir aus den Differenzen der Energien (12). Da sich die
Spineinstellung nicht ändert, ist
ω = En l m − En l m = En0 l − En0 l + ω L (m − m )
= ω 0 + ω L (m − m ),
71 Die Pauli-Gleichung
351
Beispiel 71.2 wobei ω 0 die Übergangsfrequenz bei fehlendem Feld ist. Da
die Differenz m − m = ±1, 0 ist, bekommen wir im Magnetfeld noch zwei um ±ω L gegenüber der ursprünglichen Spektrallinie verschobene Linien. Dies Ergebnis entspricht genau
der klassischen Theorie des Zeeman-Effekts. Hierbei wird die
Kreisbewegung eines Elektrons im Magnetfeld untersucht. Auf
das Elektron wirken Zentrifugalkraft mrω 2 und Lorentz-Kraft
±erω B/c, je nach Umlaufrichtung.
ω
B
Δω = ±ωL
Δω = 0
B
Abb. 71.4 Zum klassischen Verständnis
des Zeeman-Effektes.
Es gilt demnach
mrω 2 ± erω B/c = mr(ω ± Δ ω )2 .
Wenn wir quadratische Terme vernachlässigen, dann ist
Δ ω = eB/2mc = ω L .
Die Zerlegung der Kreisbewegung ist in Abb. 71.4 veranschaulicht. Die Bewegung, die zu
den Frequenzverschiebungen führt, verläuft in einer Ebene senkrecht zum Feld, Δ ω = 0
entspricht einer Bewegung in einer zum Feld parallelen Ebene.
Wir haben schon darauf hingewiesen, daß ein Drehimpuls eines geladenen klassischen
Teilchens im Magnetfeld mit der Larmor-Frequenz um die Magnetfeldrichtung präzediert.
Diese Präzessionsbewegung können wir auch quantenmechanisch für den Zeeman-Effekt
nachweisen.
Die Hamilton-Funktion in Gleichung (6) wird in der Form
Ĥ = Ĥ0 + ω L L̂z + 2ω L Ŝz
(13)
geschrieben. Die zeitliche Änderung der Drehimpulse ergibt sich durch die Kommutatoren
dL̂x
i
= [Ĥ, Lx ]
dt
und analog für die anderen Komponenten, sowie für den Spin.
Die Drehimpulskomponenten kommutieren mit Ĥ0 und Ŝz , so daß nur der Kommutator mit
L̂z bleibt. Mit den in Gleichung (24.2) angegebenen Kommutatorbeziehungen folgt
dL̂y
dL̂z
dL̂z
= −ω L L̂y ,
= +ω L L̂x ,
= 0.
(14)
dt
dt
dt
Die zweiten zeitlichen Ableitungen lassen sich für die Gleichungen (14) sofort hinschreiben:
d2 L̂y
d2 L̂x
2
L̂
=
−
ω
,
= −ω L2 L̂y .
(15)
x
L
dt 2
dt 2
Für die Mittelwerte gelten die gleichen Beziehungen wie für die Operatoren. Wie man leicht
nachrechnet, haben wir aus den Gleichungen (14) und (15) die Lösungen:
Lx = A sin(ω Lt + φ ),
Ly = −A cos(ω Lt + φ ),
ω
(16)
Lz = const.
Für den Spin gelten die gleichen Kommutatorbeziehungen, er kommutiert mit Ĥ0 und
L̂z . Wir erhalten die den Gleichungen (14) und (15) äquivalenten Beziehungen mit der
352
XIII Der Spin
Änderung, daß entsprechend Gleichung (13) ω L durch 2ω L ersetzt wird (vgl. Aufgabe 71.1):
Sx = A sin(2ω Lt + φ ),
Sy = −A cos(2ω Lt + φ ),
(17)
Sz = const.
z, B
z, B
S
M
z
S
L
M
L
Abb. 71.5 Präzession von Drehimpuls
und Spin sowie ihrer zugehörigen
magnetischen Momente um das
Magnetfeld (z -Achse).
z
L
(a)
(b)
Wie in der Skizze angedeutet, geht aus diesen Gleichungen hervor, daß die Komponenten
des Bahn- und Spindrehimpulses entlang der Magnetfelder (Lz bzw. Sz ) jede für sich
eine Konstante der Bewegung darstellen. Die zum Magnetfeld senkrechten Komponenten
L⊥ = (Lx , Ly ) bzw. S⊥ = (Sx , Sy ) rotieren dagegen mit der Larmor-Frequenz ω L bzw. mit
der doppelten Larmor-Frequenz 2ω L . Da wir die Kopplung von Spin und Bahndrehimpuls
hier vernachlässigten, präzedieren die beiden Vektoren somit voneinander unabhängig um
das Magnetfeld. Dabei bleibt, wie schon gesagt, die z-Komponente des Bahndrehimpulses
Lz sowie die des Spins Sz konstant. Man beachte, daß der Spin doppelt so schnell wie
ˆ , das unter Berücksichtigung
der Bahndrehimpuls rotiert. Das magnetische Moment M
der entsprechenden gyromagnetischen Faktoren (vgl. Abschnitt 67: Dublettaufspaltung)
gegeben ist durch
ˆ
ˆ = M
ˆ L + M
ˆ S = (μ B /)(Lˆ + 2S),
M
(18)
verhält sich analog dazu. Wegen der fehlenden L-S-Kopplung ergibt sich für die z-Kompoˆ direkt
nente von M
Mz = (μ B /)(Lz + 2Sz ).
Beispiel 71.2
(19)
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